Der Wirtschaft drohen neue Auflagen

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64.
Landesversammlung des Südtiroler Bauernbundes
Rede von Leo Tiefenthaler, Landesobmann
Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Ehrengäste,
liebe Bäuerinnen und Bauern,
Tradition und Innovation sind die Schlüssel. Und dabei werden sich viele fragen: die
Schlüssel zu was?
Es ist heute unbestritten: Nur wer seine Kunden mit etwas Neuem überrascht, wird im
zunehmend globalen Wettbewerb bestehen und erfolgreich sein.
Will heißen, den Mitbewerbern immer diesen einen bedeutenden Schritt voraus zu sein.
Ein Zitat besagt: Innovation ist die Umwandlung einer Idee in Wertschöpfung.
Der Markt muss Hurra schreien - dann ist aus einer Idee ein neues Produkt geworden. Das
ist unser Ziel.
Wenn wir von Innovation sprechen, meinen wir aber nicht zwangsläufig ein neues Produkt.
Neue Anbau-, Lager- und Verarbeitungsmethoden, die dazu beitragen, Kosten zu sparen
oder die Produktqualität zu steigern,
neue Organisationsformen und Managementsysteme, aber auch neue Wege in
Kommunikation und Marketing können für unsere kleine Betriebe und unsere
Genossenschaften genauso interessant sein.
Wie wichtig Forschung & Entwicklung bereits heute ist, hat gerade die letzte Wirtschaftskrise
gezeigt.
Unternehmen mit innovativen Produkten sind deutlich besser aus der Krise gekommen als
Betriebe, die kaum oder gar nicht auf Innovation setzen.
Studien zeigen zudem, dass Unternehmen dank Innovation Nischen absichern bzw. neue
Nischen erschließen. Und nicht zuletzt schafft man damit Arbeitsplätze auch im Ländlichen
Raum.
Einfach ist der Weg zu neuen Produkten, Prozessen oder Dienstleistungen nicht. Von einer
Idee über die Forschung & Entwicklung bis zu einem neuen Produkt, einer neuen
Dienstleistung oder einem neuen Arbeitsablauf, sind viele Hürden zu überwinden. Das muss
uns bewusst sein.
Wir im Südtiroler Bauernbund haben uns in den letzten Monaten intensiv und auf
verschiedenen Ebenen mit dem Thema Innovation auseinandergesetzt.
Wir sind überzeugt, dass besonders in den nächsten Jahren die Innovationsfähigkeit der
Betriebe letztlich über Erfolg oder Misserfolg mitentscheiden wird.
Kleinere und mittlere Unternehmen werden langfristig nur mit Hilfe neuer Konzepte und
Technologien ihre Wettbewerbsfähigkeit steigern können.
Vor allem aber sind wir überzeugt, dass gerade die heimische Landwirtschaft den Fokus
noch stärker auf die Forschung und die Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen
legen muss, will sie ihre Schlüsselposition ausbauen.
Als Südtiroler Bauernbund haben wir eine Studie in Auftrag gegeben. Experteninterviews
haben interessante Ergebnisse gebracht, die ich Ihnen gerne vorstellen möchte.
1. Das wohl größte Innovationspotential und damit die größten Chancen für die
heimische Landwirtschaft bietet nach wie vor die Lebensmittelproduktion.
Globale und gesellschaftliche Entwicklungen stellen die Ernährungswirtschaft vor
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neue Herausforderungen. Eine der größten wird wohl der demographische Wandel
sein. Mit einer zunehmend älter werdenden Gesellschaft ändern sich auch die
Ernährungsbedürfnisse. Auf diese zu reagieren und entsprechende Produkte und
Dienstleistungen bereitzustellen, wird die Aufgabe von Forschung und Entwicklung
sein.
Es ist nicht verwegen zu fordern, dass in Zukunft auch aus Südtirol Lebensmittel mit
Nährstoffen kommen müssen, die auf altersbedingte Erkrankungen wie Alzheimer
oder Osteoporose nachgewiesen positiv einwirken. Lebensmittel zur Minimierung
von Krankheitsrisiken, Lebensmittel, die nicht nur gesund sind, sondern gesund
machen, werden in Zukunft eine Schlüsselfunktion haben.
