Vorlesung2.WS.2016-17 - Prof. Dr. Kazimierz Rynkiewicz

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Prof. Dr. Kazimierz Rynkiewicz
Die epistemische Koexistenz
von Theorie und Wissen
- aus wissenschaftstheoretischer Perspektive
Vorlesung
Ludwig-Maximilians-Universität München
WS 2016/17
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Vorlesung 2
Teil I (=> die geschichtliche Phase)
WAS IST EINE WISSENSCHAFTSTHEORIE?
3. Wissenschaftstheorie angesichts postmoderner Erwartungen
4. Die grundlegenden Entstehungsphasen der Wissenschaftstheorie
4.1. Die vormoderne Entstehungsphase der Wissenschaftstheorie
4.1.1. Die antike Phase: Aristoteles
Schließlich gehen wir zum Gebiet der Statistik über, um ebenfalls eine Basis zu
gewinnen, auf der postmoderne Erwartungen formuliert werden können. Dabei
handelt es sich allerdings um die statistische Mechanik, die als eine Disziplin
anzusehen ist, die zwischen den Ansprüchen der Thermodynamik und der
klassischen Mechanik vermittelt. Um dies zu erklären, bedienen wir uns des
folgenden Gas-Beispiels:
„Ein Gas füllt die linke Hälfte eines Behälters aus. Wir entfernen nun die
Trennwand, welche den Behälter in zwei Hälften teilt. Das Resultat ist, dass
sich das Gas rasch verteilt – und zwar solange, bis es den gesamten Behälter
gleichmäßig füllt, was wir auch beobachten können. Dieser Prozess führt zum
Gleichgewichtszustand des Systems, der aufrechterhalten bleibt. Aber wir
beobachten nie, dass das Gas ohne unser Zutun aus dem
Gleichgewichtszustand gerät. Auch Kaffee wird z.B. dann kalt, wenn wir ihn
stehen lassen; wir beobachten nie, dass Kaffee warm wird, wenn wir ihn
stehen lassen. In dem Kontext sind unter anderem zwei folgende Erklärungen
(E) denkbar: (1) Thermodynamische E (im Sinne des zweiten Hauptsatzes der
Thermodynamik) – besagt, dass in isolierten Systemen keine Übergänge von
Gleichgewichtszuständen zu Nicht-Gleichgewichtszuständen auftreten können.
Da die Thermodynamik die makroskopischen Eigenschaften eines Systems
mittels seiner makroskopischen Größen (wie Druck, Volumen, Temperatur)
beschreibt, ist sie eine „Makrotheorie“; und (2) Klassisch-mechanische E –
Gas besteht aus einer großen Menge von Gasmolekülen. Diese Moleküle
bewegen sich unter dem Einfluss der Kräfte, die auf sie einwirken, wenn sie
gegen die Wände des Behälters prallen oder miteinander kollidieren. Die
Bewegung eines jeden Moleküls wird von den Gesetzen der Mechanik
bestimmt. Da die klassische Mechanik hier das Verhalten der
Mikrokonstituenten eines Systems regelt, wird sie als „Mikrotheorie“
bezeichnet“.
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In diesem Zusammenhang formulieren wir eine postmoderne Erwartung
folgendermaßen: Wie lässt sich das wissenschaftliche Verhältnis zwischen
Makro- und Mikrotheorie bestimmen?
Wir haben also oben drei postmoderne Erwartungen formuliert:
(1) Wir wollen wissen, wie das Universum beschaffen ist;
(2) Wir wollen wissen, welche These aufgegeben werden muss, damit der
epistemische Schaden möglichst gering bleibt; und
(3) Wie lässt sich das wissenschaftliche Verhältnis zwischen Makro- und
Mikrotheorie bestimmen?
Und diese Kontrolle, die ein grünes Licht für die Zuschreibung des Prädikats
„wissenschaftlich“ gibt, ist eben von der Wissenschaftstheorie zu leisten. So
sind die Fragen zu beantworten:
(1) Welcher Typus von Wissen wird jeweils erwartet?
(2) Welche Wahl kann dabei getroffen werden? (d.h. Worauf können wir
verzichten, und worauf nicht?), und
(3) Inwiefern lässt sich das erlangte Resultat begründen?
