Syndromale Krankheitsbilder mit Makrozephalie

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„Artikel des Monats“ | Fortbildung
Syndromale Krankheitsbilder
mit Makrozephalie
Alma Küchler , Dagmar Wieczorek | Institut für Humangenetik, Universitätsklinikum Essen, Universität Duisburg-Essen
Einleitung
Anhand des Leitsymptoms Makrozephalie
soll unter Berücksichtigung der zugrunde liegenden Erbgänge ein Überblick über
verschiedene Krankheitsbilder mit Makrozephalie gegeben werden [6, 24]. Neben
der benignen familiären Makrozephalie,
die ohne assoziierte Fehlbildungen einhergeht, gibt es zahlreiche syndromale Krankheitsbilder, die z. T. mit einer mentalen Retardierung assoziiert sind. Die Winter-Baraitser-Dysmorphology Database [9], die
bei der Suche nach syndromalen Krankheitsbildern hilfreich ist, führt in der aktuellen Version 330 Krankheitsbilder mit
Makrozephalie auf, davon 199 in Kombination mit einer mentalen Retardierung.
Dies macht deutlich, dass die nachfolgende Übersicht nur einen Ausschnitt dieses
umfassenden Gebiets der klinischen Genetik / Dysmorphologie wiedergeben kann.
Die Mikrozephalie, als Pendant zur
Makrozephalie, ist ebenfalls ein häufiges klinisches Zeichen bei syndromalen
Krankheitsbildern.
Eine aktuelle Übersicht zu „Mikrozephaliesyndromen und geistiger Behinderung“ findet sich in der Zeitschrift Medizinische Genetik (2009)
21: 224 – 230.
Klassifikation, Diagnose,
Pathogenese
Die Makrozephalie (griechisch: makro
„groß“; kephalo „Kopf“) ist definiert als ein
Kopfumfang oberhalb der 97. Perzentile bzw.
ein Kopfumfang, der mehr als 2 Standardabweichungen (SD) oberhalb des Mittelwerts
88
für den Kopfumfang unter Berücksichtigung von Alter und Geschlecht liegt.
Zur optimalen Messung des Kopfumfangs sollte das Zentimetermaß um die
breiteste Stelle der Stirn und die prominenteste Stelle des Hinterkopfs gelegt werden.
Mehrfachmessungen sind erforderlich, um
eine Makrozephalie zu bestätigen. Die Werte werden anschließend in Perzentilenkurven eingetragen. Für Neugeborene sollten
die Perzentilenkurven aus dem Neugeborenenkollektiv der Bundesrepublik Deutschland [21] herangezogen werden. Nach der
Neugeborenenperiode können die Kopfumfangskurven nach Nellhaus [12] zugrunde gelegt werden. In jedem Fall sollte auch der Kopfumfang bei beiden Eltern
gemessen werden, um festzustellen, ob es
sich um eine familiäre Makrozephalie handelt. Ein Algorithmus zur Abklärung einer
Tab. 1: Vorgehen bei der Abklärung einer Makrozephalie
Anamnese
◾◾ Hinweise auf intrauterine Infektion
◾◾ Beginn der Makrozephalie
(primär – bereits zur Geburt bestehend – oder sekundär)
◾◾ Verlauf des Kopfumfangswachstums (perzentilenflüchtig oder – parallel)
◾◾ Entwicklungsverzögerung / mentale Retardierung
◾◾ Familienanamnese bzgl. Makrozephalie
Klinische Untersuchung
◾◾ Körpermaße (Kopfumfang, Größe, Gewicht) einschließlich Kopfumfangswerte beider Eltern
◾◾ Kraniofaziale Dysmorphien
◾◾ Neurologische Zeichen
◾◾ Hautauffälligkeiten
◾◾ Auffälligkeiten des Skeletts / der Schädelkalotte, Schädelasymmetrien
Bildgebende Diagnostik: Sonographie, CT bzw. MRT des Schädels
◾◾ Erweiterte Liquorräume
◾◾ Megalenzephalie
◾◾ Malformationen
◾◾ Raumforderungen
◾◾ Bei Groß- oder Kleinwuchssyndromen mit Makrozephalie Handröntgen
◾◾ Bei V. a. Skelettdysplasien gegebenenfalls ergänzende Skelettröntgenaufnahmen
Ergänzende apparative Diagnostik
◾◾ Pädaudiologische Untersuchung
◾◾ Ophthalmologische Untersuchung
◾◾ Echokardiographie
◾◾ EEG
Labordiagnostik
◾◾ Stoffwechseldiagnostik
◾◾ Gegebenenfalls spezifische zytogenetische oder molekulargenetische Analysen
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Pflichttext für Fachkreise sowie Fußnoten 1,2 siehe Seite 101.
