Kapitel 4: Arithmetisches Wachstum – theoretisches Modell Dr. Dankwart Vogel Ziele des Kapitels Eigenschaften arithmetischen Wachstums: numerisch, geometrisch, theoretisch Arithmetisches Wachstum – gesunder Menschenverstand – Proportionalität Uni Essen WS 2009/10 2 Die Grundeigenschaft arithmetischen Wachstums (*) Zu gleichlangen Zeitabschnitten gehören gleichgroße Zuwächse (**) an1 an d , n 0, d konstant Beachte: 1. (*) besagt mehr als (**): (*) (**), aber nicht (**) (*) (d bezieht sich auf eine feste Zeiteinheit (etwa ein Jahr), die n zählt.) 2. Der Zuwachs kann auch negativ sein („negatives Wachstum“). Uni Essen WS 2009/10 3 Drei Beispiele (1) Beispiel 1: Bevölkerungswachstum Für kurze Zeiträume (etwa 5 Jahre) kann ein arithmetisches Modell oft hinreichend gute Voraussagen treffen, etwa: p0 100.000 pn1 pn 5.000, n 0. Beispiel 2: Einfache Verzinsung (*) (**) (**) (*) Geldverleih unter Freunden zu 2%: k0 1.000 k 2 kn1 kn 0 100 Uni Essen WS 2009/10 4 Drei Beispiele (2) Beispiel 3: Angebot und Nachfrage Eine empirische Erhebung in der Essener Mensa ergibt: Kostet ein Wasser 40 ct, werden 141 Flaschen verkauft. Jede Preisanhebung um 5 ct lässt den Absatz um 12 Flaschen sinken. Mathematisches Modell: a0 141 an1 an 12, n 0. Beachte: 1. Hier ist n kein Zeitparameter, sondern ein Zähler für die Preiserhöhungen um jeweils 5 ct. 2. Der Parameter d ist negativ, hier gleich -12. Uni Essen WS 2009/10 5 Eigenschaften des arithmetischen Modells (1) Numerisch Mit dem Startwert a0 und der Differenz d liegt alles Weitere fest. Beispiel Absatz: a0 141, d 12 a1 141 12 129 a2 129 12 117 usw. Graphisch Die Punkte (n, an ) liegen auf einer Geraden, d gibt die Steilheit der Geraden. Wir sprechen von einem linearen Modell. Uni Essen WS 2009/10 6 Eigenschaften des arithmetischen Modells (2) Theoretisch Um a3 zu berechnen, müssen wir zuvor a2 berechnen, um a2 zu berechnen, a1 , usw. Ein solches Berechnungsverfahren nennen wir rekursiv. recurrere, lat. = zurücklaufen, zurückkehren Allgemein: an an1 d (an2 d ) d an2 2 d ... ann n d a0 n d Uni Essen WS 2009/10 7 Arithmetisches Wachstumsmodell – Zusammenfassung Der Rekursion an1 an d , n 0 entspricht die Funktion an a0 n d , n 0. Die Parameter sind Anfangswert a0 Zuwachs d . Uni Essen WS 2009/10 8 Proportionales Denken oder – der „gesunde Menschenverstand“ Problem zum Einstieg Bei einem Preis von 40 ct können 120 Wasserflaschen verkauft werden. Wird der Preis auf 55 ct angehoben, sind es 30 Flaschen weniger. Wie viel Flaschen können wohl bei einem Preis von 60 ct verkauft werden? Was meinen Sie? Uni Essen WS 2009/10 9 Naheliegend … (bei gesundem Menschenverstand??) Preisanstieg und Rückgang der Verkaufszahlen sind proportional. Dann gilt die folgende Rechnung (Dreisatz): Preisanstieg in ct Rückgang der Verkaufzahl 15 30 5 10 20 40 Ergebnis: Wird 60 statt 40 ct verlangt, sinkt die Verkaufszahl auf 120 40 80 Flaschen. Uni Essen WS 2009/10 10 Eine wichtige Feststellung Wir erinnern uns an die Definition: Zwei Größen heißen proportional genau dann, wenn zu jedem Vielfachen der einen das gleiche Vielfache der anderen Größe gehört, ihr Verhältnis also konstant ist, kurz: y y x : c, wobei c konstant ist. x Nun die Feststellung: Jedem arithmetischem Wachstumsmodell liegt eine Proportionalitätsannahme zugrunde – und umgekehrt. Wie kann man dies einsehen? Uni Essen WS 