256 Weißdorn Eingriffeliger Weißdorn (Crataegus monogyna), Zweigriffeliger Weißdorn (C. laevigata) Geschichte In den Märchen von 1001 Nacht steht in der Geschichte des Königs Omar geschrieben: „Das wunderbarste von all dem, was im Menschen ist, ist sein Herz, denn es ordnet sein ganzes Wesen“. Crataegus hilft, das Herz gesund zu halten; schon zu Paracelsus’ Zeiten war Weißdornbeerenwein ein beliebtes Herztherapeutikum. Ausgra- bungen zeugen von der Wertschätzung der Beeren, die in Notzeiten auch als Mehlersatz und als Stärkungsmittel dienten. Die alten Germanen kochten aus den kraftspendenden Beeren ein Mus oder aßen sie roh, die chinesischen Barfußärzte verwendeten das Beerenmus zur Heilung, und Indianer der Rocky Mountains bereiten noch heute eine Art Kraftnahrung daraus. Der Dornenstrauch, der im Früh- jahr überhäuft ist mit seiner weißen Blütenpracht, diente früher als lebender Zaun. Er hielt alles Böse von Feld und Hof ab und bot Menschen und Tieren Schutz, denn wo eine Weißdornhecke Schutz gibt, da können Mensch und Tier beruhigt schlafen. „Schlafbäumchen“ wurde denn auch der Weißdorn genannt, oder „Hagedorn“ (von german. „haga“ = Hecke). Wer kennt sie nicht, die Geschichte von Dornröschen, das in einen hundertjährigen Schlaf verfiel. Das Holz der Spindel, die sie stach, war aus Weißdorn! Weißdorn ist die Schutzpflanze schlechthin, sogar ein Spazierstock aus seinem Holz soll Schutz vermitteln: Das altbayrische Wort „Haglstegga“ für Spazierstock weist auf die magische Bedeutung des Stabs hin, der vor allem Bösen schützen konnte. Wer die heimische Umfriedung verlassen musste, nahm den Schutzstab mit. Crataegus leitet sich ab vom Griechischen „kratys“ beziehungsweise „krataios“ (= stark) und charakterisiert das harte, abwehrende, schützende Holz. Nicht nur das Holz der Pflan- Weißdorn 257 ze ist fest und stark, sondern auch seine Schutzwirkung auf die Menschen, besonders auf das Herz. Mitte des 19. Jahrhunderts verhalf ein irischer Arzt dem zukünftigen Herztherapeutikum zu seiner Berühmtheit. Seine Praxis wurde bald zu einem Mekka für Herzkranke, die er erfolgreich mit Weißdorn behandelte. Heute hat die Pflanze einen wichtigen Platz in der modernen, naturheilkundlichen Medizin. Botanisches Im Spätfrühling leuchtet der Dornenstrauch am Rande von Kulturwiesen, überzogen mit einer weißen Blütenpracht. Dieser Wildstrauch aus der Familie der Rosengewächse (Rosaceae) wird 3–8 m hoch, ist in ganz Europa zu finden und kann bis zu 500 Jahre alt werden. Oft ist er im dichten Heckengebüsch verflochten mit Schlehen, Brombeeren und Heckenrosen und bietet so unzähligen Tieren Nahrung und Schutz: Raupen und Schmetterlinge, Wildbienen, Vögel, Mäuse und Hasen leben darin. Weidetiere knabbern an den Zweigen – je mehr, desto dichter wird die Dornenhecke. Die Blätter des Weißdorns sind je nach Art mehr- oder weniger stark gelappt, sattgrün und glänzend. Die fünf weißen Blütenblätter tragen einen oder zwei Griffel, und entsprechend sind dann ein oder zwei Kerne bei den kleinen apfelförmigen, roten Früchten in dem mehligen, süßlich schmeckenden Fruchtfleisch zu entdecken. Von über hundert Weißdornarten sind fünf für die Herztherapie zugelassen: Hauptsächlich werden jedoch der Eingriffelige Weißdorn (Crataegus monogyna) und der Zweigriffelige Weißdorn (C. laevigata) verwendet. Ernte Gesammelt werden Blüten und Blätter zum Zeitpunkt der Vollblüte von April bis Mai, damit ist der höchste Wirkstoffgehalt garantiert. Die Raumtemperatur beim Trocknen sollte 40°C keinesfalls überschreiten, weil sonst der wirksamkeitsbestimmende Flavonoidgehalt deutlich abnimmt. Die vollreifen, mehligen Früchte, die wie kleine ziegelrote Miniäpfel aussehen, werden im September und Oktober gesammelt. Sie werden zur Teezubereitung selten verwendet, dienen aber in Form von Wein, Mus oder Fertigarzneimittel traditionell zur Stärkung und Kräftigung von Herz und Kreislauf. Wirkungen Crataegus