DIE WIEDERGEWINNUNG DER HISTORIZITÄT IN DER THEORIE DER SOZIALEN HANDLUNG Urbano Ferrer 1. Zu einer Abgrenzung der sozialen Handlung Die Handlung in das Zentrum der Aufmerksamkeit der Sozialwissenschaften zu stellen, ist eine relativ späte Aufgabe gewesen, und zwar aufgrund der Bedingungen, denen diese an ihrem Anfang wegen des allgemeinen Standes der damals vorbildenden Wissenschaften unterworfen waren. Im französischen und angelsächsischen Kulturbereich spürt man einen Einfluß der Naturwissenschaften —dabei insbesondere zuerst der Physik, später der Biologie— auf die Sozialwissenschaften. In beiden Fällen werden für die Thematisierung ihrer Objekte Kategorien aus jenen Wissenschaften übernommen, ohne daß dadurch jedoch selbst die wesentlichen und ursprünglichen Züge der sozialen Handlung hervortreten. Hinsichtlich der Physik zeigt ein zusammenfassender Überblick über die moderne wissenschaftliche Entwicklung, daß die von Galileo am Anfang der Renaissance eingeführte Denkweise des objektivistischen und mechanischen Rationalismus bis weit ins 19. Jahrhundert vorherrschte. Es ist bekannt, daß Husserl mitten im 20. Jahrhundert die Krise der europäischen Wissenschaften mit dem allumfassenden Charakter der galileischen Vernunft identifiziert, im Gegensatz zu dem in Griechenland entstandenden Vernunftsbegriff. Die moderne Wissenschaft hätte das primitive und radikale Ideal der echten Wissenschaft, das ihre Prinzipien rechtgibt, verlassen, und sich damit zufriedengegeben, eine Art bloßer technischer Operation zu sein, die sich nicht für die Einsicht der Prinzipien, von denen sie geleitet wurde, verantwortlich machte1. Anzeichen dieser physich-mechanischen Ausrichtung findet man bei der Anwendung auf die Studie der Gesellschaft in dem Begriff "Individuum" als jeder konkret erlebten Verbindung entrückt sowie in dem daraus folgenden Begriff "Vertrag", der als Ursprung der verschiedenen gesellschaftlichen Ausdrucksformen verstanden 1 "Die Wissenschaft ist in der spezialwissenschaftlichen Form zu einer Art theoretischer Technik geworden, die, wie die Technik im gewöhnlichen Sinne, viel mehr auf einer in der vielseitigen und vielgeübten praktischen Betätigung selbst erwachsenden 'praktischen Erfahrung' beruht als auf Einsicht in die Ratio der vollzogenen Leistung" (HUSSERL, E, Formale und Transzendentale Logik, Husserliana, VII, Martinus Nijhoff, Den Haag, 1974, S.7). 2 wird. Beispiele für soziologische Anpassungen von Begriffen aus der Physik ist die von A. Comte vorgenommene Unterteilung der Soziologie in Soziale Statik und Dinamik; oder der Ersatz der Ursachenforschung durch die Untersuchung der Gesetze, die sich als Bindeglied zwischen den Phänomenen verhalten und die Vorhersage erlauben, gemäß des von Condorcet zum Höhepunkt der Aufklärung skizzierten Ansatzes zum historischen Wissen... Eine größere Reichweite und Bedeutung hat jedoch für die Sozialwissenschaften die Übertragung von Begriffen, die aus der Biologie entstammen, wie z.B. sozialer "Organismus", "Arbeitsteilung" (als Analogie zu dem, was die Zellen im lebenden Organismus ausführen), "Funktionen" mit Bezug auf die Notwendigkeiten des Ganzen und die ihre Anpassung an das Medium begünstigen... Diese Begriffe erscheinen besonders bei H. Spencer und E. Durkheim. Aufgrund ihres Einflußes bemerkt man hauptsächlich bei gewissen nordamerikanischen Autoren die Erfassung der sozialen Entwicklung mit Hilfe von Kategorien, die aus der biologischen Evolutionstheorie genommen wurden. Dieser Verflechtung der Wissenschaften miteinander —der Physik und der Biologie mit der Soziologie— liegt der positivistische Grundgedanke der Vereinigung der Wissenschaft zugrunde: die abstraktesten und einfachsten Wissenschaften finden eine progressive Anwendung und Konkretisierung in den heterogeneren und komplexeren. In Deutschland finden wir ebenso im Festigungsprozeß der Sozialwissenschaften als Geisteswissenschaften aus verschiedenen Blickwinkeln die Eingliederung von Kategorien, die ursprünglich nicht für die Erklärung der sozialen Prozesse gedacht waren. Wir sehen dies in den beiden Beispielen des soziologischen Formalismus und des Marxismus. Der soziologische Formalismus, der im diltheyischen Historismus und in der Phänomenologie gründet, erforscht die sozialen Konstanten und versteht sie als Organisationsformen, insofern diesen die variablen Inhalten entzogen werden, die ihnen die historische Konkretisierung