Morphologie und Syntax (BA) Morphologie und Syntax (BA) Morphologie I PD Dr. Ralf Vogel Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft Universität Bielefeld [email protected] 1 / 35 Morphologie und Syntax (BA) Gliederung 1 Einführung 2 Morphologie – Wortstruktur 3 Morphemtypen 2 / 35 Morphologie und Syntax (BA) Einführung Morphologie + Syntax • Morphologie und Syntax beschäftigen sich mit der Struktur von Wörter, Phrasen und Sätzen, und den Kombinationsmechanismen, mittels derer wir sie formen. • Sprachliche Ausdrücke sind zusammengesetzt, wobei wir mehrere Ebenen der Analyse unterscheiden: • • • • • Ein Text besteht aus Sätzen, Ein Satz besteht aus Phrasen (und Wörtern), Eine Phrase besteht aus Wörtern, Ein Wort besteht aus Morphemen, Ein Morphem besteht aus Phonemen 3 / 35 Morphologie und Syntax (BA) Einführung Morphologie + Syntax • Ein Text: Das Radio nervte. Die Moderatoren begannen zu singen. • Ein Satz: Die Moderatoren begannen zu singen Nominal-Phrase Verb Verb-Phrase • Eine Phrase: Die Moderatoren Artikel Nomen • Ein Wort: Moderator -en Stamm Suffix • Ein Morphem: -en /@n/ 4 / 35 Morphologie und Syntax (BA) Einführung Morphologie + Syntax • Die Arbeitsteilung zwischen den linguistischen Teildisziplinen: Kombinatorik von . . . ling. Teiltheorie Texten: Dialogen: Sätzen: Phrasen: Wörtern: Morphemen: Textlinguistik Dialogtheorie/Konversationsanalyse Syntax Syntax Morphologie Phonologie • Syntax, Morphologie und Phonologie sind im engeren Sinne grammatische Teildisziplinen: • Sie beschreiben Wohlgeformtheitsbedingungen für Ausdrücke. • Texte können zwar unterschiedlich gut und verständlich sein, aber die Beurteilungskriterien dafür bilden keine Grammatik in diesem engen Sinne. • Für Dialoge gilt Ähnliches. Aber ihr Bezug zur Grammatik ist möglicherweise enger. 5 / 35 Morphologie und Syntax (BA) Einführung Morphologie + Syntax • Für jede dieser linguistischen Ebenen gelten eigene Kombinationsregeln. • Eine Ausnahme sind Phrasen und Sätze: Beide sind aus Wörtern und Phrasen zusammengesetzt. (1) a. b. Peters Fahrt nach Leipzig (Nominalphrase) Peter fuhr nach Leipzig (Satz) • Nicht wenige Linguisten nehmen auch an, dass die Kombinationsmechanismen von Morphologie und Syntax eng verwandt sind. • Auf jeden Fall stehen beide in enger Wechselwirkung, wie wir noch sehen werden. 6 / 35 Morphologie und Syntax (BA) Einführung Morphologie + Syntax • Die Kombinationsregeln für Wörter, Phrasen und Sätze sind Gegenstand dieser Vorlesung. • Eine Sprache besitzt Systeme von Kombinationsregeln für Morpheme (Phonologie), Wörter (Morphologie), sowie Phrasen und Sätze (Syntax). • Eine Grammatik ist eine Theorie über die Gestalt dieser kombinatorischen Systeme. • Unter einer etwas abstrakteren und formaleren Sicht, kann man eine Sprache wie folgt auffassen: • Eine Sprache S besteht aus einem Lexikon und einem System von Kombinationsregeln. 