1 10. Vorlesung / 18.4.2002 / Friedrich Die Mitschrift wurde mir dankenswerterweise von einer Kollegin zur Verfügung gestellt! Ich hab sie aus meiner alten Mitschrift an manchen Stellen nur etwas ergänzt. KINDER- UND JUGENDPSYCHIATRIE Unterschied zwischen Kinder- und Jugendpsychiatrie und Erwachsenenpsychiatrie: 1) andere Grundbedingungen: • Psychiater sieht Kind mit 6 Jahren -> in folgenden Jahren macht es große Veränderung bzw. Entwicklung durch; • Bei Erwachsenen -> Selbstbestimmung; bei Kind -> ist „Besitz der Eltern“, von ihnen wird alles bestimmt; besonders arg ist das, wenn sich die Eltern um die Obsorge streiten. 2) Krankheitseinsicht : ist nicht vom Kind selbst bestimmt, sondern von Erwachsenen, bzw. von außen (z.B. Eltern, Kindergarten, Schule, Psychiater) -> Zugang zum Kind ist dadurch erschwert. 3) Frage, was tut ein Kinderpsychiater eigentlich? Psychiater ist ein Professionist, der glaubt zu wissen, was dem Kindern gut tut -> ist seine Zielgruppe damit aber auch einverstanden? Was ist die Aufgabe der Erwachsenengeneration? Was ist eigentlich „gesund“? Ö Es gibt eigentlich keine Norm (weil Kind ja noch in Entwicklung ist, muss alles einkalkuliert werden, z.B. physiologische Ängste, die auf bestimmter Entwicklungsstufe auftreten -> Psychiater muss sich fragen: „Sind sie schon überwunden oder nicht?“) mit 5 Jahren -> Märchen + magische Welt mit 6 Jahren -> reale Welt Psychiater muss feststellen: Wo ist Kind z.B. hängen geblieben in der Entwicklung -> regressive Anteile herausfinden! Beispiel: Pubertät: 12 – 14 -> in Wahrnehmung, Denken, Stimmung etc. Schwierigkeiten -> dies wäre psychotisch, in Pubertät ist es aber normal. 2 Symptome stehen lassen, ohne sie gleich mit Krankheit behaften. Intrapsychisch nicht bewusstseinsfähige Inhalte -> oft Teil / Grundlage für Kreativität. z.B. Pointilismus -> war neue Richtung, neue Richtungen werden zuerst meist abgelehnt. Î leicht wird man für verrückt erklärt Î jeder hat Symptome, die, wenn sie allein auftreten, KEINE Krankheit bedeuten Psychosen-Geschichte: • aus Antike -> Affektpsychosen • Selbstmord -> in Brunnen springen • Demenz -> 18. / 19. Jhd. -> Kinder, die sich normal entwickelt haben und dann „geistesschwach“ geworden sind. • Auch Behinderte können psychisch krank werden! • Berger -> Baumgartner Höhe dafür was eingerichtet • 1970: mit Teilleistungsschwäche -> Sonderschule • ca. 1980: Revolution -> normaler IQ + Teilleistungsschwäche -> Schule reformiert Erkennen, ob in Eingabe, Wiedergabe + Störung -> Kompensation möglich -> Matura möglich • Beratungslehrer, Mosaikklassen heute Kinder haben noch keine Ich-Leistung erbracht Ich: Denken -> erlernen Fühlen -> erproben Wollen -> muss man zähmen (Trotz -> Ausprobieren der Autonomie, „was kann ich erreichen durch meine Handlung?“) Handeln -> zielgerichtet bei Erwachsenen; bei Kind folgt es einem Impuls, ist also noch nicht zielgerichtet 3 Autismus: • = früheste beobachtbare Form der Psychose; autistische, egozentrische, narzisstische Welt der Babys -> dort Urvertrauen verankert -> „ich werde nur um meiner selbst willen geliebt“; autistisches Kind zuerst noch nicht auffällig. Dann: o fremdelt mit 8 – 9 Monaten nicht (weil es ihm egal ist, lebt ja in seiner Welt) o Kommunikation ändert sich. Betritt die Welt mit ca. 1 Jahr -> „geh dort nicht hin!“, „Achtung!