Habil - Uni Marburg

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Dr. habil. Prof. Romanas Plečkaitis
Universität Vilnius
Philosophische Fakultät
Lehrstuhl für Philosophiegeschichte und Logik
DIE BERÜHMTE BEREICHERUNG DER GEDANKENSPHÄRE
Überzeugungen sind ein größerer Feind der Wahrheit als die Lüge. Die größten Tragödien der
Menschheit entstanden und entstehen immer noch aufgrund von Überzeugungen. Dessenungeachtet
kann man überzeugt sein vom Bedeutungsgehalt und der Funktionalität des Begriffes großer
Philosoph – auch wenn Kriterien für die Größe oder Erhabenheit in der Philosophie nicht leicht
aufzustellen sind. Eine große Hilfe bei der Bewältigung dieser Schwierigkeiten ist Immanuel Kant
selbst, der in seiner Kritik der Entscheidungsmacht die Erhabenheit und deren Empfindung
untersuchte. Die Untersuchungen von Karl Jaspers und L ? Kołakowski leisten einen bedeutenden
Beitrag zur Lösung dieser Frage. Waren es doch die bedeutendsten, die erhabensten, ja die großen
Klassiker, die das Gesicht der Philosophie schufen, denen wir Impulse für die Verbreitung von
Ideen und die Paradigmen verdanken und die Beispiele für die gesamte spätere Philosophie schufen.
Hierin liegt die Überlegenheit der Großen gegenüber den Mittelmäßigen. Ohne den Begriff der
Erhabenheit wäre Ideengeschichte undenkbar.
Es gibt aber auch andere Anschaungen. Manche Geschichtsschreiber behaupten, dass man in der
Philosophie mit Begriffen wie groß oder erhaben nicht weit komme und dass man die Großen
durchaus auch aus ihrer Lebenssituation heraus interpretieren könne. Die Verfechter dieser
Auffassung meinen, der Mensch stelle die Gesamtheit der gesellschaftlichen Beziehungen, folglich
wird das Große einer großen Persönlichkeit nivelliert, da sie lediglich ein Produkt der
zivilisatorischen Entwicklung sei . Auch Kants Philosophie sei nur ein Ergebnis der Epoche des 18.
Jahrhunderts sowie deren Ausrichtung. Ich werde den Versuch einer Behauptung wagen, dass die
Größe oder Erhabenheit in der Philosophie weit mehr als das Ergebnis gesellschaftlicher
Beziehungen oder der geistige Ausdruck einer Epoche ist. Ebenfalls gehe ich gegen die Annahme
an, die Philosophie als Wissenschaft sei objektiv in ihren Inhalten und ein Gemeinschaftswerk, und
die Errungenschaften der Philosophie würden umso authentischer, je geringer der Anteil einzelner
Persönlichkeiten daran sei, es zähle nur die reine Anschaung und nicht die Individualität, und
bedeutende Beiträge seien nur durch die Anstrengungen mehrerer Personen möglich. Es war ein
einzelner Mann in der tiefsten Provinz Deutschlands – in Königsberg, und nicht in Paris, London
oder in einem anderen intellektuellen Kulturzentrum der Epoche – der einen Umsturz in der
Philosophie bewirkte.
Schon im Altertum sprach man von Größe und Erhabenheit. Aristoteles ging davon aus, dass ein
wahrhaft großer, großmütiger Mensch großer Dinge wert sei. Plutarch schrieb Biographien großer
Staatsmänner nieder, Diogenes von Laerte verewigte das Leben und Wirken der berühmtesten
Philosophen. Doch bereits in der Antike empfand man den Mangel an einem geeigneten Maß für
die Bewertung menschlicher Größe. Plato schrieb, der Philosoph stehe zwischen Weisheit und
Dummheit, er gehöre weder zu den Weisen noch zu den Narren. Der Skeptiker Tymonas machte
sich sogar lustig über die Berühmtheiten der griechischen Philosophie und nannte Pythagoras einen
Menschenfischer , Heraklit einen Rätselerfinder, Empedokles einen Marktschreihals, Sokrates einen
Händler von Moralformelchen, Plato eine singende Grille in einem Baum der Akademie (des
Akademiehains), Aristoteles ein langweiliges Exponat der aufgeblasenen Weisheit, Zenon Stoa ein
gieriges, aufgeblasenes Weib usw. Einige Berühmtheiten der Patristik wurden zu Doktoren der
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Theologie, die Klassiker der mittelalterlichen Philosophie erhielten individuelle Beinamen: der
unwiderlegbare Doktor, der subtile Doktor, der universelle Doktor, der schönrednerische Doktor u.
