Erforschung und Behandlung von Medienabhängigkeit an der Medizinischen Hochschule Hannover Bert te Wildt Zentrum für Seelische Gesundheit Klinik für Psychiatrie, Sozialpsychiatrie und Psychotherapie Prof. Dr. med. Stefan Bleich Suchtforschungszentrum der Medizinischen Hochschule Hannover Thomas Hillemacher Bert te Wildt Arbeitsgruppe Medien- und Glücksspielabhängigkeit PD Dr. med. Bert te Wildt Dr. med. Felix Wedegärtner Dr. rer. nat. Dipl. Psych. Gregor Szycik Dipl. Soz. Päd. Wolfgang Schurtzmann Dipl. Psych. A. Vukicevic Dipl. Psych. M. Hake Studien zur exzessiven Mediennutzung 1. Komorbidität bei Internetabhängigkeit (n=25) - HILF Bei allen internetabhängigen Probanden wurde mit Anamnese und SKID mindestens eine psychiatrische Diagnose gestellt, die nicht als Sucht oder Impulskontrollstörung zu klassifizieren ist. 18 von 25 Probanden (72 %) mit Internetabhängigkeit weisen gemäß klinischer Diagnostik und gestützt durch den BDI eine depressive Störung auf. Die Gesamtpopulation der internetabhängigen Probanden unterscheidet sich im BDI und der Depressionsskala des SCL-90R hochsignifikant von einer Kontrollgruppe. Signifikant höhere Werte für Dissoziation (FDS) und interpersonale Probleme (IIP-D) sowie signifikant niedrige Werte für Selbstkohärenz (SOC) bei internetabhängigen Probanden deuten auf ein gestörtes Identitäts- und Beziehungs(er)leben hin. I. Putzig Subskalen der Symptom-Checkliste SCL-90R 16 14 12 10 Betroffenenkollektiv 8 Gesundenkollektiv 6 4 2 0 Soma Zwang** Unsich** Depr** Angst** Aggr** Phob** Para** Psych** ** p ≤ 0,001 Becks Depressionsinventar 100 40 93 80 30 60 20 47 30 Prozent 20 20 Gesundenkollektiv 0 7 klinisch relevant Betroffenenkollektiv unauffällig Summemscore BDI 40 10 0 -10 Be troffe ne nk olle k tiv Ge sunde nk olle k tiv mäßige Ausprägung * p ≤ 0,01 Psychiatrische Diagnosen bei Internetabhängigkeit (SKID I) DSM-IV Diagnosis Major Depression Dysthymic disorder Adjustment disorder with depression Agoraphobia Posttraumatic Stress disorder Dissociative Identity Disorder Borderline Personality Disorder 0 2 4 6 Frequency of Diagnosis 8 10 12 2. Komorbidität bei Alkoholabhängigkeit (n=25) Keine weitere psychiatrische Diagnose 56% Majore Depression Angststörung Essstörung 36% 4% 4% Die Alkoholabhängigen weisen gegenüber Gesunden signifikant höhere Ergebnisse für Depression auf, wobei die Depressionswerte der Internetabhängigen noch höher liegen. P. Siebrasse 3. Komorbidität bei pathologischem Glücksspiel (n=25) Psychosen PTSD Bipolare affektive Erkrankung Depressionen Persönlichkeitsstörungen 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% F. Wedegärtner 4. Internetabhängigkeit bei depressiven Patienten (n=25) 44% der Depressiven schätzen sich selbst als internetabhängig ein. 20% der Depressiven erfüllen die Kriterien für Internetabhängigkeit von Young & Beard. 16% der Depressiven erzielen in der Internetsuchtskala (ISS) individuell pathologische Werte. Es ergeben sich signifikant höhere ISS-Werte bei Depressiven gegenüber der Kontrollgruppe. C. Janssen 5. ADHS & Internetabhängigkeit (n=25) ADHS bei Internetabhängigkeit Gemäß der ADHS-Testung bei 30,4% der Internetabhängigen der Verdacht auf ein vorbestehendes ADHS. Internetabhängigkeit bei ADHS 16% der ADHS-Patienten erfüllen die Young- und Beard-Kriterien für Internetabhängigkeit. In der Internetsuchtskala erzielen ADHS-Patienten signifikant höhere Ergebnisse als Vergleichsprobanden. M. Drews 6. Exzessiver Konsum gewalthaltiger Computerspiele I - VW-/Dräger-Stiftung Mehr als die Hälfte der exzessiven Gewaltspieler erfüllen die Kriterien einer Computerspielabhängigkeit Die Gewaltspieler erzielen gegenüber Vergleichsprobanden in vier der fünf Subskalen des Fragebogens für Aggressionsfaktoren (FAF) signifikant höhere Werte (p ≤ .05) Die FAF-Gesamtskala korreliert signifikant neagtiv (p ≤ .05; r = -.515) mit der Skala für Perspektivenübernahme des Interpersonality Reactivity Index (IRI), während einige der FAF-Subskalen mit der Skala für Empathische Reaktionen korrelieren. Die Exzessivspieler bieten signifikante Aktivitätsunterschiede innerhalb des cingulären anterioren Cortex (ACC) im Vergleich zu den Kontrollprobanden. Dieses Cluster korreliert signifikant positiv mit der FAF-Skala für Selbstaggression / Selbstdepression. G. Szycik, W. Dillo, S. Rojas, A. Vukicevic, M. Hake Laufende Studien: 