Die Vielfalt der Empowermentperspektive − für eine neue Kultur der Sozialen Arbeit Die allenthalben begonnene Diskussion um New Public Management und Qualitätsmanagement, hinter der die kritische Frage nach der Effektivität und Effizienz sozialer Arbeit steht, beleuchtet nur eine Seite der aktuellen Herausforderungen, denen sich Träger und MitarbeiterInnen sozialer Einrichtungen und Dienstleistungen gegenüber sehen. Stichworte wie "KundInnenorientierung” zeigen auch, daß in vielen Fällen die Frage gestellt wird, ob denn die Angebote die angestrebten Zielgruppen auch erreichen und dort die erhofften Wirkungen auslösen. von Wolfgang Stark Die in solchen Diskursen geäußerte Problematik der Organisation sozialer Arbeit hat prinzipiell zwei Hintergründe: Einerseits ist die Struktur sozialer Arbeit oft zu wenig am Bedarf und den Bedürfnissen der NutzerInnen orientiert − eine Herausforderung, die sich, solange sie strukturell bedingt ist, als Managementfrage innerhalb der Einrichtungen stellen und auch bearbeiten läßt. Andererseits werden von den Fachleuten auch zu sehr die Defizite, die Schwächen der Ratsuchenden betrachtet. An Defiziten und Schwächen entlang kann sich aber kein Selbstbewußtsein ausbilden, das zu einer aktiven, selbstbewußten und kritischen Nutzung sozialer Dienstleistungen und Angebote führt. Wir sollten es daher "unseren” KlientInnen durch unsere Arbeit ermöglichen, daß sie, die ja indirekt die Dienstleistungen durch Steuern und Sozialabgaben bereits bezahlt haben, eine andere, selbstbewußtere und gleichwertigere Beziehung zu den Professionellen aufbauen − zu aktiven und kritischen NutzerInnen werden. Die Bemühungen, ein zeitgemässes Management sozialer Arbeit zu entwickeln, das die Qualität und die Ergebnisse sozialer Dienstleistungen "nutzerInnen−orientiert” verbessert, müssen daher einhergehen mit einem Selbstverständnis sozialer Arbeit, das die Selbstorganisationskräfte und Fähigkeiten der KlientInnen stärkt und fördert. So ist daher auch in den moderneren Grundlegungen von New Public Management (vgl. Schedler Poeller 2000) Empowerment ein zentraler Bestandteil eines neuen Verständnisses öffentlicher Dienstleistungen. Das Konzept Empowerment wird im Bereich sozialer Arbeit vor allem in den angelsächsischen Ländern, aber auch zunehmend in der deutschsprachigen Region diskutiert (vgl. Stark 1993, 1996; Keupp 1992), geht aber weit über die engeren soziale Handlungsfelder hinaus. Das Empowermentkonzept boomt nicht nur in der Gesundheitsförderung, in der Psychiatrie oder in der Jugendhilfe – auch die moderne Organisationsentwicklung spricht von Empowerment im Zusammenhang mit Teambildung und neuer Lernkultur in Unternehmen und Organisationen. In der Entwicklungsarbeit (3. Welt−Arbeit) sind Empowermentprinzipien für Prozesse des "community building" wichtig, und auch die weltweite NGO−Bewegung (NGO = non−governmental organisations) verwendet den Begriff in vielen Zusammenhängen. Es gibt immer mehr Professionelle und engagierte Laien, die sich für das Empowermentkonzept interessieren, oder versuchen, Empowermentprinzipien in ihre Arbeit zu integrieren. Empowerment als Grundlage für ein Konzept und eine Praxis sozialer Arbeit hat dabei weitreichende Konsequenzen für ein professionelles und freiwilliges Engagement im psychosozialen Feld, besonders im Bereich vorbeugender, präventiver Ansätze. Es verläßt die hierarchische oder paternalistische Ebene vieler sozialer Dienstleistungen, die Hilfe für