Kapitel 6 Harmonische Schwingungen Von periodisch spricht man, wenn eine feste Dauer zwischen wiederkehrenden ähnlichen oder gleichen Ereignissen besteht. Von harmonisch spricht man, wenn die Zeitentwicklung einer Größe gemäß einer Sinusoder Cosinusfunktion erfolgt. 6.1 Mathematisches Pendel Kugel der Masse m an einem Faden der Länge `. Die Kugel wird als Massepunkt genähert. Reibung und Masse des Fadens seien vernachlässigbar. Wir zerlegen die Gewichtskraft in eine radiale Komponente, die Fadenspannung, und eine tangentiale Komponente die das Pendel beschleunigt. Richtung und Größe der beiden Komponenten sind ortsabhängig. In diesem Fall ist der Drehimpuls keine Erhaltungsgröße (weder in Bezug auf den Aufhängepunkt noch irgendeinen anderen Punkt). Das Pendel legt den Weg s zurück, mit der Geschwindigkeit ds/dt, unter der Beschleunigung d2 s/dt2 . Die Bogenlänge s = ` ' ist proportional zum Auslenkungswinkel ' und zur Fadenlänge `. ! ! m F " # mg Die Bewegungsgleichung d2 s d2 ' = m ` = m ` '¨ = Fext . dt2 dt2 ist damit (positive Winkel ' im Gegenuhrzeigersinn) m m ` '¨ = (6.1) (6.2) m g sin ' . Aus der Entwicklung der Sinusfunktion in eine Potenzreihe '3 '5 + ... (6.3) 3! 5! sehen wir dass für kleine Winkel sin ' ⇡ ' gilt. In dieser Kleinwinkelnäherung vereinfacht sich (6.2) zu p ` '¨ = g ' ) '¨ + ! 2 ' = 0 wobei ! = g/` . (6.4) sin ' = ' 69 70 KAPITEL 6. HARMONISCHE SCHWINGUNGEN Von einer Lösung dieser Differentialgleichung wird gefordert, dass die Funktion '(t) sich nach zweimaliger Ableitung reproduziert.1 Eine spezielle Lösung ist die periodische Bewegung p '(t) = '0 cos ( g/` t) = '0 cos (! t) , (6.5) wobei die Amplitude '0 durch die Anfangsbedingungen '(0) = '0 und '(0) ˙ = 0 bestimmt ist. Das Pendel schwingt über den Winkelbereich '0 < ' < +'0 mit der Schwingungsdauer: p T = 2⇡/! = 2⇡ `/g (6.6) ! ! ! T ist unabhängig von der Auslenkung für kleine Amplituden, T ist unabhängig von der punktförmigen Masse, isochrone Bewegung, konstant mit der Zeit. Ein Sekundenpendel (in Kleinwinkelnäherung) erreicht man bei einer Fadenlänge `(T = 1s) = g/(2⇡)2 = 0.248 m . (6.7) Die Schwingungsperiode eines mathematischen Pendels der Länge ` ⇡ 0.99 m ist gerade 2 s. ) Nur bei kleinen Auslenkungen ist diese Näherung gültig. Bestimmung von g: mit dem mathematischen Pendel über die Messung der Schwingungsdauer T.2 Energieerhaltung bei der Pendelbewegung: Das Pendel hat am Ort der maximalen Auslenkung die Geschwindigkeit v = 0, aber die potentielle Energie: V max = mg `(1 (6.8) cos '0 ) Für kleine Winkel verwenden wir die Reihenentwicklung cos ' = 1 '2 '4 + 2! 4! (6.9) ... und erhalten in der Näherung kleiner Amplituden V max ⇡ 1 mg ` '20 . 2 (6.10) Aus Gleichung 6.5 erhalten wir für die Winkelgeschwindigkeit '(t) ˙ = '0 ! sin (! t) '(t ˙ = T /4) = '0 ! sin ! T /4 = (6.11) '0 ! sin (⇡/2) = '0 ! . Die kinetische Energie beim Durchgang durch die vertikale Position ist gleich der potentiellen Energie bei der maximalen Auslenkung, siehe (6.10). K max = 1 Nur 1 1 1 g 1 m v 2 = m `2 '˙ 2 ⇡ m `2 '20 = mg ` '20 . 