Festzuhalten ist, dass die Wissenschaftstheorie einerseits sich auf dem Gebiet
des Empirischen bewähren muss, weil sie auch den empirischen Wissenschaften
effiziente Methoden vorzuschlagen habe, andererseits ihre eigenen logischbegrifflichen Prinzipien der Philosophie zu beachten hat, will sie eine
philosophische Disziplin bleiben.
Die Aufgabe der Wissenschaftstheorie besteht also in einer Art
wissenschaftlich-theoretischer Bemühung, „totale Indifferenz des Subjektiven
und Objektiven“ im Gleichgewicht zu halten, wie es Schelling meisterhaft auf
den Punkt bringt:
„Der Standpunkt der Philosophie ist der Standpunkt der Vernunft, ihre
Erkenntnis ist eine Erkenntnis der Dinge, wie sie an sich, d.h. wie sie in der
Vernunft sind. Es ist die Natur der Philosophie alles Nacheinander und
Außeneinander, allen Unterschied der Zeit und überhaupt jeden, welchen die
bloße Einbildungskraft in das Denken einmischt, völlig aufzuheben, und mit
Einem Wort in den Dingen nur das zu sehen, wodurch sie die absolute
Vernunft ausdrücken, nicht aber, insofern sie Gegenstände für die bloß an den
Gesetzen des Mechanismus und in der Zeit fortlaufende Reflexion sind.“
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(Schelling, F.W.J., Werke IV, 115).
Diese, heute inzwischen für stabil gehaltene Konstellation verdankt sich –
geschichtlich gesehen – einem komplexen Prozess, so dass man auch sagen
könnte: Wissenschaft ist ein Prozess, dessen Dynamik durch Theorien,
Strukturen, Systeme usf. angetrieben wird. Dieser „Wissenschaftsprozess“ lässt
sich zumindest auf zwei verschiedenen Ebenen analysieren:
(1) Auf der strukturellen Ebene des Wissens – dabei handelt es sich um das
Wissen, wie es in materiell fixierter Weise in Büchern, Aufsätzen und
Manuskripten dargestellt und weitergegeben wird, sich jedoch im Laufe der Zeit
verändert und entwickelt. Solches Wissen kann als Produkt, als „Output“ der
Wissenschaft und des Wissenschaftsprozesses angesehen werden. Es dient als
„Rohstoff“ oder „Input“ für andere gesellschaftliche Teilsysteme wie Technik,
Wirtschaft, Politik, Medizin, Bildung usw.; und
(2) auf der sozialen Ebene der Menschen – die Analyse des
Wissenschaftsprozesses vollzieht sich hier mit dem Blick auf die menschlichen
Handlungen, Ziele, Werte usf.
Die antike Phase: Aristoteles
In der Antike gab es noch keine Wissenschaftstheorie, so wie wir sie heute
verstehen. Zwar müssen wir dieser Begründung generell zustimmen, aber deren
wissenschaftlichen Anspruch nicht unbedingt akzeptieren, wenn wir die
Wissenschaftstheorie als methodisch und strukturell ausgerichtete Fragestellung
„Wie ist Wissen?“ vor Augen haben.
Dies erlaubt uns zweierlei hervorzuheben:
(1) In der Antike wurde schon die epistemische Denkweise als solche hoch
geschätzt. Und diese ist auch für die Wissenschaftstheorie bedeutsam, wie wir
dies oben schon gesehen haben. Man denke zunächst an das simple Fragen der
Vorsokratiker nach dem Grund von Dingen, Sachverhalten usf., aber auch an die
epistemisch komplexere platonische Zweiweltenlehre. Überall dort kommen
bereits wissenschaftlich relevante Begriffe und Termini vor; und
(2) Die systematische Behandlung der Problematik, die auch aus der
wissenschaftstheoretischen Sicht relevant ist, finden wir ebenfalls in der Antike,
insbesondere bei Aristoteles (384-322 v.Ch.).
Das, was er herausgearbeitet hat und in der gegenwärtigen AristotelesForschung als das „Organon“ (=Werkzeug des Denkens) bezeichnet wird, weist
durchaus eine wissenschaftstheoretische Bedeutung auf.
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Das aristotelische „Organon“ besteht aus den folgenden Teilen: (1) den
Kategorien, (2) der Lehre vom Satz, (3) den beiden Analytiken (=der Lehre vom
Schluss und der Lehre vom Beweis), (4) der Topik und (5) den sophistischen
Widerlegungen.
