Die ATP-Synthase weiter gedreht

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10 Jahre BIOspektrum
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Die ATP-Synthase weiter gedreht
Wolfgang Junge
Hartmu
t Michel
Biophysik, Universität Osnabrück
Achim Krö
ger
Lothar Jae
nicke
Die ATP-Synthase erzeugt ATP, den
zentralen Treibstoff der Zelle, auf Kosten
elektrochemischer Energie. Das Enzym ist
aus zwei rotierenden Schrittmotoren
aufgebaut, deren einer, als Motor, den
anderen, als Generator, antreibt. Ihr
Zusammenwirken hält weit gehenden
künstlich eingeführten Modifikationen der
Struktur stand. Die seit Mitte der neunziger
Jahre in Umrissen vermutete Grobmotorik
des Enzyms ist heute bewiesen. Wichtige
Konstruktionsmerkmale werden jetzt
erkennbar, so sichert die elastische Übertragung des Drehmoments die Robustheit
der Funktion und einen hohen kinetischen
Wirkungsgrad unter Last.
Christiane
Gatz
terhelt
Volkmar
Braun
Wolfgang
Junge
Abb. 1: Schematische Darstellungen und Animationen der ATP Synthase. (A) Schnitt durch den
Kopfteil, F1, nach der zuerst publizierten, asymmetrisch mit Nukleotiden belegten Struktur[3],
dazu als Animation eine Energie-minimierte
Interpolation von Cherepanov (www.biologie.uniosnabrueck.de/biophysik/Junge/pictures/F1.avi).
(B) Schematische Darstellung des Ionentranslokators, FO, und eine Animation dazu
(www.biologie.uni-osnabrueck.de/biophysik/
Junge/pictures/FO.avi). Der H+-Leitwert von FO,
etwa 10 fS, ist mit diesem Modell verträglich[60].
(C) Eine von Olaf Fritsche im Institut des Autors
1996 produzierte Animation des gesamten
Enzyms, welche, vom Institut für Wissenschaftlichen Film, Göttingen, grafisch verfeinert in
dessen CD „Die Zelle I“ aufgenommen, über die
Website des Autors weite Verbreitung fand
(www.biologie.uni-osnabrueck.de/biophysik/
Junge/pictures/FOF1.MOV).
Die ATP-Synthase (FOF1-ATPase) er-
zeugt eine chemische Differenz des
ATP/ADP-Systems auf Kosten einer elektrochemischen Energiedifferenz des Protons[1].
Dies gehört, seit Ende der siebziger Jahre
unangefochten, zum biochemischen Grundwissen. Der Mechanismus der Kopplung von
Ionentransport und ATP-Synthese blieb jedoch zunächst verborgen. Arbeiten von Paul
Boyer[2] hatten einen alternierenden oder rotierenden Reaktionsablauf der ATP-Hydrolyse an den zwei oder drei Reaktionsorten
des F1-Teils wahrscheinlich gemacht. Die
Rotation wurde erst durch die Kristallstruktur von John Walker plausibel[3]. Der dreizählige, durch unterschiedliche NukleotidBelegung asymmetrisierte F1-Teil des Enzyms ließ vermuten, dass die an den drei
Wirkorten nacheinander ablaufende ATPHydrolyse die zentrale Welle im Kreise herum treibt[3]. Günter Schäfer hat dies im ersten Heft des BIOspektrums dargestellt[4]. Abbildung 1A zeigt die in einer Lagerschale umlaufende zentrale Welle, welche von einem
hin- und herschwingenden Hebel angetrieben wird, der an der Nukleotid-Bindetasche
ansetzt. Wenig später wurde die Rotation der
zentralen Welle (der Untereinheit γ) im Hexagon der Untereinheiten (αβ)3 von F1 in
unterschiedlicher Weise nachgewiesen[5–7].
Für Biochemiker überzeugend war der
mikrovideografische Ansatz der Gruppen
von Masasuke Yoshida und Kazuhiko Kino-
Dieter Oes
sita mit rotierenden, an der zentralen Welle
des auf einer Unterlage immobilisierten F1Teils befestigten Aktin-Filamenten (s.
