geodynamik - Goethe

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GEODYNAMIK
von
Harro Schmeling
J. W. Goethe-Universität Frankfurt
Institut für Meteorologie und Geophysik
WS 2004/2005
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Inhalt
1. Einführung
2. Plattentektonik 1, kinematische Grundlagen
2.1 Einleitung
2.2 Kontinentaldrift
2.3 Plattenbewegungen und Paläomagnetismus
2.4 Plattentektonik: Geometrischer Ansatz
2.5 Plattentektonik: Antriebsmechanismen und -kräfte
3. Spannungen
3.1 Der Spannungstensor und seine Komponenten
3.2 Spannungsmessungen
3.3 Spannungen in der Lithosphäre
4. Elastizität
4.1 Dehnungen
4.2 Elastische Zustandsgleichung (Hooke'sches Gesetz)
4.3 Spezielle Spannungs- und Dehnungszustände
4.3.3 Einachsig mit Anwendung: Spannungen nach Erosion, Sedimentation
4.3.2 Ebene Spannungs- und Dehnungszustände
4.3.3 Einfache und Reine Scherung
4.3.4. Weitere Beispiele für einfache Dehnungszustände
4.4. Plattenbiegungen mit Anwendungen (periodische Belastung, Subduktion)
5. Rheologie
5.1 Rheologische Regime (fluid, fest)
5.2 Lineare Fluide (Viskosität)
5.3 Viskoelastizität
5.4 Nicht lineare Rheologie, Potenzkriechen
5.5 Plastizität
5.6 Bruch, Reibungsgleiten
5.7 Rheologie der Lithosphäre
6. Fluiddynamik
6.1 Grundlagen und Grundgleichungen (Stromlinien, Stromfunktion, dimensionslose
Zahlen)
6.2 Strömung in einer Schicht und einem Rohr mit Anwendungen (Asthenosphärenströmung, magmatische Aufstiegsvorgänge)
6.3 Stokes-Strömung um eine Kugel mit Anwendungen
6.4 Rayleigh Taylor Instabilität (Diapirismus)
6.5 Postglaziale Ausgleichsströmungen
7. Wärmetransportprozesse
7.1 Konduktiver Wärmefluss
7.2 Analytische Lösungen (Periodische und plötzliche Erwärmung eines Halbraumes, das
Wurzel-t Gesetz
7.3 Thermische Konvektion, Mantelkonvektion
8. Plattentektonik 2: Dynamik der Platten
8.1 Struktur der Plattenränder (Spreading, Subduktionszonen)
8.2 Antriebsmechanismen der Platten
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Literatur
Brown, G. C., C. J. Hawkesworth, R. C. L. Wilson (eds),1992: Understanding the Earth
Cambridge Press
Davies, G., 1999: Dynamic Earth, Plates Plumes and Mantle convection Cambridge University
Press
Fowler, C.M.R., 1990. The Solid Earth. An Introduction to Global Geophysics. Cambridge
University Press, Cambridge.
Gubbins, D., 1990. Seismology and plate tectonics. Cambridge University Press. Cambridge.
Kearey, P., F. J. Vine, 1990. Global Tectonics. Blackwell Scientific Publications. Oxford.
Lliboutry, L., 1999: Quantitative geophysics and geology. Springer
Press, Siever, 1994 Understanding Earth, Freeman and Co., New York
Ranalli, G., 1987. Rheology of the Earth. Allen & Unwin, Boston.
Schubert, G., Turcotte, D. L. P. Olson, 2001: Mantle convection in the earth and planets,
Cambridge University Press.
Stacey, F.D., 1977. Physics of the Earth, J.Wiley & Sons, New York
Turcotte, D. L., G. Schubert, 2002. Geodynamics. Cambridge University Press
1. Einführung
Wie lässt sich der Begriff Geodynamik in die Geophysik einordnen? Von der Definition her
beschäftigt sich die Dynamik (gr. dýnamis = Kraft) mit den Bewegungsvorgängen von Körpern,
die auf den Einfluss von Kräften zurückzuführen sind. Im weiteren Sinnen wäre somit die
Seismologie ein Teilgebiet der Geodynamik, da seismische Wellen und Erdbeben
Bewegungsvorgänge sind, die durch mechanische Kräfte hervorgerufen werden. Häufig werden
auch Teilbereiche der Lehre von der Figur der Erde oder der Geodäsie als Geodynamik
bezeichnet, soweit sie zusätzlich zur geometrischen Beschreibung der Erdfigur auch die sie
deformierenden Kräfte berücksichtigen.
Als Geodynamik im engeren Sinne wollen wir die Anwendungen der Kontinuum-Mechanik
auf das Erdinnere bezeichnen. Die zu untersuchenden Bewegungsvorgänge seien in erster Linie
großräumige langzeitige Deformationsprozesse wie Kontinentaldrift und tektonische Vorgänge.
Der Zusammenhang zwischen den Kräften und den Bewegungen wird durch das
Materialverhalten der Erdmaterie hergestellt. Die Lehre hiervon wird als Rheologie bezeichnet
und ist daher auch ein Teilgebiet der Geodynamik. Schließlich beschäftig sich die Geodynamik
noch mit den Ursachen der betrachteten Kräfte und ihren Energiequellen. Hier spielt die Wärmeabgabe der Erde eine Schlüsselrolle. Daher wollen wir Geothermik auch als ein Teilgebiet der
Geodynamik auffassen.
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Entsprechend diesen Vorgaben ist die Vorlesung "Geodynamik" in die Teile Plattentektonik,
Rheologie, Fluiddynamik und Wärmetransportprozesse aufgeteilt.