2. Für bestimmte Zielgruppen wie beispielsweise Kinder, Sportler oder Schwangere
müssen wir personalisierte Ernährungskonzepte gestalten und entsprechende
Produkte entwickeln. Auch hier muss Forschung & Entwicklung in Südtirol ansetzen.
3. Innovation spielt auch beim zweiten Megatrend im Lebensmittelsektor eine
Schlüsselrolle: dem Convenience-Food. Ob uns das gefällt oder nicht, sei
dahingestellt: Immer mehr Ein-Personen-Haushalte und die zunehmende
Individualisierung der Lebensstile fordern immer neue Produkte. Lebensmittel in
praktischer Form, mit einem geringen Zubereitungsaufwand, langer Haltbarkeit,
hohem Frische- und Genusswert werden in Zukunft mehr denn je nachgefragt.
4. Ein weiterer Schlüssel zur Zukunft liegt in neuen Verpackungssystemen. Sie können
die gestiegenen Qualitätsanforderungen an die Lebensmittel unterstützen. Was wir
brauchen - und hier müssen wir aktiv forschen - sind „intelligente Verpackungen“, die
Frische, Farbe, Aussehen, Textur, Geruch und Geschmack möglichst lange erhalten.
5. Ein großes Innovationspotential sehen wir im nachhaltigen Anbau von Lebensmitteln.
Ein verbesserter Ressourceneinsatz durch pflanzenschutzmittelarme
Produktionsweisen, einen reduzierten Einsatz von Düngemitteln, Wasser- und
Energieeinsparungen. Dies wird zu einem Wettbewerbsvorsprung führen –
besonders bei jener interessanten Käuferschicht, die zunehmend umweltbewusster
wird.
6. Sicherheit, Rückverfolgbarkeit, Lebensmittel, die frei von kritischen Substanzen und
Zusatzstoffen und auf Allergiker und Personen mit Nahrungsmittelunverträglichkeit
zugeschnitten, sind die Trends der Zukunft.
Wir haben einen sehr hohen Stand der Qualitätssicherung. Dies müssen wir weiter
ausbauen und auch ansprechend kommunizieren.
7. Wir sehen auch in der Pflanzenzucht noch Potential. In der klassischen wohlgemerkt,
und nicht in der Gentechnik. Die meisten neuen Pflanzensorten, die heute auf den
Markt kommen, sind nicht gentechnisch verändert. Die klassische Pflanzenzucht hat
sich weiterentwickelt. Sie nutzt genetische Analysen, um Eigenschaften gezielt
einzukreuzen und neue Kreuzungen zu analysieren. Aber sie greift nicht aktiv in das
Genmaterial der Pflanze ein.
8. Ein Innovationsfeld bietet die Landtechnik. Robotisierung und
Präzisionslandwirtschaft sind bereits heute keine Visionen mehr. Die Zukunft gehört
jenen Technologien, die ermöglichen, jeden Bereich auf dem Feld entsprechend
seinen Eigenschaften zu bewirtschaften. Zwar wird es für den einzelnen Bauern
alleine kaum möglich sein, die teuren Maschinen anzukaufen. Sehr wohl aber für die
Maschinenringe. Überhaupt steckt im überbetrieblichen Einsatz von Maschinen und
in der Erbringung von Dienstleistungen großes Potential, das derzeit nur zu einem
kleinen Teil genutzt wird.
9. Wir haben als Landwirtschaft das Glück, neben dem Lebensmittelsektor in einem
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zweiten Zukunftssektor tätig zu sein. Trendforscher bestätigen, dass neben der
Frage, wie zukünftig neun Milliarden Menschen ernährt werden können, die
Energieversorgung zu den großen Herausforderungen der Zukunft gehört. Die
Biomasse wird derzeit bereits gut von unseren Bäuerinnen und Bauern genutzt.
Aber neue Technologien machen neue Nutzungen möglich. Die Holzvergasung
könnte zu einer Schlüsselposition werden. Wenig genutzt sind derzeit Mikronetze,
eine kleinflächige Wärmeversorgung durch eine zentrale Anlage. Hier ist uns
Österreich weit voraus. Und auch die technologischen Neuerungen in der
Photovoltaik geben der Landwirtschaft immer neue Perspektiven.
