1. Philharmonisches Konzert

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1. Philharmonisches
Konzert
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Die heutige Konzertbesetzung des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg
Konzertmeister
Konradin Seitzer
Thomas C. Wolf
Joanna Kamenarska-Rundberg
Violine 1
Danuta Kobus
Jens-Joachim Muth
Janusz Zis
Stefan Herrling
Imke Dithmar-Baier
Christiane Wulff
Sidsel Garm Nielsen
Tuan Cuong Hoang
Hedda Steinhardt
Daria Pujanek
Jakub Nowak
Katharina Weiß
María del Mar Vargas A.*
Razvan-Eugen Aliman
Violine 2
Hibiki Oshima
Sebastian Deutscher
Marianne Engel
Berthold Holewik
Thomas F. Sommer
Herlinde Kerschhackel
Martin Blomenkamp
Felix Heckhausen
Anne Schnyder Döhl
Annette Schmidt-Barnekow
Josephine Nobach
Ludovica Nardone
Susanne Schmidt
Boris Bachmann
Thomas Huppertz
Viola
Naomi Seiler
Isabelle-Fleur Reber
Sönke Hinrichsen
Jürgen Strummel
Roland Henn
Elke Bär
Liisa Haanterä
Thomas Rühl
Stefanie Frieß
Adrienne Hochmann
Teresa Westermann
Thomas Oepen
David Lau
Violoncello
Thomas Tyllack
Clara Grünwald
Markus Tollmann
Ryuichi R. Suzuki
Monika Märkl
Arne Klein
Brigitte Maaß
Yuko Noda
Benjamin Stiehl
Lukas Helbig
Katharina Kühl
Kontrabass
Stefan Schäfer
Tobias Grove
Katharina von Held
Franziska Kober
Franziska Petzold
Philipp-Daniel Singer
Kerstin Lück-Matern
Karsten Lauke
Flöte
Björn Westlund
Manuela Tyllack
Jocelyne Fillion-Kelch
Oboe
Nicolas Thiébaud
Melanie Jung
Ralph van Daal
Klarinette
Rupert Wachter
Patrick Alexander Hollich
Kai Fischer
Fagott
Christian Kunert
Olivia Comparot
Fabian Lachenmaier
Hannah Gladstones*
Horn
Bernd Künkele
Pascal Deuber
Clemens Wieck
Ralph Ficker
Torsten Schwesig
Jonathan Wegloop
Trompete
Andre Schoch
Martin Frieß
Mario Schlumpberger
Posaune
Felix Eckert
Hannes Tschugg
Jonas Burow
Edgar Manyak
Tuba
Andreas Simon
Pauke
Jesper Tjærby Korneliusen
Schlagwerk
Matthias Hupfeld
Špela Cvikl*
Dirk Wucherpfennig
Harfe
Clara Bellegarde
Orchesterwarte
Thomas Geritzlehner
Thomas Schumann
Thomas Storm
* Mitglied der
Orchesterakademie
1. Philharmonisches Konzert
Sonntag 18. September 2016, 11 Uhr
Montag 19. September 2016, 20 Uhr
Laeiszhalle Hamburg
Richard Strauss (1864-1949)
Don Quixote op. 35
Fantastische Variationen über ein Thema ritterlichen Charakters
1. Introduktion: Don Quixote verliert über der Lektüre der Ritterromane seinen Verstand und
beschließt, selbst fahrender Ritter zu werden 2. Thema: Don Quixote, der Ritter von der traurigen Gestalt / Sancho Panza 3. Variation I: Abenteuer an den Windmühlen
4. Variation II: Der siegreiche Kampf gegen das Heer des großen Kaisers Alifanfaron
5. Variation III: Gespräch zwischen Ritter und Knappen
6. Variation IV: Unglückliches Abenteuer mit einer Prozession von Büßern
7. Variation V: Die Waffenwache 8. Variation VI: Begegnung mit Dulcinea
9. Variation VII: Der Ritt durch die Luft 10. Variation VIII: Die unglückliche Fahrt auf dem
venezianischen Nachen 11. Variation IX: Kampf gegen vermeintliche Zauberer
12. Variation X: Zweikampf mit dem Ritter vom blanken Mond 13. Finale: Wieder zur Besinnung gekommen, beschließt er seine Tage in Beschaulichkeit. Don Quixotes Tod
Pause
Johannes Brahms (1833-1897)
Symphonie Nr. 1 c-Moll op. 68
1. Un poco sostenuto – Allegro
2. Andante sostenuto
3. Un poco Allegretto e grazioso
4. Adagio – Allegro non troppo, ma con brio
