Das Paniksyndrom und seine psychologische Behandlung

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Das Paniksyndrom und seine
psychologische Behandlung
Jürgen Margraf und Martina Ruhmland
Klinische Psychologie und Psychotherapie,
Technische Universität Dresden
und Christoph-Dornier-Stiftung
für Klinische Psychologie, Institut Dresden,
D-01062 Dresden, Germany
Over the past decade, panic disorder has become
a major research focus in psychopathology and
treatment. Initial interest in the causes of the disorder was triggered by biological theories and investigators. More recently, however, research on
newly developed psychological approaches has advanced our understanding of panic disorder and
has led to the development of specific treatment
programs. This review describes symptomatology
and course, the psychophysiological model of panic and a psychological treatment that directly targets panic attacks and the fears and behaviors associated with them.
Naturwissenschaften 83, 401-413 (1996)
© Springer-Verlag 1996
n allgemeinärztlichen, internistischen und neurologischen Praxen ersuchen oft Patienten um Behandlung, die über anfallsweise auftretende körperliche Symptome wie Herzrasen, Atemnot, Brustschmerz oder Schwindelgefühle klagen, ohne daß sich
eine organische Ursache dieser Beschwerden festellen
ließe. Die körperlichen Symptome sind in der Regel
von starker Angst um die körperliche und seelische
Gesundheit begleitet. Andere Patienten suchen Psychiater oder Psychologen auf und klagen über Angstzustände, die sie überraschend und scheinbar in vielen
Situationen wie beim Autofahren, beim Einkaufen, in
Kaufhäusern, beim Besuch öffentlicher Veranstaltungen oder beim Alleinsein überfallen. Obwohl die Patienten körperlich gesund sind, leben sie in der ständigen Angst, in einer dieser Situationen in Ohnmacht zu
fallen, an einem Herzinfarkt zu sterben oder ein ähnliches Schicksal zu erleiden.
Diese auf den ersten Blick unterschiedlichen Beschwerdebilder anfallsweise auftretender Angstzustände mit
vielen körperlichen Symptomen werden unter dem Begriff „Paniksyndrom" (synonym: Panikstörung) zusammengefaßt. Es handelt sich bei diesem Syndrom
um eine psychische Störung aus der Gruppe der
Angststörungen, auch wenn für die Patienten oftmals
nicht die Angst, sondern ihre scheinbar unerklärlichen
körperlichen Symptome im Vordergrund stehen.
Auf der Suche nach einer Erklärung für ihre Beschwerden konsultieren die Betroffenen eine Vielzahl
von Spezialisten. Typischerweise durchlaufen sie zahlreiche Maßnahmen zur diagnostischen Abklärung, die
vom Elektrokardiogramm und Elektroenzephalogramm über endokrinologische Untersuchungen des
Blutes und Röntgenaufnahmen des Brustkorbes bis
zum Computertomogramm und Herzkatheter reichen
können. In den USA ersuchen Patienten mit Paniksyndrom von allen psychiatrischen Patienten am häufigsten um professionelle Hilfe [15]. Durch die Vielzahl diagnostischer Maßnahmen und Behandlungen
1
401
verursachen sie im Gesundheitssystem erhebliche Kosten.
Neuere Forschung zeigt, daß das Paniksyndrom
schwerer ist als früher angenommen. Gleichzeitig gibt
es aber neue psychologische Erkenntnisse über die lange als mysteriös geltende Entstehung der Störung, die
auch zu einer deutlichen Verbesserung der Behandlungsmöglichkeiten geführt haben.
