1 Peter I. Tschaikowsky Violinkonzert D-Dur op. 35 RSO CLASSIX am Mittag Mittwoch, 1. Oktober 2014, 13 Uhr Stuttgart, Liederhalle, Beethoven-Saal Live-Übertragung in SWR2 ab 13.05 Uhr Außerdem auf dem Programm: Peter Tschaikowsky Slawischer Marsch op.31 Nikolaj Znaider, Violine Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR Dirigent: Stéphane Denève Moderation: Kerstin Gebel Empfohlen für weiterführende Schulen Erstellt von Joachim Westendorf 2 Inhalt 1. Vorwort ......................................................................................................................................2 2. Leben und Werk des Komponisten ..............................................................................................4 3. Konzert für Violine und Orchester D-Dur op. 35......................................................................... 13 4. Instrumentenkunde: Die Violine ................................................................................................ 18 5. Didaktische Hinweise für die Grundschule ................................................................................. 22 6. Arbeitsblatt ............................................................................................................................... 23 1. Vorwort Das Musikstück der Woche vom 02.06.2014 in SWR 2 Kultur stellt Redakteurin Katharina Höhne mit den Worten vor: Im Rausch des Lebens: Peter Tschaikowsky: Violinkonzert D-Dur op. 35 „In solchem Gemütszustand verliert das Schaffen gänzlich das Gepräge der Arbeit", schrieb Peter Tschaikowsky 1878 euphorisch seiner Gönnerin Nadeshda von Meck. Wie im Rausch arbeitete er am Genfer See an seinem Violinkonzert D-Dur, das pure Lebensfreude ausdrücken sollte. Pure Lebensfreude! Dass Tschaikowsky die noch einmal fühlen würde, hatte der feinfühlige Komponist nicht für möglich gehalten. Zu tief war das seelische Loch, in das er kurz zuvor gefallen war. Vom melancholischen Tondichter Peter Tschaikowsky war ein Melancholiker, sensibel und dünnhäutig. Er zweifelte oft und viel, doch am meisten an sich selbst. Die Musik blieb zeitlebens sein Ventil, genau wie die mehrwöchigen Reisen, zu denen er immer dann aufbrach, wenn ihm seine Gedanken und Gefühle kaum noch Luft zum Atmen ließen. Als Tschaikowsky 1878 den Frühling in der Schweiz verbrachte, lag eine schwere Depression hinter ihm. Aus Scham, seine Homosexualität öffentlich bekannt zu machen, hatte er Antonia Miljukova geheiratet, eine ehemalige Schülerin, wie er behauptete. Die Ehe, die Ruhe in sein Leben bringen sollte, hielt 3 drei Monate. Zu groß war der innere Kampf des Komponisten etwas Unrechtes zu tun, um der Gesellschaft zu gefallen. Dass Tschaikowsky keine Frauen liebte, wurde ihm bewusst, als er Anfang der 1870er Jahre Iosif Kotek, Violinist und Kompositionsstudent, am Moskauer Konservatorium kennenlernte. Der junge Mann löste etwas in Tschaikowsky aus, das er kaum in Worte fassen konnte. Er sei so verliebt, schrieb er Nadeshda von Meck, als er sich paradoxerweise im Jahr seiner Hochzeit erstmals zu Kotek bekannte. Kotek begleitete Tschaikowsky auch in seinen Genesungsurlaub an den Genfer See. Mit ihm an seiner Seite gelang es dem russischen Komponisten die Krise zu überstehen und zu neuer, scheinbar grenzenloser Lebensfreude und Schaffenskraft zurückzufinden. „Bisher hielt ich mich fest an die Regel, niemals eine neue Arbeit anzufangen, solange die alte nicht beendet war", schrieb er über die ersten Takte des berühmten Violinkonzerts. „Aber diesmal geschah es, dass ich die Lust in mir nicht bezwingen konnte." So rauschhaft der Kompositionsprozess verlief, so problematisch gestaltete sich die Uraufführung. Der ungarische Violinist Leopold von Auer, dem Tschaikowsky das Stück anvertraute, lehnte es ab. Es sei unspielbar, sagte er, er wolle es bearbeiten. Die Bearbeitung lief ins Leere. Erst zwei Jahre später nahm sich der russische Geiger Adolph Brodsky Tschaikowskys Komposition an und führte es auf. Wo und wann genau ist nicht eindeutig datiert. Obwohl das Violinkonzert heute zu den bekanntesten und meistgespielten Werken gehört, wurde es zu Tschaikowskys Lebzeiten von der Presse zerrissen. Eduard Hanslick, DER Musikkritiker jener Zeit, sagte, dass die Violine darin nicht mehr spiele sondern nur noch zause, zupfe und bläue. Er behielt insoweit Recht, als dass das Konzert voller technischer Tücken steckt, die jeden Violinisten an die Grenzen seines Könnens treiben. Was Hanslick jedoch als Zausen oder Bläuen abtat, waren Tschaikowskys künstlerische Mittel, die eigene innere Zerrissenheit auszudrücken. Auf höchst expressive Art treffen in seinem Konzert tiefer Schmerz – lyrisch und melancholisch – auf neu gewonnene Lebensfreude – leidenschaftlich und pulsierend. Brodsky ließ sich von Hanslick nicht beirren. Der Reiz des Stückes lag seiner Meinung nach in seiner Kritik: der Virtuosität des Geigers und der emotionalen Vielfalt der Musik. „Man kann es endlos spielen und wird nicht müde", sagte Brodsky, dem Tschaikowsky aus tiefer Dankbarkeit das Konzert später widmete. (Quelle: www.SWR2.de) 4 2. Leben und Werk des Komponisten Tschaikowsky (geb. 25. April 1840 in Kamsko-Wotkinski Sawod Russland; † 25. Oktober 1893. in Sankt Petersburg, Russland) war ein russischer Komponist. Bereits zu seinen Lebzeiten wurden viele seiner Werke international bekannt. Heute zählen sie zu den bedeutendsten der Romantik. Auch in Russland gilt er heute als bedeutendster Komponist des 19. Jahrhunderts, obwohl er nicht der Gruppe der Fünf angehörte, sondern die von westlichen Einflüssen geprägte Schule Anton Rubinsteins fortsetzte. Zu seinen bekanntesten Kompositionen zählen seine drei letzten Sinfonien, das Violinkonzert, sein erstes Klavierkonzert, die Ouvertüre 1812 und seine Oper Eugen Onegin. Mit Schwanensee und Der Nussknacker verfasste er zudem die beiden berühmtesten Ballette der Musikgeschichte. Frühe Jahre (1840–1861) Pjotr („Peter“) Iljitsch Tschaikowsky war der zweite Sohn eines Bergbauingenieurs und dessen zweiter Frau Alexandra Andrejewna, der Enkelin eines französischen Immigranten namens Michel d’Assier. Aus dieser Ehe gingen neben Peter die Kinder Nikolai, Alexandra, Ippolit (Hyppolit) und die Zwillinge Anatoli und Modest hervor. Die musikalischen Neigungen der Familie waren nicht sehr ausgeprägt. Gleichwohl erhielt Tschaikowsky auf seinen Wunsch hin mit vier Jahren Klavierunterricht. Ab dem Jahr 1844 beschäftigten Tschaikowskys Eltern die französische Gouvernante Fanny Dürbach (1822–1901), welche einen großen Einfluss auf Tschaikowskys Entwicklung ausübte und mit der er zeitlebens in Kontakt blieb.