2 2 2 ` 2 (6.12) Sinus- und Kosinus-Funktionen reproduzieren sich nach zweimaliger Ableitung (bis auf Vorzeichen). Messung von g geschieht bis heute über die Fallzeit kalter Atome. Peters et al. berichtete 1999 über ein verbessertes Mach-Zehnder Atom-Interferometer zur Bestimmung der lokalen Gravitationsbeschleunigung g mit einer Genauigkeit von 10 9 g. 2 Präziseste 6.2. PHYSIKALISCHES PENDEL 71 1.0 3 2 1 0 -1 -2 -3 0.5 j@tD ê j0 j@tD HradL Zur Güte der Kleinwinkelnäherung: ' (grad) sin ' ' ' (grad) cos ' 1 '2 0 0. 0. 0 1. 1. 10 0.173648 0.174533 10 0.984808 0.984769 . 20 0.34202 0.349066 20 0.939693 0.939077 30 0.5 0.523599 30 0.866025 0.862922 Die Abweichung eines realen Pendels von der Kleinwinkelnäherung des mathematischen Pendel wird umso größer je größer die maximal Auslenkung wird. Diese Abweichung zeigt das folgende Bild für fünf verschiedene Anfangsbedingungen von '0 . Diese Trajektorien wurden durch numerische Lösung der Differentialgleichung (6.2) ermittelt. Besonders auffällig ist die große Verweilzeit bei großen Auslenkungen, wenn das Pendel in die Nähe von '0 = ⇡/2 (labiles Gleichgewicht, bzw. Überschlag) kommt. 0 1 2 time 3 4 0.0 -0.5 -1.0 0 1 2 time 3 4 Exp. zum Sekundenpendel und zur Abweichung von der Kleinwinkelnäherung, A81-8 6.2 Physikalisches Pendel Jetzt erweitern wir das Bild um ein ausgedehntes Objekt das um eine Achse schwingen kann. Die Koordinaten des Schwerpunktes S bei einer Auslenkung ' sind ~r = {sin ', 0, cos '}d. Das Drehmoment durch die ~ = ~r ⇥ F~ . Die SchwinSchwerkraft im Schwerpunkt ist M gungsgleichung ermitteln wir aus M = I ', ¨ j '¨ = d F=mg '¨ = T = 2⇡ I = 2⇡ mgd (6.13) mgd ', I (6.14) Das Trägheitsmoment bzg. der Achse ermitteln wir mit dem Steinerschein Satz, I = IS + md2 . In der Näherung kleiner Auslenkung haben wir S mit der Periode s mgd sin ' I s `e↵ , g (6.15) wobei die effektive Länge (äquivalent zum mathematischen Pendel) `e↵ = I/(md) ist. Vergleich von mathematischem und physikalischem Pendel. 72 KAPITEL 6. HARMONISCHE SCHWINGUNGEN 6.3 Harmonische Schwingung einer Feder Eine Kugel der Masse m hängt an einer Feder. Die Gleichgewichtsposition der Masse im Schwerefeld ist z0 . Die Bewegung der Masse m erfolgt reibungsfrei, die Masse der Feder sei vernachlässigbar. Nach Auslenkung der Masse aus der Ruhelage vom Ort z0 wird die Feder von der elastischen Kraft der Feder beschleunigt. Die Federkraft ist proportional zur Federkonstante ks und zur Auslenkung aus der Ruhelage F = ks y wobei z y>0 ksHz0-zL m z0 z 0 y<0 z0 = y . -mg Die Bewegungsgleichung ist damit m ÿ = mÿ + ks y ks y ÿ + m ÿ + ! 2 y = 0 ks y = 0 = 0. (6.16) (6.17) In der letzten Zeile haben wir die Eigenfrequenz ! = Eine spezielle Lösung ist wiederum p ks /m eingeführt. (6.18) y = y0 cos (! t) , offensichtlich eine harmonische Schwingung mit der Periode (Schwingungsdauer) r 2⇡ m T = = 2⇡ . ! ks (6.19) Der harmonische Oszillator erreicht nach einer Schwingungsdauer T denselben Wert der Auslenkung, denn für beliebige Zeiten t gilt y(t) = y(t + T ) . Allgemeine Lösungen für die Position sind y = A cos (! t + ) y = A cos (! t) + B sin (! t) . wobei oder (6.20) (6.21) Phasenfaktor genannt wird. Für die Geschwindigkeit gilt ẏ = ẏ = = A ! sin (! t + ) bzw. A ! sin (! t) + B ! cos (! t) . (6.22) (6.23) Die Integrationskonstanten bestimmen wir aus den Anfangsbedingungen der bewegten Masse. Dazu brauchen wir Angaben über Ort und