Reaktanz - Uni Marburg

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Sozialpsychologie
Vorlesung I
Thema: Reaktanz
Die Theorie der psychologischen Reaktanz (Brehm,
1966, 1972)
1.
Personen glauben an die Freiheit, bestimmte Verhaltensweisen ausführen zu können.
2.
Freiheit kann durch die handelnde Person (P) selbst (selbstauferlegte Freiheitseinengung),
durch Andere (sozialer Einfluss) oder durch unpersönliche Barrieren eingeschränkt werden.
Wenn P bemerkt, dass eine „freie“ Verhaltensweise bedroht oder unmöglich gemacht wird,
entsteht psychologische Reaktanz.
3.
Reaktanz ist ein aversiver motivationaler Zustand. Die Stärke der Reaktanz ist eine Funktion
–
–
–
4.
Der Wichtigkeit der spezifischen Freiheit für P
Des Umfangs des Freiheitsverlusts (z.B. Anzahl der bedrohten Alternativen) und
Der Stärke der Einengung (z.B. Ausmaß der Auswirkungen auf andere Freiheiten).
Versuche zur Wiederherstellung der Freiheit können sich äußern in subjektiven Effekten
(kognitive Umstrukturierungen) und Verhaltenseffekten (Aktionen). Dazu gehören
–
–
Direkte Wiederherstellung der Freiheit, z.B. durch instrumentelle Aggression.
Indirekte Wiederherstellung der Freiheit, z.B. durch
•
•
•
•
•
Attraktivitätserhöhung der bedrohten/eliminierten Alternative
Ausführung ähnlicher Verhaltensweisen
Ausführung des Verhaltens in anderen Situationen
Ausführung des Verhaltens durch andere Personen
Gesteigerte unspezifische Aggressivität.
Brehm, J. W. (1966). A theory of psychological reactance. New York: Academic Press.
Brehm, J. W. (1972). Responses to loss of freedom. A theory of psychological reactance. Morristown: General
Learning Press.
2
Studie Weiner & Brehm (1966)
60%
Weibliche Vpn: Kauf eines empfohlenen Brotes
55%
50%
45%
40%
30%
20,5%
20%
10%
0%
Low pressure "please try"
High pressure "you are going to
buy"
Control
Weiner, J. & Brehm, J. W. (1966) Buying behavior as a function of verbal and monetary inducement. In J. W.
Brehm, A theory of psychological reactance (pp. 82-90). New York: Academic Press.
Sozialpsychologie I
Thema: Reaktanz
3
Reaktanz-Effekt
100
Dissonanz-Effekt
90
Attraktivität der Gegenstände
80
70
60
50
gewählte
chosen
alternative
Alternative
40
ausgeschlossene
excluded
alternative
Alternative
30
20
10
0
vor der Entscheidung
pre-decision
Sozialpsychologie I
nach der Entscheidung
post-decision
Thema: Reaktanz
nach der Entscheidung
post-decision
4
Grundannahmen der Theorie der Kognizierten
Kontrolle (nach Osnabrügge et al., 1984, 129)
1.
Kontrollmotivation: Personen sind bestrebt, Zustände und Ereignisse in sich selbst und ihrer Umwelt
2.
Folgen von Kontrollverlust und Kontrolle: Bemerkt eine Person, dass sie für sich bedeutsame
3.
Mögliche Formen kognizierter Kontrolle:
kontrollieren zu können.
Ereignisse oder Zustände nicht kontrollieren kann, so beeinträchtigt dies ihr Erleben und Verhalten. Die
Wahrnehmung von Kontrollmöglichkeiten über aversive Ereignisse reduziert dagegen den durch diese
hervorgerufenen Stress.
–
–
–
–
4.
Beeinflussbarkeit (behavior control) entsteht, wenn eine Person die Möglichkeit wahrnimmt, ein
Ereignis und dessen Folgen durch ihr Verhalten modifizieren zu können.
Vorhersehbarkeit (information control) kann bestehen hinsichtlich des Zeitpunktes oder der
Bedingungen, unter denen ein Ereignis auftritt (zeitliche Vorhersehbarkeit), oder es können
Informationen darüber vorliegen, um was für ein Ereignis es sich handelt und welche Auswirkungen
es hat (inhaltliche Vorhersehbarkeit).
Kognitive Kontrolle (cognitive control) wird ausgeübt, wenn eine Person durch eine kognitive
Strategie (Ablenkung, Sinnverleihung etc.) die wahrgenommene Aversivität des Ereignisses reduziert.