andere als Hilfe und Fürsorge für Schwächere ansieht. Weiterhin vorhandene Stärken und Ressourcen, aber 1 vor allem auch die Rechte der Hilfe− und Ratsuchenden werden damit oft vernachlässigt. Der amerikanische Gemeindepsychologe Julian Rappaport beschreibt die Situation sarkastisch so: "Man nehme sogenannte Risikogruppen und rette sie vor sich selbst, ob sie es wollen oder nicht, indem man ihnen, oder besser noch ihren Kindern, Programme gibt, die wir als Professionelle selbst entwickeln, verpacken, verkaufen, anwenden oder auf irgend eine andere Weise kontrollieren. Man bringe ihnen bei, wie sie sich diesem Programm anzupassen haben und dadurch weniger Ärger machen. Dann überzeuge man sie, daß eine Veränderung ihrer Testwerte einer Veränderung ihres Lebens entspricht.” Ziel von Empowerment ist die Förderung der Fähigkeit der Menschen, ihre soziale Lebenswelt und ihr Leben selbst zu gestalten, und sich nicht gestalten zu lassen. Professionelle Dienstleister sollen dabei als "collaborators" durch ihre Arbeit dazu beitragen, die Bedingungen zu schaffen, die eine "Bemächtigung” der Betroffenen fördern, und es ihnen ermöglichen, ein eigenverantwortliches und selbstbestimmtes Leben zu führen. Dies gilt für Menschen mit eingeschränkten Möglichkeiten ebenso wie für Gesunde, für Erwachsene ebenso wie für Kinder. Grundlage für diese Perspektive sind Erkenntnisse aus einer Reihe wissenschaftlicher Studien, nach denen eine wichtige Voraussetzung für körperliches und seelisches Wohlbefinden die Fähigkeiten und Möglichkeiten einer Person sind, ihr eigenes Leben selbst zu kontrollieren − oder die "Erzählfäden der eigenen Geschichte selbst in die Hand zu nehmen”, wie der Philosoph Peter Sloterdjik (1981) dies ausdrückt. Die zentralen Fragestellung des Empowermentdiskurses können daher wie folgt formuliert werden: Unter welchen Bedingungen gelingt es Menschen, ihre eigene Stärke zusammen mit anderen zu entdecken? Was trägt dazu bei, daß Menschen aktiv werden und sie ihre eigenen Lebensbedingungen gestalten und kontrollieren? Was können wir als Professionelle dazu beitragen, verschiedene Formen von Selbstorganisation zu unterstützen? Wie können wir ein soziales Klima schaffen, das Empowermentprozesse unterstützt? Welche Konsequenzen hat dies auf die beteiligten Menschen, Organisationen und Strukturen? 2 Empowerment hat nicht bestimmte Ergebnisse oder die Erreichung von (expliziten oder impliziten) Normen zum Ziel. So kann der Prozess für eine alte Frau, die sich gegen eine Heimeinweisung wehrt, vollkommen anders verlau−fen als für eine junge, alleiner−ziehende Mutter, die sich durchs Leben schlägt, für Mitglieder einer Selbsthilfe−gruppe chronisch Kranker, oder für eine BürgerInnen−gruppe, in der sich Menschen − um ihre Wohnungen zu schützen − gegen die Sanierung ihres Viertels wehren. Ziel ist − von welchem Ausgangs−punkt auch immer − einen Prozess der Gestaltung und Ges−taltbarkeit sozialer Lebensräume zu beginnen. Empowermentpro−zesse werden dabei nicht automa−tisch durch Fachleute durchgeführt oder kontrol−liert. Sie geschehen täglich mit allen Arten von Personen, Gruppen oder Struktu−ren. Dennoch − und das muß uns hier aus einem professionellen und sozialpoli−tischen Blickwinkel heraus interessieren − gibt es Situa−tionen oder Bedingun−gen, die diese Pro−zesse entweder fördern oder behindern. Unter einem professionellen Blickwinkel ist daher die Frage zu stellen, unter welchen Bedingungen es gelingen kann, im