»In der Musik von Tan Dun wird offensichtlich, dass der Klang eine Stimme der Natur ist, in der wir leben und der wir zu lange nicht zugehört haben.« John Cage SK: Do, 13.12.2012, 20 Uhr | Lübeck, Musik- und Kongresshalle Tan Dun Dirigent | Martin Grubinger Schlagzeug Martin Grubinger Percussionensemble Tan Dun „Atonal Rock n’ Roll: Of Youth“ – Ouvertüre für Orchester Tan Dun „The Tears of Nature“ – Konzert für Schlagzeug und Orchester Maki Ishii „Thirteen Drums“ für einen Schlagzeuger Tōru Takemitsu „Rain Tree“ für drei Schlagzeuger Keiko Abe „The Wave“ Concertino für Solo-Marimba und vier Schlagzeuger DAS ORCHESTER DER ELBPHILHARMONIE NDR SINFO NIEO RCHE S T ER Donnerstag, 13. Dezember 2012, 20 Uhr Lübeck, Musik- und Kongresshalle Dirigent: Solist: Tan Dun Martin Grubinger Schlagzeug Tan Dun (*1957) „Atonal Rock n’ Roll: Of Youth“ Ouvertüre für Orchester (2012) Europäische Erstaufführung „The Tears of Nature” Konzert für Schlagzeug und Orchester (2012) Uraufführung, Auftragswerk des NDR I. Misterioso II. Misterioso III. Misterioso Pause Maki Ishii (1936 – 2003) „Thirteen Drums“ für einen Schlagzeuger (1985) Tōru Takemitsu (1930 – 1996) „Rain Tree“ für drei Schlagzeuger (1981) Keiko Abe (*1937) „The Wave“ Concertino für Solo-Marimba und vier Schlagzeuger (2000) Martin Grubinger jun. Martin Grubinger sen. Wolfgang Auinger Rainer Furthner Sabine Pyrker Ein Sonderkonzert des NDR Sinfonieorchesters in Kooperation mit dem Schleswig-Holstein Musik Festival 2 3 NDR SINFO NIEO RCHE S T ER Tan Dun Martin Grubinger Dirigent und Komponist Schlagzeug Der überaus vielseitige Komponist und Dirigent Tan Dun hat mit seiner stark konzeptionell ausgerichteten Musik, die sich grenzüberschreitend zwischen Klassik, Multimedia, östlichen und westlichen Musiktraditionen bewegt, in der internationalen Musikszene unauslöschliche Spuren gesetzt. Dafür erhielt er u. a. den Grawemeyer Award für klassische Komposition sowie den Grammy Award und den Academy Award (Oscar) für die Filmmusik zu „Crouching Tiger, Hidden Dragon“. Als Dirigent hat Tan Dun u. a. mit dem Concertgebouw-Orchester, dem London Symphony, dem New York Philharmonic, den Berliner Philharmonikern, dem Philadelphia Orchestra, dem Orchestre National de France, dem BBC Symphony Orchestra, der Filarmonica della Scala, den Münchner Philharmonikern und dem Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia zusammengearbeitet. Der in Salzburg geborene Martin Grubinger studierte am Bruckner-Konservatorium in Linz und am Mozarteum in Salzburg. Er hat sich in außergewöhnlicher Weise darum verdient gemacht, das Schlagwerk als Soloinstrument in den Mittelpunkt des klassischen Konzertbetriebs zu stellen. Eine wichtige Rolle spielen dabei Auftragskompositionen wie Rolf Wallins „Das war schön!