Ulrike Hormel · Albert Scherr (Hrsg.) Diskriminierung Ulrike Hormel Albert Scherr (Hrsg.) Diskriminierung Grundlagen und Forschungsergebnisse Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar. 1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 Lektorat: Frank Engelhardt VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. 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Erfordernisse und Perspektiven einer ungleichheitsanalytischen Fundierung von Diskriminierungsforschung und Antidiskriminierungsstrategien ..................... 35 Mechtild Gomolla Institutionelle Diskriminierung. Neue Zugänge zu einem alten Problem .......... 61 Elisabeth Holzleithner Mehrfachdiskriminierung im europäischen Rechtsdiskurs................................ 95 Manuela Boatcă Diskriminierung in der longue durée. Globale Muster und lokale Strategien ................................................................................................ 115 Thomas Hinz und Katrin Auspurg Geschlechtsbezogene Diskriminierung bei der Entlohnung............................. 135 Maja. S. Maier Bekennen, Bezeichnen, Normalisieren: Paradoxien sexualitätsbezogener Diskriminierungsforschung............................................................................... 151 Ulrike Hormel Diskriminierung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund im Bildungssystem ...................................................... 173 Christian Imdorf Die Diskriminierung ‚ausländischer‘ Jugendlicher bei der Lehrlingsauswahl .................................................................................. 197 Dietrich Oberwittler und Tim Lukas Schichtbezogene und ethnisierende Diskriminierung im Prozess der strafrechtlichen Sozialkontrolle .................................................................. 221 Ute Koch Soziale Konstruktion und Diskriminierung von Sinti und Roma .................... 255 Ernst von Kardorff Zur Diskriminierung psychisch kranker Menschen ......................................... 279 Jan Weisser Behinderung als Fall von Diskriminierung – Diskriminierung als Fall von Behinderung ................................................................................... 307 Thomas Lemke Genetische Diskriminierung: Empirische Befunde und konzeptionelle Probleme ................................................................................... 323 Samira Baig Diversity-Management zur Überwindung von Diskriminierung? ................... 345 Autorinnen und Autoren .................................................................................... 361 Einleitung: Diskriminierung als gesellschaftliches Phänomen Ulrike Hormel und Albert Scherr Was unter Diskriminierung zu verstehen ist, scheint keiner weiteren Erläuterung zu bedürfen: Als Diskriminierungen gelten gewöhnlich Äußerungen und Handlungen, die sich in herabsetzender oder benachteiligender Absicht gegen Angehörige bestimmter sozialer Gruppen richten. Auch kann ein breiter Konsens darüber angenommen werden, dass Diskriminierungen im Sinne von Benachteiligungen und Bevorzugungen, die nicht auf Unterschieden der individuellen Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft beruhen, abzulehnen und zu überwinden sind. Denn sie widersprechen grundlegenden Gleichheits- und Gerechtigkeitsnormen, die im Selbstverständnis moderner Gesellschaften verankert sind. Entsprechend kommt eine im Auftrag der Europäischen Kommission durchgeführte Umfrage zu dem Ergebnis, dass eine „andere (und zwar benachteiligende oder schlechtere) Behandlung von Menschen auf Grund der Rasse oder der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters und der sexuellen Ausrichtung“ (Marsh/Sahin-Dikmen 2003: 5) in allen Ländern der EU von einer deutlichen Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt wird.1 Damit übereinstimmend wird in einer auf Deutschland bezogenen Studie des Sinus-Instituts (Sinus Sociovision 2008: 90) zwar die Einschätzung formuliert, dass Diskriminierung in allen sozialen Milieus „grundsätzlich als ungerecht und verwerÀich aufgefasst [wird], weil sie unserem kulturellen Wertesystem, das auf Chancengleichheit, sozialer Fairness und Solidarität gründet, widerspricht“. Dieser Befund lasse jedoch keineswegs den Schluss zu, dass alle gesellschaftlich bedeutsamen Formen von Diskriminierung als ernstzunehmendes Problem gelten und abgelehnt werden. Festzustellen sei vielmehr, dass das „Thema Diskriminierung Ausgehend von der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte wird auch hier eine Formulierung verwendet, welche die Existenz von ‚Rassen‘ als unterscheidbaren sozialen Gruppen nahe legt. Hierauf bezogene Problematisierungen, die darauf hinweisen, dass die Annahme der Existenz von Rassen selbst Bestandteil rassistischer Ideologie ist, sind inzwischen vielfach formuliert worden und werden auch in neueren auf den Diskriminierungsschutz bezogenen amtlichen Dokumenten aufgegriffen. In der fachwissenschaftlichen Diskussion ist eine vergleichbare Problematisierung auch für die Kategorien „Ethnizität“ und „Geschlecht“ eingefordert worden; dies hat aber bislang nicht dazu geführt, dass eine entsprechende begriffskritische Sensibilität in der wissenschaftlichen, politischen und medialen Diskussion konsensuell etabliert wäre. 1 8 Ulrike Hormel und Albert Scherr und die Gleichbehandlung bzw. die Förderung benachteiligter Gruppen in unserer Gesellschaft […] der Mehrheit der Deutschen nicht wirklich auf den Nägeln“ brenne: „Die Aufmerksamkeit gegenüber dem Thema und die Betroffenheit in der Bevölkerung sind eher gering.