Rahmen psychosozialer Tätigkeit Prozesse des Empowerment auf verschiedenen Ebenen zu fördern, vielleicht sogar anzustoßen. Dies bedeutet gleich−zeitig, die Strukturen und Handlungslogiken zu identifi−zieren und zu verändern, die Empowermentprozesse auf den unterschied−lichen Ebenen behindern. Empowerment beschreibt einerseits Prozesse von Einzelnen, Grup−pen und Strukturen hin zu größerer gemeinschaftlicher Stärke und Hand−lungsfähigkeit. Berufliche HelferInnen in der sozialen oder gesund−heits−bezogenen Arbeit können hier für die Entdeckung solcher Prozesse sensibel werden und sie gezielt fördern − durch Bereitstel−lung von instrumentellen Hilfen (Räume, Finanzen etc.), gegebenen−falls durch Beratung von Personen, Gruppen oder Or−ganisationen, oder durch sozialpoliti−sche Einfluß−nahme. Empowermentprozesse können professionell gefördert oder angestos−sen werden durch die Entwicklung eines sozialen Klimas und durch eine professionelle Haltung, die den Focus der Arbeit auf vorhan−dene oder verschüttete Ressourcen und Kompeten−zen lenkt. Diese Ressourcen sind dann nicht begrenzt − und damit erweiterbar − wenn Ressourcen auf der individuellen Ebene mit 3 denen der Gruppen−ebene oder den sozialen Strukturen verbunden werden. Der Anstoß von Empowermentprozessen durch Professionelle erfolgt durch die Verknüpfungen verschiedener Ebenen − durch die Herstellung von Zusammenhängen. Eine profes−sionelle Haltung des Empowerment bedeutet daher immer die Arbeit im und am sozialen Kontext. Empowerment beschreibt damit eine professionelle Grundhaltung für eine nicht−technizi−stische psychosoziale Arbeit in verschie−denen Be−reichen, deren Credo es ist, einen "...Prozeß (zu ermög−lichen), durch den Klien−tInnen (persönliche, organisatori−sche und gemeinschaftliche) Ressourcen erhalten, die sie befähigen, größere Kontrolle über ihr Leben auszuüben und ihre Ziele zu erreichen" (Hasenfeld 1987, S. 479). Empowerment spielt sich auf verschiedenen Ebenen ab Empowermentprozesse erzählen Geschichten von Menschen und ihren Zusammenschlüssen, denen es gelungen ist, ihre eigenen Ressourcen und Stärken zu erkennen und diese in soziale Handlungen umzusetzen. In Langzeitbeobachtungen, Interviews und Untersuchungen zeichneten sich gemeinsame Dimensionen von Empowermentprozessen ab: Es entwickelt sich ein positives und aktives Gefühl des «In−der−Welt−Seins». Es entwickeln sich Fähigkeiten, Strategien und Ressourcen, um aktiv und gezielt individuelle und gemeinschaftliche Ziele zu erreichen. Es wird Wissen und Können erworben, die zu einem kritischen Verständnis der sozialen und politischen Verhältnisse und der eigenen sozialen Umwelt führen. Diese Dimensionen von Empowermentprozessen lassen sich potentiell auf drei Ebenen feststellen: auf der individuellen Ebene, der Gruppen− und Organisationsebene und auf der strukturellen Ebene. Psychologisches Empowerment: 4 Auf der individuellen Ebene gibt es viele Beispiele von Personen, die aus einer Situation der Machtlosigkeit, Resignation und Demoralisierung heraus beginnen, ihr Leben wieder selbst in die Hand zu nehmen. Erfahrungen psychologischen Empowerments sind Geschichten der Stärke in einer Situation des Mangels. Die Ebene der Gruppen und Organisationen: Partizipative Entscheidungsstrukturen in Organisationen und Gruppen sind offensichtlich der Schlüssel zur Entwicklung von Selbstbewusstsein, der Wahrnehmung und Nutzung eigener Stärken – das was mit psychologischem Empowerment bezeichnet