ä. Im Mittelalter herrschte ein starkes Empfinden für menschliche Größe. Wissenschaftler suchten
den Schlüssel zum Verständnis des Universums, schrieben Folianten über Universalien als dessen
Ausdrucksformen, und Architekten bauten gotische Kathedralen. Das Empfinden für Erhabenheit
blieb bis in die Neuzeit erhalten. In unserem Fall müssen (die) drei Kritiken Kants, die heute im
Rahmen der Serie “Große Bücher der westlichen Welt” – (Great Books of the Western World)
verlegt werden, als Ausdruck dieses Empfindens gelten.
Erhabenheit steckt nicht in Anschauungen oder in den Naturdingen selbst. Erhabenheit ist ein
Produkt der wertenden Betrachtungsweise über den Verstand sowie der seelischen
Empfangsbereitschaft. Nicht der Sternenhimmel an sich ist erhaben, sondern erhaben ist die Ansicht
eines Sternenhimmels.
Erhabenheit gilt im herkömmlichen Denken als selbstverständlich und auf Grund seiner
Überlegenheit als intuitiv begreifbar. Das Erhabene ist allem überlegen, das kleiner ist, ähnlich wie
eine moderne Autobahn bedeutender scheint als eine staubige Landstraße. Erhabenheit zeigt ein
Verhältnis an: groß ist alles, mit dem verglichen alles andere klein aussieht.
Wie ist die Größe des Werkes eines Klassikers der Philosophie zu erkennen? Bei der Antwort
beginnt man am besten mit der Gegenfrage, woran sie nicht zu erkennen ist - und welche Institution
die Kriterien für Größe festlegt. Eine solche Institution besteht unweigerlich aus Berufsphilosophen,
auch aus Mitgliedern des akademischen Kreises, die kein einheitliches Urteil zur Größe oder
Erhabenheit in der Philosophie erzielen. Unbestritten ist jedoch, dass ein Stil oder die Art und
Weise des Schaffens kein Kriterium für Größe sein kann. Die großen Philosophen schrieben oft in
einem obskuren, verwirrenden und undurchsichtigen Stil. Der Stil der Kritiken Kants ist auffallend
präzise, literarisch einwandfrei und die Syntaxstruktur massiv und schematisch im Vergleich zu den
Aufsätzen aus dem vorangehenden Zeitraum. Der Ideenreichtum seiner neuen Philosophie und sein
fortgeschrittenes Alter sowie die Eile beim Formulieren seiner Ideen erlaubten Kant nicht, sich um
die literarischen Aspekte seiner Schriften zu kümmern. Er sorgte sich wenig um die sprachliche
Form seiner Schriften, die er im schon damals veralteten Stil der deutschen Wissenschaftssprache
verfasste. Auf diese Weise geriet Kant gewissermaßen selbst in die Falle der Antinomie: die
grammatischen Konstruktionen wirken umständlich und kompliziert, die Aussagen kategorisch ( in
der Kritik der reinen Vernunft sind die meistvorkommenden Wörter nur, nichts als, einzig); in der
Kritik der Entscheidungsmacht verwendete Kant zur Beschreibung der Schönheit eine komplizierte,
schematische Sprache und einen ästhetisch farblosen Stil. Die Forscher halten diesen Stil Kants für
den Ausdruck seiner Persönlichkeit – er lasse auf die unerschütterliche, strenge Askese seines
Verstandes schließen, die allen Glanz und Schliff des Gedankenausdruckes ablehne.
