Economic Research Allianz Group Dresdner Bank Working Paper Nr.: 27, 14. Dezember 2004 Autor: Dominik Thiesen _________________________________________________________________________ Türkei: Die Türkei vor der EU-Entscheidung Wirtschaftliche Lage und Ausblick Zusammenfassung: • Nach der Krise 2001 wuchs die türkische Wirtschaft in den Jahren 2002/2003 real mit Raten von 7,8 % und 5,8 % wieder kräftig. Im gleichen Zeitraum fiel die Inflationsrate von 73 % im Januar 2002 auf knapp 10 % im November 2004. Die Konsolidierungsbemühungen der Regierung ließen den Primärüberschuss in den ersten neun Monaten des laufenden Jahres auf 7,8 % des BIP steigen (der IWF verlangt im Rahmen des laufenden Programms Primärüberschuss von 6,5 % des BIP). Eine Stabilisierung des Bankensystems, der flexible Wechselkurs und höhere Devisenreserven machen die Wirtschaft weniger anfällig als sie es noch 2000/2001 war. Die Verhandlungen über ein neues IWF Programm, mit dem Ziel, die Rückzahlungsverpflichtungen der Türkei über einen längeren Zeitraum zu strecken, sowie die Aussicht, dass die EU-Beitrittsverhandlungen im nächsten Jahr beginnen, verleihen der Wirtschaft weitere Stabilität. • Dennoch fehlt es der Türkei immer noch an einem entsprechenden Nachfragemanagement. Die Konjunktur drohte in diesem Jahr zu überhitzen (das reale BIP-Wachstum betrug in den ersten drei Quartalen 8,8 % gegenüber Vorjahr), was auch das Leistungsbilanzdefizit aus dem Ruder laufen ließ (knapp 5 % des BIP im gleichen Zeitraum). Dies ist für Volkswirtschaften, die aus einem disinflationären Prozess kommen, eher die Regel als die Ausnahme. Auffällig bei der Türkei ist jedoch die Finanzierung des Leistungsbilanzdefizits in erster Linie durch kurzfristiges Auslandskapital. Dadurch könnte ein Vertrauensverlust der Türkei auf dem internationalen Kapitalmarkt eine Umkehr der aktuellen Zahlungsströme zur Folge haben und zu ernsthaften Liquiditäts- 1 engpässen führen. Wir erwarten jedoch, dass die Kapitalmärkte zunächst positiv auf die kommenden Ereignisse bezüglich EU-Beitritt und das soeben unterzeichnete neue Dreijahresprogramm des IWF reagieren werden. Konjunktur In der Krise 2001 verzeichnete die türkische Wirtschaft einen dramatischen Einbruch des BIP (real – 7,5 %). Alleine das Einspringen des IWF mit einem dreijährigen Stand-by-Abkommen konnte einen Default verhindern. Im Rahmen des Abkommens flossen 15 Mrd. USD, was die Türkei zu einem der größten Schuldner des IWF macht. In den beiden Folgejahren zeigte sich die Wirtschaft wieder erholt und wuchs real mit hohen Raten (2002: 7,9 %, 2003: 5,8 %). Im laufenden Jahr legte das Wirtschaftswachstum mit real gut 10 % im ersten und mehr als 13 % im zweiten Quartal gegenüber Vorjahr noch einmal zu und drohte damit zu überhitzen. Ein deutlicher Rückgang der Wachstumsraten beim Privaten Konsum und den Investitionen ließ die heiß gelaufene Konjunktur im dritten Quartal wieder etwas abkühlen. Trotz der hohen Wachstumsdynamik der letzten Jahre gelang es kaum, die hohe Arbeitslosigkeit abzubauen. Nicht zuletzt durch die Freisetzung von Arbeitskräften konnten die Unternehmen ihre Produktivität erheblich erhöhen. Die wirtschaftliche Erholung ist vor allem durch die Binnennachfrage getrieben. Der Private Konsum legte zwischen Januar und September im Jahresvergleich um mehr als 10 % zu, die Investitionen um über 42 %. Bei der sektoralen Betrachtung stachen beim Wachstum vor allem der Groß- und Einzelhandel und die Industrie hervor. Das Wiedererstarken der türkischen Wirtschaft war nicht alleine eine technische Reaktion auf den vorangegangenen Zusammenbruch. Teilweise