[1] Tschaikowsky schrieb zu dieser Zeit bereits Gedichte und wurde von Fanny Dürbach le petit Pouchkine („der kleine Puschkin“) genannt.[2][3] Die erste Musik, die ihn prägte, kam von einem mechanischen Klavier, das sein Vater aus Petersburg mitgebracht hatte – der noch nicht einmal fünf Jahre alte Peter war begeistert. Als seine Mutter ihn zum ersten Mal auf einem Klavier Tonleitern spielen ließ, konnte er schon ein Stück nachspielen, das er gehört hatte. Die Familie war erstaunt über sein Talent, 5 und deswegen stellte der Vater Maria Paltschikowa ein, die seinem Sohn Klavierunterricht gab. Peter spielte vom Blatt bald besser als seine Klavierlehrerin. Da die Eltern für ihren Sohn eine Karriere im Staatsdienst vorgesehen hatten, besuchte Tschaikowsky von 1850 bis 1859 die Rechtsschule in Sankt Petersburg und war anschließend im Justizministerium tätig. Eine musikalische Fortbildung während der Zeit gewährte er sich allein in privaten Klavierstunden bei dem aus Nördlingen stammenden, nach Russland ausgewanderten Pianisten Rudolf Kündinger.[4] Dieser notierte über Tschaikowsky: „Er war ohne Zweifel sehr talentiert, besaß ein feines Gehör und gutes Gedächtnis, daraus konnte man aber noch nicht folgern, dass aus ihm einst ein großer Pianist, geschweige denn ein berühmter Komponist werden könnte. […] Das einzige, womit er meine Aufmerksamkeit in etwas höherem Maße fesselte, waren seine Improvisationen.“ In einem Punkt behielt Kündinger recht: Tschaikowski wurde nicht Pianist, denn dafür reichten die insgesamt acht Jahre Klavierunterricht (als Kind und als angehender Musikstudent) nicht aus – nicht von ungefähr wurden seine Klavierkonzerte von anderen uraufgeführt. Einflussnahme auf Tschaikowsky vermutet man auch bei einem italienischen Gesangslehrer namens Piccioli. Von Bach und Mozart hielt dieser nichts, kannte sich aber hervorragend mit der italienischen Oper aus und veranlasste Tschaikowsky zur Veröffentlichung seines ersten Werks, einer italienischen Kanzonette unter dem Titel Mezza notte. 1861–1871 Obwohl der Beamtenstatus Tschaikowsky ein gutes Auskommen bot, das ihm ermöglichte, allerlei kostspieligen Vergnügungen nachzugehen, wurde er 1861 dieses Lebens überdrüssig. Er, der bis dahin nur über mittelmäßige musikalische Kenntnisse verfügte, nahm das Musikstudium auf – ein Schritt, der nicht bei allen Familienmitgliedern auf Verständnis traf. Sein Onkel Peter Petrowitsch kommentierte: „Dieser Peter. Dieser nichtsnutzige Peter! Nun hat er die Jurisprudenz mit dem Dudelsack vertauscht!“ Und sein Bruder Modest notierte später in seinen Erinnerungen: 6 „Ob die Übersättigung plötzlich in ihm erwacht war – vielleicht unter dem Eindruck irgendeines uns unbekannt gebliebenen Ereignisses, oder ob sie sich nach und nach in seine Seele geschlichen hat, das weiß keiner, denn Peter Iljitsch hat sich durch jene schweren Stunden ganz allein durchgerungen. Seine Umgebung hat erst dann etwas davon bemerkt, als die Wandlung bereits vollzogen war.“ 1862 trat Tschaikowsky in das von Anton Rubinstein gegründete Petersburger Konservatorium ein. Rubinstein persönlich unterwies ihn in Komposition und Instrumentation. Den theoretischen Unterricht erhielt Tschaikowsky bei dem polnischen Komponisten Nikolai Zaremba. Mit großer Zielstrebigkeit versuchte er, die fehlenden Kenntnisse in Sachen Komposition aufzuholen. In einem Brief vom 4. Dezemberjul./ 16. Dezember 1862greg. schrieb er an seine Schwester: „Ich hatte dir schon geschrieben, dass ich die Theorie der Musik zu lernen begonnen habe und zwar recht erfolgreich. […] Ich fürchte nur für meine Charakterlosigkeit; am Ende wird meine Trägheit siegen, wenn aber nicht, so verspreche ich dir, dass aus mir noch etwas werden wird. Zum Glück ist es noch nicht zu spät.“ 1866 wechselte er nach Moskau. Bei Anton Rubinsteins Bruder Nikolai Rubinstein fand Tschaikowsky eine Bleibe. Dieser ließ den nunmehr mittellosen Musiker bei sich wohnen, ersetzte dessen abgetragenen Anzug durch neue Bekleidung und vermittelte ihm eine Stelle als Dozent am Moskauer Konservatorium. In Moskau entstanden die ersten erfolgreichen Kompositionen, so auch die Ouvertüre Romeo und Julia, die der Komponist Mili Balakirew angeregt hatte und in welcher Tschaikowsky Elemente der Sonatensatzform verwendet. Auf Kritik an seinen Werken reagierte Tschaikowsky zu der Zeit höchst sensibel: Die Opern Der Wojewode, in der er, ähnlich wie die Mitglieder der Gruppe der Fünf, eine typisch russische Musiksprache verwendete und russische Volkslieder zitierte (uraufgeführt 1869 ohne die erhoffte Resonanz), und Undine (Aufführung wurde abgelehnt) verbrannte er in Reaktion auf den Misserfolg sofort, verwendete jedoch später Teile aus Undine für seine nächste Oper Der Opritschnik. Zahlreiche Zeugnisse belegen, dass er zunehmend depressiv und neurotisch wurde. Seine geheim gehaltene Homosexualität war für ihn eine seelische Belastung.[5] Gleichwohl hätte es 1868 fast eine andere Wendung in seinem Leben gegeben: Nachdem er 7 die Sängerin Désirée Artôt kennengelernt hatte, weihte er seinen Vater ein, sie heiraten zu wollen. Daraus wurde aber nichts, Freunde Tschaikowskys und die Mutter der Braut hintertrieben die Verbindung. 