GUIDO RINGS Fünf Thesen zur Behandlung von Werbesprache im DaF-Unterricht1 Wenn im folgenden von einer Sprache der Werbung die Rede sein soil, dann ist hierunter zunächst ,,Wirtschaftswerbung" mit einem Fokus auf Produktangebote zu verstehen (eine Übersicht zu den verschiedenen Werbeformen bietet Weuthen 1988: 15). Werbung ist ein Teilbereich persuasiver Kommunikation (Schifko 1982: 986) und als solche mit Blick auf den Erziehungsauftrag der Sekundarstufen I und II zunächst im traditionellen Deutschunterricht der Schulen zu behandeln. Nicht zufällig erscheint sie als Klassenarbeitsbeispiel zur Erarbeitung von Charakteristika apellativer Texte in den nordrhein-westfälischen Richtlinien für die Sekundarstufe I von Gymnasien. Hier geht es darum, die sprachlichen Mittel zur Persuasion bzw. Manipulation von Adressaten bereits möglichst früh - es handelt sich um ein Beispiel für die Klassen fünf und sechs - zu verdeutlichen bzw. exemplarisch: ,,einfache Sachtexte in ihrer Struktur, Intention und Wirkung [zu] untersuchen und [zu] erproben, von der sprachlichen Form einer Äußerung auf die mögliche Absicht des Verfassers zu schließen" (Kultusministeriurn 1993:137). Eine Analyse von Werbung ist unter Verwendung entsprechend komplexerer Texte und vor allem tiefergehender Aufgabenstellungen aber durchaus auch noch im Rahmen der schriftlichen Abiturprüfung möglich. Sie fällt dann unter den Bereich ,,Analyse nichtfiktionaler Texte" und unter den Legitimationsansatz: ,,Solche Texte sind in einer durch [...] den Umgang mit Massenmedien geprägten Gesellschaft 1 Please note: This is a pre-print! For the final version, see Guido Rings: ‚Fünf Thesen zur Behandlung von Werbesprache im DaF-Unterricht’, in: Lebende Sprachen 3, pp. 104-106. 1 wichtige Instrumente der Bewusstseinsbildung und Verhaltenssteuerung, und die Kenntnis ihrer sprachlichen Strukturen und kommunikativen Funktionen ermöglicht dem einzelnen erst ein reflektiertes, kritisches Verhalten gegenüber der Flut der täglich an uns appellierenden Texte" (Kultusministerium 1982: 149). Im Kontext des schulischen Doppelauftrages von Erziehung und Unterricht verbirgt sich hinter solchen Zielsetzungen nicht zuletzt das hehre pädagogische Langzeitziel, ,,Hilfen zur Entwicklung einer mündigen und sozial verantwortlichen Persönlichkeit" geben zu wollen (ebda. 1993:12). Eine solche erzieherische Ausrichtung gilt auch für den ,,Deutsch als Fremdsprache" Unterricht an Schulen und sei als ein wichtiges Argument zur Behandlung von Werbesprache im DaF-Schulunterricht festgehalten. Daneben ist aber auch auf eine Reihe primär linguistisch fundierter Argumente zu verweisen, die eine Behandlung von Werbesprache im schulischen Unterricht nahelegen, die Thematisierung im postschulischen Bereich - etwa an Hochschulen aber auch im Bereich der Erwachsenenbildung - legitimieren und darüber hinaus wesentliche Vorgaben für die Art der Behandlung im DaF-Unterricht liefern. Solche Argumente, die insbesondere auf die sprachlichen Charakteristika von Werbesprache eingehen, werden im Folgenden versuchsweise in fünf Thesen zusammengefasst. Hiermit wird zugleich auf eine Reihe sich immer wiederholender Fragen geantwortet: Welche sprachlichen Charakteristika sprechen für die Behandlung von Werbung im DaF-Unterricht? (These 1), Welche Werbung ist zu behandeln, und was ist charakteristisch für diese Werbung (2), Wie ist das Verhältnis von Werbesprache und Allgemeinsprache? (3), Sind Werbetexte nicht grundsätzlich immer gleich aufgebaut? (4), Ist Werbung nicht hauptsächlich ,,geheime Verführung des Konsumenten"? (5). 