Forschungsinstitut für Politische Wissenschaft Anita Breuer Präsidentialismus in Lateinamerika – WS 05/06 Przeworski/Manin/Stokes 1999: Elections and Representation Funktionen von Wahlen mit Hinblick auf Repräsentation a) Mandats-Funktion: Auftrag zur Umsetzung von Wahlversprechen prospektive Wahl, Auswahl b) Accountability-Funktion: Kontrolle und Sanktion retrospektive Wahl, Abwahl bzw. Wiederwahl Vorraussetzungen für Mandats-Repräsentation Interessensübereinstimmung von Wählern und Politikern Übereinstimmung von technical beliefs Politiker als „office seeker“ Interesse an Wiederwahl Abweichen vom Mandat ohne Verletzung des Repräsentationsprinzips Veränderte Rahmenbedingungen Informationsasymmetrie: Politiker wissen um „falsche“ technical beliefs der Wähler Forschungsinstitut für Politische Wissenschaft Anita Breuer Präsidentialismus in Lateinamerika – WS 05/06 Unterschiedliche Accountability Konzepte Accountability: Rechenschaftsplicht, formale Verantwortlichkeit In einer Demokratie muss es formale Mechanismen geben, die es ermöglichen a) das Verhalten von Repräsentanten zu kontrollieren b) Fehlverhalten zu sanktionieren Horizontal Accountability Gewaltenteilung und wechselseitige Gewaltenkontrolle Laut O’Donnell (1994) in Lateinamerika traditionell schwach ausgeprägt: Ungleiche Machtverteilung zwischen Exekutive und Legislative Mangelnde Unabhängigkeit der Justiz Geringes Gewicht der Bundesstaaten in föderalen Systemen (Zentralismus) Vertical Accountability Kontrolle von Repräsentanten durch Wähler (von unten nach oben) Social Accountability Kontrolle von Repräsentanten durch alternative gesellschaftliche Mechanismen (watch dog journalism, NGO’s, neue soziale Bewegungen) Forschungsinstitut für Politische Wissenschaft Anita Breuer Präsidentialismus in Lateinamerika – WS 05/06 Auszahlungsmatrix Regierung Umsetzung Policy S Umsetzung Policy E Gut 1+e, 5 3, 3 Schlecht 3, 1 1+e, 3 Rahmenbedingungen Wähler und Regierung = Nutzen-Maximierer Maximale Auszahlung = Maximaler Nutzen (Auszahlungen der Regierung links, Auszahlung der Wähler rechts) Entscheidungsregel / Leistungserwartung der Wähler: Um wiedergewählt zu werden muss die Regierung für die Wähler unter guten Rahmenbediungen einen minimalen Nutzen von 5, unter schlechten Rahmenbedingungen einen minimalen Nutzen von 3 erwirtschaften. Entscheidungsregel der Regierung: Nutzenmaximierung Zu erzielende Nutzen: r* = 1+e (gesetzlich erlaubte Vergütung) V = 2 (Nutzenwert der Wiederwahl) Höchstmöglicher zu erzielender Nutzen bei Nicht-Wiederwahl = 3 V + r* > 3 Forschungsinstitut für Politische Wissenschaft Anita Breuer Präsidentialismus in Lateinamerika – WS 05/06 Medianwähler Modell Median/Zentralwert: Grenze zwischen zwei gleich großen Hälften. Medianwähler: Wähler, dessen Präferenzordnung innerhalb eines ideologischen rechts-links Spektrums am Median ausgerichtet ist. Um Stimmen zu maximieren, orientieren sich politische Parteien bei der Formulierung ihrer Parteiprogramme am Median der Wählerverteilung. Demzufolge sind im Wahlkampf die Positionen der politischen Mitte besonders umkämpft: Nähert sich die rechte Partei der linken Partei programmatisch an, kann sie ihr Wählerstimmen abnehmen und vice versa. Der Medianwähler ist der für den Wahlausgang entscheidende Wähler. Problem: Annahme eines ein-dimensionalen Politikraumes. Forschungsinstitut für Politische Wissenschaft Anita Breuer Präsidentialismus in Lateinamerika – WS 05/06 Duverger’s Law (1) “a majority vote on one ballot is conducive to a two-party system” Plurality Vote (FPTP) nur der Kandidat, der in seinem jeweiligen Einmann-Wahlkreis im ersten Wahlgang die Mehrzahl der Stimmen auf sich vereint, erhält einen Abgeordnetensitz Beispiel: Wahlkreis XY: 180.000 Wahlberechtigte. Präferenzverteilung: 80.000 rechts-konservativ orientierte Wähler; 100.000 links-orientierte Wähler 3 Parteien: Partei A (links), Partei B (links), Partei C (rechts) Mögliches Wahlergebnis: Partei A: Partei B: Partei C Stimmen 30.000 70.000 80.000 Prozent 17% 39% 44% Wahlsieger Der Sitz geht an Partei C obwohl 56% der Wähler für andere Parteien gestimmt haben. Konsequenz In der nächsten Wahl werden Parteien A und B entweder fusionieren oder A als schwächere Partei wird graduell an Einfluss verlieren, bis sie schließlich ganz „untergeht“. Forschungsinstitut für Politische Wissenschaft Anita Breuer Präsidentialismus in Lateinamerika – WS 05/06 Mehrheitswahlrecht Pros: Eindeutige Mehrheitsverhältnisse im Parlament Einfache Regierungsbildung (für den Wähler voraussehbar) Stabile, handlungsstarke Regierungen (keine Rücksicht auf Koalitionspartner) keine Fragmentierung