Gesundheitsgespräch Krebs: Hoffnung trotz Metastasen Sendedatum: 4. Februar 2017 Experte: Prof. Dr. Wolfgang Hiddemann, Direktor der Medizinischen Klinik und Poliklinik III, Klinikum der Universität München, Großhadern Autorinnen: Susanne Segador, Beate Beheim-Schwarzbach In Deutschland wird bei ca. 460.000 Menschen pro Jahr die Diagnose Krebs gestellt. Bei der Hälfte dieser Patienten ist der Krebs noch örtlich begrenzt und kann in den meisten Fällen durch lokale Behandlungsmöglichkeiten wie insbesondere eine Operation geheilt werden. Bei der anderen Hälfte der Patienten haben sich bereits Metastasen gebildet. Da dann eine Operation nicht mehr hilft, kommt vor allem die Chemotherapie, bei einigen Krebsarten (wie dem Brustkrebs der Frau oder dem Prostatakrebs beim Mann) auch eine Hormonbehandlung zum Einsatz. „Heutzutage wird intensiv an der Weiterentwicklung der Immuntherapie als vierter Säule der Krebsbehandlung gearbeitet.“ Prof. Dr. Wolfgang Hiddemann Die Wissenschaftler blicken derzeit besonders auf sogenannte „Checkpoint Inhibitoren“, d.h. Antikörper, die die Erkennbarkeit von Krebszellen durch die Zellen des Immunsystems verbessern Der Text basiert auf einem Gespräch mit Prof. Dr. Wolfgang Hiddemann, Direktor der III. Medizinischen Klinik und Poliklinik, Klinikum MünchenGroßhadern. Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2017 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 1 Von Zellen zu Metastasen – Krebs ist eine Krankheit der Gene Krebs ist eine Krankheit der Gene, aber keine Erbkrankheit. Denn bei Krebs verändert sich die Erbsubstanz einzelner Zellen im Körper, nicht aber die Erbsubstanz des ganzen Körpers. Wunderwerk Körper: Ständige Reparatur von Fehlern Im menschlichen Körper teilen sich jeden Tag Millionen von Zellen. Bei so vielen Teilungsprozessen geschehen auch häufig fehlerhafte Veränderungen. Der Körper hat jedoch Kontrollmechanismen, um diese Fehler zu erkennen und auszuschalten. Wenn also eine bösartige Zelle entsteht, ist der Körper in der Regel in der Lage diese kranke Zelle mittels seiner Immunabwehr zu erkennen und abzutöten. Anderenfalls würden alle Menschen bereits in ganz jungen Jahren an Krebs erkranken. „Mittlerweile verstehen wir besser, was einen Krebs dazu bringt, sich als Krebs zu entwickeln. Damit ein Krebs überhaupt entsteht, muss er in der Lage sein, das Immunsystem irgendwie zu umgehen. Und wir wissen, dass es bei vielen Krebskrankheiten so ist, dass sie sich praktisch unkenntlich machen für das Immunsystem oder dass sie das Immunsystem sozusagen blockieren.“ Prof. Wolfgang Hiddemann Eine Frage des Alters Krebs ist überwiegend eine Erkrankung des höheren Lebensalters. Das mittlere Erkrankungsalter liegt laut Zentrum für Krebsregisterdaten bei 69 Jahren. Der Zusammenhang zwischen Lebensalter und Krebs lässt vermuten, dass die Kontroll- und Abwehrmechanismen des Körpers irgendwann erschöpft sind. Mit fortschreitendem Lebensalter entkommen deshalb immer mehr Krebszellen, also Zellen deren Bauplan aus den Fugen geraten ist, den Kontrollmechanismen und können sich dann vermehren. Auf diese Weise entsteht ein Tumor. Erst dann spricht man von Krebs. Die Metastasenbildung in fünf Schritten: 1. Eine entgleiste Zelle trickst den Kontrollmechanismus des Körpers aus und vermehrt sich. Diese Krebszellen zerstören das Gewebe in ihrer Umgebung. 2. Die Krebszellen finden Anschluss an die großen Strombahnen im Körper entweder an das Lymph- oder das Blutsystem. So können sie sich im Körper verteilen. 