2. Plattentektonik
2.1 Einleitung, Geschichtlicher Überblick
Die Plattentektonik ist ein Modell, in dem die feste, äußere Schale der Erde, die Lithosphäre, in
eine Zahl von starren Platten unterteilt wird, die sich relativ zueinander bewegen. Die
Relativbewegungen betragen einige cm pro Jahr. Die Deformationen sind im wesentlichen auf
Abb. 2.1
Abb. 2.2
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die Plattenränder beschränkt, während das Platteninnere in erster Näherung deformationsfrei
bleibt. Ein Großteil der durch die Relativbewegungen auftretenden Deformationen findet in
Form von Erdbeben an den Plattenrändern statt. Eine Weltkarte über die Lokationen großer
Erdbeben (Abb. 2.1) gibt daher direkten Aufschluss über die Verteilung der Plattenränder. Abb.
2.2 gibt die heute angenommene Verteilung der Platten wieder.
Man unterscheidet zwischen verschiedenen Arten von Plattenrändern.
- An mittel-ozeanischen Rücken werden Platten permanent durch das sogenannte "sea floor
spreading" (Ozeanbodenspreizung) neu gebildet. Die jeweils aneinander grenzenden
Platten divergieren an diesen Plattenrändern. Das dadurch hervorgerufene Massendefizit
wird durch aufströmendes Mantelmaterial permanent aufgefüllt (siehe auch Schnittbild
Ann 2.2). Unter Mantelbedingungen ist das Material so weich, dass es sich über lange
Zeiträume hin deformieren und somit strömen kann. Kommt es in die Nähe der
Oberfläche, so kühlt es sich ab, wird dadurch fester und lagert sich an der vom
ozeanischen Rücken fortbewegenden Lithosphäre an. Durch Aufschmelzprozesse bei
Aufströmen wird basaltische Schmelze frei, die dann die neue ozeanische Kruste bildet.
Ozeanische Rücken werden mitunter auch als "accreting plate boundaries" (AnwachsPlattenränder) oder divergente Plattenränder bezeichnet. Sie sind in Abb. 2.2 als
Doppellinien dargestellt.
- Da die Erdoberfläche im wesentlichen konstant bleibt, müssen auf Grund der
Massenerhaltung Lithosphärenplatten an anderen Plattenrändern verschwinden. An
diesen sogenannten konvergenten oder destruktiven Plattenrändern bewegen sich die
Platten aufeinander zu. Die meisten konvergenten Plattengrenzen werden durch
Ozeangräben gebildet. Dort treffen zwei Platten aufeinander, von denen die eine nach
Ab. 2.3
unten verbogen wird und in einer sogenannten Subduktionszone unter die andere in den
Mantel hinein abtaucht. Die abtauchende Platte sinkt häufig bis in Tiefen von 700 km
oder mehr ab. Die abtauchende Platte wird von der überschiebenden Platte durch große
Verwerfungen getrennt. Diese sind die Orte der stärksten auf der Erde auftretenden
Beben (Chile 1960, Alaska, 1964). Jedoch auch im noch kalten und daher spröden
Bereich der abtauchenden Platte finden Erdbeben statt. Eine solche Zone von Beben in
einer Abtauchzone wird Benioff Zone genannt (Abb. 2.3). Fast alle Ozeangräben weisen
Linien von Vulkanketten auf. Diese liegen ungefähr dort, wo die Platte eine Abtauchtiefe
von 150 km erreicht hat. Diese Kette bilden dann die sogenannten Inselbögen. Wenn ein
konvergenter Plattenrand zwischen zwei kontinentalen Plattenbereichen liegt, so bildet
sich eine mit Gebirgsbildung verbundene Kollisionszone. In Abb. 2.2 sind konvergente
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-
Plattenränder durch Dreiecke dargestellt, wobei die Dreiecke in Richtung der
abtauchenden Platte zeigt.
An konservativen Plattenrändern wird weder eine Platte gebildet, noch zerstört. Hier
bewegen sich die Platten lateral längs der sogenannten Transform Störungen aneinander
vorbei (z.B. die San Andreas Verwerfung).
Die Erdkruste lässt sich in ozeanische und kontinentale Regionen unterteilen. Während die
Ozeane eine mittlere Tiefe von 5 km haben, liegt die kontinentale Oberfläche oberhalb des
Meeresspiegels. Dies ist auf die unterschiedliche Dicke der ozeanischen und kontinentalen
Krusten zurückzuführen. Kruste ist chemisch unterschiedlich vom Mantel, und hat eine geringere
Dichte als der Mantel. Krustenmaterial ist daher gravitativ stabil auf dem Mantel gelagert. Nun
ist die ozeanische Kruste mit 6 - 8 km jedoch so dünn, dass sie die Subduktion der kalten
Lithosphäre nicht verhindern kann. Sie wird mit subduziert. Dies führt dazu, dass durch
Plattentektonik ozeanische Kruste immer neu gebildet wird und verschwindet, sozusagen
recycled wird. Ein Zyklus dauert ungefähr 108 Jahre. Die im Mittel 35 km dicke kontinentale
Kruste erzeugt dagegen einen so großen Auftrieb, dass sie nicht subduziert wird. Kontinente
haben daher ein mittleres Alter von 109 Jahren. Sie werden im durch die sich bewegenden
Lithosphärenplatten mitgenommen. Diese Relativbewegung zwischen den Kontinenten wird als
Kontinentaldrift bezeichnet.
Geschichte der Kontinentaldrift und Plattentektonik.
