Kabale, Hass und Liebe - Das Wiener Burgtheater

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Deutschlandfunk
GESICHTER EUROPAS
Samstag, 11. Oktober 2014 / 11.05 – 12.00 Uhr
Kabale, Hass und Liebe:
Das Wiener Burgtheater
Mit Reportagen von Antonia Kreppel
Moderation und Musikauswahl: Simonetta Dibbern
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- unkorrigiertes Exemplar –
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In Wien ist es so, dass man das Gefühl hat, den Zuschauern gehört das Theater, die
Schauspieler sind dazu eingeladen mitzuwirken, Ich hab immer wieder bei den
Wienern erlebt, oh das ist furchtbar, das musst du anschauen .
Eine Schauspielerin über die besondere Rolle des Burgtheaters für die Wiener
Gesellschaft. Der Leiter der Bühnentechnik über die Schieberei hinter den Kulissen.
Alles dreht sich, alles bewegt sich. Wie wir so seinerzeit einmal im Wurstlprater bei
uns gesagt haben: Die Narren bewegen sich nach allen Richtungen.
Und die derzeitige Direktorin über die neuen Perspektiven trotz der aktuellen Krise:
Ich finde in der jetzigen Zeit ist besonders attraktiv daran zu erinnern, dass dieses
Theater entstanden ist, als das Habsburgerreich noch ein Riesenreich war und aus
vielen Ländern bestand. Das Burgtheater hat die Chance, in der Mitte von
Südosteuropa ein Zentrum zu sein und so sehe ich Nationaltheater.
Gesichter Europas. Kabale, Hass und Liebe: das Wiener Burgtheater. Eine Sendung
mit Reportagen von Antonia Kreppel. Am Mikrophon begrüßt Sie Simonetta Dibbern.
Es ist das größte deutsche Sprechtheater. Nach der Comedie francaise das
zweitälteste Europas. Und sicherlich eine der wichtigsten Spielstätten
deutschsprachigen Schauspiels.
Vor allem aber ist es eine Institution: das Wiener Burgtheater. Oder kurz: die Burg.
Ein Kultstätte der Hochkultur und ein geradezu sakraler Grundstein der
österreichischen Identität.
Und so wurde die ganze Nation erschüttert, als im Frühjahr dieses Jahres ein
Finanzdebakel dramatischen Ausmaßes ans Licht kam: wegen Verdacht auf Untreue
sowie Urkunden- und Bilanzfälschung wurde erst die kaufmännische Direktorin
fristlos entlassen. Und dann, am 10. März auch der Intendant, der hier
Burgtheaterdirektor heisst: Matthias Hartmann, seit 2009 Regisseur und
künstlerischer Geschäftsführer bei der staatseigenen Burgtheater GmbH.
Skandale und Krisen hat es viele gegeben in der Geschichte der Wiener Burg. Doch
sie haben dem Ruf des Hauses kaum geschadet. Und auch dieses Mal sind zwar die
juristischen und finanziellen Nachwehen des Falles Hartmann noch nicht endgültig
gelöst. Doch der Spielbetrieb hat auch in dieser Saison pünktlich am 1. September
begonnen. Die Vorstellungen sind fast immer ausverkauft. Und wer auf der Bühne
steht, gibt sich alle Mühe, den künstlerischen Ruf der Burg hochzuhalten.
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Gleich fängt die Probe an: Die Bühnenarbeiter rücken noch den Hocker zurecht; den
staubigen Koffer. Viel steht nicht auf der Bühne. Das Burgtheater startet seine
Spielsaison im Akademietheater, seiner zweitgrößten Spielstätte, mit einer
Uraufführung. Der tschechische Regisseur Dušan David Parízek inszeniert
„Lächerliche Finsternis“ von Wolfgang Lotz - ein Hamburger Nachwuchsdramatiker.
Es ist ein Stück über die Unfähigkeit, das Fremde wirklich verstehen zu können; über
das Grauen eines weit entfernten Krieges.
Wir sitzen hier, wir sind völlig abgeschnitten von allem.
Ein italienischer Blauhelmsoldat, gespielt von Dorothee Hartinger, sitzt in der Wildnis
und überwacht Erntearbeiter.
Wir sitzen mitten im Kriegsgebiet, aber wir bekommen nichts davon mit, weil wir hier
weder Fernsehen noch Internet haben…
Die Rolle ist alles andere als eine repräsentative Burgschaupieler-Rolle. Dorothee
Hartinger sitzt in der Probenpause unauffällig im Theaterfoyer: kurze grauschwarze
Wuschellocken, lässige Kleidung.
Ich mein so eine Premiere wie “Lächerliche Finsternis”, die muss man erst mal
spielen vor so einem illustren Publikum. Man muss auch einstecken. Ich mein, was
ich hier schon an Kritik eingesteckt hab, wo andere Leute den Beruf aufgeben.
Dorothee Hartinger, Jahrgang 1971, gehört zur sogenannten “next generation” der
Burgschauspieler. Der damalige Intendant Klaus Bachler hat sie 2002 an die Burg
geholt. Da hatte die Regensburgerin bereits eine erstaunliche Theaterkarriere hinter
sich: Engagements an den Münchner Kammerspielen, am Frankfurter
Schauspielhaus, am Hamburger Thalia Theater. Für ihr Gretchen in Peter Steins
legendärer Faustinszenierung erhielt sie den Deutschen Kritikerpreis für Theater.
Burgschauspielerin - ist das nicht ein ganz besonderer Status?
Natürlich, es ist eine absolut privilegierte Situation am Burgtheater zu sein, in erster
Linie wegen dem Publikum. Also das besondere sind die Zuschauer in Wien, die das
Theater lieben und ins Theater gehen. In Deutschland ist es oft so, dass man den
Eindruck hat, das Theater gehört den Schauspielern und den Schauspielmachenden
und die Zuschauer kommen als Zaungäste dazu, und wenns ihnen nicht gefällt, da
kommen sie auch nicht mehr. Und in Wien ist es so, dass man das Gefühl hat, den
Zuschauern gehört das Theater, die Schauspieler sind dazu eingeladen mitzuwirken,
und das ist ganz ein anderer Punkt. Ich hab immer wieder bei den Wienern erlebt, oh
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das ist furchtbar, das musst du anschauen und dann gehen sie rein und wollen
darüber lästern, was weiß ich. Also das gefällt ihnen.