10. Auf neue Herausforderungen reagieren heißt es auch beim Urlaub auf dem
Bauernhof. Mit neuen Spezialisierungen, wie dem autarken Bauernhof oder dem
Klimabauernhof, können wir neue Gästeschichten ansprechen und diese wichtige
Einkommensschiene weiter ausbauen.
Das sind nur einige der Felder für die Schlüsselkompetenz Innovation. Es gibt noch viele
weitere.
Doch Innovation kommt nicht von alleine. Forschung & Entwicklung werden immer wichtiger.
Hier hat Südtirol noch großen Nachholbedarf. Auch darüber, was wir in Zukunft im Lande
besser machen müssen, haben wir uns im Südtiroler Bauernbund unsere Gedanken
gemacht.
1. Wir müssen deutlich mehr in Forschung & Entwicklung investieren. Das Land sollte
zusätzliche, frische Mittel dafür bereitstellen. Nehmen wir das Beispiel des
Lebensmittelmultis Nestlè. 2008 hat Nestlè 1,3 Mrd. Euro in die Entwicklung neuer
Produkte und Technologien investiert. Dahinter steckt ein Netzwerk mit 17
Forschungszentren, 10 Produkttechnologiezentren und weltweit 5.000 Mitarbeitern in
50 Ländern. Zusätzlich besteht eine Zusammenarbeit mit rund 300
Forschungseinrichtungen. An der Spitze aber steht das Nestlè Forschungszentrum,
das 300 Wissenschaftler aller Fachdisziplinen beschäftigt.
Mit Wissenschaft und Technologie ist Nestlè heute der mit Abstand größte
Lebensmittelkonzern in Europa.
2. Es ist klar, dass unsere kleinen Betriebe nie in der Lage sein werden, selbst und
eigenständig zu forschen, weil das Geld und die Zeit fehlen.
Große Hoffnungen setzen wir deshalb in den neuen Technologiepark, für den wir uns
klar aussprechen. In Strukturen, wie eben einem Technologiepark, sollen neue
Produkte, Dienstleistungen und Prozesse entwickelt werden, von denen alle
profitieren. Vor allem aber müssen wir Forschung & Entwicklung strategischer
gestalten. Noch immer sind zu viele Innovationen Zufallsprodukte. Ein besonderes
Anliegen ist uns die Konsumenten- und Ernährungsforschung. Auch die
Zusammenlegung von Strukturen darf kein Tabu sein.
3. Wir müssen uns aber auch besser vernetzen – in Südtirol und darüber hinaus.
Forschungseinrichtungen, wie EURAC, TIS und Laimburg, zusammen mit der Freien
Universität und weiteren Ausbildungseinrichtungen, bieten ein riesiges
Innovationspotential. Wenn es uns gelingt, ein starkes Netzwerk aufzubauen, haben
wir gute Chancen, zu einem bedeutenden Forschungs- & Entwicklungsstandort zu
werden.
4. Besser nutzen müssen wir in Zukunft die Innovationen in anderen Sektoren. In
Deutschland profitiert die Lebensmittelindustrie von Produktneuheiten im
Maschinenbau und in der Verpackungsindustrie. Deshalb werden wir stärker in
Zusammenarbeit investieren müssen – besonders mit dem Handwerk und der
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Industrie.
5. Wir werden zukünftig mehr auf Spezialprodukte setzen. Sie erlauben einen hohen
Innovationsgrad. Die Innovationsmöglichkeiten bei Standardprodukten sind hingegen
begrenzt und liegen im Durchschnitt bei 10 %.
6. Innovation entsteht in den Köpfen, Weiterbildung ist die Triebfeder: Daher werden wir
noch stärker als bisher auf Aus- und Weiterbildung setzen, sowohl im Bauernbund als
auch außerhalb. Die Freie Universität Bozen, die landwirtschaftlichen Schulen, die
Bauernbund-Weiterbildungsgenossenschaft und eine Reihe von weiteren
Bildungseinrichtungen liefern die nötigen Schlüsselqualifikationen für einen starken
Standort Südtirol.
7. Deutlich ausgebaut werden muss die Beratung. Wir im Südtiroler Bauernbund
werden in der nächsten Zeit einen Innovationsschalter einrichten. Er wird eine
Anlaufstelle für alle sein, die eine gute Idee haben und bei der Umsetzung bzw.