Retrospektive Kontrolle (retrospective control) besteht, wenn bereits eingetretene Ereignisse auf
bestimmte Ursachen zurückgeführt werden.
Die Art und Stärke der Reaktion auf Kontrollverlust ist abhängig
–
–
–
von der subjektiven Bedeutsamkeit des nicht zu kontrollierenden Ereignisses oder Zustandes,
von der Sicherheit der Überzeugung, keine Kontrolle ausüben zu können,
sowie davon, auf welche Ursachen der Kontrollverlust zurückgeführt wird.
Frey, D. & Jonas, E. (2002). Die Theorie der kognizierten Kontrolle. In D. Frey & M. Irle (Hrsg.), Theorien der
Sozialpsychologie, Band III. (S 13-50). Bern: Huber.
Sozialpsychologie I
Thema: Reaktanz
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Assignment of responsibility
Vpn: 88 Psychologiestudierende der University of Minnesota
Vorgabe eines Szenarios:
Schilderung eines jungen Mannes, Lennie, der gerade sein erstes Auto
gekauft hat. Nach seiner ersten Spritztour stellt er den Wagen auf einem
Hügel ab, sein Beifahrer sagt später aus, die Handbremse sei angezogen
gewesen. Die Polizei stellt fest, dass die Mechanik der Handbremse ziemlich
verrostet gewesen sei.
Was passiert: Auf dem Hügel abgestellt, verselbstständigt sich der Wagen
und läuft den Hügel hinab. Zwei (eigentlich vier, aber nur zwei sind hier
interessant) Szenarien werden den Vpn vorgeführt:
Experimentalgruppe 1 – leichter Schaden: Der Wagen läuft auf ein anderes abgestelltes
Fahrzeug auf, es gibt einige Kratzer am eigenen und fremden Wagen.
Experimentalgruppe 2 – schwerer Schaden: Der Wagen läuft in ein Lebensmittelgeschäft am
Ende der Straße, es gibt eine starke Beschädigung am eigenen Fahrzeug und am
Lebensmittelladen, der Besitzer wird mit Verletzungen ins Krankenhaus gebracht.
AV: Ausmaß der Lennie zugeschriebenen Verantwortung
Geringer Schaden:
Hoher Schaden:
2.5
3.1
Walster, E. (1966). Assignment of responsibility for an accident. Journal of Personality and Social Psychology, 3,
73-79.
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6
Theorie der gelernten Hilflosigkeit (Seligman, 1975)
Als Erfahrung aus Unbeeinflussbarkeit (Inkontingenz von
eigenem Verhalten und dessen Konsequenzen) ergibt sich
– eine Herabsetzung der Motivation, überhaupt Einfluss ausüben zu
wollen,
– eine Herabsetzung der Fähigkeit, nachfolgende tatsächlich bestehende
Handlungs-Ergebnis-Kontingenzen lernen zu können und
– Furcht, die in Depression übergehen kann.
Seligman, M. E. P. (1975). Helplessness. San Francisco: Freeman (dtsch: 1986).
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High
Expectation of No Control
Reactance
a
b
Low Importance
Outcome
Low
Resultant Motivation to Exert Control
Expectation of Control
Helplessness
High Importance
Outcome
Low
High
Amount of helplessness training, or exposure to uncontrollable outcomes
Worthman, C. B. & Brehm, J. W. (1975). Responses to uncontrollable outcomes: An integration of reactance and learned
helplessness model. In L. Berkowitz (ed.), Advances in Experimental Social Psychology. Vol. 8 (pp. 277 – 336).
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Thema: Reaktanz
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Schulz (1976): Effects of control and predictability on
well-being
Vpn: 38 BewohnerInnen eines Altenheimes in North Carolina,
USA, Durchschnittsalter: 81,5 Jahre
Vorhersagbarkeit &
Beeinflussbarkeit
Vorhersagbarkeit
Zufall
Kontrollgruppe
Bestimmung Zeitpunkt
& Dauer der Besuche
Info über Zeitpunkt
der Besuche
Besuche nach
Zufall
Keine Besuche
Gesundheitszustand
(Schätzung)
6.9
6.1
4.7
5.1
Psych. Zustand
(Schätzung)
7.0
6.1
5.0
4.3
Aktivitätsänderung
(Selbstbeschreibung)
+2.2
+1.5
+1.3
-1.5
Schulz, R. (1976). Effects of control and predictability on the physical and psychological well-being of the
institutionalized aged. Journal of Personality and Social Psychology, 33, 563-573.
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