47. Embodiment und Musik

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P S YC H O - N E W S - L E T T E R N R . 4 7
E IN
KLEINER
L ITERATURRUNDFLUG
Im Auftrag des Vorstands der DGPT
Verfasst von
Michael B. Buchholz
Email: [email protected]
Mit einem Beitrag von Peter Geissler, Wien
Email: [email protected]
Mitte September 2006
EMBODIMENT
D
UND
MUSIK
aß Musik mit dem Körper zu tun habe, weiß jeder, der beim Swing rhythmisch zu zucken beginnt, den Takt mit dem Finger mitschlägt oder beim Anhören der Matthäuspassion aus scheinbar unbegreiflichen Gründen in Tränen tiefster Ergriffenheit ausbricht. Muß man Übende anhören, kann einen schon mal der Zahnschmerz packen und wenn
einem beim Üben selbst etwas partout nicht gelingen will, durchaus auch eine körperliche, kaum
zu bändigende Wut. Musik, wissen Musiker, hat mit dem Vorstellungsvermögen zu tun; gute Musiklehrer regen Kinder schon an, sich vorzustellen, beim Üben einer Tonleiter eine Treppe rauf
und runter zu steigen und die Kinder merken zu ihrer Überraschung, dass sie dieselbe Tonleiter
anders spielen, wenn sie sich dabei vorstellen, sich zu verstecken im Sinne von „sich in der Höhe
verdünnisieren“ oder einen Angriff zu beginnen (beim Herunterkommen auf der Tonleiter). Jede
Musikrezension führt vor, welches körperlich klingende Repertoire an Sprachbildern und Metaphern ihr Autor zur Verfügung hat und manchmal, wenn auch selten, meint man beim Lesen
leise die Musik sogar hören zu können, über die da beredt geschrieben wird.
Der Pianist David Sudnow (1978) gab in seinem Buch „Ways of the Hand: The organization of
improvised conduct“ (Harvard University Press) eine wunderbare Beschreibung, wie er es geschafft habe, Jazz auf dem Klavier zu improvisieren. Er versuchte zunächst große Jazzmusiker
nachzuahmen. Aber das erwies sich als extrem schwierig, denn er konnte Noten und Tempus gar
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nicht genau genug bestimmen. Selbst wenn er nah daran kam, solche Werte zu bestimmen, klang
irgendwas nicht richtig. Die Noten selbst enthielten irgendwie nicht jene Information, die er
brauchte, um seine Hände in der richtigen Weise über die Tastatur zu bewegen.
Ein Durchbruch kam erst, als ein geübter Pianist darauf drang, dass Sudnow eine kleine Anzahl
von Tonleitern, Phrasierungen und Akkordsequenzen, für den Jazzsound charakteristisch, üben
sollte. Anfänglich also sah das so aus:
„There were these three diminished scales to begin with, each identified by reference to a theoretical system that related its use to four of the twelve dominant chords, so on my thinking there was a ‘cognitive
map’, each scale named by a starting place, each related to its class of chords” (Sudnow 1978, S. 21).
Indem er sich nun ans Üben machte, bringt er es zu einem bemerkenswerten Ergebnis:
„I recall playing one day, and finally as I set out into a next course of notes, after a lift-off had occurred,
that I was expressively aiming for the sounds of these particular notes, that the sounds seemed to creep up
into my fingers, that the depression of the keys realized a sound being prepared for on the way down” (S.
37).
Der Sound wollte in die Finger kriechen – bevor er die Tasten niederdrückte. Es entstand ein
ganz neues Rückkopplungssystem zwischen Wahrnehmung und Motorik, zwischen Absicht und
Ausführung, zwischen Selbst und musikalischer Welt. Der Klang war gewissermaßen schon im
Ohr, bevor das Klavier ihn erzeugte. Und Sudnow beschreibt genau, dass das „Wissen“ aus diesem Rückkopplungssystem ein anderes war als das kontextfreie musikalische Wissen, das er vorher aus den Noten hatte.
„As I found the next sounds coming up, as I set out into the course of notes, it was not as if I had learned
about the keyboard so that looking down I could tell what a regarded note would sound like. I do not
have that skill, nor do many musicians. I could tell because it was the next sound, because my hand was so
engaged with the keyboard that it was given a setting of sounding places in its own configuration and potentialities” (S. 45).
Etwas passierte, so daß sich sein Bezugssystem änderte. Er lernt nichts mehr über das Spielen des
keyboard (Bion hätte hier –K notiert), sondern es ist seine Hand-mit-keyboard-mit-Klangmuster,
die jetzt etwas weiß: sein Wissen ist „embodied“ und es ist „situiert“ zugleich (Bion hätte K codiert). In der Situation des Spielens ist dies Wissen „da“, dann gelingt die Improvisation.
Sudnow bestand seitdem darauf, dass jede Note innerhalb verschiedener Läufe einen anderen
„Ton“ habe, auch der Ton wird „situiert“. Man könne Noten zwar „objektiv“ klassifizieren und
transkribieren, aber das sei gerade nicht die dynamische Basis jener sensorimotorischen Abläufe,
die ihn zum Erklingen bringen. Jeder, der ein Instrument erlernt hat, wird diese Erfahrung bestätigen können. Es gibt einen Schritt über schülerhaftes „Nachspielen“ der Noten hinaus in die
Gestaltung performativer Praxis, der von den meisten als höchst befriedigende Erfahrung empfunden wird, als Gefühl des Eins-Seins mit dem Instrument. Nicht der Spieler spielt „auf“ dem
Instrument, sondern der „Spieler-mit-dem-Instrument“. Beide verschmelzen zu einem dynamischen Prozeß, dessen Komponenten nur begrifflich im Nachhinein voneinander gelöst werden
können, nicht aber im Vollzug.
Diese Schwerpunktverlagerung von kategorialer wissenschaftlicher Analyse hin zum (musikalisch-professionellem) Vollzug ist für das Verständnis des dynamischen Prozesses von größter
Wichtigkeit. Es ist eine Verlagerung, die in der Sprachwissenschaft sich genauso vollzieht; mehr
und mehr treten die Eigenarten des Sprechens, also des Vollzugs in den Fokus der Aufmerksamkeit; die Eigenarten von „Sprache“ (an sich) verlieren an Interesse. Da neuerdings auch Psychoanalytiker sich mehr und mehr an die Analyse der Musik und ihrer „performance“ wagen, sollen
hier einige Arbeiten als E r w e i t e r u n g e i n e r p s y c h o a n a l y t i s c h e n K u l t u r - u n d K ö r p e r t h e o r i e vorgestellt werden.
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POSITIONEN
DER
„COGNITIVE
Auf dieser rein phänomenologischen
Grundlage seiner Selbsterfahrung als Pianist
lernte und lehrt Sudnow zu begreifen, dass
dem geschickten Handeln als Pianist nicht
eine unabhängige mentale Planung und Entscheidung vorausläuft, die besondere Aspekte der „performance“ anleitet oder informiert. Gregory Bateson machte (in seinem
Buch „Geist und Natur“) einmal ein interessantes Gedankenexperiment: Man stelle sich
einen Blinden vor, der mit seinem Stock die
Gegend abtastet. Soweit, so gut. Nun aber
die knifflige Frage: Wo ist die Grenze des
Kleine Literaturhinweise
Am besten liest man Neueres zum Thema in der
folgenden Reihenfolge:
Leikert, S. (2005): Die vergessene Kunst. Der
Orpheusmythos und die Psychoanalyse der Musik
(Psychosozial-Verlag)
Francisco Varela, Evan Thompson und Eleanor Rosch (1995): Der Mittlere Weg der Erkenntnis. Der Brückenschlag zwischen wissenschaftlicher Theorie und menschlicher Erfahrung. [Goldmann Taschenbücher Bd.12514]
Mark Johnson (1987): The body in the mind:
The bodily basis of meaning, imagination and
reason (University of Chicago Press)
Sobchak, V. (2004): Carnal Thoughts. Embodiment and Moving Image Culture (University of
California Press)
Zbikowski, L.M. (2002): Conceptualizing Music.
Cognitive Structure, Theory and Analysis. (Oxford
University Press)
Spitzer, Michael (2004): Metaphor and Musical
thought (The University of Chicago Press)
Spitzer, Manfred (2002):
(Schattauer)
Musik
im
Kopf
Knoblauch, S.H. (2000): The Musical Edge of
Therapeutic Dialogue (The Analytic Press)
Sowie die Arbeiten von Bernd Oberhoff, die
zahlreich im Psychosozial-Verlag erschienen sind.
HINWEIS: Manfred Spitzer und Michael Spitzer
sind zwei ganz verschiedene Autoren!