In den Kategorien erarbeitet Aristoteles zehn grundlegende Entitäten, die für
jede wissenschaftliche Debatte notwendig sind. Es handelt sich dabei um die
Substanz, die Qualität, die Quantität, die Relation, das Früher, das Zugleich, die
Bewegung, das Haben, das Wirken und das Leiden.
Die Substanz versteht Aristoteles zunächst ganz allgemein als die erste aller
Kategorien und Seinsweisen. Die erste ist sie deshalb, weil alles andere außer
ihr nur insoweit ist (d.h. Sein hat), als an oder in einer Substanz ist. Das
bedeutet, Qualitäten, Quantitäten usw. sind immer nur Bestimmungen in Bezug
auf Substanzen. Wir sagen immer nur von Substanzen, dass sie so lang oder so
kurz, schwarz oder weiß, gesund oder krank usf. sind, also Qualitäten,
Quantitäten usw. haben. Wenn es verschiedene Bestimmungen gibt, dann sind
sie die Bestimmungen von Substanzen. Substanz ist also diejenige Kategorie,
die für Seiendes steht, durch das alles Seiende der anderen Kategorien erst sein
kann.
Aristoteles unterscheidet zwischen der ersten und der zweiten Substanz. Die
erste Substanz ist der Träger aller Bestimmungen, das Substrat (=das
Zugrundeliegende), d.h. das, von dem alles Übrige ausgesagt wird, während es
von keinem anderen ausgesagt wird. Das bedeutet, die erste Substanz ist nichts
anderes als das konkrete, individuelle, mithin selbständig für sich existierende
Einzelding, z.B. Sokrates. Dagegen ist die zweite Substanz als Wesen gedacht,
wobei das Wesen als das Bleibende, Beharrende gegenüber dem Wechsel aller
anderen Bestimmungen zu verstehen ist. Während ein Ding andere
Bestimmungen haben und sie wieder verlieren kann, ist die zweite Substanz die
über die gesamte Existenz des Gegenstandes hinweg bleibende Bestimmung,
d.h. seine Washeit (=quidditas). Bezogen auf den Menschen ist die Washeit sein
Menschsein. Die Substanz lässt kein Mehr und kein Minder zu.
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Es ist ganz anders bei den weiteren Kategorien wie z.B. Qualität und Quantität.
Beide Entitäten können die Substanz mit verschiedener Stärke bestimmen. Für
Aristoteles ist die Qualität das, vermöge dessen man so oder so beschaffen ist.
Dabei differenziert er zwischen dem Habitus als Eigenschaft und dem Zustand
als Disposition. Aus wissenschaftlicher Sicht ist vor allem der Habitus
bedeutsam, weil er etwas Bleibendes darstellt, was auch die Wissenschaft
kennzeichnet.
Dagegen ist die Quantität teilweise diskret und teilweise kontinuierlich.
Während die Zahl und die Rede diskret sind, weil sie keine gemeinsame Grenze
haben, sind die Linie, die Fläche, der Körper, die Zeit und der Ort
kontinuierlich.
Die wissenschaftliche Relevanz weist in dem Kontext auch eine weitere
Kategorie auf, nämlich die Relation. Sie ermöglicht die Bestimmung des
Verhältnisses zwischen verschiedenen wissenschaftlich zu untersuchenden
Elementen. Für Aristoteles ist relativ alles, dem das, was begrifflich ist, etwa im
Vergleich zu einem anderen beigelegt wird.
Der Relation stehen drei weitere Kategorien ganz besonders nahe, d.h. das
Früher, das Zugleich und die Bewegung. So können wir sagen, das Frühere steht
in einer Relation zum Späteren und Zugleich, und umgekehrt. All diese
Elemente befinden sich zudem in einer „zeitlichen Bewegung“. Nach Aristoteles
nennt man also früher das eine im Vergleich zum anderen, und zugleich sagt
man von Dingen, die in derselben Zeit werden oder geschehen. Werden und
Geschehen sind die klassischen Beispiele für die Bewegung neben der
Zunahme, der Abnahme, der qualitativen Veränderung und dem Ortswechsel.
Die aristotelische Kategorientafel wird schließlich durch das Haben, Wirken und
Leiden ergänzt. Das Haben versteht Aristoteles zuerst als Habitus oder
Disposition, so dass man sagt: „X hat eine Tugend“. Es ist aber auch denkbar,
das Haben quantitativ, zugehörigkeits- und eigentumsmäßig zu verstehen, also
im Sinne: „diese Strecke hat die Länge von zwei hundert Meter, X hat zwei
Hände, und X hat ein Haus“.