“, Anders Koppels Concerto Nr. 3 „Linzer“, Avner Dormans „Frozen in Time“, Friedrich Cerhas Konzert für Schlagzeug und Orchester, das 2012 mit den Wiener Philharmonikern unter Peter Eötvös eingespielt wurde, oder das im heutigen Konzert uraufgeführte Schlagzeugkonzert von Tan Dun. Seine groß besetzten Percussion-Projekte wie „The Percussive Planet“ (auch als Live-Mitschnitt auf DVD erhältlich) oder „Caribbean Showdown“ dokumentieren Grubingers Vielseitigkeit. Im Jahr 2010 erschien die CD „Drums ’n’ Chant“. Im Jahr 2000 fand in Stuttgart die Uraufführung seiner „Water Passion after St. Matthew“ statt, ein Auftragswerk der Internationalen Bachakademie Stuttgart. Seine erste, von Google und YouTube in Auftrag gegebene „Internet Symphony“ erreichte über 15 Millionen Menschen. Sein „Paper Concerto“ wurde vom Los Angeles Philharmonic anlässlich der Eröffnung der Walt Disney Hall uraufgeführt. Seine Multimedia-Komposition „The Map“, uraufgeführt von Yo-Yo Ma und dem Boston Symphony, wurde bereits in 30 Ländern gespielt. Sein „Orchestral Theatre: The Gate“, uraufgeführt vom NHK Symphony Orchestra, verarbeitet Einflüsse der Peking-Oper, der klassischen Oper und des Puppentheaters. Weitere wichtige Urauf4 führungen der letzten Zeit waren „Four Secret Roads of Marco Polo“, entstanden für die Berliner Philharmoniker, und das Klavierkonzert „The Fire“, uraufgeführt von Lang Lang und dem New York Philharmonic. Vom IOC wurde Tan Dun beauftragt, Musiken für die Olympischen Spiele 2008 in Peking zu schreiben. Sein Musiktheaterwerk „Marco Polo“, ein Auftragswerk des Edinburgh Festival, wurde u. a. an der Nederlandse Opera unter Pierre Audi gezeigt. Weitere Musiktheaterwerke sind „The First Emperor“, uraufgeführt mit Plácido Domingo und unter der Leitung von James Levine an der New Yorker Met, „Tea: A Mirror of Soul“, uraufgeführt in der Suntory Hall in Tokio, sowie „Peony Pavilion“, das in der Regie von Peter Sellars 50 Aufführungen u. a. in Wien, Paris, London und Rom erlebte. 2008/09 war Martin Grubinger „Artist in Residence“ am Gewandhaus Leipzig; es folgten Residenzen bei der Camerata Salzburg, der Philharmonie Köln, der Philharmonie München und am Wiener Konzerthaus. Darüber hinaus überzeugte Martin Grubinger bei Auftritten mit dem NHK Symphony Orchestra, dem Oslo Philharmonic, dem Gewandhausorchester Leipzig, dem NDR Sinfonieorchester, der NDR Radiophilharmonie, den Münchner, Dresdner und Hamburger Philharmonikern und dem Orquesta Sinfónica de Castilla y León. 2011 gab der Multipercussionist sein USA-Orchesterdebüt beim Kansas City Symphony. In der Saison 2011/12 folgten weitere Debüts bei den Wiener Philharmonikern, den Bamberger Symphonikern, dem Orquesta Sinfónica de Euskadi und dem Orchestra dell’ Accademia Nazionale di Santa Cecilia sowie eine Konzertreise nach Taiwan und Korea. Auch auf Tourneen war Martin Grubinger mit vielen bedeutenden Orchestern zu hören, darunter das City of Birmingham Symphony unter Andis Nelsons und die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen. Highlights der Saison 2012/13 sind das Debüt beim Los Angeles Philharmonic unter Christoph Eschenbach, ein Auftritt mit dem TonkünstlerOrchester Niederösterreich bei der großen TV-Gala des Open Air Grafenegg, die Rückkehr zum Gewandhausorchester Leipzig unter Riccardo Chailly sowie eine Residenz beim Bergen Philharmonic. Im Sommer 2013 wird er „Artiste étoile“ beim Lucerne Festival sein. 5 NDR SINFO NIEO RCHE S T ER Wanderer zwischen den Welten Schlagzeug-Kompositionen asiatischer Komponisten In der durchgeistigten europäischen Kunstmusik