Geschwindigkeit zu einer bestimmten Zeit. Zum Beispiel zur Zeit t = 0. Mit y(0) = A0 und ẏ(0) = 0 ist A = A0 , der Phasenfaktor = 0 (6.20) bzw. B = 0 (6.21) und wir erhalten (6.19). Kraftmessung beim Federpendel + Masseabhängigkeit, A81-4 6.4. DREHSCHWINGUNG 6.4 73 Drehschwingung Wir untersuchen die Bewegung einer Achse, die über eine Schneckenfeder am Achsenlager befestigt ist. Das Trägheitsmoment der Achse und des an ihr befestigten Tisches sei I. Das lineare Rückstellmoment ist durch die Federstärke (Richtmoment) bestimmt, M= (6.24) '. Das Drehmoment steigt also mit der Auslenkung an. In diesem Fall ist die Bewegungsgleichung I '¨ = (6.25) '. Die Lösung dieser Differentialgleichung ist ⇣p ⌘ ' = '0 cos /I t = '0 cos (! t) Ohne Reibung führt der Drehtisch eine harmonische Schwingung aus im Winkelbereich ±'0 , mit der Schwingungsdauer T = p 2⇡ = 2⇡ I/ . ! (6.26) Der harmonische Oszillator erreicht nach einer Schwingungsdauer T denselben Wert der Auslenkung, denn für beliebige Zeiten t gilt '(t) = '(t + T ) . Experiment zur Abhängigkeit der Drehschwingperiode vom Trägheitsmoment A52-3. 6.5 Komplexe Darstellung eines Oszillators Die Schwingungsgleichung für den harmonischen Oszillator ist z̈ + ! 2 z = 0 (6.27) Nach Einsetzen der allgemeinen Lösung z = ce t (6.28) erhalten wir eine Bestimmungsgleichung für 2 + !2 = 0 mit den Werten p =± 1! . (6.29) bzw. 1 = i! und 1 = i !. (6.30) —————————————————————————————— Einschub : Komplexe Zahlen Wir untersuchen die Lösung der Gleichung z 2 + 1 = 0. In diesem Fall liegt z nicht im Bereich reeller Zahlen. Zahlen deren Quadrat < 0 ist sind imaginär. Die imaginäre Einheit ist p i=+ 1. (6.31) 74 KAPITEL 6. HARMONISCHE SCHWINGUNGEN In der komplexen Ebene, ~r = x x̂ + i y ŷ lässt sich jede komplexe Zahl als Vektor der Länge |z| der unter dem Winkel ↵ = arctan y x (6.33) liegt darstellen. Man nennt x den Realteil, und y den Imaginärteil der komplexen Zahl. Die zu z konjugiert komplexe Zahl ist z⇤ = x imaginäre Achse (6.32) z = x + iy ”r y` a x` (6.34) iy. x+iy reelle Achse In Polardarstellung schreibt man z = |z| ei ↵ z ⇤ = |z| e und i↵ (6.35) . Die Exponentialfunktion mit imaginärem Argument lässt sich über die Eulersche Formel darstellen als e±i↵ = cos ↵ ± i sin ↵ . . (6.36) —————————————————————————————— Unsere Schwingungsgleichung (6.27) hat zwei linear unabhängige Lösungen mit komplexen Konstanten c1 und c2 , z1 (t) = c1 ei ! t und z2 (t) = c2 e i!t (6.37) . Eine allgemeine Lösung finden wir durch Linearkombination beider z = c1 ei ! t + c2 e i!t (6.38) . Da z(t) eine reelle Funktion sein muss, folgt für die komplexen Konstanten und c1 = a + i b = c c2 = a i b = c⇤ (6.39) und deshalb z(t) = c ei ! t + c⇤ e i!t (6.40) oder z = (a + ib) [cos (! t) + i sin (! t)] + (a = 2a cos (! t) + 2i2 b sin (! t) = 2a cos (! t) ib) [cos (! t) i sin (! t)] 2b sin (! t) Mit 2a = C cos ' und 2b = C sin ' vereinfacht sich dies zu z(t) = C cos (!t + ') . (6.41) Die reellen Konstanten a und b beziehungsweise C und ' werden aus den Anfangsbedingungen bestimmt. Das Argument der Kosinusfunktion bestimmt den momentanen Wert der Auslenkung z(t) und heißt auch Phase. In gewissen Beispielen kann man den Zeitnullpunkt so legen, dass die Phase ' gleich Null wird.