ARBEITSBLATT 57 Aufbau und Funktion der Mundharmonika Mundharmonikas sind Instrumente mit so genannten durchschlagenden, also frei schwingenden Zungen, die mit Hilfe des menschlichen Atems zum Schwingen gebracht werden. Dabei unterscheidet man vor allem zwei Typen: diatonische und chromatische Instrumente. Diatonische Mundharmonikas sind immer auf eine einzige Tonart beschränkt, chromatische hingegen sind in allen Tonarten spielbar. Letztere lassen sich über einen Schiebemechanismus steuern: Zwei Kanzellenreihen sind um einen Halbton versetzt gestimmt. Ist der Schieber nicht gedrückt, erklingt beispielsweise C-Dur, ist er gedrückt Cis-Dur. Kanzellenkörper Der Kanzellenkörper enthält Aussparungen, die Luftkanäle (Kanzellen). In diesen Aussparungen liegen die Stimmzungen. Kanzellenkörper gibt es aus Holz, Kunststoff oder Metall mit jeweils unterschiedlichen Klangeigenschaften. Stimmzungen Die Stimmzungen sind an einem ihrer Enden, dem so genannten Stiefel, auf den Stimmplatten befestigt (meist genietet, seltener geschweißt), und zwar jeweils über einem Stimmzungenschlitz. Durch diesen Schlitz fließt der Luftstrom beim Spielen und regt die Stimmzunge zu Schwingungen an. Die entstehende Tonhöhe hängt von Dichte und Elastizität des Stimmzungenmaterials sowie von der Dicke und Länge der Stimmzunge ab. Die längsten Zungen erzeugen die tiefsten, die kürzesten die höchsten Töne. Stimmplatten Die Stimmplatten sind der Träger für die Stimmzungen. Sie bestehen meist aus Messing. Die Stärke der Stimmplatten beeinflusst Klang und Lautstärke des Instruments. Es gibt bei jedem Instrument eine Blas- und eine Ziehton-Stimmplatte; beim Hineinblasen, also Ausatmen, erklingt jeweils ein anderer Ton als beim Einatmen oder „Ziehen“. Mundharmonikas sind also wechseltönige Instrumente. Deckplatten Bei den meisten Mundharmonikas sind die Deckelplatten aus Blech gefertigt. Sie schützen den Kanzellenkörper und die Stimmplatten mit den Stimmzungen vor äußeren Einflüssen. Wichtiges Merkmal ist hier das Design. Diatonische Mundharmonika obere Deckplatte Kanzellen-Öffnung Kanzellen-Körper Chromatische Mundharmonika obere Deckplatte Blaston-Stimmplatte Kanzellen-Körper Ziehton-Stimmplatte untere Deckplatte Betätigung des Schiebers bei der chromatischen Mundharmonika 58 ARBEITSBLATT Tonerzeugung auf der Mundharmonika Bei einer Mundharmonika gelangt beim Anspielen Luft in kleine Luftkanäle, die Kanzellen. Diese Atemluft bringt die „durchschlagenden“ Stimmzungen im Inneren der Kanzellen zum Schwingen. Der Luftstrom wird dadurch regelmäßig unterbrochen – und ein Ton entsteht. Die hineingeblasene Luft versetzt die Stimmzungen im Inneren der Mundharmonika in Schwingung. Innen sieht das so aus: Die Stimmzungen aus Metall ... ... sind nur an einem ihrer Enden auf der Stimmplatte befestigt; das andere schwingt frei. Geschichte der Mundharmonika Schon vor 3000 Jahren bauten die Chinesen ein Instrument mit frei schwingender Stimmzunge: die Sheng. Noch heute wird sie in Asien gespielt, zum Teil aber auch in europäischen Kompositionen verwendet, beispielsweise bei John Cage. Erst Ende des 18. Jahrhunderts wendete man das Prinzip der frei schwingenden Zungen auch bei europäischen Instrumenten an. Als erstes Harmonikainstrument in heutigem Sinn gilt die „Aeoline“, ein kleines Instrument, das, mit dem Mund angeblasen, die Vergleichstöne beim Orgelstimmen lieferte. Die Mundharmonika, Anfang des 19. Jahrhunderts zunächst als ein solches Hilfsmittel zum Klavier- und Orgelstimmen erfunden, erfreute sich schnell großer Beliebtheit – allerdings nur als Jahrmarktartikel oder Spielerei (es gab zum Beispiel in der Biedermeier-Zeit Mundharmoni- kas in Spazierstöcken, Nähkästchen oder Taschenuhren eingebaut), nicht aber als ernst zu nehmendes Instrument. Diese Einschätzung änderte sich erst Ende des 19. Jahrhunderts, vor allem durch musikpädagogische Werbekampagnen der großen Mundharmonika-Firmen, aber auch durch eine Verbesserung der Qualität. Daraufhin entstanden an zahlreichen Schulen Mundharmonika-Orchester. Man erkannte den pädagogischen Wert des Instruments und sah die Mundharmonika nach