werden kann. Organisationen, die Empowermentprozesse ihrer Mitglieder fördern, sind gelungene Beispiele eines «person−environment−fit», des passenden Zusammenspiels zwischen den Motiven der einzelnen Mitglieder und den Zielen der Organisation. Hierarchisch strukturierte Organisationen, in denen die Mitglieder sich erst einmal eine intern definierte Stufenleiter hinaufarbeiten müssen, erfüllen diese Kriterien in aller Regel nicht. Die strukturelle Ebene: Empowermentprozesse auf der strukturellen Ebene lassen sich als ein erfolgreiches Zusammenspiel von Individuen, organisatorischen Zusammenschlüssen und strukturellen Rahmenbedingungen bezeichnen. Eine fördernde Atmosphäre zur Teilhabe an den sozial relevanten Entscheidungen 5 für alle Mitglieder, wie auch die spezifische Struktur von Organisationen und öffentlichen Einrichtungen und deren Beziehungen untereinander ist für strukturelles Empowerment kennzeichnend. Auf der strukturellen Ebene sind historische und aktuelle Beispiele in den verschiedenen sozialen Bewegungen zu finden. Die Frauenbewegung ist ein sehr erfolgreiches Beispiel, das in den letzten Jahren weite Teile der Gesellschaft beeinflusst hat. Doch auch ganze Gemeinwesen, Stadtteile oder grössere Organisationen können hier unter dem Blickwinkel des Empowerment betrachtet werden. Es ist möglich, die Wirkungen von Empowermentprozessen auf den verschiedenen Ebenen wahrzunehmen. Dennoch ist es wichtig, darauf zu achten, dass Empowermentprozesse nicht auf diese Ebenen reduziert sind. Im Gegenteil: Die Kraft dieser Prozesse liegt gerade in der wechselseitigen Abhängigkeit und Integration von Veränderung auf individueller, gruppenbezogener und struktureller Ebene. In diesem Sinn beschreibt Empowerment das Verständnis von individuellen und gemeinschaftlichen Prozessen hin zu einer gesellschaftlichen Konflikt− und Gestaltungsfähigkeit; gleichzeitig jedoch auch den Aufbau von strukturellen Rahmenbedingungen, die diese Entwicklungen ermöglichen und fördern. Für Katz (1984) ist Empowerment daher eine Quelle von Bildern und Vorstellungen, die soziales Handeln anregen können, das Ergebnis−se hervorbringt, die die Potentiale der einzelnen Elemente übersteigen. Empower−ment kann deshalb zu einer Synergie−Ressource werden, weil das Ziel von Empowerment darin besteht, nicht an eine Person gebunden sind, sondern nur zwischen Personen und innerhalb von Gemeinschaften zum Tragen kodZivon übergreifende Ressourcen (gemeinsame Stärken) in einer Gemeinschaft zu entdecken und auszubauen, und unterschiedliche, oft auf den ersten Blick gegensätzliche oder un−vereinbare Elemente, Fähigkeiten oder Lösungen zusammenbringen. Berkowitz (1987) beschreibt in seiner Analyse einer Reihe gemeinschafts−bildender Projekte und Initiativen drei Strategien, um Synergie−Effekte und die Entwicklung von Gemeinschaf−ten anzustoßen: Durch die Vermittlung gemeinschaftsbildender Fähigkeiten, die vor allem den Arbeitsall−tag von GemeinwesenarbeiterInnen oder von Brücken−instanzen darstellt, können grundle−gende Fertigkeiten 6 und Handlungs−wissen bereitgestellt, und damit kleine, aber oft genug wesent−liche Aktionshemmnisse aus dem Weg geräumt werden. Dies sind z.B. Fragen wie: wie werden Flugblät−ter herge−stellt; wie kann finanzielle Unterstüt−zung von privaten oder öffentlichen Geldgebern gewonnen werden; das Herausfinden von Wünschen und Bedürfnis−sen in einem Gemeinwesen; die Erstellung, Durchfüh−rung und Bewertung von Projektplänen; − aber