Was das Wirken und Leiden anbelangt, so betont Aristoteles vor allem deren
konträre Naturen, die allerdings in dem übereinstimmen, dass sie ein Mehr und
Minder zulassen.
(vgl. Aristoteles, Met Z 3,4; auch Kat. 5)
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So können wir bei der Frage nach der Methode jeweiliger Wissenschaften - etwa
rückblickend auf den Substanzbegriff - zwischen dem Wissen unterscheiden, das
entweder als tragbar oder nur als bestimmungsfähig bezeichnet werden kann. Zu
wissen, welche Faktoren tragbar sind, und welche es nicht sind, gilt als eine
notwendige Voraussetzung für jede wissenschaftliche Methode, deren Anliegen
es ist, die entsprechende Objektivitätsstufe zu garantieren.
Wie oben schon gesagt, stellt die Lehre vom Satz den nächsten Teil des
„Organon“ dar. Aristoteles betreibt damit eine Art Hermeneutik, indem er sich
mit dem Aussagesatz und Urteil befasst. Nachdem er die einzelnen
grundlegenden Elemente des Satzes (das Nomen und Verbum) geklärt hat, geht
er zur Darstellung des Aussagesatzes über. Eine Aussage ist ein Gebilde, das
entweder ein einzelnes sprachliches Element enthält und ausdrückt, oder die
Verbindung mehrerer sprachlicher Elemente. Es gibt einfache und
zusammengesetzte Aussagen. Eine einfache Aussage ist ein Laut, eine Stimme
oder eine Verbindung von Worten, die dazu bestimmt sind, den Bestand oder
Nichtbestand eines Dinges mit Unterscheidung der Zeiten anzuzeigen. Aus der
Verbindung einfacher Aussagen entstehen die zusammengesetzten Aussagen.
Jede Aussage kann entweder die Bejahung oder die Verneinung sein. Während
die Bejahung einem Ding etwas zuspricht, so spricht die Verneinung ihm etwas
ab.
(vgl. Aristoteles, LvS, Erstes Buch, Kap. 1-14)
Der weitere Teil des „Organon“, genannt auch die „Erste Analytik“, umfasst die
aristotelische Syllogistik. Um eine Basis für seine Syllogistik herauszuarbeiten,
unterscheidet Aristoteles vorab zwischen dem apodiktischen, dem dialektischen
und dem syllogistischen Satz. Der Unterschied zwischen dem apodiktischen und
dem dialektischen Satz ist folgender: Während der apodiktische Satz (=Prämisse
in dem wissenschaftlichen Beweis) die Annahme des einen Gliedes des
Widerspruchs ist – denn der Beweisende fragt nach ihm nicht, sondern nimmt
ihn an, so stellt (und beantwortet) der dialektische Satz (=Prämisse in
Disputationen) die Frage, ob das eine oder das andere Glied des Widerspruchs
gelten soll. Ein syllogistischer Satz (=Prämisse in einem Schluss) ist schließlich
die Bejahung oder Verneinung eines Dinges von einem anderen Ding nach der
angegebenen Weise.
Nach Aristoteles ist ein Schluss eine Rede, in der - wenn etwas gesetzt wird etwas von dem Gesetzten Verschiedenes dadurch folgt, dass dieses ist. Ein
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Schluss ist entweder vollkommen, wenn er außer den Voraussetzungen keiner
weiteren Bestimmung bedarf, oder unvollkommen, wenn dies nicht der Fall ist.
Da eine genauere Bestimmung von den zu verwendenden Prämissen für die
Wissenschaftstheorie erforderlich ist, so gibt uns die Erste Analytik relevante
Hinweise, indem sie zwischen dem apodiktischen, dem dialektischen und dem
syllogistischen Satz unterscheidet. Das richtige Verhältnis im Gebrauch dieser
Satztypen ermöglicht das Entwerfen methodischer Verfahren, die den Erwerb
von Wissen in den jeweiligen Disziplinen effizienter machen.