unter erheblichen Druck des IWF und als Vorbereitung auf mögliche EU-Beitrittsverhandlungen hat die Regierung Reformen durchgeführt. Seit Ende 2002 verfügt die Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei (AKP) von Premierminister Erdogan im türkischen Parlament über die absolute Mehrheit, seit Mitte 2003 sogar über eine Zweidrittelmehrheit. Entgegen vorheriger Befürchtungen nutzte die Regierung diese breite Machtbasis bisher nicht für Verfassungsänderungen. Die klaren Machtverhältnisse führten vielmehr bisher zu einer für die Türkei unbekannten politischen Stabilität. Dies hat zusammen mit Erfolgen bei der Fiskalpolitik und der Inflationsbekämpfung in einem positiven weltwirtschaftlichen Umfeld zu gestiegenem Investorenvertrauen geführt, das sich in stark gesunkenen Spreads für türkische Staatsanleihen in Fremdwährung widerspiegelt. Reformen Die Regierung unternahm in der Fiskalpolitik erhebliche Konsolidierungsanstrengungen und erreichte so relativ hohe Primärüberschüsse (Budgetüberschüsse vor Zinszahlungen), die im vorigen Jahr nur knapp unter dem vom IWF geforderten Wert von 6,5 % des BIP lagen. Nach Zinsen waren die Bud- 2 getdefizite mit 11 % immer noch sehr hoch. In diesem Jahr dürfte der Primärüberschuss noch einmal deutlich steigen, was vor allem höheren Einnahmen zu danken ist. Allerdings hat sich trotz aller Erfolge die Struktur des Budgets sowohl auf der Ausgaben- als auch auf der Einnahmenseite verschlechtert. So betrafen Ausgabenkürzungen in erster Linie Investitionsausgaben, während Konsumausgaben etwas ausgeweitet wurden. Die Einnahmen sind vor allem durch unerwartet hohe Gewinne der Staatsunternehmen gestiegen. Die anfällige Einnahmestruktur zeigt sich auch an dem rückläufigen Anteil der direkten Steuern am Steueraufkommen (1999: 45 %; 2003: 33 %). Immer mehr Einkommen wird in der Schattenwirtschaft generiert und damit der Besteuerung durch den Fiskus entzogen. Eine Steuerreform, welche die Finanzierung des Budgets langfristig sichert, steht noch aus. Nach dem Zusammenbruch des festen Wechselkurses der türkischen Lira Anfang 2001, wurden erste Schritte in Richtung einer operational unabhängigen Zentralbank gemacht. Diese konzentrierte sich auf die Rückführung der Inflation und war dabei sehr erfolgreich. Die Zentralbank hat dazu eine ausgesprochen restriktive Geldpolitik mit Realzinssätzen für Zentralbankgeld von teilweise über 17 % (Januar 2003) betrieben. Auch im November dieses Jahres lag der Realzins immer noch bei über 10 %, obwohl die Zentralbank im September nach Druck von Regierungs- und Unternehmensseite den Zins um zwei Prozentpunkte auf 20 % gesenkt hatte, wobei die Entscheidungswege unklar und untransparent waren. Die Erfolge bei der Inflationsbekämpfung, die hohen Realzinsen und das gestiegene Investorenvertrauen haben zu kräftigen Kapitalzuflüssen geführt, die wiederum einen Aufwertungsdruck auf die türkische Lira zum US-Dollar zur Folge hatten. Dennoch bleibt der Wechselkurs anfällig. Politische Turbulenzen wie bei der Diskussion um die Hochschulzulassung für Absolventen von Koranschulen im März/April oder zuletzt wegen der strafrechtliche Behandlung von Ehebruch haben die Lira zwischenzeitlich geschwächt. Gegenüber dem Euro hat die türkische Währung seit April dieses Jahres nominal um über 15 % nominal abgewertet. Die zuvor desaströse Lage des Bankensektors hat sich stabilisiert. Der Anteil der nicht vertragsgemäß bedienten Kredite an den Gesamtdarlehen ist von über 25 % 2001 auf unter 10 % im zweiten Quartal 2004 gesunken. Allerdings sind viele wichtige Privatbanken Teil großer Konglomerate, die