“Gemma schaun!“: Dorothee Hartinger sieht die Wiener Theaterhetz’ mit der rechten
Portion schwarzen Humors. Ihr gefällt auch das Foto-Porträt, dass der
Erfolgskünstler Erwin Wurm von ihr für die Ehrengalerie im Burgtheater gefertigt hat.
Da kniet sie demütig in schwarzem Badeanzug, auf geflicktem Asphalt .
Hat schon etwas von dem Ausgeliefertsein, das zum Theater dazu gehört irgendwie.
Man ist da ja relativ schutzlos, barfuss und halbnackt da auf der Bühne - auf der
Straße. Mir hats gefallen.
Nein, mit Frau Burgschauspielerin wird sie kaum angesprochen; aber bei der
Wohnungssuche war ihr Status durchaus von Vorteil. Doch längst ist der
durchschnittliche Burgschauspieler vertraglich nicht mehr so gesichert wie zu
Thomas Bernhards Zeiten.
Nein, wenn der nächste Intendant kommt, schmeißt er mich raus. Also das ist auch
so eine Mär, dass einem das Burgtheater jetzt in den Theaterhimmel hebt für alle
Zeiten. Natürlich gibt es hier viel Geld, tolle Regisseure und grandiose Kollegen.
Aber im Theater kochen alle mit Wasser und letzten Endes ich auch. Sicherheiten
gibt’s keine, nirgendwo. Wir haben einen Einjahresvertrag, der im Oktober weiter
verlängert wird. Ich kann jedes Jahr rausgeschmissen werden.
Dass sie als Deutsche am österreichischen Nationaltheater spielt, hat das Wiener
Publikum voll akzeptiert. Einem ihrem Kollegen allerdings wurde schon vor der
Premiere unterstellt, er wäre “als Hamburger“ nicht geeignet, Schnitzler zu spielen.
Ich merke jetzt, wo der Ruf nach der neuen Burgtheaterchefin oder Chef, ja es sollte
schon wieder mal ein Österreicher sein! Es gibt schon so den Ton, warum gibt es so
viele deutsche Schauspieler und keine österreichischen Schauspieler am
Burgtheater. Aber das ist nicht wirklich ernst zu nehmen. Und ich bin Bayerin und
geh sowieso für die meisten noch als Österreicherin durch (lacht) .
Dorothee Hartinger steht im Jahr durchschnittlich 140 mal auf der Bühne. Ihr Beruf ist
ein Knochenjob. “Alles muss ich immer in die Wagschale werfen” erklärt sie mit
leichter Ironie, “wir sind ja am Zirkus“. Ihren Schauspielberuf betrachtet sie eher
philosophisch.
Und ich finde, dass die Liebe zur Fehlerhaftigkeit des Menschen der
ausschlaggebende Punkt sein muss, auf die Bühne zu gehen. Ich habe Angst vor
den Menschen, aber ich liebe den Menschen. Und das ist für mich das Wahrhaftige,
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also nicht den Menschen zu beschönigen oder zu verdammen, sondern ihn
tatsächlich mit seinen Schichten nachvollziehbar zu gestalten. Weil ich glaube das ist
die einzige Chance für Katharsis.
Welche Form von Katharsis durchläuft das Burgtheater in seiner Krise? Wo ist der
Schuldige? Vielmehr die Schuldigen? Dazu möchte Dorothee Hartinger ausdrücklich
nichts sagen; wohl aber zur Zukunft des Burgtheaters. Sie zieht den Mund leicht
schief.
Das Burgtheater wird uns alle überleben. Klar verändert sich die Gesellschaft; ich
meine diese ganze Krise, die hier herrscht. In Deutschland sagen alle, ja jetzt ist das
Burgtheater da angekommen, wo die ganzen Theater in Deutschland schon vor 10
Jahren waren. Und das stimmt natürlich auch, dass hier letzten Endes eine
Gesellschaft aufgeschlagen ist und damit zurechtkommen muss, was schon längst in
der Gesellschaft ansteht.
Die Probe geht weiter. Dorothee Hartinger steht hinter einem Mischpult und
produziert mit einer gefüllten Wasserflasche Dschungel-Laute.
Dann bläst sie auch noch Tenorhorn. Das hat sie in der Blaskapelle ihres
Heimatdorfes bei Regensburg gelernt. Wie gesagt, alles muss sie hier in die
Wagschale werfen, im Zirkus Burgtheater.
Das Burgtheater hat seine eigene Tradition, schrieb der Autor und Theaterkritiker
Alfred Polgar Anfang der 1920er Jahre: von ihr lebt es, an ihr stirbt es. Das
Spannungsverhältnis zwischen gesellschaftlichem Erbe und künstlerischen Visionen,
zwischen Reaktion und Rebellion hat das Haus nicht erst seit der Ära Peymann
bestimmt. Während das Publikum alle Aufs und Abs mitmachte, bot es den Wiener
Künstlern und Intellektuellen ausreichend Konfliktstoff. Sie konnten sich an der
Institution abarbeiten. Mit Texten für die Bühne. Oder über das Haus. Thomas
Bernhard etwa. Der wortgewaltige Sezierer österreichischer Befindlichkeiten hat mit
seinem Theaterstück Heldenplatz für einen Skandal gesorgt. Und die kunstaffine
Gesellschaft erschüttert mit seinem Text „Holzfällen – Eine Erregung“: ein
künstlerisches Abendessen wird zum Fegefeuer der Eitelkeiten. Im Zentrum, obwohl
er erst nach der Vorstellung dazukommt: der Burgschauspieler.
In Wahrheit, sagte der Burgschauspieler, sind die Ansprüche, die hier in Wien an die
Kunst, aber vor allem an die Musik und an die Schauspielerei gestellt werden, die
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höchsten, die allerhöchsten in Europa und die Leute, die hier in die Konzertsäle
gehen und in die Theater, vornehmlich in das Burgtheater, sind die verzogensten
und letztenendes anspruchsvoller und kritischer als irgendwo sonst in Europa, ja, ich
kann sagen, auf der ganzen Welt. Es gibt keine besseren Schauspieler, wie es auch
keine besseren Musiker gibt, als hier in Wien, das ist die Wahrheit. Fahren Sie hin,
wohin Sie wollen, gehen Sie in die Mailänder Scala oder in die Metropolitan Oper in
New York oder gehen Sie in das Londoner Nationaltheater oder in die Comedie
Francaise, alles nichts gegen Wien, alles letztenendes stümperhaft, dilettantisch, das
ist die Wahrheit. Das Wiener Publikum ist das verzogenste und das mit dem besten
Geschmack, das Theater genauso betreffend wie die Musik, allerdings auch das
infamste, das rücksichtsloseste. Wie lächerlich geradezu ist alles, was wir in
Deutschland auf dem Theater vorgesetzt bekommen, wie lächerlich ist das
englische, wie lächerlich ist das französische Theater dagegen. Aber wehe, man sagt
diese Wahrheit in Wien, sagte der Burgschauspieler, da ist man erledigt.