ist kein starkes, schnell wirksames Herzmedikament wie der Fingerhut (Digitalis). Er unterstützt vielmehr das Herz in allen Phasen. Er kann (und soll!) über einen längeren Zeitraum hinweg eingenommen werden. Die Wirkungen sind nachhaltig gut und es gibt keine Nebenwirkungen. Weißdorn verbessert die Durchblutung der Herzkranzgefäße, so dass der angebotene Sauerstoff besser ausgenutzt werden kann. Die Sauerstoffversorgung des Herzens wird damit erhöht und Beschwerden bei arteriosklerotischen Verengungen werden gelindert. Weil auch die Durchblutung des Herzmuskels verbessert wird, wird er vor Schädigung durch Sauerstoffmangel geschützt; krampfartige Beklemmungsgefühle sowie die Anfallsbereitschaft für eine Herzenge (Angina pectoris) können so vermindert werden. Crataegus entspannt die Gefäße, senkt dadurch den Gefäßwiderstand und reguliert beziehungsweise harmonisiert den Blutdruck. Übrigens ergab eine Untersuchung, dass nach zehn Wochen Einnahme von Weißdorn nicht nur der Blutdruck der Probanden niedriger war, sondern die Patienten auch angaben, „weniger Angst“ zu haben. In der Nachbehandlung eines Herzinfarkts unterstützt der Weißdorn das Herz und stabilisiert den Herzrhythmus. Aus diesem Grund kann Fingerhut (Digitalis) auch sehr gut mit Weißdorn kombiniert werden. Nicht zuletzt hat Crataegus eine antioxidative Wirkung auf den Herzmuskel, das heißt, er schützt ihn vor aggressiven Sauerstoffradikalen. Eine wichtige Verwendung von Weißdorn – und das nicht nur im 258 Heilpflanzen im Porträt Medizinische Anwendung: Crataegi folium cum flos Inhaltsstoffe, Blätter und Blüten: Flavonoide, Prozyanidine, Azetylcholin, Phenolcarbonsäuren, Sterole, Gerbstoffe. Früchte: Vitamin C, mehr Prozyanidine als in Blüten und Blättern, deutlich weniger Flavonoide. Anwendung: Weißdorn ist das Mittel der Wahl bei (noch nicht digitalisbedürftigem) Altersherz, der beginnenden Herzschwäche im Alter, bei Durchblutungsstörungen der Herzkranzgefäße sowie bei leichteren Formen der „Herzenge“ (Angina pectoris) und der Herzschwäche (Herzinsuffizienz). Genauso bei „Herzdruck“ mit Beklemmungsgefühlen, leichten Formen von Herzrhythmusstörungen und anfallsweisem Herzjagen (paroxysmale Tachykardie). Je nach Stadium der Herzinsuffizienz eignet sich Weißdorn zur Unterstützung beziehungsweise als Kombinationspartner einer Digitalistherapie, gerade auch weil Weißdorn rhythmusstabilisierende Begleitwirkungen hat. Crataegus ist für die Selbstbehandlung gut geeignet; ratsam Alter! – ist die „Nachsorge“ nach Infektionskrankheiten oder Grippe, um einer Herzmuskelschwäche vorzubeugen. Deshalb gehört Weißdorn in jede Grippeteemischung. Weißdorn unterstützt aber auch die Herzfunktion bei Unruhe, Schlafstörungen, Angstzuständen, Nervosität oder Depressionen. Neue Untersuchungen weisen darauf hin, dass sich Weißdorn bei längerer Einnahme zur Prävention der Arteriosklerose eignet, und dass Weißdorn die Lebensqualität und das körperliche wie das seelische Befinden steigert. Auch beim Bergsteigen führt Weiß- Tee & mehr ist es allerdings, vorher vom Hausarzt prüfen zu lassen, ob eventuell vorhandene Beschwerden nicht doch auf andere Ursachen zurückzuführen sind. Anwendungsdauer: Mindestens 6–8 Wochen. Eine längere Einnahmedauer hat sich bewährt, weil eine deutlich wahrnehmbare Wirksamkeit erst nach 5– 6 Wochen ihr Optimum erreicht. Die Wirkung baut sich langsam auf und entsprechend langsam ab, mit nachhaltigem Effekt und ohne toxische Belastung, so dass Crataegus zur Langzeitanwendung auch über Monate bis Jahre sehr gut geeignet ist. Bei Herzinsuffizienz sollte man Fertigpräparate einnehmen, zur Stärkung und Kräftigung der Herz-Kreislauf-Funktion eignet sich Tee, Tinktur oder Frischpflanzensaft. Kommission E: Herzinsuffizienz (Herzschwäche) im Stadium II. Weißdorn ist die erste von der Kommission E im Jahr 1983 untersuchte Droge. Tagesdosis: 5 g Blüten mit Blättern; Fertigpräparate 160– 900 mg Extrakt. Nebenwirkungen/Gegenanzeigen: Nicht bekannt. dorn in großen Höhen, wo „die Luft dünn wird,“ zu einer verbesserten Sauerstoffversorgung. Deshalb ist Weißdorn auch für Hochleistungssportler wichtig. Hinweis: Eine Therapie mit Weißdorn ist nicht zur Akutbehandlung bedrohlicher Herzerkrankungen geeignet – sie hat ihre Stärke in der Prophylaxe. Weißdorntee 1 TL (1–1,5 g) Blüten mit Blättern mit 1 Tasse kochendem Wasser überbrühen, zugedeckt 15 Minuten ziehen lassen, abgießen. 