auch alltäglich notwendige Kompetenzen, wie die Organisation von Treffen oder Gruppen. Durch die Anregung mit Ideen oder Visionen, die verwirklicht werden könnten, oder mit Initiativen und Projekten, die anderswo bereits in die Tat umgesetzt wurden, können Möglichkeitsräume gemeinschaftlichen Handelns eröffnet werden. Modelle guter Praxis, wie dies im Rahmen des Gesunde Städte−Projektes der WHO genannt wird, gibt es praktisch überall, in vielen Kommunen, Stadtteilen oder anderen sozialen Zusam−menhän−gen. Es sind oft verblüffend einfache Ideen, praxisnah und effektvoll, und die meisten von ihnen sind nur selten einem größeren Publikum bekannt. Hier genügt es oft, daß diese Initiativen und ihre Absichten bekannt gemacht und Funken gezündet 7 werden, die das Bewußtsein für das Mögliche wecken. Beispiele hierfür sind der von Robert Jungk (1990) herausgege−bene "Katalog der Hoffnung”, oder die Veröffentli−chung von Projektideen aus Zukunftswerk−stätten (vgl. Fornallaz Wiener 1988). Durch die Beschreibung von Beispielen einzelner Menschen oder Gruppen, die aktiv geworden sind; durch das Erzählen ihrer Geschichten − ihrer Träume, Hoffnungen, Erfolge und Niederlagen können nicht nur anregende Ideen gemeinschaftlicher Aktionen veröffent−licht werden. Auch die Wege, wie aus einer anfänglichen Motivation erste Ergeb−nisse entstanden sind, wie BündnispartnerInnen gefunden und erste Schwierig−keiten gemeinsam überwunden worden sind, werden aufgezeigt. Die treibende, transpersonale Kraft dieser Initiativen − die Visionen und die Form gegen−seitiger Unterstützung − kenntlich zu machen, ist mindes−tens ebenso wichtig, wie die Vermittlung von Techniken und Fähigkeiten, die die Umsetzung der Wünsche und Vorstellungen erleichtern sollen. Empowerment und professionelle Arbeit Auf der Handlungsebene ist die aktive Förderung von gemeinschaft−lichen und solidarischen Formen der Selbstorgansiation ein zentraler Bereich der Förderung von Empowermentprozessen. Die Schwierigkeit, einen Empowermentblickwinkel in die profes−sionelle Arbeit zu integrie−ren, besteht vor allem darin, daß Empowermentprozesse zwar angestos−sen werden können, der eigentliche Prozess jedoch weitgehend ohne Zutun der beruflichen HelferIn−nen abläuft. Eine Haltung des Empower−ment läßt sich daher nicht mit direkten Interventionen vergleichen, wie sie im psycho−sozialen Bereich eher üblich sind (Beratung, Betreuung, Therapie, Anleitung von Gruppen). 8 Empowerment als professionelle Haltung bedeutet, Möglichkeiten für die Entwicklung von Kompetenzen bereitzustellen, Situationen gestaltbar machen und damit "offene Prozes−se” anzustoßen. Eine professionelle Haltung des Empower−ment impliziert indirekte Strategien psychosozialen Handelns. Dabei ist Empowerment für Individuen, Gruppen oder soziale Strukturen kein Ziel für sich, sondern kann nur über konkrete in−haltliche Ziele erreicht werden. So verführen Formulierungen wie "jemanden empowern” leicht wieder zu der klassischen professionellen Haltung direkter Machbarkeit. Em−powermentprozesse beschreiben eher das "Wie” der Erreichung konkreter Ziele, benötigen jedoch immer ein "Was” (1). Empowermentprozesse können durch die Bereitstellung von Ressourcen und partizipa−tiven Strukturen ermöglicht werden − und dies gilt prinzipiell für alle inhaltlichen Bereiche. Über ein Beispiel der Umsetzung des Prinzips Empower−ment im Kontext der "demokratischen Psychiatrie” Italiens berichtet Klaus Hartung anläßlich eines