Spektakel müssen sein, ohne sie kann man nicht in einer so großen Residenz
bleiben, soll Kaiserin Maria Theresia gesagt haben. Und so beauftragte sie im Jahr
1741 den Theaterunternehmer Joseph Carl Selliers, das Ballhaus der Hofburg zu
einem öffentlichen Theater umzubauen. Sieben Jahre später wurde das Burgtheater
als Habsburger Hofbühne eröffnet. In den mehr als 200 Jahren ihres Bestehens hat
die Burg mehrmals den Spielort gewechselt. Hat den Übergang von der k.u.k.Monarchie zum österreichischen Nationalstaat überlebt. Den Anschluss an HitlerDeutschland überstanden, ohne größeren Schaden zu nehmen. Und bis heute ist
das Burgtheater das reichste und größte Repertoiretheater der Welt. Subventioniert
jährlich mit 46einhalb Millionen Euro. Vier Spielstätten. 900 Vorstellungen und fast
eine halbe Million Zuschauer pro Jahr. Es gibt sogar eine eigene Betriebsfeuerwehr.
Geld, so schien es in all dieser Zeit, spielte nie eine Rolle.
Bis dann vor einem Jahr auf einmal nachgerechnet wurde. Millionenlöcher und
dubiose Bilanzen auftauchten. Eine Misswirtschaft allererster Güte, Ausdruck von
Opulenzgebaren und Verschwendungssucht vieler Beteiligter. Nun, so scheint es,
sind die fetten Jahre am Burgtheater vorbei. Und das, sagen manche: ist auch gut
so. Der Schriftsteller Peter Truschner aus Klagenfurt etwa, Jahrgang 1967. In seinem
Gastkommentar für die Tageszeitung Die Presse schrieb er im März dieses Jahres
von Luxusverwahrlosung im Zitat: „hofstaatlich geprägten Wien, wo jede Form von
Kulturbetriebssport sich zuallererst in Kunstfiguren wie der doppelten Schleimrolle
und dem eingesprungenen Bückling ergeht.“
Peter Truschner schaut sich flüchtig in dem großem Raum um. Wo steckt nur sein
Künstlerfreund ? Hubert Sommerauer, mit langem grauen Pferdeschwanz, steht
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gebeugt über einem Tisch und schichtet Kataloge und Folder für die Vernissage am
Abend.
Lustiger Raum so mit den Bildern…
Es ist wichtig einen Dialog mit dem Raum einzugehen, der in
einem whitecube
nicht notwendig ist, weil der ist neutral, ja.
Keine Kunst in weißen Räumen: Der Figaro-Saal im Palais Palfy ist ein skurriler Ort
für Ausstellungen: Rote Plüschmöbel, verstaubte Vorhänge, an den Wänden
vergoldete Stuckleisten. Peter Truschner wirft nachlässig die Jacke über einen
zierlichen Sessel; ja, das gefällt ihm, die gestrichelten monumentalen Porträts von
Johnny Cash und Sir Peter Ustinov in diesem höfischen Ambiente.
Mit Hubert Sommerauer verbinden ihn gemeinsame Theaterprojekte. Belustigt
entfernt er die Vase mit den Plastikblumen vom Tisch.
In diesem Saal hat die Uraufführung von Figaro stattgefunden. Ein bisschen ist der
Lack ab, wie auch beim Burgtheater auch ein bisschen jetzt der Lack ab ist.
Das Burgtheater und - so wörtlich - “woran es wirklich krankt“: Ein Thema, das den
leidenschaftlichen Theatermenschen nicht loslässt. Theater, das muss
“Innovationskräfte freisetzen“, und darf kein “Luxus-Alterswohnsitz” sein, fordert
Peter Truschner. Die österreichischen Verstrickungen von Kunst, Politik und
Tradition beschäftigen ihn immer wieder.
Das erste ist, es krankt überhaupt an seinem historischen Überhang. Auf der einen
Seite ist es natürlich toll für eine Kulturstätte, wenn es in der Gesellschaft und in der
politischen Kultur einer Stadt so verankert ist; auf anderen - ist es auch eine Last,
wenn man immer so ein Repräsentanzbetrieb sein muss. Das ist eine
Luxusverwahrlosung: Alle sind irgendwie zufrieden, keinen interessiert es eigentlich
besonders, keiner schreibt ihm eine wirklich politische oder gesellschaftspolitische
Relevanz zu. Aber es wird durchgezogen, weil es Tradition hat, weil genügend
Subventionssteuergeld da hineingepumpt wird, weil es ein touristischer Faktor ist.
Also hält man das Schauspiel am Leben, obwohl der Sinn schon abhanden
gekommen ist.
Peter Truschner fixiert das trotzige Porträt eines Gorillas zwischen den goldenen
Stuckleisten. “Passt ganz gut hierher” feixt er; wenn er lacht, werden seine Augen zu
schmalen Schlitzen. Die tradierte Hofstaatlichkeit des Burgtheaters ortet er als
weiteres Krankheitssymptom.
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Das Burgtheater war immer ein öffentlicher oder halb offizieller Betrieb, wo die
Hofbeamten immer ordentlich mitgewirkt haben, und im Grund viel mehr als der
jeweilige Intendant entschieden haben, was an dem Theater stattzufinden hat und in
welcher Form und wer dort für Posten in Frage kommt oder nicht. Diese Art von
beamtischer Intransparenz führt zu ganz gewissen Verhältnissen, die man als “unter
der Hand Geschäfte” bezeichnen kann. D. h. nominell gibt es Ausschreibungen, aber
in Wahrheit werden die Sachen unter der Hand bereinigt.