Selbst des Blinden? An der Hand, die den
Stock umfasst? An der Spitze des Stocks, der
einen Gegenstand berührt? In der Mitte des
Stocks? Die Formulierung, dass der Blinde
3
SCIENCE“
den Stock „nutzt“, trifft die Sache nicht;
denn die schwenkende Bewegung des Stocks
ahmt nur nach, was ein Sehender auch
macht: der sog. Nystagmus des Auges tastet
nämlich in winzigen Bewegungen dauernd
die Umwelt ab – und wenn man die entsprechenden Augenmuskeln durch ein Gift
lähmt, hört der Betreffende auf, etwas sehen
zu können, obwohl das Auge unverletzt, die
nervöse Weiterleitung ans Sehzentrum erhalten bleibt und die entsprechenden Gehirnregionen aufleuchten. Wahrnehmen – so belehren uns Sudnow und Bateson (und Raymond Gibbs „Embodiment and cognitve
science“ 2004) gleichermaßen, ist nicht etwa
„Abbilden“. Nein, Wahrnehmen ist vielmehr
aktive Organisation. Die Kontrolle findet
nicht erst am „motorischen Ende“, sondern
bereits beim „input“ statt. So der aufregende
Ansatz von Scott Jordan („The embodiment of intentionality“) in dem von Wolfgang Tschacher und Jean-Pierre Dauwalder herausgegebenen Band „The Dynamical Systems Approach to Cognition“
(2003).
Scott Jordan überwindet so die „alteuropäische“ Sicht, wonach der menschliche Geist
seine Handlungen vorausplant und gemäß
seinen Intentionen in dieser zeitlichen Abfolge exekutiert. Diese lineare und hierarchische Vorstellung wird ersetzt von der Idee,
dass Intentionen am besten als dynamische
Prozesse innerhalb einer physikalischen,
historischen und sozialen Welt verstanden
werden. Der Blinde mit dem Stock ist mit
der Welt ebenso sinnlich und zirkulär verbunden wie der Sehende mit seinem
Nystagmus. Die ältere Sicht implizierte eine
lineare Richtung des Geschehens von einer
inneren planenden Zentrale an die äußere
Peripherie. „Cognitive science“ schlägt hingegen vor, lieber von zirkulärer Einbettung
in situierte Kontexte zu sprechen, aus denen
eine Person Selektionen vornimmt. „Cognitive Science“ meint also hier eine Sicht, die
von der Situiertheit allen Handelns ausgeht
und davon, dass die handelnde Person immer
verkörpert ist. Das kommt doch Freuds
Satz, dass das Ich vor allem ein körperliches
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sei, recht nahe. Situiertheit und „Embodiment“ brauchen ein wenig Klarstellung.
Es ist ein weitverbreiteter Irrtum zu glauben,
der Begriff „kognitiv“ vernachlässige das
Unbewusste oder auch schon das Erleben.
Kognition und Intellektualisieren werden gern
miteinander verwechselt, aber das ist nicht
Dasselbe! Vergegenwärtigen wir uns, wie
kompetente Vertreter im Band von Tschacher und Dauwalder Grundüberzeugungen
der „cognitive science“ zusammenfassen:
1. Intentionale, zielgerichtete Kognition ist
nicht als einzelnes Attribut des Geistes
zu verstehen; vorgeschlagen wird vielmehr, Geist als Synergie, d.h. als Zusammenwirken von grundlegenderen und
einfacheren Komponenten, insbesondere
des Handelns zu verstehen
2. Geist muß als embodied aufgefasst werden, Geist hat Gehirn und Körper. Die
Idee, erst sei brain da und dann folge
mind, wird aufgegeben zugunsten der
Vorstellung, dass schon primitive Einzeller kognitive Akte vornehmen müssen:
Sie müssen in ihrer Umwelt überleben
und können das nur, wenn sie z.B. Nahrung von Nicht-Nahrung unterscheiden
können. Unterscheiden aber ist ein kognitiver Akt.
3. Kognition ist situiert, immer eingebettet
in Umwelten, die einschränkend wirken
und angetrieben werden von energetischen Gradienten
4. Spricht man von „embodied cognition“,
muß man auch umgekehrt vom „cognitive body“ sprechen. Es gibt eine zirkuläre
Interaktion zwischen einer Situation und
der Art, wie diese ausgelegt wird. Varela
et al. sprechen von „enactive cognition“;
die Bedeutung einer Situation ist nicht
„gegeben“, sondern wird handelnd hergestellt. Das ist in guter Übereinstimmung mit dem, was Sozialwissenschaftler, wenn sie mikroanalytisch arbeiten,
ebenso feststellen wie die Autoren, die
ich im PNL 46 über „mindreading“ erwähnt habe.
5. Durch solche Zirkularität entstehen
selbstorganisierende Dynamiken, die helfen, Intentionalität zu verstehen. Wir den-
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ken nicht mehr: „Der Blinde hier, eine
Welt dort“, sondern „Der-Blinde-mitStock-in-seiner-Welt“ und wir sehen, wie
er sich tastend eine Welt und ein Bild
von der Welt zugleich erschafft.
Ich persönlich finde an solchen Konzeptualisierungen interessant, dass mit jedem Reduktionismus gebrochen wird; Erklärungen
der Art, Geist sei nichts als Gehirn werden
deutlich zurückgewiesen. Das Erleben als
Interpretant einer Situation wird in einen
Rang eingerückt, wie es auch von der Psychoanalyse gesehen wurde. Der Träumende
träumt von einem Schellenklang einer Militärkapelle – aber er hat damit nur das Läuten
des Weckers „interpretiert“, wie Freud uns
das in der Traumdeutung vorführte. Das
Unbewusste ist ja bei ihm keineswegs nur
das, was gedeutet wird, sondern E s d e u t e t – in diesem Fall den rappelnden Wecker als Militärkapelle.
Das wird noch deutlicher in der cognitive
science so gesehen, wenn wir hinzunehmen,
wie George Lakoff und Mark Johnson
(„Philosophy in the Flesh“, 1999) die Verkörperung des Geistes konzeptualisieren.
Sie unterscheiden drei Ebenen: Der „neural
level“ bezieht sich auf Phänomene wie beispielsweise das akustische Hören, die Farbkategorisierung oder Raumwahrnehmung.
Der „phenomenological level“ ist der des
Bewusstseins bzw. der bewußt zugänglichen
Erfahrung, insbesondere unsere mentalen
Zustände, unsere Umwelt, unsere körperliche Verfasstheit, unsere Interaktionen. Es ist
auch der level der „Qualia“, also der ganz
bestimmten Erlebnisse, die wir haben bei
Zahnschmerzen oder dem Klang einer Violine. Der dritte level des „cognitive unconscious“ ist der für die Psychoanalyse besonders interessante:
„Das kognitive Unbewußte ist jener riesige Teil
des Eisbergs, der unter der Oberfläche liegt,
unter der kleinen Spitze des Bewußtseins. Es
besteht aus all jenen mentalen Operationen, die
die bewusste Erfahrung möglich machen und sie
strukturieren, einschließlich des Verstehens und
des Gebrauchs von Sprache. Das kognitive Unbewußte gebraucht und steuert die wahrnehmenden und motorischen Aspekte des Körpers,
besonders jene, die sich auf Konzepte der ba-
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salen Ebene und der räumlichen Relationen
beziehen. Es umfasst all unser unbewusstes
Wissen und Denkprozesse. Deshalb umfasst es
auch alle Aspekte des linguistischen Prozessierens – Phonetik, Phonologie, Morphologie, Syntax, Semantik, Pragmatik und Diskurs.“ (Lakoff
und Johnson 1999, S. 103). (Meine Übersetzung
MBB)
Wenn, wie Lacan behauptet hat, das Unbewußte wie eine Sprache strukturiert ist, dann
hat die Psychoanalyse hier eine exzellente
Anschluß-Möglichkeit an avancierteste Theorien der Cognitive Science.
Gelten Erfahrungen wie die von David Sudnow nun nur für Höchstleistungspianisten
oder kann man auch sagen, dass schon Anfänger diese ästhetisch so wertvolle Erfahrung machen können?
SOUND, THERAPIE, GENUSS
Zwei ganz unterschiedliche Arbeiten versuchen herauszuarbeiten, dass das ästhetische
Empfinden nicht erst am Ende einer aufwendigen Musiksozialisation zu erreichen ist,
sondern an deren Anfang liegt. Das ist nach
der hier beschriebenen „EmbodimentThese“ der Cognitive Science eigentlich
nicht anders zu erwarten.