3. Die Krebszellen (zum Beispiel aus dem Darm) siedeln sich an einem anderen Ort im Körper an (zum Beispiel in der Lunge). 4. Die Krebszellen wachsen in das fremde Organgewebe hinein: Sie müssen dort erneut Barrieren überwinden, um zum Beispiel als Darmkrebszelle in das fremde Lungengewebe eindringen zu können. Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2017 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 2 5. Die Krebszellen fangen im fremden Organ an zu wachsen. Eine defekte Zelle, die ursprünglich zum Beispiel aus dem Darm stammt und deshalb nach wie vor den Bauplan einer defekten Darmzelle hat, vermehrt sich nun in der Lunge weiter. Sie behält auch im Lungengewebe die Eigenschaften ihres Ursprungstumors. Viele Angreifer - wenige Treffer Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass viele Zellen von einem Ursprungstumor über das Blut- oder Lymphsystem abschwimmen, aber nur ganz wenige tatsächlich in das fremde Gewebe eindringen und sich dort vermehren können. Die Gründe dafür sind noch nicht bekannt. „Experimentelle Befunde legen die These nahe, dass bestimmte bösartige Zellen auf ihrer Oberfläche eine Art Andockstellen haben, die dann an entsprechende Andockstellen in anderen Organen passen. Zum Beispiel Andockstellen einer bösartigen Darmzelle, die auf Gefäßzellen in der Lunge passen.“ Prof. Wolfgang Hiddemann Wo weniger Metastasen entstehen „Krebszellen können überall dort im Körper anwachsen, wohin sie durch das Blut oder die Lymphe gespült werden. Grundsätzlich können sich also in allen Gewebearten Metastasen bilden. Allerdings gibt es einige Organe, in denen sehr selten Metastasen entstehen. Dazu zählt an erster Stelle das Herz vermutlich, weil dort das Blut so schnell durchfließt, dass die Krebszellen gar nicht andocken können. Sehr selten sind Metastasen auch in der Milz.“ Prof. Wolfgang Hiddemann Schnell wachsende Krebsarten Die Frage, wohin die Krebszellen Tochtergeschwülste aussenden, hängt vor allem davon ab, ob sie als erstes Anschluss an Blutgefäße oder an das Lymphgefäßsystem bekommen. „Der Dickdarmkrebs zum Beispiel breitet sich zunächst überwiegend über das Lymphsystem aus. Deshalb sind in der Regel die ersten Tochtergeschwülste in der Leber zu suchen. Der Nierenkrebs dagegen breitet sich über die Blutbahn aus, und so ist die erste Metastasenstelle in der Regel die Lunge.“ Prof. Wolfgang Hiddemann Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2017 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 3 Therapien - Heilungschancen bei Metastasen In Deutschland erhalten pro Jahr ca. 460.000 Menschen die Diagnose Krebs. Bei der Hälfte dieser Patienten hat sich der Krebs noch nicht weiter verbreitet, also noch keine Metastasen gebildet. „Solange der Krebs noch örtlich begrenzt ist, kann man mit Erfolg örtliche Behandlungsmaßnahmen einsetzen, also in der Regel den Krebs operativ entfernen oder bei bestimmten Krebsarten auch bestrahlen.“ Prof. Wolfgang Hiddemann Bei der anderen Hälfte der Patienten haben sich bereits Metastasen gebildet. Dann hilft die Operation nicht mehr weiter. „Operiert wird dann nur noch als symptomatische Maßnahme, zum Beispiel wenn der Tumor den Darm verschlossen hat und man mit einer Operation dieses lokale Problem lösen kann.“ Prof. Wolfgang Hiddemann Therapiemöglichkeiten „Die Strahlentherapie ist wie eine Operation eine lokal begrenzte Behandlungsmaßnahme und kann das Problem Krebs im metastasierten Stadium nicht lösen. Wenn sich Tochtergeschwülste gebildet haben, muss eine Therapie gemacht werden, die den ganzen Körper umfasst, also eine systemische Behandlung. Das ist in der Regel eine Chemotherapie.