Ayurveda Journal 42 – Juni 2014 Veganes Leben aus ayurvedischer Sicht Autor und © Copyright: Ralph Steuernagel Ayurveda ohne Ghee, Milch und Honig – ist das vorstellbar? Ja und Nein. Ja, weil der Anteil veganer Lebensmittel im Ayurveda traditionell dominiert. Nein, da ausgewählten tierischen Produkten starke Heilwirkungen nachgesagt werden. So stellt Ghee, das geklärte Butterreinfett, nicht nur eine wichtige Nährstoffquelle dar, sondern wird als Träger- und Transportmedium für zahlreiche pflanzliche Arzneimittel angesehen. Veganes Leben ist voll im Trend, immer mehr junge Menschen werden Teil dieser beeindruckenden Bewegung. Bill Clinton, Bryan Adams, Demi Moore, Johnny Depp, Leona Lewis, Mike Tyson und viele mehr – die Liste der vegan lebenden Stars und Sternchen aus Film, Musik, Sport und Politik wird täglich länger. Welche gesundheitlichen Vorteile bietet veganes Leben aus ayurvedischer Sicht? Welche Risiken sind mit einer streng veganen Lebensweise verbunden? Arten des Vegetarismus Vegetarisch ist nicht gleich vegetarisch. Die Vielfalt vegetarischer Lebensstile hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Lactovegetarier konsumieren ausschließlich pflanzliche Lebensmittel und Milchprodukte. Ovolactovegetarier ergänzen noch den Verzehr von Eiern. Piskovegetarier ernähren sich rein pflanzlich und ergänzen Fisch und Meeresprodukte. Frutarier ernähren sich ausschließlich von Obst, Beeren, Nüssen oder Samen und sämtlichen Pflanzen die sie ernten können, ohne die Stammpflanze zu schädigen. Rohköstler verzehren alle Gemüse und Früchte im rohen Zustand – die meisten sind Vegetarier, es gibt aber auch Gruppierungen, die rohe Fleisch- und Fischprodukte zu sich nehmen. Flexitarier ernähren sich vorrangig vegetabil, nehmen es aber nicht ganz so streng und konsumieren hin und wieder auch Fleisch und Fisch. Der Veganismus ist aus dem Vegetarismus entstanden und verbietet jeglichen Konsum tierischer Produkte. Das Wort vegan wurde am 1. November 1944 von Donald Watson in England entwickelt, dort gründete er auch die Vegan Society. Der überzeugte Pazifist Watson starb 2005 im Alter von 95 Jahren. Seit 1994 wird der Jahrestag der Gründung als Weltvegantag international gefeiert. Überzeugte Veganer reduzieren ihre Lebenseinstellung nicht nur auf eine rein vegane Ernährung. Sie achten auch bei der Auswahl ihrer Kleidung, Kosmetik, Möbel und Alltagsgegenstände darauf, dass diese frei von Tierprodukten und Tierversuchen sind. In Deutschland ernähren sich aktuell etwa 7 Millionen Menschen vegetarisch, davon über 800.000 vegan – Tendenz steigend (Quelle: Vegetarierbund Deutschland, Allensbach-Institut). Weltweit gibt es über eine Millarden Vegetarier, die meisten davon in Indien (20-40%), in Europa führt Deutschland die Liste an (Quelle: Statista 2013). Motivationen von Veganern Fragt man Veganer nach ihren Beweggründen für die gewählte Lebensweise, so lassen sich insgesamt sieben zentrale Motivationen feststellen: Tierethik: Der Verzehr tierischer Produkte geht grundsätzlich mit der Tötung und Misshandlung von Tieren einher und ist aus ethischen Gründen zu vermeiden. Humanität: Das Welthungerproblem lässt sich durch Veganismus lösen. Gesundheit: Vegane Kost beugt vielen Krankheiten wie Krebs, Herz-KreislaufStörungen