Wolfgang Rihm Klavierkonzert Nr. 2 Do 19. Januar 2017, 20 Uhr Fr 20. Januar 2017, 20 Uhr Stuttgart, Liederhalle So 22. Januar 2017, 20 Uhr Freiburg, Konzerthaus (jeweils 19 Uhr Konzerteinführung) Außerdem auf dem Programm: W. A. Mozart: Konzert-Rondo A-Dur; R. Strauss: Burleske für Klavier u. Orch. d-Moll; L. v. Beethoven: Sinfonie Nr. 8 Tzimon Barto, Klavier SWR Symphonieorchester Dirigent: Christoph Eschenbach Empfohlen ab Klasse 8 Erstellt von Anja Renczikowski 1 Inhalt: I. Wolfgang Rihm – Ein Komponist zwischen Tradition und Freiheit II. Aufgeregtes Fließen - Wolfgang Rihms zweites Klavierkonzert III. Ausführende 1. Der Pianist: Tzimon Barto 2. Das SWR Symphonieorchester 3. Der Dirigent: Christoph Eschenbach IV. Wo gibt es mehr? 1. Weblinks 2. Hörtipps 3. Literatur V. Unterrichtsmaterial 1. Ein Leben in Stichworten 2. Daten zum Werk VI. Unterrichtliche Hinweise 1. Wolfgang Rihm in einem Interview mit dem Musikjournalisten Bjørn Woll über sein 2. Klavierkonzert. 2. Der „Nobelpreis“ der Musik: Der Ernst-von-Siemens-Musikpreis. 3. Wolfgang Rihm - der schreibende Komponist 2 I. Wolfgang Rihm – Ein Komponist zwischen Tradition und Freiheit „Durch Faktur und Diktion stelle ich meine Musik bewusst in die Tradition Beethovens, Bruckners, Mahlers und Hartmanns, weil ich von diesen Komponisten gelernt habe, Musik als sprechenden Übergang ins Unsagbare zu begreifen; als einen behaupteten Vorstoß, der es mir ermöglicht, auch dort mit Menschen zu reden, wo ich kopflos viel zu ängstlich bin, wo ich im Drumherum, im Vorgeplänkel schon ersticke, wo wir keine Worte mehr haben. Vielleicht arbeite ich deswegen oft so hastig und lustvoll, weil ich wegen meiner Überwindungshoffnung in Euphorie gerate“, so der Komponist Wolfgang Rihm. Derartige Überlegungen über sein eigenes künstlerisches Schaffen begleiten sein umfangreiches kompositorisches Werk. Dabei steht Rihm sich selbst und seiner Auseinandersetzung mit der Musik und ihrer Geschichte immer kritisch gegenüber. Das ist faszinierend und selten. Ein Komponist, der sich selbst hinterfragt, der von sich behauptet auch mal „kopflos“ und „ängstlich“ zu sein, überrascht. Vor allem dann, wenn man weiß, dass er weit über 400 Kompositionen geschrieben hat und zu den erfolgreichsten Komponisten Deutschlands zählt. Seine Werke werden im In- und Ausland, in den großen Konzert- und Opernhäusern und bei großen Festivals aufgeführt. Mit Spannung wird jedes neue Werk von ihm erwartet. Sein Wissen im Blick auf die Musik ist allumfassend, gleichwohl seine Kenntnis im Bereich der Künste, Literatur und Philosophie, die für seine Kompositionen als Inspirationsquellen dienen. Rihm ist ein vielseitiger Komponist, für den die Lehre (seit 1985 unterrichtet er an der Musikhochschule Karlsruhe) und das Schreiben (mehrere Bände seiner Schriften, Essays und Interviews sind erschienen) ebenso zu seinem Komponisten-Dasein gehört, wie er sein Publikum als charismatischer Redner beeindruckt. Viele Ehrungen und Auszeichnungen 3 begleiten seine Karriere: Rihm ist Mitglied der Akademie der Künste Berlin, München und Mannheim sowie der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt. 1989 erhielt er das Bundesverdienstkreuz und 2003 wurde er mit dem Ernst-von-SiemensMusikpreis (so etwas wie der „Nobelpreis“ im Bereich der klassischen Musik) ausgezeichnet. Wolfgang Rihm wurde 1952 in Karlsruhe geboren, wo er auch heute noch lebt und arbeitet. Seit den 1970er Jahren beschäftigt sich Rihm, der u.a. bei Klaus Huber und Karlheinz Stockhausen studierte, mit den Ideen der Avantgarde. Im Zentrum seiner Arbeit steht der unmittelbare Ausdruckswille, mit dem er bereits 1974 bei den Donaueschinger Musiktagen Publikum und Kritik irritierte und die bis heute seine musikalische Handschrift prägt. Individuelle Erfahrung und das vorbehaltlose Einbeziehen von Traditionen klammert er bewusst nicht aus. Vieles kann man über sein vielfältiges Œuvre sagen – doch einzig gültig mag sein, dass es sich jedem Versuch widersetzt in bestimmte Kategorien eingeordnet zu werden. Er möchte sich und seine Hörer überraschen, mit jedem Werk neue Fragen aufwerfen, die mit folgenden Werken vielleicht eine weitere Antwort finden. Neben Musiktheaterstücken, Werken für großes Orchester, finden sich im Werkkatalog Rihms Kammermusik- und Vokalwerke. Zahlreiche Kompositionen bilden Gruppen oder Reihen, von einigen gibt es fortschreitende Fassungen. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass seine Kompositionen nicht nur im Zirkel der so genannten „Neuen Musik“ Gehör finden, sondern mit einer großen Selbstverständlichkeit genauso in einem Abonnementzyklus für Liebhaber der klassischen Musik oder bei Musikfestivals Platz finden. Ganz offen bekennt sich Wolfgang Rihm zu scheinbar unvereinbaren Bezugspunkten wie der musikalischen Spätromantik und der zweiten Wiener Schule wie auch der Avantgarde. Statt determiniertem seriellen Denken (Serielle Kompositionen basieren auf dem Versuch, möglichst alle Eigenschaften der Musik, wie Tondauer, Tonhöhe oder Lautstärke, auf Zahlenoder Proportionsreihen aufzubauen) in musikalischen Strukturen war und ist für ihn die künstlerische Freiheit wichtigstes Kriterium. Während andere Komponisten seiner Generation sich um eine ent-romantische und ent-subjektivierte Musik- und Kunstbetrachtung bemühten, finden sich bei ihm Begriffe wie „Intuition“, und „Spontanität“. Form ist für Wolfgang Rihm kein vorgegebenes Konzept, sondern eng mit dem Prozess des Komponierens verbunden. Jeder in der Musik gefundene Gedanke schafft sich im Verlauf der Komposition seine Form selbst. Rihm fordert die Freiheit in der Wahl der Mittel und der 4 Bezugspunkte und findet dafür eine eigene Beschreibung: „Unter ‚inklusivem Komponieren‘ verstehe ich eine Arbeitsweise, die durch Einbeziehung und Umschließung aller von Phantasie und Arbeitsökonomie berührten und geöffneten Bereiche zu einem mit Gegenwart vollgesogenen Ergebnis gelangt. II. Aufgeregtes Fließen - Wolfgang Rihms zweites Klavierkonzert Bild: Marco Borrelli Wolfgang Rihm ist nicht nur einer der bekanntesten lebenden Komponisten in Deutschland – er ist auch einer, der sehr viel komponiert. Innerhalb eines Jahres schrieb er sein zweites Klavierkonzert, ein Hornkonzert und ein Trio concerto. Ihnen allen gemeinsam ist der Oberbegriff „Konzert“. Ein traditioneller Begriff und der Komponist hat auch nichts dagegen, dass er sich in die lange Reihe der Komponisten einreiht, die eben Musik für große Orchester und Solisten geschrieben haben. Die Virtuosität in Form eines brillierenden Solisten ist ihm dabei weniger wichtig, vielmehr spricht er von einer „weitergetragenen Energie“. Dabei betont er, dass er besonders gerne für Menschen schreibt, die er kennt und deren instrumentales und musikalisches Können er bewundert. Dazu zählen zum Beispiel der Klarinettist und Komponist Jörg Widmann, die