Symptomatik und Epidemiologie
von Angstanfällen
Hauptmerkmale des Paniksyndroms sind sogenannte
Panik- oder Angstanfälle. Während eines Angstanfalls
erleben die Betroffenen eine Reihe körperlicher Symptome wie starken, schnellen oder unregelmäßigen
Herzschlag, Schwindel oder Benommenheit, Atemnot,
Übelkeit oder Magen-/Darmprobleme, Schwitzen,
Schmerzen oder Druck auf der Brust und Zittern oder
Schütteln. Diese Symptome werden von den Patienten
als sehr unangenehm und stark bedrohlich erlebt [8,
16, 75, 118]. Zentrale kognitive Symptome sind Angst
vor Kontrollverlust (z.B. Angst, etwas Unangemessenes zu tun oder verrückt zu werden), Angst vor katastrophalen Konsequenzen der wahrgenommenen Symptome (z.B. vor Tod durch Herzinfarkt oder davor,
sich lächerlich zu machen) sowie Depersonalisation
und Derealisation. Bei starken Angstanfällen kommt
es oft zu Flucht oder zu hilfesuchendem Verhalten,
dessen Form von den situativen Rahmenbedingungen
und dem Inhalt der jeweiligen Befürchtungen abhängt.
So suchen die Betroffenen medizinische Notfalleinrichtungen auf, halten sich stets in der Nähe eines Telefons auf oder flüchten nach Hause.
Das zur Zeit gültige „Diagnostische und statistische
Manual für psychische Störungen" der Amerikanischen Psychiatrischen Vereinigung (DSM-IV; [3]) operationalisiert Angstanfälle über die Zahl vorliegender
Symptome (mindestens 4 von 13 meist körperlichen
Symptomen). Weiterhin wird der akute Zeitverlauf der
Anfälle hervorgehoben: Mindestens vier Symptome
sollen innerhalb von 10 min auftreten. Empirische Untersuchungen zeigen, daß die durchschnittliche Anfallsdauer bei knapp 30 min liegt [75, 118]. Ein für die
Theorienbildung zentrales Element der Definition des
Paniksyndroms nach DSM-IV ist, daß die Angstanfälle zumindest manchmal unerwartet („spontan") auftreten: Die Angst soll sich keiner realen Gefahr zuschreiben lassen und nicht durch phobische Situationen ausgelöst sein. Die von der Weltgesundheitsorganisation herausgegebene Internationale Klassifikation
psychischer Störungen in der 10. Revision (ICD-10;
402
[30]) betont ebenfalls, daß die Diagnose eines Paniksyndroms nur dann gestellt werden soll, wenn schwere
Angstanfälle mit vegetativen Symptomen unerwartet
auftreten, d. h. die Anfälle nicht auf Situationen begrenzt sind, in denen eine objektive Gefahr besteht
oder die bekannt oder vorhersagbar (z.B. im Rahmen
einer Phobie) Angst auslösen. Die von DSM-IV und
ICD-10 hervorgehobene Unabhängigkeit der Angstanfälle von situativen Bedingungen bedeutet jedoch
nicht, daß die Angstanfälle völlig spontan, d. h. ohne
Auslöser auftreten. Neuere Forschungsergebnisse zeigen, daß interne Reize bei diesen Patienten die Angst
auslösen. Dies sind in der Regel körperliche Symptome
(z.B. Herzklopfen oder Atemnot), die mit einer unmittelbar drohenden körperlichen oder psychischen Katastrophe in Verbindung gebracht werden [38]. Seltener
können auch Gedanken oder Vorstellungen Auslösefunktion übernehmen (z.B. „ich bin allein, es ist keine
Hilfe da") (Übersichten in [36, 90]).
Da eine Reihe von körperlichen Erkrankungen Symptome aufweisen, die denen der Angstanfälle entsprechen, müssen organische Ursachen ausgeschlossen
werden, bevor die Diagnose einer Panikstörung gestellt
wird [79, 89]. Außerdem können Angstanfälle mit ähnlicher Symptomatik auch bei anderen Angststörungen
auftreten, etwa dann, wenn ein phobischer Patient mit
einem von ihm gefürchteten Objekt konfrontiert wird.
In diesem Sinne sind Panikanfälle ein relativ unspezifisches psychopathologisches Phänomen, das erst durch
die Einbettung in die anderen diagnostischen Kriterien
(u. a. das unerwartete Auftreten) eine Spezifität für das
Paniksyndrom erhalten.
