Otto-Friedrich-Universität Bamberg Politikwissenschaft Politische Systeme Proseminar: Das politische System der USA (SS 2004) Dozent: Dr. Johannes Schmidt Der US-Kongress und seine Abhängigkeit vom Präsidenten. Abgabedatum: 27. Mai 2004 Johannes Michel Studiengang: Diplom-Germanistik Literaturvermittlung, Nebenfach Politikwissenschaft Onet-Le-Chateau-Straße 2 96135 Stegaurach Telefon 0951-2968058 eMail [email protected] Inhalt I. Präsident und Kongress................................................................................................. 3 II. Der US-Kongress und seine Abhängigkeit vom Präsidenten ...................................... 4 1. Der Kongress der Vereinigten Staaten ..................................................................... 4 1.1 Das Repräsentantenhaus ..................................................................................... 4 1.2 Der Senat ............................................................................................................ 4 1.3 Rechte und Pflichten der Kongressmitglieder .................................................... 5 1.4 Kompetenzen des Kongresses ............................................................................ 5 1.5 Blick in „das Innere“ des Kongresses................................................................. 6 1.5.1 Parteien ........................................................................................................ 6 1.5.2 Ausschusswesen .......................................................................................... 7 1.6 Gesetzgebung ..................................................................................................... 8 2. Abhängigkeit des Kongresses vom Präsidenten....................................................... 9 2.1 Zustimmung des Präsidenten gegenüber Gesetzesvorlagen............................... 9 2.2 Ablehnung des Präsidenten gegenüber Gesetzesvorlagen ................................. 9 2.3 Verhältnis zwischen Kongress und Präsident................................................... 10 2.3.1 „Presidential Leadership“.......................................................................... 10 2.3.2 „Congressional Leadership“ ...................................................................... 10 2.3.3 „Cooperation/Consensus“.......................................................................... 11 2.3.4 „Deadlock/Extraordinary Resolution“....................................................... 11 2.4 Geschichte des Präsidenten-Vetos.................................................................... 11 3. Besonderheiten und neuere Entwicklungen ........................................................... 12 3.1 Verschränkung von Exekutive und Legislative................................................ 12 3.2 Machtverschiebungen....................................................................................... 13 3.3 Generelle Problematiken bezüglich des Kongresses ........................................ 13 3.3.1 Einflussnahme auf Mitglieder des Kongresses durch Interessengruppen . 13 3.3.2 Einflussnahme auf Mitglieder des Kongresses durch den Präsidenten ..... 14 3.3.3 Wachsende Bedeutung der Fraktionen ...................................................... 14 3.3.4 Reaktionen auf Problematiken und Reformmöglichkeiten ....................... 14 III. Zusammenfassung .................................................................................................... 16 IV. Literaturverzeichnis.................................................................................................. 17 2 I. Präsident und Kongress „Mit Saddam Hussein ist leichter zu verhandeln als mit dem Kongress!