und Rheuma vor und hat zudem einen therapeutischen Nutzen. Ökologie: Die heutige Tierhaltung zerstört Ökosysteme und stellt die Hauptursache für globale Erwärmung, Waldsterben und Grundwasserbelastungen dar. Ökonomie: Vegane Lebensmittel sind im Durchschnitt preiswerter als tierische Produkte. Ästhetik: Der bloße Gedanke an die Herstellung tierischer Produkte ist ekelbehaftet, vegane Kost hingegen reiner. Spiritualität: Das Töten und Quälen von Tieren ist ein gewaltsamer Akt, der einen energetischen Bumerangeffekt für den Konsumenten nach sich zieht. Tierprodukte im Ayurveda Der klassische Ayurveda bedient sich zur Heilung von Krankheit aus drei natürlichen Quellen: Pflanzen, Mineralien und Tiere. In der ayurvedischen Arzneimitteltherapie dominiert die Pflanzenheilkunde vor der Mineralogie, Tierprodukte stehen an letzter Stelle. Dennoch gibt es sie auch heute noch. Sie umfassen medizinierte Formen von Fleisch und Knochen, Blut, Urin, Galle und weitere Sekrete. Ihre Anwendung ist rechtlich geregelt, eine Liste aller erlaubten Tierprodukte findet sich in „The Drugs and Cosmetics Act and Rules“ vom indischen Gesundheitsministerium. Zur Erhaltung der Gesundheit und Förderung von Langlebigkeit wurde im klassischen Ayurveda auf die oben genannten Tierprodukte weitgehend verzichtet – dafür aber Ghee, Milch und Honig als herausragende Elixiere gepriesen. Der Ayurveda kann also nicht als ein rein vegetarisches und schon gar nicht als ein vegan orientiertes Gesundheitssystem angesehen werden. Das bedeutet im Umkehrschluss aber nicht, dass ein vegan orientierter Ayurveda unmöglich ist. Die wenigen wichtigen Tierprodukte können in der ayurvedischen Präventivmedizin durchaus vegan ersetzt werden, ohne signifikanten Wirkverlust. In einem der führenden Ayurveda Kurhotels wird dieses Konzept bereits angewandt: „Unsere Ayurveda Gourmet Küche kocht zu ca. 95% vegan, Ausnahmen werden bei Honig, Ghee und Joghurt (als Lassi oder in abgehangener Form im Dessert) gemacht; vor allem, weil wir damit auch therapeutisch arbeiten“ sagt Carina Preuss, Geschäftsleiterin des Parkschlösschens in Traben-Trarbach. Gesundheitliche Vor- und Nachteile veganer Ernährung Neue Gesundheitslehren werden zu Beginn kaum beachtet. Gewinnen sie weiter an Popularität, werden Kritiker und Konkurrenten wach und suchen nach Gegenargumenten, die sie „wissenschaftlich“ untermauern. Dieses Phänomen erlebte sowohl der Ayurveda in den letzten Jahren als auch der Veganismus. Häufige Vorurteile gegenüber veganer Ernährung sind: Veganismus führt zu Nährstoffmängeln. Ja, das kann passieren – allerdings nicht häufiger oder seltener als bei Mischköstlern auch. Einseitige Ernährung führt immer zu Mangelerscheinungen. Veganer weisen eine geringere körperliche und geistige Leistungsfähigkeit auf. Das Gegenteil bewiesen gerade Anfang diesen Jahres das neuseeländische Ehepaar Janette und Alan Murray, die 68-jährig den bisherigen MarathonWeltrekord von 265 Tagen (ohne Pause jeweils ein Marathon!) überboten. Und beim Anblick von Attila Hildmann, dem angehenden Physiker und berühmtesten veganen Kochbuchautor, gewinnt man nicht gerade den Eindruck geistiger und muskulärer Schwäche. Bei ausreichender Variabilität der veganen Nahrungsmittelauswahl