Gerhard Helbig, Joachim Buscha. Deutsche Grammatik (17. Auflage, Langenscheidt, 1996) Einteilung der Wortklassen In dem vorliegenden Buch ist der Wortschatz der deutschen Sprache nach syntaktischen Kriterien in bestimmte Wortklassen eingeteilt worden. Weder eine Wortarteinteilung nach semantischen Kriterien noch eine solche nach morphologischen Kriterien kann alle Wortarten erfassen, weil zwar die Sprache im allgemeinen und die Sätze im besonderen, nicht aber alle Wortarten einen direkten Wirklichkeitsbezug aufweisen und auch nicht alle Wortarten eine Formveränderlichkeit zeigen. Umgekehrt müssen aber alle Wortarten bestimmte syntaktische Funktionen, d. h. bestimmte Stellenwerte im internen Relationsgefüge des Satzes haben. Sonst könnte die Sprache als Kommunikationsmittel nicht funktionieren. Wenn das syntaktische Prinzip bei der Einteilung der Wortklassen gewählt wurde, bedeutet das natürlich keine Leugnung der morphologischen und semantischen Merkmale, im Gegenteil: ein Teil der Wortarten hat zusätzlich morphologische und semantische Kennzeichen, die in den einzelnen Kapiteln genau beschrieben werden. Eine syntaktische Klassifizierung der Wortarten fordert zunächst die Einsetzung in bestimmte Substitutionsrahmen: (1) Der ... arbeitet fleißig. (2) Der Lehrer... fleißig. (3) Er sieht einen ... Arbeiter. (4) Der Lehrer arbeitet... Nach dem Prinzip der Distribution kann in den Rahmen (1) nur ein Substantiv, in den Rahmen (2) nur ein Verb, in den Rahmen (3) nur ein Adjektiv, in den Rahmen (4) nur ein Adverb eingesetzt werden. Wortarten im syntaktischen Sinne (in diesem Sinne sprechen wir fortan von Wortklassen) werden also gefunden durch den Stellenwert im Satz, durch die Substituierbarkeit in einem gegebenen Satzrahmen, durch das Vorkommen in einer bestimmten Umgebung, durch die syntaktische Funktion oder Position im Satz. Alle Wörter, die an der offenen Stelle in den Rahmen (1) eingesetzt werden können, gehören zur gleichen Wortklasse (der Substantive), alle Wörter, die an der offenen Stelle in den Rahmen (2) eingesetzt werden können, gehören zu einer Wortklasse (der Verben) usw. Maßstab ist jeweils, ob bei dieser Substitution ein grammatisch korrekter Satz entsteht; das muß nicht notwendig auch ein semantisch korrekter, d. h. ein sinnvoller Satz sein. In den Rahmen (1) kann man z. B. einsetzen: (la) Der Lehrer arbeitet fleißig, (lb) "Der Tisch arbeitet fleißig. (la) und (lb) sind syntaktisch korrekt, aber nur (la) ist auch semantisch korrekt. Grammatikalität ist also hier im engeren Sinne (unter Ausschluß bestimmter Selektionsbeschränkungen und Verträglichkeitsbeziehungen), nicht im weiteren Sinne verstanden. Weiterhin bedarf es schon im syntaktischen Bereich einer Subklassifizierung der Wortklassen; so muß z. B. die Wortart „Verb" weiter untergliedert werden, weil nicht jedes Verb in den Rahmen (2) eingesetzt werden kann, so etwa nicht ein solches Verb, das notwendig einen Akkusativ bei sich haben muß (etwa: besuchen, beerben). Diese Subklassifizierung (sowohl syntaktischer als auch semantischer Art) wird jeweils innerhalb der Kapitel zu den einzelnen Wortklassen — zusammen mit der Abgrenzung der entsprechenden Wortklasse selbst — vorgenommen. Allerdings wird man sich im Deutschen — als einer Sprache mit relativ wenig geregelter Satzgliedstellung — oftmals nicht mit der Feststellung der bloßen Position begnügen können, sondern die Distribution, d. h. das Vorkommen der Elemente in Relation zu anderen Elementen, bei einer, syntaktischen Wortartklassifizierung