“1 Diese Aussage des ehemaligen US-Präsidenten George Bush sen. aus dem Jahr 1990 ist zwar als starke Übertreibung einzustufen, dennoch findet sich in ihr ein wahrer Kern. Das Verhältnis zwischen Präsident und Kongress kann von heute auf morgen schlagartig von Kooperation zu Blockade umschlagen. Die beiden Organe sind aber auf Kooperation angewiesen, um Politik vernünftig gestalten zu können, da sich das politische System der USA durch eine strikte Gewaltenteilung auszeichnet, wobei sich aber zwischen Exekutive (Präsident), Legislative (Kongress) und Judikative durchaus Verschränkungen ergeben. Im Rahmen dieser Arbeit zum Thema „Der US-Kongress und seine Abhängigkeit vom Präsidenten“ soll ein Schwerpunkt auf die Beziehungen zwischen dem US-Kongress und dem Präsidenten gelegt werden. Dazu werden zuerst Aufbau und Kompetenzen des Kongresses sowie der Gesetzgebungsprozess erläutert. In einem weiteren Punkt folgt die Betrachtung der Abhängigkeit des Kongresses vom Präsidenten, bevor Besonderheiten und neuere Entwicklungen analysiert werden. 1 vgl. Emil Hübner: Das politische System der USA. 5. Auflage, München 2003. S. 146 3 II. Der US-Kongress und seine Abhängigkeit vom Präsidenten 1. Der Kongress der Vereinigten Staaten Der Kongress der Vereinigten Staaten unterteilt sich in zwei Häuser, das Repräsentantenhaus und den Senat. Kongress Repräsentantenhaus Senat 435 Abgeordnete Amtszeit: 2 Jahre 100 Mitglieder Amtszeit: 6 Jahre Abbildung 1: Aufbau des Kongresses 1.1 Das Repräsentantenhaus Das Repräsentantenhaus soll den „politischen Willen der wahlberechtigten Bürger“2 zum Ausdruck bringen. Ihm gehören heute 435 Abgeordnete an. Jeder Bundesstaat der USA muss mindestens einen Sitz innehaben, die weitere Sitzverteilung wird gemäß den Bevölkerungszahlen vorgenommen. Den Parlamentspräsidenten (Speaker), der durch den majority leader unterstützt wird, wählt das gesamte House of Representatives. Der majority leader hat eine Doppelfunktion inne: er ist zugleich Stellvertreter des Parlamentspräsidenten und Fraktionsführer der Mehrheitspartei. Daneben existiert noch der sogenannte minority leader, der die Minderheitspartei im Repräsentantenhaus vertritt. Die Abgeordneten des Repräsentantenhauses werden direkt für zwei Jahre gewählt. Um sich zur Wahl stellen zu können, wird die amerikanische Staatsbürgerschaft seit mindestens sieben Jahren und ein Mindestalter von 25 Jahren vorausgesetzt. 1.2 Der Senat Der Senat ist das „Organ der einzelstaatlichen Interessenrepräsentation“3. Er besteht aus 100 Mitgliedern, den Senatoren. Jeder Bundesstaat der USA ist mit zwei Senatoren vertreten. Vorsitzender des Senats ist der jeweilige Vizepräsident der Vereinigten Staaten. 2 Wolfgang Jäger und Wolfgang Welz (Hrsg.): Regierungssystem der USA. 2. Auflage, München 1998. S. 111 3 ebd. 4 Daneben gibt es – wie im Repräsentantenhaus – sowohl einen majority leader wie auch einen minority leader. Die Mitglieder des Senats werden direkt durch die Bevölkerung des jeweiligen Bundesstaates für sechs Jahre gewählt. Voraussetzungen, um für einen Senatorenposten kandidieren zu können, sind ein Mindestalter von 30 Jahren und die Staatsbürgerschaft seit mindestens neun Jahren. 1.3 Rechte und Pflichten der Kongressmitglieder Nach Artikel VI Abs. 3 der Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika haben sich „Senatoren und Angeordnete (…) durch Eid oder Gelöbnis zur Wahrung dieser Verfassung zu verpflichten“4. Wie auch die Abgeordneten des deutschen Bundestages besitzen Senatoren und Abgeordnete eine Immunität. Ergänzt wird diese durch das sogenannte Indemnitätsrecht, das daher als wichtigstes Privileg der Mitglieder des Kongresses gilt. Indemnität (von lat. indemnitas = Schadloshaltung) (…), im Parlamentarismus der Schutz eines Abgeordneten durch Gewährleistung strafrechtlicher Verantwortungsfreiheit für sein Abstimmungsverhalten und seine Äußerungen im Plenum oder in Ausschüssen des Parlaments. Die I. erstreckt sich auch auf die Zeit nach Ablauf des Abgeordnetenmandats. Das Vorrecht der I. wird ergänzt durch die parlamentarische Immunität und das Zeugnisverweigerungsrecht. Diese Vorrechte dienen dem Schutz der Ausübung des freien Mandats und der Funktionsfähigkeit des Parlaments gegenüber der Exekutive und der Judikative. (…) 5 Die Geschäftsordnungen beider Häuser legen zudem einen Verhaltenscodex (ethical codex) fest, dessen Einhaltung für die Mitglieder und Mitarbeiter des Kongresses verpflichtend ist. Die wichtigsten