Der wohl offensichtlichste und daher geschichtlich am frühesten erkannte Hinweis auf
Kontinentaldrift und Plattentektonik dürfte die Ähnlichkeit zwischen der Ostküste Südamerikas
und der Westküste Afrikas sein. Häufig wird diese Beobachtung als erstem Sir Francis Bacon
aus dem Jahre 1620 (Novum Organum) zugeschrieben. Nach Keary und Vine (1990) bezog sich
Bacon jedoch auf die beiden Westküsten, also die atlantische von Afrika und die pazifische von
Südamerika, und beschrieb die ähnliche Form von Afrika und Südamerika. Der vielleicht erste,
der die Ähnlichkeit der beiden atlantischen Küsten beschrieb und die Möglichkeit erwog, dass
sie ursprüngliche nahe beieinander lagen, war wohl Theodor Christoph Lilienthal, Professor für
Theologie in Königsberg (1756). Er brachte das Aufbrechen mit einer biblischen Katastrophe in
Verbindung. 1801 und 1845 beschrieb Alexander von Humboldt die geometrische und
geologische Ähnlichkeit der Küsten Amerikas und Afrikas. Er spekulierte, dass der Atlantik
durch einen katastrophalen Strom ausgewaschen wurde. Im Unterschied hierzu postulierte der
Abb. 2.4
7
Amerikaner Antonio Snider-Pellegrini dass im Verlauf mehrerer Katastrophen Amerika und
Afrika auseinandergedriftet waren, und der Zwischenraum überflutet wurde. Er war wohl der
erste, der eine Rekonstruktion vor dem Auseinanderdriften versuchte (Abb. 2.4).
Um die Jahrhundertwende (Oswald Fisher, 1882, Pickering, 1907) wurde das
Auseinanderdriften der amerikanischen und afrikanischen Kontinente mit der Entstehung des
Mondes aus dem Pazifik in Zusammenhang gebracht. Zu dem Zeitpunkt war der Zusammenhang
beider Kontinente bis in die Kreide noch nicht bekannt.
Anfang des 20. Jahrhunderts begann man, das Aktualitätsprinzip auf das Driften der
Kontinente anzuwenden, d.h., Prozesse, die heute wirken, haben auch in der Vergangenheit
gewirkt und so zur heutigen Erscheinungsform der Kontinente geführt. So nahmen Taylor (1910)
und Alfred Wegener (1912) an, dass Kontinentaldrift auch heute noch wirksam ist. Taylor erklärt
mit der Drift die Bildung tertiärer Gebirgsgürtel.
Als Pionier der Kontinentaldrift gilt Alfred Wegener, der ein Meteorologe, Astronom,
Geophysiker und Amateur-Ballonflieger war. Er nimmt an, dass die Kontinente - 100 km dicke
Schichten aus festem "Sial" (Silizium, Aluminium, hauptsächlich Gneis und Granit) - auf einem
dichteren, weicheren "Sima" (Silizium, Magnesium, basische Gesteine, Basalte) schwimmen. Er
nahm an, dass das Sima duktil (fließfähig) unter geologischen Zeiten ist, auch an der Oberfläche.
Als Argument führte er den relativ glatten Ozeanboden an. Um die Mittelozeanischen Rücken zu
erklären, argumentierte er 1912, die Höhenunterschiede zwischen den Rücken und normalem
Ozeanboden würden durch Temperaturunterschiede hervorgerufen: "Diese (die
Niveauunterschiede) scheinen es auch nahe zu legen, die mittelatlantische Bodenschwelle als
diejenige Zone zu betrachten, in welcher bei der noch immer fortschreitenden Erweiterung des
Atlantischen Ozeans der Boden desselben fortwährend aufreißt und frischem, relativ flüssigem
und hochtemperiertem Sima aus der Tiefe Platz macht" (zitiert nach Gebrande, 1975). Dies ist
exakt das Konzept des sea floor spreading. In Wegeners späteren Editionen wird diese Idee
jedoch nicht mehr erwähnt, da sie in Wegeners Konzept der im Sima schwimmenden Kontinente
keine Rolle spielt.
Wegeners Konzept der Kontinentaldrift war in der Lage, eine ganze Reihe von bisher nicht
verstandenen Beobachtungen zu erklären:
- Hypsometrische Kurven. Diese Kurven stellen dar, wie viel Prozent der Erdoberfläche eine
geographische Höhe unterhalb eines bestimmten Wertes haben,
- Isostasie: Kontinente unterschiedlicher Dicke ragen nach den gesetzten der Isostasie unterschiedlich hoch aus dem Sima-Ozean heraus,
- ähnliche Faltengebirge beidseitig des Atlantiks, Gebirgsbildung (Himalaja),
- Ozeanboden-Topographie nahe Neu Guinea und Südamerika und Antarktika. Strukturen
sollen hervorgerufen sein durch die driftenden Schollen im Sima,
- Verteilung der Fauna und Flora zu früheren Zeiten (Glossopteris Farne), Wegeners Arbeiten
über Verteilung von Fossilien auf den verschiedenen Kontinenten wird heute noch als
wichtiger Schlüssel zur Kontinentaldrift benutzt,
- Vereisungen auf der südlichen Hemisphäre während des Perms und Karbons,
- frühere äquatoriale Bedingungen in heute gemäßigten Breiten.
Das hieraus resultierende Bild driftender Kontinente ist in Abb. 2.5 dargestellt.
Als Antriebskräfte für die Kontinentaldrift schlägt Wegener Gezeiten- und Polfluchtkräfte vor
(letztere sind Zentripetalkräfte durch die Erdrotation, die auf die aus dem Sima herausragenden
Kontinente wirken), findet aber auch selbst später, dass diese zu klein sind (sie könnten
höchstens 20 - 30 m hohe Gebirge auftürmen). Weiterhin weisen Wegeners Arbeiten im Detail
eine Reihe von Unstimmigkeiten auf. So schätzt er z.B. die Driftgeschwindigkeiten aus
geodätischen Daten um eine Größenordnung zu hoch ab. Aus solchen Gründen wurde seine
Theorie als Ganzes größtenteils abgelehnt in den 20er Jahren.