Dirigent Kent Nagano
Viola Naomi Seiler
Violoncello Gautier Capuçon
Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Einführung mit Juliane Weigel-Krämer am Sonntag 10.15 Uhr
und am Montag, 19.15 Uhr im Studio E
Familienangebot am Sonntagvormittag: Spielplatz Orchester und
Künstlergespräch für Kinder mit Gautier Capuçon
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„Es ist nicht schwer zu komponieren. Aber es ist fabelhaft schwer,
die überflüssigen Noten unter den
Tisch fallen zu lassen.“
Johannes Brahms
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Im Zeichen der Variation:
Wie Richard Strauss sie kunstvoll
zertrümmerte und Brahms sich daraus neu
als Symphoniker erfand
Richard Strauss‘ „Don Quixote“
Entstehung: April bis Dezember 1897
Uraufführung: 8. März 1898, Gürzenich-Orchester Köln
Orchesterbesetzung: Viola solo, Violoncello solo – Piccoloflöte, 2 Flöten, 2 Oboen,
Englischhorn, 2 Klarinetten, Bassklarinette, 3 Fagotte, Kontrafagott, 6 Hörner,
3 Trompeten, 3 Posaunen, Tenortuba, Basstuba, Schlagwerk, Harfe, Streicher
Johannes Brahms und Richard Strauss: Ein größerer Gegensatz lässt sich kaum denken. In
musikalischer wie in menschlicher Hinsicht. Hier der norddeutsche Grübler, der in Wien
seine zweite Heimat fand und das Erbe der Klassik für die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts weiterführte, dort der kernige Bajuware, der als jugendlicher Senkrechtstarter die
symphonische Welt aus den Angeln hob und später mit seinen Opern Salome und Elektra
kühn den Weg ins 20. Jahrhundert beschritt. Man mag es nicht glauben: Kaum mehr als
20 Jahre liegen zwischen den beiden Werken, die im heutigen Konzert zu hören sind. Und
doch spiegeln sie die Welten wider, die in formaler, harmonischer und auch instrumentationstechnischer Hinsicht zwischen beiden Komponisten liegen. Übrigens: Brahms hat zwar
noch die frühen Erfolge von Richard Strauss erlebt, nicht aber die Uraufführung des Don
Quixote von 1898. Er starb ein Jahr zuvor, mit fast 64 Jahren, in Wien. Immerhin war sein
letztes, 1888 komponiertes symphonisches Werk ebenfalls ein Konzert für zwei Streicher:
das berühmte Doppelkonzert a-Moll für Violine und Violoncello.
Doch daran dürfte sich Strauss kaum orientiert haben. Wie er überhaupt dem Kollegen
Brahms in herzlicher Abneigung verbunden war. Nicht einmal beim Hamburger Gedenkkonzert 1894 zu Ehren des verstorbenen Dirigenten Hans von Bülow – gleichermaßen
Verehrer und Vorkämpfer für die Werke von Brahms und Wagner – konnte sich Strauss
überwinden, ein Werk des Hamburgers zu dirigieren, und sagte seine Teilnahme ab. Insofern ist auch die Wahl des Typus „Variation“ für ein symphonisches Werk aus der Feder von
Strauss mehr als pikant. Er selbst hat zwar auf die lange und reiche Tradition der Variation
hingewiesen; er schreibt von Bachs „unglaublich genialer“ Chaconne, von den „Kaiservariationen“, also dem berühmten Streichquartett Joseph Haydns, und nennt – als Krönung –
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Honoré Daumier: Don Quixote in den Bergen (ca. 1850)
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den Adagio-Satz aus Beethovens Es-Dur-Quartett op. 127. Doch das alles sind Tempi passati.
Von Brahms, der sich in den Jahrzehnten zuvor in unzähligen Klavier- und Orchestervariationen gerade diesem Genre intensiv gewidmet hatte, keine Rede!
