Schmerz - Alex Eberle

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Pathobiologie/Pathobiochemie
Teil 1
Lektion 1
20.09.10
Einführung und Grundlagen
Lektion 2
27.09.10
Gedächtnisstörungen
Pathobiologie der Sucht
Lektion 3
4.10.10
Lektion 4
11.10.10
Pathobiologie der Sinnesorgane
Augenkrankheiten
[ Lektion 5
18.10.10
Herz-Kreislaufkrankheiten ]
Lektion 6
25.10.10
Pathobiologie des Schmerzes
Lektion 7
1.11.10
Neurodegenerative Erkrankungen und andere
Erkrankungen des Nervensystems
(Selbststudium)
Hautkrankheiten
1
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Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 6
1
Stoff aus dem Lehrbuch zu Lektion 6
G. Thews, E. Mutschler, P. Vaupel
Anatomie, Physiologie, Pathophysiologie
des Menschen (6. Auflage)
Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH
Stuttgart, 2007.
Grundlagen aus der Anatomie/Physiologie:
Kapitel 19: Seiten 604-705, 796-813
Schmerz:
Kapitel 19: Seiten 706-720
Zusätzliche Literatur:
A. Moore, J. Edwards, J. Barden, H. McQuay
Bandolier‘s Little Book of Pain
Oxford University Press, Oxford 2003
Forum Schmerz, Deutsches Grünes Kreuz: Starke Schmerzen bewältigen
2
25/10/10
http://www.forum-schmerz.de/fileadmin/user_upload/_A-B/Schmerz_bewaeltigen_Broschuere_2009_01.pdf
Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 6
2
(*)
Schmerz und Lust
“Nature has placed mankind under the
governance of two sovereign masters,
pain and pleasure.” — Jeremy Bentham
Schmerz−Lust - Inhibition
Das sog. Motivations−Entscheidungs-Modell für Schmerzempfindung
besagt, dass jedes andere Ereignis mit potentiell grösserer Wichtigkeit als der
momentan empfundene Schmerz eine schmerzherabsetzende Wirkung
entfaltet. Umgekehrt wird auch die Lustempfindung bei Eintreten eines
Ereignisses mit potentiell grösserer Wichtigkeit herabgesetzt. Wichtige
Signalsysteme für Motivation und Lust-/Genussempfindung sind das µ-Opioidund das mesolimbische Dopamin-System.
a Schmerz und Lustempfindung induzieren beide Opioid-Freisetzung im
orbitofrontalen Cortex (OFC), Nucleus accumbens (NAc), ventralen
Pallidum (VP) und in der Amygdala (Amy); Schmerz und Lust sind ferner
assoziiert mit phasenweisem Dopamin-Signalling aus dem ventralen
tegmentalen Areal (VTA) zum NAc und VP, was zu einer Steigerung der
Opioid-Ausschüttung aus dem NAc führt. Schmerz ist sowohl assoziiert
mit einer Steigerung als auch einer Verminderung des mesolimbischen
Dopamin-Signalling.
b µ-Opioid-Rezeptor-Antagonisten (z.B. Naloxon), inhibieren die Lustinduzierte Schmerzverminderung.
c µ-Opioid-Rezeptor-Agonisten (z.B. Morphin), inhibieren die Schmerzinduzierte Lustverminderung.
3
25/10/10
Literatur: S. Leknes & I. Tracey, Nature Reviews Neuroscience 2008; 9: 314-320
Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 6
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Literatur: S. Leknes & I. Tracey, Nature Reviews Neuroscience 2008; 9: 314-320
Wichtige Hirnregionen für Schmerz und Lust
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Dopamin-Signalling
Aristoteles’ goldenes Mittel und phasisches Dopamin-Signalling:
Richtiges Gleichgewicht zwischen Lustgewinn und Schmerzvermeidung
Die Reaktionsfähigkeit des Dopaminsystems mit phasischem Signalling (d.h.
kurzzeitigem neuronalen Feuern) ist wichtig für die Regulation von lust- bzw.
schmerzinduziertem Verhalten. Impulsives Verhalten bzw. auch Schizophrenie
werden mit einer exzessiven Reaktion des Dopaminsystems erklärt, während
Depression, chronischer Schmerz und Lustlosigkeit mit einer verminderten
Rekationsfähigkeit des Dopaminsystems in Zusammenhang gebracht werden.
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S. Leknes & I. Tracey, Nature Reviews Neuroscience 2008; 9: 314-320
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Gliederung der Vorlesung “Schmerz”
• Schmerzentstehung
Schmerzenstehung, Schmerzkomponenten
• Schmerzklassifikation
Schmerzbewertung, Schmerztypen, Schmerzqualitäten
• Neurophysiologie des Schmerzes
Leitung und Verarbeitung der Schmerzsignale, nozizeptives
System, Nozizeptoren (Schmerzrezeptoren), Schmerzleitung
Transduktionsmechanismen, zentrale Sensibilisierung,
synaptische Übertragung im Rückenmark, endogene
Schmerzkontrollsysteme
• Klinisch bedeutsame Schmerzen
Nozizeptorschmerz, neuropathischer Schmerz,
Entzündungsschmerz, Phantomschmerz
• Spezielle Schmerzzustände
Veränderte Schmerzempfindlichkeit, projizierter
Schmerz, Neuralgie, Kausalgie und Phantomschmerz,
übertragener Schmerz, Muskeltonus und Muskelschmerz, zentraler Schmerz
• Kopf- und Gesichtsschmerzen
Cluster-Kopfschmerz, Spannungskopfschmerz, Analgetikainduzierter Schmerz, Trigeminusneuralgie, Migräne
• Schmerztherapie
Angriffspunkte der Schmerztherapie, Opioide
• Molekulare Aspekte der Schmerzkontrolle
(Beispiele)
Vanilloid-Rezeptoren, Prostaglandine, Cyclooxygenasen,
• Krebs und Schmerz
Schmerzen bei Knochenkrebs
Prostaglandinrezeptoren
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6
*
Schmerzentstehung (1)
Spezifitätstheorie des Schmerzes
Die heutigen Vorstellungen zur Schmerzentstehung im Gewebe gehen davon aus, dass der
Schmerz eine eigenständige Sinnesempfindung mit einem dafür speziellen nervösen Apparat
von Sinnesrezeptoren (Sensoren), Leitungsbahnen und Zentren ist.
Jedes menschliche Gewebe verfügt über spezielle Sensoren, die eine so hohe Schwelle
haben, dass sie nur durch gewebsschädigende oder potentiell gewebsschädigende Reize
(Noxen) erregt werden.
Diese Sensoren werden als Nozizeptoren (Nozisensoren) bezeichnet. Ihre Erregung löst in
der Regel Schmerzen aus, die wiederum signalisieren, dass entweder von aussen oder von
innen kommende Noxen dem Körper Schaden zuzufügen drohen.
7
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*
Nozizeptives System und Nozizeption
Nozizeption
Die Aufnahme, Weiterleitung und zentralnervöse Verarbeitung noxischer Signale bezeichnet
man als Nozizeption, die mit diesen Vorgängen befassten Strukturen als das nozizeptive
System.
Abgrenzung von Nozizeption und Schmerz
Die subjektive Empfindung Schmerz ist häufig eine Folge der Erregung von Nozizeptoren
samt der anschliessenden Aktivierung des nozizeptiven Systems.
Aber:
- Nicht jede Erregung von Nozizeptoren ist zwangsläufig von Schmerzen gefolgt.
- Es gibt zahlreiche Schmerzarten, an denen die Erregung von Nozizeptoren nicht beteiligt ist.
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*
Schmerzentstehung (2)
Schmidt, 2002
Schematische Darstellung der Schmerzentstehung über eine Aktivierung des nozizeptiven Systems
durch noxische Reize. Diese können entweder direkt auf Nozizeptoren einwirken oder indirekt aus dem
umliegenden Gewebe noxische Reize (algetische Substanzen) freisetzen.