fristete das Schlagzeug lange ein Schattendasein. Diese Zeiten sind passé. Was das Schlagzeug sein kann, wird in unseren Tagen neu definiert. Die Schlagzeugliteratur und Spieltechnik haben sich rapide entwickelt. Immer mehr Konzertbesucher entdecken eine Klangwelt für sich, in der der athletische Einsatz des Spielers, die physisch Präsenz und Wucht der Klänge und der Farbenreichtum des Instrumentariums sich zu einer faszinierenden, körperlich-sinnlichen Musik verbinden. „Das Schlagwerk gibt das Lebensgefühl unserer Zeit am besten wider“, lautet etwa Martin Grubingers Credo. Er sieht sich und seine Schlagzeugerkollegen in der Rolle von Pionieren, die mit ihren bunten, schnellen, präzisen und körperlichen Klängen eine junge Zuhörerschaft in den von der Farbe grau dominierten Konzerthäusern zusammentrommeln könnten. Dabei ist Grubingers Anspruch voll auf der Höhe der klassischen Kunstmusik. Den Pianisten Arcadi Volodos oder den Geiger Gidon Kremer nennt er als musikalische Vorbilder und bekennt sich zu einem für einen „Trommler“ wahrhaft erstaunlichen Ideal: „Ich versuche auch in den Trommelstücken eine melodische Linie und Phrasierungen herauszubringen. Die Musik muss singen.“ Zu den Besonderheiten dieser sich neu herausbildenden musikalischen Welt zählt das Überschreiten von Grenzen. Solche zwischen Kontinenten und solche zwischen Genres. Den Hochmut einer Alten Welt gibt es unter Schlagzeugern nicht. Ihr Instrumentarium stammt 6 zum überwiegenden Teil aus den Ländern Afrika und Asiens, wo Schlagzeugklänge eine uralte Tradition haben. Und das Schlagzeug ist fester Bestandteil von Rock- oder Jazz-Gruppen. Ein Perkussionist hat so eine fast zwangsläufige Nähe zu allem, über das man im klassischen Musikbetrieb lange die Nase gerümpft hat. Typisch für den Schlagzeuger Martin Grubinger ist ein leidenschaftliches – sehr deutlich auch politisch gemeintes – Bekenntnis zu Mulikulturalität, Weltoffenheit und Toleranz. Auch das Programm des heutigen, ausschließlich aus Werken asiatischer Komponisten zusammengesetzten Konzerts legt über diese internationale Dimension der Musik für Schlagzeug ein sprechendes Zeugnis ab. „Die Musik von Tan Dun ist genau diejenige, die wir heute brauchen, wo der Osten und der Westen zu unserer einen gemeinsamen Heimat verschmelzen“, brachte einmal John Cage die Bedeutung seines chinesischen Kollegen auf den Punkt. „Ich bin stets beeindruckt von der Ausdehnung seiner musikalischen Vorstellungskraft“, schwärmte auch der Japaner Tōru Takemitsu. „Durchaus avantgardistisch ausgerichtet, offenbart uns seine Musik die Stimme der menschlichen Seele.“ – Im Sommer 2012 wurde Tan Dun u. a. für seine Verdienste um die grenzüberschreitende Verbindung europäischer und asiatischer Traditionen sowie aufgrund seiner spartenübergreifenden Weltbedeutung der renommierte Bach-Preis der Hansestadt Hamburg überreicht. Für sein Gastdirigat in der Laeiszhalle hatte der NDR bei Tan ein neues Konzert für Schlagzeug Tan Dun und Orchester in Auftrag gegeben. Weil Martin Grubinger sich verletzt hatte, musste die Uraufführung damals entfallen; im heutigen Konzert wird sie nachgeholt. Ebenso poetisch wie rätselhaft ist der