2009/10 11 Tragende Modellvorstellung: die einfache Verzinsung Nach 1 J ahr sind 2% Zinsen fällig, nach 2 J ahren 2 ×2% = 4%, ... nach n J ahren n ×2% = 2n %. Allgemein: Zur n-fachen Zeit gehört der n-fache Zins, Zeit t und Zins z sind proportional: z z : t Û = c, wobei c konst ant ist . t Die Konstante c heißt Proportionalitätfaktor, da z = c Û z = c ×t . t Der zugehörige Funktionsgraph ist eine Ursprungsgerade. Beachte: Wir haben das ursprünglich diskrete Modell zu einem kontinuierlichen fortgesetzt. Uni Essen WS 2009/10 12 Kapitel 5: Lineare Gleichungen Ziele des Kapitel Begriffsklärung: lineare Gleichung Durchschauen des Wechselspiels lineare Gleichung linearer Graph Uni Essen WS 2009/10 13 Eine Prise Terminologie Wir unterscheiden Term Gleichung Ungleichung. Eine Gleichung/Ungleichung besteht aus zwei Termen T 1 und T 2 mit einem Gleichheits-/Ungleichheitszeichen dazwischen: T 1 = T 2 (bzw. T 1 < T 2 usw.) Ein Term ist ein Zahlsymbol oder ein Rechenausdruck mit oder auch ohne Variablen. 1 Beispiele für Terme: 0, p, 2, x - 1, ,... 1 + p2 für Gleichungen: 1 = 0, x - 1 = p, y = x - 1,... Eine Gleichung heißt linear, wenn die Terme auf beiden Seiten linear sind. Uni Essen WS 2009/10 14 Eine weitere Prise Ein Term heißt linear, wenn nur zwei Typen von Operationen darin auftreten (1) Addition bzw. Subtraktion (2) Multiplikation mit bzw. Division durch eine Konstante. Term linear? x- 1 xy + 2 x - 2y x2 ja x- 1 x- 1 p x- 1 x+1 nein ja nein nein ja nein Uni Essen WS 2009/10 15 Beachte 1. Eine lineare Gleichung kann beliebig viele Variablen enthalten; die Definition sagt über die Anzahl der Zahlen, Operationen und Variablen nichts aus. 2. Gleichungen lassen sich äquivalent umformen, entsprechend den bekannten Regeln der Algebra. Beispiel: 2x - 1 = 0 Û 2x = 1 Û x = 21 Uni Essen WS 2009/10 16 Wozu Gleichungen? Wir verwenden Gleichungen, um beispielsweise Funktionen zu beschreiben. Eine Funktion heißt linear, wenn sie durch eine lineare Gleichung beschrieben werden kann. Die Lösungsmenge einer linearen Gleichung in einer Variablen ist entweder leer oder besteht aus genau einer Zahl oder besteht aus allen fraglichen Zahlen (etwa allen reellen Zahlen) Beispiele (1) (2) (3) 3x + 2 = 5 + 3 (x - 4 ) 2 (3x - 5 ) + 6 = 2 - 4x + 2 (x - 4 ) 2 - 4x = 4 (3 - x ) - 10 Bestimme ihre Lösungsmengen! Uni Essen WS 2009/10 17 Lineare Gleichungen in zwei Variablen Diese lassen sich stets in die Form (*) ax + by = c bringen. Behauptung: Ist wenigstens einer der beiden Koeffizienten a, b ungleich null, so ist ihr Graph eine Gerade. (Begründung wird nachgereicht.) Zwei Fragen: Welche Lösungsmenge ergibt sich, wenn a = b = 0 ist? Wie lässt sich einsehen, dass in allen anderen Fällen die Gleichung (*) in der Tat eine Gerade beschreibt? Uni Essen WS 2009/10 18 Formen der Geradengleichung (1) Allgemeine Form (1) ax + by = c, (a, b) ¹ (0, 0) Normalform (2) y = mx + b m gibt die Steigung, b den y-Achsenabschnitt. Punkt-Steigungsform Die Gerade durch P (x P , y P ) mit der Steigung m hat die Gleichung y- y (3) x - xPP = m Û y - y P = m (x - x P ) Zwei-Punkte-Form Die Gerade durch P (x P , y P ) und Q (xQ , yQ ) hat die Gleichung y - y y - y y- y (4) x - x P = xQ - x P Û y - y = xQ - x P (x - x P ) P Q P Q P Uni Essen WS 2009/10 19 Formen der Geradengleichung (2) Achsenabschnittsform Schneidet eine Gerade die beiden Achsen in a bzw. b, a, b ¹ 0, so hat sie die Gleichung x y (5) + = c, a, b ¹ 0 a b Beachte: 1. Alle vier Sonderformen schließen Geraden aus, die parallel zur y-Achse verlaufen. 