“ Die im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz genannten Merkmale seien „neben vielen anderen zwar spontan abrufbar“. Dagegen sei das Interesse, „die entsprechenden Gruppen zu schützen“, für einen Großteil der Befragten „aber nur in Bezug auf Behinderte und (teilweise) Frauen und Ältere ein echtes Anliegen“ (ebd. 8 f.). In der Auswertung der erhobenen Daten konstatiert die Studie u. a. „in nahezu allen Milieus starke, emotional getragene Vorbehalte gegenüber Ausländern und Migranten“ (ebd.: 57) sowie in „vielen Milieus […] tief verwurzelte Barrieren und entsprechend virulente Vorurteile – bis hin zu Ekel- und Hassgefühlen – gegenüber sexuellen Orientierungen, die vom Mainstream abweichen“ (ebd.: 84). Damit liegen Hinweise auf erhebliche Diskrepanzen vor zwischen einerseits politischen, rechtlichen und medialen Diskursen, welche die Unvereinbarkeit von Diskriminierungen mit dem Selbstverständnis einer modernen, auf menschenrechtlichen Werten beruhenden Gesellschaft betonen, und andererseits der Verbreitung von Mentalitäten, die eine erhebliche Akzeptanz bestimmter Ausprägungen von Diskriminierung beinhalten. Gegenwärtige Auseinandersetzungen mit Diskriminierung schließen an eine weit zurückreichende und in sich widersprüchliche Geschichte von Auseinandersetzungen über gesellschaftlich zu überwindende, oder aber als legitim zu betrachtende Formen der Ungleichbehandlung an: Die Überzeugung, dass tradierte Unterscheidungen ungleicher und ungleichwertiger sozialer Gruppen, die den Grundsatz der Gleichheit aller Individuen in Frage stellen oder relativieren, im Modernisierungsprozess ihre Grundlage verlieren, kann zweifellos zu den einÀussreichen großen Erzählungen der westlichen Moderne gerechnet werden. Bereits die Amerikanische Unabhängigkeitserklärung von 1776 und die französische ‚Erklärung der Bürger- und Menschenrechte‘ von 1789 enthalten mit dem Grundsatz der Freiheit und Gleichheit aller Menschen ein implizites Diskriminierungsverbot. Dieses wird in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 dann – in Reaktion auf die umfassende Außerkraftsetzung der Menschenrechte durch Nationalsozialismus und Holocaust, aber auch auf Grundlage des Wissens um unterschiedliche Formen der Einschränkung, Verletzung und Missachtung von Menschenrechten, nicht zuletzt durch Sklaverei und Rassismus – explizit formuliert: „Jeder hat Anspruch auf alle in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten, ohne irgendeinen Unterschied, etwa nach Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Anschauung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand. Des weiteren darf kein Unterschied gemacht werden auf Grund der politischen, rechtlichen oder internationalen Stellung des Landes Einleitung: Diskriminierung als gesellschaftliches Phänomen 9 oder Gebietes, dem eine Person angehört, gleichgültig ob dieses unabhängig ist, unter Treuhandschaft steht, keine Selbstregierung besitzt oder sonst in seiner Souveränität eingeschränkt ist.“ (AEDM, Artikel 2)2 Dieser Antidiskriminierungsgrundsatz war in Deutschland, anders als etwa in den USA und Großbritannien, bis vor wenigen Jahren jedoch kein bedeutsamer Bezugspunkt politischer Auseinandersetzungen und juristischer Diskurse. Auch in den Sozialwissenschaften wurde Diskriminierung nur als nachrangige Kategorie im Kontext der Ungleichheitsforschung, der Frauen- und Geschlechterforschung sowie der Migrationsforschung thematisch – jedoch weitgehend ohne eine explizite und eigenständige Bezugnahme auf den menschenrechtlichen und sozialwissenschaftlichen Antidiskriminierungsdiskurs, wie er sich v. a. in den USA und England entwickelt hat (vgl. Hormel/Scherr 2004). In Folge der Verankerung des Antidiskriminierungsgrundsatzes in den einschlägigen EU-Richtlinien und der daran anschließenden bundesdeutschen Gesetzgebung sowie der Entwicklung unterschiedlicher Programme und Kampagnen – so etwa verschiedener Antirassismuskampagnen und der von der Bundesregierung unterstützten Unternehmensinitiative ‚Vielfalt als Chance‘ – hat sich dies zwischenzeitlich geändert. Von Diskriminierung ist in politischen Kontexten und in den Medien inzwischen in vielfältiger Weise die Rede. Allerdings ist dabei nach wie vor ein Verständnis von Diskriminierung einÀussreich, das Diskriminierungen mit offenkundigen Benachteiligungen auf der Grundlage von Vorurteilen und individuellen Handlungen gleichsetzt. Demgegenüber wurde und wird in sozialwissenschaftlichen Analysen mit Begriffen wie strukturelle, organisationale, institutionelle, mittelbare, indirekte und statistische Diskriminierung3 immer wieder darauf verwiesen, dass Diskriminierungen nicht zureichend durch den Verweis auf individuelle Meinungen und Einstellungen und auch nicht durch sozialpsychologisch zu erklärende Gruppenprozesse erklärt werden können.4 Dieser Einsicht wird inzwischen auch in der Gesetzgebung Rechnung getragen: Als Von Interesse ist diese Formulierung nicht nur als historisches Dokument, sondern nicht zuletzt deshalb, weil sie auch andere Merkmale als die neueren Richtlinien benennt sowie die Liste der potentiell diskriminierungsrelevanten Merkmale als exemplarische ausweist und damit offen hält; s. dazu die Hinweise in den Beiträgen von Bielefeld, Holzleithner und Scherr in diesem Band. 3 Auf diese Begriffe und die ihnen zu Grunde liegenden Theorien wird in den folgenden Beiträgen näher eingegangen; auf eine Erläuterung kann deshalb an dieser Stelle verzichtet werden. 