7 / 35 Morphologie und Syntax (BA) Einführung Morphologie + Syntax • Ein Beispiel – die Sprache S mit dem Lexikon L: L = {A, B, C, D} (d.h.: Das Lexikon enthält die „Wörter“ A,B,C,D) ∀x ∈ L : x ∈ S (d.h.: Für alle Elemente von L – also A,B,C,D – gilt, dass sie wohlgeformte Ausdrücke der Sprache S sind) Eine Kombinationsregel: x ◦ y = xy ∀x, y ∈ L : x ◦ y ∈ S (d.h.: Wenn x und y aus L stammen, dann ist die Sequenz „xy“ ebenfalls ein wohlgeformter Ausdruck der Sprache S, also AA, AB, AC, AD, BA . . . ) 8 / 35 Morphologie und Syntax (BA) Einführung Morphologie + Syntax • In der Phonologie ist das Lexikon die Menge der Phoneme einer Sprache, also etwa für das Deutsche @,b,p,l,m, aber nicht bspw. A,ì,B,ò. • Die phonologische Grammatik des Deutschen wird z.B. herleiten, dass „Punkt“ (/puNkt/) ein im Deutschen mögliches Wort ist, nicht aber „Tknup“ (/tkNup/). • Das morphologische Lexikon enthält Morpheme, also Wortstämme wie „Moderator“, „Hund“, „lauf“, sowie Flexionsmorpheme wie „-en“ für den Plural bei manchen Nomen („Moderator-en“) oder den Infinitiv von Verben („lauf-en“). • Die morphologische Grammatik des Deutschen leitet bspw. her, dass „Moderator-s“ (wie in „Die Stimme des Moderators“) ein Wort des Deutschen ist, nicht aber „s-Moderator“. 9 / 35 Morphologie und Syntax (BA) Einführung Morphologie + Syntax • Die syntaktische Grammatik des Deutschen sollte bspw. folgende Kontraste herleiten (ein ‘*’ signalisiert Ungrammatikalität): (2) a. Das alte Auto b. *alte Auto das (3) a. Morgen regnet es bestimmt. b. *regnet bestimmt morgen es 10 / 35 Morphologie und Syntax (BA) Einführung Morphologie + Syntax • Für die Herleitung solcher Kombinationsregeln spielt die Kategorisierung der kombinierbaren Elemente des Lexikons eine wichtige Rolle. • Phoneme werden bspw. in Vokale und Konsonanten aufgeteilt. • Morpheme werden in Stämme und Affixe (Präfixe, Infixe, Suffixe) sortiert. • Wörter werden nach Wortklassen unterschieden (Nomen, Verb, Adjektiv . . . ). • Phrasen werden unterteilt bspw. in Nominalphrasen, Verb-Phrasen usw. • Zu den Sätzen zählen Hauptsätze, Nebensätze, infinitivische Nebensätze, Fragesätze, Befehlssätze etc. 11 / 35 Morphologie und Syntax (BA) Einführung Morphologie + Syntax • Wenn wir eine Grammatik für eine linguistische Ebene einer Sprache entwerfen, dann befassen wir uns also im Wesentlichen mit zwei Dingen: 1 2 Was ist das Lexikon und wie ist es strukturiert? Was sind die Kombinationsmöglichkeiten für die Elemente des Lexikons? • Grammatiker beschäftigen sich darüber hinaus noch mit der Frage, was die beste, eleganteste, einfachste, allgemeingültigste Weise ist, eine Grammatik zu formulieren. • Dieser letzte Punkt ist der Hintergrund dafür, dass sich unterschiedliche „Schulen“ herausgebildet haben. • Dazu kommt, dass Grammatiken verschiedenen Zwecken dienen können. Eine Schulbuchgrammatik ist anders aufgebaut als eine Grammatik zur computerlinguistischen Implementierung. 12 / 35 Morphologie und Syntax (BA) Einführung Morphologie + Syntax • Wenn eine Grammatik herausarbeiten soll, was alle Sprachen gemeinsam haben, dann wird man ihre Regeln so formulieren, dass sie auf alle Sprachen anwendbar sind, also bei ihrer Formulierung die Unterschiede zwischen Sprachen berücksichtigen. • Wer nur eine einzelne Sprache betrachtet, muss darauf keine Rücksicht nehmen und kann eine Beschreibungsweise wählen, die ideal für diese eine Sprache ist, aber ansonsten unbrauchbar. • Wir werden im Laufe der Vorlesung verschiedene Sichtweisen kennenlernen, die mit sehr unterschiedlichen „Philosophien“ dann auch zu sehr unterschiedlichen Formulierungsweisen für grammatische Regelsysteme gelangen. • Unser Hauptaugenmerk soll aber auf den sprachlichen Phänomenen selbst liegen. 