“, etc. -> Auseinandersetzung mit Welt beinhaltet Grenzen. o autistisches Kind -> tut auch das, was es nicht tun soll, hört nicht auf Mutter; dann Arzt aufsuchen, findet nix Organisches. o 2. Lebensjahr -> im Spiel weiter wie Kleinkinder -> nimmt nicht wahr Für Jahrhunderte hieß das -> idiotisches Kind -> Abwendung vom Kind o Kind nimmt nicht ausreichend Kommunikation auf. Kommunikation ist skurril; Kind ist mit sich selbst zufrieden • Unterscheidet sich vom Mutismus (= Kind hat Sprache zwar erlernt, setzt sie aber nicht ein). Es gibt auch selektiven Mutismus (= redet z.B. nur mit Mutter oder jemand anderem, mit allen anderen nicht) • Ursache für Autismus ? • Mutismus von Anfang an Man unterscheidet: a) Canner’scher Autismus: Mensch lebt in seiner eigenen Welt; es scheint so, als würden diese Menschen andere Menschen in keiner Weise brauchen; leben in völlig eigener Welt Î großes Problem für Erwachsene (Kind lächelt nicht ab der 6. Lebenswoche, es ist ihm egal, ob es hochgenommen und gewiegt wird; reagiert überhaupt nicht auf Spielzeug) Î fühlen sich von solchen Kindern gekränkt Î verändern in der Folge ihr eigenes Verhalten solchen Kindern gegenüber... • Ursache = unklar (genetisch?) • Manche solcher Kinder = selbstbeschädigend, andere handeln völlig skurril. • Haben meist SEHR hohen IQ. Autismus = heute sozial akzeptierte Diagnose (Eltern sagen lieber, ihr Kind ist Autist als minderbegabt); manche Patienten erreichen in kleinsten Bereichen Höchstleistungen 4 b) Asperger’scher Autismus Î intellektuell Hochbegabte, „Verrückte“; viel Aggressionspotential vorhanden; Eindruck: er macht alles zufleiß, setzt Streiche (vgl. Till Eulenspiegel) -> Handlung, die einen anderen mehr oder weniger schädigt -> Täter geht unbeschadet von dannen, Schadenfreude der anderen; erfüllen den Auftrag wörtlich -> 2. und 3. Bedeutung wird nicht erkannt, z.B. „Geh durch die Tür!“ -> er geht durch und zerbricht sie • Kinder sind auch hochbegabt; eigene Privatlogik und eigene Welt wird gelebt, sind aber • dissozial bis asozial (-> machen der Umwelt alles zufleiß, aber: Betroffener kann nicht anders, hat für sich privatlogisches Erklärungsmodell; zerstören z.B. anderen die Spielsachen = quasi wie Zwang (Unterschied zu Zwangserkrankung: Zwang = Impuls; hier: Zerstörung nach genauem Plan) • Entwickeln auch eine Art Wahn1 Früher: Heute: Dissozialer wurde bezeichnet als Psychopath. Psychopath wird nur mehr verwendet für organisches Psychosyndrom Walter Spiel: Friedrich: Amminger: kindliche und jugendliche Psychosen (Habilitation) Früherkennungsmerkmale Präventionsprogramme -> Screening kann man Jugendlichen Eintritt in die Psychose ersparen? In späterer Psychose erkennt man: a) substratbedingte Faktoren: • perinatale: Prof. Lämm: über Teilleistungsschwächen + Psychosen wie sehen Denkstörungen aus? Sprachaufbau ähnlich wie der Abbau bis hin zum Faseln Analogie gibt es nicht gibt es überzufällig viele bestimmte Teilleistungsstörungen -> nein -> perinataler Faktor -> nein • somatile: überzufällige Häufung kindlicher Erkrankungen und Unfälle Sie sind hinsichtlich ihrer Somatik höher vulnerabel -> häufiger Unfälle mangelnde Antizipationsfähigkeit des Kindes -> können Gefahren schlechter abschätzen 1 Wahnkriterien nach JASPERS: * Irrealität * subjektive Gewissheit * Unkorrigierbarkeit 5 • Life-Events: erschüttern interfamiliäres Gefüge; vom Kind nicht steuerbar -> nicht herausragend b) umweltbedingte Faktoren: Trennung aus dem Elternhaus -> Auslöser! Sommer -> Sprachferien -> weg von Eltern (Schutz!) -> Auslösungshäufung Mutter schützt dieses Kind nicht mehr laut Friedrichs Untersuchungen Entwicklung einer Psychose: Î vulnerable Zeit: Schulwechsel von Volksschule in Hauptschule Î 10.