4 Ansätze einer genuin sozialwissenschaftlichen Perspektive, die sich gegen Vorurteilstheorien abgrenzt, ¿ nden sich bereits in der Race-Relations-Forschung seit den 1950er Jahren, so bei Herbert Blumer (1954 und 1961). Einen wichtigen Beitrag zur neueren Diskriminierungsdiskussion haben Joe R. Feagin und Clairece Booher Feagin (1986) vorgelegt. Einen Überblick zur Entwicklung der US-amerikanischen Diskriminierungsforschung ¿ndet sich bei Gomolla/Radtke (2009: 35 ff.) sowie im Beitrag von Gomolla in diesem Band. 2 10 Ulrike Hormel und Albert Scherr Diskriminierung gelten in den einschlägigen EU-Richtlinien und im deutschen Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz auch Benachteiligungen, die durch „dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren“ (AGG, § 3) zustande kommen. Die Antirassismusrichtlinie der EU sieht entsprechend vor, dass Formen „mittelbarer“, d. h. nicht auf die Unterscheidung und Ungleichbehandlung von Gruppen zurückführbarer Diskriminierung, „mit allen Mitteln, einschließlich statistischer Beweise, festzustellen [sind]“ (EU-Richtlinie 2000/43/EG, § 15). Damit hat eine sozialwissenschaftliche Sichtweise von Diskriminierung auch im juristischen Kontext an Relevanz gewonnen. Zudem wurde durch die EU eine Institution geschaffen, deren Auftrag die Erhebung, Analyse und Verbreitung von Daten über Formen von Diskriminierung umfasst: 1997 wurde das European Monitoring Centre on Racism and Xenophobia (EUMC) gegründet und 2008 in die European Union Agency for Fundamental Rights (FRA) überführt.5 Die „Durchführung wissenschaftlicher Untersuchungen“ ist in Deutschland im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (§ 27, Abs. 3) auch als Aufgabe der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (s. www.antidiskriminierungsstelle.de) festgelegt. Als diesbezüglich bedeutsame Institution ist weiter das ‚Deutsche Institut für Menschenrechte‘ zu erwähnen (s. www.institut-fuermenschenrechte.de). Analysen und Skandalisierungen der Situation diskriminierter Gruppen erfolgen zudem auch durch Nicht-Regierungsorganisationen und zivilgesellschaftliche Initiativen. Insofern kann mit guten Gründen argumentiert werden, dass sich im Hinblick auf die politische und rechtliche Anerkennung der Notwendigkeit, Diskriminierungen zu erforschen und Maßnahmen zu ihrer Überwindung zu ergreifen, eine bedeutsame Entwicklung vollzogen hat. Zugleich aber ist festzustellen, dass es durchaus strittig ist, welche Formen von Diskriminierung nach wie vor bestehen, was ihre Ursachen sind sowie auf welche gesellschaftlichen (politischen, rechtlichen, ökonomischen, organisatorischen, pädagogischen usw.) Erfordernisse der Anspruch verweist, Diskriminierungen zu überwinden. Folglich besteht ein Bedarf an sozialwissenschaftlicher Forschung, die sich theoretisch und empirisch differenziert mit den Ursachen, Formen und Folgen von Diskriminierung auseinandersetzt. Dass es etwa keineswegs genügt, Diskriminierungsbereitschaft, Diskriminierungswahrnehmungen und Diskriminierungserfahrungen durch Umfragen zu erheben, um zu tragfähigen Einschätzungen des Ausmaßes von Diskriminierungen zu gelangen, wird in einer aktuellen Studie deutlich: In der Erhebung „Diskriminierung in der EU im Jahr 2009“ (Europäische Kommission 2009: 12 ff.) wird u. a. festgestellt, dass ca. 60 % der EU-Bürger annehmen, dass „Diskriminierungen aufgrund der ethnischen Herkunft“ weit verbreitet sind. Diese Erhebung kommt 5 s. http://fra.europa.eu/fraWebsite/home/home_en.htm Einleitung: Diskriminierung als gesellschaftliches Phänomen 11 jedoch auch zu dem Ergebnis, dass die diesbezüglich erheblichen Unterschiede zwischen den Ländern – das Spektrum reicht von ca. 80 % der Bevölkerung in den Niederlanden, Frankreich, Ungarn und Schweden, die der Annahme verbreiteter Diskriminierung zustimmen, bis zu nur ca. 30 % in Litauen, Polen und Lettland – keineswegs das tatsächliche Ausmaß von Diskriminierungen abbildet und auch nicht mit dem Ausmaß der von Minderheitenangehörigen subjektiv erlebten Diskriminierung korrespondiert (ebd.: 66 ff.). Eine eigenständige sozialwissenschaftliche Diskriminierungsforschung, die an Hochschulen institutionalisiert ist und systematisch auf Theorien und Forschungsergebnisse der angelsächsischen Sozialwissenschaften Bezug nimmt, hat sich im deutschen Sprachraum zwischenzeitlich zwar durchaus entwickelt; dies bislang jedoch erst in der Form heterogener Ansätze und einzelner Studien. Hierfür war zum einen die Anknüpfung an strukturtheoretisch angelegte Rassismustheorien ein wichtiger Ausgangspunkt, die seit Ende der 1980er Jahre beginnt (vgl. etwa Kalpaka/Räthzel 1986), in der sozialwissenschaftlichen Fachdiskussion jedoch nur begrenzt aufgegriffen wurde. Zum anderen setzt dann die Veröffentlichung der Untersuchung ‚Institutionelle Diskriminierung‘ von Mechtild Gomolla und Frank-Olaf Radtke im Jahr 2002 einen wichtigen Impuls in Richtung auf eine organisationssoziologisch angelegte Auseinandersetzung mit Diskriminierung. Inzwischen liegen, wie in den Beiträgen zu diesem Band deutlich wird, in der