“ Prof. Wolfgang Hiddemann Strahlentherapie Die Strahlentherapie zerstört die Kernsubstanz einer Zelle. Die Strahlen werden in einer sehr hohen Konzentration auf die Zelle geschossen. In der Zelle erzeugen sie kleine Atome oder Elektronen, die die Zelle inwendig beschießen. Dadurch zerstört eine Strahlentherapie direkt die Chromosomen. Zerstörerische Kraft „Im Prinzip kann man jede Zelle mit Strahlentherapie zerstören, aber leider sind nicht alle Stellen im Körper gut für eine Bestrahlung zugänglich. In solchen Fällen müssen wir immer abwägen, was wir der Krebszelle und was wir der normalen Zelle antun. Die Haut ist zum Beispiel relativ strahlenempfindlich. Man darf deswegen nicht - sozusagen volles Rohr - einfach auf den Körper einstrahlen. Dann nämlich würde die Haut und vieles andere auch zerstört werden.“ Prof. Wolfgang Hiddemann Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2017 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 4 Strahlen auffächern „Mit den modernen Geräten und Techniken kann man die Strahlen in gewisser Weise auffächern, also viele verschiedene Strahlenwege durch die Haut wählen. So kommen die Strahlen aus unterschiedlichen Richtungen und werden dann im Inneren des Körpers - wie ein Lichtstrahl - direkt auf den Tumor gebündelt. Die unterschiedlichen Strahlen, die alle für sich allein genommen an den normalen Zellen nicht so viel Schaden anrichten, können so ihre gebündelte Wirkung an den anvisierten Krebszellen entfalten. Im Umkehrschluss heißt das aber auch, dass Strahlentherapie nur örtlich begrenzt eingesetzt werden kann.“ Prof. Wolfgang Hiddemann Chemotherapie Die Chemotherapie kann dagegen eingesetzt werden, wenn der Tumor bereits gestreut hat. Wie eine Chemotherapie die bösartigen Zellen vernichtet, hängt von den unterschiedlichen Medikamenten ab. Ein Teil dieser Medikamente schädigt die DNS, die Bausteine der Gene. Andere Medikamente zerstören den Spindelapparat, die Struktur in der Zelle, die notwendig ist, damit die Zellteilung richtig ablaufen kann und sich Tochterzellen bilden können. Andere Medikamente greifen in den Stoffwechsel von Krebszellen ein. Kombination von Medikamenten „Die einzelnen Wirkstoffe sollen für sich allein genommen an den normalen Zellen möglichst wenig bewirken, dafür aber ihre Hauptwirkung an den Tumorzellen entfalten. Damit das überhaupt funktioniert, macht man sich die Eigenschaft der Tumorzellen zunutze, die sich in ihrem Stoffwechsel von normalen Zellen unterscheiden. Die Unterschiede sind zwar häufig nicht sehr groß, aber groß genug, um mit der Chemotherapie vorzugsweise Tumorzellen zu treffen und auch abzutöten, während normale Zellen diese Behandlung überleben und sich nach einer vorübergehenden Schädigung wieder erholen. Bestes Beispiel sind die Haare, die zwar bei der Chemotherapie häufig dünn werden oder ganz ausfallen, sich aber danach meist wieder völlig erholen: Die Mutterzellen der Haarbildung werden nicht vollständig zerstört, während die Krebszellen in günstigen Fällen komplett zerstört werden.“ Prof. Dr. Wolfgang Hiddemann Erfolgsaussichten 20 bis 25 Prozent der Krebspatienten sind nach einer Chemotherapie geheilt, also wieder ganz gesund. „Diese Patienten haben Tumoren, die nicht so häufig sind - zum Beispiel liegt die Heilungsrate bei Hodentumoren ungefähr bei 90 Prozent. Bei bestimmten Erkrankungen, wie dem Lymphdrüsenkrebs und einigen Formen von Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2017 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 5 Gebärmutterhalskrebs, werden heute zwischen 50 und 90 Prozent der Patienten wieder vollständig gesund.