Das Buch von Sebastian Leikert macht
dies im Anschluß an Lacan sehr schön deutlich; der Jazz-Musiker und Psychoanalytiker
Steven H. Knoblauch verdeutlicht uns den
praktisch behandlungstechnischen Wert
solcher Sichtweisen. Nur ein bürgerliches
Vorurteil wollte, dass Ästhetik zu den „höheren“ Empfindungen und Genüssen zu
rechnen ist und es hat uns nicht sehen lassen, wie solches Empfinden mit unserer
Körperlichkeit zusammenhängt. Musikästhetisches Empfinden ist also nicht ein aufgesetztes Bildungs-Plus, sondern steht im
Zentrum der menschlichen Körpererfahrung. Leikert will nun den Nutzen dieser
Überlegungen für ein Modell des musikalischen „Unterbaus“ des Sprechens erläutern.
Leikert muß man zustimmen, wenn er feststellt, dass die Musik „seltener Gast in den
Gefilden der psychoanalytischen Reflexion“
sei und da sie als „fundamental eigenständiges Medium“ aufgefasst werden muß, stellt
sich die Frage: „Was ist dann ihre Botschaft?“ Indem er als ihr Gravitationszentrum richtig die Stimme ausweist, zeigt er
schon die enge Verlötung mit der Körperlichkeit. Man kann sich ihr also nicht nähern,
indem man das „Register des Sinns“ zieht,
sondern man muß die Praxis des Genießens
ansehen; ein bisschen umständlich, dass das
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UND
ARBEIT
mit Lacan als Register der Perversion bezeichnet wird. Leikert tut dies deshalb, weil
Lacan den Freud’schen „klassischen“ Triebobjekten noch zwei weitere, Blick und
Stimme, hinzufügt – der Körper ist hier über
die Maßen präsent. Mit dem Genuß aber ist
auch die Stimme außerhalb des Bereichs des
Signifikanten; sie offeriert eine andere Dimension. Leikert sieht hier die Quelle des
blockierten Gesprächs zwischen Musikwissenschaft und Psychoanalyse:
“Es gibt in der Musik nichts, worin sich das
Subjekt spiegeln und wiedererkennen könnte.
Diese vermeintliche Subjektlosigkeit der Musik
ist Wurzel der verfehlten Begegnung zwischen
Psychoanalyse und Musikwissenschaft: Das Subjekt hat in der Musik scheinbar keine Repräsentanz, folglich, so die Psychoanalyse, gibt es hier
nichts für sie zu verstehen, folglich, so die
Musikwissenschaft, hat die Psychoanalyse als
Wissenschaft vom Subjekt in der Musikbetrachtung nichts zu suchen“ (S. 26).
Das Seltsame freilich ist, daß Musiker wie
Musikrezensenten, Komponisten wie auch
Hörer in der Musikrezeption, wenn sie denn
versprachlicht wird, stets körperliche Metaphern heranziehen. Aus Leikerts Schätzen
zitiere ich nur Richard Wagner:
„Harmonie und Rhythmus sind Blut, Fleisch,
Nerven und Knochen ...die Melodie dagegen ist
dieser fertige Mensch selbst, wie er sich unserem
Auge darstellt.“ (Leikert, S. 29)
Interessant, wie selbstverständlich wir gelten
lassen, dass die Melodie sich „dem Auge“
darstellt! Hier kommt eine transmodale
Kommunikation zur Geltung – vom Ohr
zum Auge -, die Daniel Stern in der Säug-
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lingskommunikation hat gelten lassen. Das
Seelische im Klang, so fällt einem ein, hat
uns auch der 26jährige Beethoven, als er die
Klaviersonate op. 10,3 schrieb, durch seinen
Biographen Anton Schindler überliefert.
Diese Sonate sei
„Der Seelenzustand eines Melancholischen mit
all den Nuancen von Licht und Schatten im
Blick der Melancholie“.
Durch vielfältige und vergleichende Sichtungen der philosophischen Kommentare – von
Hegel, Schopenhauer, Wagner, Nietzsche, Adorno – mit Äußerungen von Komponisten kommt Leikert zu der Auffassung,
dass die Metapher solche Verschmelzungen
zwischen den Sinnesmodi, aber auch zwischen dem Selbst und dem Anderen, aufzuheben in der Lage ist – Musik befreit im
Genuß von der Entfremdung.
“Sprache hebt in vielfältiger Weise die imaginäre
Welt auf. Worte beziehen sich auf Bilder, die
wiederum auf Dinge in der Welt verweisen. Die
Satzstruktur mit ihrer Subjekt-Objekt-Ordnung
bildet den Widerschein der dualen imaginären
Beziehung ... Die musikalischen Kontextformen
– Melodie, Thema, Motiv, periodische Anordnung, musikalische Form – bieten ein reichhaltiges Repertoire an Möglichkeiten der horizontalen Gliederung. Sie sind jedoch kategorial auf
einer Ebene, kennen etwa nicht den Unterschied
von Subjekt und Objekt, die Verbformen des
Aktiv und Passivs oder die verschiedenen Zeitformen“ (Leikert, S. 39)
In der Musik geht das Subjekt zurück, „an
den Ursprung der Sprachlichkeit“ (S. 44),
aber es ist keine Regression ins „Primitive“,
wie manche vorschnell meinen könnten;
sondern hat damit zu tun,
„dass Musik sich nicht auf gesehene Objekte
(Objektvorstellungen), sondern auf erlebte Körperspannungen bezieht. Sprache bildet ihre Bedeutung durch Zeichen und Vorstellungen, Musik
dagegen symbolisiert subjektiv erfahrene Spannungszustände durch Imitation“ (S. 54)
Das ist die hier relevante Generalthese, die
Leikert nun vielfach noch ausdifferenziert,
anschaulich etwa darin, dass Musik sich
„nicht verurteilen“, sondern „nur fliehen“
lasse, mit theoretischem Gewinn darin, dass
Musik eine Form der mimetischen Symbolisie-
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rung sei, also der körperlichen Angleichung,
die schon das Neugeborene mitbringe, indem es Rhythmen des Herzschlags kenne,
die durch Musik nur nachgebildet seien –
der Körper hat einen Primat, „Musik ist eine
Sprache vor der Objektrepräsentanz“ (S. 59).
Musik habe „Präsenzsuggestion“.
Diese klaren theoretischen Distinktionen
und Gewinne führt Leikert nun am Beispiel
von J.S. Bach („Wohltemperiertes Klavier“)
oder an der 9. Sinfonie von Beethoven oder
in Verdis „La Traviata“ vor – und das in
keineswegs schwelgender Betroffenheitslyrik. Nein, die theoretischen Mühen zahlen
sich als konkrete Gewinne in handfesten
Untersuchungen der musikalischen Notationen aus – und eine solche Leistung muß
man würdigen, weil Leikert damit echte Dialogmöglichkeiten zwischen Psychoanalyse
und Musik öffnet.
Es ist, als würde Steven H. Knoblauch mit
seinem, wenn auch früher geschriebenen
Buch, der Leikert’schen Theorie das notwendige und stimmige, das behandlungstechnische accompagniato zur Seite stellen
wollen; beide Bücher gemeinsam zu lesen,
erzeugt ein Duett im Kopf. Das soll wohl
auch so sein, denn Knoblauch improvisiert
sowohl als Jazzmusiker wie auch als voll
ausgebildeter Psychoanalytiker – wobei ich
bei „improvisieren“ an das englische „to
improve“ denke, das ja bekanntlich „verbessern“ heißt; das Eine gewinnt vom Anderen.
Knoblauch sieht „improvising and accompagniment in jazz as a metaphor for clinical
technique“ und führt seine Überlegungen,
im Wechselgesang mit psychoanalytischen
Theorietraditionen zu einem Konzept des
“resonant minding” (S. 95) fort. Er will weg
vom hydraulischen Triebmodell, aber auch
von den starren Verräumlichungen der Objektbeziehungstheorie.