Die Aufnahme, Weiterleitung und Verarbeitung noxischer Signale erfolgt auf allen Ebenen des ZNS.
In die resultierende Schmerzbewertung, an der das Schmerzgedächtnis entscheidend beteiligt ist, gehen
die verschiedenen Schmerzkomponenten je nach Art des Schmerzes in unterschiedlichem Ausmass ein.
9
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Periphere und zentrale Sensibilisierung können die Aufnahme und Verarbeitung noxischer Signale
erheblich verändern.
Schmidt, Pharmazie in unserer Zeit 2002; 31: 23-30
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*
Schmerzkomponenten
Zur Schmerzempfindung tragen sensorische, affektive, vegetative, motorische und kognitive Komponenten bei.
Sensorische Schmerzkomponente
Sie umfasst die Analyse des noxischen Reizes nach Ort, Intensität, Art und Dauer.
Affektive Schmerzkomponente
Die Schmerzempfindung löst fast immer eine unlustbetonte Emotion in uns aus,
wodurch unser Wohlbefinden gestört wird. Besonders bei Tiefenschmerzen und
chronischen Schmerzen kann sie sehr ausgeprägt sein.
Vegetative Schmerzkomponente
Sie umfasst Reaktionen des vegetativen Nervensystems, die durch Schmerzreize
ausgelöst werden. Es können sowohl Aktivierungen des sympathischen Nervensystems
als auch Reaktionen wie Blutdruckabfall und Übelkeit auftreten.
Motorische Schmerzkomponente
Sie zeigt sich in Schutzreflexen, durch die das betroffene Körperteil von der
Schmerzquelle entfernt wird. Auch Schonhaltungen und Muskelverspannungen sind
motorische Schmerzkomponenten.
Kognitive Schmerzkomponente (Schmerzbewertung)
Der Schmerz wird anhand früherer Schmerzerfahrungen bewertet und nach seiner
aktuellen Bedeutung eingestuft. Kognitive Prozesse können Schmerzäusserungen
auslösen (psychomotorische Komponente - Mimik, Wehklagen).
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*
Schmerzbewertung
Die Schmerzbewertung (kognitive Schmerzkomponente) geschieht zeitlich parallel mit
der Verarbeitung der anderen vier Schmerzkomponenten (sensorisch, affektiv, vegetativ,
motorisch).
An der Bewertung eines Schmerzes - also ob er mild, unangenehm, beunruhigend, heftig
oder unerträglich empfunden wird - haben die sensorischen, affektiven und vegetativen
Komponenten des Schmerzes in je nach Schmerzursache und Begleitumständen
variierendem Ausmass ihren Anteil:
- akute Oberflächenschmerzen: sensorische Komponente im Vordergrund
- akute viszerale Schmerzen: vegetative Komponente spielt eine grosse Rolle
- chronische Schmerzen: affektive Komponente ausschlaggebend
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*
Schmerzklassifikation (1)
1. Nach Art der Schmerzentstehung
Physiologischer Nozizeptorschmerz
Er entsteht, wenn Schmerzen durch die Einwirkung gewebeschädigender Reize auf
normales Gewebe ausgelöst werden. Er warnt uns vor Gewebeschädigungen und wir
leiten unwillkürlich Gegenmassnahmen ein (z.B. Wegziehen der Hand von heisser
Herdplatte). Ein intakter Schmerzsinn ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass der
Körper unversehrt bleibt.
Pathophysiologischer Nozizeptorschmerz
Er wird durch pathophysiologische Organveränderungen (z.B. bei Entzündungen)
ausgelöst. Er ist ein wichtiges Symptom vieler Erkrankungen. Häufig erzwingt er ein
Verhalten, das für die Heilung einer Krankheit erforderlich ist (z.B. Ruhigstellen einer
verletzten Extremität).
Neuropathischer Schmerz
Er entsteht durch Schädigung von Nervenfasern. Er ist abnormal, weil er nicht im Dienst
der Gefahrerkennung steht.
12
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*
Schmerztypen
Fölsch / Abb 5.1
Physiologischer
Nozizeptorschmerz
Der akute Schmerz bei Einwirken eines noxischen
Reizes ist ein physiologischer Nozizeptorschmerz
mit Warncharakter
Pathophysiologischer
Nozizeptorschmerz
Bei Entzündung oder nach Gewebsläsionen
entsteht der Nozizeptorschmerz unter pathophysiologischen Bedingungen, auftretend in Form
von Dauerschmerzen und/oder Hyperalgesie
(gesteigerte Schmerzempfindlichkeit) und Allodynie
(Schmerz auf Reize, die normalerweise nicht
schmerzhaft sind; s. spätere Dias). Die Mechanismen der Verarbeitung afferenten Eingangs sind komplexer als beim akuten physiologischen Schmerz.
Neuropathischer
Schmerz
Nach Läsionen des zentralen oder peripheren
nozizeptiven Systems entsteht der abnormale
neuropathische und/oder zentrale Schmerz.
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*
Schmerzklassifikation (2)
2. Nach dem Entstehungsort
Somatischer Oberflächenschmerz
Er entsteht durch noxische Reizung der Haut. Er wird in der Regel als hell und gut
lokalisierbar empfunden und klingt nach Aufhören des Reizes ab. Er ist der häufigste
physiologische Nozizeptorschmerz.
Somatischer Tiefenschmerz
Er entsteht in der Muskulatur, den Knochen, den Gelenken und im Bindegewebe. Sein
Charakter ist eher dumpf und häufig ist er nicht streng lokalisiert. Pathophysiologischer
somatischer Tiefenschmerz ist häufig chronisch.
Viszeraler Tiefenschmerz
Er bezeichnet den Eingeweideschmerz, der bei Erkrankung innerer Organe auftritt. Er
kann dumpf und schlecht lokalisiert sein, kann aber auch kolikartigen Charakter haben.
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*
Schmerzqualitäten
Mutscheler
Somatischer Schmerz
Die Schmerzempfindung geht von der Haut (Oberflächenschmerz) bzw. den Muskeln, den Gelenken,
den Knochen oder dem Bindegewebe aus (Tiefenschmerz).
Beim Oberflächenschmerz hat der erste Schmerz
einen “hellen Charakter”, ist gut lokalisierbar und
klingt nach Aufhören des Reizes schnell ab. Der
zweite Schmerz folgt (bei anhaltender Reizung) als
“dumpfer” Schmerz mit brennendem Charakter, der
schwer zu lokalisieren ist und langsam abklingt.
Das bekannteste Beispiel des Tiefenschmerzes ist
der Kopfschmerz. Der Tiefenschmerz ist dumpf,
schwer lokalsierbar und neigt dazu, in die Umgebung auszustrahlen.
Viszeraler Schmerz (Eingeweideschmerz)
Der viszerale Schmerz ähnelt in seinem dumpfen
Charakter dem Tiefenschmerz. Er tritt u.a. bei
Überdehnung der Bauchorgane, bei Spasmen ihrer
glatten Muskulatur, bei Mangeldurchblutung und bei
entzündlichen Erkrankungen auf.
Akuter / chronischer Schmerz
Der akute Schmerz hat eine begrenzte Dauer und
klingt nach Beseitigung der Noxen rasch ab. Der
chronische Schmerz tritt in Form eines Dauerschmerzes oder eines ständig wiederkehrenden
Schmerzes auf.
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(*)
Das nozizeptive System
Mutscheler
Als Nozizeption werden die objektiven Vorgänge
bezeichnet, mit denen das Nervensystem noxische Reize
aufnimmt und verarbeitet. An der Nozizeption beteiligte
Nervenzellen sind nozizeptive Nervenzellen. Sie bilden
zusammen das nozizeptive System.