“ Prof. Wolfgang Hiddemann Lebensverlängerung Bei einem weiteren Viertel der Patienten kann die Krebserkrankung zumindest zurückgedrängt und das Leben verlängert werden. Das ist zum Beispiel bei Brust-, Dickdarm-, Lungen- oder auch Knochenkrebs der Fall. „In diesen Fällen reden wir von einer wesentlichen Lebensverlängerung von zum Teil mehreren Jahren. Das ist von Krebs zu Krebs sehr unterschiedlich. Zum Beispiel sind beim Dickdarmkrebs mehrere Jahre, beim Brustkrebs manchmal sogar Jahrzehnte möglich. Beim Prostatakrebs kann man mit fünf bis zehn Jahren rechnen. Eine systemische Chemo- oder/und Hormontherapie bringt in diesen Fällen nicht nur eine Verlängerung des Lebens, sondern vor allem auch eine Steigerung der Lebensqualität. Die Patienten sind zwischenzeitlich äußerlich völlig gesund und frei von Symptomen. Bei weiteren 25 Prozent schlägt die Chemotherapie so an, dass zumindest die krankheitsbedingten Symptome verbessert werden können.“ Prof. Wolfgang Hiddemann Metastasen - Stand der Forschung In den vergangenen Jahren ist die Forschung bei der Krebstherapie ein gutes Stück vorangekommen. Vor allem das Verständnis über den Aufbau und die Funktionsweise der Zellen ist gewachsen. „Man hat erkannt, dass man durch Substanzen, die detailliert auf die Eigenschaften von Krebszellen ausgerichtet sind, die Krebszellen besser treffen kann. So weiß man, dass eine Zelle nicht einfach rund wie ein Ball ist, sondern dass ihre Oberfläche unregelmäßig ist.“ Prof. Wolfgang Hiddemann Eine Zelle ist nicht alleine „Jede Zelle unterliegt den Einflüssen anderer Zellen wie auch dem Einfluss von Botenstoffen, zum Beispiel von Hormonen oder bestimmten Vermittlern der Immunabwehr, die im Körper ‚herum schwimmen’ und sich dann eine Zelle suchen, an die sie andocken können.“ Prof. Wolfgang Hiddemann Das Brustgewebe hat zum Beispiel solche Andockstellen für Hormone, auch Rezeptoren genannt. Deshalb können die weiblichen Hormone auch das Wachstum der weiblichen Brust beeinflussen. Bösartige Krebszellen der Brust haben diese Andockstellen ebenfalls. Das bedeutet: Genauso wie normales Brustgewebe wächst auch das Gewebe von bösartigen Brustzellen in Abhängigkeit von Hormonen. Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2017 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 6 Therapie mit genetisch hergestellten Antikörpern In der Forschung wird derzeit intensiv auf Botenstoffe namens Zytokine geschaut. Zytokine sind Wachstumsfaktoren für Zellen, die sich überall im Körper befinden. Sie beeinflussen zum Beispiel die Blutbildung, indem sie dafür sorgen, dass die weißen und die roten Blutkörperchen wachsen. Auch beim Brustkrebs spielen sie eine wichtige Rolle. Der epidermale Wachstumsfaktor beispielsweise ist eigentlich für Hautzellen wichtig, aber er kann auch das Brustzellenwachstum beeinflussen. Die Forschung versucht Wege zu finden, dass Brustkrebszellen auf solche Wachstumsfaktoren nicht mit Wachstum reagieren. „Diese Rezeptoren blockiert man, indem der Patient ein Medikament bekommt, das sich an sie anlagert. Somit ist der Rezeptor für echte Wachstumsfaktoren blockiert. Diese Art der Therapie arbeitet mit genetisch hergestellten Antikörpern.