geben. Es wird demnach, um das Identische der sozialen Bildungen zu verschiedenen historischen Etappen zu erkennen, von der den sozialen Prozessen eigenen Zeitlichkeit abgesehen. Wir finden solche Merkmale bei den beiden soeben genanten Ursprüngen. Zum Ersten bezeichnet nämlich für Dilthey die Historizität nur die Tatsache, daß die Bildungen aufeinander folgen und sie die Individuen überleben, die diese tragen. "Diese Systeme beharren, während die einzelnen Individuen selber auf dem Schauplatz des Lebens erscheinen und von demselben wieder abtreten... Die Religion, die Kunst, 3 das Recht sind unvergänglich, während die Individuen, in denen sie leben, wechseln"2. Bekanntlich bezieht sich der historische Charakter nicht auf die Entwicklung der sozialen Gestaltungen aus der geschichtlichen Handlung, sondern auf die Anordnung dieser Gestaltungen in aufeinanderfolgenden Reihen, die eigentlich in konstanten psychischen Elementen gründen3. Zum Zweiten berücksichtigt auf analoge Weise die husserlsche Phänomenologie die objektiven Einheiten, die in verschiedenen zeitlichen Bewußtseinsakten verharren, derart, daß die Zeitlichkeit nicht in einem ursprünglichen Merkmal der objektiven Bildungen besteht. Das Erbe dieser objektivistischen Fragestellungen —das heißt, von der geschichtlichen Handlung als Ursprung der sozialen Bildungen absehenden— greifen u.a. G. Simmel und L. von Miese auf, die die Sozialwissenschaft in diesem Zusammenhang als Wissenschaft der sozialen Formen oder Beziehungen verstehen. Für Simmel gleichen die festen sozialen Formen wie Über/Unterordnung, Zusammenhaltung/Unterscheidung in den Gruppen insoweit den geometrischen und grammatikalischen Formen, daß die einen und die anderen von ihren empirischen Inhalten abstrahiert werden können. Ob es sich um eine Standes-, Industrie- oder in der Entwicklung befindliche Gesellschaft handelt, die soeben genannten Strukturen begleiten sie in jeder ihrer Phasen, wenn auch mit unterschiedlichen empirischen Kennzeichen. Auf der anderen Seite, für von Wiese entstehen die sozialen Prozesse aus einer mehr oder weniger großen Bindung bzw. Abstand zwischen den Gruppen, die zwischen der verbindenden Beziehung der Verquickung, bei der der Abstand minimal ist, und der trennenden Beziehung des Konfliktes, die durch die größte Entfernung erkennbar ist, schwanken. Es handelt sich dabei wie schon zuvor um abstrakte Züge, die die konkreten sozialen Bedingungen, aus denen sie hervorgehen, unberücksichtigt lassen. Ein anderes bedeutendes Beispiel für eine übertragende soziale Fassung finden wir im Marxismus, in diesem Fall vom hegelschen Idealismus ausgehend. Das Fortschreiten in Richtung auf die modernen Nationalstaaten, das Hegel in dialektischen Termini deutet, wird von Marx auf die soziale Realität zugeschiebt, im Gegensatz zu der vereinten unhistorischen Gesamtheit, die der absolute Staat für Hegel darstellt. Die begrifflichen Gegensätze des hegelschen Systems werden auf die Gesellschaft als Interessenantagonismen übertragen, und die von Hegel geförderte synthetische Versöhnung im absoluten Staat wird durch die unerbittliche Spaltung der Glieder des Gegensatzes ersetzt (Arbeit und Kapital, Gesellschaft und Staat, Herrsche und Ausgebeutete...). 2 DILTHEY, W, Einführung in die Geisteswissenschaften I, B.G. Teubner Verlagsgesellschaft, Stuttgart, 4ª Ed., 1959, S. 50. 3 DILTHEY, W, op. cit., S. 44 ff. 4 Von den zuvor genannten Ansätzen in der deutschen Kulturwelt betrachte ich den formalistischen als denjenigen, der sich am meisten an die Abgrenzung der sozialen Handlung als Element annähert. Es reicht dafür, darauf zu achten, daß sich in ihr die Gründungsquelle der objektiven Bildungen befindet, die für die formalistischen Autoren das Studienobjekt sind. Damit sich aber, ausgehend vom Formalismus, die soziale Handlung in das thematische Zentrum verwandelt, gibt es zwei Möglichkeiten: die erste besteht darin, die einzelne Handlung durch die Idealtypen zu erfassen, die der Formalismus hervorgehoben hatte —aber ohne diese bereits zu der Handlung, die sie interpretieren, in Beziehung zu setzen—, wie es der Fall der Verstehenden Soziologie von Max Weber ist; die zweite Möglichkeit ist diejenige, die sich um die phänomenologische Analyse der sozialen Handlung selbst erweitert, unter Berücksichtigung der Zeitlich- und Freiwilligkeit, wie es bei der Phänomenologischen Soziologie Alfred Schützes geschieht. Daher auch das