Unfehlbarkeit gilt genausowenig als Kriterium der Erhabenheit, wie Irrtümer die Erhabenheit
negieren. Wenn ein Klassiker irrt, dann irrt er gewaltig. Auch Kant unterlag manchem schweren
Irrtum. Vom Standpunkt der Logik weisen seine Anschaungen etliche Schwachstellen auf. Kant
misstraute den erneurerischen Ideen des Stammvaters der modernen Logik, Gottfried Leibniz, und
stellte die groteske Behauptung auf, die Logik habe sich seit Aristoteles keinen Schritt vorwärts
oder rückwärts bewegt. Kant untersuchte den Unterbau der wissenschaftlichen Erkenntnis in der
entstehenden Wissenschaftsphilosophie und formulierte Fragen wie: sind reine Mathematik,
theoretische Naturwissenschaft und Metaphysik überhaupt möglich, und wenn ja, wie? Kant fragte
jedoch nicht danach, wie politische Ökonomie möglich sei. Diese Frage stellten damals mehrere
britische Ökonomen. Der Königsberger Philosoph interessierte sich leider nicht für dieses Problem
und untermauerte daher seine Theorien von Moral, Recht und Politik kaum mit wirtschaftlichen
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Faktoren. Der Begriff vom “großen Philosophen” erscheint notwendig, da “didieji filosofai esti taip
pat ten, kur jie kvestionuojami, ir reikalingi, kad juos būtų galima kvestionuoti“ [4: 576]. “die
großen Philosophen auch dort sind, wo sie in Frage gestellt werden, und sie werden gebraucht, eben
um sie in Frage zu stellen”
Ein Kriterium für Größe in der Philosophie ist zweifellose die Tatsache, dass ein Klassiker kein
bloßes Spiegelbild seiner Epoche ist, sondern ein Schöpfer seiner Epoche. Ähnlich wie uns die
Antike (formacija) ohne Plato und Aristoteles unvorstellbar erscheint, das Mittelalter ohne die
Klassiker der Scholastik an den Universitäten, die Rennaissance ohne Leonardo da Vinci, Niccolό
Machiavelli und Martin Luther, ähnlich wie das als das Jahrhundert der Präzision bezeichnete 17.
Jahrhundert undenkbar ist ohne R. Descartes, Gottfried Leibniz und Isaac Newton, so ist auch das
18. Jahrhundert, die sogenannte Aufklärungsepoche ohne Jean Jacques Rousseau und andere
Berühmtheiten nicht vorstellbar. Entsprechend der Ausrichtung seiner Epoche auf die Faktoren
Vernunft – Natur – Fortschritt untersuchte Kant das, was sein soll - im Gegensatz zum
vorhergangenen Jahrhundert, das sich mit dem befasst hatte, was tatsächlich ist. Er definierte das
wahrnehmende Subjekt als autonomen Träger von Aktivität und Fortschritt, als Gründer der
Wissenschaft, die die Wünsche von Moral und staatsbürgerlichem Leben festlegt und dessen
Kriterien beschreibt, also alles fixiert, was von unerlässlicher und allgemeiner Bedeutung ist. Die
herausragendsten Gelehrten der Epoche stellten das Seiende als unvernünftig und daher als etwas
dar, das verändert werden müsse. Auch Kant war daran beteiligt, diese Ausrichtung zu etablieren.
Das Subjekt kann denjenigen Aussagen, die das Wissen am meisten erweitern, unabhängig vom
eigenen Erleben eine notwendige und allgemeingültige Bedeutung zusprechen, denn es verfügt über
einen reinen, theoretischen Verstand, der Ideen entwirft und festlegt, was sein sollte.