Häufig ändern die von Angstanfällen betroffenen Patienten ihre Lebensgewohnheiten und beginnen, Situationen aus dem Weg zu gehen, in denen es besonders
unangenehm oder gefährlich sein könnte, einen Angstanfall zu haben. Viele geben das Autofahren auf, gehen nur noch selten in große Kaufhäuser und vermeiden öffentliche Verkehrsmittel, Fahrstühle, SchlangeStehen oder den Besuch von Kinos, Theatern oder
Gaststätten. Bei diesen Patienten spricht man seit
Westphal [131] von einer „Agoraphobie". Wörtlich
übersetzt bedeutet dies „Angst vor Plätzen öffentlicher
Versammlungen"; heute wird damit die phobische Vermeidung all der oben aufgeführten Situationen aus
Angst vor Panikanfällen oder ihrer befürchteten Folgen bezeichnet.
Die epidemiologischen Daten von Angstanfällen sind
beeindruckend. Etwa 10-16% der Bevölkerung leidet
im Laufe ihres Lebens an „spontanen" Angstanfällen
[130, 132]. Seit der Einführung der neueren verläßlichen Diagnosesysteme wie dem DSM-III [1] wurden
mehrere großangelegte epidemiologische Studien
durchgeführt. Die wichtigsten sind das Epidemiological Catchment Area Program („ECA") des amerikani-
sehen National Institute of Mental Health [92, 106,
128], die Zürich-Studie [5, 6, 127] und die Münchner
Follow-up-Studie („MFS") [132, 134, 136]. Die jüngste
dieser Studien stellt der US-„National Comorbidity
Survey" [61] dar, in dem nach DSM-111-R-Kriterien
mit Hilfe des „Composite International Diagnostic Interview" (CIDI) [107, 135] 12-Monats- und LebenszeitPrävalenzen psychischer Störungen erhoben wurden.
Vergleicht man die Ergebnisse dieser Studien, ergeben
sich bemerkenswert konsistente Prävalenzsschätzungen für Angststörungen. Danach stellen die Angststörungen bei Frauen die häufigste, bei Männern nach
den Abhängigkeitssyndromen die zweithäufigste Form
psychischer Störungen dar.
Im einzelnen ergeben sich (nach ECA- und MFS-Daten) für das Paniksyndrom (DSM-111-R: Paniksyndrom ohne Agoraphobie) durchschnittliche Sechs-Monats-Prävalenzen von 0,8 bis 1,1 % und Lebenszeitprävalenzen von 1,6 bis 2,4%. Für Agoraphobie liegen die
Prävalenzen zwischen 2,8 und 3,4% (sechs Monate)
und 5,2 und 5,7% (Lebenszeit). Im Vergleich zu den
bisher berichteten Daten liegen die Prävalenzen für das
Paniksyndrom nach dem NCS etwas höher (12 Monate: 2,3%, Lebenszeit: 3,5%). Für Agoraphobie liegen
die Prävalenzen bei 2,8% (12 Monate) und 5,3% (Lebenszeit). Die höheren Prävalenzen beim Paniksyndrom können auf die im NCS angewandten genaueren
DSM-Ill-R-Kriterien zurückzuführen sein. Die älteren
Studien arbeiteten noch mit dem DSM-llI.
Im Gegensatz zu allen anderen Phobien, die meist in
der Kindheit oder Jugend beginnen, setzen Agoraphobien und Angstanfälle in der Regel erst im frühen Erwachsenenalter ab 20 Jahren ein (mittleres Ersterkrankungsalter von 25 bis 30 Jahren). Ein Beginn vor dem
16. oder nach dem 40. Lebensjahr ist selten [69, 86, 94,
97, 114, 121, 122]. Nach retrospektiven Aussagen der
Patienten beginnen die Störungen in mindestens 80%
aller Fälle plötzlich mit einem Angstanfall an einem
öffentlichen Ort [65, 94]. Ein schleichender Beginn ist
eher selten [85, 94]. Zwar gibt es oft Schwankungen im
Verlauf der Störung [26, 123], zu völligen Spontanremissionen kommt es aber kaum. Sobald die Problematik eine gewisse Zeit (etwa ein Jahr) angehalten hat,
sind Spontanremissionen sehr selten. In der MFS-Studie erfüllten über 90% der Patienten auch nach sieben
Jahren noch die Diagnosekriterien [133]. Schapira et
al. [111] und Coryell et al. [27] beobachteten eine signifikant schlechtere langfristige Prognose für Phobien bzw. das Paniksyndrom als für schwere Depressionen. Die Gefahr der Entwicklung von sekundärem
Alkoholismus, Medikamentenmißbrauch und schweren Depressionen ist immer wieder festgestellt worden.