Abb. 3A). Vermutlich war auch der Ionentransportierende Teil des Enzyms, FO, ein
Rotationsmotor. Das vom Autor 1993 vorgeschlagene Konzept für dessen Funktionsweise, gestützt auf Brownsche Relativ-Rotation von Untereinheiten und elektrostatische Einschränkungen, wurde 1997 im BIOspektrum dargestellt[8] (s. auch[9–10] und
Abb. 1B). In groben Umrissen fand das Konzept zweier rotierender Motoren/Generatoren (Abb. 1C) nach der Verleihung des Nobel-Preises an Paul Boyer und John Walker
im Jahre 1997 Eingang in die Lehrbücher
der Biochemie.
Erweiterte Strukturmodelle: Gegründet auf
Röntgen-Kristallstrukturanalyse für den F1Teil[11–14] sowie für F1 mit einem Teil von
FO[15], auf Röntgen- und NMR-Analyse für
einzelne Untereinheiten in Lösung[16–20], auf
AFM für den Ring der c-Untereinheiten im
FO-Teil[21, 22], auf EM[23] und auf geeignete
chemische Quer-Vernetzungen[24–29] stellt
sich das Enzym heute wie in Abbildung 2A
dar. Der F1-Teil wurde mit unterschiedlichen Nukleotiden und Inhibitoren in einem Fall bis auf 0,2 nm aufgelöst[30]. Auffällig ist ein Arginin als festes, zugleich auf
das γ-Phosphat des ATP hin „verschwenkbares“ und dieses stabilisierende Gegenkation. Die Kooperativität der drei Reaktionsorte und der Einfluss mechanischer Veränderungen großer Reichweite auf die Prozessierung der Nukleotide ist bisher nicht vollständig erschlossen worden (zur Übersicht[31]). Für den FO-Teil wurde durch AFM
eine Ringstruktur der in mehreren Kopien
vorhandenen Untereinheit c bewiesen
(Abb. 1B). Die Anzahl von Kopien der Untereinheit c im Ring variiert zwischen 14 (in
Chloroplasten[22]) über 11 (in einem Natrium-translozierenden Bakterium[32]) bis 10
(in Hefe[15] und E. coli[33]). Die beiden Motor/Generatoren arbeiten daher (i) mit unBIOspektrum · 1/05 · 11. Jahrgang
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Abb. 2: Aktuelles
Strukturmodell der ATP
Synthase. (A) Strukturmodell von FOF1 (Zitate
im Text). Roter Pfeil:
künstlich eingeführter
Helix-Längenunterschied entsprechend
11+14=25 Aminosäuren[48, 49]. Roter
Kreis: Ort des einfusionierten Cytochrom
b[50]. (B) Schnitt durch
den F1-Teil. Rot
markiert die ohne
Funktionsverlust zu
deletierenden Aminosäuren[51].
Konstruktionsprinzipien des Doppelmotors,
fein abgestimmt oder robust?
funktionsfähige Hybride aufgebaut aus
Untereinheiten des Enzyms aus Spinatchloroplasten, Synechocystis, E. coli und P. modestum (Zitate in[46]) sind Beispiele dafür. Der
Ionentranlokator, FO, kann auch mit Na+ arbeiten[47]. Die in Abbildung 2A grün dargestellte Verbindung des FO-Teils mit dem F1Teil durch zwei parallel geführte Untereinheiten b ließ sich ohne Funktionsverlust
(i) durch künstlich eingeführte Cysteine verbrücken, (ii) um je 14 Aminosäuren verlängern[48] oder (iii) um 11 Aminosäuren verkürzen[49]. An der durch einen roten Kreis
markierten Stelle konnte ein kleines Protein,
Cytochrom b, einfusioniert werden, ebenfalls ohne Blockade[50]. Die zentrale Welle
wurde an ihrem α-helikalen (C-terminalen)
Ende um 12 Aminosäuren verkürzt (in
Abb. 2B rot dargestellt). ATP-Hydrolyse
drehte jedoch auch nach Verlust dieses
„Lagerzapfens“ Aktin-Filamente (s.