Entfernt man alles Empirische aus Begriffen wie Moral, Recht und Politik, bleiben die reinen
Prinzipien. Obzwar unabhängig von der Erfahrung, ist ohne sie sowohl die Moral und das Recht als
auch die Politik unvorstellbar. Im täglichen Leben hält man sich nicht immer an diese Prinzipien,
sie können auch verletzt werden, jedoch haben sie eine hinweisende Funktion. Der Begriff
“Philosoph der Epoche” stellt eine historische Kategorie dar, mit deren Hilfe versucht wird, eine
Verbindung zwischen den menschlichen Gedanken und den täglichen Bedürfnissen, Neigungen und
Vorstellungen der menschlichen Gesellschaft, also dem Adressaten des philosophischen Textes, zu
knüpfen. Der „große Philosoph” aber ist keine historische, sondern eine philosophische Kategorie,
oder historisch nur im existentiellen Sinn. Dies bedeutet, dass der große Philosoph einem
philosophierenden Individuum als seine eigene Vorgeschichte, als sekundäres Gedächtnis erscheint,
also als ein bestimmter Gedankenvorrat nur für ihn allein existiert. Philosophen brauchen die
“großen Philosophen” ebenso, wie Schriftsteller (anders als Literaturhistoriker) auf ihre großen
Autoren angewiesen sind. Ohne die “Großen” wäre unsere Welt unvorstellbar, denn sie gehören zu
den unerlässlichen zmoniskumo sandams. Die Frage “Was wäre, wenn Kant als Kind gestorben
wäre?” ist sinnlos, da Kant nicht gestorben ist: unsere geistige Welt nach Kant wurde von jedem
von uns und auch von Kant gestaltet, und der große Philosoph ist nun kein “Spiegelbild”, sondern
der Schöpfer seiner Zeit. Die Frage, wie die Welt ohne Kant aussähe, ist genauso absurd wie die
Frage “Wie würde mir die Welt erscheinen, wenn mein Großvater nicht existiert hätte?” [4:575].
Der Klassiker erhebt sich über die Messung der Zeit, obwohl seine Existenz in einer konkreten Zeit
verankert bleibt. Dies nennt man Überzeitlichkeit. Um es mit Karl Jaspers zu sagen: Sie stehen in
der Zeit über die Zeit [1:39] und berühren somit die Ewigkeit, indem sie Probleme für alle Zeiten
formulieren, indem sie zu allen Menschen in allen Zeiten sprechen und somit ihre Universalität
erlangen. Der Klassiker verzeichnet seine Erfolge im schwierigsten Abschnitt der Forschung, und
zwar im Aufzeigen der Probleme. Er erkennt die Probleme mit zeitloser Bedeutung. So wurde
Platos Liebestheorie für alle Zeiten konstruiert: Die Natur des Menschen strebe nach
weitestgehender Unsterblichkeit, wobei das Gebären der Teil der Ewigkeit sei, der den Sterblichen
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überlassen wurde, während die absoluten, ewigen Ziele über die temporären, relativen Ziele zu
erreichen seien. Aristoteles erkannte, dass das Denken sich aus speziellen Daseinsformen
zusammensetzt - nicht psychischen oder mathematischen, sondern logischen Daseinsformen -, und
stellte die erste Theorie dazu auf. Auf ähnliche Weise ergründete Kant die Definition der reinen
Vernunft. Sie beinhaltet den Respekt vor den Menschenrechten als ausdrückliche Pflicht und vor
jedem Individuum als Person von absolutem Wert und kann daher, so Kant, nicht lediglich als ein
Mittel zum Zweck angesehen werden. Kant war sich darüber im klaren, dass Menschen als Mittel
zur Erreichung bestimmter Ziele benutzt werden, doch verlangte er, sie vom Mittel immer auch zum
Ziel zu erheben. Ähnlich könne auf dem Gebiet der Politik, so Kant, das Volk nicht zum Mittel der
internationalen Politik werden, sondern müsse zum Ziel der Politik ernannt werden. Kant führte
überzeugend aus, dass der Staat kein Eigentum sei, da er außer dem Staatsgebiet auch aus den
Menschen bestehe, daher sei ein Staat nicht durch Kriege oder Tauschgeschäfte zu erwerben oder
zu verlieren, und die Regierenden seien nur Mitglieder des Staates, nicht aber dessen Eigentümer.
Leider leistete man diesem Prinzip nicht einmal in der politischen Praxis des 20. Jahrhunderts
Folge: nach dem Zweiten Weltkrieg büßte Deutschland Gebiete ein, und es existieren immer noch
Staaten, mit denen die Regierenden umgehen wie mit ihrem persönlichen Besitz.