“the resonant minding model shifts the metaphor for action, that is, to mind or to attend. In
this model, the analyst continuously inquires of
herself, ‘To what am I attending and to what am
I not attending?’ … In a sense, minding is the active
mediation of the interplay of an array of fields constrained
only by the capacities for awareness of the dyadic psychoanalytic partners.” (S. 95)
Und dann verdeutlichend:
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“Whereas in the hydraulic model mutative activity is created by the transfer of energy and in the
plastic model it is created by a restructuring of
objects and their relationships, the operation in
the resonance model that seems to trigger mutative activity is affective resonance, that is, the
recognition and responsiveness to emotional
displays, just as improvising jazz soloists and
accompagnists recognize and respond to displays
on nonverbal dimensions of tone, rhythm, and
harmony. This kind of matched over mismatched patterning has been well documented in
infant research, where infants and caregivers
have been observed to influence the state and
patterning of the actions and feelings of each
other without the availability of symbolic verbal
communication. Again, we can see how the
minding metaphor is consistent with the conception of a musical edge constituted by process
contours serving as a lens for therapists to recognize and respond to emotional displays without the availability of symbolic verbal communication” (S. 96/97).
lich. Vielen Analytikerinnen und Analytikern
sei aufgefallen,
Man sieht deutlich die Übereinstimmung in
den Grundlinien mit Leikerts Auffassung:
emotionale Botschaften werden als ein anderes Register als die symbolischen aufgefasst,
man kann miteinander kommunizieren, ohne ins Register des symbolischen Sinns eingreifen zu müssen. Leikert würde hier von
mimetischer Symbolisierung sprechen. Was
sinnvolle therapeutische Kommunikation
möglich macht, ist emotionale Improvisation, für die es weder im Jazz noch in der
therapeutischen Musik Regeln geben kann,
sondern nur die Befähigung, sich einzuschwingen. Die aber ist weitgehend körper-
Sowohl die Schreibung von “in-formation”
als auch das Spiel mit den anderen Vorsilben
spielt auf eine Dimension des Körperlichen
in der Sprache an, die in der Cognitive
Science seit dem Buch von Mark Johnson
(“The Body in the Mind“) große Beachtung
gefunden hat. Ihr entspricht im Deutschen
die Vorsilbe „ent-“, die oft (wenn auch nicht
immer) das Container-Schema artikuliert
(„Ihren Worten konnte ich entnehmen, ...“).
Aber bleiben wir noch bei den therapeutischen Dimensionen des Körperlichen, auf
die ein anderer Autor deutlich zu sprechen
kommt.
DER KÖRPER
Das Buch 1 von James T. McLauglin („The
Healer´s Bent. Solitude and Dialogue in the
Clinical Encounter”, 2005) entstand aus der
Zusammenarbeit des Psychoanalytikers James T. McLaughlin mit dem Körperpsychotherapeuten William Cornell. Dieser begann in den frühen 90ern seine Suche nach
1
Die Besprechung dieses Buches mit dem Text bis zur
nächsten Überschrift verdanke ich Peter Geissler, Wien,
der sie mir freundlicherweise für diesen PNL zur Verfügung gestellt hat. Ich bin ihm, mit dem mich ausführliche
Korrespondenz verbindet, zu Dank verpflichtet.
“how the affecting of analyst as well as analysand
can be significantly mediated by her or his embodiment. Bodies in interaction construct and mediate
affective fields as the nexus for in-formation”. (S. 97)
Sprachmächtig und wortspielerisch muß
sein, wer an reichen Fallbeispielen den gemeinten Zusammenhang darstellen will und
dabei ja nicht anders kann, als sich der Sprache zu bedienen. Am Beispiel eines erregten
gemeinsamen Atmens mit einem Patienten
beschreibt Knoblauch das Geschehen dann
so:
“So my utterance, though unbidden, seemed to
arise from the need to recognize that our conspiracy (i.e. our breathing in harmony with each
other) had shifted to an exspiracy (a termination
of our breathing). I reached for an inspiracy (a
breathing of life back into our exchanges)” (S.
143)
IN DER
THERAPIE
Psychoanalytikern, die sich zwar auf die Rolle des Körpers in der Therapie bezogen,
jedoch anders als noch bei Wilhelm Reich.
Er sprang an auf die Form der Selbstanalyse
bei McLaughlin an – auf seine Art und Weise, therapeutische Fehler ehrlich zu analysieren. Auch Reich war ursprünglich - zwischen
1924 und 1930 – von therapeutischen Fehlern ausgegangen, die ihn zur Konzeption
des Charakterwiderstandes führten und ihn
– ähnlich wie Ferenczi – auf die nonverbalen Elemente im therapeutischen Dialog
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aufmerksam machten. McLaughlins Selbstanalyse, die Art und Weise der Exploration
von Übertragung und Gegenübertragung
einschließlich ihrer körperlichen und handelnden Elemente, wie McLaughlin sie anhand von Beispielen auf beeindruckende
Weise zeigt und die man heute allgemein
„Enactments“ nennt, reichte weit über das
hinaus, was in den Schriften Wilhelm Reichs
zu lesen war. 2002, während der ersten Konferenz der internationalen Assoziation für
relationale Psychoanalyse und Psychotherapie in New York, lernten die beiden einander kennen. Über ein Jahr lang trafen sie sich
fast jeden Sonntag morgen, um gemeinsam
zu arbeiten. Im Unterschied zu tiefenpsychologisch fundierten Körperpsychotherapien einschließlich dessen, was man heute
„analytische Körperpsychotherapie“ nennt,
bleibt McLaughlin eindeutig Psychoanalytiker – es geht ihm nicht darum, „aktive
Technik“ einzuführen, sondern ein neues
Modell der Reflexion therapeutischer Praxis,
die den Körper einschließt, vorzustellen.
Im Sinne einer relationalen Psychoanalyse ist
die Ansicht McLaughlins, dass die eigene
Gegenübertragungsanalyse einen Kristallisationspunkt im therapeutischen Geschehen
darstellt. Besonders therapeutische „Fehler“
(z. B. verbale Äußerungen oder aber auch
Handlungen, die den Patienten irritiert oder
verletzt haben) werden in dieser Hinsicht
besonders relevantes „Material“; es gehe
zunächst darum, dass der Analytiker den
eigenen Beitrag anerkennt! All dies ist noch
im geläufigen Kanon. Bemerkenswerter sind
McLaughlins Äußerungen aber, wenn er
einwirft, auch bestimmte Momente analytischen Schweigens können beim Patienten
solche Irritationen auslösen und ein Gegenübertragungsagieren des Analytikers darstellen. Denn üblicherweise gilt doch die „Regel“, dass man dann, wenn das Material des
Patienten zu verwirrend oder zu irritierend
ist, im Zweifelsfall eher nichts sagt als eine
vorschnelle Antwort zu geben.
McLaughlins empfiehlt nun keineswegs
„mutuelle Analyse“, wie sie Ferenczi einst
mit einigen seiner Patientin probierte, und er
befürwortet auch nicht die offenherzige Mitteilung bestimmter Gegenübertragungen wie
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Owen Renik dies vorgeschlagen hatte.
Vielmehr macht er deutlich, dass sich entscheidende Momente des Verstehens auch
auf einer nicht-verbalen Ebene vollziehen
können – indem sie sich in Handlungen ausdrücken:
„Instead, semiarticulate phrases allude to small
analytic happenings, still resonant in these patients, that provided core perceptions of their
having felt stood by, their pain and their joy
recognized, their personal value affirmed, something essential in them believed“ (S. 222).
Drei Grundannahmen durchziehen seinen
therapeutischen Ansatz:
1. Sich gegenseitig beeinflussen zu wollen
ist inhärentes und drängendes Motiv in
lebendigen Systemen und ursächlich für
jede kommunikative Aktivität, dies gelte
bereits auf sehr früh (wie die neuere
Säuglingsforschung zeigt);
2. die Überzeugung, dass das eigene Verhalten Antwort auf das Verhalten eines
Anderen ist, d. h. ein relationaler Standpunkt wird mit einem kognitiven verknüpft: Verhalten beeinflusst sich wechselseitig, und davon sind wir innerlich
überzeugt. Das aber macht auch unsere
Irrtumsfähigkeit aus.
3. die Überzeugung, dass eigenes Verhalten
im Verhalten des Anderen gründe, sei
Grund für den analytischen „Kampf“
und die Energie, mit der dieser „Kampf“
geführt werde, solange beide Interaktionspartner voneinander etwas wollen.
Der unbewusste Impuls dabei ist für
McLaughlin nicht etwas, im Angesicht
dessen wir Scham und Verzweiflung
empfinden müssen, sondern der unser
Leben reich und kraftvoll macht. Damit
dies werden kann, brauchen Patienten
ein „embodied“ Gegenüber, das sich seiner eigenen unbewussten Impulse nicht
schämt oder an ihnen verzweifelt, oder
sie durch technische Maßnahmen verbannen will, sondern sich frei fühlt, sich
ihnen zu stellen. Mehr noch: Blinde Flecken des Therapeuten, Momente in denen er sprachlos wird, können auf diese
Weise zum eigentlichen Fokus werden.
Den gemeinsamen Aufmerksamkeitsfokus darauf zu richten, formt und be-
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grenzt das eigentliche Potenzial für die
analytische Aufgabe.