1. Die Sprache der Werbung ist aus linguistischer Sicht im modernen DaF-Unterricht zu behandeln, weil sie einen bedeutenden Teil der aktuellen und wegen ihrer Innovationsfreudigkeit für den ausländischen Studenten nicht immer leicht zu verstehenden Schriftlichkeit und Mündlichkeit deutschen Alltags stellt, mit dem der 2 Lerner bei Deutschlandaufenthalten aber auch bereits sehr intensiv durch die Massenmedien konfrontiert wird (Gluck 1994: 282 f.; vgl. auch Obermaier 1988: 49, wonach ,,täglich zwei- bis vierhundert Werbebotschaften auf uns einstürmen"). Darüber hinaus zeigt sich eine enge Korrelation zwischen Werbesprache und der im Unterricht zu thematisierenden Umgangssprache, einerseits in der Hinsicht, dass die Sprache der Werbung zum Aufgriff umgangssprachlicher Trends tendiert, andererseits beeinflusst erstere die Lexik und Morphosyntax der Umgangssprache insbesondere durch neue Phrasen und Kompositionen. Die hierzu von Kupper (1981: 15 ff.) zitierten Beispiele verweisen entgegen seiner eigenen These allerdings überwiegend auf eine temporär relativ begrenzte Bereicherung der Umgangssprache. Die Korrelation mit der Jugendsprache ist insgesamt deutlich geringer als in der Sekundärliteratur der achtziger Jahre konstatiert, ein kleinerer Teil der Werbung in Jugendzeitschriften reflektiert aber durchaus sprachliche Trends in einer Generation, die zwar ,,die biologische Reife erreicht [hat], nicht aber die soziale", und konnte von daher für die Erarbeitung von Jugendsprache im Unterricht eingesetzt werden (Buschmann 1994: 220, 224 f.). 2. Produktangebote der sogenannten Wirtschaftswerbung sind im Alltagsleben besonders häufig und daher für den DaF-Unterricht von besonderer Bedeutung. Die zentralen Konstituenten der Wirtschaftswerbesprache sind ,,Produzent - Produkt Konsument" bzw. in kommunikativer Hinsicht ,,Sender - Kommunikationsinhalt Empfänger", wobei eine Eigenart dieser Kommunikationsform darin besteht, das Interesse der Sender und den realen Objektstatus des zu beeinflussenden Empfängers weitestgehend zu verdecken. Ziel ist es, den Empfänger davon zu überzeugen, “dass der Kauf, Besitz, Gebrauch, Konsum bestimmter Waren [...] seiner Bedürfnisbefriedigung und seinen Interessen dient”. Die hierzu notwendigen Werbestrategien können grundsätzlich nach einer auf kognitiven Lernprinzipien aufbauenden “sachlich-rational informierenden” und nach einer auf assoziativem Lernen basierenden und quantitativ dominierenden “suggestiv-emotionalen” Tendenz differenziert werden (Schifko, ebda.; Baumgart, 1992: 309; Edelmann, 1996: 57ff./173ff.). 3 3. Die Sprache der Werbung ist keine Sondersprache “sondern lediglich eine instrumentalisierte, zweckgerichtete und ausschließlich auf Anwendung konzipierte Sonderform der sprachlichen Verwendung”, die “aufs engste mit der Alltagssprache verwoben ist” (Baumgart, 1992: 34; Buschmann, 1994: 222). Für viele Werbetexte ist die Dreiteilung in eine Aufmerksamkeit erregende, Hauptargumente hervorhebende und den Markennamen einführende Schlagzeile/Headline, einen ausführlicher argumentierenden Textkorpus und einen die Essenz des Werbetextes zusammenfassenden Slogan charakteristisch. Gängige rhetorische Stilmittel im Dienst einer