Molekülphysik April 2010 1 1.1 Grundzustand und angeregte Zustände eines Moleküls Hamiltonoperator für das Gesamtproblem Die Quantenmechanik ist die fundamentale Theorie der Materie. Sowohl die Koordinaten der Elektronen als auch die Koordinaten der Atomkerne sind als quantenmechanische Operatoren aufzufassen. N.B.: Ein System von geladenen Teilchen (positive und negative Ladungen), die nur über die Coulombkraft wechselwirken, wäre der klassischen Mechanik zufolge nicht stabil ! Die Quantenmechanik ist deshalb essentiell, um zu erklären, warum es überhaupt stabile Formen der kondensierten Materie (insbesondere Festkörper und Flüssigkeiten) gibt. Der allgemeine Ausgangspunkt für die theoretische Beschreibung eines Stücks kondensierter Materie ist die Vielteilchen-Schrödingergleichung (T e + T ion + V e−e + V e−ion + V ion−ion )Ψ = EΨ mit der Wellenfunktion Ψ(r1 , · · · rN ; RI , · · · RM ) die sowohl von den elektronischen Koordinaten, rk , k = 1, · · · N , als auch von den Koordinaten der Atomkerne, RI , I = 1, · · · M abhängt. Die einzelnen Terme im Hamiltonoperator beschreiben die kinetische Energie der Elektronen, N X p2k e T = 2m k=1 die kinetische Energie der Atomkerne, T ion = M X P2I 2MI I=1 die Coulomb-Wechselwirkung zwischen den Elektronen V e−e ({rk }) = N N 1 1 XX e2 2 4π0 |rk − rk0 | 0 k k 6=k 1 und zwischen den Kernen mit Kernladungszahlen ZI , V ion−ion ({RI }) = N M 1 1 X X ZI ZI 0 2 4π0 |RI − RI 0 | 0 I I 6=I sowie der Wechselwirkung der Elektronen mit den Kernen V e−ion ({rk }, {RI }) = N X M X vIion (|RI − rk |). k=1 I=1 Um später statt der Atomkerne auch Ionen (Atomrümpfe) betrachten zu können, haben wir aus Gründen der größeren Allgemeinheit die letztere Wechselwirkung durch ein zentralsymmetrisches Potential vIion für jede Atomsorte spezifiziert. Dieses Problem ist bei Weitem zu kompliziert, um einer exakten Lösung zugänglich zu sein. Eine beträchtliche Vereinfachung kann jedoch erreicht werden durch die Entkopplung der Atomkern- und Elektronenkoordinaten. 1.2 Born-Oppenheimer-Näherung Frage: Kann man ausnutzen, dass die Atomkerne eine sehr viel größere Masse als die Elektronen haben, um das Problem zu vereinfachen ? Antwort: Man kann näherungsweise die Atomkerne als fest betrachten und den quantenmechanischen Zustand der Elektronen im fest gegebenen Potential der Kerne betrachten. Aus der Lösung dieses Problems erhält man ein effektives Potential, das die (durch die Elektronen vermittelten) Kräfte zwischen den Kernen beschreibt. Man löst danach das quantenmechanische Problem für die Koordinaten der Atomkerne in diesem effektiven Potential (Dawydow, Kap. XV., Paragraph 129, S. 546). Die gewünschte Entkopplung zwischen Elektronen und Atomkernen kann näherungsweise erreicht werden durch einen Separationsansatz, in dem die elektronischen Wellenfunktionen nur noch parametrisch von den Kernkoordinaten abhängen (Born-Oppenheimer-Näherung): X Ψ(r1 , · · · rN ; R1 , · · · RM ) = Λν ({RI })Φν,{RI } ({rk }) ν Die physikalische Motivation für diese Näherung ist darin zu sehen, daß die Elektronen sich viel schneller bewegen