 Peripheres nozizeptives System
 Zentralnervöses nozizeptives System
(spinales und thalamokortikales nozizeptives System)
Nozizeptoren sind die primärafferenten “ersten” Neurone,
die in ihren sensorischen Endigungen im Gewebe noxische Reize aufnehmen. Sie versorgen praktisch alle
Organe. Sie aktivieren synaptisch das zentralnervöse
nozizeptive System.
Vom Kortex und vom Hypothalamus verlaufen Fasern zum
Hirnstamm, wo deszendierende Bahnen ihren Ursprung
nehmen. Diese hemmen oder verstärken die nozizeptive
Verarbeitung im Rückenmark.
Links: Nervenzellen und Nervenbahnen des peripheren
und zentralen Nervensystems, die noxische Reize aufnehmen und verarbeiten. Rechts: Absteigende Systeme,
die die nozizeptive Verarbeitung im Rückenmark hemmen
oder bahnen.
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* Peripheres nozizeptives System − Nozizeptoren (1)
Nozizeptoren bestehen aus nicht-korpuskulären sensorischen Endigungen und
langsam leitenden Axonen.
Im normalen Gewebe antworten sie nur auf noxische mechanische, thermische und
chemische Reize, die auf ihr rezeptives Feld einwirken.
Nozizeptive Endigungen im Gewebe sind dünne unmyelinisierte Faserendigungen
ohne besondere Strukturmerkmale. Sie sind teilweise von Schwannzellen bedeckt.
In den Endigungen findet die Transduktion (Umwandlung von noxischen Reizen in
elektrische Potentiale) statt.
Die meisten Nozizeptoren besitzen unmyelinisierte Axone (C-Fasern). Ein Teil der
Nozizeptoren hat dünn myelinisierte Axone (Aδ-Fasern). Das Aktionspotential
entsteht in den Aδ-Fasern am ersten Schnürring. Für C-Fasern unbekannt.
17
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(*)
Schmerzleitung
Julius & Basbaum, Nature, 2001
Drei verschiedene Typen von Nozizeptoren, die unterschiedliche Schmerzarten weiterleiten:
1.
Aα,β: myelinisierte afferente Nerven mit grossem Durchmesser
Geschwindigkeit
2.
Aδ: myelinisierte afferente Nerven mit geringem bis mittlerem Durchmesser
6-24 m/s
3.
C: nicht-myelinisierte afferente Nerven mit geringem Durchmesser
1.0 m/s
18
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*
Nozizeptoren (2)
Das rezeptive Feld eines Nozizeptors ist das Areal, von dem aus die Nervenfaser
durch noxische Reize erregbar ist. Im Bereich des rezeptiven Feldes liegt eine
sensorische Endigung.
Im normalen Gewebe werden Nozizeptoren nur durch intensive Reize erregt.
Daher nennt man sie auch hochschwellige Rezeptoren.
Die meisten Nozizeptoren sind polymodal, weil sowohl noxische mechanische
Reize (z.B. starker Druck oder Quetschung), als auch noxische thermische Reize
(Temperatur > 43°C) und chemische Reize Aktionspotentiale auslösen.
Mechanonozizeptoren sprechen nur auf eine Modalität an.
Eine Untergruppe der Nozizeptoren besteht aus sensorischen Nervenfasern, die
unter normalen Bedingungen weder durch mechanische noch durch thermische
Reize zu erregen sind. Ein Teil dieser Nozizeptoren ist chemosensitiv.
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(*)
Struktur von Nozizeptoren
Schmidt, 2002
Schematische Darstellung der Ultrastruktur von Nozizeptoren
Die afferenten Nervenfasern von Nozizeptoren sind teils dünn myelinisiert (Gruppe
III- oder Aδ-Fasern), teils unmyelinisiert
(Gruppe IV- oder C-Fasern).
Links ist zu sehen, dass sich die Terminalen nach Austritt aus dem Perineurium
vielfach im Gewebe verzweigen. Jede
Endigung bildet in regelmässigen Abständen perlschnurartige Verdickungen
aus.
20
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Die vergrösserten Ausschnitte rechts im
Bild zeigen, dass die umgebenden
Schwann-Zellen an den „Perlen“ und der jeweiligen Endknospe Membranareale der
Nozizeptoren frei lassen, so dass diese in
unmittelbaren Kontakt mit der Umgebung
treten können. Diese freien Areale bilden
wahrscheinlich
die
reizaufnehmenden
Strukturen (Transduktionsareale) der Nozizeptoren.
Polymodale Nozizeptoren: sprechen sowohl auf intensive mechanische und thermische (Hitze, Kälte)
als auch auf chemische noxische Reize an.
Unimodale Nozizeptoren: sprechen auf nur eine Reizart an, z.B. thermische oder mechanische.
Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 6
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* Struktur und Antworteigenschaften von Nozizeptoren
A. Schematischer Längs- und Querschnitt der sensorischen Endigung
einer nozizeptiven C-Faser. Das
Axon ist von Schwannzellen bedeckt, aber in den Auftreibungen hat
das Axon direkten Kontakt zur
Umgebung.
B. Schematische Darstellung eines
Nozizeptors mit zwei rezeptiven
Feldern. Bei Reizung der rezeptiven
Felder werden Aktionspotentiale
ausgelöst, die am Axon abgegriffen
werden können. Die elektrische Reizung des Axons dient der Bestimmung der Leitungsgeschwindigkeit.
C. Antworten eines Nozizeptors auf
noxischen Druck, noxische Hitze
und chemische Reizung mit Bradykinin.
21
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*
Transduktionsmechanismen in Nozizeptoren
Die Erregung von Nozizeptoren durch noxische Reize entsteht durch Aktivierung von Ionenkanälen und
Rezeptoren in der sensorischen Endigung der Nozizeptoren.
Transduktion noxischer mechanischer Reize
Es wird vermutet, dass mechanische Reize einen Kationenkanal in der Membran öffnen und dadurch die
Endigung depolarisieren. Genauer Öffnungsmechanismus unbekannt.
Transduktion von Hitzereizen
Ein für die Aufnahme von Hitzereizen wichtiges Molekül ist der Vanilloidrezeptor (VR1; TRPV1). Er wird
durch die Substanz Capsaicin aktiviert, die im Pfeffer enthalten ist (Brennschmerz). Bindet Capsaicin an
den Rezeptor, wird ein Kationenkanal geöffnet, durch den ein Einwärtsstrom mit depolarisierender Wirkung
fliesst. Dieser Ionenkanal wird durch Hitzereize geöffnet (Hitzetransduktionsmolekül).
Chemosensibilität von Nozizeptoren
Über Rezeptoren in der sensorischen Endigung der Nozizeptoren aktivieren oder sensibilisieren Gewebsmediatoren, z.B. Entzündungsmediatoren wie Bradikinin und Prostaglandine die nozizeptiven Endigungen.
Viele Rezeptoren sind an G-Proteine gekoppelt (Second Messenger  Öffnung von Ionenkanälen).
Manche Rezeptoren sind direkt mit Ionenkanälen assoziiert (z.B. für Serotonin).
Säure-sensitive Ionenkanäle
Für die Chemosensibilität sind auch natriumpermeable Ionenkanäle von Bedeutung, die bei niederen pHWerten geöffnet werden. Entzündliche Exsudate haben häufig niedere pH-Werte.
22
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*
Transduktionsmechanismen in Nozizeptoren
Mutschler
Ionenkanäle und Rezeptoren für Mediatoren in Nozizeptoren
23
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Oben: Darstellung der Rezeptoren für Mediatoren.
Unten: Darstellung der vermuteten Ausstattung an Ionenkanälen.
Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 6
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*
Transduktionsmechanismen in Nozizeptoren
Transduktion mechanischer, chemischer und
thermischer noxischer Reize an polymodalen
Nozizeptoren
Die Figur zeigt die terminale Knospe eines Nozizeptors, worin die meisten der zur Zeit bekannten
Transduktionsmechanismen eingezeichnet sind.
Ferner findet sich Mechanismen von Sensibilisierung
und Desensibilisierung.