1869 gab Artôt einem spanischen Bariton das Ja-Wort. 1871–1874 1871 zog Tschaikowsky bei Rubinstein aus. Er widmete sich weiterhin seiner Lehrtätigkeit am Moskauer Konservatorium und komponierte einige Opern, die auf geteilte Resonanz stießen. Die Uraufführung seiner Oper Der Opritschnik (Leibwächter) 1874, in welcher ukrainische Volkslieder verwendet werden und die der englische Musikwissenschaftler Gerald Abraham im 20. Jahrhundert als „eine gründliche Übersetzung von Meyerbeer ins Russische“ bezeichnete, bereitete Tschaikowsky Seelenqualen. Er schrieb an seinen Schüler Sergei Iwanowitsch Tanejew: „Die Oper ist so schlecht, dass ich es bei den Proben nicht aushalten konnte und davonlief, um keinen Ton mehr zu hören; in der Vorstellung war mir zumute, als müsse ich versinken vor Scham.“ 1874–1877 Die aus den Moskauer Jahren für sein Leben bedeutsamste Komposition ist das 1. Klavierkonzert op. 23 in b-Moll. Tschaikowsky hatte es 1874 geschrieben und gleich seinem Freund Nikolai Rubinstein vorgespielt, dem es auch gewidmet sein sollte. Die Erschütterung über die Reaktion Rubinsteins war so nachhaltig, dass Tschaikowsky noch drei Jahre später in einem Brief an seine Mäzenin Nadeschda von Meck schilderte: „Ich spielte den ersten Satz. Nicht ein Wort, nicht eine Bemerkung … Ich fand die Kraft, das Konzert ganz durchzuspielen. Weiterhin Schweigen. ‚Nun?‘, fragte ich, als ich mich vom Klavier erhob. Da ergoss sich ein Strom von Worten aus Rubinsteins Mund. Sanft zunächst, wie wenn er Kraft sammeln wollte, und schließlich ausbrechend mit der Gewalt des Jupiter Tonans. Mein Konzert sei wertlos, völlig unspielbar. Die Passagen seien so bruchstückhaft, 8 unzusammenhängend und armselig komponiert, dass es nicht einmal mit Verbesserungen getan sei. Die Komposition selbst sei schlecht, trivial, vulgär. Hier und da hätte ich von anderen stibitzt. Ein oder zwei Seiten vielleicht seien wert, gerettet zu werden; das Übrige müsse vernichtet oder völlig neu komponiert werden.“ Rubinstein schlug vor, das Konzert komplett zu überarbeiten. Tschaikowsky änderte nicht eine Note, schnürte die Partitur zum Paket und schickte dieses dem Dirigenten und Pianisten Hans von Bülow. Dieser hatte gegen das Werk nichts einzuwenden und saß bei dessen Uraufführung 1875 in Boston selbst am Klavier. Die Resonanz des Publikums war überwältigend. Später änderte auch Rubinstein seine negative Meinung. In der Zeit entstanden auch die ersten drei Sinfonien, außerdem die Musik zu Schneewittchen und das Ballett Schwanensee, das 1877 unter widrigen Umständen uraufgeführt wurde. Das musikalisch und tanztechnisch anspruchsvolle Ballett war von den Ausführenden des Moskauer Bolschoi-Theaters stark vereinfacht worden und fiel in der Form beim Publikum und der Kritik durch, wodurch es lange Zeit kaum und stets mit mäßigem Erfolg aufgeführt wurde. Eine größere Umarbeitung lehnte Tschaikowsky stets ab. Das Werk wurde erst nach seinem Tod zu einem Klassiker des Balletts, ausgehend von einer richtungsweisenden Inszenierung von Marius Petipa, Lew Iwanow und Riccardo Drigo unter Autorisierung von Tschaikowskys Bruder Modest im Jahr 1895. In seiner freien Zeit bereiste Tschaikowsky verschiedene Städte Europas, darunter auch Neapel und Paris. Ein Besuch der Erstaufführung von Der Ring des Nibelungen in Bayreuth rief höchstes Missfallen bei Tschaikowsky hervor. Er schrieb an seinen Bruder Modest: „Die Auftürmung der kompliziertesten und ausgetüfteltsten Harmonien, die Farblosigkeit des Gesanges auf der Bühne, die unendlich langen Monologe und Dialoge, das Dunkel des Zuschauerraums, die Abwesenheit jeglicher Poesie, jeglichen Interesses der Handlung – alles das hat meine Nerven bis zum letzten Grade ermüdet. Also das ist es, was die Reform Wagners erstrebt! Früher war man bemüht, die Leute durch die Musik zu erfreuen – heutzutage jedoch quält man sie.“ 9 In Bayreuth aber wurde es Tschaikowsky zum ersten Mal bewusst, Komponist dass sein über die Ruf als Grenzen Russlands hinausreichte. Nadeschda von Meck Tschaikowsky (rechts) mit Iosif Kotek, 1877 Krisenjahr 1877 1877 war das Jahr der schwersten inneren Krise des Komponisten. Anfang 1877 traf er erstmals Nadeschda von Meck (1831–1894). Sie war die reiche Witwe des Deutsch-Balten Karl von Meck, der 1876 gestorben war. Sie bewies großen Kunstsinn und unterstützte später auch Claude Debussy eine Zeit lang finanziell. Tschaikowsky und Frau von Meck pflegten über Jahre hinweg eine innige Brieffreundschaft. Der Komponist war aber stets darauf bedacht, Frau von Meck nicht zu treffen. Als es 1879 doch zu einer flüchtigen Begegnung bei einer Kutschfahrt kam, wich Tschaikowsky ihr aus und sprach sie nicht an. Trotz der mehrfachen finanziellen Unterstützung durch Frau von Meck gab es immer wieder finanzielle Engpässe. Während dieser Zeit hatte Tschaikowsky auch eine romantische Liebesbeziehung mit Iosif Kotek, einem seiner ehemaligen Schüler am Moskauer Konservatorium, der als Privatmusiker bei Nadeschda von Meck angestellt war. In einem Brief an seinen Bruder Modest beschrieb Tschaikowsky im Januar 1877 seine Gefühle ausführlich:[6] „Ich bin so verliebt, wie ich es lange nicht war … ich kenne ihn schon seit sechs Jahren. Ich habe ihn immer gemocht und war einige Male dabei, mich zu verlieben. […] Jetzt habe ich den Sprung gemacht und mich unwiderruflich ergeben. Wenn ich stundenlang seine Hand halte und mich quäle, ihm nicht zu Füßen zu fallen […] ergreift mich die Leidenschaft mit übermächtiger Wucht, meine Stimme zittert wie die eines Jünglings und ich rede nur noch Unsinn.