Festsetzungen dieses Verhaltenscodexes sind unter anderem, dass der Senator beziehungsweise der Abgeordnete neben seinem Mandat nur begrenzt zusätzliche Einkünfte erzielen darf und dass er nicht direkt nach Ausscheiden aus dem Kongress als Lobbyist tätig werden darf.6 1.4 Kompetenzen des Kongresses Während in der Bundesrepublik Deutschland das Parlament über die Möglichkeit verfügt, der Regierung durch das konstruktive Misstrauensvotum das Vertrauen zu entziehen und sie damit aus dem Amt zu entheben, ist der Kongress eine reine Legislative, „deren höchste politische Sanktionsgewalt in der Gesetzgebung liegt“7. Es besteht für 4 http://www.documentarchiv.de/in/usverf.html Manfred G. Schmidt: Wörterbuch zur Politik. Stuttgart 1995. S. 414 6 vgl. Jäger/Welz, S. 114f. 7 ebd. S. 115 5 5 den Kongress nur die Option, durch ein impeachment-Verfahren dem Präsidenten möglicherweise strafrechtlich relevante Verfehlungen nachzuweisen. Auf der anderen Seite hat der Präsident aber ebenfalls keine Möglichkeit, den Kongress aufzulösen. Während zum Beispiel der britische Premierminister das Unterhaus auflösen und Neuwahlen anordnen kann, fehlt dieses „Disziplinierungsmittel“8 in den Vereinigten Staaten völlig. Bei der Gesetzgebung (siehe 1.6) sind beide Häuser des Kongresses nahezu gleichberechtigt. Nur bei den Haushaltsgesetzen steht dem Repräsentantenhaus Primat zu, da es bei diesen das Initiativrecht besitzt. Daneben nimmt der Kongress auch nichtgesetzgeberische Aufgaben und Kompetenzen wahr, zu erwähnen sind die Wahl des Präsidenten und Vizepräsidenten. Der Senat wirkt zudem bei Verfassungsänderungen und bei der Ernennung von Regierungsmitgliedern und Bundesrichtern mit. Diese zusätzliche Rolle des Kongresses neben der Gesetzgebung wird als non-legislative power bezeichnet.9 1.5 Blick in „das Innere“ des Kongresses 1.5.1 Parteien Abgesehen von wenigen Ausnahmen gehören die Mitglieder beider Häuser des Kongresses entweder der Demokratischen oder der Republikanischen Partei an. Die jeweilige Mehrheitspartei stellt die Vorsitzenden der Ausschüsse und Unterausschüsse (siehe 1.5.2). Folglich haben für diese Personalentscheidungen Fraktionen (siehe 3.3.3) sehr wohl eine Bedeutung, wobei sie „bei weitem nicht dasselbe Gewicht haben wie z.B. im deutschen Bundestag“10. Daher gibt es im Kongress keinen Fraktionszwang, dem die Abgeordneten des Bundestages bei den meisten Abstimmungen unterliegen. Auch wenn kein Zwang für den einzelnen Abgeordneten oder Senator existiert, wie die Mehrheit seiner Partei abzustimmen, etablierte sich besonders im 20. Jahrhundert der sogenannte party vote. „Um eine Abstimmung als (…) ‚party vote’ zu klassifizieren, fordert die gebräuchliche Kongressstatistik (…), dass 50% der Mitglieder der einen gegen die Mehrheit der Mitglieder der anderen Partei stimmen.“11 Weitestgehend nicht 8 Hübner, S. 108 vgl. Jäger/Welz, S. 117 10 Hübner, S. 112 11 ebd. S. 111 9 6 mehr angewendet wird eine striktere Definition, wobei 90 Prozent der Mitglieder der einen gegen 90 Prozent der Mitglieder der anderen Partei stimmen müssen. In den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts hat sich der party vote allerdings insgesamt zurückentwickelt. „Today, this type of party-line voting is rare in Congress. It is, however, fairly common to find at least a majority of the Democrats opposing a majority of the Republicans on any given issue.“12 1.5.2 Ausschusswesen Um der mehr als ausreichend vorhanden Arbeit nachkommen zu können, wurde es sehr schnell notwendig, dass – zur Vorbereitung von Entscheidungen – jedes Haus Arbeitsgruppen bildete. Diese werden als Ausschüsse bezeichnet und sollen dafür sorgen, dass nur die endgültigen Entscheidungen im Plenum getroffen werden müssen. Bei den Ausschüssen kann zwischen ständigen Ausschüssen (standing committees) und Sonderausschüssen (select beziehungsweise special committees) unterschieden werden. Die Sonderausschüsse sind dabei weniger bedeutend, da sie nur zur Erledigung einer bestimmten Aufgabe eingesetzt und danach wieder aufgelöst werden. Anders ist es mit den ständigen Ausschüssen. „Standing committees are the most important arenas of congressional policy making. These committees continue in existence from congress to congress; they have the power to propose and write legislation.