Individuelle Nozizeptoren enthalten jeweils nur einen
grösseren oder kleineren Teil der Membrankanäle
und Membranrezeptoren.
Schmidt, Pharmazie in unserer Zeit 2002; 31: 23-30
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(*)
Efferente Funktion von Nozizeptoren
Über die Freisetzung von Peptiden im Gewebe erzeugen Nozizeptoren eine neurogene
Entzündung.
Neurogene Entzündung
Werden Nozizeptoren gereizt, kommt es im von ihnen innervierten Gewebe häufig zu
lokalen Änderungen der Durchblutung und der Gefässpermeabilität. Neuronal bedingte
Entstehung der Symptome.
Diese efferente Funktion entsteht durch Freisetzung verschiedener Substanzen (z.B.
Substanz P, CGRP) aus den peripheren Endigungen. Sie trägt zur Entstehung vieler
entzündlicher Gewebeveränderungen bei.
Interaktion mit dem Immunsystem
Neben Vasodilatation und Permeabilitätserhöhung wird durch die Freisetzung von
Neuropeptiden aus Nozizeptoren auch die Tätigkeit von Mastzellen und Immunzellen
beeinflusst. Über diesen Weg kann das Nervensystem mit dem Immunsystem
kommunizieren.
25
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(*)
Zentrale Sensibilisierung
Fölsch / Abb 5.4
Sensibilisierung eines nozizeptiven
Neurons des Rückenmarks (zentrale
Sensibilisierung).
Bei
normalem
Gewebe (a) ist die dargestellte
Nervenzelle des Rückenmarks nur von
dem mit einem Kreis gekennzeichneten Areal (dem rezeptiven Feld
des Neurons) zu erregen. Bei Druck
auf die Stellen 2 und 3 treten Aktionspotenziale auf. Die Aktivierung von
umgebenden Zonen (Stimulation der
Stellen 1 und 4) führt nicht zu Aktionspotenzialen.
Nach Ausbildung einer Entzündung im
rezeptiven Feld (gepunktetes Areal; b)
nimmt die Antwort auf mechanische
Reizung des entzündeten Areals zu.
Darüber hinaus werden die Antworten
auf angrenzendes Gewebe verstärkt
(Reiz an Stelle 3), und auch bei
Reizung des umgebenden Gewebes
(Reizung an Stellen 1 und 4) werden
Antworten ausgelöst. Das rezeptive
Feld zeigt eine Expansion.
Das rezeptive Feld ist im übernächsten
Dia definiert.
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(*)
Das spinale nozizeptive System
Mutschler
Nozizeptive Rückenmarkzellen bilden zum Thalamus und Hirnstamm
aufsteigende Bahnen (Vorderseitenstrangbahn: Tractus spinothalamicus
und Tractus spinoreticularis). Die aufsteigenden Bahnen des nozizeptiven
Systems aktivieren das thalamokortikale System, das die bewusste
Schmerzempfindung erzeugt. Zerstörung der Vorderseitenstrangbahn
führt zu Störungen der Schmerz- und Temperaturempfindung.
Motorische Reflexe
Über nozizeptive Interneurone werden durch noxische Reize Motoneurone erregt und motorische Reflexe ausgelöst. Sie sind die Grundlage
der motorischen Schmerzkomponente (Wegziehreflex).
Vegetative Reflexe
Noxische Reize rufen auch vegetative Reflexe hervor, die die vegetative
Schmerzkomponente darstellen.
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Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 6
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(*)
Nozizeptive Spinalneurone
Rezeptive Felder spinaler nozizeptiver Neurone
Das rezeptive Feld einer Rückenmarkzelle ist das Areal, von dem aus das Neuron erregt werden kann.
Da viele Nozizeptoren auf eine nozizeptive Zelle des Rückenmarks konvergieren, ist das rezeptive Feld
eines Rückenmarkneurons grösser als das rezeptive Feld eines Nozizeptors.
Konvergenzmuster nozizeptiver Neurone
Zahlreiche nozizeptive Rückenmarkzellen erhalten ausschliesslich konvergenten Einstrom von
Hautnozizeptoren. Dieses Subsystem dient der Erzeugung des Oberflächenschmerzes.
Nozizeptoren aus dem Tiefengewebe (Gelenke, Muskulatur) enden synaptisch an Rückenmarkzellen,
die zusätzlich Einstrom von Hautnozizeptoren erhalten. Diese Zellen sind durch noxische Reizung des
Tiefengewebes und der Haut erregbar. Dagegen werden andere Rückenmarkzellen nur durcch
Nozizeptoren des Tiefengewebes aktiviert. Sie sind spezifisch für den somatischen Tiefenschmerz.
Alle Rückenmarkzellen, die von viszeralen Nozizeptoren synaptisch aktiviert werden, erhalten zusätzlich
afferenten Eingang von der Haut und/oder dem Tiefengewebe.
Übertragener Schmerz
Die starke Konvergenz von Nozizeptoren auf Rückenmarkneurone kann zur Folge haben, dass der
Schmerz trotz eines fokalen Krankheitsprozesses diffus und ausgedehnt empfunden wird. Sie kann
sogar dazu führen, dass der Ort der Schmerzentstehung falsch interpretiert wird. Bei einer viszeralen
Erkrankung wird der Schmerz häufig nicht dort empfunden, wo er entsteht, sondern er wird in das
somatische Areal übertragen, dessen Afferenzen in denselben Segmenten wie die viszeralen enden
(z.B. bei Ischämie des Herzens  Schmerz im linken Arm).
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Konvergenz von nozizeptiven Afferenzen
Grün: aszendierende Rückenmarkneurone mit verschiedenen Eingängen.
Rot: Nozizeptoren aus verschiedenen Geweben
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Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 6
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(*)
Synaptische Übertragung im Rückenmark
Mutschler
Die synaptische Erregung von nozizeptiven Rückenmarkzellen erfolgt durch die Freisetzung von
Glutamat. Neuropeptide und andere Mediatoren modulieren die synaptische Übertragung.
Eine Rückenmarkzelle erhält erregende Eingänge von einem Mechanorezeptor (Aδ-Faser), einem Nozizeptor (C-Faser) und hemmende
Eingänge von einem Interneuron.
Unten dargestellt sind Rezeptoren
für diese Mediatoren in der postsynaptischen Membran.
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Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 6
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Thalamokortikales nozizeptives System
Die Erzeugung einer bewussten Schmerzempfindung ist von der Aktivierung des thalamokortikalen Systems abhängig.
Im Schlaf ist die Weiterleitung sensorischer Information vom Thalamus zum Kortex blockiert.
Nur wenn sich das thalamokortikale System im Wachzustand befindet, empfinden wir
Schmerzen. Starke Schmerzreize aktivieren das aufsteigende retikuläre System, so dass wir
aufgeweckt werden.
In Narkose ist die bewusste Wahrnehmung von Schmerzreizen aufgehoben. Die
nozizeptiven Vorgänge in Primärafferenzen und im Rückenmark werden dagegen nicht
ausgeschaltet.
 Moderne Narkose: Kombination von Schmertherapie und Ausschaltung des Bewusstseins.
Laterales thalamokortikales System
Sensorisch-diskriminative Schmerzkomponente
Mediales thalamokortikales System
Affektive Schmerzkomponente, Gedächtnisbildung,
Schmerzreizen
Aufmerksamkeitsreaktionen
bei
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Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 6
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(*)
Endogene Schmerzkontrollsysteme
Mutschler
Deszendierende Bahnen
- vermitteln deszendierende Hemmung
- PAG (periaquäduktales Grau) hat Schlüsselrolle
- Stimulation des PAG kann eine totale Analgesie erzeugen
Durch die deszendierende Hemmung wird die Schwelle der
Rückenmarkneurone angehoben und ihre Antworten auf noxische
Reize werden abgeschwächt (endogenes antinozizeptives
System).
