Die Parallaxe von 61 Cygni anhand von Amateuraufnahmen selbst bestimmt! U. Backhaus E. Heiser, R. Gro, Naturwissenschaftlicher Verein Osnabrck, Universitt Koblenz 1 Einleitung Der Parallaxeneekt ist jedem, z.B. vom Auto- oder Bahnfahren, bekannt: Die Gegenstnde der Umgebung scheinen sich in der entgegengesetzten Richtung zu bewegen, und zwar umso schneller, je nher sie sind. Seit der Ausarbeitung des heliozentrischen Weltsystems durch Copernicus Mitte des 16. Jahrhunderts war klar, da sich die Bewegung der Erde um die Sonne am Fixsternhimmel widerspiegeln m te, entweder als kollektive (scheinbare) Bewegung aller Sterne oder, bei unterschiedlicher Entfernung der Sterne, als gegenseitige Verschiebung. Die Nichtbeobachtbarkeit dieses Eektes war zunchst ein starkes Argument gegen Copernicus' Theorie. Es dauerte fast 300 Jahre, bis Bessel die erste zweifelsfreie Beobachtung und Messung einer Fixsternparallaxe am 61. Stern im Sternbild Schwan (61 Cygni) gelang. Bis dahin hatte dieses Problem die Weiterentwicklung der Beobachtungs- und Instrumententechnik entscheidend vorangetrieben. Als Bessel 1838 als erster erfolgreich war, war die Entwicklung so weit fortgeschritten, da mehrere Fixsternparallaxen nahezu gleichzeitig vermessen werden konnten (6]). 2 Etwas Theorie Die jhrliche Bewegung der Erde um die Sonne f hrt zu einer parallaktischen Bewegung eines nahen Sternes relativ zu den sehr viel weiter entfernten Nachbarsternen1. Diese Bewegung bildet, bei als kreisfrmig angenommener Erdbahn, bei einem Stern nahe einem der Pole der Ekliptik einen Kreis, bei einem Stern in der Ekliptikebene ist sie geradlinig (s. Abb. 1). Bei allen sonstigen Positionen durchluft der Stern eine mehr oder weniger exzentrische Ellipse. Diese parallaktische Bewegung hat jedoch wegen der unvorstellbar groen Entfernung selbst bei den nchsten Sternen eine Amplitu1 ^ Abbildung 1: Parallaktische Be- de von hchstens 1 Bogensekunde (1= 3600 = 1 wegung naher Fixsterne (nach 4], 200000 ). Das entspricht einer Murmel in 2 km EntS. 133) fernung! Die Fixsternparallaxe blieb deshalb lange unbeobachtbar und ist auch heute noch schwierig zu messen. 1 Bei dieser Beobachtungsmethode mssen, anders als bei den ersten Versuchen, bei denen die Zenitdistanz der Sterne gemessen wurde, Lichtaberation und Nutation der Erdachse nicht berck- sichtigt werden: Eng benachbarte Sterne unterliegen diesen Eekten in demselben Mae! 1 q p q qq 61qqqCyg qq q qqq ppp pp p Wega rrrrrrrr ppp p pp p rrr pp pppppp ppp pp pppppppp p pp pp qq pp ppp q pppp pp ppp pppppppp pp ppppp pp ppppp p pp p pppppppppp qq p pp p ppp p p ppp p Arktur p q r rrpppp Barnard ppp pppp qqqqq q qpqqqq pq p p p p qq rrrpp pp p ppp p ppp pp p p p p p p p p p p p p p q p pp p p p p pp qqqq p p p pp q p Ekliptik ppp pp qq pp p q p p p ppp p p pp p qqp p p qp p ppp p p p pp qpp pp qp p p p Procyon pp pp p qqqp qqqqqq q q pppppp p pq p p pp p p p qqqq p p p p p p p p p p qp p pp p p p p pp p r p pp pp pp q p p p q p p p r r r q r r q r Sirius qr qrCenqrqrp pp p rrrrrrrrp pp p p ppppqr p p p p p pp pp pp qrp qr pp qqr qr q pp p pp qppp q p qr p p p q pq p pp pp p p pp pp p qq p p pp ppp p p pp p ppp p p p pp qq pp p pp p pp p pppppp p ppp p p pp pp p p pp Atair qqqq qqpqq pp p p rrrrr rrrrrrrrr Wega rrrrrr p p pp pp ppp pp pp p p p pp p pp pp ppp pp ppppppp ppp p pp p p pp q p p p p pppp pp pp p p p ppppp q ppp p p p p p p ppp pp p p p p p p p p pp p p pp p p q qqqqqqq p qqqq ppppp q 61 Cyg p p q pp p p p p p p p pp p p p p p q p pp ppppp p q pppp p pp pp qqqqq pp ppp pppp