Geigerin Anne-Sophie Mutter oder der Pianist Tzimon Barto. Durch den gemeinsamen Bekannten Christoph Eschenbach, der als Dirigent auch das Konzert mit dem SWR Symphonieorchester leiten wird, hat er den amerikanischen Pianisten kennengelernt. Wolfgang Rihm ist vom Spiel Tzimon Bartos faszinierte und schätzt ihn „als außergewöhnlichen und höchst eigen-schöpferischen Künstler“. Und er erklärt weiter, dass er „über das exquisiteste ‚pianissimo‘ verfüge, das sich denken lässt. Das hat 5 sicher auf einige Partien meines neuen Stückes eingewirkt. Auch die vielen Gestalt- und Charakterwechsel des Tonfalls weiß ich bei Bartos pianistischer Intelligenz in den besten Händen“. In seinem zweiten Klavierkonzert möchte er kein „Boxkampf nach Noten“, sondern das „Singen auf dem Klavier“ in den Vordergrund stellt. „Beim Klavierkonzert erhebt sich als Klangphänomen zart dialogisch Melos allmählich aus dem Leisen“, so Rihm über sein Stück. Dennoch ist ihm die Expressivität und Intensität der Musik wichtig. Traditionelle Formen wie das „Konzert“ oder eine „Sinfonie“ sind für ihn vorgeprägte Gefäße, in die er quasi den Klang der Musik hineingießt. Das musikalische Material bearbeitet er mit viel Freiheit, subjektiven Empfinden und künstlerischer Entscheidungsfreiheit. Dafür hat er einmal einen schönen Vergleich angestellt. „Vielleicht bin ich gleichzeitig eine Pflanze und der Gärtner. Also vegetativ einerseits, andererseits auch ordnend, konzentrierend, den Wuchsformen helfend.“ Viele dieser „Wuchsformen“ dehnen sich aus – etwa, wenn er seine Werke zyklisch anordnet und sich dann daraus ganze Werkfamilien bilden. Einmal gewonnenes musikalisches Material erscheint in verändert Form oder in neuen Zusammenhängen. Rihms 1. Klavierkonzert – das Konzert für Klavier und acht Instrumente - ist kaum als echtes Solokonzert zu erkennen. Komponiert hatte Wolfgang Rihm es im Jahr 1969 – uraufgeführt wurde es erst 1987. Somit ist das zweite Klavierkonzert in gewisser Weise das eigentlich erste Klavierkonzert. Die Form des Solokonzerts als tradierte Formmodel lotet er hier neu aus. Fein-Zeichnungen, wie mit einem Pinsel-Strich gemalt wirken manche Passagen. Doch diese Intimität des Ausdrucks und die Gesanglichkeit bekommen auch Reibungsflächen. Dies zeigt sich am Beginn des ersten Satzes, der mit „Andante, cantabile, scorrevole, inquieto“ überschrieben ist. Dem Gesanglichen und Fließenden (scorrevole) ist mit „inquieto“ das „Unruhige““ und „aufgeregte“ entgegengesetzt. Dem Klavierpart wird zwar „sempre dolce“, also immer sanft empfohlen, die rhythmische Energie des Soloparts und dessen Einbindung in das Orchester ist durchaus virtuos. Und Rihm selbst erklärt, dass der gesangliche Aspekt des Klaviers keineswegs diese Seite ausschließt und „die Linienzüge manchmal galoppieren und ‚husch-quirl-bautz! davon springen“. Im zweiten Satz mit der Bezeichnung „Rondo, Allegro ma non tanto“ pendelt der Klang zwischen „Härte und Überschwang, zwischen Schroffheit und glühender Sinnlichkeit“. Wenn Rihm so ganz klassische Satzbezeichnungen, wie „Rondo. Allego ma non tanto“ verwendet, so zeigt das auch seine Verehrung großer Komponisten wie Mozart oder Beethoven, deren Namen man sofort mit diesen klassischen 6 Bezeichnungen in Verbindung bringt. Und so rät er sein Werk ganz unvoreingenommen anzuhören: „Denken Sie, es sei von Mozart. Oder von Rihm. Aber am besten: Sie hören einfach aufmerksam zu.“ 7 III. Ausführende 1. Tzimon Barto Die Verbindung zwischen Poesie und Musik ist Tzimon Barto als Pianist sowie in seinen schriftstellerischen Aktivitäten sehr wichtig; dies drückt sich auch in seinen musikalischen Interpretationen aus. Seine Sichtweise ist sehr persönlich und unkonventionell; überzeugt durch Konsequenz, exquisiten Klangsinn sowie faszinierende Kontraste und Differenzierungen. Eine farbige und breit gefächerte Ausdruckspalette von federleichten melodischen Linien bis zu ausdrucksstarken Akkordketten charakterisieren sein Spiel. Als einer der führenden amerikanischen Pianisten begeistert Tzimon Barto seine Fangemeinde auf beiden Seiten des Atlantiks. Seinen internationalen Durchbruch feierte er Mitte der 1980er Jahre, als er auf Einladung Herbert von Karajans im Wiener Musikverein und bei den Salzburger Festspielen auftrat. Seither ist Tzimon Barto mit beinahe allen international führenden Orchestern aufgetreten. Bei großen Festivals gastiert er zudem regelmäßig. Wolfgang Rihm widmete Tzimon Barto sein 2. Klavierkonzert. Die Uraufführung fand bei den Salzburger Festspielen 2014 gemeinsam mit dem Gustav Mahler Jugendorchester statt; gefolgt von einer Tournee durch Deutschland und Italien. Nach der amerikanischen 8 Erstaufführung mit dem National Symphony Orchestra Washington, wurde und wird das Konzert in München, Stockholm, Amsterdam, Stuttgart und Freiburg aufgeführt. In der Saison 2016/2017 ist Tzimon Barto „artist in residence“ beim SWR Symphonieorchester und wird mit Repertoire von Klassik bis Moderne sowie in kammermusikalischer Besetzung zu hören sein. Tzimon Bartos umfangreiche Diskographie umfasst Alben mit Werken von u.a. Haydn, Rameau, Schubert, Tschaikowsky, Schumann und Brahms. Seine neusten Einspielungen sind den Goldberg Variationen in der Busoni-Fassung sowie Paganini Variationen von Liszt, Brahms, Lutosławski und Rachmaninoff gewidmet. Das selten zu hörende Es-Dur Klavierkonzert von Hans Pfitzner ist mit ihm und der Staatskapelle Dresden unter Christian Thielemann erschienen. Tzimon Barto wuchs in Florida auf, wo er mit fünf Jahren ersten Klavierunterricht von seiner Großmutter erhielt. An der Juilliard School in New York studierte er bei der berühmten Klavierdozentin Adele Marcus. Bereits in dieser Zeit gewann er gleich zwei Mal hintereinander den Gina Bachauer Wettbewerb. Die Förderung zeitgenössischer Musik liegt Barto sehr am Herzen und so rief er 2006 einen internationalen Kompositionswettbewerb für Klavier solo – den „Barto Prize“ – ins Leben. Dieser wird alle zwei Jahre vergeben und das Gewinnerwerk in seinen Reztialen präsentiert. Tzimon Barto spricht fünf Sprachen fließend, liest Altgriechisch, Latein sowie Hebräisch und lernt derzeit Mandarin. 2001 erschien sein erstes Buch „eine frau griechischer herkunft“, mit Neuauflage in 2008. Eine Bühnenversion wurde in Frankfurt und Wien aufgeführt. 