Untertitel, „Tears of nature“ (Tränen der Natur), den Tan Dun seinem neuen Konzert gegeben hat. Die Suche nach dem Ursprung dieses Titels führt 14 Jahre zurück zu Tans erstem „Schlagzeug“-Konzert. In Verbindung mit seinem Water Concerto für Wasser-Perkussion und Orchester von 1998 hatte Tan erklärt: „Wasser gleicht Tränen der Natur“. Gewidmet war das Water Concerto dem Andenken von Tōru Takemitsu. Und das mit gutem Grund, hatte Takemitsu der Karriere des jungen Kollegen doch kurz vor seinem Tod noch einen kräftigen Schub gegeben: Als Träger des Glenn-Gould-Prize 1996 durfte der japanische Altmeister einen jungen Künstler für den Nachwuchspreis vorschlagen: Seine Wahl fiel auf Tan Dun. 7 NDR SINFO NIEO RCHE S T ER Drei Konzerte für Perkussions-Instrumente und Orchester hatte Tan bis dato komponiert: das Water Concerto (1998), das Paper Concerto (2003) und das Earth Concerto für Stein- bzw. Keramik-Instrumente (2009). Sie alle gehören zu Tans „Organic Music“, bei der die Solisten nicht klassische Musikinstrumente, sondern Naturmaterialien zur Klangerzeugung nutzen. In Tans neuem Schlagzeug-Konzert bilden solche Naturklänge lediglich noch den Rahmen: Mit Steingeklapper steigen Solist und Orchesterschlagzeuger ins Geschehen ein, und mit Wassertropfen-Klängen endet die Coda des dritten Satzes. Der Raum dazwischen gehört einer Tour de force des Solisten durch einen Parcours klassischer Schlaginstrumente: Pauken, Marimba, diverse Trommeln, Vibraphon und Glockenspiel. Doch nicht nur der Solist hat eine Kollektion von Instrumenten zu bedienen, hinzu kommen vier Orchesterschlagzeuger, die u. a. Kuhglocken, Autobremstrommeln, tibetanische Klangschalen und ein Aquaphon anschlagen, reiben, streicheln oder betröpfeln. Die auffälligste Gemeinsamkeit zwischen Tan Dun und seinem Mentor Takemitsu ist sicher ihr weiter Musikbegriff: Auch Tan deckt in seinem Schaffen von der experimentellen Avantgarde bis zum populären Großformat sämtliche Facetten zeitgenössischen Komponierens ab. Es gibt aus seiner Feder von John Cage inspirierte Klangkunst wie das Ritual „The Pink“, bei dem die Erregungskurve eines Liebesaktes mit den Klängen raschelnden, reißenden und knisternde Papiers nachgebildet wird. Am anderen Ende des Spektrums stehen massen8 Tan Dun mit Wasser-Percussion kompatible Werke wie die Oscar-prämierte Filmmusik zu „Crouching Tiger, Hidden Dragon“, eine „Internet Symphonie“ oder die „Buddha Passion“. Für diese aufwändigste seiner „organischen Musiken“ schuf Tan aus Orchesterklängen und Naturgeräuschen wie Wind und Steinschlag die Klangkulisse für das größte Tourismus-Event der Provinz Henan: eine monumentale Freiluft-Show von 1000 Kung-fukämpfenden und singenden Shaolin-Mönchen. Seine neue Ouvertüre „Atonal Rock n’ Roll: Of Youth“ schrieb Tan Dun als Auftragskomposition für das 15-jährige Bestehen des Beijing Music Festivals, das sich in diesem Jahr anlässlich des 100. Geburtstages von John Cage der besonderen Beziehung zwischen den beiden Komponisten und der damit verbundenen gegenseitigen Beeinflussung östlicher und westlicher Avantgarde widmete. Als Student in New York war Tan häufiger Gast in Cages Apartment, wo die beiden nicht