Wechselseitige projektive Identifikationen
stehen daher im Zentrum. Es geht ihm um
eine „balancierte“ Erfassung solcher wechselseitigen Zuschreibungen – sie sind nicht
lediglich „Transplantate“ des Patienten, sondern eigene Anteile des Analytikers, hervorgelockt und unter dem Druck entstanden,
das von einem anderen Persönlichkeitssystem ausgeht (S. 192). Der Patient „liest“
auch seinen Analytiker und er tut dies gerade
in seinen körperlichen Merkmalen, in dem,
wie er sich bewegt und atmet, sich räuspert
oder schweigt. Auch hier also, wie bei Leikerts musikalischen Analysen, ein „Jenseits
des symbolischen Registers“. Das macht
auch einen Unterschied zu Bion, der den
Analytiker eher als „Container“ ansah, bezogen auf das zunächst unverdauliche Material
von Patientenseite. McLaughlin öffnet die
Chance zu beidseitigem Lernen als der Essenz des psychoanalytischen Prozesses.
Nonverbale Elemente des Körpers geben
der Übertragung, die McLaughlin in ihrer
weiteren Bedeutung versteht, Substanz und
Form:
„… these behaviors take shape from and give
substance to the transference of both participants and provide commentary about the state
of the analytic relationship“ (S. 122).
Gestisches Verhalten ist älter als Wortsprache und in ihrer Kraft so stark wie Worte,
um Affekte zu transportieren.
„Idiosyncratic gestures are generally connected
with spezial historical antecedents or particular
dynamic conflict constellations, the essence of
which can be visibly captured in their aptness.
Background gesturs speak more of the intrapsychic conflict and of memories now an integral
part of character and overall personality, yet still
closely connected with the early object relations
that helped to shape these conflicts over developmental time. I am suggesting that, in these
background kinesics, one can glimpse the enactment of still active and important struggles of
ambivalence over clinging and freedom, over
merge and separation, over dominance and
submission – child-parent relationships still being alluded to and dramatized even in patients
whose well-evolved personality structure permits
⏐
9
satisfactory application of the tripartite model”
(S. 133).
In einem eigenen Abschnitt mit dem Titel
“On-the-Couch-Enactments” (S. 123-138)
beschreibt er sehr persönlich diesen Austausch; im Grunde sei jeder der beiden Interaktionspartner daran interessiert, das
„Herz“ des Anderen zu erreichen - und
gleichzeitig das eigene zu schützen. In einer
sehr schönen Formulierung gelingt es Joe
Lichtenberg in seinem neuen Buch „Craft
and Spirit“ (2005) eben diesen Zusammenhang zu fassen:
„An interpenetration of mind/body states often
is achieved through implicit nonverbal communication, but wisdom about one another is enhanced by words.“ (Lichtenberg 2005, S. 68)
Lichtenberg wie McLaughlins implizite Annahme ist demnach: Ein genauer Blick auf
den körperlichen Ausdruck ergibt Anhaltspunkte und Schlüsse in Bezug auf latente
intrapsychische Konflikte im Feld früherer
Objektbeziehungen – und genau diese aktualisieren sich im dynamischen Feld der analytischen Beziehung.
Körper und körperliche Berührung wurden
auf der diesjährigen Lindauer Fachtagung in
den Brennpunkt des Interesses gerückt. Jörg
M. Scharff stellte dazu fest:, dass eine Differenzierung zwischen konventioneller Berührung, körperlicher Berührung in akuten Krisensituationen bzw. bei starken Affekten,
sowie körperliche Berührung zur Eingrenzung von Fantasmen notwendig und hilfreich sei. Dazu im einzelnen:
Prozedurale Besonderheiten im Rahmen
konventioneller Berührung wie beim Handschlag kommen oft erst dann zu Wort, wenn
sie mit einer Störung verbunden sind, z. B.
wenn sich die Hände der sich Begrüßenden
nicht treffen. Durch das Nicht-Beachten
einer solchen Störung entgehe dem Analytiker, so Scharff, eine wichtige Mitteilung, die
der Patient evtl. nur durch eine derartige
Handlung machen könne. Es sei daher wichtig, sich für die individuell sehr unterschiedlichen Bewegungsmodalitäten zu sensibilisieren, um das Spektrum der in diesen körperlichen Äußerungen verborgenen Mitteilungen
wahrnehmen zu können (das schließt die
PNL-47
Wahrnehmung der eigenen prozeduralen
Reaktionen während konventioneller Berührung ein).
Wird der Patient durch einen starken Affekt
bewegt, wie z. B. bei Trennungspanik,
kommt es seitens des Analytikers u. U. zu
passageren, einmaligen Berührungen meist
am Rande der Stunde, und auch hier folgt
der Handlungsgestus vertrauten Gesten aus
dem Alltag, wie eine Hand auf die Schulter
des Anderen legen, dem Patienten wie
schützend über die Schulter streichen etc. Es
wird dabei der verbale Austausch unterstützt
durch einen Rückgriff auf eine frühe Kontaktform, den „Haut-zu-Haut-Kontakt“. In
der Berührung mit Mutter oder Vater erfährt
das kleine Kind eine erste Form der Begrenzung, ein „Sich-umhüllt-Fühlen“, d. h. die
Empfindung, wie in einem Behälter getragen
zu werden, somit eine Vorform dessen, was
später als „Containing“ bezeichnet wird Didier Anzieu spricht in diesem Zusammenhang vom „Haut-Ich“. Derartige Kontakterfahrungen führen zur Bildung früher
Repräsentanzen. Auf die sensorische Seite
dieser frühen Beziehung werde daher in bestimmten Ausnahmefällen zurückgegriffen,
was natürlich erscheine und wofür es keinen
Ersatz gebe. Wenn also Worte den Patienten
nicht ausreichend zu berühren vermögen,
dann sei das Angebot einer haltenden Hand
beruhigend (oftmals reiche schon allein das
Angebot für sich).
Paradoxerweise ist manches Mal gerade körperliche Berührung zur Eingrenzung psychischer Fantasmen und zur Ausbildung reiferer Beziehungsmodi hilfreich. Scharff berichtete von einer Patientin mit autistischen
Zügen, die in der Grundüberzeugung lebte
„Nie kann jemand wirklich für mich da
sein“, und die ihre Gedanken für Realität
hielt und auf diese Weise mit dem Analytiker
eine gleichsam halluzinierte innere Realität
aufrecht erhielt. Durch „inszenierende Interaktion“, gedacht als „Rahmen im Rahmen“,
wurde bei dieser Patientin gerade durch die
Berührung des Analytikers die unbewusste
Überzeugung sichtbar. Handeln als Probedenken gab Anstoß zu neuen Möglichkeiten
des Sich-Beziehens, wodurch ein produktiver Trennungsprozess in Gang gesetzt wer-
⏐
10
den konnte (dieses Fallbeispiel wurde ausführlich in „Psychoanalyse und Körper“,
1/2004 beschrieben).
Berührung habe im psychoanalytischen
Kontext nie eine lexikalische Bedeutung im
Sinne von: „Wenn ich das tu, dann geschieht
das.“ Es gehe nie um einfaches Anwendungswissen, sondern die jeweilige Bedeutung erschließe sich aus dem jeweiligen
komplexen Wechselspiel von Übertragung
und Gegenübertragung. Die unbewusste
Bearbeitung des Patienten sei dabei immer
im Auge zu behalten, und es geschehe immer mehr, als beide Beteiligte wissen können
– so sei die methodisch bedingte Zurückhaltung des Psychoanalytikers gegenstandsangemessen. Berührung ist somit keine Technik, sondern Ereignis im analytischen Rahmen. Berührung ist somit „nur ein Spezialfall des großen Themas, wie Erkenntnisgewinn und seelischer Fortschritt, wie Gewähren und Versagen in der Psychoanalyse ausbalanciert werden, und ob man berührt oder
nicht: Vor einem Agieren in die eine oder
andere Richtung ist niemand geschützt.“
Selbstanalyse schließt somit notwendigerweise den eigenen körperlichen Ausdruck ein.