Diese „Unter der Hand-Geschäfte“ könnte man auch als ein Netz von Seilschaften
betrachten. Georg Springer beispielsweise, Vorgesetzter und Kontrolleur der
kaufmännischen- und künstlerischen Geschäftsleitung, wurde nicht entlassen, trat
aber später als Geschäftsführer der Bundestheaterholding zurück. War er besser als
Matthias Hartmann in Österreich vernetzt? Die fristlose Kündigung des
Burgtheaterdirektors also “ein ritueller Akt”, wie Zeitkritiker Peter Kümmel anmerkt?
Peter Truschner nimmt kein Blatt vor den Mund, neigt sich weit vor.
Auf der einen Seite gibt’s nix was ich an ihm respektabel und sympathisch finde,
aber auf der anderen Seite hat er’s nur besonders wild getrieben. D.h. er hat dieses
autokratische megalomanische System nicht erfunden. Wie gesagt, er ist ein
Opferseiner Zeit und er ist auch ein Opfer des Umstandes, dass er als Deutscher
dann doch in den Seilschaften nicht so verankert ist wie Georg Springer. Wäre er ein
ganz so alter Haberer der SPÖ-Nomenklatur in Wien, wäre ihm diese Schmach
sicher erspart geblieben, das muss man auch sagen.
SPRECHERIN:
Wien und seine Haberer: “Freunderlwirtschaft”, das hat in Österreich Tradition,
erklärt Peter Truschner. Und Außenstehende haben zu diesem System von
Seilschaften keinen Zugang.
Eine Seilschaft ist nie verantwortlich für Innovation, sondern es sichert den Bestand.
In einer Seilschaft tut man sich so wenig wie möglich weh.
Diese Intransparenz der österreichischen Politik und der österreichischen
Kulturpolitik, die ist natürlich schon eklatant.
Peter Truschner dreht noch eine Runde durch die Ausstellung. Sein Lieblingsbild ist
der „Missbrauchte Engel“; es zeigt einen Dämon mit überproportional großem Kopf;
eine Art Gelatinewesen. Unklar ist, welche Form von Stofflichkeit es verkörpert. Die
Nichtfassbarkeit, das nicht Zuordenbare an dieser Figur, das fasziniert ihn. Das
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Burgtheater, sinniert er, krankt auch daran, dass es überwiegend auf Populäres
setzt; auf ein „Theater des Erfolgsfalls.“
Das Theater des Erfolgsfalls zeichnet sich dadurch aus, dass es nur Dinge einspeist,
die an anderen Orten bereits einen ausgewiesenen Erfolg vorzuweisen haben. Es ist
kein Theater des Risikos, es ist eher Luxuskulinarik.
2013 hat Peter Truschner ein Theaterstück über das tägliche „Begehren, etwas zu
erwerben“ geschrieben. Jetzt hat er „Im Namen des Geschäfts“ auch dem
Burgtheater angeboten. Peter Truschner presst die Lippen zu einem schmalen Strich
zusammen. „Das System ist überall marode und morsch“, sagt er.
Punktum.
Man darf sich jetzt am Burgtheater nicht abputzen. D.h. man darf nicht sagen, Gott,
bei denen da in Wien, wies da zugeht, das hat mit uns nichts zu tun. Im Kern ist es
überall gleich. Es sind nur die Dimensionen am Burgtheater, die einfach andere sind.
Das Kernsystem im Stadttheaterbetrieb ist immer dasselbe: Schwer zugänglich, es
ist innovationsfeindlich. Nur in Wien sind einfach die Dimensionen und die kulturelle
Tradition dafür verantwortlich, dass diese simple Theaterhierarchie und
Innovationsferne sich gleich zu einer Art aufgeblasenem Hofstaat entwickelt hat und
sich dermaßen präsentiert. Im Grunde leiden alle an denselben Problemen.
Wir kommen an so viele Regisseure, sagte er, und bekommen nie die Rollen, die wir
tatsächlich spielen wollen. Und auch nicht die Dichter, die uns am Herzen liegen.
Wir wollen einen spanischen Dichter spielen und müssen uns mit einem
französischen einlassen, sagte er, wir wollen Goethe spielen und man verurteilt uns
zu Schiller, wir wollen in einer Komödie auftreten und man verpflichtet uns für eine
Tragödie.
In den Theatern, sagte er, geht nichts planmäßig vor sich, kein Plan wird am Ende so
verwirklicht wie auf dem Theater, wie er ursprünglich geplant worden ist. Was wir
endlich aufführen und was endlich zu sehen ist, ist immer nur ein Kompromiss, ein
fauler. Selbst auf dem Burgtheater, der ersten Bühne Europas, wie er sich
ausdrückte, kämen am Ende nur Kompromisse zustande. Aber was für
Kompromisse, sagte er und meinte damit, dass diese Kompromisse auf dem
Burgtheater immer noch großes Theater seien; alles Missglückte auf dem
Burgtheater sei schließlich doch immer wieder Burgtheater, womit er meinte, dass es
schließlich und endlich doch immer wieder selbst in seinem Scheitern das von ihm so
bezeichnete große Theater als Burgtheater sei. Es war lächerlich, was er sagte.
Ob es Altlasten waren oder persönliche Schuld, das ist im jüngsten Finanzskandal
noch zu klären. Der geschasste Theaterdirektor Matthias Hartmann jedenfalls
behauptet, er habe nichts gewusst und sieht sich als Bauernopfer, dem man ein
bereits hochverschuldetes Haus übergeben hatte, ohne ihn darüber in Kenntnis zu
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setzen. Fest steht, dass es im Theaterbetrieb immer schon besondere Regeln gab
für Gagen und andere Gelder. Die im Fall des Burgtheaters allerdings anscheinend
noch einmal großzügiger ausgelegt wurden. Fatalerweise ausgerechnet von der
kaufmännischen Direktorin. Und anscheinend unbemerkt von dem Mutterkonzern
Bundestheater-Holding. Dem, so die Selbstbeschreibung: größten Theaterkonzern
der Welt. Neben Burgtheater gehören auch Volks- und Wiener Staatsoper dazu. Ein
Gesamtbudget von rund 253 Millionen Euro pro Jahr. Knapp 2.500 Mitarbeiter:
Künstler, Handwerker, Wissenschaftler und Juristen. Ihnen allen, steht auf der
Internetseite der Dachorganisation: will der Konzern wie eine gute Mutter sein. Dass
der bröckelnde Finanzrahmen viel zu spät entdeckt wurde, hat glücklicherweise
keine Toten oder Verletzten davongetragen. In anderen Bereichen könnten die
Folgen solcher Flüchtigkeitsfehler sehr viel schwerwiegender sein.