2010 erschien die Novelle „Harold Flanders“. Tzimon Barto ist Artist in Residence beim SWR Symphonieorchester Insgesamt 16-mal wird Tzimon Barto im Zuge seiner Residency in der aktuellen Saison mit dem SWR Symphonieorchester zu hören sein. Die Zusammenarbeit beginnt am 11. November 2016 mit seiner Interpretation von Ravels Klavierkonzert G-Dur in Dortmund und Mannheim und führt den Ausnahmepianisten anschließend mit dem Orchester im Rahmen einer ausgiebigen Tour nach Spanien. Weitere Konzerte folgen im Januar 2017. Gleich drei Werke präsentiert Tzimon Barto in diesen Konzerten: Rihms 2. Klavierkonzert 9 sowie Strauss Burleske und Mozarts Rondo A-Dur. Mit Christoph Eschenbach, dem Dirigenten der November und Januar Konzerte, verbindet Tzimon Barto eine langjährige und intensive Kooperation, weshalb wenige Blicke und Gesten ausreichen, um Momente von höchstem künstlerischen Ausdruck entstehen zu lassen. Im März 2017 ist Tzimon Barto dann mit Beethovens 4. Klavierkonzert unter Jakub Hrusa, dem neuen Chefdirigenten der Bamberger Symphoniker, zu hören. Das Publikum darf gespannt sein auf eine inspirierende und neue musikalische Zusammenarbeit. Gemeinsam mit Musikern des Orchesters wird Tzimon Barto Anfang April dann noch mit Dvoraks Klavierquintett zu erleben sein. Seine erfrischend unkonventionellen Interpretationen und beeindruckende Bühnenpräsenz zeichnen Tzimon Barto als einer der angesehensten Pianisten der Gegenwart aus. 2. SWR Symphonieorchester Das SWR Symphonieorchester geht hervor aus der Zusammenführung des RadioSinfonieorchesters Stuttgart des SWR und des SWR Sinfonieorchesters Baden-Baden und Freiburg. Das SWR Symphonieorchester ist zwar neu, aber es hat dennoch bereits nachhaltig Musikgeschichte geschrieben. Die bedeutenden Traditionslinien und 70 Jahre an gelebter Erfahrung aus den beiden Vorgänger-Ensembles kommen in ihm überein. Seit der Gründung 1945/46 formten profilierte Chefdirigenten ihre noch jungen Orchester. In Baden-Baden war es der weltläufige Hans Rosbaud, in Stuttgart Hans Müller-Kray, der sich dabei von Carl Schuricht unterstützen ließ. Nach der Gründergeneration am Chefdirigentenpult kamen neue Kräfte: In Baden-Baden/Freiburg waren es Ernest Bour, Michael Gielen, Sylvain Cambreling und zuletzt François-Xavier Roth, in Stuttgart hießen die Chefdirigenten Sergiu Celibidache, Sir Neville Marriner, Gianluigi Gelmetti, Georges Prêtre, Sir Roger Norrington und Stéphane Denève. Selbstverständlich gehört die Neue Musik zum Profil des SWR Symphonieorchesters – allein 13 Uraufführungen bietet die Saison 2016/17. Genauso selbstverständlich zum Profil gehört auch die sinfonische Orchesterliteratur der vorangegangenen Epochen der Musikgeschichte sowie die Interpretationsansätze aus der historisch informierten Aufführungspraxis. Zudem ist die Vermittlung anspruchsvoller Musik an alle Altersstufen und Publikumsschichten ein wichtiges Anliegen des SWR Symphonieorchesters. Dirigenten von Weltrang wie Christoph Eschenbach, David Zinman, Philippe Herreweghe, Peter Eötvös, Ingo Metzmacher, David Afkham, Jakub Hrůša und viele 10 weitere gestalten die Konzerte der Saison 2016/17 des SWR Symphonieorchesters. Eine Reihe hochkarätiger internationaler Solisten konzertiert gemeinsam mit dem Orchester, darunter Tzimon Barto, Patricia Kopatchinskaja, Renaud Capuçon, Mojca Erdmann, Fazil Say, Sol Gabetta und Thomas Zehetmair, um nur einige wenige zu nennen. Neben zahlreichen Auftritten in den SWR-eigenen Konzertreihen in Stuttgart, Freiburg und Mannheim ist das SWR Symphonieorchester bei den Donaueschinger Musiktagen und den Schwetzinger Festspielen präsent. Nationale und internationale Einladungen führen das Orchester u. a. nach Madrid, München, Barcelona, Edinburgh, Dortmund, Basel und nach Skandinavien. Außerdem gastiert das SWR Symphonieorchester beim Rheingau Musik Festival, beim Festival Heidelberger Frühling und beim Festival Acht Brücken in Köln. 3. Christoph Eschenbach Christoph Eschenbach, hoch geschätzter Gastdirigent der großen Orchester und Opernhäuser der Welt, versieht seit September 2010 die doppelte Leitung des John F. Kennedy Center for the Performing Arts sowie des National Symphony Orchestra in Washington D.C. Seit seiner Berufung im Jahre 2008 hat er eine Schlüsselrolle inne bei der Planung der Spielzeiten, der internationalen Festivals und besonderen Projekte für diese beiden renommierten Institutionen. Zu den Höhepunkten der Spielzeit 2015 -2016 gehören zwei große internationale Tourneen – eine dreiwöchige in Europa in seiner Eigenschaft als musikalischer Direktor des National Symphony Orchestra, sowie eine Asientournee am Pult der Wiener Philharmoniker mit zwölf Konzerten in Japan, Korea, Taiwan und Singapur. Auch 11 in dieser Saison ist Eschenbach wieder Gast bedeutender Orchester wie des New York Philharmonic, des Leipziger Gewandhausorchesters, der Filharmonica Della Scala, des Orchestre National de France, des National Spanish Orchestra und des London Philharmonic Orchestra (Konzerte in London, Frankfurt und Amsterdam). In Europa wird Eschenbach erneut zwei Orchester dirigieren, deren langjähriger musikalischer Direktor er war: das NDR Sinfonieorchester in Hamburg und das Orchestre de Paris. Er hat zudem das Vergnügen, wieder drei Orchester zu leiten, denen er sich besonders freundschaftlich verbunden fühlt: das WDR Sinfonieorchester Köln, das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin sowie die Bamberger Symphoniker, mit denen ihn eine kleine Tournee nach Österreich und Budapest führt. Den Beginn der neuen Saison markiert eine Konzertreihe mit dem Royal Stockholm Philharmonic. Wie jedes Jahr liegt es Christoph Eschenbach am Herzen, nach Asien zurückzukehren; diesmal ist er Gast des Hongkong Philharmonic, des Shanghai Philharmonic, des Guangzhou Symphony sowie des Seoul Philharmonic. Im Opernrepertoire bereitet Eschenbach eine Produktion für die Eröffnung der Saison 2016-2017 des Mailänder Teatro Alla Scala vor. Die Weitergabe seiner großen künstlerischen Erfahrung liegt Christoph Eschenbach besonders am Herzen; er hält regelmäßig Meisterkurse ab und leitet Orchesterakademien wie die des SchleswigHolstein Musikfestivals, die Kronberg Academy, die Manhattan School of Music, etc. Als Pianist setzt Christoph Eschenbach die fruchtbare Zusammenarbeit mit dem Bariton Matthias Goerne fort. Das Duo hat seit 2009 die Liederzyklen Franz Schuberts - Die Schöne Müllerin, Die Winterreise und Schwanengesang – für Harmonia Mundi eingespielt und dafür großen Beifall von Seiten der Kritik geerntet. Bei den Salzburger Festspielen im Sommer 2010 kamen die Zyklen an drei Abenden zur Aufführung. Damals spielte Eschenbach auch Schuberts monumentale BDur-Klaviersonate D 960 und dirigierte zwei Konzerte mit den Wiener Philharmonikern. Die Liederzyklen Schuberts wurden danach in der Spielzeit 2011-12 in der Pariser Salle Pleyel aufgeführt sowie beim Wiener Musikverein im darauffolgenden Jahr. 2014 und 2015 setzt das Duo seine Zusammenarbeit fort mit Recitals im Symphony Center,Chicago, im Kennedy Center und in der Carnegie Hall sowie in Baden Baden und Hamburg. Seit über fünf Jahrzehnten hat Christoph Eschenbach eine beeindruckende Anzahl von Musikwerken eingespielt, sowohl als Dirigent wie als Pianist. Seine Diskographie reicht von Werken J. S. Bachs bis zu zeitgenössischer Musik und spiegelt ein Engagement wider, das nicht allein die kanonischen 12 Werke der