Endogene Opioide wie Endorphine, Endomorphine, Enkephaline
und Dynorphine sind wichtige Mediatoren des endogenen
antinozizeptiven Systems. Freisetzung der endogenen Opioide
und Aktivierung der Opioidrezeptoren hemmt neuronale
nozizeptive Aktivität.
32
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Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 6
32
(*)
Klinisch bedeutsame Schmerzen
Klinisch bedeutsame Schmerzen sind häufig Schmerzen, die uns eine Krankheit anzeigen. Ohne
warnende Schmerzen können Krankheiten lange Zeit unbemerkt bleiben (z.B. Krebserkrankungen).
Schmerzen erzwingen ein Verhalten, dass Heilung fördert. Klinisch bedeutsame Schmerzen entstehen
nicht nur durch eine einfache Aktivierung des nozizeptiven Systems, sondern hierbei spielen Prozesse der
Neuroplastizität eine grosse Rolle.
Pathophysiologische Nozizeptorschmerzen (Entzündungsschmerzen)
Die Erkrankung eines Organs (z.B. Entzündung) führt zu charakteristischen Schmerzerscheinungen,
nämlich zu Hyperalgesie und Ruheschmerzen. Eine Hyperalgesie ist häufig nicht auf den Ort der
Schädigung begrenzt, sondern sie umfasst auch eine Zone im gesunden Gewebe um den Krankheitsherd
herum.
Kutane Hyperalgesie: Sonnenbrand (thermische und mechanische Hyperalgesie)
Algesie im tiefen Gewebe: Bewegungsschmerz bei Gelenkentzündung
Neuropathische Schmerzen
Neuropathische Schmerzen entstehen durch Schädigung von Nervenfasern (z.B. Druck einer Bandscheibe
auf Hinterwurzeln oder bei Diabetes mellitus). Solche Schmerzen sindhäufig bohrend, brennend,
einschiessend und stehen oft in keinem Zusammenhang zu einem noxischen Reiz. Sie werden als
abnormal empfunden. Hyperalgesie und Allodynie kann beobachtet werden.
Phantomschmerz (Entfernung eines Nervenastes), zentrale Schmerzen (Schädigung im ZNS)
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(*)
Erscheinungsformen klinischer Schmerzen
Symptom
Definition
Hyperalgesie
Stärkere Schmerzempfindung als normal bei schmerzhafter
Reizung; Senkung der Schmerzschwelle, so dass normalerweise
nicht-schmerzhafte Reizintensitäten als schmerzhaft empfunden
werden (Allodynie)
Thermische Hyperalgesie
Erhöhte Schmerzempfindlichkeit für thermische Reize
Mechanische Hyperalgesie Erhöhte Schmerzempfindlichkeit für mechanische Reize
Primäre Hyperalgesie
Hyperalgesie im Bereich einer Schädigung bzw. Erkrankung
Sekundäre Hyperalgesie
Hyperalgesie im gesunden Gewebe ausserhalb des
Krankheitsherdes
Allodynie
Auftreten von Schmerzen durch Berührungsreize
Ruheschmerzen
Spontane Schmerzen ohne willkürliche mechanische oder
thermische Reizung
34
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*
Entzündungsschmerzen
Periphere Mechanismen
A. Bindung und Freisetzung von
Entzündungsmediatoren aus Entzündungszellen, Thrombozyten und dem
Plasma. Diese bilden im Bereich der
sensorischen Nervenendigung ein
entzündliches chemisches Milieu.
B.
Senkung der Antwortschwelle
eines Nozizeptors im Laufe des
Sensibilisierungsprozesses: Die Nervenendigung wird so empfindlich für
mechanische und thermische Reize,
dass auch normalerweise nicht nicht
noxische Reize die Faser erregen.
Sensibilisierung eines Nozizeptors bei Entzündung
35
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(*)
Phantomschmerz
Ursache
Phantomschmerz ist eine neuropathische Schmerzkrankheit, die nach Amputation oder Verlust eines
Körperteils auftritt. Hierbei wird der Schmerz bizarrerweise gerade in dem fehlenden Körperteil empfunden.
Der Schmerz ist extrem unangenehm, tritt episodenhaft auf und wandert häufig in der fehlenden Extremität
von distal nach proximal.
Pathophysiologie
Beim Phantomschmerz liegt eine pathologische Aktivierung des nozizeptiven Systems vor, verbunden mit
neuroplastischen Veränderungen im Kortex. Am Nervenstumpf können ektopische Entladungen entstehen,
die das nozizeptive System inadäquat aktivieren. Zusätzlich zeigt der Kortex eine Reorganisation, bei der
die somatotopischen Areale der fehlenden Extremität von benachbarten Körperteilen aus aktiviert werden
können. Hierdurch kann es zu pathologischen Aktivierungen kommen, die in die fehlende Extremität
projiziert werden.
Therapie
In den Fällen, in denen ektopische Entladungen aus dem Nervenstumpf die Schmerzattacken verursachen,
kann die Applikation eines Lokalanästhetikums in nahegelegene Nerven oder Plexus vorübergehend
Schmerzlinderung erzielen.
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Schmerzchronifizierung durch Lernprozesse
Lernprozesse können zur Persistenz von Schmerzen führen.
Kortikale Lernprozesse
Ein Schmerzreiz kann wie viele andere Reize zu kortikalen Lernprozessen führen. Typisch für kortikale
Lernprozesse ist Assoziation. Sowohl in Vorgängen der klassischen als auch der operanten
Konditionierung wird der Schmerz mit anderen Erlebnisinhalten in Verbindung gebracht.
Ein Schmerzpatient kann die Erfahrung machen, dass er wegen seines Schmerzes deutlich mehr
Zuwendung erfährt oder dass z.B. Rückenschmerzen ehrer als Begründung für Arbeitsunfähigkeit
akzeptiert werden als ein persönlicher Leistungsverlust (positive Verstärkung des Schmerzes).
Dissoziation von Nozizeption und Schmerz
Bei akuten Schmerzen besteht meist eine gute Korrelation zwischen Nozizeption und Schmerz. Das
Ausmass des Schmerzes wird vom Ausmass der Nozizeption bestimmt. Kommt es durch
Schmerzempfindung zu Lernprozessen, verliert der Schmerz mehr und mehr die ursprüngliche Funktion
(Warnung vor Gewebeschädigung). Dem Schmerz wird eine psychologische Bedeutung zugemessen.
Häufig sind dem Patienten Lernprozesse nicht bewusst.
37
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37
*
Spezielle Schmerzzustände (1)
H
Allodynie ist eine Schmerzempfindlichkeit der Haut bei Einwirkung von normalen mechanischen
oder thermischen Reizen, die auf eine inadäquate Reaktion der Nozizeptoren auf nichtnoxische
Reize zurückzuführen ist.
H
Hyperalgesie ist eine gesteigerte Schmerzempfindlichkeit bei Einwirkung noxischer Reize,
verursacht durch Sensibilisierung der Nozizeptoren (z.B. beim Sonnenbrand).
H
Hyperpathie ist eine veränderte Schmerzempfindlichkeit, die dadurch charakterisiert ist, dass
der Schmerz verzögert einsetzt, dann verstärkt auftritt und schliesslich den Reiz längere Zeit
überdauert.
H
Hypoalgesie ist eine verminderte Schmerzempfindlichkeit bei Einwirkung von noxischen Reizen.
H
Analgesie ist Schmerzlosigkeit, wie sie in der Regel bei Durchtrennung oder Blockade eines
Hautnerven zu beobachten ist.
H
Anästhesie ist eine Unempfindlichkeit in Bezug auf alle Sinnesmodalitäten.
H
Parästhesie ist eine Missempfindung (z.B. Kribbeln, Stechen, Taubheitsgefühl in der Haut), die
bei partieller Schädigung oder bei gestörter Blutversorgung sensibler Nervenbahnen auftritt.