an die koreanischen Chaebols vor der Asienkrise erinnern. Die unübersichtlichen finanziellen Verflechtungen innerhalb dieser Gruppen trugen damals erheblich zum Ausbruch der Krise bei. In der Türkei müssen die Banken daher auf Druck der staatlichen Aufsichtgremien die Kreditvergabe an Unternehmen der eigenen Gruppe im laufenden Jahr auf 45 % und bis 2006 auf 25 % senken. Die offenen Devisenpositionen, die das Bankensystem 2000/2001 an den Rand des Abgrunds gebracht hatten, sind inzwischen fast vollständig abgebaut. Das Risiko liegt inzwischen eher bei nicht gedeckten Fremdwährungspositionen auf Kundenseite. Die Kreditinstitute beginnen langsam, den immer noch sehr hohen Anteil von Treasury Bills an ihren Assets zurückzufahren und ihre eigentliche Funktion als Finanzintermediär aufzunehmen, wobei vor allem Konsumentenkredite im Vordergrund stehen. Bei Privatisierungen hat die Türkei kaum Erfolge vorzuweisen. Zwar ist es gelungen, kleinere Untenehmen an zumeist inländische Investoren zu veräußern. Die Versuche, große Staatunternehmen zu privatisieren, sind jedoch gescheitert. Die Gründe hierfür sind vielschichtig: Mal entsprechen die Erlö- 3 se nicht den Erwartungen der Regierung, so dass Privatisierungsvorhaben in der letzten Phase abgebrochen werden, ein anderes Mal sind es die Gewerkschaften, die erfolgreich gegen den Verkauf angeblich staatstragender Unternehmen an ausländische Investoren klagen. Seit Jahren beabsichtigt die Regierung, die Festnetztelefongesellschaft TurkTelekom zu privatisieren, jedoch ohne Erfolg. Auch im Falle der staatlichen Fluglinie Turkish Airlines dürfte der Schritt schwergefallen, da die Gesellschaft kürzlich 30 neue Flugzeuge bei Airbus bestellt hat. Generell erschwert die teilweise sehr unübersichtliche Marktstruktur vor allem ausländischen Wettbewerbern den Markteintritt, was die Privatisierung bremst. Außenwirtschaft und Fremdwährungsliquiditätslage Obwohl die EU als wichtigster Exportmarkt der Türkei im internationalen Vergleich nur ein niedriges Wirtschaftswachstum aufweisen kann, gelang es der Türkei, auch ihre Exporte deutlich zu steigern. Gründe hierfür waren in Folge der Krise 2001 nur moderat gestiegene Löhne und Gehälter sowie der starke Euro, welche die internationale Wettbewerbsfähigkeit der türkischen Industrie sicherten. In der Türkei – wie bei allen Schwellenländern mit beschränkten Ressourcen – geht hohes Wirtschaftswachstum mit hohen Wachstumsraten bei den Einfuhren einher. So hat das starke Binnenwachstum auch diesmal die Importnachfrage in die Höhe schießen lassen. Den höchsten Anteil am Gesamtimport hat der Import von Konsumgütern, die höchsten Wachstumsraten der Import von Kapitalgütern und Zwischenprodukten. Angesichts des Importbooms explodierte das Handelsbilanzdefizit und in Konsequenz auch das Leistungsbilanzdefizit, das von rund 4,6 Mrd. USD in den ersten zehn Monaten 2003 auf 10,7 Mrd. USD im gleichen Zeitraum 2004 gestiegen ist. Leistungsbilanzsaldo Mio. US-Dollar 1000 0 -1000 -2000 -3000 -4000 2003 2004 4 Vor allem im Dezember dürfte der Fehlbetrag aus saisonalen Gründen noch einmal stark wachsen. Wir rechnen zum Jahresende mit einem Leistungsbilanzdefizit von über 14 Mrd. USD (rund 5 % des BIP). Das türkische Leistungsbilanzdefizit wurde in der Vergangenheit fast ausschließlich über kurzfristiges Auslandskapital finanziert. Im Zuge des Irakkrieges 2003 war der Zugang zum internationalen Kapitalmarkt für die Türkei gestört. Die EMBI+ Spreads lagen im März 2003 zwischenzeitlich bei über 1.000 Basispunkten. Der Fehlbetrag in der Leistungsbilanz musste daher anderweitig finanziert