13 / 35 Morphologie und Syntax (BA) Morphologie – Wortstruktur Was ist ein Wort? (4) Maria hat das Buch gepockelt. • Wenn Sie einen Satz wie den obigen lesen, dann werden Sie ein Wörterbuch zu Rate ziehen, um das Ihnen unbekannte Wort „gepockelt“ nachzuschlagen. • Sie werden dann aber nicht unter „gepockelt“ suchen, sondern unter „pockeln“. • Die Formen „gepockelt, pockeln, pockelte, pockelt, pockelnd . . . “ sind bloß verschiedene Realisierungen desselben abstrakter zu fassenden Wortes. • Ein solches, abstraktes Wort nennen wir Lexem. • Wir schreiben Lexeme in Großbuchstaben: POCKELN 14 / 35 Morphologie und Syntax (BA) Morphologie – Wortstruktur Was ist ein Wort? • Vom Lexem unterscheiden wir die Wortform oder auch Flexionsform. • „gepockelt, pockeln, pockelte, pockelt, pockelnd . . . “ sind verschiedene Wortformen des Lexems POCKELN. 15 / 35 Morphologie und Syntax (BA) Morphologie – Wortstruktur Was ist ein Wort? • Wörter werden aber auch im Hinlick auf ihre grammatischen Merkmale und Funktionen hin klassifiziert. Eine Wortform kann für verschiedene grammatische Wörter stehen: (5) a. b. Maria spielt im Garten. Ihr spielt auch im Garten. 3. Person Singular 2. Person Plural • Eine Wortform kann aber auch zu zwei verschiedenen Lexemen gehören: (6) a. b. Spiele bitte im Garten! Solche Spiele mag ich nicht. Verb Nomen 16 / 35 Morphologie und Syntax (BA) Morphologie – Wortstruktur Was ist ein Wort? • Die drei Verwendungen des Begriffes „Wort“ werden in der folgenden Tebelle noch einmal veranschaulicht: Lexem Grammatisches Wort Wortform SPIELnomen SPIELverb SPIELverb Nominativ Plural 1.Pers. Sing. Präsens Imperativ Singular spiele spiele spiele SPIELnomen SPIELverb SPIELverb Dativ Plural Infinitiv 3. Pers. Plural Präsens spielen spielen spielen 17 / 35 Morphologie und Syntax (BA) Morphologie – Wortstruktur Das Morphem: die kleinsten bedeutungstragenden Einheiten • Wörter haben Struktur. • Sie sind oft keine unteilbaren atomaren Einheiten, sondern aus kleineren Bausteinen zusammengesetzt – und hier sind nicht Phoneme gemeint. • Natürlich gibt es morphologisch einfache Wortformen wie „weil, Auto, das, ich, Schnee“. • Aber andere Wortformen sind zusammengesetzt, wie z.b. „Autos“, das aus den Bestandteilen Auto und -s zusammengesetzt ist, und zwei verschiedene grammatische Wörter zu dem Lexem AUTO realisiert (Genitiv Singular, „des Autos“, und Plural „die/der/den Autos“). 18 / 35 Morphologie und Syntax (BA) Morphologie – Wortstruktur Das Morphem • Mit der Variation zwischen „Auto“ und „Autos“ (hier als Plural verstanden) geht ein Bedeutungsunterschied einher: • „Auto“ steht für ein einzelnes Auto. • „Autos“ steht für eine größere Menge von Autos. • Der Begriff Morphem bezeichnet die kleinsten, unteilbaren Einheiten, denen eine bedeutungsunterscheidende oder grammatische Funktion zugesprochen werden kann. • Hier haben wir zwei Morpheme: • Auto für das Lexem AUTO mit der entsprechenden Bedeutung. • -s für die Plural-Interpretation. 