“13 Ständige Ausschüsse im Repräsentantenhaus Agriculture Appropriations Armed Service Budget Education and the Workforce Energy and Commerce Financial Services Government Reform House Administration International Relations Judiciary Resources Rules Science Select Intelligence Small Business Standards of Official Conduct Transportation and Infrastructure Veterans Affairs Ways and Means Ständige Ausschüsse im Senat Agriculture, Nutrition and Forestry Appropriations Armed Service Banking, Housing and Urban Affairs Budget Commerce, Science and Transportation Energy and Natural Resources Environment and Public Works Finance Foreign Relations Governmental Affairs Judiciary Health, Education, Labor and Pensions Rules and Administration Select Intelligence Small Business Veteran Affairs Abbildung 2: Ausschusswesen 12 14 Benjamin Ginsberg, Theodore J. Lowi und Margaret Weir: We the people. 4. Auflage, New York 2003. S. 484 13 ebd. S. 472 14 nach ebd. 7 90 Prozent der Ausschüsse entfallen auf die ständigen Ausschüsse. Insgesamt hatte beispielsweise der 107. Kongress (2001/2002) in seinen beiden Häusern 203 Ausschüsse und Unterausschüsse gebildet. Es ist daher nicht abwegig, den Kongress als eine „Ausschuss-Legislative“ zu bezeichnen.15 1.6 Gesetzgebung Der Gesetzgebungsprozess in den Vereinigten Staaten von Amerika kann nach Jäger/Welz16 in drei Phasen unterteilt werden. In der ersten, so genannten Vorbereitungsphase, wird die Gesetzesvorlage erstellt und in das Parlament eingebracht. Es folgt darauf die zweite Phase, die als Beratungs- und Beschlussphase bezeichnet wird. Hier wird die Gesetzesvorlage verhandelt, gegebenenfalls ergänzt oder geändert. Wird die Vorlage verabschiedet, folgt die Abschlussphase, in der das Gesetz dem Präsident zur Unterzeichnung vorgelegt wird. Um den Gesetzgebungsprozess in Gang zu setzen, muss eine Gesetzesvorlage in den Senat oder ins Repräsentantenhaus eingebracht werden, was formal nur durch Mitglieder des Kongresses geschehen darf. Diese wandert zunächst an einen Ausschuss – möglicherweise auch an mehrere, falls sich die Zuständigkeit nicht einhundertprozentig abstecken lässt – und innerhalb des Ausschusses an weitere Unterausschüsse. Erst danach wird die Vorlage erneut im Plenum beraten. Bereits in den Ausschüssen und Unterausschüssen scheitert ein großer Teil der Gesetzesvorlagen. „Für die wenigen Gesetzesvorlagen, die nicht bereits an diesen Hürden (= Ausschüsse, Erg. des Verfassers) scheitern, stellt das sog. ‚Rules Committee’ des Repräsentantenhauses einen weiteren Stolperstein dar.“17 Dieses legt zum Beispiel den Zeitpunkt der Beratung im Plenum fest und entscheidet, ob Änderungsanträge oder ähnliches erlaubt sind. Im Senat fehlt eine derartige Einrichtung. Sobald der Gesetzentwurf im Plenum des einen Hauses verabschiedet wurde, geht er an die andere Kammer des Kongresses. Dort wiederholt sich der oben geschilderte Prozess (Beratung, Weiterleitung an Ausschüsse usw.) in ähnlicher Weise. Wird der Entwurf durch eines der beiden Häuser angenommen, durch das andere aber abgelehnt, wird ein Vermittlungsausschuss (conference committee) eingeschaltet. 15 vgl. Hübner, S. 118f. und Jäger/Welz, S. 121 vgl. Jäger/Welz, S. 185 17 Hübner, S. 116 16 8 Als letzter Schritt muss das Gesetz dem Präsidenten zur Unterzeichnung vorgelegt werden. Darauf wird noch näher einzugehen sein. 2. Abhängigkeit des Kongresses vom Präsidenten Der Kongress kann auch auf die Gesetzgebung des Kongresses massiv Einfluss nehmen – er kann Gesetzesvorlagen des Kongresses die Unterzeichnung verweigern, beziehungsweise von seinem Vetorecht Gebrauch machen. 2.1 Zustimmung des Präsidenten gegenüber Gesetzesvorlagen Wenn der Präsident mit einem Gesetzesentwurf des Kongresses einverstanden ist, kann er diesen durch seine Unterschrift bestätigen und somit seine Unterstützung zeigen. Eine andere Möglichkeit ist die so genannte stillschweigende Hinnahme. In diesem Fall lässt der Präsident die ihm laut Verfassung zustehende Zehntagesfrist zur Unterschrift einfach verstreichen – dann erlangt „das Gesetz auch ohne [die] Unterschrift des Präsidenten Gesetzeskraft“18. 