“ 10 Ende April oder Anfang Mai 1877 erhielt Tschaikowsky einen Brief von der ihm unbekannten Antonina Miljukowa, in dem sie behauptete, sie habe ihn am Konservatorium getroffen; in weiteren Briefen drohte sie mit Selbstmord, falls er sie nicht treffen würde. Tschaikowsky gab ihrem Drängen schließlich nach, auch weil er ein gewisses Verständnis und Mitleid für ihre verzweifelte Liebe empfand. Von Biographen wird vermutet, dass Tschaikowsky auch der Gedanke gefiel, durch eine Ehe mit einer Frau nach außen hin von seiner Homosexualität ablenken zu können. Am 18. Juli 1877 fand die Hochzeit statt. Abgesprochen war, dass beide eine Ehe in geschwisterlicher Verbundenheit praktizieren würden. Die Beziehung währte jedoch kaum drei Monate. Schon nach drei Wochen des häuslichen Zusammenseins soll sich Tschaikowsky nachts an die Moskwa geschlichen haben und ins tiefe Wasser gegangen sein, kehrte aber später wieder zurück und erklärte sein völliges Durchnässtsein mit einem versehentlichen Sturz in den Fluss. Dieser Vorfall wird heute allerdings in den Bereich der Anekdote verwiesen. Tatsächlich aber litt der ohnehin labile Tschaikowsky immens unter dem falschen Spiel. In einem späteren Brief gesteht Tschaikowsky: „Kaum war die Trauung vollzogen, kaum war ich mit meiner Frau allein geblieben und kaum hatte ich erkannt, dass uns das Schicksal untrennbar verbunden hatte, da begriff ich plötzlich, dass ich nicht einmal Freundschaft, sondern im wahrsten Sinne des Wortes Widerwillen gegen sie empfand. Der Tod schien mir der einzige Ausweg, doch Selbstmord kam nicht in Frage.“ Die Auseinandersetzungen zwischen dem Paar und die Nachstellungen seitens Miljukowa nach der Trennung waren ein Alptraum für Tschaikowsky. Gleichwohl ist die Ehe nie geschieden worden. Tschaikowsky erholte sich von diesen Ereignissen in Kamjanka (heute Ukraine) bei seiner Schwester sowie während eines fast einmonatigen Aufenthalts in Clarens am Genfersee. Dort entwickelte er zusammen mit Kotek sein einziges Violinkonzert. Auch dieses Werk stieß wie sein 1. Klavierkonzert auf Vorbehalte aus seinem Musikerumfeld, etwa vom als Solisten für die Uraufführung vorgesehenen Leopold Auer, der das Konzert als „unspielbar“ abqualifizierte. Erneut ließ sich Tschaikowsky nicht beirren, die Uraufführung des Konzerts mit Adolph Brodsky als Solisten wurde zwei Jahre später in Wien zu einem großen Erfolg. Seine Gönnerin Frau von Meck stellte ihm in dieser Zeit eine Jahresrente von 6000 Rubel 11 aus, was ihn finanziell unabhängiger machte. So konnte er es sich schließlich leisten, seine Ernennung als russischer Vertreter an der Pariser Weltausstellung 1878 abzusagen und weitere Reisen, etwa nach Frankreich und Italien, zu unternehmen. Edvard Grieg und seine Frau Nina unterhielten eine innige Freundschaft zu Peter Tschaikowsky. Obwohl sich dessen klassischer Stil nicht mit dem von Grieg vergleichen ließ, fanden damals schon Kritiker eine Art „musikalische Seelenverwandtschaft“. In Frankreich sprach man gar von einer russischen und einer norwegischen Dominanz in der klassischen Musik des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Letzte Jahre Porträt von 1888 für Frau Grieg Die Jahre 1878–1884 werden für Tschaikowsky als schöpferisches Tief bezeichnet, obwohl er durch seine französischen Verleger Mackar und Jurgenson gefördert wurde und weitere Werke schrieb. Ab 1879 entstanden unter anderem die Werke Die Jungfrau von Orleans, Capriccio Italien, das 2. Klavierkonzert G-Dur op. 44 (es wurde mit dem Pianisten Sergei Tanejew in Moskau uraufgeführt), die Konzert-Fantasie für Klavier und Orchester, die Oper Mazeppa und die Manfred-Sinfonie. Tschaikowskys bekannteste Oper, Eugen Onegin, wurde am 29. März 1879 im Moskauer Maly-Theater uraufgeführt. Der soziale Wiederaufstieg Tschaikowskys begann 1884, als er nach einer Aufführung von Mazeppa von Zar Alexander III. den Wladimirorden vierter Klasse erhielt und zu diesem Zweck im März von Paris nach Russland zurückkehren musste. 1887 entdeckte Tschaikowsky sein Talent als Dirigent. Es folgten Konzerttourneen durch Europa, unter anderem auch in Berlin, Prag und London, später in Dresden, Köln und Frankfurt am Main. Eine Auslandstournee 1891 führte ihn nach New York, Philadelphia und Baltimore. Ab 1888 entstanden die 5. Sinfonie e-Moll op. 64, das Ballett Dornröschen, die Ouvertüre Hamlet, die Oper Pique Dame und das Ballett Der Nussknacker. 12 Im Jahr seines Todes 1893 komponierte Tschaikowsky das (unvollendete) 3. Klavierkonzert Es-Dur und die 6. Sinfonie h-Moll op. 74 Pathétique, deren Uraufführung am 28. Oktober er noch selbst leitete. Plötzlicher Tod Tschaikowsky starb überraschend am 25. Oktober 1893 im Alter von 53 Jahren in St. Petersburg. Wenige Tage zuvor hatte er noch seine Pathétique dirigiert. Die Todesursache konnte bis heute nicht eindeutig geklärt werden. Dazu werden zwei Meinungen vertreten. Nach Aussagen seines Bruders Modest infizierte sich Tschaikowsky mit der damals in St. Petersburg grassierenden Cholera, als er aus Unachtsamkeit in einem Restaurant ein Glas unabgekochten Wassers trank. Modest Tschaikowsky notierte später: „Seine Seelenstimmung war in den letzten Tagen weder ausschließlich fröhlich noch besonders gedrückt. Im Kreise seiner intimen Freunde war er munter und zufrieden, in Gesellschaft Fremder wie gewöhnlich nervös und erregt und später erschöpft und welk. Nichts gab Anlass, an das Herannahen des Todes zu denken.“ – Modest Tschaikowsky Nach der anderen habe sich Tschaikowsky mit Arsen vergiftet, nachdem er von einem „Ehrengericht“, bestehend aus Mitgliedern der St. Petersburger Rechtsschule, an der er selbst studiert hatte, mit dem Hinweis auf seine Homosexualität aufgefordert worden war, sich das Leben zu nehmen.