19 / 35 Morphologie und Syntax (BA) Morphologie – Wortstruktur Das Morphem – woran erkennt man es? • Das Morphem „Auto“ besteht aus vier Phonemen: /aUto:/. • Bedeutung hat aber nur die Wortform als Ganze, nicht die einzelnen Phoneme a,U,t,o:. • Wann wissen wir, ob eine Lautsequenz ein Morphem ist oder nicht? • In dem Wort „unbesiegt“ steht „un-“ für ‘nicht’. Die Bedeutung des Wortes, „nicht besiegt“, ist aus den Bedeutungen von „un-“ und „-besiegt“ zusammengesetzt. • In dem Wort „unter“ trägt die erste Silbe „un-“ keine Bedeutung, genauso wenig wie „-ter“. Also ist „unter“ ein Morphem, nicht aber Teile dieses Wortes. • Das Morphem „un-“ taucht auch in anderen Wörtern auf: ungenügend, unpräzise, unsicher, ungeschlagen . . . 20 / 35 Morphologie und Syntax (BA) Morphologie – Wortstruktur Das Morphem – woran erkennt man es? • Produktivität in der Verwendung ist aber keine notwendige Bedingung, um einem Affix wie „un-“ Morphemstatus zuzuerkennen. • Ein Beispiel für ein unproduktives Affix ist „-icht“ in „Kehricht, Dickicht“. • Oder aus dem Englischen: „-dom“ in martyrdom, kingdom, chiefdom. • Das englische Wort „bishopric“ bedeutet „Diözese“. • Es wurde postuliert, dass „-ric“ hier ein Morphem ist, das nur in diesem einen englischen Wort vorkommt. 21 / 35 Morphologie und Syntax (BA) Morphologie – Wortstruktur Das Morphem – woran erkennt man es? • Manchmal lässt sich morphologische Struktur nur historisch rekonstruieren: • „Transfer, Konferenz, präferieren“ beinhalten die Sequenz „-fer-“. Die Wörter stammen aus dem lateinischen, und -fer- kommt von „ferre“, was soviel bedeutet wie ‘tragen, bringen’. • Ob diese Herkunft und die dadurch rekonstruierbare Komplexität allerdings für heutige Sprecher des Deutschen eine Rolle spielt, lässt sich sehr bezweifeln. • Auf jeden Fall ist die ursprüngliche Bedeutung von „-fer-“ nicht mehr präsent. • Für die morphologische Analyse ist es ratsam, nicht nur das Kriterium des Bedeutungsbeitrags zu verwenden. 22 / 35 Morphologie und Syntax (BA) Morphologie – Wortstruktur Das Morphem – woran erkennt man es? • Ob das Präfix „un-“ in dem Wort „Unfall“ einen besonderen Beitrag zur Bedeutung des Wortes leistet, ist zumindest bezweifelbar. • Trotzdem wird man eine morphologische Analyse präferieren, nach der das Wort aus den beiden Morphemen „un-“ und „-fall“ besteht, die ja auch in anderen Wörtern erscheinen („Unsinn, Abfall etc.“). • Man verwendet deshalb eine weiter gefasste Definition für den Begriff des Morphems: Morphem Das Morphem ist die kleinste Differenz in der Gestalt eines Wortes, die mit der kleinsten Differenz in der Wort- oder Satzbedeutung oder der grammatischen Struktur korreliert. 23 / 35 Morphologie und Syntax (BA) Morphologie – Wortstruktur Morphe, Morpheme und Allomorphe Morph Ein Morph ist die lautliche Form, die ein Morphem in einer Sprache repräsentiert, ein wiederholt auftretendes Phonem oder eine Sequenz von Phonemen. • In dem Wort „unbesiegbar“ identifizieren wir vier Morphe: un-, -be-, -sieg-, -bar. 24 / 35 Morphologie und Syntax (BA) Morphologie – Wortstruktur Morphe, Morpheme und Allomorphe – Ein Beispiel • Im Englischen wird die verbale Flexionsmarkierung für die einfache Vergangenheit durch drei verschiedene Morphe vorgenommen: 1 2 3 /Id/, wenn das Verb in /t/ oder /d/ endet: /bendId/, ‘bendid’; /peIntId/, ‘painted’ /d/, wenn das Verb mit einem stimmhaften Laut endet (außer /d/): /kli:nd/, ‘cleaned’; /weId/, ‘weighed’ /t/, wenn das Wort in einem stimmlosen Konsonanten endet (außer /t/): /pA:kt/, ‘parked’; /mIst/, ‘missed’ 25 / 35 Morphologie und Syntax (BA) Morphologie – Wortstruktur Morphe, Morpheme und Allomorphe • Wenn verschiedene Morphe für dasselbe Morphem stehen, dann bezeichnet man sie als Allomorphe. • Die drei Morphe (/Id/,/d/,t/) sind Allomorphe des Englischen Morphems für die einfache Vergangenheit. • Ähnlich wie das Lexem ist also auch das Morphem eine abstraktere Kategorie. Lexeme können durch verschiedene Wortformen realisiert sein, und Morpheme durch verschiedene Morphe. • Ob Allomorphie vorliegt, erkennen wir an der komplementären Verteilung der beteiligten Morphe: • Von den drei Morphen für die englische einfache Vergangenheitsform erscheint immer jeweils nur eines an einem Verb, und dies in einer vorhersagbaren Weise. 26 / 35 Morphologie und Syntax (BA) Morphologie – Wortstruktur Morphe, Morpheme und Allomorphe • Allomorphische Variation ist häufig phonologisch gesteuert. Wie im Folgenden Beispiel, erneut aus dem Englischen: Das englische Präfix ‘in-’: /im-/ /in-/ /iN-/ impossible impatient immovable intolerable indecent inactive incomplete incompatible ingratitude • Wir haben es hier mit einer regressiven Nasalassimilation zu tun: • Der Nasal des Präfixes „in-“ richtet sich in seinem Artikulationsort nach einem nachfolgenden Konsonanten. 27 / 35 Morphologie und Syntax (BA) Morphologie – Wortstruktur Morphe, Morpheme und Allomorphe • Allomorphie kann auch grammatisch gesteuert sein. • Ein Beispiel ist der Wortstamm „spring“ des Lexems SPRINGEN, das die Formen „sprang“ (in ‘ich sprang’) und „sprung“ (in ‘ich bin ge-sprung-en’) annehmen kann. • Hier wird die Wortform des Lexems durch die grammatischen Merkmale des Verbs bestimmt (Vergangenheitsform bzw. Partizip). • Ein weiterer Fall von Allomorphie ist die Suppletion, die lexikalisch bedingte Ersetzung einer Form durch eine andere phonologisch nicht verwandte Form: • Englisch: ox-oxen (*oxes), ‘Ochsen’; go-went (*goed), ‘ging’ • Deutsch: gut-besser (*gut-er); sein-bist (*sei-st) • Solche Ersetzungs-Formen sind im Lexikon abgespeichert. Sie blockieren die Anwendung der üblichen Flexionsregeln. 28 / 35 Morphologie und Syntax (BA) Morphemtypen Morphemtypen – Wurzeln • Wir unterscheiden zunächst einmal Wurzeln (Stämme) und Affixe. • Eine Wurzel ist der nicht reduzierbare Kern eines Wortes, ohne dass noch etwas daran angehängt ist. • Ein Beispiel ist das Wort „Bau“: Der Bau Der An-bau Der Aus-bau Das Bau-en Der Bau-er • Manchmal, wie in „Der Bau“, kann ein Wort auch bloß aus einer Wurzel bestehen. • Wurzeln, die für sich alleine stehen können, sind freie Morpheme. • Weitere Beispiele sind „auf, süß, klein, Hund, sehr . . . “. • Dies sind auch Beispiele von lexikalischen Morphemen, Adjektive, Präpositionen, Adverbien, Nomen, Verben. • Sie tragen die semantische Hauptlast eines Satzes. 29 / 35 Morphologie und Syntax (BA) Morphemtypen Morphemtypen – Wurzeln • Eine weitere Klasse von freien Morphemen sind Funktionswörter. • Beispiele für Funktionswörter sind Artikel: der, die, das ein, eine Demonstrativa: dieser, diese, dieses Pronomina: er, sie, es ich, du, wir, ihr sein, ihr wer, was, welche, welcher. . . Konjunktionen: und, aber, oder, obwohl etc. • Der semantische Beitrag dieser Wortarten ist dabei unterschiedlich: Pronomen tragen vermutlich weniger zur Bedeutung bei als bestimmte Konjunktionen wie ‘obwohl‘. 