§ 15 Wahrscheinlichkeitsrechnung und Statistik „Alles, was lediglich wahrscheinlich ist, ist wahrscheinlich falsch.“ ( Descartes ) „Trau keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast.“ ( Churchill zugeschrieben ) Drei Statistiker gehen auf die Jagd. Der erste legt an, zielt, und - und schießt links daneben. Der zweite legt an, zielt, und - und schießt rechts daneben. Ruft der dritte: „Getroffen!“ Institut für Automatisierungstechnik Prof. Dr. Ch. Bold Analysis 15.1 Folie 1 15.1 Grundbegriffe Definition 1 1.) Ein Experiment ( wird nach einer genau festgelegten Vorschrift durchgeführt und kann unter den gleichen Bedingungen beliebig oft wiederholt werden ) heißt Zufallsexperiment, wenn es verschiedene Möglichkeiten für den Ausgang des Experiments gibt und nicht mit Sicherheit vorhergesagt werden kann, welcher dieser möglichen Ausgänge sich bei Durchführung des Experiments einstellen wird. 2.) Die verschiedenen möglichen Ausgänge eines Zufallsexperiments heißen Elementarereignisse oder Ergebnisse. Die Menge M aller Ergebnisse eines Zufallsexperiments heißt Ergebnismenge des Zufallsexperiments. 3.) Eine Teilmenge A der Ergebnismenge M heißt Ereignis ( ein Ereignis ist also eine Menge von Elementarereignissen ) . Spezielle Ereignisse: • A = M heißt sicheres Ereignis • A = heißt unmögliches Ereignis • A = M A heißt das zu A komplementäre Ereignis oder Gegenereignis zu A Institut für Automatisierungstechnik Prof. Dr. Ch. Bold Analysis 15.1 Folie 2 Beispiele 1.) Würfeln M = 1;2;3;4;5;6 Ereignis A „Primzahl gewürfelt“ : A = 2;3;5 Das zu A komplementäre Ereignis A „keine Primzahl gewürfelt“ : A = M 2.) 4.) 1;4;6 Münze werfen M = 3.) A = Kopf ; Zahl Zweimal Münze werfen a) mit unterscheidbaren Münzen: M = KK ; KZ ; ZK ; ZZ b) mit nicht unterscheidbaren Münzen: M = KK ; ZK ; ZZ bzw. M = 0;1;2 Lebensdauer einer Glühlampe M = R+ Institut für Automatisierungstechnik Prof. Dr. Ch. Bold Analysis 15.1 Folie 3 Definition 3 Wird ein Zufallsexperiment mit Ergebnismenge M n - mal durchgeführt, so heißt die Anzahl n ( A ) , mit der ein Ereignis A M bei diesen n Durchführungen auftritt, die absolute Häufigkeit des Ereignisses A bei n Durchführungen des Zufallsexperiments. n(A) heißt relative Häufigkeit des Ereignisses A bei Der Quotient hn ( A ) = n n Durchführungen des Zufallsexperiments. Beispiel Ist die nebenstehende Tabelle das Ergebnis nach 100 - maligem Würfeln, k 1 2 3 4 5 6 n(k) 12 20 16 18 19 15 so gilt etwa für das Ereignis A = „mindestens 5 gewürfelt“ = n ( A ) = 19 + 15 = 34 und 5;6 : n(A) 34 hn ( A ) = = n 100 Institut für Automatisierungstechnik Prof. Dr. Ch. Bold = 0,34 = 34 % Analysis 15.1 Folie 4 Satz 1 Für die absolute bzw. relative Häufigkeit gelten die folgenden Beziehungen: 0 < n(A) < n n(A 0 < hn ( A ) < 1 B) = n(A) + n(B) - n(A B) hn ( A B ) = hn ( A ) + hn ( B ) - hn ( A n(M) = n hn ( M ) = 1 n( hn ( ) = 0 B) ) = 0 Schwaches Gesetz der großen Zahl Berechnet man für verschiedene Anzahlen n von Durchführungen eines Zufallsexperiments jeweils die relative Häufigkeit hn ( A ) , so stellt man fest, dass sie sich mit wachsender Anzahl von Durchführungen n mit immer kleiner werdenden Schwankungen um einen