Entwicklung Hilfe benötigen.
8. Es ist wichtig, mehr auf Markt- und Konsumentenforschung zu setzen. Die beste
Innovation ist nichts wert, wenn wir sie zuvor nicht auf die Markttauglichkeit und die
Marktakzeptanz überprüfen.
9. Zusätzlich müssen wir die Zusammenarbeit der Wirtschaftssektoren stärker fördern.
Landwirtschaft, Tourismus und Handel haben zusammen ein riesiges Potential.
10. Wir müssen stärker als bisher die Innovationskultur fördern. Ich kann mir gut einen
landesweiten Innovationspreis vorstellen, der Vordenker prämiert. Mit Initiativen wie
„Jugend forscht“, könnte die Innovationskultur von Jugend an gepflegt werden.
11. Vor allem aber müssen wir die viele unnötige Bürokratie abbauen. Sie kostet uns viel
Geld, Zeit und Energie. Ein deutscher Politiker hat einmal gesagt, dass Bill Gates in
Deutschland allein deshalb gescheitert wäre, weil nach der Baunutzungsordnung in
einer Garage keine Fenster drin sein dürfen.
12. Die Glaubwürdigkeit und das Vertrauen in eine umweltgerechte und faire Produktion
von Lebensmitteln sind deutlich zu verbessern. Das kann nur mit einer verständlichen
Kommunikation gelingen.
13. Teilweise neue Wege sind aber auch im Vertrieb zu bestreiten. Neue
Vermarktungskonzepte, neue Vertriebsmethoden und innovative Werbung sollen
neue Märkte erschließen und damit die Wettbewerbsfähigkeit steigern.
14. Auch im Sozialbereich ist eine Neuerung dringend nötig. Wir brauchen höhere
Renten und mehr Familienförderung.
Wir sind der Überzeugung, dass gerade für die heimische Landwirtschaft Innovation in
Zukunft eine Grundvoraussetzung sein muss. Die Basis für eine erfolgreiche Innovation
scheint mir gegeben.
Da wäre zum einen die Struktur der heimischen Landwirtschaft mit ihren Klein- und
Mittelbetrieben auf Einzel- und Genossenschaftsebene. Eine Studie über den deutschen
Mittelstand hat ergeben, dass Klein- und Mittelbetriebe besonders innovationsfreudig sind.
85 Prozent bezeichnen sich als innovationsfähig und rechnen mit Umsatzzuwächsen aus
zukünftigen Investitionen.
Erfreulich ist auch, dass wir selbst, die Bäuerinnen und Bauern, aber auch die
Genossenschaften, immer wieder die Bereitschaft zur Innovation zeigen. Die Landwirtschaft
musste sich in den letzten Jahren an immer neue Rahmenbedingungen anpassen und ihre
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Flexibilität unter Beweis stellen. Und noch nie hat sich die Landwirtschaft so rasant verändert
wie in den letzten Jahrzehnten.
Als eines der Glieder in der Lebensmittel-Versorgungskette gehören wir zu einem der am
stärksten innovativen Wirtschaftssektoren. In kaum einem anderen Sektor kommen Jahr für
Jahr so viele neue Produkte auf dem Markt wie im Bereich der Nahrungsmittel.
Und nicht zuletzt verfügt Südtirol bereits heute über renommierte Forschungs- und
Ausbildungseinrichtungen.
Wir sind zuversichtlich, dass Südtirol in den nächsten Jahren zu einem bedeutenden
Zentrum für Forschung & Entwicklung wird, von dem nicht nur die gesamte Landwirtschaft
mit ihren kleinen bäuerlichen Betrieben und den Genossenschaften profitieren wird, sondern
die gesamte Wirtschaft.
Was wir brauchen, ist Mut zur Veränderung und das nötige Durchhaltevermögen. Denn jede
große Erneuerung erfolgt in drei Stufen. Zuerst kommt die Ablehnung, dann das Staunen
und erst zuletzt die Begeisterung.
Wir müssen den Weg der Innovation gehen, dann brauchen wir uns um die Zukunft der
Landwirtschaft keine Sorgen zu machen.
Denn eines ist sicher: Wer heute nur immer das tut, was er gestern schon getan hat, der
bleibt auch morgen, was er heute schon ist.
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