Soziologie und der Erziehungswissenschaft eine Reihe von theoretischen Beiträgen und empirischen Studien zu unterschiedlichen Aspekten von Diskriminierung vor. Zudem wird in der neueren sozialwissenschaftlichen Diskussion über ‚Intersektionalität‘ (vgl. etwa Klinger/Knapp/Sauer 2007) auf Theoreme und Ergebnisse der Diskriminierungsforschung Bezug genommen. Eine Gemeinsamkeit sozialwissenschaftlicher Diskriminierungsforschung kann darin gesehen werden, dass sie sich – im Unterschied zur älteren sozialpsychologischen Vorurteilsforschung – nicht auf eine handlungstheoretische oder gruppenbezogene Analyse diskriminierender Einstellungen und Handlungen beschränkt, sondern auch gesellschaftsstrukturelle (ökonomische, politische, rechtliche), kulturelle (Diskurse und Ideologien), institutionelle sowie organisatorische Bedingungen und Formen von Diskriminierung in den Blick nimmt. Akzentuiert wird damit, dass Diskriminierungen nicht zureichend individuell zurechenbar sind und insofern auch nur begrenzt als justiziable Tatbestände gefasst werden können. In einer sozialwissenschaftlichen Perspektive werden als Diskriminierungen folglich Unterscheidungen sozialer Gruppen in den Blick genommen, die mit Annahmen über spezi¿sche Eigenschaften der ‚Angehörigen‘ der so unterschiedenen Gruppen einhergehen sowie mit sozialen und/oder ökonomischen und/oder politischen und/oder rechtlichen Benachteiligungen verschränkt sind. Bedeutsam werden vor diesem Hintergrund u. a. Fragen nach 12 ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ Ulrike Hormel und Albert Scherr den sozialen Prozessen, in denen diskriminierende Unterscheidungen hervorgebracht werden sowie den sozialen Bedingungen, unter denen diese plausibel erscheinen; dem historischen und systematischen Zusammenhang von Positionierungen in gesellschaftlichen Macht- und Ungleichheitsverhältnissen mit Diskursen, Ideologien und Semantiken, die jeweilige Gruppenkonstruktionen veranlassen und ihnen Plausibilität verleihen – z. B. als Begründung und Legitimation von Privilegierungen und Benachteiligungen; den Strukturen, Prozessen und Praktiken, mit denen Diskriminierungen in unterschiedlichen gesellschaftlichen Teilsystemen bzw. Teilbereichen hervorgebracht und reproduziert, oder aber in Frage gestellt und aufgebrochen werden; der Verwendung diskriminierender Praktiken und Klassi¿ kationen in Organisationen sowie dem Verhältnis von Diskriminierungen in Organisationen zu gesellschaftlich einÀussreichen Wissensbeständen und ökonomischen, politischen und rechtlichen Strukturen, die zur Reproduktion sozialer Ungleichheitsverhältnisse beitragen. Für sozialwissenschaftliche Diskriminierungsforschung ist damit eine eigenständige, in der Vorurteils- sowie der Ungleichheitsforschung nicht umfassend aufgehobene Perspektive charakteristisch, die gegenwärtig in verschiedenen Themenfeldern an Bedeutung gewinnt und mit unterschiedlichen theoretischen Akzentuierungen und empirischen Forschungskonzepten ausbuchstabiert wird. Eine weitere Gemeinsamkeit sozialwissenschaftlicher Diskriminierungsforschung kann darin gesehen werden, dass diese mit einer normativ voraussetzungsvollen Bestimmung ihres Gegenstandes operiert und – mehr oder weniger direkt – auf die ethische, politische und rechtliche Skandalisierung von Diskriminierungen bezogen ist. Dies unterscheidet sie aber nicht von anderen Forschungsbereichen, wie etwa der Armuts- und Ungleichheitsforschung, die auf empirisch wirksame Moralvorstellungen Bezug nehmen und daran interessiert sind, für die Überwindung der als problematisch geltenden Sachverhalte relevantes Wissen beizutragen. Eine ergänzende, auch für einen Teil der folgenden Beiträge bedeutsame Perspektive – ist im Sinne einer Beobachtung zweiter Ordnung – darin zu sehen, nach den historischen und gesellschaftsstrukturellen Bedingungen zu fragen, die eine politische, rechtliche oder moralische Thematisierung bestimmter sozialer Ungleichheits- und Machtrelationen als Diskriminierungen ermöglichen und veranlassen. Die so grob skizzierte Situation einer sich abzeichnenden Konturierung sozialwissenschaftlich ausgerichteter Diskriminierungsforschung war für uns Anlass, einen Sammelband herauszugeben, in dem die wissenschaftliche, politische, rechtliche und pädagogische Bedeutung, aber auch theoretische und empi- Einleitung: Diskriminierung als gesellschaftliches Phänomen 13 rische Desiderate sozialwissenschaftlicher Diskriminierungsforschung deutlich werden sollen. Dazu haben wir AutorInnen mit unterschiedlichen thematischen Schwerpunkten und theoretischen Orientierungen zu Beiträgen eingeladen. Die vorliegende Veröffentlichung kann gleichwohl nicht den Anspruch erheben, den erreichten Stand der Forschung systematisch und umfassend abzubilden, sondern beabsichtigt, einen instruktiven Einblick in den einschlägigen wissenschaftlichen Diskurs zu geben. Zu den Beiträgen Heiner Bielefeldt stellt in seinem Beitrag den Stellenwert des Diskriminierungsverbotes als Strukturprinzip der Menschenrechte heraus, das grundlegend mit dem normativen Universalismus der Menschenrechte verknüpft ist. Am Beispiel der Kritik an unterschiedlichen Formen der historischen Begrenzung des Gleichheitsanspruchs wird aufgezeigt, dass die Weiterentwicklung des Diskriminierungsschutzes nicht zuletzt durch Proteste und Kämpfe um Gleichberechtigung im Kontext sozialer Bewegungen