2. Die Achsenabschnittsform schließt außerdem alle Geraden parallel zur x-Achse und durch den Ursprung aus. Uni Essen WS 2009/10 20 Wann verwenden wir welche Form? Achsenabschnittsform Zwei-Punkte-Form Punkt-Steigungs-Form Normalform Allgemeine Form Klar?! Uni Essen WS 2009/10 21 Wie findet man die Gleichung einer Geraden? Möglichkeit 1: Lies die Koordinaten von zwei Punkten ab und setze sie in die Zwei-Punkte-Form oder in die Allgemeine Form ein. – Funktioniert immer, ist aber mit Aufwand verbunden. Möglichkeit 2: Nutze die spezielle Lage der Geraden: Gerade ist parallel … … zur y-Achse: x = a … zur x-Achse: y = b (b der y-Achsenabschnitt) (a der x-Achsenabschnitt) Gerade ist weder zur x- noch zur y-Achse parallel Gerade geht durch (0,0): y = (P liegt auf der Geraden.) xP yP Gerade geht nicht durch (0,0): Alle fünf Formen können verwendet werden. Uni Essen WS 2009/10 22 Wie sieht man einer linearen Gleichung an, dass sie eine Gerade beschreibt? Die allgemeine Form einer linearen Gl in zwei Variablen ist (*) ax + by = c Fall 1: a = b = 0 Ist außerdem c = 0, beschreibt (*) die xy-Ebene, ist c ¹ 0 die leere Menge. Fall 2: (a, b) ¹ (0, 0) ((*) ist dann nicht entartet) c • Ist b = 0 und a ¹ 0, so ist (*) umformbar zu x = a c a x-Achse) = 0 y = b¹ 0 b • Ist und so ist (*) umformbar zu a c a, b ¹ 0, y = - x+ y-Achse) b b • Sind so ist (*) umformbar zu = mx + n y = mx + b Zu zeigen bleibt: Der Graph von Uni Essen WS 2009/10 (Parallele zur (Parallele zur ist eine Gerade. 23 y = mx + b beschreibt eine Gerade! Wir bemerken: Gleiche Zuwächse in x bewirken gleiche Zuwächse in y: x ® x + D x Þ y ® m (x + D x ) + b = mx + b + m D x = y + mDx Es gilt also Dy D y : D x mit = m. Dx Der Zuwachs in Richtung der y-Achse ist proportional zum Zuwachs in Richtung der x-Achse, egal von welchem x-Wert wir starten. Dies genau ist kennzeichnend für Geraden! Uni Essen WS 2009/10 24 Nachweis mittels Vektoren Wir schreiben die allgemeine Geradengleichung vektoriell und deuten sie geometrisch: c = ax + by v v = a ×x v v v v v v = a × x ×cos(a , x ), a ¹ 0 v x erfüllt die Gleichung genau dann, wenn der Punkt X auf einer Geraden liegt, die vom Ursprung O den (festen) orientierten Abstand c v v v v = x cos(a , x ) a X1 X2 v a c v a uuuv v hat. (Ist c ³ 0, so sind OP und a gleichgerichtet, andernfalls sind sie entgegengesetzt gerichtet.) Uni Essen WS 2009/10 25 Ergebnis Die Gleichung v v c = ax + by = a ×x , v v a ¹ 0 beschreibt eine Gerade, die zu v a orthogonal ist und von O den orientierten Abstand v a c v a c v hat a (s. Bild). Ist c > 0, der orientierte c uuuv Abstand av also positiv, so sind OP und av gleichgerichtet, andernfalls entgegengesetzt gerichtet. Uni Essen WS 2009/10 26 Charakteristikum linearen Wachstums Das Verhältnis Aufwärts ( D y) zu Vorwärts ( D x ) ist konstant: Dy = m Û Dy : Dx Dx Uni Essen WS 2009/10 27 Quintessenz Linearität und Proportionalität sind gleichsam zwei Seiten ein und derselben Medaille: Zwei Größen stehen genau dann in einem linearen Zusammenhang, wenn ihre Zuwächse proportional sind. Symbolisch: f : y ® x linear D yVorwärts : D x ( D x ) ist konstant: Das Verhältnis Aufwärts ( D y) zu Uni Essen WS 2009/10 28