internationalen Psychia−trie−kongresses in Triest: "Neben dem Kongreßgebäude, der ehemaligen stazione marittima, in dem für fünf Tage die "questione psichiatrica” verhandelt werden sollte, hatte die weiß−gestrichene "Adriana” angelegt − ein jugoslawisches Passagier−schiff mit 600 Betten für die Kongreß−gäste. Dieses Schiff sorgte nicht nur für Unterkunft und Verpfle−gung, es war vielmehr so etwas wie eine politische Geste in der Form von 20.000 Bruttoregistertonnen. Die Psychiatrie, von Haus aus beauftragt, Schmutz und Elend zu verwalten und das ausge−schlossene Drittel der Gesellschaft zu kontrollieren, erhob gewissermaßen Anspruch auf Luxus, auf ein Unternehmertum diesseits der Barriere des Sozialstaates. (...) Kaum hatte das Schiff angelegt, begann ein versteckter Macht−kampf zwischen vier Mädchen und etwa sechzig Angestellten der 'Jadroli−nja', der die 'Adriana' gehörte. Diese vier Mädchen, die man in der Bundes−republik in einem Heim für verhaltensgestörte Jugendliche oder in einer Abteilung für Drogenabhängige wiedergefunden hätte, managten seit einiger Zeit im Rahmen der Koopera−tive 'Posto delle fragole' das kleine Hotel 'Tritone' am Lido von Triest, immerhin ein Hotel der 2. Kategorie. Nun mußten sie abrupt von der Verwaltung eines Dreißig−Zimmer−Hotels auf ein 600−Betten−Schiff umstei−gen. Ergebnis: keine Klagen von den Gästen, aber eine totale Verunsicherung des Kreuzfahrtservices der sechzig Angestellten, die an Routine und Hierarchie gewöhnt waren. Entinstitutionalisierung auf der 'Adriana', oder: ein kleines Beispiel für eine Praxis, die in der Lage ist, Fähigkeiten von Menschen zu entfalten, weil sie Fähig−keiten voraussetzt.” (Hartung 1988, S. 10) Die Notwendigkeit des Vertrauens in die Fähigkeiten von Menschen (die in anderen Bereichen große Probleme oder Defizite haben mögen), um gemeinsam weitere Fähigkeiten entfalten zu können, kennzeichnet eine wesentliche Grundhaltung und eine veränderte Wahrnehmung auf soziale Probleme, die berufliche HelferInnen für sich selbst entwickeln müssen, wollen sie Empowermentprozesse in verschiedenen Bereichen fördern und anstoßen. Zusammenhänge herstellen und damit potentielle Ressourcen miteinan−der verknüpfen und Synergie−Effekte erzielen − das ist ein zugegebener−maßen relativ vages, offenes Bild einer profes−sionel−len Tätigkeit "am und im Kontext” im Sinne von Empower−ment. Voraussetzung dafür, an den Verbindungslinien zwischen den Ebenen von Empowermentprozessen arbeiten und die darin liegen−den interindividuellen Ressourcen ent−wickeln zu können, ist aber eben das Offene, Nicht−Fertige und Gestalt−bare. Festlegungen durch pädagogische oder psychologische "Fertig−produkte” behindern direkte Lernprozesse, behindern Veränderung, und behindern neue Erfahrungen und die Ausprägung von Erfahrungswissen. Denn das Stiften von Zusammenhängen setzt voraus, daß sich der (soziale) Gegenstand noch in der Fülle seiner Möglichkeiten befindet, und nicht durch Sachzwänge, Festsetzungen etc. bereits festgelegt ist. Eine aktive und kreative Nutzung des "Spielerischen” an diesen Möglich−keiten, die in einer 9 post−moder−nen Gesellschaft stärker und klarer als bisher her−vortreten, benötigt jedoch ein Fundament gegenseitiger sozialer Unterstützung und beständiger Vergewis−serung, einen "Gemeinsinn”, der Orientierungsmöglichkeiten zuläßt, ohne die Richtung normativ vorzugeben. Diese schwierige und komplexe Aufgabe kommt den beruflichen HelferInnen zu und muß in der