als die Atomkerne, und sich damit augenblicklich (adiabatisch) auf die momentane Lage der Kerne einstellen. Das nun separate elektronische Vielteilchenproblem hat die Form e H{R Φ ({rk }) = εeν,{RI } Φν,{RI } ({rk }) I } ν,{RI } mit dem elektronischen Hamiltonoperator H e = T e + V e−e + V e−ion 2 Der neue Index ν kennzeichnet die verscheidenen Eigenwerte und Eigenfunktionen des elektronischen Systems. Die Terme, die bei der Ableitung von H e vernachlässigt wurden, sind von der Größenordnung m/MI . Um zu beurteilen, ob diese Terme relevant (im Sinne der Störungstheorie) sind, kommt es aber außer auf die Matrixelemente auch auf das Eigenwerte spektrum der Eν,{R an. Wenn sich zwei Eigenwerte nahekommen oder kreuzen, können I} sich Abweichungen von der Born-Oppenheimer-Näherung bemerkbar machen. Obwohl die Gültigkeit der Born-Oppenheimer-Näherung in jedem Einzelfall kritisch überdacht werden muss, stellt sie ein äußerst hilfreiches Konzept in der Molekülphysik dar. Bei einem positiven Ergebnis der Prüfung können wir die Dynamik der Atomkerne unter Verwendung e nur eines Eigenwerts Eν,{R (i.a. des niedrigsten, also des elektronischen GrundzustanI} des) beschreiben. Die gesamte potentielle Energie, die mit einer bestimmten Position der Atomkerne verbunden ist, ist dann gegeben durch W ({RI }) = εeν,{RI } + V ion−ion ({RI }). Durch Lösen des elektronischen Problems für viele Datensätze der Atomkern-Koordinaten können wir die Funktion W ({RI }) erkunden“. Diese für die weiteren Untersuchungen ” zentrale Größe bezeichnet man als Potentialfläche oder Potentialhyperfläche (da sie von 3M Variablen, den Kernkoordinaten, abhängt, und daher als eine Hyperfläche in einem 3M -dimensionalen Raum aufgefasst werden kann). Für den Teil der Wellenfunktion, der die Atomkerne beschreibt, erhält man damit die Schrödingergleichung (T ion + W ({RI }))Λν ({RI }) = EΛν ({RI }) 1.3 Rotation und Schwingung eines zweiatomigen Moleküls Separation in Schwerpunkts- und Relativbewegung, Behandlung der Relativbewegung in Polarkoordinaten Aufgabe: Wie lautet der Operator der kinetischen Energie (Laplace-Operator) in Kugelkoordinaten? (Skript von Prof. Guhr S. 85) Wie lauten die Eigenwerte und Eigenfunktionen des Drehimpulsoperators? (Skript von Prof. Guhr S. 88 ff.) Entwicklung des Potentials nach Taylor um den Gleichgewichtsabstand Aufgabe: Wie lauten die Eigenwerte und Eigenfunktionen des harmonischen Oszillators? (Haken & Wolf, Kap. 9.4, S. 148; Dawydow, Paragraph 26, S. 109) 2 Einführung in die Theorie der chemischen Bindung Frage: Warum ist ein Molekül (aus zwei Atomen) stabiler als zwei einzelne Atome, d.h. warum gibt es überhaupt stabile Moleküle in der Natur ? 