Was sich Richard Strauss für Don Quixote als Variation vorgenommen hat, ist also mehr
eine Variation der Variation in ihrem herkömmlichen Sinne. Es ist eine Zertrümmerung
und künstlerische Neuformung gleichermaßen, in die symphonische Elemente ebenso wie
typische Merkmale des Solokonzerts einflossen – schließlich wird die „Hauptrolle“ des Don
Quixote, des „Ritters von der traurigen Gestalt“ aus dem gleichnamigen Roman von Miguel
de Cervantes, einem Solo-Violoncello zugedacht. Herausgekommen ist letztlich wiederum
eine jener so genannten Tondichtungen, mit denen Strauss seit seinen Anfängen mit Don
Juan (1888) und Tod und Verklärung (1890) Furore gemacht hatte. 1896 war Also sprach
Zarathustra, eine pompöse Huldigung an Friedrich Nietzsche, hinzugekommen, und nur
ein Jahr später, im Frühjahr 1897, begann Strauss mit den Skizzen für Don Quixote. Im
Kopf hatte er ein symphonisches Doppel – sozusagen die zwei musikalisch-philosophischen Seiten einer Medaille. Dem „Satyrspiel“ um den spanischen Edelmann wollte er eine
Symphonische Dichtung „Held und Welt“ gegenüberstellen. Daraus wurde später in der
Tat Ein Heldenleben, in dem die Frage des Heldentums auf eine sehr viel diesseitigere Art
und Weise gespiegelt wird als in den träumerischen Fantasien des Don Quixote. Der feierte
im Frühjahr 1898 seine erfolgreiche Premiere im Kölner Gürzenich; erst danach nahm
Ein Heldenleben seine endgültige Gestalt an und wurde 1899, fast genau ein Jahr nach dem
„ungleichen Bruder“, in Frankfurt zur Uraufführung gebracht.
Wie zwingt man einen so üppigen Roman wie Don Quixote in eine musikalische Form?
Indem man ihn klugerweise nicht nacherzählt, sondern – wie Strauss es tat – einzelne
Episoden herausgreift, die in ihrer Summe ein farbiges Porträt von den fantastischen Taten
und Träumen der Hauptfigur zeichnen. Der Ritter selbst wird durch das Solo-Cello sehr
pointiert in den Mittelpunkt gerückt; der französische Romancier und Musikschriftsteller
Romain Rolland charakterisierte ihn 1899 als „steif, schmachtend, angriffslustig, ein alter
Spanier, ein wenig Troubadour, abschweifend in den Gedanken und immer wieder auf die
gleiche Marotte zurückkommend“. Wohlgemerkt: Dieser Don ist der ruhende Pol in all den
Wirrungen; Strauss verändert dessen Themen musikalisch nur wenig. Er bleibt er – im
Sinne der „idée fixe“ eines Berlioz, als eine feststehende Größe, um die herum die Musik
eine ständige Verwandlung erlebt.
Für diese Verwandlungen bietet der Roman breitesten Raum, und hat das Werk erst einmal
die Phase der „Introduzione“ hinter sich gebracht, in welcher der Hörer auf die kommenden 45 Minuten eingestimmt wird, dann folgen die Stimmungswechsel Schlag auf Schlag.
Für jede Variation – sprich: jedes Abenteuer – findet Strauss schlafwandlerisch die passende
musikalische Idee: Bleibt der Kampf gegen die Windmühlen noch in den luftigen Trillern
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der geteilten Violinen und den Glissandi der Harfe stecken (Variation 1), so markieren markige Marschrhythmen, kombiniert mit meckernden Blechbläsern, den „siegreichen Kampf“
gegen die Hammelherde (Variation 2). Das „verrückte Gespräch“ zwischen Don Quixote
und seinem Diener Sancho Panza (Variation 3) ist ebenso leicht wiederzuerkennen: Eine
Solo-Bratsche verkörpert den braven, durch und durch gediegenen Mitkämpfer, dem kaum
mehr als die Rolle eines Stichwortgebers bleibt.
Für das „Abenteuer mit einer Prozession von Büßern“ lässt Strauss einen schrägen Pilgermarsch in Trompeten und Posaunen vorbeiziehen (Variation 4), während für die Darstellung der „Bauerndirne“, der angeblichen Dulcinea, ein derber Bauerntanz – im kuriosen
Wechsel von Zweier- und Dreiertakt – herhalten muss. Ein grandioses Beispiel für Strauss’
Instrumentationskunst ist der „Ritt durch die Luft“ (Variation 7) mit virtuosesten Figuren
von Holzbläsern und Streichern – wie überhaupt die Partitur des Don Quixote mit einer unerhörten Differenzierung der einzelnen Orchesterinstrumente aufwartet. Für die „Unglückliche Fahrt auf dem verzauberten Nachen“ bedient sich der Komponist des wohlbekannten
6/8-Taktes einer Barcarole (Variation 8), während die beiden windigen „Pfäfflein auf ihren
Maultieren“ als kontrapunktisch aufmarschierendes Fagottduo leicht zu erkennen sind
(Variation 9).