Makrozephalie ist in Tabelle 1 zusammengefasst. Einer Makrozephalie können exogene, syndromale oder metabolische Ursachen zugrunde liegen. Einen
Überblick gibt Tabelle 2. Im Folgenden
werden exemplarisch einige syndromale Krankheitsbilder dargestellt, die eine
Relevanz für die tägliche pädiatrische
Arbeit haben.
Makrozephalie mit
Großwuchs als Leitsymptom
Zunächst werden 3 Krankheitsbilder
dargestellt, bei denen neben der Makrozephalie auch ein Großwuchs als
Leitsymptom vorliegt.
Sotos-Syndrom (MIM #117550)
Dieses Syndrom wurde erstmals 1964
von Sotos et al. [18] als „zerebraler
Gigantismus“ beschrieben. Inzwischen zählt es mit einer Prävalenz von
Familiäre Makrozephalie
◾◾ Benigne
Multifaktoriell, nichtsyndromal
Syndromale Krankheitsbilder
mit Makrozephalie*
◾◾ Mit Anomalien der Haut
„PTEN hamartoma syndromes“
Neurofibromatose Typ I
Hemimegalenzephalie
◾◾ Mit Großwuchs
Sotos-Syndrom
Weaver-Syndrom
Makrozephalie-cutismarmorata
teleangiektatika-Syndrom
Simpson-Golabi-BehmelSyndrom
Beckwith-Wiedemann-Syndrom
◾◾ Neuro-kardio-fazio-kutane
Syndrome
Noonan-Syndrom
LEOPARD-Syndrom
CFC-Syndrom
Costello-Syndrom
◾◾ Mit mentaler Retardierung
Fragiles X-Syndrom
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*
hne Skelettdysplasien und
o
Stoffwechselerkrankungen
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GRO0310_Eselohr_AZ_RZ_7715.indd 1
ca. 1 / 14.000 [4] zu einem der häufigeren Makrozephalie-Großwuchs-Syndrome. Klinisch
ist es durch die Leitsymptome Makrozephalie, Großwuchs, charakteristische Gesichtsmerkmale und Lernschwierigkeiten gekennzeichnet. Der Makrozephalus liegt entweder
bereits zur Geburt vor (50 % der Patienten)
oder manifestiert sich bis zum Ende des ersten Lebensjahres. Der Großwuchs besteht insbesondere in der Kindheit und kann sich im
Erwachsenenalter normalisieren. Die Kinder
haben große Hände und Füße, das Knochenalter ist akzeleriert (in der Handröntgenaufnahme vor allem im Bereich der Phalangen
betont). Die für das Sotos-Syndrom charakteristischen Gesichtszüge (Abb. 1) sind in der
Kindheit am markantesten ausgeprägt: Eine
hohe, vorgewölbte Stirn mit hoher Stirnhaargrenze, ein längliches Gesicht, nach außen abfallende Lidachsen, ein prominentes, spitzes
Kinn sowie ein hoher enger Gaumen, häufig
mit Zahnfehlstellungen.
Es können Herzfehler, Nierenanoma­lien
(insbesondere vesiko-ureteraler Reflux) und
Augenauffälligkeiten auftreten. Meist besteht
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24.02.2010 18:19:52 Uhr
eine muskuläre Hypotonie mit einer statomotorischen Entwicklungsverzögerung. Die
Mehrheit der Betroffenen hat eine mentale
Retardierung, deren Ausprägung eine große
Variabilität aufweist. Etwa 1/3 der Patienten
entwickelt eine Skoliose, bei etwa ¼ der Betroffenen treten Anfälle (Absencen, tonisch-
© PD Dr. med. Dagmar Wieczorek
Tab. 2: Genetisch bedingte
Krankheitsbilder mit Leitsymptom
Makrozephalie
Abb. 1: Patient mit Sotos-Syndrom
(18 Monate alt)
89
Is
t
d
a
s
m
ö
g
Nach den MIM-Nummern („Mendelian Inheritance of Man“) sind alle genetischen Krankheitsbilder gelistet.