8
Abb. 2.5
Vom heutigen Standpunkt aus unterscheidet sich Wegeners Theorie in folgenden wichtigen
Punkten von der Plattentektonik:
- In Wegeners Theorie driften nur die Kontinente, nicht die gesamte Platte mit eingebetteten
Abb. 2.6
9
Kontinenten.
- Wegeners Annahmen über die oberflächennahen Viskositäten des Ozeanbodens sind zu
niedrig.
- Wegeners Antriebskräfte sind unzureichend, er erkannte nicht das große Wärmereservoir, das
die Plattentektonik antreibt. Mantelkonvektion als Antriebskraft für Kontinentaldrift
wurde von Holmes ab 1929 vorgeschlagen (Abb. 2.6). Als Energiequelle schlägt er
radioaktive Erwärmung vor. Holmes' Vorstellung von Mantelkonvektion unterscheidet
sich jedoch noch beträchtlich vom modernen Bild.
Bis in die 50er Jahre geschah wenig auf dem Gebiet der Kontinentaldrift. Erst dann waren
paläomagnetische Methoden genügend entwickelt, um primäre Magnetisierungen von Gesteinen
zu bestimmen. K. Runcorn und seine Mitarbeiter konnten anhand paläomagnetischer
Polarisierungsrichtungen von Gesteinen unterschiedlicher Kontinente zeigen, dass sich die
Kontinente relativ zueinander und zum Erdmagnetfeld bewegt haben. In den sechziger Jahren
schließlich erkannte man anhand von Magnetisierungen des Ozeanbodens, dass dieser sich
permanent neu bildet an den mittelozeanischen Rücken, und von diesen dann auseinanderdriftet.
Je nach Polarisierungsrichtung des Erdmagnetfeldes wird diese Richtung beim Erkalten des
Ozeanbodens eingefroren und ist messbar. Der Prozess des "sea floor spreading" wurde geprägt
(Dietz, Hess). Während Dietz noch nicht erkannte, wo die sich bildende ozeanische Platte
verbleibt, nahm Hess ein Abströmen an Ozeangräben an; diese Idee wurde dann 1963 von Vine
und Matthews quantifiziert und durch Erdbebenverteilungen nachgewiesen. Hiermit war das
moderne Konzept der Plattentektonik vollständig.
2.2 Kontinentaldrift
In diesem Kapitel sollen die geometrischen, geologischen, paläoklimatologischen,
paläontologischen und paläomagnetischen Hinweise aufgeführt werden, die die Kontinentaldrift
belegen, und die zur Rekonstruktion der Kontinente benutzt werden.
Geometrische Rekonstruktionen
Nach dem Euler Theorem lässt sich eine beliebige Verschiebung und Rotation eines
Kugelschalenstückes auf einer Kugel durch eine einzige Rotation um eine geeignet orientierte
Rotationsachse beschreiben. Hieraus folgt, dass man die Verschiebung eines Kontinentes auf der
Erde durch genau zwei Größen beschreiben kann, nämlich den Rotationspol und den Winkel um
diese Achse (nicht zu verwechseln mit der geographischen Polachse).
Um die frühere Lage von Kontinenten zu rekonstruieren,
kann man einen Globus konstruieren und die Kontinente manuell verschieben. Üblicherweise
führt man die Rekonstruktion jedoch auf dem Computer durch. Hierzu nimmt man jeweils für
ein Paar von Kontinenten eine große Anzahl von verschiednen Rotationspolen an und bestimmt
jeweils die Rotationswinkel, die zu einem Minimum an Überlappungen oder Lücken führen
(genaugenommen hält man einen Kontinent fest und verschiebt den anderen dann relativ zu dem
einen). Als anzupassende Kontinentalränder nimmt man nicht die Küsten, sondern eine Isobathe
(Linie gleicher Meerestiefe), die die Mitte des Kontinentalabhanges charakterisiert (z.B. die 1000
m Isobathe). Die Güte der Anpassung zweier Kontinente lässt sich durch eine geeignete Größe
quantifizieren (engl. objective function), z.B. dem Quadrat der Überlappungsflächen und
Lücken. Die Werte der objective function werden an den jeweiligen Rotationspolen eingetragen
und in Form einer Isolinienkarte dargestellt. Das Minimum der objective function stellt dann die
beste Näherung der Rotationsachse eines Kontinentes dar.
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Das Ergebnis einer solchen Rekonstruktion des Atlantiks ist in Abb. 2.7 gezeigt. Hier wurden
nacheinander immer Paare von Kontinenten aneinander angepasst. Alle Kontinente wurde als
starr angenommen mit Ausnahme der Iberischen Halbinsel. Diese wurde relativ zu Europa
ebenfalls rotiert. Diese Rotation ist gerechtfertigt, da der Golf von Biscaya ozeanischen Boden
enthält, der bei der Rekonstruktion geschlossen werden muss. Die gezeigt Rekonstruktion
entspricht einem Zustand vor 200 Mio. Jahren. Einige signifikante Überlappungen deuten auf
Abb. 2.7
bestimmte geologische Ursachen hin. So hätte ganz Island zu einer einzigen Überlappung
geführt, Island wurde daher bei der Rekonstruktion ganz fortgelassen. Dies ist sinnvoll, da das
Alter Islands (Tertiär) sehr viel jünger als 200 Mio. Jahre ist. Weitere Überlappungen stellen das
Bahama Plateau und das Nigerdelta dar. Das Bahama Plateau dürfte sich nach der Ozeanbildung
als Korallenriff gebildet haben. Eine Schwierigkeit in dieser Rekonstruktion stellt Mittelamerika
dar. Aus paläomagnetischen Hinweisen nimmt man an, dass sich Zentralamerika ursprünglich im
heutigen Golf von Mexiko befunden hat, und sich im Uhrzeigersinn in seine heutige Position
gedreht hat.