Dass all diese ungeschminkten Klanggemälde von Windmühlen, Hammelherden und Prozessionen für die damalige Zeit eine Sensation waren und nicht überall auf Gegenliebe stießen, hat wiederum Romain Rolland bei einer Aufführung in Paris im März 1900 vermerkt:
„Das Publikum erstickt vor Entrüstung. (...) Es duldet keinen Scherz. Die Leute sind außer
sich über das Blöken von Schafen; sie glauben, man wolle sich über sie lustig machen,
man bringe ihnen nicht die gehörige Achtung entgegen.“ Strauss setzt hier fort, was bereits
Berlioz in seinen symphonischen Werken vorgezeichnet hatte und was er selbst in der
Alpensinfonie zum Höhepunkt führen sollte. Auffällig jedoch ist, dass es dem Komponisten
nie um plumpe Nachahmung geht: Das Sujet des fantasierenden Ritters bringt es mit sich,
dass immer die Note der Verfremdung, der Karikatur oder gar des Visionären mitschwingt.
Die Welt des Don Quixote bleibt eine Welt des Irrealen; das gibt der Musik von Strauss eine
Dimension, die so in keiner seiner anderen Symphonischen Dichtungen zu finden ist.
Zwischen Bewunderung und Distanzierung: Brahms’ Auseinandersetzung mit Beethoven in seiner ersten Symphonie c-Moll
Entstehung: 1862-1877
Uraufführung: 4. November 1876, Großherzogliches Hoforchester Karlsruhe
Orchesterbesetzung: 2 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte, Kontrafagott,
4 Hörner, 2 Trompeten, 3 Posaunen, Pauken, Streicher
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Wie schon erwähnt, hatte Strauss ursprünglich an eine Kopplung seines Don Quixote
mit Ein Heldenleben gedacht. Das heutige Konzert dagegen stellt eine andere Paarung zur
Diskussion, die ein nicht weniger schicksalhaftes Werk in den Mittelpunkt rückt: die Symphonie Nr. 1 c-Moll op. 68 von Johannes Brahms. Leidenswerk und endgültige Befreiung
zugleich: Jahrelang kämpfte der Komponist um seinen symphonischen Erstling, dessen
Uraufführung er 1876 als bereits 43-jähriger reifer Mann erlebte. Danach jedoch ging es
Schlag auf Schlag: Bereits ein Jahr später folgte die 2. Symphonie D-Dur.
Kein Text über Brahms’ Erste kommt ohne jenes berühmte Zitat aus, das der Komponist
selbst von sich gab, als er auf die merkwürdige Ähnlichkeit zwischen dem C-Dur-Thema des
Finales und Beethovens Neunter angesprochen wurde: „Jawohl, und noch merkwürdiger ist,
dass das jeder Esel gleich hört.“ Dass ein so formbewusster Künstler wie Brahms an dem
übergroßen Symphoniker Beethoven nicht vorbei kam, versteht sich von selbst. Wie er aber
den Weg weitergehen könnte, das bereitete ihm gewaltiges Kopfzerbrechen und zeitigte diverse Kompositionsversuche, die immer wieder in der Sackgasse endeten. Oder anderweitig
Verwertung fanden, wie jene d-Moll-Symphonie (in der Tonart von Beethovens Neunter!),
die zum einen die Basis für das 1. Klavierkonzert bildete, aber in Teilen auch ins Deutsche
Requiem übernommen wurde. Schließlich waren es die Umwege über die kleinere Form
der Orchesterserenaden, Streichquartette und Klaviertrios, welche für Brahms die Türen zu
neuen symphonischen Lösungen öffneten.
Worin lag das Problem? Kurz gesagt: Beethoven hatte in seiner dialektischen Zuspitzung
auf zwei gegensätzliche Themen und die Ausrichtung der Sätze auf einen Spannungshöhepunkt eine Vollendung erreicht, die höchstens kopierbar, aber nicht erreichbar oder fortzuführen war. Brahms suchte nach neuen Formprinzipien und fand sie schließlich in dem,
was Arnold Schönberg später die „entwickelnde Variation“ nannte. Ein Thema wird zur
Keimzelle für einen ganzen Satz, wenn nicht gar für die ganze Symphonie. Veränderung
und Verwandlung findet fortwährend statt, ohne dass ein zweites Thema benötigt würde.
Mit Brahms bekommt die Bezeichnung „Variation“ einen doppelten Sinn: Sie folgt einerseits dem traditionellen Vorbild – wie etwa in den Haydn-Variationen op. 56, den Händel-Variationen für Klavier op. 24 oder der Verwendung der Passacaglia in der 4. Symphonie. Und
sie bedeutet auch jenes neue Formprinzip, das bei Brahms von nun an zur vorherrschenden
Idee all seiner Instrumentalwerke wird.