bewirkt wurde, die den Widerspruch zwischen dem normativen Universalismus der Menschenrechte und seinen faktischen partikularen Einschränkungen zum Bezugspunkt gesellschaftlicher Auseinandersetzungen gemacht haben. Insofern der Universalitätsanspruch der Menschenrechte mit der Nennung von konkreten Merkmalen, an die jeweilige Diskriminierungsverbote anschließen, immer schon eine Einschränkung erfährt, sind die in den einschlägigen Menschenrechtsdokumenten genannten Merkmalskataloge als notwendig erweiterbar und offen für gesellschaftliche Lern- und Aushandlungsprozesse zu verstehen, die auf ein erweitertes Diskriminierungsverständnis zielen. Der Beitrag von Albert Scherr zielt auf eine gesellschaftstheoretische Fundierung des Verhältnisses von sozioökonomischen Ungleichheiten und Formen von Diskriminierung. Dies geschieht vor dem Hintergrund der Beobachtung, dass sich soziologische Ungleichheitsforschung und Sozialpolitik einerseits, Diskriminierungsforschung und Antidiskriminierungspolitik andererseits als relativ unabhängige Diskurse entwickelt haben. Es ist jedoch diskussionsbedürftig, ob es sich hierbei um auf jeweilige sozio-historische Entstehungsbedingungen zurückführbare und prinzipiell überwindbare Unterschiede der Problemstellungen handelt, oder aber um eine aus systematischen Gründen sinnvolle und analytisch begründbare Differenzierung. Aufgezeigt wird, dass sozioökonomische Ungleichheiten und Diskriminierungen auf der Grundlage von Gruppenkonstruktionen zu unterscheidende, nicht aufeinander reduzierbare, aber vielfältig miteinander verknüpfte Formen sozialer Privilegierung und Benachteiligung darstellen, für die jeweils zu konkretisieren ist, in welchen sozialen Kontexten diskriminieren- 14 Ulrike Hormel und Albert Scherr de Unterscheidungen wie verwendet werden und Relevanz erlangen und welche privilegierenden oder benachteiligenden Effekte damit einhergehen. Mechtild Gomolla diskutiert in ihrem Beitrag die theoretische Tragfähigkeit und das empirische Analysepotential des Konzepts ‚Institutionelle Diskriminierung‘. In Auseinandersetzung mit Theorien des institutionellen Rassismus und der institutionellen Diskriminierung, die in den USA und Großbritannien entwickelt wurden, werden zentrale Probleme der Forschung und Theoriebildung, die dieser Erklärungsperspektive folgen, dargestellt. Am Beispiel schulischer Diskriminierungen wird ein grundlagentheoretisch fundiertes Modell institutioneller Diskriminierung vorgeschlagen und dessen Analysepotential anhand zweier empirischer Studien verdeutlicht. Aufgezeigt wird, dass Praktiken der Diskriminierung in Schulen nicht allein auf individuelle Einstellungsmuster und soziale Interaktionen zurückzuführen sind, sondern dass organisatorische Festlegungen und Rahmenbedingungen des professionellen Handelns bei der Konstruktion sozialer Unterschiede, an die Diskriminierungen anknüpfen können, eine zentrale Rolle spielen. Elisabeth Holzleithner diskutiert in ihrem Beitrag die Bedeutung des Konzepts ‚Mehrfachdiskriminierung‘ für den Antidiskriminierungsschutz und die damit verknüpften Problematiken. Aufgezeigt wird, dass das EU-Antidiskriminierungsrecht bislang nur begrenzte Möglichkeiten bietet, um dem Phänomen Mehrfachdiskriminierung gerecht zu werden. Dies resultiert daraus, dass die EU-Richtlinien eine Hierarchisierung hinsichtlich des Schutzniveaus unterschiedlicher von Diskriminierung betroffener Gruppen vornehmen, was u. a. dazu führt, dass Opfer von Diskriminierung beim Einklagen ihrer Rechte darauf verwiesen sind, sich zentral auf eine Diskriminierungskategorie zu stützen und andere auszublenden. Mehrfachdiskriminierung kann jedoch nicht hinreichend als additive oder kumulative Benachteiligung gefasst werden, die an zwei oder mehreren diskriminierungsrelevanten Merkmalen ansetzt. Vielmehr sind auch Formen intersektioneller Diskriminierung in Rechnung zu stellen, die gerade durch das Zusammenwirken von Diskriminierungsgründen zu Benachteiligungen führen. Der Beitrag von Manuela Boatcă zielt auf eine sozialhistorische Betrachtung des Zusammenhangs zwischen der Herausbildung der europäischen Moderne als gesellschaftlicher und politischer Ordnung, die unter Bezugnahme auf das aufklärerische Prinzip der Gleichheit aller Menschen den Anspruch auf Vollinklusion unabhängig von der Herkunft erhob, und der gleichzeitigen Etablierung zahlreicher Formen des Ausschlusses und der Diskriminierung. Aufgezeigt wird, dass aktuelle Diskriminierungen von MigrantInnen und Minderheiten an die mit der Entstehung von Nationalstaaten verknüpfte, über die Kategorie der Staatsbürgerschaft institu- Einleitung: Diskriminierung als gesellschaftliches Phänomen 15 tionalisierte Klassi¿kation des In- und Ausländers und an den mit der Figur des Ausländers im Inland generierten Prototyp des Fremden anschließen. Am Beispiel des staatlichen Umgangs mit Einwanderung und in Bezug auf etablierte Diskriminierungsstrukturen in den USA und in Deutschland werden die Unterschiede und die VerÀechtung globaler und lokaler Diskriminierungsstrategien aufgezeigt, deren Rückbindung an die Strukturmerkmale der Inklusions-/Exklusionslogik der Moderne zu analysieren ist. Thomas Hinz und Katrin Auspurg gehen in ihrem Beitrag der Frage nach, inwiefern empirisch beobachtbare Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen auf geschlechtsbezogene Diskriminierungen bei