Ein Verzeichnis ist unter folgender
Adresse zu finden: www.ncbi.nlm.
nih.gov / omim / .
90
drom im Alter von 5 Monaten (oben)
zeigt ein deutlich akzeleriertes Knochenalter (zum Vergleich unten ein
altersentsprech­ender Normalbefund)
den. Da einige Eltern-Kind-Vererbungen
beschrieben wurden, wird eine autosomal
dominante Vererbung angenommen.
© PD Dr. med. Dagmar Wieczorek
il c
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klonisch, myoklonisch oder fokal-komplex)
auf [1, 19]. Oft kommt es aufgrund von chronischen Mittelohrentzündungen zu HörGRO0310_Eselohr_AZ_RZ_7716.indd 1
störungen. Verhaltens­auffälligkeiten sind
häufig. Beim Sotos-Syndrom besteht ein gering erhöhtes Tumorrisiko (ca. 2 – 3 % der
Betroffenen). Im Gegensatz zu anderen
Großwuchs-Syndromen sind hier die extraabdominalen Tumoren häufiger vertreten als die intraabdominalen, und der Manifestationszeitpunkt schließt das Erwachsenenalter ein [8].
Bei 80 – 90 % der Betroffenen kann die
klinische Diagnose Sotos-Syndrom molekulargenetisch bestätigt werden. Ursache ist
eine Veränderung (Mutation oder Deletion) im Gen NSD1 auf dem langen Arm des
Chromosoms 5 (im Bereich 5q35). Die Vererbung erfolgt autosomal dominant. In der
Regel handelt es sich um Neumutationen,
aber auch familiäre Fälle sind beschrieben.
Weaver-Syndrom (MIM #277590)
Beim Weaver-Syndrom handelt es sich
ebenfalls um ein Makrozephalie-Großwuchs-Syndrom [14]. Die klinischen Merkmale des Weaver-Syndroms zeigen Ähnlichkeiten zu denen des Sotos-Syndroms,
insbesondere bei jüngeren Kindern. Im
Verlauf verändern sich vor allem die fazialen Merkmale: Das Gesicht ist beim Weaver-Syndrom (Abb. 2) runder, die Stirn
breit, der Augenabstand weiter (Hypertelorismus) und das Kinn weniger prominent als beim Sotos-Syndrom. Neben der
Makrozephalie und dem Großwuchs, der
bis ins Erwachsenenalter fortbesteht, liegt
meist eine Entwicklungsverzögerung vor.
Die Stimme ist häufig rau und tief, es treten Nabel- und Leistenhernien
sowie über24.02.2010 18:28:08 Uhr
schüssige, schlaffe Haut auf. Das Knochenalter ist akzeleriert mit Betonung im Bereich der Handwurzelknochen (Abb. 3). Die
genetische Ursache des Weaver-Syndroms
ist noch nicht geklärt. Bei einem kleinen
Abb. 3: Die HandröntgenaufnahTeil der Patienten (ca. 10 %) wurden Veränme des Patienten mit Weaver-Synderungen im NSD1-Gen als Ursache gefun-
Abb. 2: Patient mit Weaver-Syndrom
(12 Monate alt)
Simpson-Golabi-Behmel-Syndrom
(MIM #312870 und #300209)
Das Simpson-Golabi-Behmel -Syndrom ist
durch einen Großwuchs, eine Makrozephalie, vergröberte Gesichtszüge (Abb. 4)
mit vollen Lippen, großem Mund, einer
großen Zunge, einem hohen Gaumen,
Zahnfehlstellungen, einem prominenten Unterkiefer, einem Hypertelorismus
und Epikanthus sowie durch einen relativ
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ten milde klinische Zeichen auf. Zugrunde liegende Ursachen sind Mutationen
(Punktmutationen oder Deletionen) im
Gen Glypican-3 (Glp-3), das auf dem langen Arm des X-Chromosoms im Bereich
Xq26 liegt. Bei bis zu 70 % der Betroffe-
nen können gegenwärtig Mutationen im
Glp-3 – Gen nachgewiesen werden.