Interesse daran, beide Auffassungen der Handlung als letzte Einheiten, in die sich die soziale Welt auflöst, zu untersuchen, auf die ich jeweils in gesonderten Abschnitten eingehen möchte. Der Anschlußpunkt der beiden liegt in der Theorie der sozialen Handlung Parsons, die in gewisser Weise einen theoretischen Schluß einiger Prämissen von Weber und ebenso einen Bezugspunkt für die spätere Ausarbeitung von Schütz darstellt. Anschließend werde ich auf den Ansatz von Habermas anspielen, da er von seiner eigener Perspektive der kommunikativen Handlung aus den vorstehenden Fragestellungen eine große Aufmerksamkeit gewidmet hat. Ein progressives Durchlaufen der genannten Autoren erlaubt es, den Grad hervorzuheben, in dem jeder einzelne auf die für die soziale Handlung konstitutive historische Dimension zurückgreift. 2. Die Theorien der sozialen Handlung von Weber und Parsons Ich beginne mit der Skizzierung der sozialen Handlung nach Weber, da er nicht nur chronologisch der erste in der Reihe der genannten Autoren ist (1864-1920), sondern, wie wir sehen werden, die rekonstruktiven historischen Bestandteile der sozialen Handlung erstens zurückgewinnt. Für Weber kann in den Sinn der sozialen Tatsachen hineingesehen werden —sie sind Objekt eines "Verstehens"—, womit sie sich von den psychischen Tatsachen unterscheiden, die sich in dem sich Ereignen erschöpfen; nach der sinngemäßen Begrenzung erklärt er diese, indem er sie mit ihren Ursachen und Wirkungen in Beziehung setzt. Beide Merkmale, das Verstehen und das Erklären, werden in dem Kennzeichnen der "sozialen Handlung" ausgeführt, wobei er diese als diejenige versteht, in der sich der vom Subjekt gemeinte Sinn auf das Verhalten eines anderen (oder anderer) bezieht, und sich in der Entwicklung an diesem 5 orientiert4. Weber übernimmt in gewissem Maße das Erbe des neokantianiers H. Rickert, der das Verständnis des Sinnes als charakteristische Moment der Sozialwissenschaften hervorgehoben hatte, der das Ergebnis der Inbeziehungsetzung einer einzelnen Handlung zu einem Wert ist5. Wenn ich z.B. jemandem die Hand ausstrecke, so sehe ich das als Ausdruck des Grußes an, und ebenso interpretiert es mein Gesprächspartner, der dementsprechend handelt und eventuell meinen Gruß beantwortet, auf meine Frage antwortet, sich für mich un meine Familie interessiert... Für Weber ist das Verständnis des Sinnes insoweit ein Bestandteil der sozialen Handlung, als der Handelnde mit seiner Handlung zeigt, daß er die fremden Erwartungen verstanden hat und diese beantwortet. Diejenige dagegen, die gemeinsam handeln, aber ohne Wechselwirkung, ohne sich gegenseitig zu beeinflußen, handeln nicht sozial; zum Beispiel ein Ausbildungskommando, eine Kartenspielergruppe, die Patiencen legt usw. Im Sinne der Handlung kommen ein Ziel und einige Mittel zusammen, die sich auf verschiedene Weise nach der Art der sozialen Beziehung, die sie ins Spiel bringt, anpassen, wobei diese technisch oder wirksam, bewertend oder symbolisch, empfindsam oder emotional und traditionell oder vom Respekt für eine Autorität geprägt sein können. Aber zu dem Verständnis des Sinnes muß die ursächliche Erklärung der Entwicklung und der Wirkungen der Handlung hinzugefügt werden, da der Sinn nicht nur abstrakt verstanden wird, sondern ebenfalls die laufende Handlung auslöst und diese mit den restlichen natürlichen und historischen Ereignissen verkettet. Da laut Weber die interpretierenden Sinne der Handlung von den Handelnden gesetzt werden, und zwar als Hilfsmittel, die in das Geflecht eines einzigen Verlaufes eingefügt werden, müssen es die Ergebnisse sein, die die Wirksamkeit der sozialen Handlung ausstellen, ohne daß diesen eigentlich eine eigene Bedeutung zusteht. Was wir "Kultur" nennen, ist nur ein Querschnitt —durch einen Sinn definiert—, den der Handelnde in das Geflecht der Ereignisse, denen für sich selbst die Richtung fehlt, einführt6. Die identischen sozialen Bildungen, die eine Kultur ausmachen (wie es der Gruß, die Ehrerbietung vor der Autorität oder das Regelwerk für das Leben in Gemeinschat sein können), die für Simmel und von Wiese im Vordergrund standen, werden hier auf Wahrscheinlichkeitsrechnungen mit Hanlungssequenzen reduziert, 4 "Nicht jede Art von Berührung von Menschen ist sozialen Charakters, sonder nur ein sinnhaft am Verhalten des anderen orientiertes eigenes Verhalten" (WEBER, M, Grundriss der Sozialökonomie I, J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), Tübingen, 1921, S. 11). 