3 Antwort: Die quantenmechanische Wellenfunktion der Elektronen ist in einem Molekül mehr ausgedehnt und erstreckt sich über beide Atome. Man kann qualitativ mit der Heisenbergschen Unschärfe-Beziehung argumentieren (Skript von Prof. Guhr S. 62 ): Da die Ortsunschärfe ∆x eines Elektrons in einem Molekül größer ist als in einem Atom, kann die Impulsunschärfe ∆p kleiner sein, ohne dass die Unschärferelation verletzt würde. Der Erwartungswert des Elektronenimpulses ist Null, und daher ist die kinetische Energie des Elektrons einfach proportional zu (∆p)2 . Wenn sich das Molekül bildet, wird der Erwartungswert der kinetischen Energie der Elektronen kleiner; das ist der wichtigste Grund, warum das Molekül stabil sein kann. Um diesen Gedanken quantitativ auszuarbeiten, muss man die Wellenfunktion der Elektronen in einem Molekül berechnen (Haken & Wolf, Kap. 24, S. 451). 2.1 Wasserstoff-Molekülion H+ 2 Aufgabe: Was ist der quantenmechanische Grundzustand eines einzelnen Wasserstoffatoms? (Skript von Prof. Guhr S. 95 ff.) Näherungslösung für das Molekül durch die √ Superposition von zwei Lösungen für jedes der einzelnen Atome, φ(r) = (ϕ1 (r) + ϕ2 (r))/ 2 ; 1 |r − RI | ϕI (r, θ, φ) = √ 3/2 exp − a0 πa0 2.2 Wasserstoffmolekül H2 Aufgabe: Rufen Sie sich die Beschreibung des Spins der Elektronen in Erinnerung (Skript von Prof. Guhr S 104f.). Welches Prinzip gilt für Systeme aus mehreren Elektronen ? Welche Eigenschaft muss die Wellenfunktion haben, die ein System aus zwei Elektronen beschreibt ? (Skript von Prof. Guhr S. 116) Näherungslösung durch verschiedene mögliche Ansätze für die Wellenfunktion (Haken & Wolf, Kap.24.4, S. 459; Dawydow, Paragraph 130, S. 552): • Hund-Mulliken-Methode Man gehe aus von den molekularen Orbitalen des H+ 2 -Ions, die wir im vorhergehenden Abschnitt erhalten haben, und setze eine Superposition an, die mit dem Pauli-Prinzip im Einklang ist. Eine Verallgemeinerung dieser Methode auf größere Moleküle ist die sog. MO-Methode (molecular orbitals). einzelne Wellenfunktionen: √ φ(1)χ+ (1) = (ϕ1 (r1 ) + ϕ2 (r1 ))/ 2 χ+ (1) √ φ(2)χ− (2) = (ϕ1 (r2 ) + ϕ2 (r2 ))/ 2 χ− (2) 4 Gesamtwellenfunktion: √ ΦHM (1, 2) = φ(1)φ(2)χ+ (1)χ− (2) − φ(2)φ(1)χ+ (2)χ− (1) / 2 • Heitler-London-Methode Wenn beide Atomkerne des H2 -Moleküls sehr dicht beeinander sitzen, dann sehen“ ” die Elektronen ein ähnliches Potential wie bei einem Heliumatom. Der Näherungsansatz für die Wellenfunktion sollte deshalb in diesem Grenzfall in die Wellenfunktion des Helium-Atoms übergehen. Der Ansatz von Hund-Mulliken gewährleistet das aber nicht. Aufgabe: Wie ist der Grundzustand des Helium-Atoms beschaffen, insbesondere hinsichtlich des Spins ? (Skript von Prof. Guhr S. 120 ff.) Daraus erhält man die Idee für den Näherungsansatz der Heitler-London-Methode: Die Wellenfunktion ist ein Produkt aus einer Ortsraum-Funktion, die symmetrisch unter der Vertauschung der beiden Elektronen ist, und einer Spin-Singulett-Funktion (antisymmetrisch unter der Vertauschung von zwei Spins): 1 1 ΦHL (1, 2) = √ (ϕ1 (1)ϕ2 (2) + ϕ2 (1)ϕ1 (2)) √ (χ+ (1)χ− (2) − χ+ (2)χ− (1)) 2 2 Beim H2 -Molekül liefert die Heitler-London-Methode den besseren Näherungswert für die Grundzustandsenergie als die Hund-Mulliken-Methode. Man kann einsehen warum, wenn man die Hund-Mulliken-Wellenfunktion ausmultipliziert: Man findet Beiträge, die zwei Elektronen auf der selben Seite des Moleküls entsprechen, und daher eine starke elektrostatische Abstoßung der Elektronen beeinhalten. Solche Beiträge