Syndromale Krankheitsbilder
mit Makrozephalie und erhöhtem
Tumorrisiko
Im Folgenden werden 2 syndromale
Krankheitsbilder mit Makrozephalie und
normaler Körpergröße vorgestellt, bei denen ein deutlich erhöhtes Tumorrisiko vorliegt und deshalb ein Vorsorgeprogramm
in der pädiatrischen Praxis durchgeführt
werden muss.
© PD Dr. med. Dagmar Wieczorek
kurzen Hals charakterisiert. Weitere körperliche Merkmale können akzessorische
Mamillen, Organomegalien, Herzfehler,
Nierenfehlbildungen, verschiedene Mittellinienauffälligkeiten (Hypospadie, Nabelhernie, Kerbe der Zungenspitze oder in der
Mitte der Unterlippe, Gaumenspalte) sowie Auffälligkeiten der Wirbelkörper und
der Hände (u. a. große Hände, breite Daumen, hypoplastische Nägel, insbesondere
der Zeigefinger, Syn- und Polydaktylien)
darstellen. Makrozephalie und Großwuchs
beginnen in der Regel bereits pränatal. Oft
bestehen eine Entwicklungsverzögerung
und mentale Retardierung, deren Ausprägung jedoch sehr variabel sein kann [13].
Das Tumorrisiko ist mit etwa 10 % deutlich
erhöht. Alle bislang beschriebenen Neoplasien (Wilmstumor, Hepatoblastom, adrenales Neuroblastom, Gonadoblastom, hepatozelluläres Karzinom) waren intraabdominal lokalisiert.
Die Vererbung ist X-chromosomal rezessiv. Bei manchen Konduktorinnen tre-
Abb. 4: 4-jähriger Patient mit
Simpson-Golabi-Behmel-Syndrom
Gorlin-Syndrom (BasalzellnävusSyndrom, MIM #109400)
Dieses Syndrom, welches mit einer Prävalenz von ca. 1 / 40.000 auftritt, ist charakterisiert durch die Entwicklung von multiplen Zysten des Kiefers von der zweiten
Lebensdekade an und / oder von Basalzellkarzinomen von der dritten Lebensdekade an. Mehr als 60 % der Patienten weisen
schon pränatal eine Makrozephalie auf.
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Abb. 5: Erwachsener Patient mit Basalzellnävus-Syndrom (Gorlin-Syndrom) und
Makrozephalus
PTEN-assoziierte Krankheitsbilder
Makrozephalie-Autismus-Syndrom
(MIM #605309): Patienten mit diesem autosomal dominanten Krankheitsbild ha-
© PD Dr. med. Dagmar Wieczorek
Faziale Dysmorphien, wie eine prominente
Stirn, grobe Gesichtszüge und Milien, werden bei den Betroffenen häufig beobachtet
(Abb. 5). Die meisten Patienten haben Skelettveränderungen, wie z. B. Gabelrippen
oder Wirbelkörperfehlbildungen (Abb. 6).
Plantare / palmare Grübchen sind ebenfalls
häufige klinische Zeichen [10].
Da ca. 5 % der Patienten mit Basalzellnävus-Syndrom ein Medulloblastom mit
einem Erkrankungsgipfel im zweiten Lebensjahr entwickeln, ist eine körperliche
Untersuchung, einschließlich Messung
des Kopfumfangs, und eine Entwicklungsdiagnostik, besonders in den ersten
Lebensjahren, notwendig. Ab dem achten
Lebensjahr sollte im Abstand von 12 bis 18
Monaten ein Orthopantogramm zur Identifizierung der Kieferzysten durchgeführt
werden. Sonnenexposition und Röntgenaufnahmen sollten von Geburt an auf ein
absolutes Minimum beschränkt sein. Ferner ist eine jährliche dermatologische Untersuchung notwendig, um die entstehenden Basalzellkarzinome frühzeitig zu erkennen und fachgerecht zu entfernen. Im
Alter von 20 Jahren zeigen mehr als 90 %
der Patienten ektope Verkalkungen, besonders der Falx cerebri.
Bei 60 – 90 % der Betroffenen kann die
klinische Diagnose Gorlin-Syndrom molekulargenetisch bestätigt werden. Ursache ist eine Veränderung (Mutation oder
Deletion) im Gen PTCH auf dem langen Arm des Chromosoms 9 (im Bereich
9q22.3). Die Vererbung erfolgt autosomal
dominant. In der Regel handelt es sich um
familiäre Fälle, nur 20 – 30 % sind Neumutationen.