bestimmten Wert einpendelt. Daher vereinbart man: Definition 4 Die Wahrscheinlichkeit p ( A ) eines Ereignis A wird definiert als Grenzwert der relativen Häufigkeit : 8 p ( A ) = l i m hn ( A ) n Institut für Automatisierungstechnik Prof. Dr. Ch. Bold Analysis 15.1 Folie 5 Bemerkung Die relativen Häufigkeiten eines Ereignisses A für verschiedene Anzahlen n von Durchführungen eines Zufallsexperiments kann man nur empirisch bestimmen ( also indem man das Zufallsexperiment entsprechend häufig durchführt ) ; es gibt keine explizite oder rekursive Rechenformel . Die Wahrscheinlichkeit p ( A ) eines Ereignis A kann daher in vielen Fällen nicht exakt bestimmt werden. In diesen Fällen nimmt man die relative Häufigkeit hn ( A ) für ein hinreichend großes n als Schätzwert für die Wahrscheinlichkeit und nennt diese Wahrscheinlichkeit dann statistische Wahrscheinlichkeit. Bei Zufallsexperimenten, bei denen die Wahrscheinlichkeit p ( A ) eines Ereignis A exakt bestimmt werden kann, spricht man von mathematischer Wahrscheinlichkeit. Beispiele a) Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Schwangere Zwillinge entbinden wird, beträgt 8908 = 0,0123459 = 1,23459 % statistische Wahrscheinlichkeit 721 534 b) Die Wahrscheinlichkeit, mit einem idealen Würfel eine 6 zu würfeln, beträgt 1 = 0,1666667 = 16,66667 % mathematische Wahrscheinlichkeit 6 Institut für Automatisierungstechnik Prof. Dr. Ch. Bold Analysis 15.1 Folie 6 Satz 2 Für ein Zufallsexperiment mit Ergebnismenge M und Ereignisse A , B • 0 < p(A) < 1 • p(A • p(M) = 1 ( sicheres Ereignis ) • p( ( unmögliches Ereignis ) • p(A) = 1 - p(A) • p(B • A • Für endliche Ergebnismengen M = B) = p(A) + p(B) - p(A ) = 0 gilt: B) ( zu A komplementäres Ereignis ) A) = p(B) - p(A B) p(A) < p(B) B keiten p1 , p2 , ... , pn n a) M pi = (also x1 ; x2 ; ... ; xn mit Wahrscheinlich- p ( x1 ) = p1 , p ( x2 ) = p2 , ... , p ( xn ) = pn) gilt: 1 i=1 Institut für Automatisierungstechnik b) pi xi ε A Prof. Dr. Ch. Bold = p(A) für jedes Ereignis A Analysis 15.1 Folie 7 M Definition 5 ( Laplace - Experimente ) Ein Zufallsexperiment mit endlich vielen, gleich wahrscheinlichen Elementarereignissen heißt Laplace - Experiment. Beispiele a) Würfeln mit einem idealen Würfel b) Werfen einer idealen Münze c) Roulette mit einem idealen Ziehungsgerät Satz 3 Für ein Laplace - Experiment mit Grundmenge M = a) p ( xi ) = 1 n für alle i = 1 , ... , n x1 ; x2 ; x3 ; . . . ; xn b) p ( A ) = #A n gilt: für jedes Ereignis A M Bemerkungen 1.) # A heißt Mächtigkeit oder Kardinalzahl der Menge A . Bei endlichen Mengen entspricht dies der Anzahl der Elemente. 2.) Bei Laplace - Experimenten lässt sich also stets die mathematische Wahrscheinlichkeit bestimmen. Daher nennt man die mathematische Wahrscheinlichkeit auch Laplace - Wahrscheinlichkeit. Institut für Automatisierungstechnik Prof. Dr. Ch. Bold Analysis 15.1 Folie 8 Methoden zur Bestimmung von (mathematischen) Wahrscheinlichkeiten Beispiel 1: Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, beim Würfeln mit zwei Würfeln die Augensumme 10 zu erzielen ? Mögliche Grundmenge: M = 2 ; 3 ; 4 ; 5 ; 6 ; 7 ; 8 ; 9 ; 10 ; 11 ; 12 Diese 11 Ergebnisse sind aber