der Entlohnung zurückzuführen sind. Grundlage der von den AutorInnen durchgeführten empirischen Analyse stellen Lohndiskriminierungen im engeren Sinne dar, d. h. Lohnunterschiede, die nicht mit der ungleichen Positionierung auf dem geschlechtsspezi¿sch segmentierten Arbeitsmarkt erklärt werden können, sondern auch bei gleicher Leistung und gleicher Arbeitsmarktposition bestehen. Zur Untersuchung wird ein methodisches Verfahren genutzt, das Lohnunterschiede innerhalb von Branchen, Berufen, Betrieben und ‚Jobzellen‘ analysiert. Auf der Grundlage der verfügbaren Daten ist davon auszugehen, dass in Deutschland ein ‚within-job wage gap‘ existiert und damit auch Formen der Lohndiskriminierung im engeren Sinne vorliegen. Gezeigt wird aber auch, dass die Vergrößerung des Lohnabstands in den letzten Jahren in erster Linie durch die unterschiedliche Verteilung von Frauen und Männern auf Branchen, Berufe und Betriebe bedingt ist und nicht auf eine direkte Lohndiskriminierung zurückzuführen ist. Maja S. Maier zeigt in ihrem Beitrag, dass die Ergebnisse der vorliegenden Studien zu sexualitätsbezogener Diskriminierung, die entweder allgemeine Einstellungen oder aber Erfahrungen von Diskriminierung fokussieren, nur begrenzte Aussagekraft beanspruchen können, weil die institutionellen und interaktionellen Prozesse, in denen Sexualität als Diskriminierungsmerkmal in der sozialen Praxis konstituiert und aktiviert wird, weitgehend unberücksichtigt bleiben. Hingewiesen wird auf die Notwendigkeit einer theoretischen Fundierung sexualitätsbezogener Diskriminierungsforschung, die zum einen in Distanz zu einer am Vorurteilskonzept angelehnten Konzeptualisierung des Diskriminierungsbegriffs geht, zum anderen das Merkmal ‚Homosexualität‘ nicht naturalisierend als gegebenen Bezugspunkt für Diskriminierungen voraussetzt. Plädiert wird für eine ungleichheitstheoretisch und heteronormativitätskritische Rückbindung der sexualitätsbezogenen Diskriminierungsforschung, welche die sozialen Klassi¿kationsprozesse, mit denen die Unterscheidung von Heterosexualität und Homosexualität als homogenisierende Bezeichnungspraxis im Kontext umkämpfter gesellschaftlicher Machtverhältnisse hervorgebracht und aktualisiert wird, systematisch berücksichtigt. 16 Ulrike Hormel und Albert Scherr Ulrike Hormel argumentiert in ihrem Beitrag, dass ein enger Begriff von Diskriminierung als direkt an Merkmalen der ‚ethnischen Herkunft‘ ansetzende Ungleichbehandlung keine hinreichende Grundlage für eine Analyse der Diskriminierung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund im Bildungssystem bietet. Denn in einer solchen Fassung wird Diskriminierung nur dann als solche gewertet, wenn die Benachteiligung von Individuen in keinem Bezug steht zu dem, was jeweilige Organisationen in ihrer eigenen Binnenlogik als zu erbringende Leistungen, Anforderungen, Kompetenzen, Quali¿ kationen etc. voraussetzen. Demgegenüber sind sozialwissenschaftliche Untersuchungen von Diskriminierungen im Bildungssystem darauf verwiesen, nicht von den Eigenschaften und Merkmalen von Individuen als Angehörige sozioökonomisch und ethnisch unterscheidbarer Gruppen auszugehen, die aufgrund ihrer Gruppenzugehörigkeit Benachteiligung erfahren. Vielmehr ist es erforderlich, Prozesse in den Blick zu nehmen, durch die ethnisierende, klassen- und milieubezogene Grenzziehungen konstituiert werden und die dazu führen, dass die Unterscheidung Einheimische-MigrantInnen zu einer schulintern bedeutsamen Differenzierungsform wird. Christian Imdorf untersucht in seinem Beitrag unterschiedliche Mechanismen, die zu einer an ethnisierenden Merkmalen ansetzenden Diskriminierungspraxis bei der Vergabe betrieblicher Ausbildungsplätze in Schweizer Klein- und Mittelbetrieben führen. Gezeigt wird, dass gängige Erklärungsansätze, die auf die mangelnde Ausstattung mit Humankapital und fehlende soziale Netzwerke hinweisen, den für MigrantInnen deutlich erschwerten Zugang zum Arbeitsmarkt nicht hinreichend aufklären können. Unter Bezugnahme auf die anglo-amerikanische Diskriminierungsforschung und die Rechtfertigungstheorie von Luc Boltanski und Laurent Thévenot (2007) wird das Phänomen einer jenseits der meritokratischen Leistungsnorm orientierten Auswahlpraxis als Effekt einer auf betrieblichen Selektionskalkülen basierenden organisationalen Diskriminierung analysiert. Ausbildungsbetriebe nutzen dabei soziale Unterscheidungen wie die AusländerKategorie als Ressource für ihre Selektionskalküle. Diese sind zum einen darauf ausgerichtet, antizipierte organisatorische Probleme und betriebliche Störungen im Rahmen eines zukünftigen Ausbildungsverhältnisses zu vermeiden, zum anderen darauf, das Auswahlverfahren möglichst pragmatisch und unaufwändig zu gestalten. Der Beitrag von Dietrich Oberwittler und Tim Lukas setzt sich mit Formen der schichtbezogenen und ethnisierenden Diskriminierung im Bereich des Strafrechts auseinander. In ihrer Argumentation gehen die Verfasser davon aus, dass Unterschiede zwischen sozialen Schichten bzw. ethnisch gefassten Gruppen in Hinblick auf die Kriminalitätswahrscheinlichkeit nicht zureichend auf die selektive Wahrnehmung und die Sanktionspraxis der Kontrollinstanzen zurückgeführt werden können, sondern in ihrem Zusammenhang mit Strukturen sozialer Ungleichheit Einleitung: Diskriminierung als gesellschaftliches Phänomen 17 und Prozessen der