92
Abb. 6: Röntgenaufnahme des Thorax mit Darstellung
von Gabelrippen
bei einem Neugeborenen mit Gorlin-Syndrom
ben eine kongenitale Makrozephalie, die
von + 2,5 bis + 8 Standardabweichungen
reicht. Es findet sich häufig eine breite und
hohe Stirn. Ansonsten bestehen nur milde faziale Dysmorphien. Darüber hinaus
haben viele Patienten einen autistischen
Verhaltensphänotyp. Bei einem Teil dieser Patienten findet man Mutationen im
PTEN-Gen [2, 7], die z. T. identisch sind
mit denen, die man bei Patienten mit anderen PTEN-assoziierten Krankheitsbildern ebenfalls findet.
Zu den PTEN-assoziierten Krankheitsbildern zählen das Cowden-Syndrom (MIM
#158350) und das Bannayan-Riley-Ruvalcaba-Syndrom (BRRS, MIM #153480). Sowohl
beim Cowden-Syndrom als auch beim BRRS
findet man bei 60 – 85 % der Patienten Mutationen im PTEN-Gen und neben der Makrozephalie weitere Auffälligkeiten, die häufig erst im Erwachsenenalter manifest werden. Dies macht die Abgrenzung der einzelnen PTEN-assoziierten Krankheitsbilder im
Kindesalter im Einzelfall schwierig.
Das Cowden-Syndrom geht mit einem erhöhten Risiko für die Entwicklung
von benignen und malignen Tumoren der
Schilddrüse, der Mamma und des Endometriums einher. Diese Tumoren treten jedoch
in der Regel erst im Erwachsenenalter auf.
Das heißt bei Patienten mit Makrozephalie-Autismus-Syndrom und Mutation im
PTEN-Gen muss mit Beginn des Erwachsenenalters ein Tumor-Screeningprogramm
durchgeführt werden.
Das Bannayan-Riley-Ruvalcaba-Syndrom ist neben der Makrozephalie charakterisiert durch intestinale Polypen, Lipome
und pigmentierte Flecken des Penis. Diese
Veränderungen treten auch erst im Laufe
des Lebens auf, so dass eine Verlaufsbeobachtung der Patienten zeitlebens notwendig ist.
PTEN-Mutationen sind auch bei Patienten nachgewiesen worden, die klinisch als
Proteus-Syndrom diagnostiziert worden
waren [2]. Dies ist von anderer Seite wohl
zu Recht in Abrede gestellt worden: bisher
konnte bei keinem Patienten, der tatsächlich klinisch sicher die Kriterien des Proteus-Syndroms erfüllt, eine Mutation im
PTEN-Gen nachgewiesen werden [3].
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Zu diesem Krankheitsspektrum werden
nach heutigem Kenntnisstand das Noonan- und LEOPARD-Syndrom (MIM
#163950, MIM #151100, #611554), das CFCSyndrom („cardio-facio-cutaneous syndrome“, MIM #115150), das Costello-Syndrom (MIM #218040), die Neurofibromatose Typ I (Morbus Recklinghausen, MIM
#162200) und das Legius-Syndrom (MIM
#611431) gezählt. Diese Krankheitsbilder
werden durch Mutationen in Genen des
RAS (Rat Sarcoma virus gene)-MAPK-Signalwegs verursacht und autosomal dominant vererbt.
Noonan- und LEOPARD-Syndrom
Das mit einer Prävalenz von 1 / 2.500 auftretende Noonan-Syndrom ist charakterisiert durch einen Kleinwuchs, Thoraxdeformitäten, angeborene Herzfehler
(häufig Pulmonalstenose, hypertrophe
Kardiomyopathie), einen Kryptorchismus
und kraniofaziale Dysmorphien. Hierzu
gehören die relative Makrozephalie, der
Hypertelorismus, die nach außen abfallenden Lidachsen, die Ptosis, die tiefsitzenden, nach hinten rotierten Ohren und
der tiefe Haaransatz im Nacken (Abb. 7).