einbeziehen müssen. Vor allem aber wird man sich nicht auf die Position in der Oberfläche der aktual gegebenen Sätze beschränken können. Manche deutlichen Unterschiede wird man weder von der Position noch von der Distribution im Satz her adäquat erfassen können, sondern allein dadurch, daß man die in der Oberfläche gleichen Sätze mit Hilfe von Transformationen auf zugrunde liegende Strukturen zurückführt und damit Einsichten in die Wortklassenzugehörigkeit gewinnt. Das gilt beispielsweise für die Unterschiede zwischen Adverb und prädikativem Attribut: (5) Der Vater kam schnell zurück.. (6) Der Vater kam gesund zurück. Satz (6) ist zurückführbar auf Der Vater kam zurück — Er war gesund oder auf Der Vater war gesund, als er zurückkam. Das ist bei Satz (5) nicht möglich. Auf diese Weise erweist sich gesund als zu einer anderen Wortklasse (zu der der Adjektive) gehörig als schnell. Diese Einsicht bestätigt sich durch eine Nominalisierungstransformation, durch die ein unterschiedliches Resultat entsteht: (5a) —* das schnelle Zurückkommen (6a) —<• der gesunde Vater Dabei handelt es sich um intuitiv erfaßbare Unterschiede, die jedoch — vor allem für den Unterricht an Ausländer, denen das entsprechende Sprachgefühl fehlt — nicht nur intuitiv motiviert werden dürfen; sie werden durchsichtig auf syntaktischem Wege auch dann, wenn die Position im konkreten Satz keinen unmittelbaren Aufschluß liefert. Aus dem genannten syntaktischen Prinzip erklären sich nun auch die Unterschiede unserer Wortklassen zu den zehn Wortarten der herkömmlichen Schulgrammatik. Einerseits fehlen bei unserer Einteilung einige traditionelle Wortarten, so die Numeralien, die Pronomina und die Interjektionen. Numeralia und Pronomina stellen keine Wortklassen im syntaktischen Sinne dar, sondern füllen verschiedene syntaktische Funktionen aus: Sie fungieren teils als Substantive, teils als Adjektive, teils als Artikelwörter (die ihrerseits als syntaktische Wortklasse einen wesentlich größeren Umfang haben im Vergleich zu der traditionellen Wortart „Artikel"). Die Interjektionen werden der — auch andere Elemente umfassenden — Klasse der Satz äquivalente zugerechnet. Auf der anderen Seite gibt es bei unserer Einteilung einige Wortklassen, die in den meisten herkömmlichen Grammatiken nicht als selbständige Wortarten erscheinen, die aber durchaus syntaktische Besonderheiten haben, so daß ihre Aussonderung als besondere Wortklasse legitimiert ist: das gilt im besonderen für die Modalwörter und die Partikeln (worin diese Besonderheiten bestehen, wird jeweils in den einzelnen Kapiteln beschrieben). Das gilt nicht für die Negationswörter, die zwar keine syntaktisch motivierbare Klasse darstellen (die einzelnen Elemente können mühelos anderen Wortklassen zugeordnet werden), die jedoch — ebenso wie das Pronomen es — als eine Art Querschnittskapitel aus Gründen der praktischen Wichtigkeit im Unterricht für Ausländer verselbständigt worden sind. Von den Wortklassen werden zunächst die vier hauptsächlichen Wortklassen (Verb, Substantiv, Adjektiv, Adverb) dargestellt. Danach folgen die „Funktionswörter": Diese unterscheiden sich von den zuerst genannten Haupt-Wortklassen dadurch, daß ihre Elemente im wesentlichen grammatische Funktionen ausüben (von diesen grammatischen Funktionen kann nicht immer eine spezifische lexikalische Bedeutung getrennt werden), daß ihre Elemente ziemlich gering an Zahl, aber sehr häufig im Vorkommen sind und daß sie geschlossene (d. h. nicht beliebig erweiterbare und offene) Klassen darstellen.