Eine geometrische Rekonstruktion aller Kontinente der südlichen Hemisphäre führt auf einen
Superkontinent, der Gondwanaland genannt wird (Abb. 2.8). Eine Schwierigkeit bei dieser
Rekonstruktion stellt die Position Madagaskars dar. Abb. 2.9 zeigt einige Alternativen.
11
Abb. 2.8
Abb. 2.9
12
Geologische Hinweise auf Kontinentaldrift
Falls die Kontinente entsprechend den eben beschriebenen Rekonstruktionen einmal
zusammengehangen haben, dann sollten sich geologische Strukturen über verschiedene
Kontinente verfolgen lassen. Dies setzt voraus, dass die Riftzonen (Zonen des Auseinanderbrechens) quer durch geologische Strukturen laufen. Dies ist häufig nicht der Fall,
Riftzonen folgen nämlich häufig Schwächezonen. Es gibt jedoch immer noch viele geologische
Strukturen, die beim kontinentalem Aufbrechen durchtrennt wurden.
Bei der Rekonstruktion Pangeas zeigt es sich, dass Gebirgsgürtel, die heute auf verschiedenen
Kontinenten Liegen, früher einen gemeinsamen Gürtel darstellten. Besonders deutliche ist dieser
Zusammenhang zwischen den Nord-Europäischen Kaledoniden und den Nord-Amerikanischen
Appalachen. Auch Sedimente in solchen Gebirgsgürteln können als Hinweise für
Kontinentaldrift benutzt werden. So weist die Abfolge von Korngröße und Zusammensetzung
der Sedimente in den Kaledoniden darauf hin, dass die Ursprungsregionen dieser Sedimente
westlich der heutigen Kaledoniden gelegen haben müssen, also dort, wo jetzt der Atlantik ist.
Anhand der Verteilung von geologischen Provinzen lässt sich ebenfalls der frühere
Zusammenhang verschiedener Kontinente nachweisen. So passen verschiedene präkambrische
Kraton-Provinzen Afrikas und Südamerikas räumlich zusammenpassen. Auch das Auftreten
bestimmter magmatischer Gesteine aus bestimmten geologischen Epochen lässt sich über
Kontinente hinweg verfolgen.
Paläoklimatische Hinweise
Die Verteilung klimatischer Regionen auf der Erde hängt von einer Vielzahl komplexer
Wechselwirkungen
zwischen
verschiedenen
Phänomenen
ab
(Windrichtungen,
Ozeanströmungen, Höhe über dem Meeresspiegel, topographische Barrieren). Solche
Wechselwirkungen lassen sich nur in den wenigsten Fällen für die Vergangenheit rekonstruieren.
Großräumig kann man jedoch davon ausgehen, dass die Breitenabhängigkeit des Klimas, wie wir
sie heute beobachten, auch früher gegolten hat. Hierbei ist lediglich zu berücksichtigen, dass wir
heute in einer zwischeneiszeitlichen Periode leben. Aus paläo-klimatischen Daten lassen sich
Nord-Süd-Verschiebungen der Kontinente ableiten. Einige der wichtigsten paläo-klimatischen
Indikatoren sind:
- Karbonate und Riffablagerungen bilden sich bei Wassertemperaturen zwischen 25 und 30oC,
und sind heute innerhalb 30o des Äquators anzutreffen.
- Evaporite bilden sich unter heißen ariden Bedingungen, wenn Verdunstung gegenüber dem
Zufluss von Meerwasser oder Niederschlag dominiert. Heute in einem Gürtel zwischen
10 - 40o vom Äquator.
- Kohle und Öl bilden sich aus organischen Resten und benötigen warmes feuchtes Klima, wie
es heute nahe dem Äquator bei Breiten unter 30o herrscht.
- Glaziale Ablagerungen finden sich (abgesehen von lokalen Gebirgsregionen) nur in Gebieten
um die Pole mit Breiten höher als 60o.
Solche Indikatoren konnten benutzt werden, um zu zeigen, dass während des Perms und der
Karbons die Gondwanakontinente vergletschert waren, also nahe dem Südpol lagen. Gleichzeitig
wurden in Europa und Ost-USA Kohle und Riffkalke abgelagert, mit anschließendem
Wüstenklima und Evaporitablagerungen, so dass auf eine äquatornahe Lage geschlossen werden
kann.
13
Paläontologische Hinweise
Die Verteilung von Fauna und Flora zu bestimmten geologischen Epochen gibt wertvolle
Hinweise über die damalige Lage und den Zusammenhang der Kontinente. So bilden für Landund Flachwasserlebewesen tiefe Ozeane unüberwindliche Barrieren. Findet man fossile Vertreter
der gleichen Ordnung auf heute auseinandergedrifteten Kontinenten, so kann man deren
ursprünglichen Zusammenhang rekonstruieren.
Paläomagnetismus
Wenn ein Gestein bei seiner Bildung durch das Vorhandensein des Erdmagnetfeldes
magnetisiert wird, kann man aus der Orientierung dieser Magnetisierung die Breite ermitteln, an
der das Gestein gebildet wurde. Stimmt diese Breite nicht mit der heutigen Breite überein, so
deutet dies auf eine Verschiebung des Kontinents hin (unter der Annahme, dass das
Erdmagnetfeld seine Richtung beibehalten hat). Vergleiche der Magnetisierungsrichtungen von
Gesteinen gleichen Alters aus verschiedenen Kontinenten weisen verschiedene Paläo-Breiten
auf. Diese war der erste quantitative Beweis für eine relative Bewegung zwischen den
Kontinenten. Paläomagnetismus ist so wichtig für Kontinentaldrift und Plattentektonik, dass im
ein separates Kapitel gewidmet wird.