nicht gleich wahrscheinlich. Es liegt daher kein Laplace - Experiment vor; die gesuchte Wahrscheinlichkeit kann mit diesem Ansatz also nicht bestimmt werden. Betrachtet man die beiden Würfel als unterscheidbar ( z.B ein roter und ein blauer Würfel ) , so erhält man als mögliche Grundmenge M = ( 1/ 1 ) ; ( 1/ 2 ) ; ( 1/ 3 ) ; ( 1/ 4 ) ; ( 1/ 5 ) ; ( 1/ 6 ) ; ( 2/ 1 ) ; ( 2/ 2 ) ; ( 2/ 3 ) ; ( 2/ 4 ) ; ( 2/ 5 ) ; ( 2/ 6 ) ; ( 3/ 1 ) ; ( 3/ 2 ) ; ( 3/ 3 ) ; ( 3/ 4 ) ; ( 3/ 5 ) ; ( 3/ 6 ) ; ( 4/ 1 ) ; ( 4/ 2 ) ; ( 4/ 3 ) ; ( 4/ 4 ) ; ( 4/ 5 ) ; ( 4/ 6 ) ; ( 5/ 1 ) ; ( 5/ 2 ) ; ( 5/ 3 ) ; ( 5/ 4 ) ; ( 5/ 5 ) ; ( 5/ 6 ) ; ( 6/ 1 ) ; ( 6/ 2 ) ; ( 6/ 3 ) ; ( 6/ 4 ) ; ( 6/ 5 ) ; ( 6/ 6 ) ( 4 / 6 ) ; ( 5 / 5 ) ; ( 6 / 4 ) hat also die Wahr#A p(A) = für jedes Ereignis A M n Prof. Dr. Ch. Bold Analysis 15.1 Folie 9 Das Ereignis A = „Augensumme 10“ = 3 1 = . 12 36 Institut für Automatisierungstechnik scheinlichkeit p(A) = Diese 36 Ergebnisse sind alle gleich wahrscheinlich; es liegt daher ein Laplace Experiment vor, mit dem die gesuchte Wahrscheinlichkeit bestimmt werden kann. Alternative 1 Eine andere Möglichkeit zur Bestimmung der Wahrscheinlichkeit der Augensumme 10 ist die Einzelbetrachtung der beiden Würfel mit anschließender Multiplikation der jeweiligen Wahrscheinlichkeiten: Das Ereignis A = „Augensumme 10“ lässt sich zerlegen in die beiden Ereignisse B = „roter Würfel mindestens 4“ , und C = „blauer Würfel = 10 - roter Würfel“ . Daher gilt p ( A ) = p ( B ) . p ( C ) = 1 3 . 1 = 12 6 6 Alternative 2 Eine weitere Möglichkeit zur Bestimmung der Wahrscheinlichkeit der Augensumme 10 ist die Erstellung eines Baumdiagramms; dabei wird die gesuchte Wahrscheinlichkeit durch Multiplikation und ggf. Addition von Wahrscheinlichkeiten berechnet, die einfacherer zu bestimmen sind: Institut für Automatisierungstechnik Prof. Dr. Ch. Bold Analysis 15.1 Folie 10 Alternative 2 Eine weitere Möglichkeit zur Bestimmung der Wahrscheinlichkeit der Augensumme 10 ist die Erstellung eines Baumdiagramms; dabei wird die gesuchte Wahrscheinlichkeit durch Multiplikation und ggf. Addition von Wahrscheinlichkeiten berechnet, die einfacherer zu bestimmen sind: Würfeln mit zwei Würfeln 1 6 1 6 1 6 1 6 1 6 1 6 1 2 3 4 5 111111 666666 111111 666666 111111 666666 111111 666666 111111 666666 1 2 3 4 5 6 1 2 3 4 5 6 1 2 3 4 5 6 1 2 3 4 5 6 1 1 . 1 p = = 36 6 6 Institut für Automatisierungstechnik 6 roter Würfel 111111 666666 blauer 1 2 3 4 5 6 1 2 3 4 5 6 Würfel Augensumme 10 p = 1 1 + 36 36 Prof. Dr. Ch. Bold + 1 36 = Analysis 15.1 1 12 Folie 11 Bemerkung Das Baumdiagramm wird einfacher, wenn man nicht alle möglichen Ergebnisse einzeln aufführt, sondern nur nach dem betrachteten Ereignis unterscheidet: A = Augensumme 10 A = Augensumme 10 Würfeln mit zwei Würfeln 1 6 1 6 1 0 A 1 6 2 1 A 0 A 1 6 3 1 A 0 A 1 6 1 6 4 1 A 1 6 A 5 5 6 A Augensumme 10 1 1 1 p = 0 + 0 + 0 + + + 36 36 36 Institut für Automatisierungstechnik 1 6 A = roter Würfel 6 5 6 A 1 6 A 5 6 A blauer Würfel 1 12 Prof. Dr. Ch. Bold Analysis 15.1 Folie 12 Beispiel 2: Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, beim Würfeln mit zwei Würfeln als Augensumme mindestens 10 zu erzielen ? 