Harry sei so lieb, können wir den Drehzylinder bewegen und gleichzeitig eine
Narrenfahrt machen mit der offenen Drehbühne?
Ernst Meisl ist ganz in seinem Element. Die Bühnenarbeiter melden ein
unbekanntes Geräusch; das darf nicht sein.
Harry: bissl dauerts…Franz hast mich gehört unten?
Franz: Da geht gar nix.
Ernst Meisl leitet die Bühnentechnik im Burgtheater; er bleibt ganz ruhig; ein
zierlicher Mann mit flottem Bürstenhaarschnitt, gestreiftem Hemd und Sakko.
Der Drehzylinder hat 350 Tonnen mit der zugelassenen Last, wenn da plötzlich ein
abnormales Geräusch kommt, da muss man dem in der Sekunde nachgehen, was
da die Ursache ist. Wieso klingt die jetzt so komisch, die Emma; wir sagen ja als
Nickname zu unserem Drehzylinder die gute alte Emma, die immer alles mitmacht
und dreht ohne zu jammern. Das darf man auf keinen Fall verschleppen. So wie jetzt
am Anfang der Saison, da muss ja das ganze Werkl noch bis Saisonschluss Ende
Juni halten ohne gröbere Probleme zu machen.
Die “Emma” ist der ganze Stolz der Bühnentechnik: 20,78 Meter Durchmesser, 14
Meter Höhe, zwei Bühnenwagen, vier Hubpodien, die auf maximal 1,16 Meter
gehoben und 8 Meter gesenkt werden können. “In den Himmel und in den Hades“,
lacht Ernst Meisl und versichert, dass sie europaweit die größte Drehzylinderbühne
ist.
Auch die neue Bühnenleitsteuerung ist die modernste in Europa. Die hydraulischen
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Winden lassen die Bühnendekoration in Sekundenschnelle nach oben verschwinden
und neue Dekorationsteile herabsenken. Von einem Funkpult im Zuschauerraum
können die Bühneneffekte schon im Vorfeld einprogrammiert werden. Könnten!
Aber wir gehen von der These aus, dass wir sagen: Wir machen einzelne
Sequenzen, die gefahren werden, aber dazwischen ist noch immer der Mensch das
wichtigste und das Maß aller Dinge. Der gibt dann immer auf Lichtzeichen des
Inspizienten oder auf Ansage Funk das weitere Kommando, um zu drehen, auf- und
abzufahren.
Ernst Meisls Blick fixiert jetzt den schwarzen Bühnenboden. Keine Aufführung gleicht
der anderen.
Ganz wichtig, und auf dem Standpunkt steh halt ich als Vorstand der Technik: Die
Technik muss immer im Hintergrund wirken. Sie darf sich auf keinen Fall in den
Vordergrund drängen, weil das Wichtigste, das sind die Schauspieler .
Man spürt, da spricht jemand, dessen Beruf eine Berufung ist. Er sei “ein
waschechter Wiener, ein grantelnder“, beteuert der “Herr Ingenieur“. Das zu glauben
fällt schwer.
O Gott, ich gehör ja mittlerweile zum Urgestein. Ich hab angefangen 1977 und ich bin
in der 4.Generation am Theater tätig. Also mein Vater hat angefangen in der
Staatsoper, ist dann ins Arsenal gekommen, Leiter der Schlosserei; der Onkel in der
Tischlerei, die Tante war Primaballerina in der Staatsoper. Wir waren auf alle Häuser
verteilt. Und angeblich soll ich als kleines Kind beim Spazierengehen vorm
Burgtheater gesagt haben, in diesem schönen weißen Haus möchte ich mal arbeiten.
Ernst Meisl stellt sich auf eines der vier Hubpodien. Vor ihm liegt der leere
Zuschauerraum; “1175 Sitzplätze, die jeden Tag gereinigt und gepflegt werden“,
erzählt er. In ihm läuft jetzt ein Film ab: Ausverkauftes Haus, ein begeistert
applaudierendes Publikum. Er strahlt. So schnell geht er nicht in Pension
Solang es geht bin ich dabei, solang ich dem Hause dienen kann, ist es okay.
Wir müssen halt momentan ein bissl mit unserm kleinen Finanzdebakel wieder auf
die Sparschiene kommen. Da ist unsere neue Intendantin Karin Bergmann genau die
richtige (ATMO Funk). Alle stehen hinter ihr. Wir müssen halt jede Ausgabe prüfen,
ob sie halt notwendig ist oder nicht; wir suchen durch größere Einkäufe auch bessere
Rabatte zu bekommen.
“Wir befinden uns auf Narrenfahrt in die Innereien des Hauses“, flüstert der
technische Leiter.
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Alles dreht sich, alles bewegt sich. Wie wir so seinerzeit einmal im Wurstlprater bei
uns gesagt haben: Die Narren bewegen sich nach allen Richtungen. Aber im Prinzip
ist das eine linke Drehung mit dem ganzen Drehzylinder.
An Ernst Meisls Wiege stand wohl die gute Theaterfee. Das Burgtheater ist sein
Schicksal; so nach dem Motto: Wir sind Burgtheater.
Ja, so ist das dann von ganz klein an gewachsen. Dann steht man halt dazu. Auch
zu den schlechten Zeiten wie’s jetzt passiert sind, versuchen wir alles mögliche zu
unternehmen um dem Haus wieder einen guten Ruf zu geben, damit wir den
Zuschauern so viele schöne Aufführungen zeigen können wie in der Vergangenheit
auch.
Es geht wieder aufwärts; mit Höchstgeschwindigkeit: 0,5 Meter pro Sekunde.
Da tut sich schon was. Drum immer Sicherheit an oberster Stelle damit nichts
passiert !
Ernst Meisl hat in seinem Theaterleben mit vielen berühmten Regisseuren
gearbeitet. Für sie steigt er mit der Taschenlampe bis aufs Burgtheaterdach, um ein
störendes Geräusch zu orten. Theaterstücke schaut er sich vier, fünf Mal an, ob nicht
doch noch ein kleiner technischer Fehler zu entdecken ist.