Zwischen Angstanfällen, Depressionen und Abhängigkeitskrankheiten bestehen vielfältige Verbindungen.
Eine bedeutende Zahl von alkohol- oder medikamen-
tenabhängigen Patienten hat diese Substanzen offenbar zunächst zur Bekämpfung ihrer Ängste genommen
[98]. Durch solche Verhaltensweisen und die Einschränkung der Lebensqualität kommt es oft zu einer
sich selbst verstärkenden „Abwärtsspirale" [10], an deren Ende starke Beeinträchtigungen für die Betroffenen und ihre Angehörigen stehen. Es ist daher vielleicht nicht überraschend, daß Panikpatienten gegenüber der Allgemeinbevölkerung ein deutlich erhöhtes
Suizidrisiko haben [26, 28, 129]. Diese Tatsachen mögen mit dazu beitragen, daß das Paniksyndrom mehr
als alle anderen psychischen Störungen die Betroffenen dazu veranlaßt, um professionelle Hilfe zu ersuchen [15]. Der enorme Bedarf der Betroffenen kommt
auch in der hohen Anzahl der Verschreibungen von
angstlösenden Medikamenten zum Ausdruck.
Das psychophysiologische Modell
des Paniksyndroms
Die neuere Forschung zu Angstanfällen wurde durch
die Entdeckung der - zumindest kurzzeitigen Wirksamkeit der trizyklischen Antidepressiva, einer
bestimmten Klasse von Psychopharmaka, die zunächst
bei der Depressionsbehandlung eingesetzt wurden, bei
der Panikbehandlung initiiert. Dieses Ergebnis veranlaßte Autoren wie Klein [62] und Sheehan [113], sogenannte biologische Modelle zur Ätiologie vorzulegen,
die annehmen, daß Angstanfälle eine qualitativ besondere Form der Angst darstellen. Diese Autoren postulieren eine „Behandlungsspezifität": Angstanfälle seien nur mit Antidepressiva zu behandeln, während andere Angstformen nur auf sedierende Medikamente
(z.B. Benzodiazepine) ansprächen. Psychologische Behandlung wirke bei phobischer Angst, nicht aber bei
Angstanfällen. Kontrollierte Untersuchungen haben
inzwischen alle Teile dieses Arguments widerlegt, die
angenommene Behandlungsspezifität besteht nicht
(Zusammenfassung in [76]). Eine weitere Basis dieser
Modelle stellen Studien zur experimentellen Panikinduktion dar. Es wurde angenommen, daß Panikpatienten auf bestimmte biochemische Manipulationen,
vor allem Natriumlaktat-Infusionen und COrinhalationen, grundsätzlich anders reagierten als Kontrollpersonen. Tatsächlich zeigten diese Patienten in einigen, aber nicht allen Studien stärkere Angstreaktionen
auf diese Methoden als Kontrollgruppen (z.B. [67,
101]). Frühere Studien hatten diese Effekte dahingehend interpretiert, daß bei vulnerablen Personen durch
einen biologischen Automatismus Angstanfälle ausgelöst würden. Dabei wurden jedoch psychologische Variablen, wie etwa Erwartungshaltungen, nicht berücksichtigt. Neuere Studien zeigen, daß Panikpatienten
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und Kontrollpersonen sich nicht qualitativ in ihren Reaktionen auf diese Stressoren, wohl aber stark in den
Ausgangsniveaus von Angst und Aktivierung unterscheiden (vgl. die Übersicht in [73]). Auch die Behauptung biologischer Modelle, ein spezifisches genetisches
Risiko für Angstanfälle würde unabhängig von Risiken für andere Angststörungen vererbt, wurde empirisch nicht belegt (vgl. [76]). Bestätigt wurde lediglich
eine unspezifische genetische Anfälligkeit für Ängste
im allgemeinen [4]. Insgesamt sind diese früheren Erklärungsansätze nicht ausreichend empirisch untermauert bzw. in der einfachen Form widerlegt.