Für die erste Symphonie bedeutet das, dass schon in der langsamen so genannten Einleitung die gesamte Substanz des folgenden Werkes im Keim angelegt ist, wie es der Musikpublizist Bernhard Rzehulka in seiner Analyse zusammengefasst hat: „Zwei chromatisch
gefärbte Linienzüge, die aufwärts strebenden Stimmen von Violinen und Celli sowie die
gegenläufigen in den Holzbläsern, organisieren sich mit dem Orgelpunkt der Pauken und
Bässe zum dreistimmigen kontrapunktischen Geflecht.“ Diese drei Elemente werden im
anschließenden Allegro-Teil zum Teil wörtlich wieder aufgenommen, ansonsten aber auch
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fragmentiert als kleinere Bausteine für das große Gesamtgebäude genutzt. Soweit sich
Brahms auch bisweilen harmonisch von der Grundtonart c-Moll entfernt, so stringent hält
er den Charakter des Satzes durch: unruhig, vorwärtsdrängend, von düsteren Klangfarben
geprägt, welche durch die zusätzliche Verwendung des Kontrafagotts (Vorbild: Beethovens Neunte!) noch verstärkt werden. Wo alles Entwicklung und Veränderung ist, verliert
die klassische Durchführung des Sonatenhauptsatzes – die sonst für das „Abklopfen“ der
Themen auf ihre Substanz zuständig war – an Gewicht. Bei Brahms wirkt sie wie eine
Fortsetzung der Exposition mit gesteigerten Mitteln, die dann, mit chromatisch aufsteigenden Akkorden, nahtlos in die Reprise zurückführt. Hier versagt sich der Komponist weitere
Neuerungen, indem er die Klanggestalt der Exposition nahezu wörtlich wiederholt.
Mag auch der Andante-Satz aus dem gleichen Tonmaterial gespeist sein: Er führt dennoch
in eine völlig andere Klangwelt, deren liedhafter Charakter sich zuerst in den Streichern,
dann in den Holzbläsern wie Oboe und Klarinette entfaltet. Doch gar zu idyllisch mag
es Brahms auch hier nicht. Immer mehr verdichtet sich das Klanggeflecht; synkopische
Gegenbewegungen bringen ebenso Unruhe wie die permanente Konfrontation von Triolenund Duolen-Bewegungen. Erst mit der Wiederkehr des A-Teils setzt sich das Licht endgültig
durch – mit einer Solovioline, die ihre Ornamente wie absichtslos in den Orchesterpart
hineinspinnt.
Im dritten Satz vermeidet Brahms augenscheinlich jede Auseinandersetzung mit
Beethoven: Statt des traditionellen Scherzos im markanten 3/4-Takt entscheidet er sich für
ein Allegretto im 2/4-Takt. Nach dem wiederum heiteren Beginn mit einer Klarinettenmelodie über Pizzicato-Bässen, mit den von Brahms so geschätzten Terz- und Sextabfolgen, wagt
er im Mittelteil eine spannende Kombination: Melodisch wandelt er weiter auf den Pfaden
des Allegretto, rhythmisch kehrt er mit dem 6/8-Takt und seinen pochenden Achteln unüberhörbar zum ersten Satz zurück. Und mit seinen Fortissimo-Ausbrüchen setzt er einen
deutlichen Kontrapunkt zu dem pastoralen Rahmen dieses Satzes.
Was danach kommt, ist wirklich neu. Kein heiterer Ausklang mehr, kein rasanter Kehraus
im Presto-Fieber, der die düsteren Gedanken eines Adagio-Satzes verscheucht. Stattdessen
ein Finale, das an Länge wie an Komplexität das Eingangs-Allegro bewusst noch übertrifft.
Eher zögerlich nimmt dieser Satz Gestalt an: eine Phrase der Violinen in c-Moll, gefolgt von
einem ziellos beschleunigten Pizzicato, dann ein zweiter Anlauf nach demselben Schema,
der in ein energisches Crescendo und einen theatralischen Paukenwirbel mündet. Wie das
Aufgehen eines Vorhangs wirkt danach die Hornmelodie, die sich über tremolierenden
Streichern und Posaunen (erstmals in dieser Symphonie) völlig frei entfalten kann. Die Soloflöte nimmt das Motiv auf, die tiefen Bläser antworten mit einem Choralmotiv, ein zweites
Horn fällt ein – auffällig ist die bewusste Rücknahme der bisher so komplexen Kompositionsstrukturen zugunsten einer schlichten, sinnlichen Melodik.