Musikgeschichte betrifft, sondern ebenso die Musik des ausgehenden 20. und beginnenden 21.Jahrhunderts. Eschenbachs Aufnahmen mit dem Orchestre de Paris erschienen bei Ondine und der Deutschen Grammophon, darüber hinaus gibt es Einspielungen mit dem London Symphony (Sony/BMG), den Wiener Philharmonikern (Decca), dem NDR Sinfonieorchester (BMG/Sony & Warner) und der Houston Symphony (Koch), um nur die wichtigsten zu nennen. In den letzten fünf Jahren hat Ondine sechzehn von der Kritik hochgelobte CDs mit dem Orchestre de Paris und dem Philadelphia Orchestra unter Eschenbachs Leitung herausgebracht, von denen einige besondere Ehrungen erfahren haben wie „Disc of the Month“ des BBC Magazine, Gramophone‘s „Editors Choice“, den „Preis der Deutschen Schallplattenkritik“ oder den MIDEM Classical Award 2009 in der Kategorie Zeitgenössische Musik (für eine CD mit Werken von Kaija Saariaho, eingespielt mit dem Orchestre de Paris und der Sopranistin Karita Mattila). Seine aktuelle HindemithEinspielung mit Midori und dem NDR Sinfonieorchester gewann 2014 den Grammy Award in der Kategorie « Best Classical Compendium ». Von George Szell und Herbert von Karajan gefördert, war Christoph Eschenbach Chefdirigent und künstlerischer Leiter des Züricher Tonhalle-Orchesters von 1982 bis 1986, musikalischer Direktor der Houston Symphony von 1988 bis 1999, musikalischer Direktor des Ravinia Festivals von 1994 bis 2003, künstlerischer Leiter des Schleswig-Holstein Musik Festivals von 1999 bis 2002 sowie musikalischer Direktor des NDR Sinfonieorchesters von 1998 bis 2004 und des Orchestre de Paris von 2000 bis 2010. Christoph Eschenbach ist Ritter der Légion d'Honneur, Offizier des französischen Nationalverdienstordens, Commandeur des Ordre des Arts et des Lettres, Träger des deutschen Bundesverdienstkreuzes und Gewinner des Leonard Bernstein Preises. 2015 wurde er als Pianist und Dirigent mit dem angesehenen Ernst-von-Siemens-Musikpreis ausgezeichnet. 13 VI. Unterrichtsmaterial 1. Ein Leben in Stichwort 1952: Wolfgang Rihm wird am 13. März in Karlsruhe geboren. 1963: erste Kompositionsversuche 1968-1972: Rihm nimmt sein Kompositionsstudium bei Eugen Werner Velte an der Staatlichen Hochschule für Musik in Karlsruhe noch während seiner Studienzeit am Humanistischen Gymnasium auf; weitere Kompositionsstudien bei Wolfgang Fortner und Humphrey Searle 1970: erstmals bei den Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik 1972: Abitur am Gymnasium und Staatsexamen in Komposition und Musiktheorie an der Musikhochschule 1972/1973: Kompositionsstudium bei Karlheinz Stockhausen in Köln 1973-1976: Kompositionsstudium bei Klaus Huber und musikwissenschaftliche Studien bei Hans Heinrich Eggebrecht in Freiburg im Breisgau 1973-1978: gelegentliche Lehrtätigkeit in Karlsruhe 1976: Er komponiert „Faus und Yorick“- Kammeroper Nr. 1 (Jean Tardieu/Frithjof Haas) 1977/1978: „Jakob Lenz“ Kammeroper Nr. 2 (Georg Büchner/Michael Fröhling) 1978: Berliner Kunstpreis–Stipendium, Kranichsteiner Musikpreis Darmstadt, Reinhold Schneider–Preis der Stadt Freiburg seit 1978: Dozent bei den Darmstädter Ferienkursen 1979: Stipendium der Stadt Hamburg 1979/1980: Stipendium an der deutschen Künstlerakademie, Villa Massimo in Rom (Rom– Preis) 1981: Beethoven–Preis der Stadt Bonn; Lehrtätigkeit in München seit 1982: Präsidiumsmitglied des Deutschen Komponisten–Verbandes 1983: Stipendium der Cité des Arts in Paris 1983/1986: „Die Hamletmaschine“ (Heiner Müller/Rihm) 1984/1985: Fellow des Wissenschaftskollegs Berlin; Mitherausgeber der Musikzeitschrift „Melos“ (bis 1989); Präsidiumsmitglied des Deutschen Musikrates 1984-1989: Musikalischer Berater der Deutschen Oper Berlin 14 seit 1985: Professor für Komposition an der Karlsruher Musikhochschule als Nachfolger seines Lehrers Velte; Kuratoriumsmitglied der Heinrich–Strobel–Stiftung des SWF Baden– Baden 1986: Rolf-Liebermann-Preis für die Oper „Hamletmaschine“ 1986/1987: „Oedipus“ (Textzusammenstellung von Rihm nach Sophokles, Hölderlin, Nietzsche, H. Müller) 1987/1991: „Die Eroberung von Mexico“ (Antonin Artaud/Rihm) seit 1989: im Aufsichtsrat der GEMA 1989: Wolfgang Rihm erhält das Bundesverdienstkreuz. 1990-1993: Musikalischer Berater des Zentrums für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe (ZKM) 1991: Festredner bei der Eröffnung der Salzburger Festspiele; Mitglied der Akademien der Künste München, Berlin und Mannheim 1994: „Séraphin“ - Musiktheater ohne Text, UA in Frankfurt am Main; Februar: Großes Rihm–Portrait (35 Werke) im Rahmen von Éclat – Tage für Neue Musik, Stuttgart 1996: Szenische EA von „Séraphin“ in Stuttgart 1997: Rihm erhält den Prix de Composition Musical de la Fondation Prince Pierre de Monaco; Composer-in-residence bei den Internationalen Musikfestwochen Luzern 1998: Er erhält den Jacob Burckhardt–Preis der Johann Wolfgang von Goethe–Stiftung; Ehrendoktorat der Freien Universität Berlin 2000: Composer in residence bei den Salzburger Festspielen und beim Festival Musica in Straßburg; Rihm erhält den Bach-Preis der Stadt Hamburg 2001: Royal Philharmonic Society Award für „Jagden und Formen“. Das französische Ministerium für auswärtige Angelegenheiten ernennt Wolfgang Rihm zum 'Officier dans l’Ordre des Arts et des Lettres'. 2001/2002: Rihm wird anlässlich seines 50. Geburtstages europaweit gefeiert (Festivals, Uraufführungen) 2003: Der Ernst von Siemes Musikpreis wird Rihm zugesprochen. Der Preis wurde ihm am 22. Mai 2003 im Münchner Cuvilléstheater überreicht; 7. November: Eintrag ins Goldene Buch der Stadt Karlsruhe 2004: 8. Mai: Rihm wird die Verdienstmedaille des Landes Baden–Württemberg verliehen 15 2006: 27. Oktober: Uraufführung der Oper „Das Gehege“ (nach Botho Strauß‘ Schauspiel „Schlusschor“)in der Bayerischen Staatsoper in München 2009: 2. Mai: Uraufführung des Monodramas „Prosperina“ im Rokokotheater Schwetzingen 2010: 27. Juli: Uraufführung der Oper „Dionysos“ (eine Opernphantasie nach Texten von Friedrich Nietzsche, Libretto vom Komponisten) im Rahmen der Salzburger Festspiele 2010: 30. September: Rihm wird der Goldene Löwe 2010 des Bereichs Musik der Biennale di Venezia für sein Lebenswerk zugesprochen 2010: 18. November: Uraufführung von „Lichtes Spiel“ für Violine und kleines Orchester in der Avery Fisher Hall New York 2011: Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland zum Tag der Deutschen Einheit 2011: 15. Januar: Uraufführung von „Will Sound More“ für Ensemble an der Alten Oper in Frankfurt am Main 2011: 3. April: Uraufführung von „Dyade“ für Violine und Kontrabass in der Avery Fisher Hall, New York 2011: 22. Juni: Uraufführung von „Nähe fern 1“ für Orchester in Luzern. 