In jüngerer Zeit haben verschiedene Forschungsgruppen psychologische Modellvorstellungen entwickelt [7,
21, 33, 36, 73, 90, 125]. Die gemeinsame zentrale Annahme dieser Ansätze besagt, daß Angstanfälle durch
positive Rückkopplung zwischen körperlichen Symptomen, deren Assoziation mit Gefahr und der daraus
resultierenden Angstreaktion entstehen. Die Modelle
betonen die Rolle interner Angstauslöser, insbesondere
körperlicher Veränderungen. Im folgenden stellen wir
kurz das psychophysiologische Modell der Angstanfälle vor (nach [36, 73, 74, 79]).
Abbildung 1 zeigt eine schematische Darstellung des
Modells. Der zentrale Teil der Abbildung stellt einen
positiven Rückkopplungsprozeß dar (mit Pfeilen illustriert), der zu einem Angstanfall führt. Der positive
Rückkopplungskreis kann an jedem seiner folgenden
Elemente beginnen. Der Einfachheit halber diskutieren wir die Komponenten in der häufigsten Abfolge:
Physiologische oder kognitive Veränderungen (z.B.
Schwitzen, Atemnot oder Derealisation) treten als
Folge verschiedener Ursachen auf, wie etwa durch
körperliche Anstrengung, Einnahme chemischer
Substanzen (z.B. Koffein), situationale Stressoren
(z.B. Hitze) oder emotionale Reaktionen (z.B.
Angst, Ärger, Freude).
Die Person nimmt diese Veränderungen wahr. Die
positive Rückkopplung kann an dieser Stelle beginnen, da körperliche Empfindungen nicht unbedingt exakt physiologische Prozesse widerspiegeln.
Zum Beispiel kann eine Person nach dem ZuBett-Gehen eine Beschleunigung der Herzfrequenz
allein deswegen empfinden, weil die Veränderung
der Körperposition ihre Herzwahrnehmung verbessert hat.
Die körperlichen oder kognitiven Empfindungen
werden mit unmittelbarer Gefahr assoziiert. Nicht
alle internen Stimuli werden mit gleicher Wahrscheinlichkeit mit Gefahr in Verbindung gebracht.
Zum Beispiel sind Empfindungen, die in Zusammenhang mit lebenswichtigen Körperfunktionen
wie etwa Herzklopfen oder Atemnot stehen, inhärent bedrohlicher als andere wie etwa Hitzewallungen. Ebenso werden Symptome mit einem plötzlichen, akuten Beginn eher mit unmittelbarer Gefahr
assoziiert.
Die positive Rückkopplung kann an dieser Stelle
ohne vorherige körperliche Veränderungen beginnen, wenn situative Variablen wahrgenommen und
mit unmittelbarer Gefahr assoziiert werden. So
können Angstanfälle bei normalerweise wenig
ängstlichen Personen in lebensgefährlichen Situationen auftreten. Phobische Patienten können einen Angstanfall erleben, wenn sie mit ihrem phobischen Stimulus konfrontiert werden.
Die Person reagiert auf die wahrgenommene Bedrohung mit Angst, die wiederum zu physiologi-
Positive Rückkopplung (schnell)
Interne
oder externe
Stressoren
r
r
Wahr·
nehmung?
.l!+
~
r
Assoziation
mit
Gefahr?