Abb. 3A) gegen den Widerstand des viskosen Mediums[51]. Der C-Terminus
der Welle wurde, wiederum ohne totalen Aktivitätsverlust, mit der Lagerschale kovalent verbrückt[46, 52, 53]. MDSimulationen legten nahe, dass das Enzym
auf Grund seines hohen Drehmoments in
der Lage sein könnte, die Wasserstoffbrücken in der α-Helix der Welle aufzubrechen,
um so von der künstlich blockierten Welle/Lager-Konstruktion (Abb. 2B) auszuweichen auf ein Drehzapfengelenk, realisiert durch die Einfachbindungen am
Cα-Atom einiger Aminosäuren[52]. Die-
Bei einem Molekül mit derart komplexer
Funktion vermutet man bei oberflächlicher
Betrachtung eine sehr feine Abstimmung
der Elementarakte in den beiden miteinander gekoppelten Motoren, dem Ionentranslokator FO und dem Syntheseapparat F1. Es
gibt jedoch eine Fülle von Hinweisen auf eine eher robuste Konstruktionsweise, die Variabilität der Symmetrien (3:10, :11, :14) und
Abb. 3: Bestimmung der Winkelabhängigkeit des in F1 erzeugten Drehmoments nach
Übertragung auf den Ring von FO mit angeheftetem Aktin-Filament. (A) Schema des
Messprinzips[56]. (B) Berechnete Abhängigkeit der Rate als Funktion der elastischen
Torsionssteife der zentralen Welle[57, 58].
Die elastische Drehmomentübertragung
ermöglicht einen hohen kinetischen
Wirkungsgrad.
angepasster Symmetrie, (ii) mit verschiedener Übersetzung in unterschiedlichen Organismen und (iii) mit nicht-ganzzahliger Stoichiometrie. Für Chloroplasten wurde strukturell ein H+/ATP-Verhältnis von 14:3 = 4,67
erwartet. Funktionell wurde jedoch eine
H+/ATP-Stoichiometrie von 4 bestimmt[34–36], ein bisher nicht aufgeklärter
Widerspruch.
Höhere Auflösung der Rotationsbewegung
Erste Hinweise für einen in drei Schritten
erfolgenden Rotationsfortschritt im F1-Teil
ergaben sich bereits aus spektroskopischen
Untersuchung am Ensemble und an Einzelmolekülen[37–42]. Durch DunkelfeldMikroskopie mit nano-Gold-Partikel wurde
die Schrittweite, 120°, direkt dargestellt[43].
Bei ATP-Limitierung wurden vier Phasen
unterscheidbar: das Warten auf ATP-Bindung, eine Drehung um 80°, die Spaltung
des gebundenen ATP in < 1ms und eine
Drehung um 40°[44]. Dass eine schrittweise
Drehung in umgekehrter Richtung, angetrieben durch protonen- bzw. natriummotorische Kraft, für ATP-Synthese sorgt, wurde spektroskopisch an Proteoliposomen
nachgewiesen[40–42]) und, spektakulär, auch
an von außen durch ein rotierendes Magnetfeld angetriebenen, immobilisierten
Enzymen[45].
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se offenbar mögliche nanotechnische Lösung scheint im Normalzustand des Enzyms
jedoch nicht genutzt zu werden[6, 37, 53].
Welche konstruktiven Tricks lassen dieses komplex aufgebaute Enzym derart robust mit strukturellen Veränderungen fertig werden?