2011: 9. Juli: Uraufführung von „Eine Strasse, Lucile“ für Sopran und Orchester in Karlsruhe 2011: 19. Oktober: Uraufführung von „Nähe fern 2“für Orchester in Luzern 2011: 25. Oktober: Uraufführung von „Will Sound More Again“ für Ensemble 2011: 29. Oktober: Uraufführung von „Der Maler träumt“ für Bariton und Ensemble 2011: Rihm erhält das Große Bundesverdienstkreuz 2012: 29. Februar: Uraufführung von „Nähe fern 3“ für Orchester 2012: 13. Juni: Uraufführung von „Nähe fern 4“ für Orchester 2012: 20. August: Uraufführung von „Dämmerung senkte sich von oben“ für Bariton und Orchester am KKL Luzern 2012: wird in den Orden Pour le Mérite für Wissenschaften und Künste aufgenommen 2013: 10. Februar: Uraufführung von „Epilog“ für Streichquintett am Eclat Festival Stuttgart 2013: 5. April: Eröffnung des Wolfgang-Rihm-Forums an der Hochschule für Musik Karlsruhe 2013: 18 April: Ernennung zum Commandeur dans l’ordre des Arts et des Lettres 2013: 27. April: Uraufführung von „Stille Feste“ für Chor und Orchester in Stuttgart 2013: 23. Juni: Uraufführung von „A Tribute“ für Orchester am Aldeburgh Festival 2013: 20. Oktober: Uraufführung von „In-SCHRIFT 2“ für Orchester 16 2013: 20. November: Uraufführung von „Verwandlung 5“ für Orchester 2013/2014: Capell-Compositeur der Sächsischen Staatskapelle Dresden 2014: 10. Mai: Uraufführung von „Transitus“ am Teatro alla Scala unter Riccardo Chailly 2014: 4. Juni: Uraufführung von „Verwandlung 6“ in der Philharmonie Essen. 2014: 19. August: Uraufführung des Hornkonzertes am Lucerne Festival (Stefan Dohr, Hr) 2014: 25. August: Uraufführung des 2. Klavierkonzerts bei den Salzburger Festspielen (Tzimon Barto, Klavier) 2014: 17. September: Uraufführung des „Trio Concertos“ beim Musikfest Berlin (Trio Jean Paul; WDR SO Köln, Dir. Jukka-Pekka Saraste) 2014: 6. Oktober: erhält das Große Bundesverdienstkreuz mit Stern 2014: 6. November: erhält den Robert Schumann Preis für Dichtung und Musik 2014 2015: 9. Januar: „Gedicht des Malers Upoème du Peintre) wird von Renaud Capuçon und den Wiener Symphonikern unter Philippe Jordan uraufgeführt. 2015: 23 Juli: erhält das Ehrenzeichen des Landes Salzburg 2016: Im Sommer übernimmt Wolfgang Rihm die Gesamtleitung der Lucerne Festival Academy, zudem ist er resident composer beim „Fast Forward“ Festival. 17 2. Daten zum Werk: Wolfgang Rihm: Klavierkonzert Nr. 2 (2014) Uraufführung: Uraufführung am 25.8.2014 mit dem Gustav Mahler Jugendorchester unter Christoph Eschenbach, Solist Tzimon Barto bei den Salzburger Festspielen. Auftragswerk von Salzburger Festspielfonds, Gustav Mahler Jugendorchester und National Symphony Orchestra of Washington, DC, Christoph Eschenbach, Music Director. Commissioned by Salzburger Festspielfonds, Gustav Mahler Jugendorchester and National Symphony Orchestra of Washington, DC, Christoph Eschenbach, Music Director. Widmung: Für Tzimon Barto Besetzung 1. Flöte,2. Flöte (+Picc), Oboe, 1. Klarinette in A, 2. Klarinette in A, Bassklarinette, 1. Fagott, 2. Fagott in Kontrafagott, 1. Horn in F, 2. Horn in F, Trompete in C, Posaune, 1. Schlagzeug, 2. Schlagzeug, Harfe Violine I, Violine II, Viola, Violoncello, Kontrabass Sätze: I. Andante, cantabile, scorrevole, inquieto II. Rondo. Allegro ma non tanto Dauer: ca. 25 Minuten 18 IV. Quellen Wo gibt es mehr? 1. Weblinks: Über kaum einen lebenden Komponisten sind so viele Informationen im Internet einzusehen. Hier eine kleine Auswahl: Das Karlsruher Rihm Center: www.karlsruherrihmcenter.de bietet umfangreiche biografische Informationen, Wesentliches zum Werk, Interviews, aber auch Hinweise, wo und wann welche Werke aufgeführt werden. Die Werke Rihms werden bei dem Verlag Universal Edition verlegt. Auch hier finden sich zahlreiche Informationen zu Leben und Werk: http://www.universaledition.com/Wolfgang-Rihm/komponisten-undwerke/komponist/599 Auf der Seite des Journalisten Max Nyffeler finden sich einige Interviews: http://www.beckmesser.de/komponisten/rihm/inhalt.htm Auf der Hompage der Hochschule für Musik gibt es ein Filmporträt in drei Teilen über Wolfgang Rihm: http://www.hfm-karlsruhe.de/hfm/03-Studium/dozentenverzeichnis/bios/rihmwolfgang.htm 2. Hörtipps: Von dem 2. Klavierkonzert von Wolfgang Rihm liegt bislang keine Aufnahme vor. Auf der Seite von Universal Edition gibt es jedoch einen Einblick vom Uraufführungskonzert in Salzburg am 25. August 2015 mit dem Gustav Mahler Jugendorchester und dem Pianisten Tzimon Barto unter der Leitung von Christoph Eschenbach. http://www.universaledition.com/komponisten-und-werke/Wolfgang-Rihm/2Klavierkonzert/komponist/599/werk/14559 Eine weitere Hörprobe im Netz unter: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/audio-spielt-rihm-tzimon-barto-mit-dem-gustavmahler-jugendorchester-unter-christoph-eschenbach-13133487.html 19 3. Literatur: Dieter Rexroth (Hrsg.): Der Komponist Wolfgang Rihm. Schott, Mainz 1985, Ulrich Tadday (Hrsg.): Musik-Konzepte: Sonderband Wolfgang Rihm. München 2004. Reinhold Urmetzer: Wolfgang Rihm.Patricia Schwarz, Stuttgart 1988. Eine umfangreiche Sammlung von Wolfgang Rihm verfassten Texten: Wolfgang Rihm – ausgesprochen. Schriften und Gespräche. 2. Bde., Hrsg. Von Ulrich Mosch – Veröffentlichung der Paul-Sacher-Stiftung, Basel 1997. 20 VI. Unterrichtsmaterial 1. Wolfgang Rihm in einem Interview mit dem Musikjournalisten Bjørn Woll über sein 2. Klavierkonzert BW: Herr Rihm, was reizt Sie an der Gattung Klavierkonzert? Wie ist Ihr Umgang mit der traditionellen Form? WR: Wenn wir uns die „traditionellen” Klavierkonzerte einmal genauer anschauen, hat jedes seine eigene Form. Genau das ist es, was mich reizt: etwas zu schaffen, das seine eigene Form ausprägt und dennoch in einer Form-Kontinuität steht. BW: Welche Gestalt und welchen Charakter trägt das Werk? WR: Wie gesagt: eigene Gestalt und eigener Charakter. Aber vielleicht kann man sagen, dass es der intimeren Gattungsart angehört? Weniger Boxkampf, mehr Kammermusik? BW: Können Sie den Kompositionsstil und die musikalische Faktur des Konzertes beschreiben? WR: Nein, denn ich bin ja kein Musikwissenschaftler. Aber wenn man das Stück hört – was ich ja noch nicht konnte außerhalb einer gewissen Phantasie und Vorstellung – wird wohl der gesangliche Charakter vieler Partien auffallen. Das eben erwähnte Kammermusikalische. Die Fein-Zeichnung eher als der Anstreicher-Pinsel. Das schließt ja nicht aus, dass die Linienzüge manchmal galoppieren und „husch-quirl-bautz!“ davonspringen. Das Virtuose bleibt aber eingebunden in den Gesang des Ganzen, sodass es nicht den Vordergrund bildet. Dadurch ist solch ein Stück natürlich viel schwerer zu spielen als normales Virtuosenfutter. Das freie Linienspiel bleibt unberechenbar, „virtuell”… der doppelte Boden als ResonanzKasten. 