2.3. Plattenbewegungen und Paläomagnetismus
Das Magnetfeld der Erde
Das Erdmagnetfeld ist weder konstant im Raum noch in der Zeit. Als erste Approximation kann
das Erdmagnetfeld durch ein Dipolfeld dargestellt werden (Abb. 2.10). Seit ungefähr 500 Jahren
wurde es systematisch vermessen, heute werden in regelmäßigen Abständen Magnetfeldkarten
publiziert als International Geomagnetic Reference Field IGRF. In Abb. 2.11 ist das IGRF für
das Jahr 1980 dargestellt.). Der Unterschied zwischen dem Dipolfeld und dem tatsächlichen Feld
ist in Abb. 2.11b dargestellt. Das Non-Dipolfeld ist an der Erdoberfläche nicht vernachlässigbar
klein gegenüber dem Dipolfeld.
Die Pole des Erdmagnetfeldes fallen nicht
mit denen der Erdrotation überein. Die
Geomagnetischen Pole sind die Punkte, an
denen die Achse des Dipolfeldes, das das
Kern
Erdfeld am besten approximiert, die
Erdoberfläche durchstößt. Sie liegen bei
79oN, 71oW und 79oS, 109oE.
Das Magnetfeld der Erde variiert mit der
Magnetischer
Südpol
Zeit. Magnetische Stürme, hervorgerufen
durch Änderungen des Sonnenwindes (ein
Abb 2.10
Fluss elektrisch geladener Teilchen von der
Sonne),
können
kurzzeitige
(Größenordnung
Minuten-Tage)
Änderungen des Magnetfeldes hervorrufen, deren Amplituden unter 0.5% des Gesamtfeldes liegen. Auf einer Zeitskala von 100 Jahren ändert sich das Magnetfeld, die Non-Dipolanteile
ändern sich signifikant und driften (siehe z.B. die Änderung der Deklination in den letzten
Jahrhunderten in London, Abb. 2.12b), der geomagnetische Pol wandert mit einer
Magnetischer
Nordpol
14
Geschwindigkeit von einigen Grad pro Jahrhundert. Diese Änderungen werden Säkularvariation
genannt. Es
Abb. 2.11
(aus Fowler)
15
scheint jedoch, dass diese Säkularvariation zu einem mittleren Magnetfeld führt, das durch ein
Dipolfeld mit einer Achse identisch zu der Rotationsachse angenähert werden kann. Diese Annahme ist wichtig für paläomagnetische Interpretationen: Mittelt man gemessene
Magnetisierungsrichtungen von Gesteinen über einen gewissen Zeitraum (10000 Jahre), so
dürften die resultierenden geomagnetischen Pole mit den geographischen Polen zusammenfallen.
Schließlich sollten noch Magnetfeldumkehrungen genannt werden als mögliche Variationen des
Magnetfeldes. Über Zeiträume von Millionen Jahren ist die Magnetfeldrichtung konstant, kann
sich dann jedoch über einen Zeitraum von etwa 1000 Jahren umpolen.
Abb. 2.12 a,b
(aus Fowler)
16
r
Das Dipolfeld der Erde kann man an einem beliebigen Punkt mit dem Ortsvektor r durch die
Komponenten Br und Bθ darstellen,
Br = −2 B0 cosθ
Bθ = − B0 sin θ
B0 =
µ0m
4πr 3
r
B
(2.1)
θ
(2.2)
r
m
Bθ
Br
r
r
(2.3)
wobei m das Dipolmoment ist, ein Vektor, der längs der Dipolachse orientiert ist. Für die Erde ist
m = 7.94⋅1022 A m2. Die Größe µ0 (= 4π 10-7 kg m A-2s-2) ist die magnetische Permeabilität des
Vakuums, r,θ und φ sind sphärische Koordinaten mit r=Abstand vom Erdmittelpunkt, θ=Kobreite (Polwinkel) und φ=Länge. Wir nehmen an, dass das Dipolmoment in Richtung der
negativen z-Achse zeigt. Das Erdfeld beträgt an den Polen ungefähr 6⋅10-5 Tesla (T), am Äquator
ungefähr die Hälfte.
r
In der Magnetik wird die nach innen gerichtete radiale Komponente von B mit Z bezeichnet
(= Vertikalkomponente an der Erdoberfläche), während der Betrag der Horizontalkomponente
mit H bezeichnet wird. Für einen Dipol gilt also Z = -B. An der Erdoberfläche wird der Winkel
zwischen der Horizontalen und dem magnetischen Feld Inklination I genannt. Sie ist gegeben
durch
Z
tan I =
H
Ersetzen wir Z und H gemäß (2.1) - (2.3), so ergibt sich
tan I = 2 cot θ = 2 tan λ
(2.4)
mit λ als magnetischer Breite (λ= 90-θ). Aus (2.4) lässt sich also einfach aus der Messung der
Inklination die magnetische Breite bestimmen. Dies ist in der Paläomagnetik wichtig, da man
dadurch aus einer messbaren Paläoinklination direkt auf die Paläobreite schließen kann. Früher
wurde der Zusammenhang (2.4) auch in der Navigation häufig angewendet.
Der Vollständigkeit halber sei auch die magnetische Deklination erwähnt, nämlich der Azimut
der Horizontalkomponente H bezüglich Nord. Wie sich die Deklination mit der Zeit ändern
kann, ist schon in Abb. 2.12b gezeigt.
Gesteinsmagnetisierung.
Die Silikate, die den Hauptanteil der Erdkruste und des Mantels ausmachen, sind entweder
paramagnetisch (Olivin, Pyroxen, Granat, Amphibole) oder diamagnetisch (Quarz, Feldspat).
