FORO INTERNACIONAL ANDINO DEMOKRATIE und GOOD GOVERNANCE ERKLÄRUNG 1. ALLGEMEINER KONTEXT Als Teil der allgemeinen globalen Realität sind die Länder der Andengemeinschaft von den großen Problemen des Ausschlusses und der Ungleichheit betroffen. Wachstum findet ungleich und mit sozialer Polarisierung, mit unsicheren Demokratien, mit politischer und juristischer Instabilität statt. Die politischen Institutionen sind in ihren Beiträgen zur Festigung von Demokratien, von Wohlergehen und Entwicklung zerbrechlich und inkonsistent. Gleichzeitig sind hauptsächlich aus Organisationen der Zivilgesellschaft unterschiedliche Initiativen und wichtige Erfahrungen im Bereich der demokratischen Praxis und Partizipation erwachsen. Diese Erfahrungen hatten eine positive Wirkung auf eine nun verstärkte Präsenz von Führungspersönlichkeiten und sozialen Institutionen, die sich mit öffentlichen Agenden befassen und um den Aufbau von neuen Beziehungsformen zwischen Staat und Gesellschaft bemüht sind und damit eine wachsende Sorge um die Verbesserung der Lebensqualität der Menschen zum Ausdruck zu bringen. 2. DER WERT VON DEMOKRATIE UND PARTIZIPATION Der Aufbau von Demokratie und Freiheit als Prinzip, als universeller Wert und höchstes von den Mehrheiten akzeptiertes Gut, die Teilhabe und die Regierbarkeit sind vitale Instrumente der Transformation. Es sind die dafür erforderlichen Veränderungen welche die Bedingungen und Möglichkeiten schaffen, damit Bürgerinnen und Bürger Entscheidungen treffen, sie hinterfragen und Räume der demokratischen Machtausübung einnehmen können, aber auch um im Rahmen dieser Prozesse einer nachhaltigen menschlichen Entwicklung die Lebensqualität der enormen Prozentsätze von Menschen in Armut und in extremer Armut wesentlich verbessern zu können. 1 Die Partizipation ist mit ihren Unterschiedlichkeiten in den Schwerpunkten und Zielen aller Ländern der Andengemeinschaft gegenwärtig. Einige Partizipationsinitiativen haben zur Verbesserung von Beziehungen und Kommunikationskanälen zwischen Bürgerschaft und Regierung, zu einer größeren Verpflichtung gegenüber den Prozessen der öffentlichen Verwaltung geführt, sie haben Konzertierungsräume geschaffen, den Verfolg öffentlicher Politiken ermöglicht, Beziehungen zwischen Parteien verbessert und die Schaffung von Netzwerken und anderen sozialen Räumen gestärkt. Dennoch – wenn auch die Gesamtbilanz dieser Beteiligungsinitiativen positiv ist, so zeigt sie doch eine Reihe von Beschränkungen wie z.B. den Fortbestand des Ausschlusses großer Bevölkerungsteile und von Armut, von Ungleichheit, Korruption und Zentralisierung. Gewalt und Konflikt haben den Bemühungen entgegengewirkt und einerseits die Partizipation eingebremst, andererseits haben sie diese aber auch angeregt. Das Risiko ist gegenwärtig, dass soziale und politische Führungspersonen die Partizipation in einen simplen methodischen Ablauf oder in instrumentalistische Praktiken umwandeln. Es ist zu vermeiden, dass die Partizipation bloß zum Ergebnis aus verordneten Prozessen wird und damit nicht auf die ureigenen spezifischen heterogenen Situationen mit den kulturellen, sozialen, territorialen und politischen Realitäten reagiert. 3. DIE REGIERBARKEIT Wenn auch unzureichend, so entwickelt sich doch in den Handlungen der unterschiedlichen subnationalen Regierungen und den sozialen und politischen Organisationen eine bedeutsame Veränderung zugunsten von Regierbarkeit und Demokratie. Regierbarkeit bedeutet den komplexen Aufbau von gewissen Bedingungen, der relativ lange Prozesse voraussetzt, wobei die Rollen und Verantwortlichkeiten sowohl von Staat wie auch von Bürgerinnen und Bürgern und insbesondere von Organisationen der Zivilgesellschaft gefordert sind. Die Situationen von Ungleichheit, Ausschluss, ein fehlender Basiswohlstand, die Zerstörung der natürlichen