[12] Für die zweite These spricht, dass sich seine Freunde mit einem Kuss auf die Lippen des Leichnams verabschiedet haben sollen – was wie der geöffnete Sarg des Toten einer typisch russischen Tradition entspricht und nur vorgenommen wird, wenn die Gefahr einer Infektion gering ist. In verschiedenen Fachpublikationen wurde diese ursprünglich 1979 von Alexandra Orlowa aufgestellte These vertreten. Allerdings wies Alexander Poznansky in seinem 1998 erschienenen Buch über Tschaikowskys Tod verschiedene Unstimmigkeiten dieser Theorie nach. Das Ergebnis seiner dokumentarischen Untersuchungen, wonach Tschaikowsky an einer Urämie als Folge der asiatischen Cholera starb, wird heute von weiten Teilen der internationalen TschaikowskyForschung akzeptiert. (Quelle: www.wikipedia.de) 13 3. Konzert für Violine und Orchester D-Dur op. 35 Aus dem Booklet-Text von Michael Tegethoff: Das Violinkonzert von Peter Iljitsch Tschaikowsky zählt zu den großen Violinkonzerten des 19. Jahrhunderts und wird in einem Atemzug mit den Beiträgen von Ludwig van Beethoven (1806), Felix Mendelssohn Bartholdy (1845), Max Bruch (Konzert Nr. 1, 1868) und Johannes Brahms (1879) genannt. Durch einen Verzicht auf weihevolle Erhabenheit unterscheidet sich das Tschaikowsky-Konzert allerdings von den meisten dieser Werke, denn dem Russen war sehr an der unmittelbaren Wirkung des musikalischen Gedankens gelegen: „Nur die Musik vermag zu rühren, zu bewegen und zu erschüttern, die der Tiefe einer durch Inspiration erregten Künstlerseele entströmt“. Obwohl zur Bewältigung einer persönlichen Krise geschrieben, ist das Violinkonzert von Peter Iljitsch Tschaikowsky ein lebensbejahendes und optimistisches Werk. Es genießt außerordentliche Beliebtheit beim Publikum, und die Geiger finden in ihm ein überaus anspruchsvolles Werk mit großen technischen Herausforderungen. Die Überwindung des Krisenjahres 1877 Peter Iljitsch Tschaikowsky schrieb sein einziges Violinkonzert im Jahr 1878. Es war nicht sein erstes Solokonzert, denn 1874 hatte er bereits das berühmte Klavierkonzert b-Moll op. 23 komponiert. In den wenigen Jahren hatten sich die Lebensumstände jedoch einschneidend gewandelt. 1877 hatte Tschaikowsky Antonina Miljukowa geheiratet, doch die Beziehung wurde nach nicht einmal drei Monaten beendet (gleichwohl wurde die Ehe offiziell nicht geschieden). Bereits Ende 1876 hatte aber der umfangreiche Briefwechsel mit Nadeshda von Meck (1831-1894) eingesetzt. Die Witwe eines Eisenbahningenieurs bewilligte Tschaikowsky schließlich eine Jahresrente in Höhe von 6000 Rubel, was den Komponisten finanziell unabhängig machte und eine Beendigung der Lehrtätigkeit am Moskauer Konservatorium erlaubte. 1877 war die persönliche Situation jedoch noch verzweifelt: Anekdoten berichten von einem Selbstmordversuch während der scheiternden Ehe, seine Erfahrungen versuchte der Komponist darauf in besonders persönlich geprägten Werken wie der vierten Sinfonie fMoll op. 36 und der Oper Eugen Onegin zu verarbeiten. Außerdem suchte der Komponist Abwechslung bei längeren Auslandsreisen. 14 Die Entstehung des Violinkonzerts Eine solche Reise führte den Komponisten zu Beginn des Jahres 1878 in die Stadt Clarens am Genfersee. Mit dem Geiger Iosif Kotek (1855-1885) spielte er die 1873 entstandene Symphonie espagnole von Edouard Lalo und begann bald darauf mit der Komposition eines eigenen Violinkonzerts, das sich ebenfalls durch Eleganz und prickelnde Rhythmen auszeichnen sollte. Tschaikowsky kam mit der Arbeit erstaunlich schnell voran, obwohl er völlig entgegen seiner Gewohnheit zur gleichen Zeit auch an der Klaviersonate G-Dur op. 37 arbeitete. Bereits am 10. März 1878 informierte Peter Iljitsch Tschaikowsky Nadeschda von Meck über den Fortgang der Arbeit am Violinkonzert: „In solchem Gemütszustand verliert das Schaffen gänzlich das Gepräge der Arbeit; es ist reinste Seligkeit. Während des Schreibens spürt man gar nicht, wie die Zeit vergeht.“ Dennoch mussten auch Schwierigkeiten überwunden werden. Sie betrafen beispielsweise den langsamen Mittelsatz, der in seiner ersten Fassung bei Tschaikowsky keine Gnade fand. „Das Finale des Konzerts reißt uns hin, aber wir haben das Andante verworfen, und morgen will ich ein neues schreiben“, informierte der Komponist am 4. April 1878. (Der verworfene Mittelsatz wurde später als Méditation für Violine und Klavier op. 42 Nr. 2 publiziert.) Der neue Mittelsatz stellte den Komponisten weitaus mehr zufrieden: „Die Canzonetta ist geradezu herrlich. Wieviel Poesie und welche Sehnsucht in diesen Sons voilés, den geheimnisvollen Tönen! “, schrieb er an Nadeschda von Meck. „Ich arbeitete schwer an der Instrumentation des Konzerts“, klagte Tschaikowsky zwar noch, doch wurde die Arbeit an dem Violinkonzert bereits am 11. April 1878 abgeschlossen. Diskussionen über die Unspielbarkeit des Violinkonzerts Hatte Peter Iljitsch Tschaikowsky das Violinkonzert D-Dur op. 35 in einem einzigen großen Schaffensrausch niedergeschrieben, so stellten sich die größten Schwierigkeiten erst nach Abschluss der Arbeit ein. Nachdem er seinem Ratgeber Iosif Kotek die Widmung und die Uraufführung verweigert hatte, bot Tschaikowsky das Konzert zunächst dem renommierten Geiger Leopold Auer (1845-1930) an. Auer wirkte von 1868 bis 1917 am Petersburger Konservatorium und unterrichtete zuletzt Künstler wie Nathan Milstein und Jascha Heifetz. Der Geiger bedauerte, dass eine gedruckte Notenausgabe des Violinkonzerts von Peter 15 Iljitsch Tschaikowsky inzwischen vorbereitet worden war, da er eine gründliche Revision für notwendig hielt. Auer versprach, diese Revision vorzunehmen, doch ließ er das Werk dann für zwei Jahre liegen. Peter Iljitsch Tschaikowsky zog daraufhin seine Widmung zurück. Später gestand Leopold Auer, Tschaikowskys Violinkonzert in seiner Bedeutung nicht sogleich erkannt zu haben. Seit Auers Durchsicht stand Peter Iljitsch Tschaikowskys Violinkonzert in dem Ruf, unspielbar und geigerisch undankbar zu sein. Damit wiederholte sich das Urteil, das wenige Jahre zuvor dem Klavierkonzert Nr. 1 b-Moll op. 23 gegolten hatte. Damals hatte der Pianist Nikolai Rubinstein das Werk als „wertlos“ und „völlig unspielbar“ bezeichnet. Mit Nachdruck setzte sich schließlich Adolf Brodsky für das Violinkonzert ein. Brodsky (18511929) war sechs Jahre jünger als Leopold Auer. Er hatte bei Josef Hellmesberger in Wien sowie am Moskauer Konservatorium studiert; Von 1875 bis 1883 wirkte er als Professor am Moskauer Konservatorium, anschließend verlagerte er seine Lehrtätigkeit nach Leipzig. Auch Brodsky sah die enormen Schwierigkeiten, die das Violinkonzert von Peter Iljitsch Tschaikowsky an den Solisten stellte, doch befand der Geiger auch: „Man kann es endlos spielen und wird nicht müde. Das ist sehr wichtig, wenn man die Schwierigkeiten überwinden will.