Das Schmalz im Dritten Ohr, von dem
Merton Gill einmal so pointiert sprach,
kann durch konsequente Selbstanalyse entfernt werden. Wir hören besser – wenn wir
selbst weniger wollen. Mit dem Hören ist
der Bezug zur Musik wieder gegeben. Auch
eine unbewusste Berührungsangst gegenüber
dem Körper, vielleicht wissenschaftlichtherapeutisch rationalisiert, kann dazu gehören. Da es jedoch einfach nicht gut möglich
ist, von der Gegenwart eines Anderen unbeeinflusst zu sein, ist es eigentlich kein Wunder, wenn ein gelungenes Stück Selbstanalyse
die therapeutische Atmosphäre und damit
auch den Patienten verändert. Daß die Aufmerksamkeit sich nicht nur auf eigene Biographie richten muß, sondern auf das Tun
des Körpers in Gestik, Mimik und Stimme,
erweitert den Fokus der Selbstanalyse beträchtlich. Der körperliche Ton macht auch
hier die analytische Musik. Wenn Leikert die
Tür für das Gespräch zwischen Psychoanalyse und Musikwissenschaft ein beträchtliches Stück aufgestoßen hat, dann könnte
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PNL-47
hier das Gespräch mit den Körpertherapeuten auf eine anspruchsvolle Weise weitergehen. Der Gewinn wäre bemerkenswert, weil
eine solche Form des Miteinander-Arbeitens
DER KÖRPER
Genau muß sein, wer die Körperlichkeit in
der Sprache vernehmen will; das von Knoblauch zitierte Sprachspiel, auch das Exempel
der deutschen Vorsilbe „ent-“, hat es ja
schon gezeigt; auf die großen Linien, wie wir
sie mit unseren Begriffen von Übertragung
und Gegenübertragung beschreiben, kommt
es wohl an, doch können wir auf die Details
sowenig verzichten wie der Klang eines Orchesters nicht nur aus der Melodieführung,
sondern aus dem so Vielen Anderen besteht,
was man meist nicht bewusst hört – und das
ist übrigens keineswegs nur „Genuß“ (wie
Leikert Lacan einfach folgend, meint), sondern für diejenigen, die es erzeugen, durchaus harte „Arbeit“. Musik will ebenso erlernt
und geübt sein wie das Analysieren.
Katya Bloom bezeichnet sich nicht als
Körpertherapeutin, sondern als „movement
therapist“ in einer Londoner Privatpraxis.
Sie hat Tanz gelernt und gelehrt, auch Tanztherapie und sie verbindet in ihrem Buch
„The Embodied Self – Movement and Psychoanalysis“ (2006) dieses subtile Können
mit psychoanalytischen Theorien auf eine
intelligente Weise, die das hier nachgezeichnete Gespräch verstehend fortsetzt. Auch
ihr ist nicht entgangen, wie sehr die Atmosphäre in therapeutischen Sitzungen vom
körperlichen Habitus, von Gestik und Bewegungen, von eingeschobenen Lauten und
plötzlichem Schweigen bestimmt wird und
sie zeigt an psychoanalytischen Klassikern,
wie wenig dort ein System für die Beschreibung des Körperlichen existiert. Man findet
etwa in einem Fallbericht, das Kind habe
sich „altklug“ verhalten – aber niemand
weiß, was damit beschrieben ist. Hier bietet
die Autorin ein System der Bewegungsbeschreibung an, das von Rudolf Laban entwickelt wurde, schon an vereinzelten Stellen
von Judith Kestenberg aufgegriffen wurde,
11
letztlich eine Analyse „mit Herz“, Blut,
Fleisch, Nerven und Knochen ist – und diese Körperlichkeiten eine Gesprächs-Melodie
erzeugen können.
IN
BEWEGUNG
aber weitgehend unbekannt ist 2 . Laban
(1879-1958), eigentlich Rezso Laban de
Varaljas,
gilt neben Emile JacquesDalcroze als Förderer des Ausdruckstanzes.
Laban war Pionier bei der Entwicklung von
Bewegungsbeschreibungen, der Bewegung
als Resultat eines Strebens nach einem Objekt oder aber nach einem bestimmten
Selbstzustand auffasste- und er entwickelte
nun ein Schema, um solche Bewegungen zu
beschreiben. Die Begriffe „weight“, „space“,
„time“ und „flow“ stehen im Zentrum. Sie
können weiter differenziert werden.
„Weight“ kann stark oder schwach sein und
bezieht sich auf die physische Empfindung
des Körpers, seine Haut und seinen Muskelapparat, seine Oberfläche und Tiefe und das
Empfinden einer Berührung. Es artikuliert
die Entwicklung einer Intention, etwas mit
dem Körper zu tun: sich in Beziehung zu
Anderen zu setzen oder sich zu deren Intentionen zu verhalten. „Space“ schließt den
dabei in Anspruch genommenen mentalen
Raum ein, „time“ bezieht sich auf die
Rhythmisierung der Impulse und Handlungen und „flow“ schließlich ist assoziiert mit
der Kontinuität einer Bewegung. Dies alles
wird weiter differenziert und schließlich auf
die Bewegung eines Körpers im Raum mit
dem Begriff der „space harmony“ bezogen.
Der Ausgangspunkt des Strebens nach einem Objekt verlötet sich für Katya Bloom
dann mit psychoanalytischen Orientierungen
sehr weitgehend:
„unconscious phantasies and internalised object
relationships become represented in the body
and its patterns of movement. It would seem
that, if not recognized, psychobiological patterns
2
Unter http://user.unifrankfurt.de/~griesbec/LABAN.HTML findet man eine
differenzierte Anwendungsbeschreibung
⏐
PNL-47
may unknowingly be handed down from one
generation to another” (S. 49)
Unter Bezug auf einige Befund der Säuglingsforschung und ihre Integration in psychoanalytische Theoriebildung kann sie darauf hinweisen, dass Empathie mehr ist als
nur die Konstruktion einer „theory of mind“;
Empathie ist
„a bodily based relationship, in which sensoriaffective as well as mental experience is communicated” (S. 56)
und das gilt ja sicher für die frühen Entwicklungen des Säuglings. Er würde ohne diese
gleichsam ontologische Dimension der Empathie gleichsam verhungern oder aber an
den eigenen seelischen Ausscheidungsprodukten sich vergiften, wenn elterliche Empathie nicht unmittelbar verstünde, dass hier
etwas gebraucht wird – und dies Verstehen
ist körperlich, ja bezogen auf die Rhythmisierungen und Synchronisierung von Bewegungen eben auch wiederum tänzerisch und
musikalisch. Bloom entwickelt aus diesen
Überlegungen das Konzept der „embodied
attentiveness“ und sagt dazu, es sei
12
attune to that which he felt but is not yet
thought or verbalized, akin to Bollas’s
‘unthought known’” (S. 65)
Diese Resonanzen zwischen dem Körperlich-Musikalisch-Tänzerischen und dem psychoanalytischen Denken werden nun an
Fallbeispielen, teils aus der eigenen Säuglingsbeobachtung illustriert und insbesondere auf die therapeutische Gegenübertragung
erhellend angewandt; ein letztes Kapitel zeigt
schön die Signale aus dem Solar plexus, die
Therapeuten bestens kennen; für die wir
aber in unserer Theorie wenig Artikulationshilfe finden. Auch hier werden Türen aufgestoßen, durch die man in neue Räume des
gemeinsamen Hauses gelangen kann. Der
Autorin fällt deutlich auf, wie sehr in psychoanalytischen Texten die Metapher figuriert:
“Images that refer to the body or physiological
processes are frequently used to describe psychoanalytic processes; yet it is not always made
clear by the authors whether these images are
purely metaphorical or whether, and in what
sense, they are describing real physical or psychophysical processes.” (S. 57)
“the ability to engage with psychophysical states
in a way that enhances the therapist’s ability to
R E A L I TÄ T
M E TA P H E R ? FA L S C H E
FRAGE ...
ODER
Nun könnte es ja sein, daß diese Alternative
sich so gar nicht stellt, sondern dass ein
Blick in die Entwicklungen der cognitive
science hier klärend wird. Geht es denn tatsächlich um „real physical“ versus „psychophysical“ Prozesse? Kann man sagen,
das eine sei „real“, das andere aber nicht?
Warum muß man dies so gegeneinander
ausspielen, als wüsste man schon, was die
„wahre und wirkliche Wirklichkeit“ sei? Das
ist wohl auch nicht die Absicht von Bloom,
aber es ist aufregend, wenn in anderen Arbeiten dieser Gegensatz durch die Metapher
überwunden wird.
Dazu kann man sich die Grundgedanken der
kognitiv-linguistischen
Metapherntheorie
klar machen, auf die sich der britische Mu-
sikwissenschaftler Michael Spitzer (2004)
bezieht.
Eine Metapher besteht aus drei Komponenten:
ein Zielkonzept (bildempfangend), ein
Quell- oder Ursprungskonzept (bildspendend) und eine Brücke zwischen beiden. „It
is a mapping from one concept domain to
another, and as such it has a three-part structure: two endpoints (the source and the target schemas) and a bridge between them
(the detailed mapping)“ (Lakoff und Turner
1989). Es kommt darauf an, die Gerichtetheit der „metaphorischen Projektion“ zu
verstehen. Gemeint ist damit nicht ein pathologischer Vorgang („Projektion“), sondern die Darstellung eines Konzepts durch
ein anderes. Man beachte: ein Konzept!