Für das sind wir auch berühmt am Burgtheater. Wenn der Regisseur sagt, er will das
haben , dann setzen wir alle Hebel in Bewegung um so nah als möglich an das
heranzukommen, dass der Regisseur seine Intention an das Publikum weitergeben
kann.
Die Drehzylinderbühne funktioniert wieder ohne Störgeräusch. Ernst Meisl steht
mitten im Bühnenbild von Karl Kraus “Die letzten Tage der Menschheit”. Vier
fahrbare Türme aus Metall, zwei beleuchtbare Treppenteile; “es muss nicht immer
ein Riesenaufwand sein“, erklärt er ernst. Auf der fast nackten Bühne vor leerem
Zuschauersaal hält er sein Plädoyer für das Burgtheater.
Das einzige was Gehalt hat ist Theater, das sind die Klassiker, das sind die Neuen,
und das sind die die auch zählen. Ich wünsch mir, dass das Burgtheater immer
wieder erstrahlt im Glanz, die Leute die dagegen sprechen endlich zur Einsicht
kommen, dass es was tolles und schönes ist, was die Menschen erfreut. Und dass
man da nicht wegen jedem Groschen hin und her - ich würde sagen, wenn man jetzt
die momentane Situation bereinigt und sagt, wir fangen neu dann, das würd ich mir
sehr wünschen.
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Meine Liebe, mir ist es völlig gleichgültig, wer der neue Mann ist, der ins Haus
kommt, sagte der Burgschauspieler. Ihm sei das immer gleich gewesen, er habe
zehn oder elf Burgtheaterdirektoren überlebt, sagte der Burgschauspieler, alle sind
sie verschwunden, kein Mensch erinnere sich heute überhaupt noch an die Namen
diese Leute; sie werden von einem Minister eingesetzt, der keine Ahnung vom
Theater hat, nur seinem politischen Instinkt folgt und arbeiten ein Jahr lang und
werden abgesägt, so drückte sich der Burgschauspieler, auf einmal wieder in eine
Erregung hineingekommen, aus. Der Minister bestellt irgendeinen, von dem er
glaubt, der sei ihm von allen der nützlichste, natürlich immer nur aus politischen
Gründen, niemals aus künstlerischen, so der Burgschauspieler, und kaum hat dieser
neue Mann seinen Vertrag unterschrieben, wird er angefeindet und es wird alles
daran gesetzt, dass er sobald als möglich wieder verschwindet.
Die Burgtheaterdirektormacher werden, sobald sie ihr Ziel erreicht haben und der
neue Burgtheaterdirektor seinen Vertrag unterschrieben hat, sagte der
Burgschauspieler, augenblicklich zu Burgtheaterdirektorenvernichtern. Es hat immer
Lieblingsburgschauspieler gegeben, meine Liebe, sagte der Burgschauspieler, aber
niemals einen Lieblingsburgtheaterdirektor.
Als der Burgschauspieler Gert Voss im Juli starb, trauerte die Wiener Theaterszene.
Und erwies ihm ihre letzte Ehre mit einem Ritual. Denn auch der Tod folgt an der
Burg einer traditionellen Inszenierung: begleitet von einem Trauerzug wird der Sarg
des verstorbenen Ensemblemitglieds einmal um das Theater getragen. Dass bei der
anschließenden Zeremonie nur Ehrengäste teilnehmen dürfen, enttäuschte auch
dieses Mal viele, die draußenbleiben mussten. Auch für das Publikum sind ihre
Schauspieler schon immer etwas ganz Besonderes gewesen. Wohl weil sie schon zu
monarchistischen Zeiten die Stände zusammenbrachten, Adel und Bürgertum. Und
daher wesentlich daran beteiligt waren, dass nach der Gründung der Republik
Österreich die verschiedenen gesellschaftlichen Schichten zu einer Kulturnation
zusammenwachsen konnten. Die Burg als Ort der Identitätsfindung.
Die Zeiten, als das sogenannte Vorhangverbot den Ensemblemitgliedern untersagte,
sich nach der Vorstellung zu verbeugen, sind zwar vorbei. Doch auf einer der
Bühnen des Theaters zu stehen ist immer noch etwas Besonderes. Auch für die
ganz kleinen.
Auf der Probebühne des Burgtheaters wird heute eine Szene von “Dantons Tod”
eingerichtet. Sie liegt im ehemaligen k&k-Artellerie-Arsenal, ein militärischer
Gebäudekomplex aus rotem Backstein.
Komparserieleiter Wolfgang Janich hat sechzig Kinder auf seiner Liste, die er zu
Kostümprobe und Fototermin geladen hat. Er steht an der Eingangstüre und
empfängt die Kinder, meist mit ihren Müttern; ein braungebrannter Mann mit
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weißmeliertem Haar. Das Hemd trägt er lässig über der Jeans.
Also jetzt folgendes: Es ist ein Fototermin und ihr bekommt alle Kostüme, ihr werdet
geschminkt und frisiert und um 15 Uhr wird fotografiert.
Die zwölfjährige Mara ist ein wenig aufgeregt.
Mara: Ich muss mit den anderen 59 Kindern das Volk spielen. Das kleine Volk. Ich
weiss nur dass ich ein oder mehrere Lieder singen muss.
Mutter: Also die Zukunft des Landes wird von den Kindern dargestellt. Kommt
natürlich auch billiger wie 40 erwachsene Komparsen.
Ein Kinderchor, der die Marseillaise singt, ist fester Bestandteil in “Dantons Tod”.
Wolfgang Janich erinnert sich, dass früher in dem Büchner-Stück viel mehr
erwachsene Komparsen auf der Bühne standen.
Seit dem Beginn der Ära Claus Peymann 1985 ist Wolfgang Janich Leiter der
Komparserie. Dabei wollte dieser die Abteilung abschaffen - so wird es kolportiert.
Er immer gesagt, bei ihm gibt’s keine Komparserie. Das hat nicht gestimmt, aber das
Wort Komparserie hats nicht gegeben. Er hat alle als Mitspieler betrachtet und zum
Teil hat er seine Schauspieler eingesetzt für stumme Auftritte. Er hat das Wort
Komparserie überhaupt nie in den Mund genommen.
Übrigens: Komparsen sind keine Statisten.
Die Statisterie das sind die, wie der Name schon sagt, die nur im Hintergrund
herumstehen mit der Lanze in der Hand. Das gibt’s vielleicht noch in der Oper, bei
uns nicht. Die müssen auch alle mitspielen. Manchmal sind sie so integriert, dass sie
schon Kleindarsteller sind.