“ Uraufführung und frühe Rezeption Wie bereits das erste Klavierkonzert erlebte auch Tschaikowskys Violinkonzert seine erste Präsentation außerhalb Russlands, wobei es keine Bestätigung für eine Aufführung 1879 in New York gibt. Das Werk kam offiziell in Wien heraus. Mit dem Solisten Adolf Brodsky, dem Dirigenten Hans Richter und dem Philharmonischen Orchester erlebte das Konzert am 4. Dezember 1881 seine Uraufführung. Damals polarisierte das Werk noch das Publikum und rief Zustimmung und Ablehnung hervor. Das spiegelt sich auch in den Presseberichten wider, wobei Eduard Hanslicks Urteil in der „Neuen Freien Presse“ traurige Berühmtheit erlangte: „Friedrich Vischer behauptet einmal, es gebe Bilder, ‚die man stinken sieht’. Tschaikowskys Violinkonzert bringt uns zum ersten Mal auf die schauerliche Idee, ob es nicht auch Musikstücke gibt, die man stinken hört.“ 16 Adolf Brodsky stellte das Konzert – wiederum geleitet von Hans Richter – am 8. Mai 1882 auch in London sowie am 20. August 1882 in Moskau vor. Aus Dankbarkeit übertrug Tschaikowsky ihm dafür die Widmung. Doch auch Leopold Auer ließ sich schließlich überzeugen. Wenige Monate vor dem Tod des Komponisten trug er das Werk 1893 erstmals vor, anschließend spielte er das Werk am 18. November in einem Gedenkkonzert. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Siegeszug des Werkes aber längst eingesetzt. Musikalische Notizen zu Tschaikowskys Violinkonzert Das Konzert für Violine und Orchester D-Dur op. 35 von Peter Iljitsch Tschaikowsky unterscheidet sich deutlich von zahlreichen anderen Violinkonzerten. Tschaikowskys Musik zielt weniger auf strenge Konstruktion als auf emotionale Vielfalt. So ist es bereits bezeichnend, dass das Orchestervorspiel nach einmaliger Präsentation keine Rolle mehr spielt und im weiteren Verlauf nicht wiederkehrt. Damit setzte Tschaikowsky den im Klavierkonzert b-Moll op. 23 eingeschlagenen Weg fort. Im Violinkonzert ist es das Soloinstrument, das die Themen vorstellt. Diese Themenaufstellung besitzt eine beispiellose Gelassenheit, das Tempo ist anfangs ganz bewusst zurückgenommen („Moderato assai“). Kaum vorhersehbar sind jedoch die enormen Steigerungen, die in den massigen, schmetternden und dabei immer noch federnden Marschrhythmen des Orchesters ihren Höhepunkt erreichen. Der Kopfsatz des Violinkonzerts von Peter Iljitsch Tschaikowsky – mit Solokadenz an unerwarteter Stelle zwischen Durchführung und Reprise – stellt einen regelrechten Kosmos dar und zielt nicht auf Vereinheitlichung. Die an zweiter Stelle stehende „Canzonetta“ gleicht einem „Lied ohne Worte“. Der Satz schließt behutsam an die brillante Coda des ersten Satzes an und führt erst langsam zur Haupttonart g-Moll. Die Canzonetta wirkt schlicht, aufrichtig und niemals überladen oder gar sentimental. Bemerkenswert ist auch, dass Tschaikowsky das Soloinstrument mit Dämpfer spielen lässt, was ganz zauberhafte Farbwirkungen hervorruft. Mit unmittelbarer Direktheit verschafft sich schließlich das brillante Finale („Allegro vivacissimo“) Gehör. Der tänzerische Schwung dieses Satzes nimmt unmittelbar für sich ein, doch ist es keine aristokratische Eleganz, die hier hervortritt. Aber dieser Satz besitzt nicht nur russischen, sondern auch dörflichen Charakter, etwa bei dem zu den Bordunklängen intonierten A-Dur-Seitenthema. Auffallend sind ferner die zahlreichen Tempozurücknahmen, 17 die ihrerseits wieder rasante Neueinstiege erlauben. Mit seinem zigeunerhaft-skizzenhaften, daneben aber auch zutiefst russischen Ausdruck kontrastiert dieses Finale auch mit dem eleganten Kopfsatz. Aufbau Die Besetzung besteht aus 2 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotten, 4 Hörnern, 2 Trompeten, Pauken, Streichinstrumenten sowie Solovioline. 1. Allegro moderato 2. Canzonetta. Andante 3. Finale. Allegro vivacissimo Erster Satz: Der erste Satz überrascht dadurch, dass die Kadenz bereits der Durchführung folgt und nicht, wie vorher üblich, der Reprise. Eine weitere Besonderheit ist, dass die einleitende Orchestermelodie – wie in Tschaikowskys b-moll-Klavierkonzert – im ganzen Werk nicht wiederkehrt. Zweiter Satz: Über den zweiten Satz, der vom melancholischen Spiel der Violine geprägt ist, schrieb Tschaikowsky an seine Brieffreundin Nadeshda von Meck: „Die Canzonetta ist geradezu herrlich. Wieviel Poesie und welche Sehnsucht in diesen Sons voilés, den geheimnisvollen Tönen!“ Dritter Satz: Das attacca subito des dritten Satzes unterbricht plötzlich die Schwermut des Vorgängersatzes und führt zu den zwei beschwingten Hauptthemen des Finalsatzes. Wirkung Den einflussreichen Musikkritiker Eduard Hanslick erinnerte das Konzert an „die brutale und traurige Lustigkeit eines russischen Kirchweihfestes“ sowie an „lauter wüste und gemeine Gesichter“ und „rohe Flüche“; er meinte über das Werk, es bringe „uns auf die schauerliche 18 Idee, ob es nicht auch Musikstücke geben könnte, die man stinken hört“. Auch andere Musikkritiker reagierten ablehnend auf das Werk. Ähnlich ablehnend hatten Kritiker sich über Tschaikowskys vier Jahre zuvor komponiertes 1. Klavierkonzert geäußert und ihre Meinung später weitestgehend revidiert. Tschaikowsky reagierte daher gelassen auf die Kritik und war überzeugt, dass das Konzert sich durchsetzen werde. Und so kam es auch. Das Konzert wurde bei der Erstaufführung 1882 in London stürmisch gefeiert. Es gehört heute noch zu den bekanntesten, meistaufgeführten und meisteingespielten Violinkonzerten weltweit. 