p ppppp pp p ppp pp p ppppppppp pp ppp p p p p p p pp p pppp p p pppp q ppp ppp p pppppp ppp pp p p ppp p p q qqq q pppp pp ppp ppqp p p pp p q p ppp p p q q q q q p Arktur p q pppppp p p p p p pp Atair qqq q qpqq q p r p ppp q Barnard p p q p p p p p ppppp pp pp pq pp qqqq pppp p p ppq pp pp p rrppppppp p pppp p pp pp pppp p r q rr pp pqp ppppp qqqq rr pppp p ppp pp rr pppp p q q ppp p pp pp ppp ppp pppppp qqq rrrrrrppp pppppp pp ppppp p p p p r p p p p p p p q p r pppppp p p pppp p pp p pp p pp p p p p qq p p qqqqq prprpppppp ppppppp ppp ppp ppp ppppp p pp pppp ppppp ppp pp qq qqqq p rrrrr rrr qqqqqqqqqqqqqp q Ekliptik p p p p q q p q p q r p q p p q q p p p qp p qqrrr p qqqq q qqq r r p p pppppp pp ppppppp pp p p rr pppp pp pp pppp qqpqqpp p ppppppp r pp r qprppqppqppProcyon qqqpp pppp qp pppp pp p r pp ppp pp p p p p p p p p p p p p r p q p p p p p p q p pp q p p pp p pqq p pppp p p p r q q q pp q p p qq q ppp pp qqq qrr pp ppppp pp p p q q p p ppp q q p p qqqqqqqqqqq qq p p p pp p p p p pp pppp q r pp pp q pppp pp p pp p p qr qq pp ppp pppp p pp pp ppp pp p r qq q q qqqq q pp pp pppp qqqq q q r Sirius q r p r q q pp p pppppp r ppp p p p r ppp pp p Cenq qr q pppp p ppp pp p ppp pp p r r rrrrrr ppp ppppppp pppp qrq qqq pp pppp pp ppp q r q pppp pppppp p p qppq rr p qqpqqpq pp q r pppp r p pppp pp ppp pp r pp p pp ppp qqqqq r p r rrr pp pp pp ppp p r p pp ppp pp qq rr r ppppp p pp p p p p p p r pp pp pppp p p p p p p p p p p p ppp pp p p pp pp q q q p ppp pppp pppppp p p pppp pppp pp ppp Abbildung 2: 12 Fotos des gesamten Sternenhimmels, aufgenommen und bereinandergelegt jeweils im Abstand von einem Monat. Alle Fixsternentfernungen wurden um den Faktor 4 104 verkleinert. oben: ohne Eigenbewegung, unten: mit Eigenbewegung Zur Veranschaulichung wird deshalb in Abb. 2 die Entfernung aller Sterne um den Faktor 40000(!) verkleinert (dadurch verringert sich die Entfernung des sonnennchsten Sternes, Proxima Centauri, auf ca. 6.8 AE). Dann kann man im oberen Teil erkennen, da alle Sterne im Laufe eines Jahres (als Ausdruck unterschiedlicher Entfernung) eine mehr oder weniger groe Ellipse durchlaufen2. Der Zusammenhang zwischen der ekliptikalen Position ( ) eines Sternes, seiner parallaktischen Verschiebung ( ) und der ekliptikalen Lnge S der Sonne ist gegeben durch (siehe z.B. 7], S. 219) Man erkennt auch, da die Ellipsenachsen parallel zur Ekliptik verlaufen und da die Ellipsen umso runder sind, je weiter sie von der Ekliptik entfernt sind. 2 2 x = cos = sin(S ) y= = sin cos(S ) Dabei ist die sogenannte Parallaxe des Sternes, der Winkel also, unter dem vom Stern aus der Radius der Erdbahn erscheint. Die Gleichungen bilden die parametrisierte Darstellung einer Ellipse. Der Stern durchluft sie im Laufe eines Jahres einmal, whrend sich aufgrund des Erdumlaufes die ekliptikale Lnge S der Sonne einmal um 360 ndert (Fr hlingsanfang: S = 0, Sommeranfang: S = 90, . . . ). Abb. 1 und Abb. 2 oben sind jedoch verflschend hinsichtlich des Umstandes, da die Fixsterne eben nicht x sind. Diese (wegen der ungeheuren Abstnde 00 im Weltall geradlinige) sogenannte Eigenbewegung (gemessen in a ) berlagert sich der parallaktischen Bewegung. Die Gestalt der zusammengesetzten scheinbaren Bahn am Himmel wird bestimmt vom Verhltnis = und der Richtung der Eigenbewegung relativ zu den Achsen der Ellipse (s. Abb. 2 unten). ; ; ; ; ; 3 Der 61. Stern im Sternbild Schwan Um eine Chance zu haben, Fixsternparallaxen zu messen, braucht man auer einer starken Vergrerung3 eine hochausende lichtempndliche Schicht4 