⏐
PNL-47
Nicht etwa ein Wort allein. Konzepte aber
sind in sich schon imaginativ-szenisch strukturiert und diese reiche bidlhafte Vorstellungsstruktur ist es, die „übertragen“ (die
deutsche Bedeutung von griech. „metaphorein“) wird – aus einer Vorstellung wird eine
Darstellung. Konzept – das bedeutet vor
allem, dass es nicht nur um Worte, sondern
um emotionales Erleben und dessen Konsequenzen im Handeln geht. Konzept ist gerade nicht rational gemeint, sondern als unbewusste Strukturierung. Deshalb sprechen
Metaphern den imaginativen Nachvollzug
auch bei Hörern in besonderer Weise an.
QUELLE
(Körperlich: sinnlich-anschaulich)
Auf diese Weise können wir uns nicht nur
konkrete „Ziele“ anschaulich machen, sondern auch abstrakte Domänen dem Verstehen erschließen, etwa wenn in der Mathematik die Rede von den „Schenkeln“ eines
Dreiecks ist. Vor allem aber nutzen wir die
metaphorische Projektion zur Veranschaulichung von „Domänen“, für die es keine
abstrakten Definitionen geben kann. Dazu
ein jüngeres Beispiel aus einem Text des
FAZ-Musikkritikers Jürgen Kesting über
den Tenor Rolando Villazón:
„Vor allem aber überzeugt er durch seine singdarstellerische Spontaneität. So stellt er mittels
onomatopoetischer Effekte in der Klein-ZackBallade mit dem Geschick eines Geschichtenerzählers die Figur des Zwergs vor das Auge des
Ohrs, bevor er sich dem Gefühlsstrom der
Hoffmannschen Liebeserinnerungen hingibt.“
(FAZ vom 25. Februar 2006, S. 44)
Ein Text voller Metaphern, wie sie nicht
selten in der Beschreibung von musikalischen Erlebnissen genutzt werden. Die in
unserer Kultur privilegierte sinnliche Domäne ist das Auge, das hier als Bildspender
genutzt wird, um die Erfahrung des Hörens
zu erläutern: der Sänger stellt etwas vor das
13
Nehmen wir als Beispiel eine so simple Metapher wie “Achill ist ein Löwe”. Achill ist
das Ziel, der Löwe der Bildspender, die Kopula „ist“ aber fungiert nicht in einem logischen Sinn der Gleichsetzung, sondern
schafft eine kognitive Struktur, die vorschlägt, Achill mit dem Bild des Löwen zu
sehen. Denn Achill ist natürlich kein Löwe,
doch die Metapher behauptet gerade dies –
aber eben bildhaft. Deshalb muß das „ist“
nicht als Definition, sondern als Projektion
eines Bildkonzepts verstanden werden:
ZIEL
(Abstrakt)
Auge des Ohrs – man beginnt zu „sehen“
(natürlich metaphorisch). Eine andere mit
eingewobene Metapher ist die der Erzählung; die Musik erzählt eine Geschichte, der
Sänger macht das hörbar. Und schließlich
sind die Gefühle ein Strom, wobei die Doppeldeutigkeit dieses Wortes auf zwei Bildgeber verweist, die hier verdichtend ineinander
gewoben werden: der elektrische Strom der
Gefühle, der einen „durchglüht“ und
manchmal durchzuckt, dann aber auch der
Strom als jener Fluß, an dem der vernehmende Hörer still lauschend und meditierend sitzt wie einst Siddharta.
Häufig ist der Sprachgebrauch, Musik male
eine Landschaft. Die Landschaft ist die andere Domäne, der Bildspender, die auf den
Bildempfänger „Musik“ projiziert wird. Man
kann dann auch sagen, die Musik werde als
Malerei gehört, erlebt und beschrieben. Diese Veränderungen durch das Wörtchen „als“
machen für das ästhetische Erleben sehr viel!
Aber man darf sich nicht täuschen! Musik ist
natürlich keine Landschaft. Gerade die vielfache Variation der Metaphorik in der Beschreibung der Musik belegt, dass Musik
eine Art „contentless cognition“ (Spitzer, S.
PNL-47
78) sei, also eine Art höherer Rationalität, die
die Enge des Begriffs überschreite.
Weshalb sprechen wir von „hohen“ oder
„tiefen“ Tönen? Warum hören wir manche
Melodieführungen als „steigend“ oder „fallend“ (musikalische Beispiele bei Michael
Spitzer, S. 217 und S. 295)? Gerade im musikalischen Erleben versagt der abstrakte
Begriffsapparat, gerade hier kommt die metaphorische Projektion zum Zuge. Was wird
projiziert? Die abstrakte Struktur (Michael
Spitzer spricht vom „sense of structure“)
einer vertikalen Linienführung (von oben
nach unten oder umgekehrt) und zugleich
die Struktur in der zeitlichen Horizontalen
des Verlaufs:
“It is often said that music behaves like the body
in motion, and that listeners project their experience of bodily movement onto their audition of
musical processes, which are heard as ‘rising’ and
‘falling’, ‘traversing physical space’, ‘leaping’ and
so on…This is because the ‘meaning’ of the
music, to a large extent, inheres not within the
notes themselves (the information, in this particular case, is too scant for that) but within a
concept we apply to them” (S. 10)
Wir verstehen, warum und wie sich Musik
aus Bewegung und Tanz entwickeln konnte.
Um nun zu erklären, was ein Konzept und
dessen Struktur ist, beruft sich Spitzer auf
Lakoff und Johnsons Theorie der körperlichen Schemata. Nehmen wir als Beispiel
solche simplen Präpositionen wie „über“
oder „unter“. Warum sagen wir, dass wir im
Wörterbuch „unter“ einem Stichwort nachschlagen? Weil die Imagination damit verbunden ist, dass das Gesuchte Teil eines
Oberbegriffs ist, den wir schematisch höher
ordnen. Der Oberbegriff wird als Container
gedacht, der den Unterbegriff enthält; die
Kategorie „Kategorie“ ist ein metaphorischer Container.
Dabei machen wir auch von einer selbstverständlichen Raumorientierung nach der „Oben-Unten-Aufteilung“ Gebrauch, die schon
Säuglinge lernen. Wenn die Mutter Milch in
ein Glas füllt, steigt der Flüssigkeitsspiegel;
wenn das Kind sich aufrichtet, wird es größer und gewinnt einen höheren Überblick –
das Kind erwirbt sinnlich die Metapher
OBEN IST MEHR. Und nutzt diese dann,
⏐
14
um Konzepte wie „sozialer Aufstieg“ zu
verstehen, dessen imaginativer Wert nach
oben verweist. Auch die Metaphorik eines
Satzes wie „Der Dollar fällt“ wäre ohne die
Metapher, die hier vor der Sprache schon
erworben wird, nicht verständlich! Deshalb
also sprechen wir von Stimmungen wie
„niedergeschlagen“ oder „sich wieder obenauf“ in dieser Weise – es wäre unmöglich,
sich einen Deprimierten als „hochaufgerichtet“ sprachlich-evozierend zu imaginieren. In
allen Kulturen, so hat man zeigen können,
gibt es irgendein Äquivalent für „niedere“
Gefühle und „hohe“ Ansichten. Selbst das
Wort „Tiefenpsychologie“ ist noch von dieser Metaphorik bestimmt – nicht aber: das
Unbewusste! Jetzt verstehen wir, warum
Freud sich gegen die Redewendung „das
Unterbewusste“ gewehrt hat; er wusste, dass
auch die „höheren“ Regungen unbewusst
sein können.
Selbst die Präposition „unter“ hat einen
deutlich imaginativ-metaphorischen Gehalt.
Weil oben „mehr“ ist, ist das Obere auch
das Umfänglichere, es ist der „Container“
seiner Elemente. Hier ist also ein zweites
Schema, das vom CONTAINER ebenfalls
mit genutzt. Wir benutzen es auch bei der
Präposition „in“, wenn wir sinnlich genau
sagen, dass wir uns „im“ Zimmer befinden,
genauso aber, wenn wir metaphorisch sagen,
dass ein Artikel „in“ der Zeitung erschien
oder dass „in“ den Worten eines anderen
etwas Gutes steckte. Die gleiche Imagination
findet sich häufig mit der deutschen Vorsilbe
„ent-“ verbunden: „Ich ent-nahm seinen
Worten, dass...“ – in einer solchen Wendung
sind die Worte ein Container, der etwas enthält. Bemerkenswert finde ich, dass Lakoff
das Container-Schema (neben vielen anderen) beschreibt, ohne auf Bions entsprechende Arbeiten zu sprechen zu kommen; es
genügt die Übereinstimmung in der Sache.