2.2 Ablehnung des Präsidenten gegenüber Gesetzesvorlagen Ist der Präsident mit einem Gesetzesentwurf des Kongresses nicht einverstanden, kann er ein Veto einlegen. „The veto is the president’s constitutional power to reject a piece of legislation. To veto a bill, the president returns it unsigned within ten days to the house of Congress in which it originated.“19 Er kann sein Veto allerdings nur gegen das gesamte Gesetz einlegen, niemals gegen einzelne Teile. Dieses Veto kann der Kongress immerhin noch abschmettern. Dazu ist aber eine Zweidrittelmehrheit in beiden Häusern nötig. Verweigert der Präsident seine Zustimmung zu einer Gesetzesvorlage, ist diese daher so gut wie gescheitert, da es schwierig ist, in beiden Häusern eine derart große Mehrheit zu erreichen. 18 19 Jäger/Welz, S. 191 Ginsberg/Lowi/Weir, S. 480 9 2.3 Verhältnis zwischen Kongress und Präsident Lance T. LeLoup und Steven A. Shull teilen die Beziehung zwischen Kongress und Präsident in ihrem Buch „The President and Congress“ von 199920 in vier unterschiedliche Patterns of Policymaking ein. Diese sollen im folgenden Abschnitt – freilich in der gebotenen Kürze – etwas genauer betrachtet werden. In Klammern finden sich jeweils die Referenzseiten des eben erwähnten Buches. 2.3.1 „Presidential Leadership“ Wird die Politik der Vereinigten Staaten vornehmlich durch die Entscheidungen des Präsidenten dominiert, geschieht das meist in einer „highly conflictual environment“ (14). Der Kongress zeigt in einer derartigen Situation oft wenig Interesse an aktiver Politik oder weiß den Entscheidungen des Präsidenten nichts entgegenzusetzen. Auch vollkommen unterschiedliche Ansichten zur Politikgestaltung können dieses Politikmuster auslösen. Wenn der Präsident die Führungsrolle in der Politik übernimmt, ist diese Führerschaft aber nicht in allen Politikfeldern gleich stark. Sie bezieht sich meist eher auf die Außenpolitik, was Beispiele wie der ‚Kalte Krieg’, der ‚Vietnam-Krieg’ oder auch der ‚Krieg gegen den Terrorismus’ belegen. Begründen lässt sich dies folgendermaßen: „Policymaking led by the president appears to be more timely, nonroutine, and responsive than the other three patterns. (…) In times of foreign or domestic crisis, the presidency is best equipped to respond quickly (…).” (242/3) 2.3.2 „Congressional Leadership“ Hat der Präsident einer Gesetzesvorlage des Kongresses sein Veto entgegengesetzt und der Kongress daraufhin mit einer Zweidrittelmehrheit dieses rückgängig gemacht, kann es zu einer vorübergehenden Schwächung des Präsidenten kommen. In diesem Fall dominiert der Kongress die Politik. Der Präsident hingegen spielt eine wesentlich geringere Rolle als in den drei anderen Mustern. Da es aber selten zu einer Überstimmung des Präsidenten mit einer Zweidrittelmehrheit kommt, ist „this type of congressional leadership relatively rare. (…) The legislative process is often careful, slow, deliberative and less timely.“ (244/246). Die Chancen des Kongresses, die politische Führung inne zu haben, steigt und fällt mit der Machtposition und dem Ansehen des jeweiligen Präsiden20 Lance T. LeLoup und Steven A. Shull: The president and Congress – collaboration and combat in national policymaking. Boston 1999. 10 ten. Ein schwacher Präsident kommt dem Kongress hierbei sehr gelegen. Voraussetzung ist dann aber, dass sich im Kongress selbst (angesehene) Führungspersönlichkeiten hervortun. 2.3.3 „Cooperation/Consensus“ „Consensus occurs when opposition in either branch is unorganized, co-opted by informal agreements, or with ‘motherhood and apple pie’ issues where no real disagreement exists.“ (16) Besonders in Situationen, in denen sich politische Vorteile für den Präsidenten und die beiden Parteien im Kongress herausschlagen lassen, ist eine ‚friedliche’ Zusammenarbeit angebracht. Die Konsenspolitik spielt gerade bei symbolischen Gesetzgebungsprozessen eine Rolle. 