Nachdem E. Heiser gezeigt hatte, da die Parallaxe von Barc 61 Cyg nards Pfeilstern Amateurmitteln zugnglich ist (5]), hatten wir den Mut, es auch an dem Stern zu versuchen, an dem Bessel 1838 eine Fixsternparallaxe erstmals zweifelsfrei nachgewiesen hatte (1]). Die Messung der Parallaxe ist jedoch bei Abbildung 3: Das Sternbild Schwan 61 Cyg, einem Stern, der in jedem Feldstecher zu sehen ist (s. Abb. 3), aus drei Gr nmit dem 61. Stern den deutlich schwieriger als bei Barnards Pfeilstern: Es handelt sich um einen Doppelstern, der mit m = 6:0mag so hell ist, da er leicht berbelichtet wird, wenn benachbarte Bezugssterne noch erkennbar sein sollen. Auerdem bilden Eigenbewegung und Hauptachse der parallaktischen Ellipse nur einen kleinen Winkel miteinander. Insgesamt fotograerte E. Heiser den Stern in der Zeit vom 3.1.1995 bis 2.2.1997 an 23 Tagen. Die Bilder wurden von R. Gro im Rahmen ihrer Staatsexamensarbeit (3]) mit dem Astrometrieprogramm MiPS (2]) ausgewertet. Das Fernrohr auf dem Oldendorfer Berg hat eine Brennweite f = 7460mm. E. Heiser benutzte die CCD-Kamera ST-6 der Firma SBig, deren Chip mit 375 242 Pixeln 8.6mm6.5mm gro ist. Das entspricht einem Bildausschnitt von insgesamt 4 3 (Briefmarke in 17m Entfernung) bzw. 0:6 0:7 pro Pixel (Briefmarke in 6 km Entfernung!). 3 4 0 00 00 3 0 4 Auswertung Abb. 4 zeigt zwei typische Aufnahmen. Sie zeigen neben dem Doppelstern 61 Cyg weitere Fixsterne, von denen angenommen wird, da sie so viel weiter entfernt sind, da sie als festes Bezugssystem verwendet werden knnen, relativ zu dem die Positionen von 61 Cyg vermessen werden knnen5. Die Position des Doppelsternes (genauer: des Mittelpunktes zwischen den beiden Komponeneten) wird dann bestimmt, indem der Winkelabstand zu den drei am nchsten benachbarten Sternen, deren Koordinaten man z.B. mit dem Astronomie-Programm GUIDE herausnden kann, gemessen wird. 020295.eps 020295sh.eps Abbildung 4: CCD-Aufnahmen von 61 Cyg bei a) f 4000mm, b) f 7000mm Abbildung 5: a) Verteilung der Helligkeit des Sternbildes auf benachbarte Pixel und b) Anpassung einer Gausskurve Die ersten Auswertungsversuche f hrten zu keinem Ergebnis, da der zu erwartende Eekt auf dem CCD-Chip etwa von der Grenordnung eines Pixels ist, die Beugungsscheibchen von 61 Cygni aber Durchmesser von mindestens 7 Pixeln haben. Erst die Beschrnkung auf die besten Bilder und eine sehr sorgfltige Astrometrie machten neben der Eigenbewegung auch die parallaktische Bewegung sichtbar: Dabei wird, nachdem eine konstante Hintergrundhelligkeit vom Bild subtrahiert worden Tatschlich besttigt sich diese Annahme im nachhinein: Die Positionen der drei in Abb. 4 rechts schwach sichtbaren Sterne ndert sich im Beobachtungszeitraum nicht. Tatschlich sind die Parallaxen dieser Sterne entweder noch gar nicht bekannt oder um mehr als den Faktor 10 kleiner als die von 61 Cyg. 5 4 ist, eine Gauss-Verteilung an die Helligkeitsverteilung des Sternscheibchens angepat (s. Abb. 5). Als Position des Sternes wird dann der Schwerpunkt dieser Verteilung angnommen er kann mit einer Genauigkeit von bis zu 0.01 Pixel bestimmt werden. Nat rlich hngt das genaue Ergebnis dieser Prozedur vom gewhlten Hintergrund und von der Anzahl der ber cksichtigten Pixel und damit auch von der Geschicklichkeit des Auswerters ab. Abb. 5 zeigt deutlich, da die Sternposition nicht mit dem Mittelpunkt eines Pixels bereinstimmt. Abb. 6 zeigt die auf diese Weise gemessenen Sternpositionen und vergleicht sie mit der theoretisch erwarteten Bewegung. Eingezeichnet sind auerdem die ungefhre Gre eines Beugungsscheibchens und eines Pixels. r 2. 