7. Exzessiver Konsum gewalthaltiger Computerspiele II - TUI-Stiftung G. Szycik, M. Hake, A. Vukicevic, K. Hassan 8. Psychometrische Vergleichsstudie zwischen Internet-Computerspiel- und Internet-Pornographieabhängigen J. Kobs, U. Hartmann 9. Untersuchung an Internetabhängigen auf Störungen von Identität und Interpersonalität unter besonderer Berücksichtigung von Persönlichkeitsstörungen und Faktoren des körperlichen Selbsterlebens A. Vukicevic 10. Studien in Planung zur Diagnostik & Therapie von Medienabhängigkeit Funktionelle Bildgebung und EKP – G. Szycik Molekularbiologische Untersuchungen – T. Hillemacher & H. Frieling Psychotherapiestudie – B. te Wildt Individuelle Behandlung von Medienabhängigen an der MHH Behandlungsbereiche der Klinik für Psychiatrie, Sozialpsychiatrie und Psychotherapie Mediensprechstunde 4 akutpsychiatrische Stationen Systemische Beratung 1 Entzugsstation Institut für psychotherapeutische Ausund Weiterbildung 2 Psychotherapiestationen 3 Tageskliniken Institutsambulanzen/SPD 1. Behandlung von Medienabhängigen I Ambulante Phase 1: - Erstkontakte in Spezialsprechstunden - ausführliche Diagnostik - nicht-konfrontative Motivationsstrategie - systemische Paar- und Familienberatung - frühzeitiger Aufbau einer therapeutischen Beziehung - eventuell zusätzlich Selbsthilfegruppe/Gruppentherapie - eventuell Psychopharmakotherapie, insbesondere bei komorbiden Störungen Besonderheiten der psychopharmakologischen Behandlung komorbider psychischer Erkrankungen bei Medienabhängigkeit Depressionen oder Angsterkrankungen: Depressionen/Angsterkrankungen und Schlafstörungen: isolierte Schlafstörungen: Persönlichkeitsstörungen mit Impulskontrollstörungen: Psychosen: SSRIs und ähnliche Substanzen schlafinduzierende Antidepressiva Niederpotente Neuroleptika, Benzodiazepinanaloga Antikonvulsiva o. atypische Neuroleptika atypische Neuroleptika 2. Behandlung von Medienabhängigen II Stationäre Phase: - eventuell zunächst stationäre Behandlung auf einer akutpsychiatrischen Station zur Therapie komorbider Störungen oder der Durchführung eines Entzugs - evtl. auch mit Gabe von Psychopharmaka bei Entzugssymptomen: Sedativa, Hypnotika, Stimmungsstabilisierer - anschließend ortsnahe stationäre sozio- und psychotherapeutische Behandlung - oder stationäre Psychotherapie in einer Klinik mit vorwiegend psychotherapeutischem Angebot im Sinne einer Rehabilitations/Entwöhnungsbehandlung - alternativ: teilstationäre Behandlung in einer Tagesklinik 3. Behandlung von Medienabhängigen III Ambulante Phase 2: - Fortführung etwaiger Pharmakotherapie - Gruppentherapie - schulische/berufliche Rehabilitation - Fortführung der ambulanten Psychotherapie - Selbsthilfegruppen Fachverband Medienabhängigkeit Regionalgruppe Angehörigengruppe im Lister Turm www.fv-medienabhaengigkeit.de Fachverband Medienabhängigkeit e.V. Engestraße 1 | 21335 Lüneburg Tel. 04131- 85 44 783 | [email protected] Zusätzliche Folien Identifizierung von Abhängigkeit auslösenden Faktoren in Computerspielen - Online-Rollenspiele bergen ein Abhängigkeitspotential, vermutlich auch OnlineShooter - Kombination von Internet und interaktivem Spiel als Beziehungsdimension - Lange Nutzungszeiten werden belohnt und sind notwendig, um die Ziele eines Spiels zu erreichen - Intermittierende Verstärkung im Belohnungssystem der Spiele - Affektregulation über externe Bewertungs- und Belohnungsmechanismen Gründe für die Anerkennung von Medienabhängigkeit als Krankheitsentität in Analogie zu stoffgebundenen Abhängigkeitserkrankungen - Ähnlich wie Glücksspiele können insbesondere Online-Spiele Abhängigkeit induzierende Effekte haben. - Subklinisch Betroffene könnten im Rahmen eines exzessiven Medienkonsums über die Schwelle zu einer manifesten psychischen Erkrankung geführt werden. - Bei psychopathologisch relevanten Entwicklungsstörungen von Kindern und Jugendlichen ist häufig nicht eindeutig zu klären, ob die Medienabhängigkeit oder die psychische Erkrankung zuerst da war. - Auch stoffgebundene Abhängigkeitserkrankte leiden häufig unter assoziierten psychischen Erkrankungen, die auch vorgängig sein können, ohne dass dies die Eigenständigkeit ihrer Sucht in Frage stellen würde. - Pragmatischerweise erscheint die Anerkennung als sinnvoll, da sich stetig mehr Menschen primär wegen Medienabhängigkeit in Beratungsstellen und ambulanten Einrichtungen vorstellen.