Angst/
"Panik"
Negative Rückkopplung (langsam) oder erfolgreiche Bewältigung
tT
Individuelle
Prädispositionen
404
T
Situative
Faktoren
Fig. 1. Das psychophysiologische Modell des Paniksyndroms (nach Ehlers und
Margraf [36])
sehen Veränderungen, körperlichen Empfindungen
und/oder kognitiven Symptomen führt (positive
Rückkopplung). Wenn diese Symptome wahrgenommen und mit Gefahr assoziiert werden, kommt
es zu weiteren Anstiegen der Angst, die in einem
Angstanfall kulminieren können. Dabei muß beachtet werden, daß positive Rückkopplung ein
schneller Prozeß ist.
Es ist unklar, ab welchem Punkt die resultierende
Angst Panik genannt werden kann. Da Angstanfälle kein Alles-oder-Nichts-Phänomen sind, ist dies
wahrscheinlich eine Frage des Schweregrades.
Angstanfälle können von anderen Angstformen
auf einer Reihe von Dimensionen unterschieden
werden, z.B. nach der Art der Angstauslöser (Rolle
interner Auslöser), der Art und des Zeitverlaufs der
Symptome (Vorwiegen körperlicher Symptome,
plötzlicher Beginn), dem Inhalt, der subjektiven
Wahrscheinlichkeit und dem Schweregrad der befürchteten Konsequenzen (sofortige schwere Bedrohung, hohe Wahrscheinlichkeit) sowie der wahrgenommenen Verfügbarkeit von Bewältigungsstrategien (niedrige Verfügbarkeit).
Dem Prozeß der positiven Rückkopplung wirken
gleichzeitig negative Rückkopplungsprozesse entgegen
(stumpfe Pfeile). Diese beeinflussen alle Komponenten
des positiven Rückkopplungskreises und führen zur
Angstreduktion. Negative Rückkopplung findet langsamer statt als positive Rückkopplung. Daher kann ein
Angstanfall sehr schnell entstehen, benötigt aber eine
gewisse Zeit, um abzuklingen. Beispiele für negative
Rückkopplungsprozesse sind Habituation, selbstbegrenzende homöostatische Mechanismen bei der Hyperventilation oder Ermüdung. Daneben führt auch
die wahrgenommene Verfügbarkeit von Bewältigungsstrategien zur Angstreduktion. Hierbei handelt es sich
im Gegensatz zur negativen Rückkopplung um Strategien, die die Person aktiv einsetzt, um Angst zu reduzieren. Beispiele hierfür sind langsames, flaches Atmen, Ablenkung und hilfesuchendes Verhalten. Ein
Versagen von Bewährungsversuchen führt andererseits
wieder zu einem Angstanstieg.
Eine Reihe interner und externer Variablen beeinflussen die Wahrscheinlichkeit, einen Angstanfall zu erleben, indem sie auf die Komponenten des Rückkopplungskreises einwirken. Diese Faktoren sind außerhalb
des zentralen Kastens in Abbildung 1 dargestellt:
Interne oder externe Stressoren erhöhen die Wahrscheinlichkeit von physiologischen oder kognitiven
Veränderungen und damit die Wahrscheinlichkeit
der Auslösung eines Angstanfalls.
Individuelle Dispositionen schließen sowohl physiologische und psychische Prädispositionen als
auch solche relativ überdauernden Variablen ein,
die erst im Verlauf der Störung erworben wurden.
Physiologische Prädispositionen wie etwa alphar
adrenerge Dysregulation, zentrale ChemorezeptorSensitivität oder der körperliche Trainingszustand
beeinflussen die Wahrscheinlichkeit körperlicher
Veränderungen und deren Wahrnehmung. Ein häufiges Beispiel für einen psychischen Faktor, der bei
der Aufrechterhaltung von Angstanfällen eine Rolle spielt, ist die Sorge der Patienten, einen weiteren
Anfall zu erleben. Sie führt zu einer Erhöhung der
tonischen Erregung, die wiederum die Wahrscheinlichkeit angstauslösender Körperempfindungen
und deren Assoziation mit Gefahr erhöht. Die
Wahrnehmung körperlicher Empfindungen hängt
weiterhin von anderen psychischen Prädispositionen ab wie der Aufmerksamkeitszuwendung auf
Gefahrenreize und der Genauigkeit der Interozeption [33, 34]. Die Verknüpfung dieser Empfindungen mit unmittelbarer körperlicher oder psychischer Gefahr hängt unter anderem von der Lerngeschichte (z.B. frühere Erfahrungen mit diesen
Symptomen während Angstzuständen) und kognitiven Stilen (z.B. Kausalattributionen) ab. Darüber
hinaus ist anzunehmen, daß Lernerfahrungen in
Verbindung mit Klagen über somatische Symptome und negative Emotionen (z.B. operantes und
Modellernen) beeinflussen, ob Personen Angstanfälle erleben bzw. wegen ihrer Ängste um professionelle Hilfe ersuchen.