Jeder Klassiker zeichnet sich aus durch die überwältigende Originalität seines Schaffens. Er schafft
ein Werk, das bis dahin in der Gedankensphäre nicht existierte. Das Neue liegt dabei, so Karl
Jaspers, nicht in den einzelnen Ideen des Klassikers, sondern neu sei der gesamte Geist. Die
Originalität des Klassikers sei von einem solchen Ausmaß, dass ein Bruch oder ein Sprung in der
Ideengeschichte entstehe. Es gibt keinen Ersatz für die Ansichten eines Klassikers. Wer ersetzbar
ist, ist nicht groß. Ebensowenig wie die Freiheit mit ihrem einzigartigem Wert ersetzbar ist, kann es
auch keinen Ersatz für die großen Ideen geben. Unersetzbar sind Kants Ideen vom Determinismus
des gesellschaftlichen Lebens durch soziale taisyklingumai/Regelmäßigkeiten?, denen konkrete
Personen nicht unbedingt mechanisch unterworfen sind, und denen nur wegen des Wertes an sich
kein Mensch geopfert werden sollte. In den Kritiken untersuchte Kant die Freiheit in erster Linie als
metaphysisches und moralisches Problem, doch im Aufsatz/in der Schrift Religion in den Grenzen
der Vernunft befasst er sich bereits mit der sozialen Seite der Freiheit sowie um das Problem ihrer
Verwirklichung in der Gesellschaft und bestätigt sich selbst als überzeugten Demokraten. Er
widerspricht den Erklärungen der damaligen Regierenden und “sogar sehr kluger Leute”, die
meinen, das Volk sei noch nicht reif für Freiheit, die Leibeigenen der Gutsherren sein noch nicht
reif für die Freiheit, und die Gesellschaft im Gesamten sei nicht reif für Gedankenfreiheit. Kant
bemerkt scharfsinnig, dass, halte man an solchen Ansichten fest, die Freiheit nie anfangen könne, da
Freiheit unmöglich in einer unfreien Gesellschaft reifen kann. Bevor die Menschen reifen können,
muss die Freiheit begonnen haben, denn es muss eine Möglichkeit bestehen, sich seiner Vernunft
und seiner Kräfte in Freiheit zu bedienen. Die Behauptung, die Untertanen seien noch unreif für die
Freiheit, bedeutet, die Freiheit für sie hinauszuschieben. Abgesehen davon verweist Kant auf die
metaphysische Unzulässigkeit einer solchen Behauptung, da Gott den Menschen ja als freies Wesen
geschaffen habe.
Ein Klassiker ist in seinem Schaffen nicht zu übertreffen. Es kommt vor, dass die Nachfolgenden
diese Unübertrefflichkeit idealisieren. Alfred North Whitehead zum Beispiel behauptete, die
gesamte abendländische Philosophie bestehe nur aus Randbemerkungen zum Werk Platos. Dies ist
eine Übertreibung. Offensichtlich ist jedoch, dass Plato in der Antike unübertrefflich blieb in seinen
Erkenntnissen. Als Beispiel seien seine Einsichten zum Mechanismus des schöpferischen Prozesses
angeführt: Der Mensch ist im Besitz von Wissen, von dessen Vorhandensein er nichts weiß, denn es
existiert ein unbewusstes Denken, und die direkte Einsicht erfolgt im Unterbewusstsein. Dichter
jedoch erführen göttliche Inspiration und schrieben ihre besten Werke im Zustand umnebelten
Bewusstseins nieder. Psychoanalytiker führen den Keim ihrer Theorie auf Platos Vorstellung
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zurück, aufsteigende Impulse fänden ihren Durchbruch in Träumen, die auch Ausdruck der
ansonsten unterdrückten Wünsche seien. Als nach dem Verlust des antiken Erbes und dem Abbruch
der wissenschaftlichen Tradition im frühen Mittelalter mit der Konstruktion eines neuen
philosophischen Gebäudes begonnen wurde, begründete Johannes Scotus Eriugena treffend die
Notwendigkeit der Philosophie: Nemo intrat in caelum nisi per philosophiam (Niemand erlangt das
Himmelreich als durch die Philosophie). Der Königsberger Philosoph war ebenfalls nicht zu
überbieten in der Erklärung der Grundlagen der Metaphysik: „Bet kad žmogaus dvasia kada nors
visiškai atsisakytų metafizinių tyrimų, taip pat neįtikima, kaip ir tai, kad mes kada nors visai
liausimės kvėpavę, saugodamiesi įkvėpti užterštą orą. Metafizika pasaulyje bus visada, netgi
kiekviename žmoguje, ypač mąstančiame, ir, nesant bendros normos, kiekviename savaip“ [3:167].