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Max Ernst: Tag und Nacht (1941/42)
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Ausschnitt aus einem Deckengemälde in der Neuen Tonhalle Zürich von Peregrin von Gastgeb
und Karl Peyfuss (Johannes Brahms, Ludwig van Beethoven)
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Aber auch diese Episode ist nur Vorahnung und Vorspiel zum eigentlichen Hauptthema des
Finales, jener von einem sonoren Streichersatz breit ausgespielten C-Dur-Melodie, deren
Ähnlichkeit mit Beethovens Neunter Erstaunen und Befremden gleichermaßen ausgelöst
hat. Dass Brahms nicht nur hier, sondern auch in anderen Werken – wie in der Orchesterserenade op. 11 oder dem Streichquintett op. 88 – immer wieder Beethoven zum Vorbild
genommen hat, darauf hat der Hamburger Musikwissenschaftler Constantin Floros in
seinem Brahms-Buch ausführlich hingewiesen. Zwischen Bewunderung und Distanzierung
war es dem jüngeren Komponisten ein lebenswichtiges Anliegen, sich produktiv mit dem
Werk des überragenden Vorgängers zu messen; am auffälligsten ist die Nähe zu ihm in der
formalen Gestaltung wie im Gestus des musikalischen Ausdrucks.
Kopiert hat Brahms Beethoven keineswegs, und auch das Finale der Ersten zeichnet ein
völlig eigenständiges Bild, in dem sich zudem handwerkliche Meisterschaft und un­
trüglicher Klangsinn gegenseitig befruchten. So schafft es Brahms, im Laufe des Satzes
das Streicherthema zwanglos mit dem Hornthema zu verknüpfen, indem er nach einer
gewaltigen, von Fortissimo-Synkopen abgebremsten Steigerung beide Instrumente in einen
Dialog treten lässt. Die klare Ausrichtung ohne kontrapunktische Verwicklungen wird
konsequent durchgehalten. Sie verleiht dem Satz eine Zielstrebigkeit, die im Più Allegro-Teil
– thematisch als weitere Variation des C-Dur-Themas angelegt – noch einmal eine massive
Beschleunigung erfährt. Der Orgelpunkt der Pauken bildet hier nicht nur das Fundament
dieses Schlussspurts, mit ihm schließt sich auf eindringliche Weise auch kompositorisch
der Ring zum Anfang der c-Moll-Symphonie.
Michael Horst
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Kent Nagano
Kent Nagano gilt als einer der herausragenden Dirigenten sowohl für das Opernals auch das Konzertrepertoire. Seit der
Spielzeit 2015/16 ist er Generalmusikdirektor und Chefdirigent der Hamburgischen
Staatsoper und Hamburgischer Generalmusikdirektor des Philharmonischen
Staatsorchesters. Zudem ist er seit 2006
Music Director des Orchestre symphonique de Montréal und seit 2013 Artistic
Advisor und Principal Guest Conductor der
Göteborger Symphoniker. Im Bewusstsein
der bedeutenden Tradition der Hamburgischen Staatsoper und des Philharmonischen
Staatsorchesters möchte Kent Nagano
gemeinsam mit Opern- und Orchesterintendant Georges Delnon im Spannungsfeld
zwischen sorgsamer Pflege eines breiten
Repertoires und markanter Leidenschaft für
das Neue ein eigenes und erkennbares Profil für die Musikstadt Hamburg entwickeln.
Als vielgefragter Gastdirigent arbeitet Kent
Nagano weltweit mit den führenden internationalen Orchestern. Von 2014 bis 2016
gestaltete er im Rahmen der AUDI-Sommerkonzerte ein eigenes Festival, das
Vorsprung-Festival. Für seine Aufnahmen
von Busonis Doktor Faust mit der Opéra
National de Lyon, Prokofjews Peter und der
Wolf mit dem Russian National Orchestra
sowie Saariahos L’Amour de loin mit dem
Deutschen Symphonie-Orchester Berlin
wurde er mit Grammys ausgezeichnet.