leicht memorisierbaren Produktanpreisung sind Hyperbel, Repetition, Parallelismus und die Personifizierungen von Produkten. Der medial, ökonomisch und auch rezeptional bedingten Kürze und Prägnanz vieler Texte entsprechen einfache Verbalsyntagmen bzw. auch häufige Ellipsen des Prädikats (Schifko, 1982: 991ff.). Für eine ökonomisch-dichte, optisch-auffallende und mitunter auch technisch-präziser erscheinende Informationsübermittlung wird überwiegend ein Nominalstil bevorzugt (Weuthen, 1988: 146). Identifikation und anpreisende Darstellung bzw. Bewertung der Produkte geschieht häufig durch innovative Wortbildungen sowie eine signifikant hohe Verwendung bestimmter Artikel und Adjektive (vgl. Schuncke, 1983: 199ff.; Weuthen, 1988: 146ff.; Schifko, 1982: 993ff.). Alle genannten Charakteristika sind in Abhängigkeit von dem Variationsreichtum möglicher Werbestile zu relativieren, die nach den Wirkfeldern Wert, Zeit, Originalität, Solidität und Atmosphäre unterteilt werden können (Weuthen, 1988: 200). Die Auswahl eines Basar-, Traditions-, Snobistischen-, Gute-Berater- oder Weltflair-Stils hat Auswirkungen auf Lexik und Morphosyntax des Werbetextes (ebda., 1988: 204ff., 285ff.). 4. Die Konzeption von kognitiv-argumentierenden Werbetexten wird weitestgehend durch eine klar definierbare Quaestio vorgegeben (“Warum soll ich – im Hinblick auf meine Präferenzlage – der Kaufempfehlung X folgen?”; Dietrich/Peter, 1996: 24), und ist von daher mindestens zweigliedrig, denn sie beinhaltet immer eine Empfehlung und eine Argumentation für diese Empfehlung. Die Quaestio und die aus ihr resultierende Textkonzeption bleiben weitestgehend unausgeführt, um die als Manipulation des 4 Adressaten verstehbare reale Kommunikationssituation einer vom Produzenten intendierten und durch selektierte Verkaufsargumente gestützten kostspieligen Handlung des Konsumenten möglichst weitgehend zu verdecken (ebda., S. 30). All dies gilt entgegen den Generalisierungstendenzen bei Dietrich/Peter freilich weder für jede Autowerbung noch für Werbetexte im allgemeinen (ebda., S. 24, 4), und insbesondere für die auf behavioristischen Lernprinzipien aufbauende Werbung sind Relativierungen angebracht. Nicht zufällig formuliert Obermaier (1988: 51,53) als Leitlinie für Werbetexter, “der Leser soll nicht denken sondern handeln” und “Kaufentscheidungen fallen überwiegend nach dem Gefühl”. So bieten etwa die Bacardi mit Südseeambiente vermarkenden Werbetexte kaum rational nachvollziehbare Argumente für den Produktkauf und die kognitive Rekonstruktion der Werbeaussage durch den Konsumenten kann nicht im Interesse des Produzenten liegen. 5. Letztere nach Stimulus-Reaktions-Prinzipien ausgerichtete Werbestrategie wurde in Deutschland vor allem in den 60er und 70er Jahren mitunter sehr pointiert als “geheime Verführung” durch “die großen Manipulateure des Kapitalismus” kritisiert (vgl. Packard, 1978: 1, 36ff.; Baumgart, 1992: 308). Heute wird die “Verführungsdebatte” insgesamt sachlicher geführt, vor dem Hintergrund einer durch wachsende Marktsättigung, Verdrängungswettbewerb und steigende Vereinheitlichung der Produkte intensivierten suggestiv-emotionalen Werbung bleiben die Ängste vor einer den Menschen zum Objekt degradierenden Massenkonditionierung (vgl. hierzu Schäfer/Schaller, 1976: 70ff.) allerdings sehr aktuell. Nicht zufällig resümiert Baumgart (1992: 314) warnend: “Gerade dieses ´Insich-selbst-Hineinlauschen´, d.h. seine eigenen verinnerlichten Vorstellungen und Mythen durch den Stimulus aktivieren zu lassen und mit der (werblichen) Botschaft zu verknüpfen [...] führt [...] zu immer unterschwelligeren und unkontrollierbareren Techniken der Meinungslenkung”. Demgegenüber konstatiert Wippermann (1997: 74) ab 1996 eine Tendenz zu realistischer, komplexer, transparenter und sachlich-informierender Werbung, mit der viele Produzenten im Kontext zeitgenössischer Krisen (Aids, Massenarbeitslosigkeit) einem ausgeprägten Authentizitätsbedürfnis bei vor allem jugendlichen Konsumenten entgegenzukommen versuchen. Offen bleibt allerdings, ob sich 5 hier eine dauerhafte Abkehr von dem illusionistischen Überhöhungsprinzip abzeichnet und ob mit der Reaktualisierung authentischer Werte ein Rückgang assoziativer Werbestrategien verbunden ist. LITERATUR Primärtexte: Rothfuss, Volker (Hrsg./1991): Wörterbuch der Werbesprache. Stuttgart: Rothfuss Verlag. Henkel KGaA (Hrsg./1987): Alle mögen´s weiß. Schätze aus der Henkel-Plakatwerbung. Düsseldorf: Schottedruck. Sekundärtexte: Allison, Ron (1995): “Cross-Cultural Factors in Global Advertising”, in: Jürgen Bolten (Hrsg.): Cross Culture – Interkulturelles Handeln in der Wirtschaft. Berlin: Verlag Wissenschaft und Praxis, S. 92-101. Baumgart, Manuela (1992): Die Sprache der Anzeigenwerbung. Eine linguistische Analyse aktueller Werbeslogans. Heidelberg: Physica-Verlag (= Konsum und Verhalten 37). Buschmann, Matthias (1994): “Zur ´Jugendsprache´ in der Werbung”, in: Muttersprache 104, S. 219-231. Dietrich, Rainer/Peter, Kerstin (1996): “Zum Aufbau von argumentativen Texten – am Beispiel Werbung”, in: Linguistische Berichte 161, S. 3-36. Edelmann, Walter (1996): Lernpsychologie. Weinheim: Psychologie Verlags Union. Glück, Helmut (1994): “Reklamedeutsch im DaF-Unterricht”, in: Hans Jürgen Heringer (u.a. Hrsg.): Tendenzen der deutschen Gegenwartssprache. Tübingen: Max Niemeyer, S. 265-284. 6 Hartwig, Heinz (1986): “Vom Mordversuch zur Wahnsinnsbrille. 100 Jahre Werbedeutsch”, in: Muttersprache 96, S. 215-221. Henkel KGaA (Hrsg./1997): 90 Jahre Persil. Produkt- und Werbegeschichte. Düsseldorf: Industrie- und Werbedruck Westphal. Küpper, Heinz (1981): “Alltagssprache und Werbung”, in: Muttersprache 91, S. 15-23. Obermaier, Ernst (1988): Grundwissen Werbung. München: Wilhelm Heyne Verlag. Packard, Vance (1978): Die geheimen Verführer. Der Griff nach dem Unbewußten in jedermann. Düsseldorf: Econ-Verlag. Schäfer, Karl-Heinz/Schaller, Klaus (1976): Kritische Erziehungswissenschaft und kommuni-kative Didaktik. Heidelberg: Quelle & Meyer. Schifko, Peter (1982): “Die Werbetexte aus sprachwissenschaftlicher Sicht”, in : Bruno Tietz (Hrsg.): Die Werbung. Handbuch der Kommunikations- und Werbewirtschaft. Bd. 2: Die Werbebotschaften, die Werbemittel und die Werbeträger. Landsberg/Leech: Verlag Moderne Industrie. Schuncke, Michael (1983): “Sprecht die Sprache der Adressaten! Die 30 häufigsten Wörter aus je 100 Anzeigen, untersucht in 10 Branchen”, in: Muttersprache 93, S. 197-209. Weuthen, Ingeborg Gabriele (1988): Werbestile – Zur Analyse und zum produktspezifischen Einsatz ganzheitlicher Gestaltungskonzepte. Köln: Fördergesellschaft ProduktMarketing. Wippermann, Peter (1997): “Arbeitskreis für neue Bildsprache. Anzeigen in LeadMagazinen 1996 – Fakten, Analysen, Trends”, in: Jahrbuch der Werbung 34, S. 62-74. 7