sind in der richtigen Lösung sehr unwahrscheinlich, in der Hund-Mulliken-Näherungslösung sind sie zu stark vertreten (Schwäche des Ansatzes). Weitere Möglichkeiten, den Ansatz zu verbessern und eine niedrigere (näher am Experiment liegende) Grundzustandsenergie zu erhalten: • Man betrachte die Abfallslänge a0 der Wellenfunktion des einzelnen WasserstoffAtoms als eine Variable. Sodann bestimme man das Minimum der Energie bezüglich dieser Variablen. Man erhält einen besseren (tieferen) Wert für die Energie, der aber immer noch über der tatsächlichen Grundzustandsenergie liegt. Warum ? • Man benutzt eine Superposition aus mehr als zwei Ortswellenfunktionen, wobei man z.B. angeregte Zustände der einzelnen Wasserstoff-Atome als zusätzliche Summanden hinzufügt. 5 2.3 Hybridisierung Frage: Manche Atome, z.B. Kohlenstoff und Silizium, bilden oft drei oder vier chemische Bindungen. Diese Atome haben voll besetzte s-Schalen, und zwei einzelne Elektronen in zwei p-Orbitalen. Man würde erwarten, dass sie (höchstens) zwei chemische Bindungen eingehen können. Antwort: Wir hatten die Wellenfunktion der Elektronen im Molekül als eine Superposition der Wellenfunktionen der Atome angesetzt, aber man muss dabei nicht notwendigerweise vom Grundzustand des Atoms ausgehen. Um eine Lösung mit niedriger Energie zu bekommen, ist es zwar meistens günstig, vom Grundzustand auszugehen; wenn bei der Bildung des Moleküls die Energie sehr stark abgesenkt wird, kann es aber sinnvoll sein, von einem angeregten Zustand des Atoms auszugehen, da der für die Anregung erforderliche energetische Aufwand durch die Molekülbildung überkompensiert wird (Haken & Wolf, S.468 ; Dawydow, Paragraph 131, S. 559). Beispiel: Bei der sp3 -Hybridisierung werden aus dem s-Orbital und den drei p-Orbitalen vier Hybridorbitale gebildet, Φ1 = (ϕs + ϕpx + ϕpy + ϕpz )/2 Φ2 = (ϕs + ϕpx − ϕpy − ϕpz )/2 Φ3 = (ϕs − ϕpx + ϕpy − ϕpz )/2 Φ4 = (ϕs − ϕpx − ϕpy + ϕpz )/2, wobei (ohne Berücksichtigung des Radialteils der Wellenfunktion) ϕs = (4π)−1/2 und r 1 3 ϕpx (θ, φ) = √ (Y11 (θ, φ) + Y1−1 (θ, φ)) = sin θ cos φ 4π 2 r 1 3 ϕpy (θ, φ) = √ (Y11 (θ, φ) − Y1−1 (θ, φ)) = sin θ sin φ 4π 2 r 3 ϕpz (θ, φ) = Y10 (θ, φ) = cos θ 4π N.B.: Die Hybridzustände sind keine Eigenzustände des Hamilton-Operators. Sie werden nur benutzt, um durch Superposition daraus einen Näherungsansatz für Molekülorbitale aufzustellen. Die Hybridorbitale erlauben einen größeren Überlapp zwischen den Orbitalen benachbarter Atome und dadurch eine größere Energieabsenkung des Moleküls, da auch das Austauschintegral dann größer wird. Es gibt verschiedene Hybridisierungen: sp, sp2 , sp3 . Die Wahl der Hybridisierung richtet sich danach, wie viele Bindungspartner dem Atom in einer gegebenen Situation zur Verfügung stehen. Welche Hybridisierung am günstigsten ist, kann man nur durch detaillierte Berechnungen herausfinden. Z.B. ist bei reinem Kohlenstoff die Form mit sp2 Hybridisierung (Graphit, Halbmetall) am stabilsten, dagegen ist bei Silizium die Form mit sp3 -Hybridisierung (Si in Diamantstruktur, Halbleitermaterial) am stabilsten. 6