Eine milde Entwicklungsverzögerung findet sich bei weniger als einem Drittel der
Patienten. Eine erhöhte Blutungsneigung
wird häufig beobachtet [20].
Beim Noonan-Syndrom finden sich
Mutationen im PTPN11-Gen bei etwa 50 %
und im SOS1-Gen bei etwa 10 – 15 % der Patienten. Deutlich seltener finden sich beim
Noonan-Syndrom Mutationen im KRASund RAF1-Gen (bei 1 – 2 % bzw. 5 – 10 % der
Patienten). Die Genotyp-Phänotyp-Korrelation zeigt, dass Patienten mit Mutationen im PTPN11-Gen häufig Pulmonalstenosen haben. Patienten mit Mutationen im
SOS1-Gen haben in der Regel eine normale intellektuelle Entwicklung und seltener einen Kleinwuchs. Eine hypertrophe
Kardiomyopathie findet sich häufig bei
Mutationen im RAF1-Gen. Während der
Drucklegung dieses Artikels wurde noch
ein weiteres Noonan-Gen, das NRAS-Gen
publiziert.
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Neuro-kardio-fazio-kutane
Syndrome
Abb. 7: Fazialer Phänotyp einer
Patientin mit Noonan-Syndrom
und Mutation im SOS1-Gen
Das LEOPARD-Syndrom, charakterisiert durch Lentigines, EKG-Veränderungen, okulärem Hypertelorismus, Pulmonalstenose, Genitalanomalien, Retardierung der Körpergröße und Deafness, unterscheidet sich vom Noonan-Syndrom
durch die Pigmentveränderungen, die sich
in den ersten Lebensjahren entwickeln
und in der Pubertät deutlich zunehmen
können und stamm- und gesichtsbetont
vorhanden sind [17]. Auch die Schwerhörigkeit entwi­ckelt sich häufig erst im Kindesalter, so dass die Abgrenzung zum
Noonan-Syndrom in der Kleinkindzeit
schwierig sein kann.
Mehr als 80 % der Patienten haben
spezifische Mutationen im PTPN11- bzw.
RAF1-Gen, die sich funktionell von den
Mutationen beim Noonan-Syndrom unterscheiden.
CFC-Syndrom („cardio-faciocutaneous syndrome“)
Das CFC-Syndrom ist durch „cardiac anomalies“ und „facial anomalies“, die dem
Noonan-Syndrom ähnlich sind, gekennzeichnet. Zusätzlich haben die Patienten
„cutaneous anomalies“, wie Hyperkeratosen, fehlende Augenbrauen und Wimpern
und spärliches und lockiges Haar. Ein Polyhydramnion und Fütterungsprobleme
gehören ebenfalls zu den charakteristi-
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schen klinischen Zeichen des CFC-Syndroms. Eine deutliche psychomotorische
Entwicklungsverzögerung ist im Gegensatz zum Noonan-Syndrom bei allen Patienten vorhanden [16].
Bei 50 – 80 % der Patienten findet man
Mutationen im BRAF-Gen. MEK1 und
MEK2-Gen-Mutationen lassen sich bei
5 – 10 % der Patienten nachweisen. Mutationen im KRAS-Gen wurden in Einzelfällen beschrieben.
Costello-Syndrom
Patienten mit Costello-Syndrom zeigen
ausgeprägte Fütterungsprobleme, einen
deutlichen Kleinwuchs, eine Makrozephalie und eine Entwicklungsverzögerung.
Die fazialen Dysmorphien überlappen mit
dem Noonan- / CFC-Syndrom, allerdings
sind die Gesichtszüge beim Costello-Syndrom gröber und die Lippen voller. Die
tiefen palmaren und plantaren Hautfalten sind von Geburt an vorhanden, während die charakteristischen perioralen
und perianalen Papillome erst im Laufe
des Schulkindalters auftreten. Auch die
Herzfehler überlappen mit denen des Noonan- / CFC-Syndroms, jedoch treten kardiale Arrhythmien beim Costello-Syndrom
häufiger auf [15].
Da beim Costello-Syndrom das Tumorrisiko insbesondere für Rhabdomyosarkome, Neuroblastome und Karzinome der
Blase erhöht ist, empfiehlt es sich, bei den
Patienten ein Vorsorgeprogramm durchzuführen [5].
Bei über 90 % der Patienten mit Costello-Syndrom lässt sich eine Mutation
im HRAS- Gen nachweisen.