werden. Türkische Investoren lösten Vermögenswerte im Ausland auf und Fluchtkapital kehrte in großem Umfang ins Land zurück. Im laufenden Jahr hat sich die Situation wieder gedreht. Die EMBI+ Spreads liegen mittlerweile unter 300 Basispunkten. Der Zugang zum internationalen Kapitalmarkt ist damit offen. Das Leistungsbilanzdefizit wird wieder mit originär ausländischem Kapital finanziert. Allerdings spielen Direktinvestitionen als Finanzierungsquelle kaum eine Rolle. Das Land scheint weder als Produktionsstandort noch als Markt so interessant zu sein, dass internationale Konzerne Direktinvestitionen in dem Land tätigten. In den ersten zehn Monaten 2004 sind derartige Engagements im Vergleich zum Vorjahr zwar deutlich gestiegen, dies ist allerdings vor allem auf den Erwerb von Ferienimmobilien durch Ausländer zurückzuführen. Solche Investitionen helfen zwar, den Fehlbetrag in der Leistungsbilanz zu finanzieren. Die ansonsten Direktinvestitionen zugeschriebenen positiven Effekte wie etwa die Erschließung von Absatzmärkten und Know-How-Transfer durch den Investor können sich aber hierdurch nicht entfalten. Direktinvestitionen in den Unternehmenssektor finden dagegen immer noch kaum statt. Die Markteintrittsbarrieren für internationale Investoren sind hier wie schon erwähnt sehr hoch. Anders sieht das Bild bei den Portfolioinvestitionen aus. In den ersten zehn Monaten des laufenden Jahres flossen so netto über 4,5 Mrd. USD ins Land. Auch der Kapitalzufluss aus Handelskrediten erreichte im gleichen Zeitraum fast 2,7 Mrd. USD. Der hohe Anstieg erklärt sich aus der boomenden Importnachfrage in der Türkei. Ausländische Exporteure gewährten bis Oktober des laufenden Jahres türkischen Importeuren Kredite in Höhe von fast 3,6 Mrd. USD. Auch türkische Exporteure gaben ihren Handelspartnern Kredite von fast 1 Mrd. USD. Mit Abstand die wichtigste Finanzierungsquelle sind jedoch Bankendarlehen. Zwischen Januar und Oktober strömten hier netto über 5,6 Mrd. USD in die Türkei. Während der Staat in den ersten zehn Monaten des Jahres seine Auslandsverbindlichkeiten abgebaut hat, hat sich der private Sektor stark im Ausland neuverschuldet. Bei stabilem Wechselkurs bieten die niedrigen Zinsen in Europa und den USA den türkischen Unternehmen eine Möglichkeit, sich mit billigem Kapital einzudecken. Ende 2003 betrug die Auslandsverschuldung der Türkei rund 150 Mrd. USD, über 60 % des BIP. Von diesen 150 Mrd. USD waren rund 30 Mrd. USD (20 %) kurzfristig finanziert. Zum Vergleich: In Brasilien betrug die Auslandsverschuldung im gleichen Jahr nur knapp 48 % des BIP, wovon nur rund 10 % kurzfristig war. Im Falle der Türkei entfallen 65 % der Auslandsverschuldung auf die öffentliche Hand, inklusive der von ausländischen Investoren – meist Hedge-Fonds – gehaltenen inländischen Staatspapiere. Die ausländischen Investoren versuchen, auf diese Art von der Zinsdifferenz zwischen der 5 Türkei und der EU bzw. den USA zu profitieren (Carry-Trade). Angesichts des erwarteten hohen Leistungsbilanzdefizits und der im bisherigen Jahresverlauf beobachteten Kapitalflüsse, dürfte die Verschuldung gegenüber dem Ausland auf rund 158 Mrd. USD steigen. Das sehr starke Wirtschaftswachstum lässt die Verbindlichkeiten in Prozent des BIP jedoch auf 55 % sinken. Die Fälligkeitsstruktur verschlechtert sich etwas (Anteil der Kurzfristverschuldung: 23 %), da der Großteil der Neuverschuldung im laufenden Jahr vom privaten Sektor mit einer Fälligkeitsfrist von unter einem Jahr aufgenommen wurde. Internationale Beziehungen Ihre strategische Lage hat die Türkei immer zu einem bevorzugten Partner Westeuropas