nur über chinesische Philosophie und Musik sprachen, sondern ihre Liebe zu allem Experimentellen auch in der Zubereitung von Pilzen auslebten ... Während des Festivals im Oktober 2012 präsentierte Tan kürzlich nicht nur eine eigene Variante des legendären Cage-Stücks „4’33“, sondern am 21. Oktober auch seine neue, rund 12-minütige Ouvertüre für Orchester mit ungewöhnlicher Beteiligung eines Rock-Drumsets. Hatte Tan etwa schon in seinem Violinkonzert „The Love“ (2009) den Blick zurück auf die jugendlichen Erlebnisse seiner Studienzeit in New York gelenkt, so spiegelt auch „Atonal Rock n’ Roll“ Stimmungen und Ideen dieser entscheidenden, für ihn persönlich vor allem auch von der Beschäftigung mit westlicher Avantgarde gekennzeichneten Lebensphase. „Man sagt ja, dass ein Mensch mit 15 Jahren seine Jugend erreicht hat“, kommentiert Tan Dun. „Das ist eine Zeit der Träume, Leidenschaften, Revolutionen und Innovationen. Ich verwende Rock n‘ Roll, um diese Träume und Leidenschaften zu porträtieren. Die Atonalität wiederum, die im 20. Jahrhundert entwickelt wurde, zollt der Idee von Revolution und Innovation Tribut.“ Das Hauptmotiv der Ouvertüre ist nichtsdestotrotz eine Melodie der traditionellen Peking-Oper. „Das Werk ist ein Geschenk für das Beijing Music Festival – da kann ich doch nicht in Mozarts, Beethovens oder Tschaikowskys Stil schreiben! Stattdessen muss ich das Werk auf zeitgenössisch chinesische Weise entwerfen.“ Für seine alle erdenklichen Stile, Formate und Medien mit einbeziehende Kunstauffassung hat Tan im Übrigen eine einfache und griffige Formel gefunden: 1 + 1 = 1. Aus Vielheit soll Einheit werden, dies besagt Tans Credo – das er in Worten, Musik und als T-Shirt-Aufdruck verbreitet. Dementsprechend verarbeitet der Hamburger Bach-Preisträger 2011 in seiner Musik nicht nur musikalische Stil-Fundstücke aus aller Herren Länder, von Puccinis OpernGestus über die Gypsy Kings bis zur Musik der ethnischen Minderheiten Chinas, sondern er produziert auch immer wieder für die globalen Massenmedien: Sein sinfonisches Mosaik „2000 Today: A World Symphony for the Millenium“ etwa, das zum Jahreswechsel 1999/2000 von der BBC in Auftrag gegeben und der Datumsgrenze folgend von 55 Radiostationen rund um den Globus ausgestrahlt wurde, hörten weltweit rund 1 Milliarde Menschen. *** Was Grubinger damit meint, die „melodische Linie“ beim Trommeln herauszubringen, zeigt das Stück „Thirteen Drums“ für 13 unterschiedlich hohe (aber nicht auf einen bestimmten Ton gestimmte) Trommeln des japanischen Komponisten und Dirigenten Maki Ishii. Über einem treibenden Puls liegt hier eine melodische Linie akzentuierter Trommelschläge. Der 2003 verstorbene Ishii war – ähnlich wie Takemitsu 9 NDR SINFO NIEO RCHE S T ER Kenzaburo Oes Novelle „Der kluge Regenbaum“ (1980). Das tropische Mimosengewächs, dessen Blätter sich bei Regen zusammenziehen und Wasser speichern, so dass es auch nach dem nächtlichen Schauer unter dem Baum immerfort regnet, erscheint dort als Metapher für den ewigen Kreislauf des Wassers – eine Thematik, der Takemitsu auch in zahlreichen weiteren Kompositionen nachspürte. Unter dem Blätterdach eines Regenbaums und Tan – ebenfalls ein Wanderer zwischen den kontinentalen und stilistischen Welten: Er studierte in Berlin u. a. bei Boris Blacher und zeigte sich zunächst stark von der europäischen Avantgarde beeinflusst, bevor er nach Japan zurückkehrte, um sich hier verstärkt der traditionellen Musik seines Heimatlandes zuzuwenden. „Ich würde mich gerne in zwei Richtungen auf einmal entwickeln, als Japaner, was die Tradition, als Westler, was die Neuerungen betrifft.