Kant ist einzigartig im Formulieren und Begründen seiner Theorien.
Große Ansichten erwecken in uns nicht nur einfaches Gefallen, sondern Ehrfurcht. Ehrfurcht
bedeutet eine Verbeugung vor den großen Ideen, die in uns den Geist der Erhabenheit erwecken und
dem Leben Monumentalität verleihen.
Die Ansichten eines Klassikers werden zur Norm erhoben – seine Ideen sowie Modelle werden zur
Verhaltensnorm der Nachfolger. Der Klassiker wird zum Vorbild, allerdings nicht im Sinne einer
episteminis /erkenntnistheoretischen Autorität. Kant gab hervorragende Anweisungen für den
Umgang mit dem Ideenerbe: wer lediglich in der Lage sei, etwas zu lernen und jemandem zu folgen
und sonst nichts, sei allenfalls ein Einfaltspinsel. Schöpfung bedeute nicht simples Nachäffen oder
Nachahmen, sondern Nachfolge, die die Weiterentwicklung der Ideen beinhalte. „Semti iš tų pačių
šaltinių, iš kurių sėmė pats pradininkas, ir iš savo pirmtakų mokytis tik būdo, kaip reikia šito imtis“
[2:137-138]. Es ist zwar nicht so, dass die zahlreichen Anhänger Kants dies überlesen oder ignoriert
hätten - sie versuchten Nachahmung zu vermeiden und strebten aufrichtig nach wahrer Nachfolge.
Leider hatten sie meist kein Erfolg damit und schufen psychologisierte Interpretationen des
Königsberger Philosophen. Solidere Arbeit leisteten dagegen die Neokantisten.
Die Entdeckungen und Erfindungen der Neuzeit beflügelten die Suche nach der rechten Methode
wissenschaftlicher Entdeckungen. Dies war der Beginn der Herausbildung einer modernen
Wissenschaftsphilosophie, wobei auch der Beitrag Kants von Bedeutung ist. Die Kritik der reinen
Vernunft ist ein Versuch einer Wissenschaftsphilosophie, ein Ansatz zur Bestimmung des
theoretischen Gegenstandes der Wissenschaft. Die Begründung des wissenschaftlichen Wissens
selbst zu erforschen, war ein sowohl in seinen Ausmaßen als auch in seiner Orientation völlig neues
Unterfangen. Diese Orientation macht Kant zum einen der Pioniere der Wissenschaftsphilosophie.
Die Krise der mathematischen Grundlagen Ende des 19. Jahrhunderts und die entstandenen
Theorien der mathematischen Grundsätze - der Logizismus, der Formalismus, der Intuitionismus –
zeigen die Bedeutung seiner Grundlagenforschung für die Wissenschaft auf. Der Einfluss der Ideen
Kants auf den Begründer des mathematischen Intuitionismus Luitzen Egbertus Jan Brouwer ist
unverkennbar – Brouwer erblickte ebenso wie Kant einen anderen als den logischen Grundsatz der
Mathematik.
