Prof. Dr. Peter A. Berger, Universität Rostock Materialien zur Vorlesung „Sozialstrukturanalyse der Bundesrepublik Deutschland“ Einige (soziologische) Definitionen von Struktur/Sozialstruktur Struktur „die Elemente, aus denen ein Gegenstand (System) aufgebaut ist, und die Art und Weise, in der sie zusammenhängen. Wesentlich für den Strukturbegriff ist nicht das Vorhandensein oder die bloße Anordnung, wohl aber eine bestimmte Ordnung der Elemente, durch welche Systeme als identisch charakterisiert werden können. In Analogie zur Sprache kann man Struktur auch als die Syntax verstehen, nach der die Elemente geordnet auftreten. Struktur impliziert keine vollständige Abbildung der Realität, sondern dasjenige Beziehungsnetz ausgewählter Elemente, das dem Gegenstand eine relative Stabilität und Konstanz verleiht.“ (Lexikon zur Soziologie, S. 651f.) Prof. Dr. Peter A. Berger, Universität Rostock Materialien zur Vorlesung „Sozialstrukturanalyse der Bundesrepublik Deutschland“ „Die Sozialstruktur bezeichnet den durch das Netzwerk der Beziehungen zwischen den sozialen Elementen vermittelten bzw. bewirkten Zusammenhang des gesellschaftlichen Ganzen.“ (Renate Mayntz 1966) „Der erkennbare, relativ kontinuierliche Wirkungszusammenhang in der Gesellschaft ist ihre Sozialstruktur.“ (Friedrich Fürstenberg 1966) „Sozialstruktur ist die Gesamtheit der relativ dauerhafteren Grundlagen und Wirkungszusammenhänge der sozialen Beziehungen und der sozialen Gebilde (Gruppen, Institutionen, Organisationen) in einer Gesellschaft.“ (Bernhard Schäfers 1986) „Sozialstruktur im weiteren Sinne umfaßt die Gesamtheit der stabilen Wechselbeziehungen zwischen Teilbereichen der Gesellschaft.“ (Rudi Aßmann u.a. 1977) Prof. Dr. Peter A. Berger – Universität Rostock – Materialien zur Vorlesung „Sozialstruktur der BRD“ Strukturbegriffe in der Soziologie Struktur Regelmäßigkeiten Regeln Struktur aus der Struktur aus der Handlungsperspektive Systemperspektive Regelmäßigkeitsstruktur Regelmäßigkeitsstruktur als Ergebnis von als Voraussetzung von Handeln Handeln Regelstruktur Regelstruktur als Ergebnis von als Voraussetzung von Handeln Handeln Nach: Reckwitz, Andreas (1997): Struktur. Zur sozialwissenschaftlichen Analyse von Regeln und Regelmäßigkeiten, Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 41. Prof. Dr. Peter A. Berger – Universität Rostock - Materialien zur Vorlesung „Sozialstrukturanalyse der Bundesrepublik Deutschland“ Erklärung zu den Strukturbegriffen Abbildung lässt 2 Betrachtungsweisen zu Struktur als Regelmäßigkeiten (Bevölkerungsverteilung, Einkommen, Qualifikation, etc.) 1) Struktur als Regeln (Konventionen, Recht, Rollenerwartungen, Weltbilder, Wissensbestände, etc.) 2) Handlungsperspektive & Systemperspektive (Struktur als Ergebnis (Strukturen als Voraussetzung von Handlungen) von Handlungen) Strukturen als Handlungsfolge Strukturen als Handlungsbedingung Bsp.: Wege und Straßen können als Voraussetzung dafür angesehen, dass Regelmäßigkeiten entstehen. Derart, dass sich Menschen und Autos häufiger auf Wegen und Straßen bewegen werden als daneben. Ampeln und Verkehrsschilder hingegen sind die Manifestationen