Neurofibromatose Typ 1
(Morbus Recklinghausen)
Auch die Neurofibromatose Typ I (NF1)
gehört zu den neuro-kardio-fazio-kutanen Syndromen. Gekennzeichnet ist dieses häufige Krankheitsbild (Prävalenz:
1 / 3.000) durch multiple Café-au-lait-Flecken, eine axilläres „freckling“, Neurofibrome, Lisch-Knötchen der Iris und Skelettveränderungen, wie z. B. Pseudarthrosen. Auch bei diesem Krankheitsbild ist
das Tumorrisiko erhöht [23].
95
„Artikel des Monats“ | Fortbildung
Wesentliches für die Praxis . . .
◾◾ Die Makrozephalie ist definiert als ein Kopfumfang oberhalb der 97. Perzentile bzw. ein Kopfumfang, der mehr als 2 Standardabweichungen (SD) oberhalb
des Mittelwerts für den Kopfumfang unter Berücksichtigung von Alter und Geschlecht liegt.
◾◾ Neben der benignen familiären Makrozephalie, die definitionsgemäß ohne
assoziierte Anomalien einhergeht, gibt es zahlreiche syndromale Krankheitsbilder, die mit einer Makrozephalie assoziiert sind.
◾◾ Die Makrozephalie ist bei manchen syndromalen Krankheitsbildern mit
fazialen Dysmorphien assoziiert, die eine Blickdiagnose erlauben.
◾◾ Einige syndromale Krankheitsbilder gehen mit einem erhöhten Tumorrisiko
einher, welches ein Vorsorgeprogramm erfordert.
◾◾ Eine molekulargenetische Analyse zur Bestätigung der klinischen Diagnose ist
bei einigen syndromalen Krankheitsbildern mit Makrozephalie nach Durchführung einer genetischen Beratung möglich.
Es finden sich Punktmutationen im NF1Gen, aber auch Deletionen dieses Gens,
die zu einem schwereren Phänotyp führen
können. Eine Makrozephalie und Herzfehler, wie z. B. Pulmonalstenosen, finden
sich häufiger bei Patienten mit Deletionen
des NF1-Gens.
Legius-Syndrom
Dieses Syndrom wurde als Neurofibromatose Typ I-ähnliches Krankheitsbild beschrieben und stellt eine wichtige
Differenzialdiagnose dar. Die Patienten
haben eine Makrozephalie, einen fazialen Phänotyp, der große Überlappungen
zum Noonan-Syndrom zeigt, Café-au-laitFlecken und das „axillary freckling“, allerdings entwickeln sie im Gegensatz zur
NF1 keine Neurofibrome und keine LischKnötchen. Es finden sich Mutationen im
SPRED1-Gen [11].
Zusammenfassung
Zusammenfassend lässt sich festhalten,
dass bei Vorliegen einer Makrozephalie
eine umfassende Abklärung durchgeführt
werden sollte (Tab. 1). Erst die Klärung der
96
Ursache erlaubt es, ein spezifisches pädiatrisches Betreuungskonzept für die Vorsorge und Therapie zu erstellen.
Danksagung
Wir bedanken uns bei allen Eltern, die sich
bereit erklärt haben, dass ein Foto ihres
Kindes abgedruckt werden darf.
Literatur
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J Rare Dis 2: 36
2. Butler MG, Dasouki MJ, Zhou XP et al. (2005) Subset of
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3. Cohen MM Jr, Turner JT, Biesecker LG (2003) Proteus syndrome: misdiagnosis with PTEN mutations. Am J Med Genet
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6. Haskins O (2007) Macrocephaly syndromes. Sem Pediatr
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7. Herman GE, Butter E, Enrile B, Pastore M, Prior TW et al.
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two additional patients with autism and macrocephaly. Am
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Korrespondenzadresse
PD Dr. med. Dagmar Wieczorek
Institut für Humangenetik
Universitätsklinikum Essen
Universität Duisburg-Essen
Hufelandstraße 55
45122 Essen
Tel.: 02 01 / 723 45 67
Fax: 02 01 / 723 59 00
E-Mail: [email protected]
Kinderärztliche Praxis 81, 88 – 96 (2010) Nr. 2 www.kinderaerztliche-praxis.de
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