Vergleichbares gilt für die Präposition „über“. Lakoff (1987) zeigt in einer Fallstudie
der Verwendung dieser Präposition, wie dem
immer wieder ein Bildschema zugrunde liegt:
Es gibt einen (gedanklichen) Weg, der höher
verläuft. Das ist der Fall bei Sätzen wie: „Er
sprang über den Zaun“ genau so wie bei Sätzen wie: „Sprechen wir einmal über das wei-
⏐
PNL-47
tere Thema...“ Die Sprecher positionieren
sich höher als das Thema. Ein etwas anderes
Bildschema des Pfades kommt zur Geltung,
wenn einer sagt: „Gehen wir zum nächsten
Punkt über“. Hier „gehen“ wir - und sehen
die Übertragung einer imaginativen Struktur
metaphorisch genau von einem metaphorischen Punkt zum nächsten.
Auch wenn ich hier nur wenige Beispiele
geben kann, dürfte der Grundgedanke deutlich sein: die körperliche Erfahrung der Bewegung im Raum findet sich als embodiment in der abstrakten, gleichwohl bildhaftimaginativen Struktur des Sprechens wieder.
Die sinnliche Erfahrung des Körpers wird in
andere Bereiche (Domänen) projiziert. Solche metaphorische Projektion nutzt dabei
die Schemata der Körperlichkeit und ihrer
Situiertheit..
Das gilt nun natürlich auch für musikalische
Ausdrücke und Gestaltungen. Was sagen
wir, wenn wir sagen, der Ton d sei höher als
das c? Auf einer solchen metaphorischen
MUSIK, SEELE
W
15
Ton-Leiter könnten wir uns ohne die metaphorische Projektion des Oben-UntenSchemas nicht bewegen.
Schemata und Kategorien helfen uns, die
Welt zu ordnen. Diese beiden Strukturierungen sind sowohl körperlich als auch kulturell
und Spitzer führt kenntnisreich an Beispielen vor, wie von hier aus die Wahrnehmung
der Welt nicht grundsätzlich von der der
Musik unterschieden werden muß. Das gilt
für Rhythmus und musikalische Form, für
Phrasierungen und selbst für den Taktstrich
(S. 247), der einen metaphorischen Ruhepunkt in einer rhythmischen „Schlagreihe“
indiziert. Daraus werden allerlei Folgen v.a.
für die Musikpädagogik abgeleitet. Und er
kommt zu so schönen Themen wie „Melody
and Life“, die er an Beispielen von Schuberts Vertonung von Märchen Wackenröders vorführt. „Wackenoder’s phantasies are
famous for giving music to the nineteenth
century as a new religion“ (S. 280), deutet
sich ein Zusammenhang an.
UND
KOSMOS
ir aber wollen abschließend dem Buch von Zbikowski ein musikhistorisches Beispiel
für die metaphorische Projektion entnehmen. Nicomachus von Gerasa soll derjenige
gewesen sein, dem Pythagoras die Entdeckung der grundlegenden musiktheoretischen Prinzipen verdankte. Gedankenverloren sei der Philosoph an einer Schmiede vorbeigekommen, als er vernahm, wie das Hämmern verschiedene Töne erzeugte. Er begann mit dem
Gewicht der Hämmer zu experimentieren und entdeckte dabei, dass eine Oktave durch Gewichte
im Verhältnis von 2:1 zu hören war, eine Quinte im Verhältnis der Hammergewichte von 3:2 und
eine Quarte durch ein 4:3-Verhältnis. Die Dissonanz einer Sekunde entstand aus dem Verhältnis
von 9:8 – und so wurde im Prinzip die Möglichkeit geschaffen, musikalische Töne durch mathematische Notierung in eine geschriebene Form zu übertragen – Notation als Metapher der musikalischen Konsonanz und Dissonanz.
Aber das ist natürlich nicht naturgegeben, denn die Geschichte der Dissonanzen zeigt uns, dass
es hier beträchtliche Wandlungen gab. Gioseffo Zarlino war in der Renaissance ein wortmächtiger Vertreter der sog. „mitteltönigen“ Stimmung. Hierbei wird die große Terz als eine reine Terz
im Verhältnis 4:5 verstanden und so kommt es in seinem System zu einer viel größeren Anzahl
von Konsonanzen als bei Pythagoras. Aber er konnte die kleine Sexte nicht mehr als harmonisch
darstellen in seinem System musikalischer Mathematik. Überhaupt ist die Geschichte der Terz für
die Bestimmung von Dissonanzen von großer Bedeutung. In der Kirchenmusik kam sie lange
Zeit in einem System von Quinten, Quarten und Oktaven – also den Obertonreihen, die erst sehr
weit oben eine Terz aufkommen lassen – überhaupt nicht vor. Wegen ihrer „sinnlichen Süße“
war die Terz sogar zeitweilig regelrecht verboten. Erst mit unserer Hörgewohnheit, zwischen Dur
und Moll zu unterscheiden (was vom Unterschied zwischen kleiner und großer Terz bestimmt
⏐
PNL-47
16
wird) etabliert sich mehr und mehr ab dem 18 Jahrhundert unser heutiger musikalischer Kosmos,
dessen mathematische Bestimmung Pythagoras begann.
“The order of the cosmos, which was for Pythagoreans the order of number, thus found sounding expression in the domain of music”
schreibt Zbikowski erhellend und macht uns vielleicht verständlich, was wir intuitiv ahnen, wenn
wir bei Bach ergriffen sind. Dies innige Verhältnis zwischen der Musik und der Idealisierung des
Unsterblichen spricht Goethe in einem Aphorismus aus: "Der herrliche Kirchengesang: Veni
Creator Spiritus ist ganz eigentlich ein Appell ans Genie; deswegen er auch geist- und kraftreiche
Menschen gewaltig anspricht." (Goethe, Maximen und Reflexionen, hg. von Harald Fricke, InselVerlag 2005, S. 27). Für die Zeitgenossen enthielt die Musik noch einen Bezug zu jenen Dimensionen des Menschlichen, die ihnen als rationalen und aufgeklärten Bürgern verwehrt war, die sie
aber noch „genießen“ konnten, ohne sich dem Verdikt der Unaufgeklärtheit auszusetzen.
„Musik ist eine unbewusste Übung in der Metaphysik, bei der der Geist nicht weiß, dass er philosophiert“,
formulierte deshalb schon Arthur Schopenhauer. Als der Komponist Dieter Schnebel anno
1962 sein Stück Nostalgie aufführen ließ – ein Solo für Dirigenten ohne Orchester, reine körperliche Gebärde also ohne Klang – wusste die erstaunte Welt nicht, ob es sich noch um Musik handle; es ging vielleicht eher um die ausufernd dramatisierte und schwülstig-sentimentale Dirigentenverehrung, die hier ironisch vorgeführt werden sollte. In der bildenden Kunst stellten andere einen leeren Rahmen vor, ohne Bild. Von manchen „Modernen“ ist überliefert, dass sie privat keine moderne Musik hören, sondern Klassik und Romantik. Was vielleicht, vielleicht auch eine
Aussage über ihre Beziehung zum Kosmischen ahnen lässt.
Die metaphorische Projektion muß also, worin schon Adorno in seiner „Musiksoziologie“ die
entscheidende Frage sah, manchmal auch in umgekehrter Richtung wirken können. Der Wert der
Musik bestehe gerade darin, meinte er, dass sie nicht unter philosophische Konzepte subsumiert
werden könne. Zwischen dem Körper und etwa der Musik Schuberts sah er unmittelbare Zusammenhänge; bei ihr „stürzet aus dem Aug’ die Träne“, schrieb der musikalisch Sensible und
Gebildete. Und noch weiter gehend behauptete er in seiner Musikästhetik bekanntlich, dass solche rationale Unverfügbarkeit der Musik paradoxerweise ein partikulares Ideal der Vernunft
schlechthin sei, weshalb die Musik die Vernunft zu belehren befugt sei. In ihrer Fähigkeit, das
Absolute auszudrücken, lehre die Musik, jene Rigidität des Begrifflich-Abstrakten zu überwinden,
denn sie artikuliere die Tragik, dass die Objekte nicht ohne Rest in ihren Begriffen aufgehen. Und
es scheint, als könnte die kognitive Theorie (Michael Spitzer, S. 60) erstaunlicherweise uns in
empirischer Zugänglichkeit auf eine überraschend genaue Weise verständlich machen, warum das
so ist: weil aller Vernunft eine körperlich-sinnliche Erfahrung im Austausch mit frühen Anderen
weit vorgelagert ist, die wir denkend nur in jenen seltenen Augenblicken einholen, die wir als geschenktes Glück empfinden. Das heilt. Der amerikanische Poet W.H. Auden formulierte deshalb wohl diese Strophe:
“Every sickness
is a musical problem”,
so said Novalis,
“and every cure
a musical solution”:
You knew that also.
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