von Regeln – also Vorschriften, die das Handeln direkt beeinflussen. Aus diesen 2 dichotomen Betrachtungs- und Verständnisweisen lässt sich oben dargestellte Vier-Felder-Tabelle erzeugen: HandlungsPerspektive SystemPerspektive Regelmäßigkeiten 1 3 Regeln 2 4 Die so entstandenen 4 Strukturbegriffe lassen sich unterschiedlichen soziologischen Theorien und Traditionen zuordnen 1) Nutzentheorie | Rational-Choice 2) Interpretative Ansätze | Ethnomethodologie | Symbolischer Interaktionismus 3) Strukturelle Soziologie | marxistische Ansätze 4) Strukturfunktionalismus | Strukturalismus Prof. Dr. Peter A. Berger – Universität Rostock – Materialien zur Vorlesung „Sozialstruktur der Bundesrepublik Deutschland“ Arten sozialstrukturell relevanter Merkmale bzw. Parameter Zugeschriebene Merkmale („ascribed“) Erworbene Merkmale („achieved“) Können durch eigenes Handeln nicht (oder nur schwer) verändert werden Können durch eigenes Handeln verändert werden Beispiele: Geschlecht, Alter, regionale und soziale Herkunft Beispiele: Bildung, Erwerbsstatus, Beruf, Familienstand Nominale Parameter*) (diskret) Graduelle Parameter*) (metrisch) Unterschiede der „Art“ bzw. qualitative Differenzen; Differenzierung nach Kategorien bzw. Gruppen (Zugehörigkeit/ Nicht-Zugehörigkeit) Unterschiede des „Grades“ bzw. quantitative Differenzen; Differenzierung nach Rangordnung (höher/tiefer) Beispiele: Beispiele: Geschlecht, Konfession, nationale Einkommen, Vermögen, Alter, sobzw. ethnische Herkunft, Beruf, zioökonomischer Status, Bildung, Bildungsabschluss Macht *) nach Peter M. Blau (1978): „Parameter sozialer Strukturen“, in: ders. (Hrsg.): Theorien sozialer Strukturen: Ansätze und Probleme, Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 203-233. Prof. Dr. Peter A. Berger – Universität Rostock - Materialien zur Vorlesung „Sozialstruktur der Bundesrepublik Deutschland“ Eine Definition des Begriffs „Sozialstruktur“ nach Wolfgang Zapf „Unter Sozialstruktur verstehen wir die - demographische Grundgliederung - der Bevölkerung, - die Verteilung zentraler Ressourcen wie Bildung, Einkommen und Beruf, - die Gliederung nach Klassen und Schichten, Sozialmilieus und Lebensstilen, aber auch - die soziale Prägung des Lebenslaufs in der Abfolge der Generationen.“ (Wolfgang Zapf (1989): „Sozialstruktur und gesellschaftlicher Wandel in der Bundesrepublik Deutschland“, in: Weidenfeld, Werner/Zimmermann, Hartmut (1989) (Hrsg.): Deutschland-Handbuch. Eine doppelte Bilanz 1949-1989, Bonn, S. 101) Prof. Dr. Peter A. Berger – Universität Rostock - Materialien zur Vorlesung „Sozialstruktur der Bundesrepublik Deutschland“ Positionen, Ressourcen, Personen Gesellschaftliche Grundinstitutionen (Markt, Staat) & langfristige Entwicklungsprozesse - Ausdifferenzierung von... - Hierarchisierung von... SYSTEMBILD Positionen (z.B. Berufe) Zuteilungsmechanismen (allokative oder positionale Ungl.) Prozesse sozialer Mobilität (Rekrutierungsungleichheit) Ressourcen/ Restriktionen Ressourcenzugang: - vermittelt über Positionen Personen (Individuen/ Haushalte) “Soziale Lagen“ Homogenität/ Heterogenität „Großgruppen“ LAGERUNGSBILD (Klassenlagen, Arbeitsmarktlagen, Lebenslagen) MENTALITÄTSBILD (Stände, soziale Schichten & soziale Klassen, Milieus Lebensstilgruppierungen) Prof. Dr. Peter A. Berger – Universität Rostock - Materialien zur Vorlesung „Sozialstruktur der Bundesrepublik Deutschland“ Sozialstrukturen als „Verteilungsverteilungen“ 1. Verteilungen von Ressourcen (Handlungsmitteln) und/oder Restriktionen (Handlungsbeschränkungen) auf Positionen („Allokative oder positionale Ungleichheiten“) 2. Verteilungen von Personen (Individuen, Paaren, Familien etc.) auf unterschiedlich ausgestatte Positionen („Rekrutierungsungleichheiten“) Prof. Dr. Peter A. Berger – Universität Rostock - Materialien zur Vorlesung „Sozialstruktur der Bundesrepublik Deutschland“ Sozialstruktur als materielle Infrastruktur einer Gesellschaft (Beispiele) - technische Artefakte (technische Infrastruktur, Kanalisation, Energieversorung, Verkehrssysteme, Wohnungen, Siedlungsformen…) - Verteilung der Bevölkerung im Raum (Land/Stadt; Regionen; Bevölkerungsdichte; Bevölkerungsbeweung; Verkehrsströme; Wanderungen etc.) - „Risiko- und Gefährdungslagen“ (U. Beck) (Nähe/Ferne potentiell gefährlicher, großtechnischer Anlagen bzw. von sog. „Altlasten“; Teile der Bevölkerung können unterschiedlichen Belastungen/Risiken ausgesetzt sein) Prof. Dr. Peter A. Berger – Universität Rostock - Materialien zur Vorlesung „Sozialstruktur der Bundesrepublik Deutschland“ Ein Beispiel für ein systemtheoretisches Verständnis von „Strukturen“ nach Niklas Luhmann „Zu ‚Strukturen’ gerinnen solche Zusammenhänge [etwa bestimmte Muster der Reaktion von Jugendlichen auf abnehmende Karriereaussichten, bestimmte Aggregatdaten der Wirtschaft und ihre Variation, Daten zur Einkommensverteilung] jedoch nur, wenn sie beobachtet, und das heißt im sozialen System: kommuniziert werden. Sie bilden dann Erwartungen für die Autopoiesis der Selbstbeobachtung und Selbstbeschreibung des Systems. Der Vorteil dieser komplizierten Begriffsableitung ist: daß sie die Aufmerksamkeit auf die Frage lenkt, innerhalb welcher Unterscheidungen bzw. gegen welche anderen Erwartungen solche Daten profiliert werden – so Einkommensverteilungsdaten möglicherweise innerhalb der gleich/ungleich-Unterscheidung (und wenn so: warum gerade so und nicht anders?). Man kann, daran anschließend, fragen, welche Unterscheidungsprojektionen eine Gesellschaft zur Informationsgewinnung verwendet, warum die einen und nicht die anderen Erfolg (zum Beispiel politischen Erfolg) haben ...“ (Niklas Luhmann: „Autopoiesis als soziologischer Begriff“, in: Haferkamp, Hans/Schmid, Michael (Hrsg.): Sinn, Kommunikation und soziale Differenzierung. Beiträge zu Luhmanns Theorie sozialer Systeme, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1987, S. 317f.) Prof. Dr. Peter A. Berger – Universität Rostock – Materialien zur Vorlesung „Sozialstrukturanalyse der BRD“ Typen des wohlfahrtsstaatlichen Kapitalismus nach Gøsta Esping-Andersen Tabelle erstellt von Studierenden des Seminars “Soziologie des Wohlfahrtsstaates“ (Prof. Dr. Peter A. Berger) im Sommersemester 2007 auf der Textgrundlage von: Esping-Andersen, Gøsta (1990): The three worlds of welfare capitalism, Cambridge