38
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38
*
Spezielle Schmerzzustände (2)
Projizierter Schmerz entsteht z.B. bei heftiger
mechanischer Reizung des am Ellenbogen oberflächlich
verlaufenden N. ulnaris, wobei es bekanntlich zu schwer
beschreibbaren Missempfindungen im Versorgungsgebiet dieses Nerven kommt.
Neuralgie entsteht bei fortgesetzter Reizung eines
Nerven oder einer Hinterwurzel, die sich in phasen- oder
attackenweise auftretenden Schmerzen äussert und die
ebenfalls so empfunden werden, als ob sie im jeweiligen
Versorgungsgebiet ausgelöst worden wären.
Kausalgie. Bei schweren Nervenverletzungen, insbesondere bei Schussverletzungen, treten häufig quälende
Schmerzen im zugehörigen Versorgungsgebiet auf.
39
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39
*
Spezielle Schmerzzustände (3)
Übertragener Schmerz
Reizung von Nozizeptoren der Eingeweide
wird oft nicht als Eingeweideschmerz, sondern als Schmerz an der Körperoberfläche
empfunden. Die Übertragung erfolgt immer in
den Abschnitt der Peripherie, der vom selben
Rückenmarksegment wie das betroffene Organ versorgt wird.
Head-Zonen und ihre Beziehungen zu Organen und
Spinalsegmenten.
40
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*
Spezielle Schmerzzustände (4)
Muskeltonus und Muskelschmerz
Zentraler Schmerz
Die Reizung viszeraler oder somatischer Nozizeptoren führt gelegentlich zur Erhöhung des
Muskeltonus, in Extremfällen zu reflektorischen
Dauerkontraktionen, d.h. Muskelverspannungen.
Der erhöhte Muskeltonus führt nun seinerseits zu
Überempfindlichkeit des Muskels.
Mechanische Defekte oder funktionelle Störungen des schmerzvermittelnden Systems im
Rückenmark oder Gehirn können Spontanakativität in diesen Strukturen und damit
starke Schmerzen auslösen. Beispiele:
Thalamussyndrom
Bei Schädigung des Thalamus (zerebrale
Durchblutungsstörung, Hirntumor) können heftige, auf Analgetika nicht ansprechende
Schmerzen in der kontralateralen Körperhälfte
mit Sensibilitätsstörungen, Hyperkinesen oder
Hemiparesen resultieren.
Anaesthesia dolorosa
Nach vollständiger Unterbrechung der Nervenleitung (z.B. nach Spinalnervenwurzelausriss) kann sich trotz völligen Ausfalls der
Oberflächensensibilität im gleichen Areal ein
lokaler Schmerz einstellen.
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41
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Kopf- und Gesichtsschmerzen
H Migräne. Unter einer Migräne versteht man chronisch-rezidivierende, anfallsweise auftretende, häufig (aber nicht obligat) halbseitig, bevorzugt bei Frauen vorkommende Kopfschmerzen
wechselnder Häufigkeit, Stärke und Dauer. Die Prävalenz beträgt ca. 10% (Verhältnis Frauen zu
Männer 3:1). Die Ursache ist nicht bekannt.
H Cluster-Kopfschmerz (Bing-Horton-Syndrom) ist durch - häufig aus dem Schlaf heraus
auftretende - streng einseitige Kopfschmerzattacken von unerträglich bohrendem und brennendem Charakter mit einer Dauer zwischen 20 Min. und 2 Std. gekennzeichnet. Das Maximum
der Schmerzempfindung liegt dabei im Bereich um das Auge und dahinter.
H Spannungskopfschmerz ist charakterisiert durch beidseitig auftretende Kopfschmerzen,
dumpf-drückend und vorwiegend im Nacken oder Hinterkopf empfunden (keine Übelkeit, kein
Erbrechen oder Sehstörungen). Die Schmerzintensität ist meist mittelstark.
H Analgetika-induzierter Kopfschmerz. Chronischer Schmerzmittelgebrauch kann zu dumpfdrückenden Dauerkopfschmerzen führen, die meist beim Aufwachen vorhanden sind und den
ganzen Tag über bestehen bleiben. Pathogenetisch wird eine Erniedrigung der zentralen
Schmerzschwelle angenommen.
H Trigeminusneuralgie ist gekennzeichnet durch anfallsweise, vorwiegend im Bereich des 2.
und 3. Trigeminusastes auftretende, einseitige, sehr heftige, bohrende oder schneidende, aber
nur kurz (Sekundenbruchteile, max. 1-2 Min.) dauernde Schmerzen. Andere sensorische oder
motorische Störungen bestehen nicht. Typische Auslöser sind Berührungs- oder Kältereize sowie
Sprechen oder Kauen.
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(*)
Migräne
43
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43
(*)
Migräneaura
Flimmerskotom
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Schmerztherapie (1)
Zahnarzt (Lucas von Leyden, 1523)
45
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Heilmeister (Du Sart, 1695)
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45
(*)
Schmerztherapie (2)
Schmidt, 2002
Angriffspunkte bei einer Schmerztherapie
Übersicht über mögliche pharmakologische Angriffspunkte auf peripherer, spinaler und supraspinaler Ebene
bei akuten und chronischen Schmerzen.
Oben ist der Entstehungsweg von Nozizeptorschmerzen zu sehen, in der Mitte die beteiligten
Verarbeitungsprozesse. Unten ist gezeigt, dass eine kausale und quasikausale Therapie von Schmerzen
aus Nozizeptorerregung nur im peripheren Gewebe möglich ist.
46
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46
Schmerztherapie (3)
Kuhlen, Pharmazie in unserer Zeit, 1:13-22, 2002
47
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47
(*)
Schmerztherapie (4)
Schmidt, 2002
Schmidt, Pharmazie in unserer Zeit 2002; 31: 23-30
Angriffspunkte bei einer Schmerztherapie
Verschiedene Angriffspunkte für Therapeutika bietet
die Signalweiterleitung vom geschädigten Gewebe
über das Rückenmark zum Gehirn.
48
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Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 6
48
Molekulare Aspekte der Schmerzkontrolle
Zwei Beispiele:
• Vanilloid Rezeptor TRPV1 und Liganden
• Prostaglandine und Rezeptoren
49
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Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 6
49
Vanilloid und TRP-Kanäle
Der Vanilloid-Rezeptor VR1 entspricht dem TRP
(Transient receptor potential) Subtyp TRPV1:
dieser wird z.B. durch Capsaicin (und Strukturanaloge) aktiviert.
Die TRPs werden in
mind. 3 Klassen von
Ionenkanälen
eingeteilt (Typen -C, -V und
-M). Davon gehören
die
TRPV1---TRPV6
zu den vanilloid TRPs.
TRPV1---TRPV4 werden durch Hitze, Säure
u.ä. Signale aktiviert;
bei TRPV5 und -6
handelt es sich um
Ca2+-Kanäle
(ECaC
bzw. CAT1).
Die Vanilloid-Rezeptoren (bzw. die TRPV)
spielen bei der Übertragung von Schmerzsignalen eine wichtige
Rolle.