Wolfgang Janich spricht nicht gern über sich selbst. Seine Ausbildung? Keine
Auskunft. Er ist ein zurückhaltender Mensch. Im Schnitt 80 bis 140 Komparsen
monatlich hat er in der vergangenen Spielzeit betreut. Was zählt ist die Arbeit. Er
dokumentiert Bewerbungen mit Foto und Lebenslauf, sondiert, schlägt vor, macht
Ausschreibungen. Er betreut die Komparsen bei der Probe, kontrolliert dass keiner
ausfällt. Bei jeder Aufführung ist er im Hintergrund, achtet, dass sie während der
Vorstellungen auf den Gängen nicht zu laut sind, beruhigt aufgeregte Gemüter und
schaut, dass die Komparsen am Ende des Monats ihr Honorar bekommen.
Das ist ganz verschieden. Das fängt an pro Vorstellung bei ungefähr 20 Euro und
kann auch mal 100 Euro sein; das sind aber dann schon kleine Sprechrollen. Das
war bis jetzt. Jetzt weiß ich nicht in der neuen finanziellen Situation wie es mit den
Honoraren weitergeht, muss man mal sehen, ja.
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Die Komparsen sind meisten Studenten, Schauspielschüler und Pensionisten.
Und dann hör ich immer wieder bei den älteren Herrschaften, ach, da ist die Wessely
gestanden und der Hörbiger und der Quadflieg und da sind die ganz ergriffen…So
jetzt geht’s weiter
Zwei Jungens sind angekommen, Herwig und Gerald. Neugierig trippeln sie hin und
her.
Also ihr geht jetzt ins Aquarium, da sagt die Kostümassistentin wies weiter geht.
Im Aquarium - ein Raum mit vielen Glasfenstern - probiert ein Mädchen gerade eine
zerfetzte Stoffhose mit Hosenlatz an.
Ich find das sehr cool(lacht),schaut lustig aus. Ich glaub ich bin so ein Mensch aus
dem Volk, also auf jeden Fall nicht reich. Aber sie passt, das ist ja wichtig…
Im Vorraum der Probebühne ist jetzt voll Betrieb. Wolfgang Janich springt hin und
her. Spontaneität ist gefragt, Kreativität und auch Sensibilität.
Ich glaub, das war Geschichten aus dem Wienerwald, am Beginn der Peymannzeit,
und da wollte der Regisseur hässliche Kinder haben. Ist schwierig, wie sucht man
hässliche Kinder. Und ich hab damals einen Komparserieleiter vom Film gekannt und
der hat viele Leute in der Kartei gehabt. Und der hat mir dann unter
Anführungszeichen -was ist hässlich, was ist schön bei Kindern - hat mir dann
hässliche Kinder geschickt und eine war wirklich a bissel …
Wolfgang Janich ist der Mann, der jeden Regiewunsch erfüllen muss:
Den dicksten Mann der Welt, die größte Frau der Welt, klapprige Geister,
Blasmusiker mit aufgequollenen knolligen Gesichtern. Unter drei
Burgtheaterdirektoren hat er gearbeitet; mal wurde mehr, mal weniger Komparserie
gefordert.
Und jetzt glaub i aus finanziellen Gründen wird’s ein bisschen dünner werden. Bei
Lear hätten 100 Komparsen auftreten sollen, werden genannt, diese 100
Gefolgsleute, und das waren dann nur 50 und da war auch ein Probenlimit dann, das
durfte eine bestimmte Anzahl von Proben nicht überschreiten. So jetzt geht’s
weiter…
Es soll nicht mehr lange dauern, bis das Burgtheater wieder eine berufene Leitung
hat: Gespräche mit möglichen Nachfolgern laufen seit Wochen, die Gerüchteküche
schmort. Noch in diesem Monat will Österreichs Kunst- und Kulturminister Josef
Ostermayer den Namen des Burgtheaterdirektors verkünden. Oder der Direktorin.
Denn auch Karin Bergmann hat Interesse bekundet. Nach dem plötzlichen Rauswurf
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von Matthias Hartmann im März ist sie gerne eingesprungen und soll noch bis zum
31. Juli 2016 nicht nur die künstlerische Leitung innehaben. Sondern auch die
Finanzen in den Griff bekommen. 22 Millionen Euro Bilanzverlust für die
vorvergangene Spielzeit – diese Summe nannte die Bundestheater-HoldingGeschäftsführung bei ihrem letzten Geschäftsbericht im Mai.
Die Interimsdirektorin will bereits in der laufenden Spielzeit vier Millionen Euro
einsparen, davon mehr als eine Million im Personalbereich. Und zugleich arbeitet sie
daran, sich einreihen zu können in die Ahnengalerie der Burgtheaterdirektoren.
Karin Bergmann sucht Claus Peymann; er war der provokanteste
Burgtheaterdirektor, den das österreichische Nationaltheater je hatte. Flott steigt sie
die Stufen hoch bis in die höchsten Ränge; eine attraktive Erscheinung in Cordjeans
und langer Strickjacke. Ihre 61 Jahre sieht man ihr kaum an.
Ich muss mir manchmal sagen, Bergmann, du gehörst hier eigentlich zu den
Senioren, aber Gott sei dank in der Arbeit fühlt man das nicht…
Vorbei geht es an den Porträts der großen Schauspielstars Paula Wessely, Josef
Meinrad; an dem erst kürzlich verstorbenen Gert Voss: Die Ehrengalerie mit den
Künstlerporträts der Schauspieler und Burgtheaterdirektoren zieht sich über drei
Etagen.
Und hier haben wir Claus Peymann, ein wunderbares Theaterbild von der Xenia
Hausner.
Da schaut er frech von der Leinwand, fixiert mit farbigen Pinselstrichen.
In Bochum war Karin Bergmann Peymanns Direktionsassistentin gewesen; dann
sieben Jahre lang seine Pressesprecherin an der Burg.
Das waren sehr turbulente Zeiten. Das war 1986, und ich sag immer Claus Peymann
hat hier am Burgtheater den Lichtschalter angeknipst.Und das ist natürlich auch
sinnbildlich zu verstehen, er hat die Türen geöffnet, ab dann gab es auch schon im
Vorverkauf Karten für Schüler, Lehrlinge und Studenten und es kamen neue
Autoren. Und für mich in der Position Pressesprecherin wars natürlich ein Stahlbad.