1. Methode Das Ereignis A = „Augensumme > 10“ = hat die Wahrscheinlichkeit p(A) = ( 4/ 6 ) ; ( 5/ 5 ) ; ( 6/ 4 ) ; ( 5/ 6 ) ; ( 6/ 5 ) ; ( 6/ 6 ) 6 1 = 36 6 . 2. Methode Das Ereignis A = „Augensumme > 10“ lässt sich zerlegen in die beiden Ereignisse B = „roter Würfel mindestens 4“ , und C = „blauer Würfel > 10 - roter Würfel“ . In diesem Beispiel ist aber die Wahrscheinlichkeit p ( C ) nicht nur davon abhängig, ob B eingetreten ist, sondern auch vom genauen Ergebnis. Daher ist eine genauere Unterscheidung notwendig: B1 = „roter Würfel = 4“ C1 = „blauer Würfel > 6“ B2 = „roter Würfel = 5“ C2 = „blauer Würfel > 5“ B3 = „roter Würfel = 6“ C3 = „blauer Würfel > 4“ p ( A ) = p ( B1 ) . p ( C1 ) + p ( B2 ) . p ( C2 ) + p ( B3 ) . p ( C3 ) 1 1 .1 1 . 2 1 . 3 + = + = 6 6 6 6 6 6 6 Institut für Automatisierungstechnik Prof. Dr. Ch. Bold Analysis 15.1 Dann gilt Folie 13 Beispiel 2: Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, beim Würfeln mit zwei Würfeln als Augensumme mindestens 10 zu erzielen ? 3. Methode A = „Augensumme > 10“ A = „Augensumme < 10“ Würfeln mit zwei Würfeln 1 6 1 A 1 6 2 A 1 6 3 A 1 6 1 6 1 6 4 1 6 A 5 5 6 A 2 6 A roter Würfel 6 4 6 A 3 6 A 3 6 A blauer Würfel Augensumme > 10 1 1 2 3 p = + + = 36 6 36 36 Institut für Automatisierungstechnik Prof. Dr. Ch. Bold Analysis 15.1 Folie 14 Beispiel 3 Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass in einer Gruppe von 25 Personen mindestens zwei den gleichen Geburtstag haben ? Die Bestimmung der gesuchten Wahrscheinlichkeit p ( A ) ist recht schwierig. Die Wahrscheinlichkeit p ( A ) des Gegenereignisses ist einfacher zu bestimmen: Die 25 Personen werden in eine beliebige Reihenfolge gebracht und nennen nacheinander ihr Geburtsdatum. Das Gegenereignis A tritt dabei genau dann ein, wenn • Person 2 einen Geburtstag hat, den Person 1 nicht hat , und • Person 3 einen Geburtstag hat, den die Personen 1 und 2 nicht haben , und • Person 4 einen Geburtstag hat, den die Personen 1 bis 3 nicht haben , und • Person 5 einen Geburtstag hat, den die Personen 1 bis 4 nicht haben , und • Person 25 einen Geburtstag hat, den die Personen 1 bis 24 nicht haben. Institut für Automatisierungstechnik Prof. Dr. Ch. Bold Analysis 15.1 Folie 15 Das Gegenereignis A tritt dabei genau dann ein, wenn • Person 2 einen Geburtstag hat, den Person 1 nicht hat , und • Person 3 einen Geburtstag hat, den die Personen 1 und 2 nicht haben , und • Person 4 einen Geburtstag hat, den die Personen 1 bis 3 nicht haben , und • Person 5 einen Geburtstag hat, den die Personen 1 bis 4 nicht haben , und • Person 25 einen Geburtstag hat, den die Personen 1 bis 24 nicht haben. Nach Methode 2 beträgt die Wahrscheinlichkeit p ( A ) des Gegenereignisses daher p(A) = 364 . 363 . 362 . 361 . ... 365 365 365 365 . 341 365 Mit Hilfe der Formel p ( A ) = 1 - p ( A ) ergibt sich hieraus p(A) = 1 - 364 . 363 . 362 . 361 . ... 365 365 365 365 . 341 365 = 0,569 = 56,9 % ( bei 23 Personen gilt sonen gilt p ( A ) = 0,507 = 50,7 % , und bei einer Gruppe von 105 Perp ( A ) = 99,999994 % und damit p ( A ) < p ( 6 Richtige im Lotto ) ) Institut für Automatisierungstechnik Prof. Dr. Ch. Bold Analysis 15.1 Folie 16