Benham et al, Neuropharmacology 2002; 42: 873-888
50
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Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 6
50
TRPV1-Kanal und Vanilloide
Molecular mechanisms involved in the functioning of TRPV1 in inflammatory conditions. Reduction of the heat threshold of TRPV1 to well below body
temperature may be induced by binding of endovanilloids, protons, anandamide, or lipoxygenase products. Posttranslational modifications (removal of
phosphatidylinositol-4,5-biphosphate [PtdIns(4,5)P2] and protein kinase C [PKC]-mediated phosphorylation) can also produce this effect. Protein kinase A (PKA)mediated phosphorylation also sensitizes TRPV1. Phosphatidylinositol 3-kinase (PI3K) activity induced by nerve growth factor (NGF) and ATP-binding also potentiates
responses evoked by endovanilloids. The molecular mechanisms involved in the functioning of TRPA1 and TRPV4 remain to be elucidated. AC = adenylyl cyclase;
ASIC = acid-sensing ion channel; ATP = adenosine triphosphate; EP receptors = receptors for prostaglandin E2; G prot = G protein; 5(S)-HETE = 5hydroxyeicosatetraenoic acid; 15(S)-HETE = 15-hydroxy-eicosatetraenoic acid; 12(S)-HPETE = 12-hydroperoxyeicosatetraenoic acid; 15(S)-HPETE = 15hydroperoxyeicosatetraenoic acid; NAPE-PLD = N-acylphosphotidylethanolamine phospholipase D (involved in anandamide production in primary sensory neurons);
PLA = phospholipase A; PLC = phospholipase C; trkA = neurotrophic tyrosine kinase receptor type 1; TRPV1 = transient receptor potential vanilloid type 1 ion channel;
51 questionmark = an unidentified enzyme producing anandamide in a Ca2+-independent manner.
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Vanilloid-Rezeptor-Agonisten
Julius D, Basbaum AI. Nature 2001; 413: 203-210
Natürliche und synthetische Vanilloid-Rezeptor-Agonisten
Capsaicin (8-Methyl-N-vanillyl-6-nonenamid) ist
die aktive Substanz des Chilipfeffers und
induziert bei Kontakt in jedem Gewebe einen
brennenden Reiz. Capsaicin und Verwandte gehören zu den Capsaicinoiden, die als sekundäre
Metaboliten gegen Herbivoren gebildet werden.
Capsaicin ist hydrophob, farb- und geruchlos.
Anandamid ist ein endogener Lipidmetabolit mit
ähnlicher Struktur wie die Arachidonsäure (wurde
ursprünglich als Ligand des Cannabis-Rezeptors
entdeckt).
Olvanil und AM404 sind synthetische Produkte.
15-HPETE ist ein Lipooxygenase-Produkt aus
dem Arachidonsäuremetabolismus.
52
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Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 6
52
Schaltung des VR1 (TRPV1)
Zusammenfassung der Faktoren, welche
die Schaltung des Vanilloid-Rezeptors
VR1
(TRPV1)
zum
offenen
bzw.
geschlossenen Zustand regulieren.
Di Marzo et al, Curr Op Neurobiol 2002; 12: 372-379
53
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Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 6
53
TRPV1 in der multiplen Thermoregulation
Gavva NR, Trends Pharmacol Sci 2008; 29: 550-557
54
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TRPV1 as a part of one of the multiple counterbalancing thermoregulators. Multiple tonically active ion channels and/or GPCRs are
hypothesized to regulate thermoeffectors in a counterbalancing manner. TRPV1 has a suppressive tone on the body temperature and
one of the other TRP channels or GPCRs might counterbalance this effect by an enhancing tone on body temperature. An imbalance
caused by an agonist or an antagonist of one of these molecular thermoregulators results in either transient hypothermia or hyperthermia.
Still to be identified are which TRP channels or GPCRs are tonically active that might have an enhancing tone on body temperature.
Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 6
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Prostaglandine
R
Prostanoide spielen eine vielfältige Rolle:
• halten die Integrität der Magenschleimhaut aufrecht
• lösen Fieber aus
• erhöhen den Blutfluss und die Gefässpermeabilität
• aktivieren Nozizeptoren
Prostanoide leiten sich von der Arachidonsäure ab und werden
durch Cyclooxygenasen (COX) gebildet.
COX-1 ist konstitutiv exprimiert und reguliert hauptsächlich die
Integrität der Magenschleimhaut sowie die Thrombozytenaggregation.
COX-2 wird in verletztem oder entzündetem Gewebe induziert und
ist verantwortlich für die proinflammatorische Prostanoidsynthese.
COX-3 ist konstitutiv exprimiert, besonders im Gehirn.
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Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 6
55
Expression von Cyclooxygenasen
K. Ballmer, PSI Villingen
COX-2 ist Angriffspunkt für NSAIDs (non-steroidal anti-inflammatory drugs) bei der Entzündungshemmung
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Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 6
56
Biosynthese der Prostaglandine
Cyclopentane ring formation
(Artificially produced)
PGG, PGH, PGI, TxA: chemically unstable,
with a half-life 30 s to a few min
Oxane ring
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Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 6
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Prostanoide und ihre Rezeptoren
PGE2: EP receptor
cAMP, IP3, Ca2+; in muscle
PGF2α: FP receptor
IP, Ca2+; in corpora lutea
PGD2: DP receptor
cAMP; ubiquitous
TXA2: TP receptor
Ca2+, DAG; platelet, muscle
PGI2:
cAMP, PIP2; nociceptors etc.
IP receptor
58
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Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 6
58
Structure of Human TXA2 Receptor
GPCR with 343 amino acid
residues (cloned 1991)
Isolated mass: 57 kDa
Calculated mass: 37 kDa
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Two isoforms of the TXA2 prostanoid receptor which are different in their C-terminal tail. Amino acid residues conserved in most of
prostanoid receptors are shown by solid circles. N-Glycosylation at Asn4 and Asn16 is indicated by -CHO, and a putative disulfide
bond between the first and the second extracellular loop are shown.
Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 6
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Der Fall: Knochenkrebs
Yamada et al, J Anesth 2007, 21: 277-281
A 63-year-old man with hepatic cancer and right femur metastasis received POP
(percutaneous osteoplasty) to the femur (left). He had previously undergone RT
(radiation therapy) to the femur. However, he experienced recurrent right-leg pain.
POP was performed with the patient in the semilateral position, and 6 ml of PMMA
(polymethylmethacrylate) was injected, after which he could walk easily. Four days
after the POP, however, he fell and fractured his left femur in the treated area
(rechts).
Perkutane Osteoplastie am Oberschenkelknochen eines Patienten mit metastasierendem Leberkrebs; der Patient empfand
zuvor nach Bestrahlungstherapie beim
Gehen nach wie vor starke Schmerzen.
Mit der Nadel wurden 6 ml PMMA (Polymethylmethacrylat, Plexiglas) eingespritzt.
Der Patient konnte nun wieder problemlos
gehen.
Wegen eines Sturzes des Patienten
4 Tage nach der POP kam is zum
Knochenbruch.
60
25/10/10
Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 6
60
Schmerzen bei Knochenkrebs
Osteosarkome sowie Knochenmetastasen, die häufig von Mammakarzinomen und Prostatakarzinomen stammen (betrifft 70% der Patienten mit
solchen Tumoren), lösen zuerst intermittierenden, später chronischen
Schmerz aus.
Nach externer Radiotherapie des Tumors oder Chemotherapie bzw. nach
Behandlung mit Bisphosphonaten zur Stabilisierung des betroffenen
Knochengewebes nehmen die Schmerzen ab (unbekannter Mechanismus).
Bei fortgeschrittenem Tumor werden häufig Opiate eingesetzt; jedoch ist
die erforderliche Dosis hoch (120 mg/Tag). Trotz Opiaten kann es zu
Schmerzzuständen kommen, und Opiate haben eine Reihe von Nebenwirkungen.
Um neue und bessere Behandlungsmethoden bei Knochenkrebs zu entwickeln, muss man den Mechanismus der Schmerzentstehung bei dieser
Art Tumor herausfinden, was ein experimentelles Modell verlangt.
61
25/10/10
Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 6
61
Osteosarkom und Schmerz
Robbins
Osteosarkom: Häufigster maligner Knochentumor (v.a. bei Knaben im 2. Lebensjahrzehnt) mit
mesenchymalem Ursprung. Der Tumor ist meist metaphysär in den langen Röhrenknochen
lokalisiert (Verteilungsmuster s. rechtes Bild). Ursache: Gen-Defekte, z.B. im Rb- und im p53-Gen;
stark erhöhtes Risiko für Patienten mit erbl. Retinoblastom. Ein zweiter Häufigkeitspeak findet sich
im fortgeschrittenen Alter mit der Ausbildung einer Osteosarkom-Paget-Krankheit (Paget-Sarkom).