5 Über die Schnittpunkte und Unterschiede zwischen beiden Autoren, B RUNN, H.H., Science, Values and Politics in Max Weber´s Methodology, Munksgaard, Kopenhagen, 1972. 6 Für Weber ist Kultur verstanden als ein "vom Standpunkt des Menschen aus mit Sinn und Bedeutung bedachte endliche Ausschnitt aus der sinnlosen Unendlichkeit des Weltgeschehens" (W EBER, M, Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, Tübingen, 1973, S. 180). 6 sobald unter dem idealistischen Einfluß die Bedeutung der Ereignisse in den Interpreten liegt, die dazu Stellung nehmen, und nicht in der Wirksamkeit ihres Verlaufes. Die Handlung ist historisch, da sie Folgen ausgesetzt ist, auf die wiederum andere folgen u.s.w. Um diese historische Dimension der Handlung einzugreiffen, weist Weber auf die "Idealtypen" hin: diese bestehen in helfenden Näherungsbegriffen, die als Mittelwerte in das unbestimmte Ganze des sich universell Ereignenden eingeschoben werden. Man gelangt zu ihnen nicht durch Abstraktion der allgemeinsten Aspekte, die sich in verschiedenen Umständen wiederholen, sondern durch die einseitige Steigerung einiger der die Handlung hervorrufenden Züge. Wenn man die Realität unter einen bestimmten Gesichtspunkt betrachtet, zeigen sich in ihr gewisse "reine" oder irreale Weisen, die als Rahmen für die Kategorisierung der soziohistorischen Wechselfälle gehalten werden. Beispiele für Idealtypen sind die charismatische Autorität, die verbürokratisierte Ordnungsmässigkeit der westlichen Gesellschaft, der kalvinistische Glaube an der Vorherbestimmung als Motiv für eine intensive weltliche Aktivität... Eine neue Auffassung der sozialen Handlung schlägt Talcott Parsons (1902-1979) vor. In den Jahren seiner Doktorarbeit an der Universität Heidelberg (1925-27) erfährt er den Einfluß, den Weber seit 1897 an dieser Universität, sogar noch nach seinem Tod im Jahre 1920, hinterlassen hatte. Die erste Übersetzung ins Englische der berühmten Weberstudie über die protestantische Ethik und den Geist des Kapitalismus verdanken wir Parsons. In einer thematischen Hinsicht erkennt man die Kontinuität zwischen beiden Soziologen an dem weberschen Begriff "Idealtypen". Da diese nur fingierte Hypothesen sind, die es erlauben, mehr oder weniger angemessen das formlose Material der Ereignisse zu ordnen, besteht der nächste Schritt in ihrer Beiseitigung, indem man annimmt, daß die Systeme, in die sich die Handlung einschaltet, sich selbst anpassen und das Gleichgewicht leisten. So wie für Weber der Sinn im dynamischen Zusammenhang der Ereignisse versunken war, integriert sich für Parsons analog die Handlung in ein System, das durch die normative Orientierung nach Werten und durch die definierte Situation, die Ausgangspunkt für die Handlungsweise ist, gekennzeichnet wird. So lassen sich bei jeder Handlung die Normativität des Wertes und die de facto konditionale Situation, von der ausgegangen wird, unterscheiden: zwischen beiden steht die Spannung oder eigene Anstrengung der Handlung, die einem Ergebnis oder zukünftigen Sachverhalten zuführt7. Wir verdanken Parsons eine sehr weite Kategorisierung der strukturellfunktionellen Faktoren, die es erlauben, die soziale Handlung systematisch einzuordnen, 7 "Action must always be thought of as involving a state of tension between two different orders of elements, the normative and the conditional. As process, action is, in fact, the process of alteration of the conditional elements in the direction of conformity with norms" (P ARSONS, T, The Structure of Social Action, The Free Press, Glincoe, Illinois, 1949, S. 732). 7 wie z.B. "Rolle", "Status", "Rollenerwartungen", "Institutionalisierung", "kulturelle Pattern".... Daraus leiten sich die für die Erhaltung der Funktionalität des Systems notwendigen Verhaltensnormen ab, ohne die keinerlei Interaktion möglich wäre. Zum Zwecke der Beibehaltung der Vollständigkeit des Systems werden die sozialen Elemente gemäß iherer jeweiliger Funktion eingegrenzt. Wie man sehen kann, behält der Funktionsbegriff bei Parsons teilweise den organizistischen Charakter, den er ursprünglich bei Durkheim8 hatte; Parsons versteht ihn bevorzugt als den Beitrag der Teile zum gesamten Mechanismus und als gegenseitige Abhängigkeit zwischen den Teilen selbst. Angesichts der Schwierigkeit, die Systeme von den islolierten Handlungseinheiten aus aufzubauen, geht Parsons in