des Parteiensystems (Kandidaten kleinerer Parteien erhalten nur selten genügend Stimmen um einen Wahlkreis zu gewinnen) Personalisierung der Wahl Direktkandidat ist für den Wähler einfach zu identifizieren Abgeordnete sind eher den Wählern ihres Wahlkreises verpflichtet als der Parteiführung höhere accountability Contras: Kleinparteien und neue Parteien haben wenig Chancen, Mandate zu erringen, wenn sie nicht regional dominierende Minderheiten vertreten. Unzureichende Repräsentation gesellschaftlicher Minderheiten Unterrepräsentation von Anhängern kleinerer Parteien (Stimmen sind irrelevant für Zusammensetzung des Parlaments "Papierkorbstimmen") Es kann zu Wahlergebnissen kommen, bei denen der Wahlverlierer effektiv mehr Stimmen auf sich vereinigen konnte als der Gewinner. Möglichkeit der Manipulation des Wahlergebnisses durch Gerrymandering Forschungsinstitut für Politische Wissenschaft Anita Breuer Präsidentialismus in Lateinamerika – WS 05/06 Duverger’s Law (2) „ proportional representation is conducive to a multiparty system” Verhältniswahl (List-PR) Sitzverteilung im Parlament erfolgt entsprechend dem Verhältnis der abgegebenen Wählerstimmen. Pros: Relativ exakte Abbildung des Wählerwillens Sitzverteilung im entspricht dem Verhältnis des Wahlerfolgs der Parteien „Faire“ Repräsentation aller gesellschaftlichen Interessensgruppen auf nationaler Ebene Niedrigere Einstiegshürde für neue Parteien Keine Möglichkeit der Manipulation durch Gerrymandering Contras: Gefahr der „Zersplitterung“ des Parlaments bei zu großer Zahl vertretener Parteien Führt tendenziell zur Fragmentierung des Parteiensystems Erschwerte Regierungsbildung (Notwendigkeit der Bildung von Koalitionen) Regierungsbildung für den Wähler nicht vorraussehbar (z.B. kein Einfluß auf die Wahl des Koalitionspartners) I.d.R. keine Personenwahl sondern nur Listenwahl Wähler muss Parteiprogramm als Ganzes „absegnen“ Tendenziell verhalten sich Abgeordnete eher loyal gegenüber ihrer Partei (die über ihre Platzierung auf der Liste entscheidet) als ihren Wahlkreisen niedrigere accountability Forschungsinstitut für Politische Wissenschaft Anita Breuer Präsidentialismus in Lateinamerika – WS 05/06 Mixed Member Proportional System (MMP) (Gemischt-proportionales Mehrebenen-System) Transformation von Stimmen in Sitze auf zwei Ebenen anhand unterschiedlicher Verrechnungsformeln: Erststimme: Direktmandate werden per relativer Mehrheitswahl in Einmann-Wahlkreisen ermittelt Zweitstimme: Listensitze werden per Verhältniswahl in (entweder Zusammenfassung des gesamten nationalen Territoriums zu einem Wahlkreis oder Bildung regionaler Mehrmann-Wahlkreise) Endgültige Sitzverteilung kompensatorischen Mechanismus erfolgt über Mögliche Vorteile: Faire Repräsentation aller Parteien im Abgeordnetenhaus Stärkung der Verbindung zwischen Abgeordneten und ihren Wahlkreisen aufgrund personalisierter Wahl Wahrung der Parteidisziplin aufgrund Kontrolle der Parteien über die Listenplatzierung der Kandidaten Verbindung der Prinzipien Repräsentativität und Accountability Forschungsinstitut für Politische Wissenschaft Anita Breuer Präsidentialismus in Lateinamerika – WS 05/06 Selection Rules for Presidents Simple Plurality Majority or Qualified Plurality with run-off Logik der Koalitionsbildung Koalitionsbildung vor der Wahl Kleinere Parteien erhalten „blackmail-potential“ können mit der Aufstellung eines „spoilers“ drohen Sie können so Konzessionen erpressen, deren Höhe ihrem tatsächlichen Rückhalt in der Wählerschaft nicht angemessen ist Koalitionsbildung zwischen dem erstem und zweiten Wahlgang Konzessionen, die kleineren Parteien für die Unterstützung eines gemeinsamen Kandidaten erteilt werden, entsprechen dem Wahlerfolg der Parteien im ersten Wahlgang Abbildung des Wählerwillens Der am wenigsten bevorzugte Der Sieger der Stichwahl kann nie der Condorcet-Loser sein (höchstens das „kleinere Übel“) Kandidat kann u.U. die Wahl gewinnen (Condorcet-Loser = Plurality-Winner) Forschungsinstitut für Politische Wissenschaft Anita Breuer Präsidentialismus in Lateinamerika – WS 05/06 Paradoxe Logik der Mehrheitswahl: Condorcet Winner = Plurality Loser a) Platzierung der Kandidaten nach Präferenzordnung der Wähler: Wähler Di D1, D2, D3, D4 D5, D6, D7 D8, D9 Kandidaten xyz yzx zyx b) Platzierung der Kandidaten nach Stimmenzahl Kandidat x y z Stimmenzahl 4 Plurality Winner 3 2 c) Stimmenzahl der Kandidaten bei paarweisem Wettbewerb (Stimmen für den Kandidaten in der Zeile, wenn er gegen den Kandidaten in der Spalte antritt) x y z x 5 5 y 4 2 z 4 7 - Condorcet Winner Condorcet Loser ! x verliert sowohl gegen y als auch gegen z