3- bis 4mal täglich 1 Tasse trinken, bei Bedarf mit Honig gesüßt, kurmäßig über mehrere Wochen bis Monate. Der Tee eignet sich zur Vorbeugung im Sinne einer allgemeinen Stärkung und Kräftigung des HerzKreislauf-Systems; er kann gut kombiniert werden mit anderen Heilpflanzen. Bei bestehenden Erkrankungen des Herz-KreislaufSystems sollten Sie zur besseren und verlässlicheren Wirksamkeit Fertigpräparate einnehmen. Teemischungen Tee gegen nervöse Herzstörungen (Aufguss) Je 25 g Weißdornblätter und -blüten, Melissenblätter, Rosenblüten und Baldrianwurzel. 10 Minuten ziehen lassen. 6 Wochen lang 3mal täglich 1 Tasse trinken. Tee gegen hohen Blutdruck und Kreislaufbeschwerden (Aufguss) Je 20 g Weißdornblätter und -blüten, Melissenblätter, Lindenblüten, Schafgarbenkraut und Mistelblätter. 7 Minuten ziehen lassen. 6 Wochen lang 3-mal täglich 1 Tasse trinken. Weißdorn 259 Grippetee (Aufguss) Je 20 g Weißdornblätter und -blüten, Holunderblüten, Mädesüßkraut, Engelwurzwurzel und Thymiankraut. 10 Minuten ziehen lassen. 1–2 Wochen lang 3-mal täglich 1 Tasse trinken. Tee gegen Unruhe, Schlafstörungen, Ängste, Nervosität (Aufguss) Je 25 g Weißdornblätter und -blüten, Melissenblätter, Hopfenzapfen und Lavendelblüten. 10 Minuten ziehen lassen. 4 Wochen lang 3mal täglich 1 Tasse trinken. Tee gegen Verdauungsstörungen mit „Herzdruck“ (RoemheldSyndrom) (Aufguss) 40 g Weißdornblätter und -blüten, 30 g Fenchelsamen und je 15 g Orangenblüten und Herzgespannkraut. 10 Minuten ziehen lassen. 6 Wochen lang 3-mal täglich 1 Tasse trinken. Kreislauftee (Aufguss) Je 25 g Weißdornblätter und -blüten, Rosmarin und Schafgarbe sowie 20 g Thymian. 10 Minuten ziehen lassen. 6 Wochen lang 3-mal täglich 1 Tasse trinken. Dieser Tee eignet sich bei niedrigem Blutdruck, Kreislaufbeschwerden, in der Rekonvaleszenz, bei Schwächezuständen, bei chronisch kalten Händen oder Füßen. Weitere Zubereitungen Herzlikör 200 g Weißdornbeeren, 1–2 Handvoll Melissenblätter, 1 Zimtstange, 100 g Kandiszucker und 700 ml Wodka (32%) in ein Glasgefäß füllen, 6 Wochen ziehen lassen, abgießen und danach noch 3 Monate ruhen lassen. Täglich 1–2 Likörgläschen genießen. Herztropfen Ein Marmeladenglas bis an den oberen Rand mit klein geschnittenen Blüten und Blättern von Weißdorn füllen und mit Korn oder Wodka (etwa 40%) bedecken. 3–4 Wochen auf dem Fensterbrett stehen lassen und täglich schütteln; danach in Tropffläschchen abgießen. 3-mal täglich 25 Tropfen zur Vorbeugung einnehmen. Herzwein mit Weißdorn 1 Handvoll reifer, roter Früchte anquetschen; mit 1 Handvoll Weißdornblüten und -blättern, 5 TL Melissenblättern und 3 TL Herzgespannkraut (Leonurus cardiaca) in 2 l Rotwein zum Kochen bringen, 20 Minuten ziehen lassen und abgießen. Aromatisieren Sie den abgekühlten Wein mit 2–4 EL Honig und nehmen Sie ihn likörgläschenweise ein (1–2 Gläschen/Tag). Altes Wissen Niemand sieht es dem Weißdorn an, was er alles leisten kann: Wenn ein Mensch mit krankem Herzen vor Beklemmung, Angst und Schmerzen Tag und Nacht verzweifelt klagt und am Leben fast verzagt nehm er voll Vertrauen nur ein paar Tropfen der Tinktur und sein Zustand, erst so kläglich, wird bald wieder ganz erträglich. Es beruhigt auch das Herz und beseitigt Angst und Schmerz, und der Schlaf, oft schwer gestört, binnen kurzem wiederkehrt. Grad bei solchen Herzanfällen, die den Kranken furchtbar quälen, merke dieses Mittel dir als ein Lebenselixier. (Homöopathische Reimregeln, Dr. Ernst Gardemin)