“ Prof. Wolfgang Hiddemann Vierte Therapie-Säule: Antikörper Seit einigen Jahren werden derartige Medikamente in großem Umfang in der Onkologie einsetzt. „Das Herceptin ist zum Beispiel ein zugelassenes Medikament, das einen Antikörper enthält, der an die Rezeptoren auf Brustzellen andockt und damit den Einfluss des normalen Wachstumsfaktors auf die bösartige Brustzelle unterbindet. Auf diese Weise kann die Brustzelle nicht mehr wachsen. Das ist eine der sehr viel versprechenden Entwicklungen in der modernen Onkologie. Neben der Operation, der Chemo- und der Strahlentherapie ist damit die Therapie mit genetisch hergestellten Antikörpern die vierte Säule der Krebsbehandlung.“ Prof. Wolfgang Hiddemann Revolution bei der Therapie von Lymphdrüsenkrebs Auch bei Lymphdrüsenkrebs werden Antikörper eingesetzt. „Hier wurde die Behandlung wirklich revolutioniert hat. Seit einigen Jahren steht uns ein Antikörper zur Verfügung, der in der Lage ist, Lymphomzellen abzutöten. Durch diesen Antikörper wird auch die Wirksamkeit der Chemotherapie in einem sehr hohen Maße gesteigert und die Lebenszeit wesentlich verlängert.“ Prof. Wolfgang Hiddemann Neuere Form der Immuntherapie – Checkpoint-Inhibitoren Damit sich ein Krebs überhaupt als solcher entwickeln kann, muss er das Immunsystem umgehen. Das schafft er auf zwei Arten – entweder, indem er sich selbst unkenntlich macht oder indem er das Immunsystem blockiert. Dabei 'missbrauchen' Tumorzellen Immunkontrollpunkte, sogenannte Checkpoints, Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2017 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 7 um die körpereigene Abwehr außer Kraft zu setzen. An dieser Stelle setzen die sogenannten Checkpoint-Inhibitoren an. Dabei handelt es sich vereinfacht gesagt um Medikamente, die Tumorzellen für das Immunsystem als solche wieder erkennbar machen. "Tumorzellen machen sich also zunächst für das Immunsystem unkenntlich. Man kann die Tumorzellen aber wieder angreifbar machen, wenn man ihnen sozusagen die Kapuze wieder vom Kopf zieht." Prof. Dr. Wolfgang Hiddemann Auf dem Gebiet der Checkpoint-Inhibitoren wird momentan sehr intensive Forschung betrieben – mit vielen zum Teil sehr positiven Ergebnissen, vor allem bei schwarzem Hautkrebs und Dickdarmkrebs. Individualisierte Krebstherapie Die individualisierte Krebstherapie wird unterschiedlich bewertet – manche halten sie für aufgeblasene Geldmacherei seitens der Pharmaindustrie. Der Experte in unserem Dossier sieht in ihr jedoch gute Erfolgschancen. Passgenaue Behandlung - Individualisierte Krebstherapie Jeder Krebspatient ist individuell. Und schon lange wissen Mediziner: Bei einem Krebspatienten verläuft die Krankheit oft anders als bei einem zweiten. Deswegen legen Ärzte seit jeher ihr Augenmerk zum Beispiel auch darauf, wie weit sich der Krebs ausgedehnt hat und ob eine Operation sinnvoll ist. Außerdem spielt seit Langem eine Rolle: Welche Informationen liefert der histologische Schnitt durch den jeweiligen Tumor, welche Merkmale haben die Krebszellen? Und seit Kurzem können Wissenschaftler außerdem Krebstumoren immer besser und genauer charakterisieren und so Untergruppen von Patienten erkennen, deren Tumor vergleichbare Merkmale aufweist. Diese Patienten können ähnlich behandelt werden. Maßgeschneiderte Behandlung - Was ist individualisierte Krebstherapie? Individualisierte Krebstherapie bedeutet nicht, dass Ärzte erst jetzt ihre Patienten als Individuen wahrnehmen. Denn schon immer haben Mediziner sich im Rahmen einer Diagnose auch überlegt: Wie wirkt der Patient, welche Nebenkrankheiten bestehen, wie sieht seine Lebensplanung aus und welche Therapievorschläge machen Sinn? Doch seit ein paar Jahren können Wissenschaftler einen bestehenden Krebstumor zunehmend genauer charakterisieren und so eine differenzierte Behandlung vorschlagen. Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2017 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 8 Vor so einer differenzierten Krebstherapie steht allerdings eine ausführliche molekulargenetische Charakterisierung des Tumors. Am sichersten erfolgt diese in einer spezialisierten Einrichtung mit geeigneter apparativer Ausstattung und Know-how. Denn momentan erhalten Wissenschaftler beinahe täglich neue Erkenntnisse und davon sollten Patienten auch wenn möglich profitieren. Für wen geeignet? In Deutschland erkranken zurzeit pro Jahr etwa 460.000 Menschen an Krebs. Bei rund der Hälfte wird der Krebs noch in einem Stadium erkannt, in dem er durch lokale Maßnahmen (Operation und/oder Bestrahlung, sowie Chemotherapie) behandelbar ist. Bei der anderen Hälfte der Patienten wird der Krebs erst erkannt, wenn er schon gestreut hat. Für diese Gruppe eignet sich die individualisierte Krebstherapie im engeren Sinne. Beispiel Dickdarmkrebs Am längsten etabliert ist die individualisierte Krebstherapie beim Dickdarmkrebs. Dort werden bei der molekulargenetischen Charakterisierung die Tumorzellen daraufhin untersucht, ob ein bestimmtes Gen (RAS-Gen) mutiert (verändert) ist oder nicht. Hintergrund der Untersuchung ist, dass dieses Gen das Wachstum des Tumors steuert. Ist das RAS-Gen nicht mutiert, kann der Patient mit einem bestimmten Antikörper behandelt werden, der nicht wirksam ist, wenn das RAS Gen verändert ist.. „Die Bestimmung des RAS-Gens gehört heute schon obligatorisch zur initialen Diagnostik bei Dickdarmkrebs dazu. Hat ein Patient ein verändertes RAS-Gen, dann macht es keinen Sinn, die Antikörper einzusetzen.“ Prof. Dr. Wolfgang Hiddemann. Den Krebs entschlüsseln - Genetischer Fingerabdruck der Krebszellen Die Krebsforschung kann heutzutage durch Gensequenzierung eine Art Fingerabdruck des Tumors erstellen. Dadurch werden auch genetische Veränderungen in der Tumorzelle sichtbar, gegen die es zum Teil bereits Medikamente gibt, die erfolgreich eingesetzt werden. "Durch Gensequenzierung haben wir mittlerweile Angriffspunkte direkt an der Tumorzelle, wo man mit Medikamenten gezielt auch einen individuellen Tumor behandeln kann." Prof. Dr. Wolfgang Hiddemann Krebs braucht Nahrung Eine andere Möglichkeit besteht über die Nährstoffzufuhr der Tumorzelle. Denn wie jedes andere Gewebe braucht auch das Krebsgewebe Nährstoffe. Das heißt, der Krebs sorgt dafür, dass sich Gefäße bilden, die ihn versorgen. Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2017 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 9 „Mittlerweile weiß man, dass auf den Krebszellen Merkmale sitzen, die sagen: Gefäße kommt her zu mir und helft mir. Wenn man solch ein Merkmal auf einer Krebszelle findet, kann man sozusagen die Nährstoffversorgung des Krebses abschalten indem man Antikörper einsetzt, die die Gefäßneubildung verhindern.“ Prof. Dr. Wolfgang Hiddemann. Das Immunsystem greift ein - oder auch nicht Bei jedem Menschen bilden sich ständig bösartige Zellen, allerdings erkennt sie das Immunsystem und baut sie in der Regel sofort ab. Bei manchen Krebspatienten ist das Immunsystem allerdings dazu nicht in der Lage: Es erkennt die Krebszellen nicht, denn diese tragen Merkmale auf ihrer Oberfläche, die eine Aktivierung der Abwehrzellen verhindern. Antikörper können helfen Wie Wissenschaftler herausgefunden haben, kann in so einem Fall eine Antikörpertherapie hilfreich sein. Diese Antikörper blockieren die Unterdrückung und versetzen das