-11. Lebensjahr -> max. 3 Monate -> Persönlichkeitsbild entspricht Hochblüte der Pubertät: ¾ Stimmungsschwankungen ¾ Ich – Diffusion ¾ Irritabilität Î war auch für Eltern und Lehrer auffällig Î klang wieder ab Î prodromale Phase folgte -> psychopathologische Auffälligkeiten, die eintreten, aber noch kein Vollbild der Erkrankung; große Auffälligkeiten im Minus-Symptomatik-Bereich Î 63 Variablen insgesamt in Prodromaler Phase: ¾ Energieverlust ¾ Impulsverarmung ¾ Verlust der Leitbarkeit der Gedanken: man redet immer noch teilverständlich; für Jugendlichen bedrohlich, wird in Pubertät aber nicht ernst genommen. ¾ Schlaf = einer der sensibelsten Indikatoren für psychische Erkrankungen! ¾ Wahninhalte im Vorfeld ¾ Beziehungs- und Beachtungsideen Diese Variablen werden aber alle nicht als Störung erkannt 6 UNTERSUCHUNG VON FRIEDRICH: Man unterscheidet zwischen: * Vorpostensymptome: Symptome lange vor der Erkrankung * Prodromi: sind unmittelbar vor der Erkrankung frühzeitig auftretende Symptome 1) Um 10. Lebensjahr herum haben später psychotisch Erkrankte auffällige Symptomkonstellation (= Zeit, die in Familie, etc. sehr erinnerlich ist, weil es Schulwechselalter ist). Ö Wer später eine Psychose hatte, zeigte in dieser Zeit Verhalten ähnlich wie in Hochblüte der Pubertät. Symptome waren ca. 3 Monate lang vorhanden, dann verschwanden sie wieder. Solche Vorpostensymptome sind: * * * * Schlafstörung, Konzentrationsstörung, Kontaktängste, massive Autoritätsprobleme, die weit über dieses Alter hinausgehen Ö dann wieder völliges Abklingen. 2) Dann 2 Monate vor der endgültigen Erkrankung Wiederauftreten. Symptome (= Prodromi): * * * * Energieverlust („Ich bin ausgelaugt, habe keine Reserven mehr.“), Impulsverarmung, Verlust der Leitbarkeit der Gedanken (Hinweis auf spätere Denkstörung!), Schlafstörung (=> wesentlicher Indikator für Psychiater!) 3) Vollbild: a) Leitsymptome: ¾ Denkstörung ¾ Affektstörung ¾ Ich-Störung (Denkziel wird nicht erreicht (z.B. Affektinkontinenz) (Derealisation, Depersonalisation) (siehe oben) und b) akzessorische Symptome: * * * * * Psychomotorik autistische Symptome Halluzinationen Wahn diverse Bizarrerien in Sprache, Gestik, Mimik Vollbild entwickelt sich nach Gauß’scher Glockenkurve... 7 4) Im Abklingen ähnliche Situation wie in der Prodromal-Situation (daher wichtig: Anfangsstadium ordentlich erheben, denn Endstadium verläuft ähnlich) Für kindliche Psychosen gilt dasselbe wie für Erwachsenenpsychosen: ABER BEI KINDERN: das alles muss lebensaltertypisch betrachtet werden! Therapie: Behandlung = schwierig: • • • • mehr Medikamente, weil höherer Grundumsatz bei Jugendlichen auf Welt des Jugendlichen einlassen ab 15. Lebensjahr = Medikation erlaubt; darunter = es sehr schwierig, Medikamente einzusetzen organische Normdaten in dieser Zeit = schwierig (Hormone, etc.) Behandlungserfolge: je früher Psychose entdeckt wird, desto günstiger • • • 40% Ausheilungen (es bleibt bei einmaliger Episode) 30% mit sehr guten Heilungserfolgen, sodass der Jugendliche seinen Weg weiterbeschreiten kann 30% immer wieder Rückfälle