“ Wie kaum ein zweiter Komponist stand auch Tōru Takemitsu für eine Synthese aus Ost und 10 West ein. Traditionelle japanische Ideen von Meditation und Statik verbinden sich in seinem Werk mit Konzepten der europäischen Moderne. Insbesondere die Musik der Franzosen Claude Debussy und Olivier Messiaen hat auf Takemitsu stets inspirierend gewirkt, woher letztlich der für seine Tonsprache entscheidende Parameter der Klangfarbe rührt. Es war seine Vision, Klänge als „lebende Wesen“ freizulassen – ein Credo, das geradezu auf die Komposition von Werken für Schlagzeug ausgerichtet scheint. Takemitsus Percussion-Trio „Rain Tree“ (1981) basiert auf der Beschreibung eines Regenbaums in Eine ganz ähnliche symbolische Bedeutung haben in Keiko Abes kompositorischer Poetik die Wellen: Sie verwischen die Spuren vorübergehender Begegnungen im Sand, rufen jedes Mal eine Art Wiedergeburt des Erlebnishorizonts hervor und weisen doch durch ihren seit Jahrtausenden ewig gleichen Klang auf etwas Unveränderliches, eine überzeitliche Einheit hin. Viele Werke Abes tragen das Wort „Wave“ im Titel – so auch das Marimba-Concertino „The Wave“ für Solo-Marimba und vier Schlagzeuger, die ein ganzes Arsenal verschiedener Schlagwerk-Instrumente bedienen. Die japanische Perkussionistin Keiko Abe ist die Grande Dame des Marimbaphons. Niemand hat in den vergangenen Jahrzehnten so viel zur Entwicklung dieses Instruments beigetragen wie sie. Die Erweiterung des Umfanges zum modernen, fünf Oktaven umfassenden Konzert-Marimbaphon geht auf ihre Zusammenarbeit mit einem großen Instrumentenhersteller zurück. Als Auftraggeberin und Interpretin zahlreicher Neukompositionen hat sie wesentlich zur Weiterentwicklung des Repertoires und der Spieltechnik dieses Instruments beigetragen. Und wer es unter den Marimbaspielern heute Keiko Abe am Marimbaphon (1988) zu internationalem Renommee gebracht hat, ist durch ihre Schule gegangen: Evelyn Glennie und auch Martin Grubinger zählen zu ihren Meisterschülern. In ihrer kompositorischen Arbeit geht Abe meist von der Improvisation aus, Grundlage vieler ihrer Werke sind einfache Lieder. Das im Jahr 2000 entstandene Concertino „The Wave“ wird indes mit einem energetischen Diskurs zwischen den Instrumenten mit festgelegter Tonhöhe und denjenigen ohne melodische Stimmung eröffnet. Kontrastierend folgt darauf ein feierlicher Choral, der von der Pauke und frei schwebenden Becken gestützt wird. Die anschließende Kadenz lässt ausreichend Raum, die ganze musikalische und dynamische Bandbreite des Schlagzeugs zu präsentieren. Ein von drängenden Triolen beherrschter Abschnitt beendet das Werk. Ilja Stephan / Julius Heile 11 NDR SINFO NIEO RCHE S T ER Konzertvorschau NDR Sinfonieorchester DIE