Solche Minerale können keine permanente Magnetisierung aufweisen. Enthalten die Gesteine
dagegen kleine Mengen ferromagnetischer Minerale wie Magnetit (Fe3O4), Hämatit (Fe2O3), und
Eisensulfide wie Pyrrhotin (Magnetkies, Fe1-yS), so können diese eine schwache permanente
Magnetisierung aufweisen, falls sie bei ihrer Bildung einem Magnetfeld ausgesetzt waren. Eine
solche fossile Magnetisierung nennt man natürliche remanente Magnetisierung (NRM).
Wenn ein Gestein sich aus der Schmelze abkühlt, so passiert es eine Reihe von kritischen
Temperaturen, bei welchen verschiedene Gesteinskörner spontan magnetisiert werden können.
Diese Temperaturen nennt man Curie-Punkte oder Curie-Temperaturen. Diese sind
unterschiedlich für jedes Mineral (ca. 580oC für Magnetit, 680oC für Hämatit). Unterhalb der
sogenannten Blocking-Temperatur, die einige Zehnergrad unter der Curie-Temperatur liegt,
17
können die Magnetisierungsrichtungen in den magnetisierten Körnern nicht mehr umorientiert
werden. Die magnetischen Momente der Körner sind dann im Mittel parallel zum Erdfeld
orientiert. Eine solche Magnetisierung nennt man Thermo-remanente Magnetisierung (TRM).
Die TRM ist wesentlich stärker als die induzierte Magnetisierung in Silikaten.
Werden Gesteinskörner durch chemische Reaktionen unterhalb der Curietemperatur gebildet
(wie das Wachsen von Eisen-Oxid-Körnern im Sandstein), so können sie Größen erreichen, bei
denen sie magnetisch stabil werden. Geschieht dies bei Anwesenheit eines externen
Magnetfeldes, so werden sie permanent magnetisiert. Man spricht dann von Chemisch
remanenter Magnetisierung CRM.
Schließlich können schon vorher magnetisierte Sedimentkörner in stillen Gewässern abgelagert
werden. Auch hier richten sich bei Anwesenheit eines Magnetfeldes die magnetischen Momente
parallel zum Feld aus und führen dann zur Sedimentations-Remanenz (DRM, depositional oder
detrital (detritus: lat Gesteinsschutt) remanent magnetisation).
Allgemein wird der Grad der Magnetisierung eines Körpers in einem externen Magnetfeld
durch die Magnetisierung
r
r
r r
v
M = M ind + M rem = χH + M rem
(2.5)
Hierbei ist Mind die induzierte Magnetisierung, hervorgerufen vom und parallel zum erregenden
r
Feld H mit
r
v
B = µ H ( 2. 6)
Die weiteren Parameter sind die magnetische Suszeptibilität χ, die magnetische Permeabilität µ
und die remanente Magnetisierung Mrem. Typische Werte von χ liegen um 10-4 bis 10-1, die
induzierte Magnetisierung erzeugt also ein Feld, das sehr viel schwächer als das externe Feld ist.
Die TRM ist jedoch stärker als die induzierte Magnetisierung. Man bezeichnet das Verhältnis der
remanenten zur induzierten Magnetisierung als den Königsberger Faktor Q. Er liegt für
ozeanische Basalte zwischen 1 und 160. Das bedeutet, dass magnetische Anomalien ozeanischer
Basalte in der Regel durch remanente und nicht induzierte Magnetisierungen dominiert werden.
Diese remanenten Magnetisierungen von Basalten können Anomalien in der Größe von
vielleicht 1 % des externen Feldes erzeugen. Magnetisierungen von Sedimenten sind um etwa
zwei Größenordnungen kleiner als die von Basalten.
Kann man bei einem Gestein die remanente Magnetisierung und ihre Orientierung bestimmen,
d.h. die Inklination I und die Deklination D (Winkel zwischen heutigem Nordpol und der
Horizontalkomponente der Magnetisierung), so erhält man Aufschluss über a) die Richtung und
Polarität des Erdmagnetfeldes, oder b) Aufschluss über mögliche Änderungen der magnetischen
Breite des Kontinentes seit der Initiierung des Magnetisierung. Hierzu ist dann mit Hilfe von
Glg. (2.4) die Paläo-Breite zu bestimmen und mit der heutigen Breite zu vergleichen. Leider
eignet sich diese Methode nicht, um Paläo-Längen zu bestimmen.
18
Scheinbare Polwanderungskurven
Unter der Annahme, dass das Paläo-Erdmagnetfeld durch ein Dipolfeld angenähert werden kann,
das zeitlich konstant ist, kann die (scheinbare) Lage des Paläopols aus der Inklination I und Deklination der remanenten Magnetisierung bestimmt werden. Das Wort scheinbar wird hier
benutzt, um anzudeuten, dass wir das Koordinatensystem im gerade betrachteten Kontinent fixieren,
so dass der Pol scheinbar wandert, in Wirklichkeit aber
der magnetische Pol fest ist und der Kontinent
N
wandert.
90 - λp
A
Nehmen wir an, dass an dem Ort X eine
d
Gesteinsprobe mit der geographischen Breite λx und
b
90 - λx
der geographischen Länge φx entnommen wurde. Aus
D a
P
der Inklination der remanenten Magnetisierung kann
die Paläobreite λ bestimmt werden. Die Deklination sei
X
90 - λ
D. Die scheinbare Lage des Paläopols ergibt sich dann
bei P gemäß dem sphärischen Dreieck in Abb. (2.13).
Um die Koordinaten des Paläopols zu bestimmen,
müssen die Formeln für sphärische Geometrie auf
einer Kugel benutzt werden. Nehmen wir das in Abb.