seiner zweiten Etappe (begonnen mit The social System im Jahr 1953) auf durkheimersche Art von den kulturellen Pattern als Komponenten des Gesamtsystems, bevor die Handelnden in Interaktion treten, aus. Diese Pattern werden später zu normativen Orientierungen für das soziale Subsystem und zu motivationellen Orientierungen für das Subsystem der Persönlichkeit. Auf diese Weise stellen Persönlichkeit, Gesellschaft und Kultur die drei gegenseitig offenen Subsysteme dar, die das gesamte System der sozialen Handlung ausmachen. Das niedrigste Subsystem, das in der Persönlichkeit besteht, trägt die Energie zur Handlung bei, während in der Kultur die Information und die notwendigen Werte innewohnen, wodurch die Personen ihre zeitlichen Erwartungen im Gesamtsystem der sozialen Handlung koordinieren können. Die Eingliederung der Persönlichkeit in die Gesellschaft durch die Rollen versteht Parsons als Sozialisierung; und andererseits ist die Einbindung der Pattern, die für die Kultur wesentlich sind, in das soziale Subsystem das, worin die Institutionalisierung der Kultur besteht. Sowohl die progressive dem System interne Differenzierung —was Parsons Gleichgewichtswechsel nennt— als auch der Wechsel in dem Wertuniversum, das zur Konsolidierung des Systems beiträgt (Strukturwechsel genannt), gehen auf die funktionellen Anpassungsnotwendigkeiten bzw. die Suche nach neuen Gleichgewichten zurück, wobei sich in diesem Zusammenspiel die gesamte vektorielle Bedeutung der Handlung zeigt. Danach erklärt die Integration die Unterschiedlichkeit der Teilen und ihrer Beziehungen, sei es in Form der Anpassung an ein Medium, sei es als Wiederherstellung des Gleichgewichtes der Gesamtheit. Die Grenzen der Parsons´schen Theorie der sozialen Handlung sind aus verschiedenen Blinkwinkeln von der zuvor genannten phänomenologischen Soziologie von A. Schütz und der Theorie des kommunikativen Handelns von J. Habermas aufgezeigt worden. Im nächsten Abschnitt werde ich mich an dem ersten Autor halten. 8 Vgl. WERLEN, B, Society, Action and Space, Routledge Kegan Paul, London, 1993, S. 100-138. 8 3. Alfred Schütz: von den sozialen Sinnen zur primordialen sinngebenden Aktivität Für Alfred Schütz stellen die objektive Begriffe der Sozialwissenschaften, mit denen das parsons´sche System9 aufgebaut wird, Idealisierungen und Formalisierungen dar, die sich mit den Bedeutungskategorien, die aus den sozial Handelnden10 entstammen, überdecken müssen. Im Ursprung der Bedeutungssysteme und der gemeinsam angenommenen ordnenden Typiesierungen befinden sich die aus der Interaktion entwickelten Gebräuche in Bezug auf einen weltlichen Bereich, der als mögliches Handlungsfeld verstanden ist. Ich verstehe z.B. eine Uhr von der orientierenden Funktion des individuellen und sozialen Verhaltens her, das ich der Uhrzeit zuordne; oder ich verstehe eine Schachtel Streichhölzer, sobald ich sie in Beziehung zu der Aktivität des Feuermachens setze, in Abhängigkeit von verschiedenen Bedürfnissen11. Im Gegensatz zu Weber und Parsons, die die Handlung aufgrund ihrer Effekten als externe Beobachter studieren, betrachtet Schütz die Handlung als von den sozialen Handelnden vorgenommene. Der Entwurf und die Motive sind die Merkmale, die es ihm erlauben, von der ausgeführten sozialen Handlung bis zu den einzelnen ursprünglichen Agenten zu überführen (in diesem Zusammenhang ordnet sich der Vermittlungsversuch von Ricoeur zwischen beiden Blickrichtungen ein durch die, wie er es nennt, "Dialektik der Freiheit"). Ich werde nachfolgend eingehend jedes einzelne untersuchen12. Vor ihrer Ausführung wird die Handlung von ihrem individuellen Agenten entworfen, als ob sie bereits ausgeführt worden wäre, so wie es das Futur II ausdrückt (A ist das, was ich "ausgeführt haben werde"). Diese Handlungseinheit, die sie vor der 9 Vgl. KASSAB, E.S., The Theory of Social Action in the Schütz-Parsons Debate, Ed. Universitaires, Freiburg (Schweiz), 1991; auch WERLEN, art. cit. 10 "But it will be usefull to remember that what the sociologist calls 'system', 'role', 'status', 'role expectation'... are elements of a network of typifications —typifications of human individuals, of their coure-of-action patterns, of their motives and goals, or of the sociocultural products which originated in their actions" (SCHÜTZ, A, "Equaly and the Meaning Structure of the Social World", Studies in Social Theory, Collected Papers II, Martinus Nijhoff, The Hague, 1976, S. 232). 