Praxis "im Kleinen” immer wieder umgesetzt werden können. Diese Verunsicherungen der professionellen HelferInnen−Rolle können dann fruchtbar gewendet werden, wenn die Institution einen Rahmen bietet, der gegenseiti−ge Lernprozesse, die Verbin−dungen zwischen und die Arbeit auf verschiedenen Ebenen unter−stützt. Solche "privilegierten” Arbeitszusammenhänge sind herstellbar. Der Versuch, aus dem Konzept Empowerment Konsequenzen für die eigene Arbeit und für ein neues Verständnis psychosozialer Praxis zu ziehen, bedeutet jedoch nicht die Option für ein "business re−engineering” − einer vollkommene Umgestaltung − so−zialer Institu−tionen. Insofern ist eine Empowermentperspektive nicht lediglich ein möglicher Arbeitsan−satz für privilegierte Einrichtungen mit relativ grossen Frei−räumen (Trojan 1993). Grosse Freiräume und großzügige Arbeitsbedin−gungen allein führen auch nicht automa−tisch zu einer Empowermentperspektive. Ein veränderter, kom−petenzorientierter Blick auf soziale Probleme durch Professionelle kann durch erfolgreiche Geschichten von Empowermentprozessen angeregt werden, die die Möglichkeiten zukünf−tiger psychoso−zialer Arbeit erahnen lassen. Innovative Arbeitsansätze in diesem Sinn müssen jedoch unterstützt werden durch sozialpoli−tische Vor−stellungen, die den Auftrag der Förderung von Empowerment−prozessen zulassen. Am wesentlichsten ist jedoch die Entdeckung eigener Ressourcen und potentieller Ressourcen der Institution − also der mög−lichen fördernden Bedingungen für einen Empowermentansatz in der professionellen Arbeit. Sie müssen einhergehen mit der Analyse der mögliche institutio−nelle Empowermentprozesse behindernden Bedin−gungen − also etwa der Frage, weshalb der individuell orientierte Defizit−blick in psychosozialen Einrichtungen immer wieder reproduziert wird. Eine so verstandene "Psychologie gesellschaftlicher Institutionen” (Seel 1992) ist bislang jedoch noch kaum entwickelt, kann aber unterstützt werden durch Ver−suche, die Qualität psychosozia−ler Arbeit in Richtung einer NutzerInnen−Orientierung zu verbessern. Empowermentprozesse auf den verschiede−nen Ebenen unterstützen sich gegenseitig. Individuelle Entwicklungen von beruflichen HelferInnen ermöglichen Ver−änderungen im institutio−nellen Rahmen ebenso, wie sozialpoliti−sche Vorgaben die institutionelle und individuelle Ebene anstoßen können und vice versa. Die Kraft der Veränderung aber erwächst immer aus dem Zusammenspiel der Ebenen. Anmerkung (1) Dies wirft auch einen Blick auf die Notwendigkeit des sorgfältigen Umgangs mit Sprache, der in diesem Zusammenhang nicht näher beleuchtet werden kann (vgl. Rappaport 1986). Empowerment können Professionelle nicht "geben”, sondern ist ein Prozess, der aktiv "genommen” werden muß. Genauso wenig ist es möglich, jemanden zu motivieren − auch wenn diese Formulierung mittler−weile Eingang in die Alltagssprache gefunden hat. Entweder ist eine Person motiviert, oder sie ist es nicht. 10 Wolfgang Stark ist seit 1998 Hochschullehrer für Organisationspsychologie, Organisationsentwicklung und Gemeindepsychologie an der Universität Essen. Davor viele Jahre praktische Tätigkeit und Forschung in der Psychiatrie, im Selbsthilfebereich und Pojektentwicklung in der sozialen Arbeit. Aktuelle Arbeitsschwerpunkte: Public−Health− und Selbsthilfeforschung, Qualitätsmanagement, Organisations− und Personalentwicklung, werte−orientiertes Management im profit− und non−profit−Bereich. www.avenirsocial.ch 11