Ressourcen beeinträchtigen den Aufbau der demokratischen Regierbarkeit. Es ist offensichtlich dass die neoliberalen Modelle aufgrund der Ungleichheiten und Ungleichstellungen die sie bedingen, keine Garantie für die volle Ausübung der demokratischen Regierbarkeit darstellen. Sie unterschätzen die Notwendigkeit der 2 Teilnahme von Bürgern und Bürgerinnen oder nutzen sie zugunsten der Interessen der Machausübenden. Demokratie und Regierbarkeit sehen sich durch die Einführung von unterschiedlichen nationalen und internationalen Politiken ernsthaft betroffen. Dies wird deutlich bei Themen wie: Anbau und Handel des Kokablattes und anderen halluzinogenen Pflanzen, die Freihandelsabkommen, der Umgang mit natürlichen Ressourcen und Umweltschutz, die Ausbeutung von Bodenschätzen, Mineralien und anderen abbauenden Industrien. Mit einer unangepassten oder unzureichenden Reaktionen der Politik auf derartige Probleme trägt diese zu deren Aufrechterhaltung und manchmal zur Vertiefung der prekären Situation der Regierbarkeit selbst bei, zu Ausschluss, Ungleichheit, Korruption und Armut. Damit wird ein günstiger Verlauf der Integrationsprozesse noch mehr erschwert. 4. DIE INTEGRATION ALS PROZESS Der Integrationsprozess befindet sich in kritischen und herausfordernden Momenten. Die Fort- und Rückschritte dabei sind sowohl Ergebnis der wechselhaften Situationen im Inneren der Region wie auch des Szenariums der globalisierten Welt. Dies wird durch die eingesetzten Akkumulations- und Wachstumsmodelle und die politischen und wirtschaftlichen Kräfteverhältnisse deutlich, durch die Rollen der privaten und öffentlichen Akteure. Soll die Integration mit gesichertem Erfolg fortschreiten dann sind tiefgreifende Reformen der neoliberalen Modelle erforderlich, die das Überwinden jener strukturellen Faktoren ermöglichen, welche die Kluft zwischen Armen und Reichen vertiefen und die Situation von Millionen von Menschen erschweren. In diesem Kontext sind politische Reformen wie die Dezentralisierung und die Modernisierung des Staates erforderlich, um günstige Bedingungen für die Kohäsion und die soziale Integration zu schaffen. Diese dienen nicht nur als Motor für die institutionalisierte Partizipation der Bürger und Bürgerinnen auf individueller und organisierter Weise, sondern auch um klare und kohärente Politiken rund um Schwerpunkte der nachhaltigen menschlichen Entwicklung zum Ausdruck zu bringen. Soziale Kohäsion als Schlüsselkomponente der Integration stellt sich in unseren Ländern als kostspieliger und komplizierter Vorsatz dar. Sie ist sehr schwer zu erreichen, wenn wir die Situation des sozialen und 3 ökonomischen Ausschlusses und die Schwäche unserer nationalen Wirtschaften sowie den geringen Stellenwert des Themas selbst in den politischen und sozialen Agenden auf lokalen, regionalen und nationalen Ebenen in Betracht ziehen. Die mangelnden Übereinstimmung zwischen Gesellschaft und Staat betrifft in ihrem Übergewicht auch die soziale Kohäsion. Im Vergleich zu den klassischen Integrationsprozessen der bilateralen Wirtschaft - wie bei den aktuellen Verhandlungen zu den Freihandelszonen – stellt sich die regionale Integration mit dem vorgenommenen multidimensionalen Ansatzpunkt als eine verschiedenartige Aufbaubemühung mit anderen Merkmalen dar. Es geht darum, ausgehend von den eigenen Realitäten die wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Vorteile der regionalen Integration der Andenregion aufzuzeigen. Daher sollen die Ergebnisse oder Wirkungen dieser Herausforderung der Integration nicht am begrenzten Rahmen der wirtschaftlichen Vorteile gemessen werden. 