21 BW: Das Werk ist Tzimon Barto gewidmet – hat Sie das bei der Komposition inspiriert oder beeinflusst? WR: Ein außergewöhnlicher Künstler, höchst eigenschöpferisch! Er verfügt über das exquisiteste „pianissimo”, das sich denken lässt. Das hat sicher auf einige Partien meines neuen Stückes eingewirkt. Auch die vielen Gestalt- und Charakterwechsel des Tonfalls weiß ich bei Bartos pianistischer Intelligenz in den besten Händen. BW: Gab es einen Austausch zwischen Ihnen und dem Interpreten während des Kompositionsprozesses? WR: Nein. Wenn ich komponiere, bin ich nicht „austauschbar”… BW: Haben Sie einen kleinen Tipp oder eine kleine Hör-Hilfe für die Zuschauer, die das Werk zum ersten Mal im Konzert erleben? WR: Denken Sie, es sei von Mozart. Oder von Rihm. Aber am besten: Sie hören einfach aufmerksam zu. Quelle: Universal Edition: www.universaledition.com/komponisten-und-werke/WolfgangRihm/komponist/599/werk/14559ttp 2. Der „Nobelpreis“ der Musik: Der Ernst-von-Siemens-Musikpreis. Sowohl der Komponist Wolfgang Rihm als auch der Dirigent Christoph Eschenbach sind Preisträger des Ernst von Siemens Musikpreises. Rihm erhielt den renommierten Preis 2003, Christoph Eschenbach im Jahr 2015. Doch was bedeutete diese Auszeichnung? Jedes Jahr wird mit Spannung die Bekanntgabe des Preises erwartet. Der Preis ist ein jährlich für herausragende Leistungen vergebener internationaler Musikpreis für Komponisten, Interpreten oder Musikwissenschaftler. Der Ernst von Siemens Musikpreis 22 wird von der Bayerischen Akademie der schönen Künste im Auftrag der Ernst von Siemens Musikstiftung vergeben. Der Name erinnert an den Stifter, den Industriellen und Kunstmäzen Ernst von Siemens (1903-1990). Geehrt wird alljährlich ein Komponist, Interpret oder Musikwissenschaftler. Neben dem Hauptpreis werden noch drei Förderpreise vergeben. Als so genannter „Nobelpreis der Musik“ gewinnt er von Jahr zu Jahr eine immer größere internationale Beachtung und ist 2016 mit 250.000 € dotiert. Unter den bisherigen Ernst von Siemens Musikpreisträgern waren, um nur einige zu nennen, Benjamin Britten, Olivier Messiaen, Mstislav Rostropovich, Witold Lutoslawski, Luciano Berio, Hans Werner Henze, György Ligeti, Claudio Abbado, Maurizio Pollini, Helmut Lachenmann, György Kurtág, Daniel Barenboim, Aribert Reimann und Mariss Jansons. Die Ernst von Siemens Musikstiftung engagiert sich auf vielfältige Art und Weise für die zeitgenössische Musik. Neben der jährlichen Vergabe des Ernst von Siemens Musikpreises für herausragende Lebensleistungen werden jährlich drei Komponistenpeise vergeben. Die Auszeichnung erfolgt allein auf Vorschlag und nach Auswahl des Kuratoriums. Darüber hinaus fördert die Ernst von Siemens Musikstiftung weltweit Festivals, Konzerte mit Ur- und Wiederaufführungen, Kompositionsaufträge, Symposien und die Herausgabe musikwissenschaftlicher Schriften. Ein weiteres Anliegen ist die Förderung von Akademien für junge Musiker und Komponisten. Zudem unterstützt die Musikstiftung Vermittlungs-, Kinder- und Jugendprojekte, welche die Neue Musik einem neuen bzw. jungen Publikum erschließen. Weblinks: http://www.evs-musikstiftung.ch/de http://www.evs-musikstiftung.ch/de/preise/preise/hauptpreistrager/christopheschenbach/essay.html 23 3. Wolfgang Rihm - der schreibende Komponist Die Werke des Komponisten Wolfgang Rihm zählen zu den meist aufgeführten im Bereich der so genannten zeitgenössischen Musik. Einer Musikrichtung, zu der weitläufig alles Werke gezählt werden, deren Schöpfer in unserer Zeit komponieren oder deren Werke in den letzten 50-60 Jahren entstanden sind. Die Grenzen sind dabei oft fließend und das Verständnis, bzw. das Einverständnis der Hörer, Kritiker und Musiker darüber, was denn nun genau zu dieser Musik zählt, ist oft nicht eindeutig. Für den einen zählt dazu die Musik von Arnold Schönberg (1874-1951), Anton Webern (1883-1945) oder Alban Berg (1885-1935) dazu, für die anderen beginnt die „Neue Musik“ erst nach dem Ende des 2. Weltkriegs. Auch das hängt von individuellen Hörerfahrungen ab. Während ein Werk wie „Le Scare du Printemps“ von Igor Strawinsky, das zu seiner Uraufführung im Jahr 1913 ein Skandal war, auch heute noch sehr aktuell klingen kann, sind einige Werke neueren Datums weit traditioneller, bzw. klingen für unsere Ohren weitaus „älter“. Wolfgang Rihms Werke werden meist von renommierten Orchestern und Solisten aus der Taufe gehoben. Auch das erleichtert die Verbreitung seiner Musik. Bekannte Interpreten haben seine Werke auch einem Publikum zugänglich gemacht, das sich sonst vielleicht ein wenig vor der sogenannten „Neuen Musik“ gefürchtet hätte oder auch gar nicht so offen dafür gewesen wären. Einmal brach die weltbekannte Geigerin Anne-Sophie Mutter ein Konzert ab, weil so viele Leute im Publikum husteten. Beim zweiten Anlauf – nachdem sich alle „ausgehustet hätten“ - war es sehr still und letztlich hätte sie das Publikum überzeugt. Solche Anekdoten erzählt Wolfgang Rihm in Gesprächen und Interviews gerne. Lange Zeit hat er viel über seine Musik geschrieben – mittlerweile fällt ihm das schwer. Doch immer wieder äußert er sich zu gesellschaftlichen Phänomene und ihrer Bedeutung für die Kunst und die Musik. Intensiv setzt sich Rihm auch mit Bildender Kunst, Literatur und Philosophie auseinander, die ihn inspirieren und auch in sein Schaffen einfließen. Einige Auszüge aus seinen Texten, sollen als Inspiration, als Anregung dienen, um den Komponisten und Menschen Wolfgang Rihm näher kennenzulernen und zu verstehen – oder einfach nur den Blickwinkel auf bestimmte Themen fokussieren oder zur eigenen Inspiration dienen... 24 Hören ohne Vorurteile „Ich weiß gar nicht, woher dieser Irrglaube kommt, dass man erst promoviert haben muss, bevor man sich mit Kunst auseinandersetzen kann.“ Die Menschen sollten aus einer Neigung zu Musik ins Konzert kommen. Musikalische Vorkenntnisse seien doch egal, wenn man nur seine Sinne öffne!“ (Aus: „Varèse, Malerei und Schaffensprozeß, Gespräch mit Wilhelm Matejka“, 1981) Was Musik kann „Darin sehe ich die Möglichkeit der Musik: dass sie die Gegenwelt aufbaut, das Andere, was eben nicht formal einbeziehbar ist in bereits laufende Dinge, wie das tägliche Konfrontation, die jeder erlebt, mit Formblättern, die ihm von Ämtern hereingereicht werden. Warum soll er das in der Kunst wiederfinden? Oder gar wieder suchen? Das ist doch idiotisch, dass er in der Kunst genau das gleiche mitmachen sollte, was ihm vom Finanzamt vorgeschrieben wird. Das fände ich absurd.“ (Aus: „Varèse, Malerei und Schaffensprozeß, Gespräch mit Wilhelm Matejka“, 1981) Über das Komponieren „Ich glaube ja gar nicht, dass ich so schwierig komponiere. Ich glaube, dass nur die Einzelereignisse in ihrem Zusammenhang schwierig sind, also nicht spieltechnisch, sondern: woneben sie stehen. Es ist also eher ein mentales als ein muskuläres Problem. Für mein Komponieren wie überhaupt für mein ganzes Denken wesentlich ist das Prinzip des fast absurden schnellen Wechsels vom einen ins andere, also diese Erfahrung, dass etwas übergangslos - ich will nicht sagen: bruchlos - vom einen ins andere überschlägt. Ich glaube, dass es daher kommt, dass ich mitten in einer Zeit lebe, die von diesen ständigen Wechseln geprägt ist. Wir haben die Informations-Wechsel, wir schalten das Radio, das Fernsehen ein, alles schlägt ständig um. Selbst wenn wir durch eine Stadtlandschaft gehen, ist der Wechsel ähnlich schnell. Und wir erleben Geschichte und Lebenszeit nicht mehr als kontinuierlich an- und abschwellend, sondern als Folge von zerhackten Bildern.