ist eine Schwächung nicht zu befürchten. Veganer sind gesellschaftsunfähig. Das hängt einzig und allein von der geistigen Haltung und der Bereitschaft zu Kompromissen ab. Ein Gourmet wird genauso wenig die Imbissbude aufsuchen wie ein Veganer das Steakhaus. Es gibt mittlerweile eine große Anzahl veganer Gaststätten und auf vielen öffentlichen Veranstaltungen wird vegane Kost angeboten. Dennoch bleiben manche Einschränkungen, die aber nicht zwangsläufig nachteilhaft sein müssen. Die in Studien nachgewiesenen wichtigsten Vorteile einer veganen Kost sind: Veganer leiden seltener an Fettleibigkeit mit all ihren verheerenden Folgen. Veganer weisen ein geringes Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen auf. Veganer entwickeln seltener Diabetes mellitus. Bei bestehendem Diabetes kann durch vegane Kost oftmals die Medikation reduziert werden. Veganer leiden viel seltener an Bluthochdruck und weisen bessere Blutfette auf. Vegane Ernährung wirkt hinsichtlich mancher Krebsarten tumorprotektiv. In meiner Praxis gebe ich Veganern folgende 10 goldene Regeln an die Hand, um die gesundheitlichen Vorteile ihrer Lebensweise voll auszuschöpfen: 1) Ernähren Sie sich abwechslungsreich und maximieren Sie den Pool an Gemüsen und Salaten, Obst, Vollkorngetreiden, Hülsenfrüchten, Nüssen und Samen sowie eiweißreichem Seitan und Lupinensamen. 2) Führen Sie jährlich eine sinn- und maßvolle Blutuntersuchung durch und prüfen Sie darin auch wichtige Mikronährstoffe wie Vitamin B12, Vitamin D, Jod, Zink, Calcium und Eisen. 3) Nehmen Sie vegane Nahrungsergänzungen ein, wenn ein Mikronährstoffmangel wiederholt nachgewiesen wurde. 4) Meiden oder verringern Sie industriell verarbeitete Produkte, auch wenn diese als vegan bezeichnet werden – bereiten Sie stattdessen Ihre Nahrung frisch aus hochwertigen Rohstoffen und mit viel Liebe zu. 5) Verzehren Sie 3 Mahlzeiten täglich mit einem Abstand von 4-6 Stunden. 6) Setzen Sie ausreichend Gewürze wie Ingwer, Curcuma, Kümmel- und Pfeffersorten ein, um die Verdauung und Nährstoffaufnahme zu unterstützen. 7) Essen Sie vorwiegend warm. Frischobst eignet sich ergänzend zu gekochtem Getreide beim Frühstück, Rohkostsalate als Beilage zum vollwertigen Mittagessen. Meiden Sie abends jegliche Rohkost und bevorzugen Sie leichte Gemüsegerichte und Suppen. 8) Machen Sie den Ölwechsel: verwenden Sie für die heiße Küche Kokos- oder Palmkernfett, für die warme Küche Oliven- oder Rapsöl und für die kalte Küche Kürbiskern- oder Walnussöl. Weitere Öle sind möglich, aber nicht erforderlich. 9) Ernährung ist wichtig, für Ihre Gesundheit aber nicht alleinig entscheidend. Denken Sie auch an eine gesunde Lebensweise mit Bewegung, Schlafhygiene, Spannungsregulation, harmonischer Zeitgestaltung und der Pflege sozialer Beziehungen. Der wichtigste Faktor aus ayurvedischer Sicht ist die mentale Balance. 10)Prüfen Sie regelmäßig Ihre Toleranz. Nicht-Veganer sind keine schlechteren Menschen, sie folgen nur anderen Werten. Ertappen Sie sich in Abwertungen, stärken Sie Respekt, Achtung und Mitgefühl. Im Ayurveda nennt man diese Qualität Sattva. Unter diesen Voraussetzungen führt die vegane Lebensweise zu mehr Gesundheit und Wohlbefinden, schützt Tiere und entlastet die Umwelt – auch aus ayurvedischer Sicht.