Kant begann in seinem Streben nach der Verbindung der Naturwissenschaft mit der Mathematik
nicht etwa mit Postulaten, sondern mit der Feststellung , dass Wissenschaft tatsächlich existiert. Die
reine Naturwissenschaft sei nichts anderes als eine Naturkunde, die die empirische Wirklichkeit mit
mathematischen Mitteln beschreibt. Kant erteilte der bereits von Wissenschaftlern des Mittelalters
(Robert Grosseteste, Roger Bacon, Mertons koledzo kalkuliatoriu) gehegten Idee von der
Verschmelzung der Naturforschung und Mathematik einen neuen Charakter – diese Synthese sei ein
Ausgangspunkt für die Belegung der Gültigkeit der Naturforschung. Nach Kants Verständnis war
auch Newtons Physik, die die empirische Wirklichkeit mathematisch zu beschreiben versuchte, eine
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theoretische (nach Kants Terminologie – reine) Naturwissenschaft. Als Wissenschaftstheoretiker
erkannte Kant mit Hilfe philosophischer Reflexion, dass mathematische Verfahren nicht auf
unbearbeitetes empirisches Rohmaterial angewandt werden können. Das empirische Material müsse
auf bestimmte Weise in Strukturen neugeordnet werden, die eine Anwendung der Mathematik
erlauben. Die wichtigsten Thesen der reinen Vernunft Kants beinhalten auch die Prozeduren zur
Aufstellung von Konstruktionen. Die Gesamtheit aller von ihm vorgesehenen Konstruktionen
sollten ein der Wissenschaftstheorie entsprechendes Objekt schaffen. Kant ist der Begründer des
Theoretisierungsprozesses, der den wissenschaftlichen Ausdruck einer Wahrnehmung und deren
Darstellung als wissenschaftliches Objekt erlaubt. So gesehen war er ein moderner zeitgenössischer
Wissenschaftsphilosoph. Er arbeitete am Bild eines Wissenschaftlers und Theoretikers, der dem
Sachverhalt eines Experiments mit Hilfe der ihm zur Verfügung stehenden Begriffsmittel einen
Sinn zuweist und daraus eine stimmige Theorie ableitet. Ein moderner theoretischer Physiker, der
die im Atomkern ablaufenden Prozesse mit Mitteln der Gruppentheorie oder anderer
mathematischer Theorien untersucht, entspricht dem Bild Kants von einem Naturwissenschaftler
und Theoretiker.
Kants wissenschaftlicher Philosophie zufolge existiert eine kategorische/kategorine/kategoriale
Grundstruktur des Denkens, die die wissenschaftliche Erkenntnis bedingt. Dies steht außer Frage:
Die Erkenntnis wird sowohl vom Erfahrungsbestand als auch von Grundbegriffen und Prinzipien
der Theorie bedingt, denn erst diese gestatten eine Erklärung der Erfahrungsergebnisse. Die
Grundbegriffe und Prinzipien einer Theorie sind nicht nur methodologische Voraussetzungen bei
der Erstellung der Theorie, sondern auch notwendige konstruktive Elemente der Erkenntnis, die die
Grundeinstellung zur Welt ausdrücken. Kant zufolge müssen diese Prinzipien, die die
Erfahrungsergebnisse organisieren und ordnen, auch den Wahrheitsgehalt der Erkenntnis
garantieren. Zur Untermauerung der Stimmigkeit dieser Ansicht Kants ist die Universalität und
allgemeine Gültigkeit dieser endgültigen/abgeschlossenen
Vernunftsstrukturen/Verstandesstrukturen in allen nur denkbaren Welten zu beweisen. Doch dies
erscheint als unmöglich. Es hat sich herausgestellt, dass diese den Erfahrungsbestand
organisierenden Prinzipien veränderlich sind und somit das wissenschaftliche Weltbild von den
Veränderungen des Erkenntnisinstrumentariums abhängt. Im 20. Jahrhundert bildete sich neben
verschiedenen Geometrien und Arithmetiken eine neue mathematische Richtung heraus – der
mathematische Intuitionismus. Die Entwicklung der vieldeutigen (komplexen?) Logik zeigte den
Zusammenhang von den Gesetzen der Logik und der das Erfahrungsmaterial logisch analysierenden
Prinzipien und der Erfahrung selbst. Die materielle Welt ist plastisch und veränderbar. Die Art des
Denkens über die Wirklichkeit ist ähnlich plastisch und veränderbar und unterliegt Korrektionen. Je
nach dem, in welchem Gegenstandsbereich Überlegungen angestellt werden, kann auf bestimmte
Gesetze der Logik verzichtet und können neue konstruiert werden. Die Gesetze der Logik sind
keine unveränderlichen Ordnungsprinzipien, sondern korrigierbare Hypothesen. Es ist denkbar, dass
die Logik in Zukunft durch Entdeckung von effektiveren Prozeduren für Folgerung, für Ableitung
und andere Operationen wieder radikal umgeordnet werden muss. Die moderne Wissenschaft
richtet sich an den Wahrscheinlichkeitsprozessen der Wirklichkeit aus. „Viliamės, kad visose
būsimose situacijose mūsų protai liks pakankamai lankstūs, kad išrastų medžiagos sutvarkymo
loginius metodus, priderintus prie stebėjimo duomenų. Tai viltis, o ne tikėjimas, kurį laikytume
galimu filosofiškai įrodyti. Galime gyventi be tikrumo. Tačiau kelias į tokią labiau liberalią nuostatą
žinojimo atžvilgiu dar tolimas. Tikrumo siekis turi pats sudegti praeities filosofinėse sistemose, kol
būsime pajėgūs akis į akį susidurti su žinojimo koncepcija, atmetančia bet kokią pretenziją į
amžinas tiesas“ [5:53].