4. Instrumentenkunde: Die Violine Die Violine wird auch Geige genannt, obwohl dieser Begriff früher auch Bratschen, Celli, die Vorläufer des Kontrabasses und Gamben einschloss (siehe Namensursprung). Sie ist ein aus verschiedenen Hölzern – oder neuerdings für experimentelle Zwecke auch aus Verbundwerkstoffen wie Carbon – gefertigtes Saiteninstrument. Ihre vier Saiten werden mit einem Bogen gestrichen. In der Tradition der klassischen europäischen Musik spielt die Violine eine wichtige Rolle, viele Komponisten haben ihr einen wichtigen Teil des Schaffens gewidmet. Violinen werden von Geigenbauern hergestellt. Die Bezeichnung Violine bedeutet eigentlich „kleine Viola“ Der italienische Begriff Violino taucht erstmals um 1535 auf. Die wichtigsten Bauteile 19 Teile der Violine im Querschnitt Der Hals hat eine Länge von ca. 13 cm und ist mit dem Griffbrett (ca. 27 cm Länge) verleimt, das etwa 14 cm über den Korpus ragt. Das Griffbrett ist aus Ebenholz und daher schwarz, hart und verschleißfest. Der Korpus ist ein ca. 35 bis 36 cm langer Hohlkörper. Über den Sattel oder Obersattel am schmalen Griffbrettende führen die Saiten in den Wirbelkasten zu den Wirbeln. Die Wirbel dienen zum Stimmen der Saiten. Die Schnecke am Ende des Wirbelkastens ist oft durch besondere Gestaltung ein Erkennungsmerkmal des Geigenbauers. Der Korpus hat folgenden Aufbau: Die Decke ist der mit zwei F-Löchern versehene, gewölbte, aus Fichtenholz gefertigte obere Teil. Die Decke ist fast immer aus zwei mittig miteinander verleimten Teilen gefertigt. Idealerweise wird „feinjähriges“ Holz (die Jahresringe liegen eng und gleichmäßig) verwendet, das auf nährstoffarmem Boden Hochgebirgsregionen in langsam gewachsen ist. Es wird in der ersten Hälfte des Winters, wenn sich möglichst wenig Saft im Stamm befindet, geschlagen und danach noch mehrere Jahre zur weiteren Trocknung gelagert. Der Boden bzw. Rücken ist meistens aus Ahorn gefertigt (seltener kommen auch Pappel oder Weide zur Verwendung) und ebenfalls gewölbt. Der Boden kann einteilig oder aus zwei miteinander verleimten Teilen gefertigt sein, 20 was an der Maserung des Holzes zu erkennen ist. Die Zargen sind die Seitenteile des Korpus und sind mit Boden und Decke nutverleimt. Sie bestehen meistens aus demselben Holz wie der Boden. Der Steg ist auf die Decke aufgesetzt, jedoch nicht geleimt oder anderweitig befestigt. Über ihn laufen die Saiten, deren Schwingung er auf den Korpus überträgt. Er besteht aus feinjährigem Ahorn. Am Saitenhalter können für die zwei hohen, meistens aus Stahl bestehenden Saiten Feinstimmer oder Feinstimmräder angebracht sein. Sind alle Saiten aus Stahl, sind vier Feinstimmer sinnvoll. Die Henkelsaite führt über den Untersattel und hält den Saitenhalter am Endknopf in der Zarge. Der Bassbalken ist eine in Faserrichtung verlaufende Fichtenholzleiste, die unter leichter Vorspannung auf die Deckeninnenseite geleimt ist. Er erhöht sowohl die Anisotropie als auch die Steifigkeit der Decke. Der Bassbalken verläuft asymmetrisch unter dem bassseitigen Stegfuß. Der Stimmstock (die Seele oder Stimme) und dessen präzise Platzierung beeinflusst und reguliert den Klang der Violine erheblich. Es handelt sich bei ihm um einen zylindrischen Fichtenholzstab (etwa 6 mm Durchmesser), der zwischen Decke und Boden eingepasst wird. Seine Position ist etwa drei Millimeter unterhalb des diskantseitigen Stegfußes. Der Lack schützt das Holz des Instrumentes vor Umwelteinflüssen, konserviert dessen Schwingungseigenschaften und kann den Klang erheblich beeinflussen oder sogar deutlich verbessern. Ebenso kann ein unfachmännisch aufgetragener Lack den Klang eines Instruments „töten“. Zur Verleimung der einzelnen Bauteile wird ein spezieller Knochenleim (Heißleim) verwendet. Er besteht aus Proteinen, die aus Tierknochen oder -haut gewonnen werden. Seine besondere Eigenschaft besteht darin, dass er wasserlöslich ist und bei einer Temperatur von etwa 50 bis 60 Grad Celsius weich wird und so das Instrument problemlos jederzeit auseinanderzunehmen ist, ohne dass Holz oder Lack Schaden nehmen. Ober-, Unter- und Endklötze, sowie Reifchen im Innern des Korpus dienen der Stabilisierung der Zargen. Die Klötze sind aus Fichtenholz, die Reifchen aus Fichte oder Weide gefertigt. Sogenannte Einlagen oder Adern verzieren den Rand der Decke und des Bodens. Dies sind drei nebeneinander liegende schmale, lange Holzstreifen, deren äußere schwarz gefärbt 21 sind. Sie werden in den Adergraben eingelegt und verleimt. Sie dienen außerdem der Stabilisierung der über den Zargenkranz hinausragenden Ränder von Decke und Boden. Der Kinnhalter erleichtert das Halten des Instruments zwischen Kinn und Schulter, dem gleichen Zweck dient die Schulterstütze. Saiten Die vier Saiten bestehen aus mit Silber- oder Aluminiumdraht umsponnenem Naturdarm, Kunststoff oder Stahldraht. Die höchste Saite ist die E-Seite und besteht meistens aus Stahldraht. Darmsaiten reagieren stärker auf Temperatur- und Feuchtigkeitsunterschiede, sie werden hauptsächlich in der historischen Aufführungspraxis verwendet. Die Saiten heißen g, d, a und e, sind also im Quintenabstand gestimmt. Bogen Der Bogen ist mit 190 bis 250 Haaren vom Hengstschweif bestimmter Pferderassen bespannt. Die Bogenstange ist meistens aus Pernambukholz. Zunehmend wird aber - auch von Berufsgeigern - mit Bögen aus Kohlefaser (Karbonfiber) gespielt. Der Frosch besteht aus Ebenholz; mit dem Drehen seiner Schraube wird der Bezug des Bogens nach Benutzung entspannt. Oft befinden sich im Frosch zur Verzierung Perlmutt-Einlagen. Die Bespannung des Bogens muss wiederholt durch Streichen auf einem Geigen-Kolophonium-Block mit dem natürlichen Balsamharz Kolophonium präpariert werden, da nur so eine optimale Schwingung der Saiten erreicht werden kann. Pädagogik Kleine Geige im Geigenkasten Das Violinspiel kann man bereits in sehr frühem Kindesalter erlernen. Damit die Kinder sich die Namen der Saiten merken können (G-D-A-E), haben sich Lehrer eine „Eselsbrücke“ ausgedacht: Geh Du Alter Esel. Pädagogen sind der Überzeugung, dass für eine erfolgreiche Karriere der frühestmögliche Start, etwa im Alter von 3 bis 6 Jahren, unerlässlich sei. Deshalb existieren zahlreiche 22 „kindgerechte“ Violinschulen. Ein weit verbreitetes Beispiel zum frühen Erlernen des Geigenspiels ist die Suzuki-Methode, benannt nach ihrem Entwickler Shinichi Suzuki. 