30 / 35 Morphologie und Syntax (BA) Morphemtypen Morphemtypen – Wurzeln • Manche Wurzeln treten als gebundene Morpheme auf. • Ein gutes Beispiel sind lateinisch-stämmige Wörter, deren morphologische Komplexität uns erhalten geblieben ist, wie die Wurzel „-fer“ in • konferieren, präferieren, transferieren. • Eisenberg (1998/2004) verzichtet auf den Begriff ‘Wurzel’ und verwendet den begriff ‘Stamm’ stattdessen. 31 / 35 Morphologie und Syntax (BA) Morphemtypen Morphemtypen – Wurzeln • Katamba/Stonham (1993/2006) unterscheiden Wurzeln, Stämme und Basen wie folgt: • Wurzeln sind Wortkerne wie oben beschrieben. • Stämme sind die unflektierten Wörter, So ist beispielsweise ‘Haus’ der Stamm, der sowohl der Genitiv-Flexion (‘Hauses’), als auch der Pluralflexion (‘Häuser’) zugrundeliegt. • Eine Basis ist der Ausgangspunkt für eine beliebige morphologische Erweiterung oder Veränderung, nicht nur Flexion, sondern auch bspw. Derivation, z.B. die Transformation in eine andere Wortart: ‘Haus’ → ‘be-haus-en. • Da nicht nur Wurzeln, sondern auch komplexe Wörter flektiert und deriviert werden können, ist es zunächst einmal sinnvoll, diese Fälle auseinanderzuhalten. • Deshalb übernehmen wir hier die Begrifflichkeit von Katamba/Stonham (1993/2006). 32 / 35 Morphologie und Syntax (BA) Morphemtypen Morphemtypen – Affixe • Wir unterscheiden Präfixe, Infixe und Suffixe. • Ein Präfix steht vor einer Wurzel, einem Stamm oder einer Basis: un-sicher versichern bestimmen Vorsicht Ex-Frau Co-Trainer . . . • Ein Suffix wird an eine Wurzel, einen Stamm oder eine Basis drangehängt: richtig fälschlich bauchig spielte spielend Bauer Beamtin Verhältnis Heiterkeit . . . • Ein Infix erscheint innerhalb eines Wortes. • Dies ist relativ selten in europäischen Sprachen, aber nicht so selten in den Sprachen der Welt. • Ein Beispiel ist die amerikanische Sprache Nuuchahnulth, wo die Infigierung eines ‘t’ den Plural markiert: t’an’aa – ‘Kind’ t’atn’a – ‘Kinder’ 33 / 35 Morphologie und Syntax (BA) Morphemtypen Morphemtypen • Eisenberg (1998/2004) gibt noch die Kategorie der Konfixe an. • Dies sind bspw. die beiden Bestandteile von „Bio-loge“. Konfixe können miteinander kombiniert werden, andere Affixe werden nur mit Wortformen kombiniert, die für ein Lexem stehen. • Wie man an Ausdrücken wie „Bio-Brot“ sieht, geht dies auch mit Konfixen. • Die Unterscheidung zwischen Wurzel, Stamm und Basis ist wichtig, da ein Wort ja oft mehr als ein Affix haben kann. • Da Affixe aber nicht beliebig an Wörter angehängt werden können, ist häufig eine vorherige Affigierung die Voraussetzung für die nächste. 34 / 35 Morphologie und Syntax (BA) Morphemtypen Übungsaufgabe 1 • Analysieren Sie das Wort ‘unbedingte’ in dem Ausdruck „unbedingte Unterstützung“! Welche Morpheme sind hier miteinander kombiniert. Welcher Art sind diese Morpheme? Was ist die Funktion dieser Morpheme? Überlegen Sie, welche kombinatorischen Beschränkungen es für diese Morpheme gibt. • In welcher Reihenfolge wurden die Morpheme miteinander kombiniert? • • • • 35 / 35