2.97: 0.30 r 9.96: 1.16 r 18.5.8.96: 1.58 Gre eines r 6.Pixels 1.96: 0.09 r 13.11.95: 0.31 r 23. 6.95: 0.26 Mindestdurchmesser des Sternscheibchens r 2.r 2.95:-0.29 16.r 1.95: 0.03 3. 1.95: 0.39 Abbildung 6: Vergleich der gemessenen Positionen von 61 Cyg mit der erwarteten Bewegung Gre eines Pixels r 5. p r 18. r 2. 8.96: 1.58 r 23. 6.95: 0.26 2.95:-0.29 9.96: 1.16 16.10.1995 r 16. 1.95: r 6. 1.96: 0.03 0.09 r 2. r 13.11.95: 0.31 r 3. 1.95: 0.39 2.97: 0.30 Abbildung 7: Variation von ekliptikaler Lnge und Breite nach Abzug der Eigenbewegung Die gute !bereinstimmung zwischen Theorie und Messung machte uns Mut, eine Parallaxenbestimmung zu versuchen: Um die parallaktische Bewegung zu isolieren, bestimmten wir zunchst durch Anpassung einer Geraden mit der Methode der kleinsten Quadrate die Eigenbewegung des Sternes. Nach Abzug dieser Eigenbewegung und Umrechnung in ekliptikale Koordinaten erhielten wir bez glich der mittleren Position am 16.10.1995 ( = 316:72131 = 38:74201 = 336:94738 = 51:89381 ) die in Abb. 7 dargestellte Variation in ekliptikaler Lnge und Breite. 5 Nun mag das Ergebnis auf den ersten Blick enttuschen: Die gemessenen Positionen liegen nicht auf der (ebenfalls eingezeichneten) theoretisch erwarteten Ellipse. Vergleicht man jedoch die Grenordnung des Eektes mit der Ausdehnung eines Pixels (die ebenfalls eingezeichnet ist), dann wird deutlich, da wir mit diesem ersten Ergebnis sehr zufrieden sein knnen: Sowohl die Variation in Lnge, als auch die in Breite haben die richtige Grenordnung! Aus diesen Meergebnissen lt sich auf unterschiedliche Weisen die Parallaxe von 61 Cyg abzuleiten: durch Anpassung einer theoretischen Kurve in Abb. 4: = 0:3500, durch Auswertung der Variation in ekliptikaler Breite: == :2200 und durch Auswertung der ekliptikalen Lngennderung: = 0:3100. Dabei liefert das letzte Verfahren oensichtlich den zuverlssigsten Wert: Danach betrgt die Entfernung von 61 Cyg 3.3 pc oder 10.5 Lichtjahre. 5 Schlu Der Nachweis der parallaktischen Bewegung von Fixsternen war bereits zur Zeit Bessels als Beweis der Erdbewegung um die Sonne uninteressant geworden. Niemand zweifelte mehr an der zentralen Stellung der Sonne. Trotzdem ist die Fixsternparallaxe bis heute das am leichtesten zu verstehende Argument f r die Erdbewegung. Ihr Nachweis ist deshalb von groer didaktischer Bedeutung. Unser Meergebnis f r die Entfernung von 61 Cyg stimmt exakt mit Bessels erster Angabe berein. Wir haben jedoch die Honung, anders als Bessel, dessen zweites Ergebnis schlechter war als das erste, mit weiteren Messungen dichter an den heute g ltigen, von Hipparcos gemessenen, Wert ( = 0:28500 ) heranzukommen. Literatur 1] F. W. Bessel: Bestimmung der Entfernung des 61. Sterns des Schwans, Abhandlungen Band 2, Leipzig 1875-76, S. 217-236 2] C. Buil u.a.: The Microcomputer Image Processing System, Version 2.0, zu beziehen ber Baader Planetarium, Zur Sternwarte, 82291 Mammendorf 3] R. Gro: Die Fixsternparallaxe und ihre Messung mit CCD-Kameras, Examensarbeit, Koblenz 1997 4] GUIDE 6.0, Astronomie-Programm, zu beziehen ber astro-shop im Planetarium, Hindenburgstr. "1, 22303 Hamburg 5] E. Heiser, R. Schrder, Eigenbewegung und Parallaxe von Barnards Pfeilstern, Sterne und Weltraum 35/5, 388 (1996) 6] D. B. Herrmann, Kosmische Weiten, Johann Ambrosius Barth: Leipzig 1977 7] W. M. Smart, Textbook on Spherical Astronomy, Cambridge University Press, Cambridge 1986 8] A. Unsld, B. Baschek, Der neue Kosmos, Springer, Berlin usw. 1991 6