11 "I cannot understand a social thing without reducing it to the human activity which has created it and, beyond it, without refering this human activity to the motives out of which it springs. I do not understand a tool without knowing the purpose for which it designed, a sign or simbol without knowing what it stands for, an institution if I am unfamiliar with its goals, a work of art if I neglect the intentions of the artist which it realizes" (SCHÜTZ, A, The social world and the theory of social action, Collected Papers II, S. 10). 12 Dafür greife ich einige der bereits bei Ferrer, U, "El significado de la acción intersubjetiva según Alfred Schütz", Daimon, 3 (1991), S. 159-172 wiedergegebenen Ergebnisse auf und erweitere diese. 9 fortlaufenden Umsetzung in die Praxis identifiziert, ist dasjenige, das Schütz als ihre Bedeutung versteht. Damit bezeichnen wir keinen von außen eingebrachten Aspekt in der Analyse der Handlung und gleichfalls anwendbar an die verschiedenen an ihr beteiligten Handelnden; vielmehr fügt sie jeder Handelnde in seine zeitlichen Koordinaten ein, sei es, um sie zu verleihen, wenn die Handlung vorgenommen wird, oder um sie zu interpretieren, wenn es um einen anderen Handelnden als den Ausführenden geht, der darauf antwortet. Der von Schütz durchgeführten Analyse der sozialen Handlung liegt ununterbrochen zugrunde der doppelte Einfluß der dem Bewußtsein innewohnenden Zeitlichkeit, die Husserl als den letzten Rest seiner phänomenologischen Analysen kennzeichnete, und der bergsonschen durée, die man weder messen noch zu anderer Zeiten hinzufügen kann. Die husserl´sche immanente Zeit wird ausgehend von dem akkumulierenden Retentionen von dem, was gerade als ein Kometenschweif vorbeizog, und Protentionen, in Richtung auf das, was noch kommen wird, gebildet; aus der Verlängerung der Gegenwart in die Vergangenheit über die Retentionen und in die Zukunft mittels der Protentionen ergibt sich, laut Husserl, die fortlaufende Zeitlichkeit des Bewußtseinslebens. Die Dauer ist andererseits für Bergson nicht in überdeckbare Augenblicke auflösbar, sondern eine fließende Einheit, wie das Ausdehnen einen elastischen Bandes oder das Auflösen eines Zuckerstückchens im Wasser. Diese zeitlichen Differenzen, die von einem zum anderen Bewußtseinsstrom variieren, wurden von Weber nicht berücksichtigt, indem er den Sinn für einen und demselben erklärte, der mit Ursprung in jedem einzelnen der mehreren Agenten jeweils an der Handlung beteiligt ist. Aber die Bedeutung kann zeitlich bei den verschiedenen Handelnden nicht überschieben —erwidert Schütz— , da es für dem Empfänger erst möglich ist, diese durch Auflösung zu deuten, wenn der Absender diese vermittelt hat. Die Abweichung zwischen Schütz und Weber hinsichtlich der Bedeutung in der sozialen Handlung wird wie folgt zusammengefasst: Da Weber die selektive Kategorisierung in den kulturellen Inbegriff einführte, achtete er auf den die Handlung identifizierenden Wert; da er ihn jedoch beschreibend in den historischen Verlauf eingliederte, verwechselte er ihn mit der Typisierung in Ereignisse aufgrund der vorherigen Bewertung seitens der Agenten. Schütz dagegen unterscheidet zwischen "entworfener Handlung" und "empirischen Typen", wobei die erste als Einheit vor ihrer Ausführung verstanden wird, und die zweitgenannte als quasianonyme Klassifikation nach dem Entwerfen der Handlungen. Die Art, diesen Unterschied hervorzuheben, besteht in der parallelen Unterscheidung "Motive-für" und "Motive-weil". Damit gehen wir zum zweiten der zuvor genannten individualisierenden Merkmake der Handlung über. Während die 10 "Motive-für" auf die Zukunft abzielen, mit Ursprung im Agenten, der sich für ein Handeln entscheidet, beziehen sich die "Motive-weil" auf äußere Formen, in die die Handlung eingeordnet wird, und die ihr Agent rückwärts findet, nachdem er diese entworfen hat. "Ich öffne den Regenschirm, um nicht nass zu werden" weist auf das "Motiv-für" als Ausgangspunkt für die Ausführung der Handlung hin; "ich öffnete den Regenschirm, weil es regnete" spricht den Umstand an, auf den ich zurückkomme, um die Handlung zu erklären, nachdem ich diese in Angriff genommen habe. Der vollkommen im "Motiv-für" entwickelte Entwurf ist genau das, was in der Handlung ausgeführt wird; das "Motiv-weil" dagegen betrifft die bedeutenden variablen Zusammenhänge, die sie anonym für einen beliebigen