5. Didaktische Hinweise für die Grundschule Die aktuellen Bildungspläne für die Grundschule geben zunächst unmittelbar keine Bezüge zu diesem Konzertprogramm her. Man muss die Unterrichtswerke „quer“ lesen, um das Thema herauszufinden. Beispielsweise sind in „Mobile 3“ sowie „Mobile 4“ aus dem Westermann-Verlag immer wieder Unterrichtsthemen eingearbeitet, die auch Höreindrücke mit klassischer Musik behandeln. Hier werden Orchestermusikstücke eingesetzt und vorgelegt, die aber nicht weiter auf das Mitwirken von einzelnen Instrumenten hin analysiert werden. Doch damit findet sich für uns eine Tür zu dem Thema: Wir nehmen die Instrumentenfamilie „Streichinstrumente“ näher in Augenschein. Sehr schöne Unterrichtsmaterialien finden sich dazu in: Rondo 4, Mildenberger-Verlag, Thema: „Streichinstrumente“, Schülerbuch S. 18-21, im Lehrerhandbuch dazu bei der U-Einheit 12 und 13, S. 29-32. Auf diesem Wege lassen sich auch im Sinne der Kompetenzfelder des Bildungsplans neue Erfahrungen für die Schüler herleiten. Im dritten Bereich NATURPHÄNOMENE UND TECHNIK finden wir diese Ziele: Die Schülerinnen und Schüler 1. kennen Leben und Werk bedeutender Erfinderinnen, Erfinder, Tüftlerinnen, Tüftler, Künstlerinnen, Künstler, Komponistinnen und Komponisten und exemplarisch deren Bedeutung für das Leben der Kinder heute; 2. können an einem Beispiel aus ihrem Alltag eine wichtige technische Erfindung nachvollziehen, in ihrer Bedeutung für die Menschen erfassen und in einen geschichtlichen Zusammenhang einordnen; Dazu Angaben zu möglichen Inhalten: Leben und Werk eines Künstlers oder Erfinders, Klangkörper bauen und spielen 23 Die Offenheit des Bildungsplans ermöglicht es, uns bei der Behandlung des Themas auf verschiedenen Wegen zu nähern, sei es durch die Instrumentenkunde, den Bau eines einfachen Saiteninstruments oder aber auch durch Aufgabenstellungen zum Thema Musikhören – Assoziationen. Das Umsetzen der Musikhörerlebnisse in bildnerische Eindrücke ist ebenso ein möglicher Zugangsweg. 6. Arbeitsblatt 24 Merkblatt zum Konzert am 28.09.2014 Ergänze die Daten und Namen! Musikstück: _____________________________________________________________ Solist _____________________________________________________________ Orchester _____________________________________________________________ Dirigent _____________________________________________________________ Konzertort _____________________________________________________________ Preis meiner Eintrittskarte ___________€ Die Besetzung besteht aus 2 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotten, 4 Hörnern, 2 Trompeten, Pauken, Streichinstrumenten sowie Solovioline. Aufbau: 1. Allegro moderato 2. Canzonetta. Andante 3. Finale. Allegro vivacissimo Erster Satz Der erste Satz überrascht dadurch, dass die Kadenz bereits der Durchführung folgt und nicht, wie vorher üblich, der Reprise. Eine weitere Besonderheit ist, dass die einleitende Orchestermelodie – wie in Tschaikowskys b-moll-Klavierkonzert – im ganzen Werk nicht wiederkehrt. Zweiter Satz Über den zweiten Satz, der vom melancholischen Spiel der Violine geprägt ist, schrieb Tschaikowsky an seine Brieffreundin Nadeshda von Meck: »Die Canzonetta ist geradezu herrlich. Wieviel Poesie und welche Sehnsucht in diesen Sons voilés, den geheimnisvollen Tönen!« Dritter Satz Das attacca subito des dritten Satzes unterbricht plötzlich die Schwermut des Vorgängersatzes und führt zu den zwei beschwingten Hauptthemen des Finalsatzes. 25 Zur Wirkung von Tschaikowskys Violinkonzert D-Dur op. 35 Den einflussreichen Musikkritiker Eduard Hanslick erinnerte das Konzert an »die brutale und traurige Lustigkeit eines russischen Kirchweihfestes« sowie an »lauter wüste und gemeine Gesichter« und »rohe Flüche«; er meinte über das Werk, es bringe »uns auf die schauerliche Idee, ob es nicht auch Musikstücke geben könnte, die man stinken hört«. Auch andere Musikkritiker reagierten ablehnend auf das Werk. Ähnlich ablehnend hatten Kritiker sich über Tschaikowskys vier Jahre zuvor komponiertes 1. Klavierkonzert geäußert und ihre Meinung später weitestgehend revidiert. Tschaikowsky reagierte daher gelassen auf die Kritik und war überzeugt, dass das Konzert sich durchsetzen werde. Und so kam es auch. Das Konzert wurde bei der Erstaufführung 1882 in London stürmisch gefeiert. Es gehört heute noch zu den bekanntesten, meistaufgeführten und meisteingespielten Violinkonzerten weltweit. Impulse: 1) Kannst du dir vorstellen, wieso die Menschen auf das Stück so unterschiedlich reagierten? 2) Gab es in deinem Leben schon einmal Situationen, in denen du ein Musikstück ganz anders empfunden hast als eine andere Person? ______________________________________________________________________ ______________________________________________________________________ ______________________________________________________________________ ______________________________________________________________________ ______________________________________________________________________