Elastische Kraftübertragung, Drehmoment
und Wirkungsgrade:
Es wurde darüber spekuliert, dass das robuste Zusammenspiel der beiden Schrittmotoren durch ein ausgleichendes Strukturelement, eine elastische Kraftübertragung, vermittelt wird[54, 55]. Die Winkelabhängigkeit des Drehmoments sollte die vermutete Elastizität widerspiegeln. Zum
Nachweis der inneren Elastizität haben Siegfried Engelbrecht, Karin Gumbiowski und
Oliver Pänke ein Aktin-Filament mono-spezifisch am Ring der c-Untereinheiten des am
F1-Teils immobilisierten Enzyms angeheftet[56]. Die durch die ATP-Hydrolyse im F1Teil des Enzyms angetriebene Drehung gegen den viskosen Widerstand deformierte
das Filament. Dessen visko-elastische Biegung erlaubte die Berechnung der Winkelabhängigkeit des am c-Ring angreifenden
Drehmoments[46, 57, 58]. Es schwankte mit geringer Amplitude (Periode 120°) um einen
Mittelwert von ca. 56 pNnm. In Anbetracht
der Schrittmotor-Eigenschaft des Antriebs
(Aktivierungsenergie >40 kJ/mol) bedeutete die geringe Schwankungsbreite die Glättung der Kraftschläge durch innere Elasti-
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zität des Enzyms. Eine statistisch-mechanische Beschreibung dieses nanoskopischen
Schrittmotors mit den Methoden der statistischen Mechanik führte Cherepanov zu
dem Schluss, dass eine hohe Rate nur bei
elastisch weicher Kopplung zwischen dem
mit ausgeprägten Kraftschlägen arbeitenden
Antrieb und der entfernten großen Last
möglich ist[46, 57, 58] (s. Abb. 3B). Die elastische Kopplung erklärt zugleich die Robustheit der Funktion gegenüber Struktur-Modifikationen und die Fähigkeit, mit unterschiedlichen und nicht-ganzzahligen Übersetzungen zu arbeiten. Innere Elastizität ist
ein einfaches Konstruktionsprinzip, um einen großen kinetischen Wirkungsgrad zu erzielen, einfacher zu realisieren und robuster als
die Glättung der Kraftschläge durch sorgfältige Abstimmung (etwa durch einen
„hydrogen bonded zipper“) der Elementarvorgänge in den beiden Motoren, wie von
Georg Oster vorgeschlagen[59].
Unter der Last eines typisch 3 µm langen Aktin-Filaments arbeitet die F1-ATPase um Größenordnungen langsamer als das
freie Enzym. Wenn es gar an einem Hindernis an der Oberfläche anstößt, bleibt es
ganz stehen. Im ersten Fall befindet sich das
Enzym nahe am, im zweiten im thermodynamischen Gleichgewicht, in beiden Fällen wird es elastisch deformiert. Das aus der
elastischen Deformation von Aktin-Filamenten bestimmte mittlere Drehmoment
von 56 pNnm, multipliziert mit dem Winkel
pro ATP, 2π/3, deckte sich mit der molaren
Freien Energie der ATP-Hydrolyse in den
Experimenten, 70 kJ/mol[58]. Das bedeutet
einen thermodynamischen Wirkungsgrad von
Eins, nicht überraschend für ein gleichsam
ruhendes Enzym. Wichtiger sind folgende
Aussagen: (i) Das Enzym besitzt wegen elastischer Kraftübertragung einen hohen kinetischen Wirkungsgrad und (ii) es gibt trotz
des hohen Drehmoments keinen Schlupf
zwischen den beiden Motoren (dieser tritt
erst auf, wenn der Eingriff des Hebels in die
umlaufende Welle bei Abwesenheit von Nukleotiden gelockert ist).
Zusammengefasst: Die ATP Synthase ist
ein robustes und effizientes Enzym, welches
chemische mit Ionentransport-Reaktionen
mechanisch durch eine ausgeprägte Grobmotorik verbindet. Seine Funktionsweise wird
im Prinzip verstanden, die Details der elektrischen, chemischen und mechanischen
Vorgänge sind dagegen erst im Ansatz erkennbar.
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Prof. Dr. Wolfgang Junge
Universität Osnabrück
D-49069 Osnabrück
Tel.: 0541-969-2872
Fax: 0541-969-2262
[email protected]
www.biologie.uni-osnabrueck.de/biophysik/junge
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