2.3.4 „Deadlock/Extraordinary Resolution“ „It is sometimes characterized by political brinkmanship21 and results in government paralysis, often in face of urgent problems.“ (17) Dieses Politikmuster gewinnt an Bedeutung, wenn der Kongress die Politik des Präsidenten nicht unterstützt beziehungsweise sogar bekämpft. Um aus dieser Phase ausbrechen zu können, sind außergewöhnliche Lösungen und Schritte (extraordinary resolutions) notwendig, da eine Kompromissfindung fast ausgeschlossen zu sein scheint. Für ein großes Land wie die Vereinigten Staaten kann es sehr schwierig werden, diese Politikphase zu verlassen, ohne dass Präsident, Kongress oder sogar die gesamte Nation erheblichen Schaden davontragen. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Kongress seit dem Ende des 20. Jahrhunderts wieder eine dominantere Rolle spielt. Ein Grund dafür ist sicherlich, dass gerade in der Innenpolitik Reformbedarf besteht und dass der Kongress in diesem Politikfeld schon immer präsenter war als der Präsident. 2.4 Geschichte des Präsidenten-Vetos Wie in Punkt 2.2 erwähnt, kann der Präsident gegen Gesetzesvorlagen des Kongresses ein Veto einlegen. Geschichtlich betrachtet machten die verschiedenen Präsidenten unterschiedlich oft von ihrem Vetorecht Gebrauch. Unter den ersten 16 Präsidenten wurde das Vetorecht nur 16-mal eingesetzt, danach nahm seine Anwendung deutlich zu. Den ‚Rekord’ halten Präsident Cleveland (1885-1889 und 1893-1897), der 584-mal sein Ve21 brinkmanship = Politik des äußersten Risikos 11 torecht anwendete und Präsident Franklin D. Roosevelt (1933-1945), der sogar auf 635 Anwendungen kam. Ab der Mitte des 20. Jahrhunderts ging der Einsatz dieser präsidentischen Waffe allerdings deutlich zurück, da sich der Trend abzeichnete, dass der Kongress vermehrt durch seine Zweidrittelmehrheit den Präsidenten überstimmte. Die beiden Präsidenten George Bush sen. und Bill Clinton hielten sich daher mit ihren Vetos sehr zurück und kamen zusammen nur auf 83 Vetos.22 3. Besonderheiten und neuere Entwicklungen 3.1 Verschränkung von Exekutive und Legislative Bei genauerer Betrachtung des politischen Systems der Vereinigten Staaten von Amerika fällt auf, dass es zu deutlichen Verschränkungen zwischen der Exekutive und der Legislative, also zwischen Präsident und Kongress kommt. Erwähnt wurden schon das Vetorecht des Präsidenten gegen Gesetzesentscheidungen des Kongresses und das impeachment-Verfahren des Kongresses gegen den Präsidenten. Es finden sich aber noch weitere Verschränkungen. So muss der Kongress den Personalentscheidungen des Präsidenten, zum Beispiel im Bezug auf die Ernennung der Minister, erst zustimmen und erhält damit die Personalgewalt. Zu nennen ist auch die Billigungsgewalt des Kongresses gegenüber der Haushaltsplanung. Die Möglichkeit einer Verfassungsänderung durch den Kongress ist zwar theoretisch vorhanden, wurde aber in der Geschichte der USA nur selten angewandt. So gab es seit Inkrafttreten der Verfassung 1789 nur 27 Verfassungsänderungen. Interessant ist aber auch die Einflussnahme des Präsidenten auf die Gesetzgebung nicht erst bei der Verabschiedung eines Gesetzes, sondern schon bei der Gesetzesinitiative. Formal darf, wie schon erwähnt, ein Gesetz nur durch ein Mitglied des Kongresses eingebracht werden. Unter Zuhilfenahme der US-Verfassung lässt sich begründen, warum der Präsident durchaus auch Einfluss auf die Einbringung von Gesetzen nehmen soll: „Er (= der Präsident, Erg. des Verfassers) hat von Zeit zu Zeit dem Kongress über die Lage der Union Bericht zu erstatten und Maßnahmen zur Beratung zu empfehlen, die er für notwendig und nützlich erachtet.