und nach als gleichberechtigt zu anderen Instrumenten an. Als in den 20er-Jahren des 20. Jahrhunderts die chromatische Mundharmonika entwickelt wurde, erlebte das Instrument abermals einen bedeutenden Fortschritt: Durch sie erst erhielt der Spieler die Möglichkeit, kompliziertere Melodien zu spielen, ohne zwischendurch das Instrument wechseln zu müssen. Die Erschließung des amerikanischen Markts für Mundharmonikas führte schließlich zu ganz neuen Möglichkeiten: Zu der sich in der afroamerikanischen Kultur gerade entwickelnden Blues-Musik eignete sich kaum ein anderes Instrument besser als die Mundharmonika, in den USA schlicht „Harp“ genannt. Die BluesmusikerInnen schätzten das preisgünstige, handliche Instrument, das sich so „quälen“ ließ, dass Töne spielbar wurden, die als Stimmzunge eigentlich gar nicht vorhanden waren. Diese Spieltechnik, „Bending“ genannt, und das 1969 von dem Amerikaner Howard Levy entdeckte Overblow/ Overdraw verhalfen der Mundharmonika endlich zu der ihr gebührenden Stellung als „vollwertiges“ Instrument. Sheng-Spieler Aeoline, ein frühes Harmonikainstrument (hier von 1828) Hohner-Werbeplakat aus dem Jahr 1926 ARBEITSBLATT 59 Formen der Mundharmonika Man unterscheidet zwei Haupttypen: diatonische und chromatische Mundharmonikas. Bei diatonischen Instrumenten sind die Kanzellen nicht geteilt, bei chromatischen Instrumenten hingegen sind sie zweigeteilt. Diatonische Instrumente Diatonische Instrumente sind immer auf eine Tonart beschränkt; der Spieler kann auf einer in G-Dur gestimmten Mundharmonika auch nur Stücke in G-Dur spielen. Das populärste Modell dieser Art ist die „Bluesharp“. Bei diatonischen Instrumenten gibt es, sofern sie in C-Dur gestimmt sind, immer die rechts abgebildete Kernoktave. Die Blastöne sind c, e, g, c’, die Ziehtöne d, f, a und h. Die Blas-Stimmplatte liefert also einen vollständigen Klang in Dur mit konsonant-wohlklingenden Akkorden. Das ist bei jeder diatonischen Mundharmonika so, egal, in welcher Tonart sie gestimmt ist. Die ZiehStimmplatte hingegen enthält neben kleiner und großer Terz auch die dissonante große Sekunde. c d e f g a c' h Kernoktave einer Mundharmonika in C-Dur Chromatische Instrumente Chromatische Instrumenten sind verfügen über zwei Kanzellenreihen, die um einen Halbton versetzt gestimmt sind und mit einem Schiebemechanismus bedient werden. Ist der Schieber gedrückt, erklingt jeweils der nächsthöhere Halbton, zum Beispiel Cis statt C. Man erhält also alle chromatischen Töne einer Tonleiter und kann damit in jeder beliebigen Tonart spielen. c d e f g a c' h cis/des dis/es eis/f fis/ges gis/as ais/b cis/des his/c Erhöhung um einen Halbton mit Betätigung des Schiebers bei der chromatischen Harmonika Die Familie der freien Aerofone Freie Aerofone sind Instrumente, bei denen die schwingende Luft nicht begrenzt ist – im Gegensatz zu der eingeschlossenen Luftsäule bei den Blasinstrumenten. Der Schall breitet sich dementsprechend kugelförmig aus. akkordeon harmonium konzertina Das Akkordeon ist eine Mischung aus Tasten- und Blasinstrument: Zwar greift der Spieler Tasten und Knöpfe, die Tonerzeugung funktioniert jedoch mithilfe des Luftstroms, der beim Drücken und Ziehen des Balgs entsteht. Das Akkordeon ist in unterschiedlichsten Musikrichtungen zu Hause. Seine Klangfülle reicht sogar aus, um in einem lärmenden Tanzsaal Musik zu machen. Ähnlich wie beim Akkordeon funktioniert die Tonerzeugung auch beim Harmonium mit einem Luftstrom, der durchschlagende Zungen bewegt. Dabei wird der mit zwei Fußpedalen erzeugte Spielwind so gesteuert, dass nur bestimmte Kanzellen versorgt werden. Das Öffnen der dafür erforderlichen Ventile geschieht über die Klaviertasten. In kleineren kirchlichen Räumen wird das Harmonium oft als Orgelersatz genutzt. Die Konzertina ist ein wechseltöniges HarmonikaInstrument (auf Zug und Druck des Balgs erklingen jeweils unterschiedliche Töne) mit vier- oder sechseckigem Querschnitt, das im 19. und frühen 20. Jahrhundert populär war. Auf der Konzertina spielte man einfache Volks- und Unterhaltungsmusik, bekannt ist sie vor allem als Instrument von Clowns.