Knochentumoren führen zu einer markanten Einbusse der Lebensqualität und zu Schmerz.
A: Oberschenkelknochen der Maus.
B: Sensorische Nervenfasern im Periosteum, Knochen
und Knochenmark.
Osteosarkom am
oberen Ende der
Tibia (Schienbein)
62
25/10/10
Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 6
62
Progrediente Osteolyse bei Knochentumoren
Tiermodell: Intramedulläre Injektion von osteolytischen Sarkomazellen in den Oberschenkelknochen
A: Normales Knochenmark und intakter Oberschenkelknochen der Maus.
B: Im Sarkom-befallenen Oberschenkelknochen ist ein Teil des Knochenmarks durch Tumorzellen ersetzt und es zeigt sich
eine Invasion von Tumorzellen ins Knochengewebe und als Folge eine Osteolyse (Zersetzung des Knochengewebes).
C: Verschiedene Stadien der Osteolyse (0, Kontrolle. 1, intramedulläre Osteolyse. 2, intramedulläre Osteolyse mit kortikaler
Erosion (erste Lamelle des Röhrenknochens). 3, intramedulläre Osteolyse mit kompletter kortikaler Erosion (beide Lamellen).
63
25/10/10
Reference: Clohisy & Mantyh, Cancer 2003; 97 (3 Suppl): 866-873
Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 6
63
Auswirkungen im Rückenmark
Im Bereich des vierten Lendenwirbels kommt es im
Rückenmark zu einer massiven Astrozytose (Vermehrung
der Sternzellen), und zwar nur in der ipsilateralen Hälfte
(bezüglich des befallenen Knochens).
GFAP (glial fibrillary acidic protein) als Marker für Astrozyten zeigt massive Erhöhung der Zellzahl ipsilateral.
Während die Astrozytenzahl ipsilateral ansteigt (hier ist
GFAP grün markiert), bleibt die Neuronenzahl praktisch
unverändert (NeuN-Protein, rot markiert).
Weitere neurochemische Veränderungen:
Dynorphin (prohyperalgesisches Peptid):
erhöht
cFos (Marker für neuronale Aktivität):
erhöht
64
25/10/10
Reference: Clohisy & Mantyh, Cancer 2003; 97 (3 Suppl): 866-873
Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 6
64
Auswirkungen auf Substanz-P-Rezeptoren
(Substanz P als Beispiel eines der Neurotransmitter)
Palpieren des Oberschenkels mit Tumor führt zu einer Schmerzreaktion (A) und zu einer markanten
Internalisierung von Substanz-P-Rezeptoren in peripheren Neuronen (C), während Palpieren des
Oberschenkels ohne Tumor weder eine Schmerzreaktion (A), noch Internalisierung von Substanz-PRezeptoren auslöst (B).
65
25/10/10
Reference: Clohisy & Mantyh, Cancer 2003; 97 (3 Suppl): 866-873
Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 6
65
Substanz P (SP)
Peptid-Familie:
Tachykinin Peptid-Familie:
- Substanz P
- Neurokinin A
- Neurokinin B
- Neuropeptid K
- Neuropeptid-γ
Präkursoren:
Präprotachykinin-A und -B
- PPT-A
- PPT-B
Struktur von SP:
H-Arg-Pro-Lys-Pro-Gln-Gln-Phe-Phe-Gly-Leu-Met-NH2
Rezeptoren:
3 G-Protein-gekoppelte Rezeptorsubtypen: NK-1, NK-2 und NK-3 Rezeptoren
Lokalisation:
- in verschiedenen Regionen des ZNS
- in peripheren Neuronen des Intestinaltraktes sowie auch der Lunge, der
Blutgefässe, Harnwege, Haut und des Immunsystems
- in endokrinen Zellen des Intestinaltrakts und in endokrinen Tumoren
Physiolog. Rolle:
- kardiovaskuläres System: hypotensive Wirkung im arteriellen Kreislauf,
Erhöhung des Blutflusses durch Erhöhung des Herz-Zeit-Volumens, Vasodilatation im Koronarkreislauf sowie auch in der Leber, Lunge und Haut
- Erhöhung der Darmmotilität, Speichelsekretion, Sekretionen im Pankreas
und Dünndarm
- Im ZNS spielt SP eine Rolle als Neurotransmitter/Neuromodulator in jene
Zentren, die einerseits die Regulation des Blutdrucks, der Atmung und gastrointestinalen Motilität und andererseits verschiedenen Verhaltensformen
(z.B. Angst, Schmerz, Aggression) sowie Lernen und Gedächtnis steuern.
66
25/10/10
Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 6
66
Targeting mit SP-Zytotoxin-Konjugaten
Zielzellen (Target)
Eine Population von Ganglien der Dorsalwurzel (hintere
Spinalnervenwurzel) produziert SP und transportiert diese
zum Rückenmark, wo SP aufgrund eines Schmerzsignals
freigesetzt wird. SP stimuliert Neuronen des Rückenmarks,
welche für die Nozizeption (Schmerzleitung) zuständig sind.
Diese Neuronen exprimieren Rezeptoren für SP, welche bei
der Vermittlung des Schmerzsignals eine Rolle spielen.
Targeting Substanz (Compound)
Substanz P - Zyotoxin - Konjugat: SP-SAP
SP-SAP
Saporin---Arg-Pro-Lys-Pro-Gln-Gln-Phe-Phe-Gly-Leu-Met-NH2
Saporin ist ein Ribosomen-inaktivierendes Protein (ca. 30 kDa)
Bindung
SP-R
Internalisierung
Wirkung des Targeting
SP-Rezeptor-vermittelte Internalisierung von SP-SAP in Neuronen, welche
SP-Rezeptoren exprimieren, führt zur Inaktivierung der Ribosomen und
somit schliesslich zum Zelltod.
Inaktivierung
Zelltod
67
25/10/10
Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 6
67
In vivo Zytotoxizität von SP-SAP
Zytotoxizität nach intraduraler Injektion
von SP-SAP ins Rückenmark
A: Immunfluoreszenz von SP-R im konfokalen
Mikroskop 28 Tage nach Infusion von Kochsalzlösung (Kontrolle).
B: Immunfluoreszenz von SP-R im konfokalen
Mikroskop 28 Tage nach Infusion von SP-SAP.
Hier ist die Zahl der Neuronen, die SP-R-positiv
sind, in der Lamina I markant reduziert, verglichen mit den Kontrollen (vgl. Pfeile).
Die zytotoxische Wirkung von SP-SAP ist beschränkt auf Lamina-I-Neuronen im Bereich der
Wirbel L2 bis L5.
Balkenlänge: 400 µm
Reference: Mantyh et al. Science
1997; 278: 275-279
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Pathobiologie - HS 2010 - Lektion 6
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Langzeitwirkung von SP-SAP
Reference: Nichols et al. Science 1999; 286: 1558-1561
Die Langzeitwirkung in drei verschiedenen Verhaltensmustern
wurden 30, 100 und 200 Tage nach Infusion von (1) SAP, (2) SPSAP oder (3) Kochsalz untersucht:
(A) Nocifensive behavior (Beobachtungsperiode: 0 - 5 Min. nach
Injektion von Capsaicin).
(B) Thermal withdrawal latency (paw withdrawal latency) in
Sekunden.
(C) Withdrawal response frequency (paw withdrawal threshold) auf
mechanischen Reiz.
Beobachtung: Kochsalz, SP (nicht abgebildet), SAP ergaben alle eine
analoge Kurve. Einzig SP-SAP führte zu einem verminderten
nocifensive behavior, zu einer vergrösserten withdrawal latency sowie
zu einer verminderten withdrawal response frequency.
Folgerung: Die Destruktion von SP-Neuronen in der Lamina I
reduziert die Schmerzvermittlung ins ZNS.
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