Wichtige Stationen in Naganos Laufbahn
waren seine Zeit als Generalmusikdirektor
an der Bayerischen Staatsoper in München
von 2006 bis 2013 sowie als künstlerischer
Leiter und Chefdirigent beim Deutschen
Symphonie-Orchester Berlin von 2000
bis 2006. Der gebürtige Kalifornier wurde
2003 zum ersten Music Director der Los
Angeles Opera ernannt. Von 1978 bis
2009 war er Music Director beim Berkeley
Symphony Orchestra und ist dort weiterhin
als Conductor Laureate tätig. Seine ersten
großen Erfolge feierte er 1984 beim Boston
Symphony Orchestra, als Messiaen ihn für
die Uraufführung seiner Oper Saint François
d’Assise zum Assistenten des Dirigenten
Seiji Ozawas ernannte. Von 1988 bis 1998
war er Music Director der Opéra National de
Lyon und von 1991 bis 2000 Music Director
des Hallé Orchestra.
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Gautier Capuçon
Gautier Capuçon hat sich längst als einer
der führenden Cellisten seiner Generation
etabliert und sorgt regelmäßig mit seinen
Aufnahmen und Konzerten für Aufsehen. 1981 in Chambéry geboren, begann
Capuçon im Alter von fünf Jahren mit dem
Cellospiel. Er studierte am Conservatoire
National Supérieur in Paris bei Philippe
Muller und Annie Cochet-Zakine und
anschließend in der Meisterklasse von
Heinrich Schiff in Wien. Als Gewinner
zahlreicher erster Preise bei internationalen
Wettbewerben, darunter der Internationale André Navarra Preis, wurde Capuçon
2001 bei den Victoires de la Musique als
Nachwuchskünstler des Jahres ausgezeichnet und erhielt 2004 einen Borletti-Buitoni
Trust Award. Seitdem wurde er auch mit
mehreren Echo Klassik Preisen geehrt,
zuletzt für seine Aufnahme mit Gergiev und
für die Einspielung von Faurés kompletter
Kammermusik. Gautier Capuçon spielt als
Solist mit den großen Orchestern weltweit
und arbeitet regelmäßig mit Dirigenten wie
Eschenbach, Gergiev, Nelsons, Nézet-Seguin
und vielen weiteren. Er ist gern gesehener Gast bei Orchestern wie den Berliner
Philharmonikern, dem New York Philharmonic, London Symphony Orchestra und
dem Mariinsky Orchestra, um nur einige zu
nennen. Neben Auftritten bei europaweiten
Festivals, ist Gautier Capuçon auch immer
wieder mit Partnern, wie zum Beispiel
Nicholas Angelich, Daniel Barenboim, mit
seinem Bruder Renaud und den Quartetten
Artemis und Ebène zu hören. Mit der CD La
Muse et le poète, die im Herbst 2013 erschien,
präsentieren Gautier und Renaud Capuçon
zusammen mit dem Orchestre Philharmonique de Radio France und Lionel Bringuier
Werke von Saint-Saëns. Seine jüngste Veröffentlichung sind die beiden Cellokonzerte
von Schostakowitsch mit Valery Gergiev und
dem Mariinsky Orchester.
Gautier Capuçon engagiert sich aktiv im
Education-Bereich und ist Botschafter des
1997 gegründeten Zegna & Music Project.
Seit Dezember 2014 gibt er im Auftrag der
Louis Vuitton Stiftung Meisterkurse für
exzellente Nachwuchs-Cellisten.
Naomi Seiler
Naomi Seiler ist als Tochter einer japanischen Pianistin und eines bayrischen
Pianisten in einer musikalischen Familie
aufgewachsen und genoss schon in ihrer
Kindheit in Japan und Salzburg eine weitläufige musikalische Ausbildung.
Nach dem Familienumzug nach Salzburg,
wo beide Eltern als Professoren am Mozarteum unterrichteten, erhielt sie als 14-Jährige
ein Hochbegabten Stipendium für ein
Studium an dieser Universität bei Professor
Jürgen Geise.
Mit ihren Geschwistern gründete sie schon
in dieser Zeit das „Seiler Quartett“, mit dem
sie bis heute in der ganzen Welt konzertiert, wann immer es ihre gemeinsame Zeit
erlaubt.
Als 19-Jährige erwarb Naomi Seiler bereits
ihr Diplom in Salzburg und setzte dann ihre
Studien fort bei Ulrich Koch in Freiburg
und bei Hirofumi Fukai an der Hamburger
Hochschule für Musik und Theater, wo sie
das Konzertexamen ablegte.
Die mehrfach preisgekrönte Bratschistin
ist als Solistin und Kammermusikerin auf
zahlreichen Festivals und Konzertbühnen
in Deutschland, Österreich, Frankreich,
Italien, Kanada und Japan, oft verbunden
mit Rundfunk- und Fernsehaufnahmen, ein
gern gesehener Gast.