Handelnden typisieren. "Regnen erklärt —im allgemeinen—, daß der Regenschirm geöffnet wird". Dabei ist klar, daß der zweite Ausdruck nur auf abgeleitete Weise Bedeutung hat, wenn man bereits über eine aktiv entworfene Bedeutung verfügt. Die "Motive-weil" erscheinen kraft der Aufmerksamkeit, die sich auf die bereits entworfene Handlung richtet und diese in eine erklärende Beziehung zu ihren vorherigen Umständen setzt. In ihrer Anwendung auf die historisch-soziale Welt schlägt die sinnhafte Handlung in von einem beliebigen Beobachter allgemein angenommene Abkommen nieder, die in einem größeren oder kleineren Grad die Motive-für verdecken. Das Verdecken erfolgt durch die Umwandlung der Bedeutung der Handlung, so wie sie der Agent in Bezug auf die anderen entwirft, in Motive-weil, die ausgehend von situationsmässigen Zusammenhängen festgesetzt werden. Andererseits erscheinen die Motive-weil selbst mittels einer vom Beobachter, der sie hervorhebt —nicht von dem Agent, der sich selbst bestimmt—, frei ausgeführten Zäsur, da sie selbst fester Grenzen entbehren, sondern eine offene Struktur haben. "Ich besuchte ihn, weil er in seinem Büro war, weil ich über die Transportmittel verfügte, weil es eine passende Zeit war, etc..." sind alles ebenfalls mögliche freie Zusammenhänge einer einzigen entworfenen Handlung in Termini, wie z.B. "ich werde ihn besuchen, um ihm das Buch zurückzugeben", das heißt, so wie sie ihr Agent zuvor sieht, als von ihr selbst motivierte und angesichts eines Anderen. Die Einheit der entwerfbaren Bedeutung ist jedoch noch kein Indiz für die Selbstbestimmung ihres Agenten. Diese Einheit kennzeichnet nicht die Handlung in ihrer Ausführung, sondern ab dem Akt der Aufmerksamkeit, in dem das Bewußtsein dieses als ein bereits verlaufenes Ganzes integriert, obwohl sie noch nicht ausgeführt worden ist. Schütz trennt den bedeutenden Akt von dem laufenden Strom der Erlebnisse, indem er eine spezifische intentionale Richtung fordert, damit jener sich bildet. Dem Entwurf fehlt die Durchführungsabsicht, um von neutral zu positional zu gelangen und sich damit im Vorsatz zu verwandeln, das die Handlung einleitet. 11 Indem sein Agent einem regelsmäßigen Verhaltenstyp eine konkrete Bedeutung zuordnet, werden die allgemeine Termini im Hinblick auf das, was ein anonymer Beobachter interpretiert, überschritten: so verhält sich der Handelnde frei und gliedert seinen Verhalten in seine Biographie ein. Anders gesagt: die primordiale bedeutende Aktivität entspricht dem ersten Auftreten der sozialen Freiheit, da sich in ihr die Nichtübereinstimmung zwischen dem Agenten und seiner sozialen Rolle enthüllt. "In typical situations of our daily life we all, too, assume certain typical roles... The traveler, for instance, has to behave in the specific way he believes the type "railway agent" to expect from a typical passenger. For us in our daily lives these attitudes are but roles which we voluntarily assume as expedients and which we may drop whenever we want to do so"13. Die funktionelle Beschreibung der Rolle sieht korrelativ aus, nicht vom Agenten, der die Bedeutung leistet, sondern von der Abstraktion, die wir den "other generalised" nennen14. Mit dem Übergang der sozialen Rolle an den Agenten, dessen Handlungen eine unübertragbare Zeitlichkeit und biographische Bedeutung haben, wird die eigene Perspektive der historischen Subjekte gewonnen. Die geschichtlichen Handlungen sind in der Tat keine Beispiele allgemeiner Rolle, sondern besitzen eine indivuelle Motivation. Auf diese Weise finden wir bei Schütz eine Weiterentwicklung der systematischen Theorie Parsons über hinaus im Hinblick auf die Rückgewinnung der spezifischen historischen Aspekte der sozialen Handlung. 4. Von den sozialen Bedeutungen zu der kommunikativen Interaktion Ein gemeinsames Merkmal der zuvor genannten Auffassungen der sozialen Handlung ist, daß die Handelnden sich allein Ziele setzen, ohne daß die Interaktion mit den anderen Handelnden das teleologische Paradigma verändert, nach dem die Handlung gedeutet wird. Dies sind vorsprachliche Ziele, da ihr Ausdruck nicht auf den Vorsatz derselben Einfluß hat, sondern ihnen gegenüber konventionell ist. Dies ist der Hauptmotiv der Kritik von Habermas an einer Vernünftigkeit nur der Ziele, wie sie Weber beschreibt. Die kommunikative Interaktion unterscheidet sich von der strategischen Zielhandlung, indem sie über die Verabredungen der Sprache, in denen bereits das festgeschrieben ist, was die Agenten sagen wollen, ausgeübt ist. Handlungen wie 13 SCHÜTZ, A, The Problem of Rationality in the Social World, Collected Papers II, Martinus Nijhoff, The Hague, 1976, p. 82. 