Viele Jahre blieb sie treu an seiner Seite, dann hat sie ihn verlassen, weil sie, sagt
sie,“ nicht mehr hundertprozentig an seine Theaterarbeit glauben konnte“.
Ich bin immer jemand der für ganz klare Dinge ist . Dann sag ich nicht, ich machs
halt nur halbherzig und bleib, sondern dann trenn ich mich.
Sie wechselte zum Musiktheater und kehrte mit Peymanns Nachfolger Klaus Bachler
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1999 an die Burg zurück - als stellvertretende Direktorin; und blieb auch noch die
erste Spielzeit 2009/10 als Stellvertreterin des neuen Burgtheaterdirektors Matthias
Hartmann. Dann zog sie sich vom Theater zurück. Zu sehr sei sie schon gewohnt
gewesen, selbständig zu arbeiten, kommentiert sie leicht ironisch ihren Abgang. Im
März 2014, nach der fristlosen Entlassung von Matthias Hartmann, nahm sie den
Rückruf - oder Notruf - von Kulturminister Ostermayer an und kehrte an die
krisengeschüttelte Burg zurück; diesmal an die Spitze.
Ich bin ja auch nur deswegen hier, weil in der Zeit, als eine interimistische Leitung
gesucht wurde, mich ungefähr 30,40 Menschen hier im Haus auf unterschiedlichste
Weise kontaktiert haben und gesagt haben, Karin komm hierher und krempel die
Ärmel hoch. Die Krise war nicht nur dadurch bedingt, dass zwei Menschen hier
einige Jahre Misswirtschaft betrieben haben. Sondern die Krise, in die das
Burgtheater geraten ist, war natürlich eine strukturelle, die man aber nicht richtig
behandelt hat, sondern weiter so getan hat als ob man aus dem vollen schöpfen
könnte. Und das hatte natürlich nicht nur mit finanziellen Dingen zu tun, sondern es
gab auch große Vertrauens- und Kommunikationsprobleme.
Karin Bergmann konzentriert sich ganz auf das Gegenüber. Sachlich kommunizieren,
das kann sie. Von Anfang an hat sie sich ihren Weg selbst erkämpft. Aufgewachsen
ist sie in einer Bergarbeiterfamilie in Recklinghausen.
Ich komme aus einem Haushalt ohne Musik, ohne Bücher, und meine ersten
Begegnungen mit Literatur und vor allem Theater, das war für mich Überlebensmittel.
Als junges Mädchen hat sie Tschechow und Strindberg gelesen; sich jede
Vorstellung bei den Ruhrfestspielen angeschaut und dort - egal für welchen Job beworben; leider erfolglos. Mit Sechzehn flog sie von der Schule; später machte sie
das Abitur nach. Dann las sie Peymanns Inserat, der eine Direktionsassistentin
suchte. Unter vierzig Bewerbern wurde sie ausgesucht.
Karin Bergmann “ist dem Haus verfallen”, wie sie lachend einräumt. So viele Jahre
kennt sie das Burgtheater; und spaziert immer noch begeistert durch die
verwinkelten Gänge, bleibt bewundernd vor dem Porträt von Gerhard Klingenberg
stehen. Als Burgtheaterdirektor hat er Mitte der Siebziger Jahre das Haus erstmals
für internationale Regisseure wie bspw. Giorgio Strehler geöffnet hat. Apropos
Nationalheiligtum Burgtheater: Worin besteht die kulturelle und identitätsstiftende
Rolle der Burg heute?
Ich finde in der jetzigen Zeit ist besonders attraktiv daran zu erinnern, dass dieses
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Theater entstanden ist, als das Habsburgerreich noch ein Riesenreich war und aus
vielen Ländern bestand. Das Burgtheater hat die Chance, in der Mitte von
Südosteuropa ein Zentrum zu sein und mit den ganzen Nachbarländern, mit Ungarn,
mit Slowenien, mit Tschechien einfach wieder ein Zentrum zu werden. Und so sehe
ich Nationaltheater.
Karin Bergmann lässt sich von Finanzskandalen und juristischen Streitereien, die
den Ruf des Hauses bis in seine Grundfesten erschüttern, nicht entmutigen. Auch
wenn Kritiker von Luxusverwahrlosung sprechen, die Interimsdirektorin setzt auf
Teamgeist und sieht durch die erprobte Bergmann-Brille.
Bei mir gibt es keine sogenannte Intendantenproduktion, d.h. der hat alles und
andere haben vielleicht weniger Ressourcen, sondern die Produktionen haben für
mich die gleiche Bedeutung. Und die Leadingteams, die hier arbeiten, sind für mich
gleich wichtig. Aber es sollte nicht hierarchisch orientiert sein nach dem Motto: Es
gibt A.B, und C-Produktionen.
Ihre Interims-Direktionszeit an der Burg nennt sie die “Bergmannschaft”. “Ich war
immer ein starker Zweiter“, erklärt sie beharrlich. Wie wäre es mit einer starken
Ersten, nach 240 Jahren Burgtheatergeschichte in männlicher Hand?
Ich würde mir wünschen, dass die Entscheidungsträger das auch richtig finden, dass
eine Frau anstatt an zweiter Stelle an erster Stelle langfristig das Haus leitet. Es ist
eine neue Erfahrung für das Haus und es tut ihm gut.
Dieses Wien ist ja im wahrsten Sinne des Wortes eine Kunstmühle, tatsächlich ist es
die größte Kunstmühle der Welt, in welcher jahraus, jahrein die Künste und die
Künstler zermahlen und zermalmt werden, ganz gleich, was für Künste, ganz gleich,
was für Künstler, die Wiener Kunstmühle zermalmt sie in jedem Fall immer total.
Alles wird von dieser Kunstmühle zermalmt, alles, sagte der Burgschauspieler.
Rettungslos.
Kabale, Hass und Liebe. Das waren Gesichter Europas über das Wiener
Burgtheater. Eine Sendung mit Reportagen von Antonia Kreppel. Die
Literaturpassagen aus dem Text „Holzfällen“ von Thomas Bernhard wurden gelesen
von Thomas Pohn.
Ton und Technik: Wolfgang Rixius und Oliver Dannert.
Im Namen des ganzen Teams verabschiedet sich am Mikrophon Simonetta Dibbern.
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