5. DIE AKTUELLEN HERAUSFORDERUNGEN Einige der großen Herausforderungen denen wir zum Aufbau einer wirklichen Integration der Andenregion zu begegnen haben sind folgende: - - Die Förderung der Partizipation nicht nur als Nachfrage nach Gütern und grundlegenden Dienstleistungen, sondern als Gepflogenheit des Einschlusses und als Instrument der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung, als Faktor der Verbesserung von Lebensqualität und als Faktor des Allgemeingutes. Die Gestaltung der Integration als einen Dezentralisierungsprozess von Machtverhältnissen, ausgestattet mit politischer und wirtschaftlicher Stabilität, mit Einschluss und Gleichstellung. Um sie als Potential der Globalisierung im Sinne von Produktion und Wissenstechnologie zu nutzen, muss die Integration im Licht der internen Prozesse in jedem Lande mit dem Einbezug unserer regionalen Fähigkeiten dargestellt und erklärt werden. Wir brauchen dringend eine neue Lesart unserer Geschichte zu einem neuen Aufbau von Selbstbewusstsein und Identität als Andenvölker. 4 - Die Stärkung des Zugehörigkeitsgefühls mit der Andengemeinschaft und der Aufbau eines andinen Bürgerverständnisses. 6. EINE AGENDA DER VERPFLICHTUNGEN - Aufnahme der Debatte um regionale Integration in die Agenden der politischen Parteien und der Organisationen der Zivilgesellschaft und das Weiterbetreiben des Aufbaus von Artikulationsräumen der sozialen, akademischen, kulturellen, wirtschaftlichen usw. Initiativen. - Förderung und Stärkung der unterschiedlichen die demokratische Regierbarkeit garantierenden Faktoren: Verstärkung der Mechanismen der repräsentativen Demokratie, der Legitimität in der Machtausübung, der Transparenz bei Entscheidungsfällung und der Instrumente der partizipativen Verwaltung. - Die Förderung von besseren und kreativen Partizipationsmechanismen von Zivilgesellschaft und den subnationalen Regierungen der Comunidad Andina de Naciones (CAN), als Ergänzung zur Teilnahme von Regierungsvertretungen. - Förderung der Beteiligung von jungen Menschen, Frauen und Jugendlichen in die partizipativen Prozesse, insbesondere in den lokalen Räumen der Länder der Andenregion. - Förderung einer territorialen Ordnung zur optimalen Nutzung von Regionen und ihren Ressourcen, Förderung einer nachhaltigen urbanen Entwicklung und der erforderlichen Infrastruktur sowie Definition der Rolle von Städten in ihren unterschiedlichen Rangordnungen. - Schaffung von Räumen für Diskussion und Abmachungen über öffentliche Politiken zur Stärkung von Einschluss, Gleichstellung und wirtschaftlichen Vorteilen der andinen Integrationprozesse. Dies nicht nur als Alternative zu den Freihandelsabkommen, sondern als eine Integrationsform anderer Art, die ihre Grundlagen in der Gleichstellung, im Einschluss und im Wohlergehen findet. Wir verfügen über die kulturellen und natürlichen Möglichkeiten um eine unterschiedliche Entwicklung zu fördern. - Förderung des Gedankens einer andinen Nation und von BürgerInnenschaft in der Bevölkerung mittels einer intensiven und permanenten Promotionskampagne. Solange dieses Thema nicht Bestandteil des Alltagslebens ist gehen wir davon aus daß es weder von Belang ist noch sich konsolidieren wird. 5 - Schaffung von Austausch- und Koordinationsmechanismen zwischen Institutionen und Individuen die sich verpflichten, seitens der Zivilgesellschaft die Schwerpunkte und Aktionen der Integration der Andenregion zu stärken. - Aufbereitung eines Arbeitsplanes um diesen dem Gipfeltreffen Europäische Union und Lateinamerika/Karibik 2006 in Wien zukommen zu lassen, mit Themen wie: - Nord-Süd-Austauschbeziehungen Technologietransfer Auslandsschulden Energie Globale Umweltfragen Schutz der Biodiversität und der indigenen Rechte Lokale Verwaltung Kampf gegen Korruption Die Erfüllung der Milleniumsziele Wissenschaft und Technologie Informations- und Kommunikationstechnologien (als Querschnittsthema) Einschluss von Gendergerechtigkeit, Kultur und Generationsfragen Die Beziehung zwischen Demokratie und Wirtschaft. Lima, 16. November 2005 6