2.13 gezeigte Dreieck, so gilt die Cosinus-Formel für
ein beliebiges Dreieck:
cos d = cos a cos b + sin a sin b cos D (2.7)
Abb. 2.13
während die Sinus-Formel lautet:
sin a sin d
=
sin A sin D
(2.8)
Glg. (2.7) kann benutzt werden, um die heutige Breite des Paläopols, λp, zu bestimmen:
cos(90 − λ p ) = cos(90 − λ x ) cos(90 − λ ) + sin( 90 − λ x ) sin( 90 − λ ) cos D (2.9)
(2.9) kann umgeschrieben werden zu
sin λ p = sin λ x sin λ + cos λ x cos λ cos D (2.10)
Kennt man λp, so lässt sich mit Hilfe des Sinus-Satzes die heutige Länge φp des Paläopols
bestimmen. Hierzu betrachtet man die Differenz φp-φx = A (in Abb. 2.13) :
sin(φ p − φ x ) =
sin( 90 − λ ) sin D cos λ sin D
=
sin( 90 − λ p )
cos λ p
sin(180 + φ x − φ p ) =
cos λ sin D
cos λ p
sin λ ≥ sin λ p sin λ x
sin λ < sin λ p sin λ x
(2.11)
19
Mit den Gleichungen (2.10 und 11) lassen sich also aus gemessenen Inklinations- und
Deklinationsdaten von Gesteinen unterschiedlichen Alters die Position des paläomagnetischen
Pols berechnen. Hierzu muss gewährleistet sein, dass die Orientierung des Gesteins in der
geologischen Provinz unverändert seit der Magnetisierung geblieben ist. Dies lässt sich in vielen
Fällen aus tektonischen Beobachtungen verifizieren.
Polwanderungskurven
Trägt man die Paläopole aus Gesteinsmessungen eines Kontinentes zu verschiedenen Zeiten in
eine Karte ein, so ändert sich die Position mit der Zeit. Man spricht von scheinbarer
Polwanderung, scheinbar, da sich der Kontinent, und nicht der Pol bewegt hat. Die
Polwanderungskurve Europas ist in Abb. 2.14 gezeigt (aus McElhinny und McFadden, 2000,
Paleomagnetism), mit den zugehörigen Zeiten in Mio. Jahren vor heute. Es sei darauf
hingewiesen, dass nur der Polabstand des Kontinents bestimmbar ist, seine Änderung in der
geographischen Länge wird durch eine Polwanderungskurve nicht wiedergegeben. Der 95%
Vertrauensbereich ist für jeden Punkt durch einen Kreis gegeben. Für Zeiten vor 420 Ma ergeben
sich unterschiedliche Polwanderungskurven für Nordbritannien und für Baltica (siehe obere Abb.
in 2.14). Bei Rekonstruktionen Europa - N-Amerika sollte man daher gezielt je nach
Fragestellung (Iapetus...) die Britannische oder die Baltische Kurve nehmen, bei Europa - Asien
Rekonstruktionen bietet sich eher die Baltische Kurve an. Man erkennt, dass Europa im Silur
und Devon (430 - 345 Ma) nahe dem Äquator gelegen hat (daher die heutigen Kohlevorkommen
aus tropischer Flora).
In Abb. 2.15 sind die Polwanderungskurven von Europa und Laurentia (Nordteil von NordAmerika) in der gleichen Karte gezeigt. Rotiert man die Kurven relativ zueinander um -38°, was
einer Schließung des Nordatlantiks entspricht (Abb. 2.15 rechts), dann erkennt man, dass die
Kurven für Zeiten zwischen 405 und 195 Ma sehr gut übereinstimmen. Während 420 Ma gibt es
keine Daten in Laurentia, bei 435 Ma ist die Übereinstimmung gut, für frühere Zeiten wird sie
etwas schlechter. Man nimmt daher an, dass insgesamt zwischen 475 und 195 Ma Europa
(Nordbritannien) und Laurentia zusammengehangen haben. Wie jedoch aus Abb. 214
hervorging, muss Baltica in der Zeit vor 420 Ma relativ zu Nordbritannien und Laurentia
gewandert sein. Es gab zu der Zeit also schon einen Vorläufer des Atlantiks, den sogenannten
Iapetus Ozean (der also zwischen Laurentia+Nordbritannien und Baltica lag).
In einem weiteren Beispiel ist gezeigt, wie die Polwanderungskurven von Europa (Baltica) und
Sibirien aussehen. Im gesamten Paläozoikum (570 bis 225Ma) hatten beide Kontinente eigene
Pfade, erst im Perm (280 bis 225 Ma) vereinigten sie sich (gleichzeitig mit Kasachstan: Ural
Orogenese). Die Sibirischen Polwanderungskurven sind relativ ungenau, die Vertrauenskreise
haben Durchmesser von teilweise 30°.
Abb. 2.16 zeigt einige Rekonstruktionen zwischen 440Ma und 200Ma, in denen die
charakteristischen Verläufe der diskutierten Polwanderungskurven von Europa, Laurentia und
Sibirien gezeigt sind: 440 Ma: Nordbritannien ist schon mit Laurentia verbunden, Iapetus noch
offen, Sibirien noch separat; 420 Ma: Iapetus geschlossen, Laurentia und Europa(Baltica)
vereint; 350 Ma Sibirien immer noch separat, Kasachstan nähert sich; 300 Ma Europa,
Kasachstan und Sibirien vereinigen sich; 200Ma: Alles weitgehend vereinigt zu Pangäa.
Insgesamt weisen scheinbare Polkurven jedoch immer deutliche Schwankungen und
Unsicherheiten auf. Ein nicht unbedeutender Teil dieser Schwankungen ist auf Abweichungen
des magnetischen Pols vom geographischen Pol zurückzuführen.
20
Abb. 2.14
21
Abb. 2.15
22
Abb. 2.16
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