“23 22 23 vgl. Hübner, S. 117f. Art. II, Abs. 3 der US-Verfassung, http://www.documentarchiv.de/in/usverf.html 12 Im Rahmen dieser messages kann der Präsident dem Kongress Gesetzesanregungen zuleiten, die schon mehr oder weniger ausformuliert sein können. Unternimmt ein Präsident heute diese Anstrengung nicht, wird dies als präsidentielles Versagen oder als Verweigerungshaltung gewertet.24 3.2 Machtverschiebungen Unbestreitbar hat, gerade im 20. Jahrhundert, eine deutliche Machtverschiebung von der Legislative hin zur Exekutive stattgefunden. Grund dafür war der „beginnende Wandel vom liberalen Nachtwächterstaat zum modernen ‚état actif’ (Bertrand de Jouvenel). Dieser Wandel der Staatsfunktionen brachte eine Vermehrung der Staatsaufgaben mit sich – und zwar in einem Ausmaße, dass sie nur noch von Großbürokratien bewältigt werden konnten.“25 Da die globale Politik immer wichtiger wurde, mussten mehr und mehr Verhandlungen zwischen den einzelnen Regierungen geführt werden, was zu einer größeren Machtposition der Verhandlungsführer – also meist der Staatsoberhäupter und Regierungschefs – führte. Aber auch der Kongress hat, vergleicht man seine Machtposition mit der des 19. Jahrhunderts, deutlich an Einfluss hinzugewonnen, da die zunehmenden Staatsaufgaben nur durch vermehrten Personaleinsatz zu erfüllen waren.26 Daher wurden in den westlichen Demokratien, also auch in den USA, die Parlamente vergrößert, zudem wuchs der Bürokratieapparat um sie herum. So stieg allein die Zahl der persönlichen Mitarbeiter der Kongressmitglieder von etwas über 2.000 (1947) auf fast 12.000 (1989).27 3.3 Generelle Problematiken bezüglich des Kongresses 3.3.1 Einflussnahme auf Mitglieder des Kongresses durch Interessengruppen Da die Parteienbindung eines Abgeordneten oder Senators in den USA weit weniger hoch ist als zum Beispiel die eines Abgeordneten in der Bundesrepublik, sind ihre Kollegen in den USA weit anfälliger für Beeinflussungen von Außen. Besonders für die teuren Wahlkämpfe sind sie auf Finanzmittel von Interessengruppen oder Wirtschaftsvertretern angewiesen. Daher kommt es immer wieder zu Korruptionsskandalen. Zwar 24 vgl. Jäger/Welz, S. 187 Hübner, S. 140 26 vgl. Hübner, S. 140 27 vgl. Jäger/Welz, S. 123 25 13 wurde 1989 der so genannte Ethics Reform Act verabschiedet, Veränderungen haben sich durch ihn aber kaum ergeben. Hochzeit der Skandale waren die 80-er bzw. frühen 90-er Jahre des vergangenen Jahrhunderts. In jüngster Zeit traten kaum noch Bestechungsskandale auf. Dennoch scheint aber „die Lektion, dass die Verwicklung in Skandale die Wiederwahlchancen beträchtlich verringert, nicht bei allen Kongressabgeordneten angekommen zu sein“28. 3.3.2 Einflussnahme auf Mitglieder des Kongresses durch den Präsidenten Eine nicht zu unterschätzende Rolle für das Abstimmungsverhalten der Abgeordneten und Senatoren spielt der jeweilige Präsident. Damit dieser Einfluss nehmen kann, installiert er (und zusätzlich auch einige Ministerien) liaison staffs, die im Kongress für seine Ziele beziehungsweise für die seiner Regierung Werbung machen sollen. Da der Kongressabgeordnete somit unter ständiger Beobachtung durch den Präsidenten steht, wird er sich genau überlegen, ob es angebracht ist, nicht mit dem Präsidenten einer Meinung zu sein und anders abzustimmen. 3.3.3 Wachsende Bedeutung der Fraktionen Auch wenn die Fraktionen in den USA eine noch weitaus geringere Bedeutung haben als in der Bundesrepublik Deutschland, ist dennoch festzuhalten, dass schon seit längerer Zeit ihre Bedeutung auch in den USA zunimmt. Zwar liegt die Gesetzgebung nach wie vor in den Händen der Ausschüsse und Unterausschüsse. Wenn es aber um Personalentscheidungen und um Verhandlungen zu Gesetzesvorschlägen geht, dürfen die Fraktionen nicht übergangen werden. Häufig werden diese Verhandlungen heute „direkt von den Spitzen bzw. den Experten der Fraktionen unter Umgehung der Ausschüsse geführt“29, was zu einer ‚Entmachtung’ des Auschusswesens und damit auch der jeweiligen Oppositionspartei führt, die an den Vorverhandlungen nicht mehr partizipieren kann. 3.3.4 Reaktionen auf Problematiken und Reformmöglichkeiten Einige der oben genannten Faktoren führten – insbesondere nach der Watergate-Affäre in den siebziger Jahren – dazu, dass der Kongress selbst mit seiner Arbeit nicht immer 28 29 Hübner, S. 123 Hübner, S. 124 14 zufrieden war. Daher wurden Reformen auf den Weg gebracht, durch die vor allem die Unterausschüsse Kontrollbefugnisse erhielten. Ob sich durch die Kontrolle die