“ (Ich weiß nicht, wer ich bin, Gespräch mit Heinz Josef Herbort, 1982) 25 Die Gegenwart „Wie empfinde ich die Gegenwart? Ich empfinde sie so, dass ich mir sage, ich möchte in keiner anderen Zeit gelebt haben, ich möchte auch in keiner anderen zukünftigen Zeit leben, denn ich verstehe Menschsein als die Fähigkeit, das Jetzt zu begreifen und in Beziehung zu setzen zu einem Zukünftigen, Möglichen und zu einem Vergangenen und Gewesenen. Ich möchte jetzt leben, jetzt. Und wie ich die Zeit empfinde? Ja, so dass ich sie erlebe. Sehen Sie, ich bin nicht mit Wertsystemen zugebaut. Dazu weiß ich auch zu viel von der Vergangenheit. Ich glaube, man kann nur sagen, in dieser Zeit möchte ich nicht leben, wenn man in arge physische Bedrängnis kommt. Wenn man in Notsituationen gerät. Da jemand, dem das geschieht, das Recht zu sagen, in dieser Zeit möchte er nicht leben. Sie berühren Dinge mit dieser Frage, die nicht beantwortbar sind. Zur Beispiel das Problem der Selbsttötung. Das entzieht sich öffentlichem Diskurs. Aber das sind trotzdem Fragen, die herumgeistern im alltäglichen Sprechen. Das Lamentieren über die Zeit, in der man lebt, ist eine ziemlich bare Münze des Sich-weg-Wünschens: der eine wäre gerne in einer Zopf-Zeit, ein anderer lieber in irgendeiner Ufo-Zeit. Das ist die Flucht aus der Gegenwart, da kann ich mitreden. Ich will weder in die Vergangenheit noch in die Zukunft fliehen. Ich will jetzt sein. Gibt es das: Flucht in die Gegenwart?“ (Der Ort der Musik, Gespräch mit Roland Zag, 1995) Ein weißes Blatt Papier... „Ich arbeite stehend, meist. Das Faszinierendste, Anstößigste, Abstoßendste, Konzeptuellste, Sprechendste und schweigsam Rätselhafteste, das ich - immer schon - auf meiner Schreibunterlage finde: ein leeres Blatt, das leere Blatt. Darauf steht alles. Aber ich kenne es nicht. Nicht mehr. Ich muss erst vergessen, was sich als Wissen darübergelegt hatte, damit ich erfahren kann, was ich gewusst haben werde. Ich muss es erst leeren, mich selbst leeren, Das ist Arbeit. Die Abwesenheit von Ankern und Flugvorrichtungen ermöglicht erst Flug und Fluss. Aber: Befrage ich das Weiß, antwortet es mir mit meiner Frage. Es kennt das Echo schon, bevor ich es aufrufe. Listig rufe ich etwas anderes, jedoch mein Papier ist auch listig. Es kennt auch diesen Ruf und antwortet mit dessen Echo. Verärgert gehe ich erst einmal ins Freie, besuche Spazierwege, Kaffeehäuser oder sonst echoloses Gebiet. Erneuter Besuch des 26 Papiers. Es hat seine Simulation, die ich in meinem Hirn vornahm, überlebt. Nun bin ich ihm voraus, habe mir etwas ausgedacht, auf das es keine Antwort weiß, die ich schon kenne. Aber ich muss immer weiter zurücktreten, so dass auf dem Papier - gleichsam angesogen durch mein Entfernen - das sich hervorwagt und sich zeigt, was ich nicht kenne. Das aber muss ich aus der Entfernung, die keine wirkliche sein darf, sofort erkennen. Also muss der Blick dortgeblieben sein: ich muss das, was sich abzeichnet, lesen lernen. Aber nicht als Schrift, die durch meinen Blick erst aufgetragen ist, durch mein Vorlesen erst nachgeschrieben, als hätte der Blick Schwärze, die Spuren legt. Vielmehr als Einheit/Gleichzeitigkeit von Setzung und Ahnung, Absichtslosigkeit, Willen, Absicht und Willenlosigkeit - jeder Wahrsager würde verrückt. Notenpapier ist ein Spezialfall. Nicht allein deshalb, weil es meistens nicht weiß ist. Es ist schon in zweiter Generation beschrieben: Die Linien sind bereits ein Schriftgitter über der ersten Schrift, der unsichtbaren, die hervorzulocken ich mich entferne. Was da erscheint, ist schon gefangen, vernetzt. Meine Arbeit: die Vernetzung aufzulösen, die Benetzung abzuschütteln. Strenge ist Lockerung des Netzes, alles andere ist nur Anstrengung. Und Anstrengung schafft Undichte, im harmloseren Fall: Krampf. Das Papier, seine unbeschriebene Fülle, ist wie ein Gegenkörper. Schreiben wird zum Entzug im Nahkampf, Vollzug mit Gerät, das die Bewegung übersetzt, wie beim Hantieren mit radioaktivem Material unter hermetischem Abschluss. Dennoch muss alles mit der Hand geschehen. Ich kann nichts delegieren an entlastende Denk- und Schreibsysteme. Tragik sogar des Computers: er käme nicht nach, denn alles geschieht in Wirklichkeit.“ (Auf meinem Schreibtisch, 1990) Der Klang „Man hat es als Komponist mit einem Phänomen zu tun – dem Klang -, das ja eine ganz seltsame Zwitterstellung einnimmt zwischen körperlich und unsichtbar. Den Ort von Musik, auch darüber spreche ich oft, gibt es nicht. Sich den Ort von Musik vorzustellen ist eine Unmöglichkeit. Man weiß nicht, wo die Musik eigentlich ist. Sie ist nicht auf dem Papier (zeigt Papier) ist sie nicht. Ist sie hier? (spielt Klavier) Das ist ja nicht die Musik. Ich mache so (krümmt die Finger), ich berühre die Taste…, hier wird eine Saite angerührt.., da geht ein Ton weg, hier in meinem Ohr kommt er an, ja – wo ist die Musik? Musik besitzt keinen Körper, 27 und trotzdem trifft sie unseren Körper fühlbar als Schallwelle. Aber die Schallwelle ist nicht die Musik. Wir sind im (nicht nur) physischen Sinn von einer Musik betroffen, gepackt, genommen, benommen, abgestoßen, von einem Körper sind wir besessen, aber den Körper gibt es nicht. Wenn man das überlegt, sich diesen Gedanken im Kopf hin und her bewegt, wird man verrückt. „ (Improvisation über das Fixieren von Freiheit, 1988) Was ist Kunst? „Ich glaube, dass dann die stärksten Momente in der Kunst entstehen, wenn das Material, aus dem sie selber bestehen, überwunden wird, wenn Holz plötzlich nicht mehr wie Holz aussieht, aber dann doch erkennbar wird als Qualität des Holzes; oder wenn nicht mehr erkennbar ist, woher der Klang kommt, aber ganz bewusst wird: Dies ist spezifischer Klang. Also: wenn versucht wird, die Prämissen, auf Grund derer sich Kunst bisher artikuliert hat, neu zu schaffen. Man muss immer wieder demiurgisch (Anmerkung: Demiurg = Weltenschöpfer) mit der Sache umgehen.“ (Ich weiß nicht, wer ich bin, Gespräch mit Heinz Josef Herbort, 1982) Der Hörer „Der Hörer bringt seine eigene Form mit und setzt sie in Verbindung mit dem, was er als musikalische, als organische Form vorfindet. Er bringt seine eigene Geformtheit, seine ganze Bildung und Erziehung, seine Wünsche mit hinein. Der Musikhörer ist, im Gegensatz zum Leser von Literatur, wo ihm der Begriff den Weg vorschreibt, in der Musik relativ frei, ungebunden, weiß aber mit der Anarchie, die sich darin äußert, in den seltensten Fällen etwas anzufangen und schreit nach Formdiktat. Der Hörer ist viel reaktionärer und regressiver, als man ihn sich manchmal vorstellt. Er wird darin nur noch von Komponisten und Rezensenten übertroffen.