NÄCHSTEN KONZERTE IN LÜBECK L4 | Fr, 18.01.2013 | 19.30 Uhr Lübeck, Musik- und Kongresshalle Michael Gielen Dirigent Mihoko Fujimura Mezzosopran Damen des NDR Chores Knabenchor Hannover Gustav Mahler Sinfonie Nr. 3 d-Moll DAS NÄCHSTE KONZERT MIT MARTIN GRUBINGER L5 | Fr, 15.02.2013 | 19.30 Uhr Lübeck, Musik- und Kongresshalle Lawrence Foster Dirigent Arcadi Volodos Klavier Gabriel Fauré Pélleas et Mélisande – Suite op. 80 Maurice Ravel Klavierkonzert G-Dur Paul Dukas Sinfonie C-Dur L6 | Fr, 22.02.2013 | 19.30 Uhr Lübeck, Musik- und Kongresshalle Sakari Oramo Dirigent Alina Pogostkina Violine Hector Berlioz Les Francs-juges – Ouvertüre op. 3 Jean Sibelius Violinkonzert d-Moll op. 47 Richard Strauss Also sprach Zarathustra – Sinfonische Dichtung op. 30 KA3 | Fr, 14.06.2013 | 20 Uhr Hamburg, Kampnagel Andrés Orozco-Estrada Dirigent Martin Grubinger Percussion HK Gruber „into the open ...“ for percussion and orchestra Sergej Rachmaninow Sinfonische Tänze op. 45 Nikolaj Rimsky-Korsakow Capriccio espagnol op. 34 Michael Gielen Andrés Orozco-Estrada Arcadi Volodos Alina Pogostkina 12 13 Impressum Saison 2012 / 2013 Foto: Comstock Herausgegeben vom NORDDEUTSCHEN RUNDFUNK PROGRAMMDIREKTION HÖRFUNK BEREICH ORCHESTER UND CHOR Leitung: Rolf Beck Redaktion Sinfonieorchester: Achim Dobschall Redaktion des Programmheftes: Julius Heile Den Einführungstext schrieb Dr. Ilja Stephan für das Schleswig-Holstein Musik Festival. Die Ergänzungen von Julius Heile sind Originalbeiträge für den NDR. Fotos: Chris Lee (S. 4) Felix Broede (S. 5, S. 13 links) James Salzano (S. 7) Tan Dun Online (S. 8) picture alliance | KEYSTONE (S. 10) picture alliance | akg-images (S. 11) Jacques Lévesque (S. 12 links) Uwe Arens | Sony Classical (S. 12 rechts) Werner Kmetitsch (S. 13 rechts) 14 NDR Variationen 5 Konzerte zum Verschenken Ob Mahlers Dritte, hochvirtuose barocke Kastratenpartien, Grenzen sprengende Jazz-Klänge, sechzehnstimmige, das Publikum umhüllende Chorklänge, „Alice in Wonderland“, phänomenale Nachwuchssolisten, Schuberts Forellenquintett oder „Karneval der Tiere“ für Familien – mit den NDR Variationen haben Sie nicht mehr die Qual der Wahl, sondern erleben die enorme musikalische Bandbreite der NDR Konzerte – von Klassik bis Jazz – innerhalb eines Abonnements. NDR | Markendesign Gestaltung: Klasse 3b, Hamburg Litho: Otterbach Medien KG GmbH & Co. Druck: Nehr & Co. GmbH Zur Auswahl stehen Konzerte aus folgenden Reihen: NDR Sinfonieorchester in der Laeiszhalle | NDR Sinfonieorchester auf Kampnagel NDR Chor | NDR Das Alte Werk | NDR das neue werk | NDR Podium der Jungen NDR Jazz | NDR Kammerkonzerte | NDR Familienkonzerte Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des NDR gestattet. Wahlabo mit 5 Konzertgutscheinen für 80 Euro, gültig für NDR Konzerte von Januar 2013 bis Juni 2013. Pro Konzertreihe kann ein Gutschein – je nach Verfügbarkeit der Karten – eingelöst werden. NDR Ticketshop im Levantehaus | Mönckebergstraße 7 20095 Hamburg Telefon (0180) 1 78 79 80* | Fax (0180) 1 78 79 81* | E-Mail: [email protected] Mo bis Fr: 10 bis 19 Uhr und Sa: 10 bis 18 Uhr * bundesweit zum Ortstarif, maximal 42 Cent pro Minute aus Mobilfunknetzen