Die Kantsche Kritik bedeutete eine Erforschung der Grenzen von Erkenntnismöglichkeiten. Die
Erörterung der Grenzen von Erkenntnismöglichkeiten wird in den heutigen Geistes- und
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Sozialwissenschaften durch die Einführung der Frage möglich, wie der Sinn gesellschaftlicher
Existenz in einer umfassenden Zeitperspektive vorzustellen ist. Wer nicht an vorzeitige die
Gesellschaft betreffende Beschlüsse/nutartis glaubt, hält an der Meinung fest, visuomenes sklaida
habe den Sinn, den die Menschen selbst dieser sklaida verleihen würden. Sollte es so sein, dass die
Menschen sich selbst ihre Ziele stecken, hätte die Gesellschaft folglich kein endgültiges Ziel. Die
Frage nach dem Sinn der Existenz der Gesellschaft jedoch bleibt. Sub specie aeternitatis betrachtet
ist ein Ende der Existenz der Gesellschaft möglich, wenn die Erde nicht mehr bewohnbar ist.
Britische Astronomen kündigen eine kosmische Katastrophe an: auf unsere Milchstraße bewege
sich eine andere Galaxie zu, und in 200 Millionen Jahren stießen beide aufeinander. Die Ausmaße
und die Folgen einer solchen Katastrophe sind nur annähernd vorstellbar. Die Astronomen führen
zur Beruhigung an, unser Sonnensystem befinde sich am Rande unserer Galaxie und werde somit
vielleicht der Katastrophe entkommen. Es wäre zu folgern, dass der Blick sub specie aeternitatis
lähmend auf Willen und Handlung wirkt und somit als schädlich anzusehen ist.
Auf die Frage, welcher Sinn, unter Berücksichtigung ihrer, wenn auch weitentfernten Perspektive,
in der Entwicklung/sklaida der Gesellschaft steckt, würde Kants Philosophie zur Antwort geben, der
Sternenhimmel über uns und das moralische Gesetz in uns bildeten eine Einheit. Das moralische
Gesetz sei die einzige Determinante des Willens und befreie diesen aus seiner Lähmung. Auch
wenn die Bemühungen als hoffnungslos empfunden werden, auch wenn die Wahrscheinlichkeit der
nicht zu beeinflussenden grandiosen Prozesse bekannt ist: die Beteiligung an der moralischen
Ordnung muss verbindlich bleiben. Das Wissen um solche Prozesse korrigiert die
Selbstüberschätzung und führt zur Einführung des notwendigen Elementes der Bescheidenheit.
Literatur
1. Jaspers, Karl. Die großen Philosophen. München – Zürich 1981.
2. Kantas, I. Sprendimo galios kritika. Vilnius 1981.
3. Kantas, I. Prolegomenai kiekvienai būsimai metafizikai, galėsiančiai būti mokslu. Vilnius
1972.
4. Kołakowski, L. „Wielki filozof“ jako kategoria historyczna.//Fragmenty filozoficzne. [Die
“großen Philosophen” als historische Kategorie. // Philosophische Fragmente, poln.] Seria
trzecia. Księga pamiątkowa kuczci profesora Tadeusza Kotarbińskiego w osiemdziesiątą
rocznicę urodzin. Warszawa 1967
5. Reichenbach, H. Powstanie filozofii naukowej. Die Entstehung der
Wissenschaftsphilosophie, poln.]. Warszawa 1960
7
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