und der USA gemacht. Sie profitiert daher nicht unerheblich von der Rückendeckung internationaler Institutionen. Vor allem der IWF und die Europäische Union spielen als Stabilitätsanker eine herausragende Rolle. Nach dem die Regierung im Frühjahr mehrfach geäußert hatte, in Zukunft ohne die Hilfe des Währungsfonds auskommen zu wollen, hat sie im Spätsommer ihre Meinung geändert. Mitte Dezember hat die Türkei ein neues dreijähriges Beistandsabkommen mit dem IWF in Höhe von 10 Mrd. USD unterzeichnet, mit dem Ziel, die Rückzahlungsverpflichtungen der nächsten Jahre über einen längeren Zeitraum zu strecken. Eines ist jedoch klar: Die Türkei muss als einer der größten Schuldner des Fonds netto Schulden abbauen. Abgesehen hiervon stärkt natürlich die weitere Zusammenarbeit mit dem IWF das Investorenvertrauen in die Nachhaltigkeit des Reformprozesses in der Türkei. Ohne die geographische und politische Nähe zur EU hätte die Türkei die Probleme des letzten Jahres (Irakkrieg, Terrorangriffe) nicht so souverän meistern können, wie sie es getan hat. Nun steht ein weiterer Meilenstein der Beziehungen zwischen der Türkei und der Europäischen Union bevor: die Entscheidung, ob und unter welchen Bedingungen 2005 Beitrittsverhandlungen aufgenommen werden. Dabei sind generell drei Entscheidungsmöglichkeiten denkbar: Verhandlungen werden ohne zusätzliche Bedingungen aufgenommen, die Aufnahme von Verhandlungen wird an Bedingungen geknüpft oder die Aufnahme von Verhandlungen wird abgelehnt. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird die Entscheidung des Europäischen Rates positiv ausfallen. Allerdings besteht bis dahin immer die Gefahr, dass der Beitrittsaspirant noch ins Stolpern gerät. Die jüngste Krise um den „Ehebruchparagraphen“ hat dies gezeigt. Auch die Beitrittsverhandlungen selbst dürften die ergebnisoffensten werden, die wir bisher gesehen haben, denn sowohl die Türkei als auch die EU haben bis zu einem Beitritt eine Menge an Hausaufgaben zu erledigen, die auch für einen Zeitraum von 10 bis 15 Jahren eine enormen Anstrengung bedeuten. Ein Scheitern des EU-Beitritts würde das Vertrauen in die Türkei schwer erschüttern, da die positiven Erwartungen bezüglich eines Beitritts in den Märkten schon zu einem Großteil eingepreist sind. 6 Ausblick Bei allen Erfolgen der letzten zwei Jahre bleibt die Türkei weiterhin für Schocks anfällig. Destabilisierende Faktoren sind das schwache Nachfragemanagement, die niedrige Sparquote, der Fehlbetrag in der Leistungsbilanz und das trotz aller Erfolge noch hohe Budgetdefizit. Angesichts dieser Risiken sehen wir für die wirtschaftliche Entwicklung folgende Perspektive: Wir rechnen mit einer positiven Entscheidung des Europäischen Rates zur Aufnahme von EUBeitrittsverhandlungen mit der Türkei. Dies gibt der türkischen Wirtschaft noch einmal einen Vertrauensvorschuss an den internationalen Kapitalmärkten. Sollte sich die konjunkturelle Beruhigung fortsetzen, besteht Hoffnung, dass das Leistungsbilanzdefizit im kommenden Jahr wieder leicht zurückgeht. Denn mittelfristig sind die gegenwärtigen Fehlbeträge in Budget und Leistungsbilanz für die Türkei nicht tragbar. Das gewachsene Investorenvertrauen lässt zwar zunächst noch Kapital in ausreichender Menge in die Türkei fließen, um das Leistungsbilanzdefizit zu finanzieren. Wenn jedoch die Befürchtungen wegen der Budget- und Leistungsbilanzfehlbeträge und damit die Gefahr von plötzlichen Kapitalabflüssen wieder zunehmen, stünde die Türkei vor erheblichen Problemen. Starke Kapitalabflüsse könnten die Türkei trotz EU-Perspektive abermals an den Rand einer Krise bringen. 7