14 Dies ist ein von G.H. Mead im Zusammenhang mit den spezifischen Aktivitäten der sekundären Sozialisierung wie dem Sport oder dem geregelten Spiel eingeführter Begriff, in dem jedes Individuum die eigenen Erwartungen des anderen beliebigen Mitglieder der Gruppe übernehmen muß, um sich an diesen Aktivitäten beteiligen zu können. 12 versprechen, beipflichten, wetteifern, einen Vertrag unterschreiben, Befehle erteilen usw. haben eine sprachliche Prägung, und gehören zu den Dingen, die man mit Worten macht, wie sie John Austin identifizierte. Die kommunikative Vereinbarung muß außerdem durch Sätze ausgedrückt werden können und sich auf öffentliche Argumente stützen. Hinsichtlich des Parsons´schen Begriffs des Systems hat Habermas ebenfalls seine Grenzen vom Gesichtspunkt der kommunikativen Handlung aus hervorgehoben, und hat damit den Begriff der Lebenswelt als historisch variablen Zusammenhang gewonnen, der auf jedem Fall unentbehrlich ist, um das dialogische Verstehen zu erreichen. Die Lebenswelt ist der gemeinsame Hintergrund, an dem sich die verschiedene Sendungen jedes einzelnen Gesprächspartners orientieren; ohne ihn —als impliziten Zusammenhang in der Kommunikation— könnten diese von ihrer verschiedenen Sätzen aus zu keiner Vereinbarung kommen. Wie überschreitet Habermas mit dieser neuen Perspektive die als System verstandene Handlung auf Parsons´sche Weise? Wir werden die drei Auffassungen nacheinander überprüfen. An Stelle des zusammenhangsbildenden Hintergrundes des dialogischen Verstehens, das für Habermas die Lebenswelt darstellt, greift Parsons als Grundlage für die Kommunikation auf gemeinsame Werte zurück, die das kulturelle Subsystem der sozialen Handlung ausmachen; und statt der Lebenswelt als Bedingung der der Interaktion innewohnenden Dialogfähigkeit, stellt Parsons die Koordinierung zwischen teleologisch orientierten Einzelhandlungen. Wie wir jedoch zuvor gesehen haben, erweist sich die ensprechende Synthese zwischen System und sozialer Handlung als zusammenhalteslos. Daher kommt er dazu, vor der sozialen Handlung die kulturelle Pattern und ihre nachfolgende Umsetzung in normative Orientierungen für das soziale Subsystem und in motivationelle Orientierungen für die Persönlichkeit vorauszusetzen. Auf diese Weise betont er die objektive Gestaltung der Kultur, aus der die Agenten die Interpretationen nehmen, die sie ihren Handlungen geben. Wie Habermas selbst in Bezug auf Parsons bemerkt: "Im Rahmen einer Kultur zu handeln bedeutet, daß die Interaktionsteilnehmer aus einem kulturell gesicherten und intersubjektiv geteilten Wissensvorrat Interpretationen beziehen, um sich über ihre Situation zu verständigen und auf dieser Basis ihre jeweiligen Ziele zu verfolgen"15. Im Gegensatz zu Parsons berücksichtigt Schütz die Lebenswelt, indem er sie als Inbegriff der sozial nidergeschlagenen wahrnehmungsmäßigen und kulturellen Strukturen bezeichnet, aus denen das gegenseitige Verständnis der sozialen Agenten ermöglicht wird. Die Lebenswelt erscheint als beweglicher Horizont, der in jedem einzelnen Fall durch die variable Situation definiert wird. Aus diesem Ansatz kann man 15 HABERMAS, J, Theorie des kommunikativen Handelns II, Suhrkamp, Frankfurt, 1981, S. 327. 13 schon erkennen, daß der Begriff von Schütz über die Lebenswelt nicht mit dem Habermasschen übereinstimmt. Der frankfurter Soziologe ersetzt den wahrnehmungsmäßigen Rahmen durch die semantischen Geflechte, die die kommunikative Handlung performativ einführt. Die sprachlichen Sendungen sind kein Teil der objektiven Welt, deren Strukturen schon bereit sind, sondern stellen das Mittel für die Interaktion und Sozialisierung der Agenten dar; die Gesprächspartner greifen nicht bei der Durchführung oder dem Verständnis einer Sprechhandlung auf die Sprache als ein Werkzeug zurück, mit dem sie ein Ziel erreichen können, sondern sie nehmen mit dem Sprechakt sozial gesehen die eine oder andere Haltung ein —wer hat eine Wette gesetzt, wer hat sich mit seiner Versprechenshandlung eingelassen...—, die sie identifiziert und in Verbindung setzt. Der Mensch ist also ein soziales Wesen aus demselben Grund, aus dem er ein sprechendes Wesen ist, wie bereits Aristoteles bemerkte.