Ethnisierung analysiert werden müssen. Auf der Grundlage der Ergebnisse nationaler und internationaler empirischer Studien wird aufgezeigt, dass die Überrepräsentanz von Migranten in Teilbereichen der registrierten Kriminalität zum einen ein Effekt ihrer soziostrukturellen Benachteiligung ist. Zum anderen wird analysiert, dass und wie die Wahrscheinlichkeit der polizeilichen Registrierung von Straftaten, die justizielle Sanktionspraxis sowie der Umgang der Polizei mit benachteiligten Bevölkerungsgruppen durch fremdenfeindliche und ethnisierende Stereotype beeinÀusst ist. Darüber hinaus werden Erkenntnisse dazu dargestellt, wie Angehörige von Minderheitengruppen Diskriminierung durch die Polizei wahrnehmen und welches KonÀiktpotential daraus resultiert. Ute Koch zeigt in ihrem Beitrag, dass aktuelle Erscheinungsformen der Diskriminierung von Sinti und Roma nicht hinreichend als Folge historisch tradierter Vorurteilsstrukturen zu verstehen sind, sondern im Zusammenspiel von etablierten politischen und rechtlichen Strukturen, organisatorischem Handeln und Routinen und ethnisierenden Eigenschaftszuschreibungen analysiert werden müssen. In historischer Perspektive werden die Genese und der Funktionswandel jeweiliger ethnisierender Konstruktionen von Sinti und Roma als Bezugspunkte für Benachteiligungen, Ausschluss, Verfolgung sowie für die Legitimation staatlichen Handelns nachgezeichnet. In Hinblick auf die aktuelle soziale Situation von Roma in Südosteuropa und Sinti und Roma in Deutschland, die durch anhaltende Benachteiligungen auf dem Arbeitsmarkt, im Bildungssystem und dem Wohnungsmarkt etc. geprägt ist, zeigt sich ein erheblicher Bedarf an Analysen, die Mechanismen direkter und indirekter institutioneller Diskriminierung sowie deren Rückbindung an politische Vorgaben und öffentliche Diskurse theoretisch und empirisch fundiert in den Blick nehmen. Ernst von Kardoff setzt sich in seinem Beitrag damit auseinander, dass die Lebenssituation psychisch kranker Menschen anhaltend durch alltägliche Stigmatisierungserfahrungen sowie durch Formen struktureller Diskriminierung in der Arbeitswelt und im Versorgungssystem gekennzeichnet ist. Aufgezeigt wird weiter, dass es erforderlich ist, die unterschiedlichen Ausprägungen von Diskriminierung in Hinblick auf diejenigen differenziert zu betrachten, die unter der Sammelkategorie ‚Psychisch Kranke‘ subsumiert werden. So ¿nden chronische Erschöpfungszustände angesichts zunehmender beruÀicher Leistungsanforderungen eine größere gesellschaftliche Akzeptanz als etwa psychotische Erkrankungen. Betroffene mit chroni¿zierten Einschränkungen unterliegen einem deutlich erhöhten Risiko der Unterversorgung in zentralen Lebensbereichen und der alltäglichen Stigmatisierung, ohne dass dies in der öffentlichen Wahrnehmung als Folge von Diskriminierung erkannt wird. Die sozial- und psychohistorische Rückbindung der sozialen Konstrukte ‚psychische Krankheit‘, ‚Wahnsinn‘ etc. trägt dazu bei, dass 18 Ulrike Hormel und Albert Scherr beobachtete Formen der Stigmatisierung und Benachteiligung nicht als Verletzung von Gleichheitsrechten gesehen, sondern als legitime und durch die Andersartigkeit angezeigte gesonderte Behandlung verstanden werden. Jan Weisser nimmt in seinem Beitrag eine Analyse der Relationen zwischen Behinderung und Diskriminierung vor und stellt diese in den Kontext einer Politischen Soziologie des Rassismus und der Diskriminierung. An einem Beispiel des juristischen Umgangs mit Diskriminierungserfahrungen wird verdeutlicht, dass die juristische Praxis zum einen diskriminierungsrelevante Differenzkategorien als Merkmale, denen Personen eindeutig zugeordnet werden können, voraussetzt und zum anderen hohe Hürden für den Nachweis von Diskriminierungen etabliert. Während aus soziologischer Perspektive Behinderung als Folge eines gesellschaftlichen Prozesses betrachtet werden kann, der eine Differenz mit sozialer Bedeutung versieht, verschwindet dieser Prozess in der juristischen Praxis mit seiner Setzung der diskriminierungsrelevanten Kategorie ‚Menschen mit Behinderung‘ im Ergebnis. Daraus ergibt sich eine Verkürzung des Verhältnisses von Diskriminierung und Behinderung, demzufolge eine Person zuerst als behindert gelten muss, bevor sie potentiell Diskriminierung erfährt. Aufgezeigt wird demgegenüber eine komplexere Struktur der Relation von Behinderung und Diskriminierung, insofern Diskriminierung auch immer eine Form der Behinderung darstellt, während Behinderung nicht notwendig mit Diskriminierung einhergeht. Thomas Lemke gibt in seinem Beitrag einen Überblick über empirische Studien zu dem in Deutschland bislang wenig diskutierten, insbesondere in den USA aber bereits seit den 1990er Jahren thematisierten Phänomen einer Diskriminierung aufgrund tatsächlicher oder vermuteter genetischer Merkmale. Aufgezeigt wird, dass gängige theoretische Bestimmungen von genetischer Diskriminierung mit einem eng gefassten Begriffsverständnis operieren, das genetische Diskriminierung vor allem als Form gesellschaftlicher Benachteiligung durch institutionelle Akteure wie Arbeitgeber und Versicherungen fasst und zudem sachlich gerechtfertigte Unterscheidungen nach genetischen Merkmalen von illegitimen Formen der Diskriminierung unterscheidet. In Abgrenzung hierzu wird auf der Grundlage der Unterscheidung zwischen organisationaler, interaktioneller und institutioneller