“ (Varèse, Malerei und Schaffensprozeß, Gespräch mit Wilhelm Matejka 1981) „Ich denke, dass es für den Hörer gar nicht so wichtig ist, ständig zu wissen, wie etwas gemacht ist. Das muss der Komponist wissen, der Interpret sollte es wissen, damit er es in die Tat umsetzen kann. Aber der Betrachter eines Bildes muss ja auch nicht die genaue 28 Farbmischung kennen, die Chemie, die Lasurtechniken etc. Ob der Hörer in der Musik Kompositionstechnik bemerken soll, das ist also die Frage - ich bin unsicher, ich glaube nicht. Ich finde es schön, wenn es einer kann und sich auskennt, sich dafür interessiert. Aber es ist nicht Voraussetzung, und es fördert auch kein tieferes Verständnis.“ (Musik zur Sprache bringen, Aus einem Gespräch mit Heinz Josef Herbort, 1987) Musik hält viel aus „Musik sollte durch alle widrigen Umstände hindurchkönnen. Wir verhalten uns ja auch so, dass wir in bestimmten Situationen anwesend und abwesend sind. Obwohl wird da sind. Warum also nicht auch Musik in widrigen Umständen? Meinen Sie, eine Aufführung im » Studio für Neue Musik « im schlechten Saal auf schlechtem Flügel, mit mürrischen Interpreten, vor vierundzwanzig Zuhörern, vor fünfundzwanzig Jahren, war ideal? Dann doch lieber Frühstücksfernsehen. Wir reden metaphorisch. Man wird der Musik sowieso nie gerecht. In der Philharmonie, da husten alle. Im Frühstücksfernsehen knuspern wenigstens nur die Cornflakes. Widrig ist es immer. Ist Ihnen das schon mal aufgefallen: das Husten? Diese Klagerufe, das kann ja nicht nur ein Huster sein, es muss ja wirklich ein: »Ich bin da! « sein. Meist bei Neuer Musik, oder im Pianissimo. Wenn jemand in ein Museum geht und schreibt über ein Gemälde mit Filzstift: »Ich war da!«, dann wird er verhaftet und kommt ins Irrenhaus. Im Konzert darf jeder bellend » öhöhö « schreien und zerstört natürlich das Stück in diesem Augenblick. Trotzdem zerstört er es nicht. Musik übersteht das, verwundet, aber lebend ...“ (Der Ort der Musik, Gespräch mit Roland Zag, 1995) Energiespeicher Kunst „Kunst, die Beschäftigung mit Kunst und das Machen von Kunst, ist bereits von sich aus eine Aufforderung zu grenzenloser Freiheit. Da kann es kein Fügen geben und dennoch herrscht hier auf brutalste Art das Recht des Stärkeren, nämlich des stärkeren Gedankens; jegliche Strategie ist zwecklos, hat höchstens im Moment gewisse Folgen, meist markttechnischer Art. Hier ist durchaus ein gewisser Stoizismus (Anmerkung: eine gelassene und gleichmütige Haltung) erlaubt: was kommt, kommt. Gestrampel jedweder Art arbeitet sich selbst ab, das heißt aber gerade nicht, dass hier Hoffnung auf güldene Prinzipien zu setzen ist, auf 29 unabänderliche Werte in der Kunst, auf Wahres, Schönes, gar Gutes. Eben nicht: es herrscht Ungewissheit, das einzige Bewegungspotential des Geistes. Es scheint, dass in dem Maße, wie die umgebende Natur bedroht ist und sich auf dem Rückzug befindet, die Prinzipien des Kreatürlichen und Vegetativen sich im Künstlerischen verwirklichen müssen. Das haben sie zwar vorher auch schon, aber der Gegenbildcharakter von Kunst tritt gegenwärtig plastischer heraus. Darin sehe ich auch die Aufgabe von Kunst: in repressiver Zeit nicht eben Zufluchtsort, sondern Energiespeicher zu sein.“ (Musikalische Freiheit, 1983/1996) Ein (Komponisten)-Leben voller Überraschungen „Gegen ein »Mal-hier-, mal-da-Versuchen« muss ich mich wehren, gegen das Labyrinth nicht. Ich weiß nicht, wer ich bin. Ich bin mir nicht sicher. Ich erlebe ständig Überraschungen, was mich selber betrifft. Ich kenne jüngere Kollegen, die wesentlich professoraler und bereits gesicherter sind als ich. Künstlerisch erscheint es mir kein Negativum - menschlich ist es problematisch. Nebenbei: Ist es nicht merkwürdig, wenn man überlegt, ob die Person gestört sein könnte, wenn sie nach absoluter Freiheit strebt? Was da in uns schon steckt! Und dass man sich eventuell ganz frei fühlt - und gerade dann am gebundensten ist? Das ist eine ganz niederschmetternde Erfahrung.“ (Ich weiß nicht, wer ich bin, Gespräch mit Heinz Josef Herbort, 1982) Das Klavier „Vielleicht ist es interessant zu erfahren, welche Rolle das Klavier schon gespielt hat in meinem Leben. Zunächst eine problematische: es war die Werkbank des älteren Klavierlehrfräuleins um die Ecke. Meine ersten Versuche in Mehrstimmigkeit drangen karg aus der dunklen Kiste und verdumpften in den spitzenbewehrten Sesseln. Außerdem war nicht einzusehen, warum die zwei Hände nicht dasselbe spielen sollten, und dieser Herr Czerny musste der mächtigste Komponist der Welt sein. Das Klavier war aufgesuchter Qual-Ort, denn es spendete auch Lust: gefundene Töne, Folgen, Klänge nämlich, die nur mir gehörten. Aber vielleicht verklärt sich das nach so langer Zeit. Jedenfalls war an geregelte Wiedergabe bereits ersonnener Musik nicht zu denken. Das Komponieren begann aus der Überwältigung durch das Selberfinden. Auch wenn zunächst 30 nichts Überwältigendes entstand. Vom Fräulein ging es aufwärts ins Konservatorium, wo vorher schon die Notennamen und das Blasrohrspiel im Kinderkurs erlernt worden waren. Dort häuften sich Erlebnisse von der Art Lirum-Larum-Löffelstiel, wer nicht übt, der kann nicht viel. Also: Wer übt, kann mehr. So ist es bis heute geblieben - überfaul, will ich lieber nichts können. Das verleiht dem Arbeitsethos experimentelle Züge. Damals war das aber eher schmerzliche Erfahrung, denn belohnt und anerkannt wurde ja nicht das geheime Arbeitsethos, sondern die offenkundig geläufige Tonleiter. Das geringe Gelingen nachschöpferischen Elans forcierte also die schöpferische Energie. Das muss nicht immer so sein. Natürlich wurde das Klavier dann zu einer Art Trostapparat. Da mir nichts genug war, erschien mir damals die Orgel als Steigerung: über ungeheuerliche Klänge konnte verfügt werden. Stundenlang krachte das Gebälk - im Ohr vollzog ich die Differenzierung nach. Solches Klangbad kann ich jedem empfehlen, der glaubt, Stil und Pur seien Brüder. Apropos Brüder: Die liebste Klavierspielerfahrung ist mir bis heute das Vierhändigspiel. Am liebsten mit einem besseren Spieler, ich selbst in der tiefen Region. Das Klavier ist für mich auch kompositorisch bis heute Phantasierinstrument geblieben. Nicht, dass ich am Klavier komponiere. Das gibt es auch, hauptsächlich um Harmonik zu beklopfen. Aber am Klavier sitzen, bevor ich ans Papier gehe, die Musik gleichsam anfassen, das ist Einstimmung geblieben, immer wieder. Oder nach dem Schreibtisch-Gebücke am Klavier lümmeln, Säue heraus lassend - angenehme Übung, Gott sei Dank ohne Lirumlarum.“ (Wolfgang Rihm, 1982) Quellen: Wolfgang Rihm – ausgesprochen Schriften und Gespräche 2 Bde. Hrsg. von Ulrich Mosch Veröffentlichung der Paul-Sacher-Stiftung, Basel 1997 31