Arbeit beziehungsweise die Ergebnisse der Arbeit des Kongresses verbessert haben, ist allerdings umstritten. So stellt sich die Frage, „ob der Kongress noch kontrolliert oder ob er bereits selbst verwaltet“30. Wie in allen demokratischen Systemen hängt dessen Handlungsfähigkeit von verschiedenartigsten Faktoren ab: von der jeweiligen Regierung, vom wirtschaftlichen Umfeld, von der weltpolitischen Lage und – nicht zu unterschätzen – von der Stimmung im eigenen Land. Der Reformprozess des Kongresses der Vereinigten Staaten ist nach wie vor in vollem Gange. Ein besonderer Schwerpunkt sollte dabei darauf gerichtet sein, den Kongress als handlungsfähiges Parlament zu erhalten. Die Abgeordneten sollten weiterhin möglichst ohne Fraktionszwänge ihre Abstimmungsentscheidung fällen können – ein eindeutiger Vorteil des amerikanischen Systems gegenüber dem deutschen. Der einzelne Abgeordnete muss auf jeden Fall gestärkt aus möglichen Kongressreformen hervorgehen. Nachzudenken wäre auch über eine Reform des Gesetzgebungsverfahrens. Viele Gesetzesvorlagen scheitern bereits in den Ausschüssen, ohne dass über sie im Plenum abgestimmt wird. Durch die wachsende Bedeutung der Fraktionen kommt in neuester Zeit zudem die Opposition mit ihnen gar nicht mehr in Berührung. Neue Fragestellungen ergaben sich nach dem 11. September 2001. Als Präsident George W. Bush den ‚Krieg gegen den Terrorismus’ erklärte, schien seine Vorgehensweise wenig bis überhaupt nicht mit dem Kongress abgesprochen gewesen zu sein. Hier wäre eine bessere Kooperation und eventuell auch eine größere Kontrolle des Kongresses gegenüber dem Präsidenten wünschenswert – vor allem, um diesem die Grenzen aufzuzeigen, denn Effizienz eines politischen Systems kann nicht der einzige Maßstab sein, um es als erfolgreich und funktionierend zu bezeichnen. 30 Hübner, S. 125 15 III. Zusammenfassung „The Congress of the United States is, without doubt, the most powerful representative assembly in the world today.“31 Dennoch ergeben sich auch für ihn gewisse Abhängigkeiten. Präsident und Kongress bilden einen Dualismus und sind dabei voneinander abhängig – das heißt: nicht nur der Kongress vom Präsidenten, sondern auch umgekehrt. Der Präsident kann ohne den Kongress nur sehr eingeschränkt bis überhaupt nicht regieren, da er nicht einmal in der Lage wäre, einen Haushaltsentwurf zu verabschieden, auf der anderen Seite braucht der Kongress den Präsidenten zur Unterzeichnung seiner Gesetzesentwürfe. Das politische System der Vereinigten Staaten von Amerika ist freilich sehr kompliziert aufgebaut, aber gerade dies führt zu seiner Stabilität. Wichtig für die Zukunft ist aber, dass sich die Politik den notwendigen Reformen nicht verschließt, da es immer schwieriger wird, Gesetzesvorschläge auch zu Gesetzen werden zu lassen. Dabei kann durchaus der Präsident derjenige sein, der Gesetzesentwürfe, wenn auch über ein Mitglied des Kongresses, an das Parlament heranträgt. Hüten sollten sich die Parlamentarier aber gegenüber den Vertretern der Interessengruppen, deren Einfluss mehr und mehr wächst. Wünschenswert wäre, wenn der Kongress sich selbst ermöglichen würde, etwa durch eine Verfassungsänderung, den Präsidenten etwas mehr an das Parlament zu binden und dadurch besser kontrollieren zu können. Eine derartige Reform scheint aber – leider – nicht in Sichtweite zu sein. 31 M. J. C. Vile: Politics in the U.S.A. 3. Auflage, Hutchinson 1983. S. 131 16 IV. Literaturverzeichnis Hübner, Emil: Das politische System der USA. 5. Auflage, München 2003. Ginsberg, Benjamin, Theodore J. Lowi und Margaret Weir: We the people. 4. Auflage, New York 2003. Jäger, Wolfgang und Wolfgang Welz (Hrsg.): Regierungssystem der USA. 2. Auflage, München 1998. LeLoup, Lance T. und Steven A. Shull: The president and Congress – collaboration and combat in national policymaking. Boston 1999. Schmidt, Manfred G.: Wörterbuch zur Politik. Stuttgart 1995. Vile, M. J. C.: Politics in the U.S.A. 3. Auflage, Hutchinson 1983. Internetquelle: US-Verfassung in deutscher Sprache: http://www.documentarchiv.de/in/usverf.html (24. Mai 2004) 17