Diskriminierung ein erweitertes Verständnis von genetischer Diskriminierung vorgeschlagen, das darauf zielt, dem Zusammenhang zwischen der Praxis der genetischen Klassi¿zierung und gesellschaftlichen Praktiken der Ungleichheitsproduktion und Stigmatisierung sowie der Verschränkung von genetischen und nicht-genetischen Diskriminierungspraktiken Rechnung zu tragen. Samira Baig diskutiert in ihrem Beitrag die Frage, inwiefern Diversity-ManagementKonzepte einen adäquaten Ansatz zur Überwindung von Diskriminierungen bieten. Einleitung: Diskriminierung als gesellschaftliches Phänomen 19 Gezeigt wird, dass gängige Diversity-Management-Konzepte eine Personal- und Organisationsentwicklung in Unternehmen anstreben, die primär darauf zielt, vorhandene Vielfalt unter der Maßgabe der Kostenminimierung, Pro¿tsteigerung und der Erschließung neuer Marktpotentiale effektiver zu nutzen. Insofern mit der Orientierung an der individuellen Leistungsfähigkeit und der betrieblichen Konkurrenzfähigkeit gesellschaftliche Macht- und Ungleichheitsverhältnisse weitgehend ausgeblendet werden, sind Diversity-Management-Konzepte nur begrenzt in der Lage, Diskriminierungen nachhaltig zu begegnen. Vorgeschlagen wird demgegenüber eine an gesellschaftstheoretische Überlegungen der Cultural, Queer und Postcolonial Studies sowie an den konÀikttheoretischen Ansatz von Johan Galtung rückgebundene Reformulierung von Diversity-Konzepten. Wir danken den AutorInnen für ihre Mitwirkung an diesem Band, Frank Engelhardt vom VS-Verlag für die erneut gute Zusammenarbeit sowie Carina Jung und René Gründer für ihre engagierte Unterstützung bei der Erstellung des Manuskriptes. Literatur Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Resolution 217 A (III) der Generalversammlung vom 10. Dezember 1948: www. un.org/Depts/german/grunddok/ar217a3.html Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz. www.gesetze-im-internet.de/agg/BJNR189710006.htm Blumer, Herbert (1954): ReÀections on Theory of Race Relations. In: University of Hawai Press (Ed.): Conference on Race Relations in World Perspective. Westport: Greenwood Press, pp. 3–19 Blumer, Herbert (1961): Race Prejudice as a Sense of Group Position. 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November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf.(http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:32000L00 78:DE:HTML) 20 Ulrike Hormel und Albert Scherr Europäische Kommission (Hrsg.) (2009): Eurobarometer Spezial 317. Diskriminierung in der EU im Jahr 2009 (http://ec.europa.eu/social/keyDocuments.jsp?type=0&policy Area=0&subCategory=0&country=0&year=0&advSearchKey=eurobsur&mode=a dvancedSubmit&langId=de) Sinus-Sociovision (2008): Diskriminierung im Alltag. Wahrnehmung von Diskriminierung und Antidiskriminierungspolitik in unserer Gesellschaft. Heidelberg (http:// www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/RedaktionADS/PDF-Anlagen/2009-04-02schriftenreihe-band4,property=pdf,bereich=ads,sprache=de,rwb=true.pdf) Das Diskriminierungsverbot als Menschenrechtsprinzip Heiner Bielefeldt 1 Die Menschenwürde als Grundlage Als Menschenrechte bezeichnen wir jene grundlegenden Rechte, die dem Menschen allein schon deswegen zustehen, weil er ein Mensch ist. Dies ist mit dem Begriff des menschenrechtlichen Universalismus gemeint. Im Unterschied zu solchen Rechten, die an bestimmte Rollen oder Funktionen in der Gesellschaft anknüpfen – etwa an die Rolle von Mietern oder Vermieterinnen, an die Mitgliedschaft in bestimmten Verbänden und Berufsgruppen oder an den Besitz einer bestimmten Staatsangehörigkeit – sind die Menschenrechte schon mit dem Menschsein des Menschen gegeben. Sie werden nicht erworben oder veräußert und können durch individuelle Leistungen oder Fehlleistungen weder gesteigert noch gemindert werden. In einer aus dem 18. Jahrhundert überkommenen Metapher spricht man noch heute gelegentlich davon, dass die Menschenrechte dem Menschen „angeboren“ seien. So lautet der erste Satz von Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen von 1948: „Alle Menschen sind frei und an Würde und Rechten gleich geboren.“ Der Gegenbegriff zum Universalismus der Menschenrechte ist nicht etwa eine regionale (im Unterschied zur globalen) Institutionalisierung rechtlicher Gewährleistungen. Regionale Rechtsinstrumente wie die 1950 vom Europarat verabschiedete Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) sind nicht etwa „weniger universalistisch“ als das global ausgerichtete menschenrechtliche Schutzsystem der Vereinten Nationen; denn auch die EMRK knüpft in der Gewährleistung der grundlegenden Rechte schlicht an das Menschsein des Menschen an. Dasselbe gilt für einzelstaatliche Menschenrechtsverbürgungen, wie sie zum Beispiel im Grundrechtsabschnitt des Grundgesetzes enthalten sind; auch sie gelten im Jurisdiktionsbereich des Grundgesetzes für jeden Menschen gleichermaßen und sind insofern Ausdruck des normativen Universalismus der Menschenrechte. Vielmehr wäre der Gegenbegriff zum menschenrechtlichen Universalismus ein rechtlicher Partikularismus: Sofern grundlegende Rechte von partikularen Bedingungen – Vorleistungen, persönlichen Merkmalen, gesellschaftlichen Statuspositionen usw. – abhängig gemacht würden, wäre ein rechtlicher Partikularismus gleichbedeutend mit Exklusion und Diskriminierung. Im Gegenzug gilt, dass Menschenrechte