In Peter Konwitschnys Inszenierung des
Weberschen Freischütz war sie wiederholt
als weiblicher Samiel auf der Bühne der
Staatsoper zu erleben.
Naomi Seiler ist seit 1989 Solobratschistin
beim Philharmonischen Staatsorchester,
bei welchem sie regelmäßig solistische
Engagements wahrnimmt, und unterrichtet
an der Hamburger Hochschule für Musik
und Theater.
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Vorschau
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2. Philharmonisches Konzert
1. Kammerkonzert
Sonntag 09.10.2016, 11:00 Uhr
Montag 10.10.2016, 20:00 Uhr
Sonntag 30.10.2016, 11:00 Uhr
Joseph Haydn
Symphonie d-Moll Hob. 1/80
Elliott Carter
Oboenkonzert
Ludwig van Beethoven
Symphonie Nr. 2 D-Dur op. 36
Dirigent Thomas Zehetmair
Oboe Heinz Holliger
Dominick Argento: Six Elizabethan
Songs
Antonio Vivaldi: Concerto a-Moll
RV 108
Georg Philipp Telemann: Concerto Nr.
6 a-Moll
Antonio Vivaldi: Domine Deus aus
Gloria RV 588/589
Ilja Hurník: Sonata da camera
Georg Melchior Hoffmann: Aria aus
„Meine Seele rühmt und preist“
Laeiszhalle (Großer Saal)
Konzert mit Kinderprogramm
am 9. Oktober
Weitere Informationen unter
www.staatsorchester-Hamburg.de/jung
Sopran: Maria-Isabella Jung
Violine: Hibiki Oshima
Violoncello: Yuko Noda
Flöte: Vera Plagge
Oboe: Nicolas Thiébaud
Cembalo: Nadine Remmert
Laeiszhalle (Kleiner Saal)
Die Blumen für Solisten und Dirigenten werden gesponsert von
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Stiftung Philharmonische Gesellschaft Hamburg
Die Stiftung Philharmonische Gesellschaft Hamburg steht seit ihrer Gründung
im Jahre 1985 dem Philharmonischen Staatsorchester zur Seite und führt die
hanseatisch-philharmonische Tradition der Gründerväter des Orchesters fort. Die
Stiftung unterstützt den Klangkörper im Bereich der Orchesterakademie, bei der
Finanzierung von CD-Produktionen und der Zeitungsbeilage „Philharmonische
Welt“ oder bei der Anschaffung von Instrumenten.
Bringen auch Sie Ihre Verbundenheit mit der Musikstadt Hamburg und dem Orchester der Hansestadt zum Ausdruck!
Spendenkonto Haspa, IBAN: DE24 2005 0550 1280 3739 92, BIC: HASPDEHH
Freunde und Förderer
Freundeskreis-Mitglieder sind ganz nah dran an den Philharmonikern und
kommen in den Genuss von Probenbesuchen, Künstler- und Expertengesprächen sowie Einladungen zu exklusiven Veranstaltungen rund ums Orchester. Der
Freundeskreis unterstützt die künstlerische Arbeit der Philharmoniker einerseits
durch Förderbeiträge, andererseits als engagierter Botschafter für das Orchester in der Hansestadt. Seien auch Sie dabei! Unterstützen Sie Ihr Orchester und
werden Sie Mitglied im Freundeskreis!
Weitere Informationen: www.staatsorchester-hamburg.de/freundeskreis
Herausgeber
Landesbetrieb Philharmonisches Staatsorchester
Generalmusikdirektor
Kent Nagano
Redaktion
Janina Zell
Gestaltung
Annedore Cordes
Design-Konzept
Orchesterintendant
Georges Delnon
PETER SCHMIDT, BELLIERO &
ZANDÉE
Orchesterdirektorin
Susanne Fohr
Litho
Repro Studio Kroke GmbH
Dramaturgie
Dr. Dieter Rexroth
Herstellung
Hartung Druck + Medien
Presse und Marketing
Hannes Rathjen
Nachweise
Der Artikel von Michael Horst
ist ein Originalbeitrag für das
Philharmonische Staatsorchester Hamburg
The Bridgestone Museum of
Art, Tokyo – The Menil Collection, Houston. – Werner G.
Zimmermann: Brahms in der
Schweiz. Zürich 1983 – Felix
Broede, Piera Tammaro, Meike Hamman
Anzeigenverwaltung
Antje Sievert,
Telefon (040) 450 69803
antje.sievert@kultur-anzeigen.
com
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