Immunsystem wieder in die Lage, die Krebszellen zu erkennen und abzubauen. Erfolgsaussichten der individualisierten Therapie – Wie weit ist die Wissenschaft? Inzwischen lässt sich für praktisch alle Arten von Tumoren ein sogenanntes genetisches Risikoprofil erstellen, um daraufhin zu entscheiden, was getan werden muss. "Ich glaube, wir sind inzwischen auf einem Weg, wo wir die herkömmliche Einteilung der Krebskrankheiten wahrscheinlich in absehbarer Zukunft verlassen werden, und nicht mehr sagen werden: 'Wir behandeln den Darmkrebs oder den Lungenkrebs', sondern: 'Wir behandeln den Krebs mit dieser oder jenen bestimmten Mutation' – unabhängig davon, in welchem Organ er entstanden ist." Prof. Dr. Wolfgang Hiddemann Tipp: Was können Patienten tun? Wer wissen will, ob für ihn eine individualisierte Krebsbehandlung in Frage kommt, kann sich an die nächste Universitätsklinik wenden. Dort erkundigt man sich nach eventuell vorhandenen neuen Methoden, um den jeweiligen Tumor besser zu charakterisieren und daraufhin eine entsprechende Therapie einzuleiten. „Außerdem kann man den Krebsinformationsdienst am Deutschen Krebsforschungszentrum fragen, oder sich an die Deutsche Krebshilfe Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2017 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 10 wenden. Dort gibt es zentrale Anlaufstellen, die man nach einer Empfehlung fragen kann und wo die Mitarbeiter auf dem neuesten Stand der Wissenschaft sind.“ Prof. Dr. Wolfgang Hiddemann. Voraussetzungen Ausschlaggebend ist der Gesamtzustand des Patienten, entscheidend sind eine gute Leber- und Nierenfunktion. Allerdings ist die individualisierte Krebstherapie vor allem für Patienten sinnvoll, bei denen sich der Krebs schon ausgedehnt hat, sich bereits Metastasen gebildet haben und keine Operation mehr möglich ist. Nebenwirkungen Die Nebenwirkungen bei der individualisierten Krebstherapie hängen stark vom jeweiligen Medikament ab. Setzt man zum Beispiel eines ein, das eine GefäßNeubildung von Tumoren hemmt, dann beeinflusst man damit auch die normale Gefäß-Neubildung. Solche Patienten können Blutungskomplikationen bekommen. Andere Medikamente sind Antikörper, also Eiweißstoffe und können gegebenenfalls zu allergischen Reaktionen führen. Kosten der individualisierten Therapie In Deutschland ist die gesetzliche Schwelle von der vorklinischen Untersuchung eines Medikaments bis hin zum klinischen Einsatz vergleichsweise hoch (im Unterschied zu den USA, Italien oder England). Der Gesetzgeber hat in Deutschland hohe Hürden eingebaut. Für pharmazeutische Unternehmen bedeutet das einen maßgeblichen, finanziellen Aufwand in der Entwicklung – demzufolge ist die individualisierte Krebstherapie vergleichsweise teuer. Überlebenschancen Eine Studie bei Lungenkrebspatienten hat gezeigt, mit Hilfe einer individualisierten Krebstherapie kann das Überleben um rund sechs Wochen verlängert werden. Bei Dickdarmkrebs jedoch ist die Überlebenszeit inzwischen verdoppelt worden, ebenso beim bösartigen Hautkrebs. Zukünftige Entwicklung Dank der Grundlagenforschung verstehen Mediziner heute immer besser, warum Tumorzellen wachsen und können deren Ausbreitung kontrollieren Vermutlich wird sich das Prinzip durchsetzen, dass man einen Tumor als Erstes charakterisiert und seine Merkmale bestimmt und dann eine entsprechende Therapie einleitet. Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2017 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 0800 / 5900 222 Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de Seite 11