Von besonderer Bedeutung für die Wissenschaftstheorie ist vor allem die
„Zweite Analytik“, wo Aristoteles den wissenschaftlichen Beweis als eine
besondere Form des Syllogismus und die wissenschaftliche Definition
behandelt. Schon im ersten Buch der „Zweiten Analytik“ behauptet Aristoteles,
der Schluss (=Deduktion) sei Bedingung aller Wissenschaft, in der das Wissen
(aber auch durch Induktion) erworben werden kann. Im Kontext des
Wissensbegriffs erklärt Aristoteles den Begriff des Beweises wie folgt:
„(1) Wir glauben aber etwas zu wissen, schlechthin […], wenn wir sowohl die
Ursache, durch die es ist, als solche zu erkennen glauben, wie auch die
Einsicht uns zuschreiben, dass es sich unmöglich anders verhalten kann […].
(2) Jetzt sagen wir, dass wir auch durch den Beweis wissen. Beweis nenne ich
einen wissenschaftlichen Schluss. Wissenschaftlich nenne ich ihn, wenn wir
durch ihn, sofern wir in seinem Besitze sind, wissen […]. (3) Denn etwas
wissen, wofür es einen Beweis gibt […], heißt einen Beweis dafür haben.“
(Zweite Analytik II, Kap. 3)
Wenn es die Beweise mit dem Wissen zu tun haben sollen, dann erfordern sie
eine Unterstützung durch Definitionen. Diese letzteren sind für Aristoteles die
Prinzipien von Beweisen, von denen früher gezeigt worden ist, dass es für sie
keine Beweise geben kann. Unter diesen Prinzipien sind einfach Wesenheiten zu
verstehen. Wollen wir das Verhältnis zwischen dem Beweis und der Definition
bestimmen, so heißt es: Die Definition macht klar, was etwas ist, dagegen der
Beweis, dass das von dem entweder gilt oder nicht gilt.
Den letzten Teil des „Organon“ stellen schließlich die „Topik“ und die
„Sophistischen Widerlegungen“ dar. Die „Topik“ handelt vom dialektischen
Syllogismus, dessen Prämisse Sätze sind, die lediglich allgemein für wahr
gehalten werden. Diese These stützt Aristoteles durch die Einführung von
wahrscheinlichen Sätzen. Es sind also Sätze, die allen oder den meisten
Menschen als wahr erscheinen. So erblickt Aristoteles seine Aufgabe darin, eine
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Methode zu finden, nach der wir aus wahrscheinlichen Sätzen Schlüsse über
jedes Problem bilden können und dabei in keine Widersprüche geraten.
Dass wir in Widersprüche geraten können, wird hingegen in den „Sophistischen
Widerlegungen“ gezeigt. Aristoteles weist dies im Kontext der Betrachtung des
Elenchus (d.h. der Widerlegung) auf. Ein Elenchus ist ein Syllogismus, der das
kontradiktorische Gegenteil der gegnerischen These beweist. Laut Aristoteles
wird diese methodische Prozedur oft missbraucht, etwa durch Sophisten, die
falsche, bzw. scheinbare Schlüsse machen.
Typische Beispiele solcher Schlüsse sind etwa folgende:
(1) Fehlschluss (F) „fallacia accidentis“ – liegt dann vor, wenn man meint, dass
der Sache dasselbe zukommt wie ihrem Akzidenz;
(2) F „fallacia secundum quid et simpliciter“ – tritt auf, wenn das vom Teil
gemeinte als schlechthin gemeint gefasst wird (z.B. wenn man schließt, dass das
Nichtseiende ist, wenn es der Gegenstand der Meinung ist); und
(3) F „ignorantia elenchi“ – beruht darauf, dass man nicht weiß, was Schluss
oder was Widerlegung ist.
Was bedeuten die hier nur „symbolisch“ angesprochenen Erwägungen des
Aristoteles für die gegenwärtige Wissenschaftstheorie? Es gilt einzusehen, in
jeder Wissenschaft gibt es falsche Schlüsse, in der Geometrie den
geometrischen, in der Medizin den medizinischen, in der Wissenschaftstheorie
den wissenschaftstheoretischen Fehlschluss. Wenn aber die falschen Schlüsse
möglich sind, dann entsteht zugleich die Chance sie widerlegen zu können.
Wenn also eine wissenschaftstheoretische Methode nicht mehr effizient wirken
kann, weil sie zu falschen Schlüssen und somit zu falschem Wissen führt, dann
kann man sie entweder gänzlich ablösen oder zumindest ihre Schwachstellen
deutlich verbessern.
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