Situative Faktoren haben Auswirkungen darauf, ob
körperliche Veränderungen wahrgenommen (z.B.
Körperposition, Intensität der gleichzeitigen externen Stimulation) und mit Gefahr in Verbindung gebracht werden (z.B. die Anwesenheit des Partners
oder eines Therapeuten). Weiterhin können situationale Variablen direkt mit Gefahr assoziiert werden und somit unmittelbar Angstanfälle auslösen.
Manche der Konsequenzen des Erlebens von Angstanfällen können als aufrechterhaltende Faktoren für das
Paniksyndrom wirken. Die meisten Patienten machen
sich Sorgen darüber, einen weiteren Anfall zu erleben.
Diese Sorgen können zu einem tonisch erhöhten Niveau von Angst und Erregung führen, das seinerseits
wieder das erneute Auftreten anfallsauslösender Körperempfindungen und ihre katastrophisierende Fehlinterpretation wahrscheinlicher macht. Clark et al. [23]
haben eine nach innen gerichtete Aufmerksamkeitsauslenkung bei den meisten Panikpatienten beschrieben. Ganz im Sinne einer sich selbst erfüllenden Prophezeihung können Hypervigilanz und anhaltendes
Absuchen des Körpers nach Anzeichen der befürchteten Katastrophen die Wahrscheinlichkeit erhöhen, mit
der mögliche Auslöser für Angstanfälle wahrgenommen werden. Auch die mehr oder weniger subtilen Formen des Vermeidungsverhaltens, das viele Betroffene
entwickeln, können zur Aufrechterhaltung der Störung
405
beitragen. Zum Beispiel führt die Vermeidung körperlicher Aktivitäten zu einem schlechteren Trainingszustand. Dies bewirkt stärkere kardiovaskuläre Reaktionen auf alltägliche körperliche Belastungen, die dann
oft als Auslöser von Angstanfällen dienen. Vermeidungsverhalten kann auch zur Beibehaltung der für
viele Panikpatienten typischen Dauerbeschäftigung
mit ihrem somatischen Befinden führen.
Inzwischen liegen eine Reihe empirischer Belege für
diese Erklärung der Panikanfälle vor. In Fragebögen
zur Messung der „Angst vor der Angst" oder „Angst
vor körperlichen Symptomen" wiesen Patienten mit
Angstanfällen oder Agoraphobien höhere Werte auf
als klinische oder Kontrollgruppen ohne psychische
Störungen (z.B. [18, 31, 39, 40, 103]). Desweiteren berichteten Patienten in strukturierten Interviews, daß
sie bei ihren Angstanfällen zuerst körperliche Symptome, wie etwa Herzklopfen, wahrnehmen [56, 66, 137].
Falsche Rückmeldungen von Herzfrequenzanstiegen
löste bei Panikpatienten, nicht aber bei normalen Kontrollpersonen, Anstiege in subjektiver Angst und physiologischer Erregung aus [35]. Nur die Patientengruppe reagierte hier also im Sinne der vom psychologischen Modell vorhergesagten positiven Rückkopplung.
Entsprechende Befunde berichteten auch Pauli et al.
[96], die die Herzfrequenz und das Angstniveau von
Panikpatienten in einer Feldstudie untersuchten. Wenn
die Patienten Herzfrequenzsteigerungen wahrnahmen,
reagierten sie mit weiteren Herzfrequenzsteigerungen
und Angst, während bei Kontrollpersonen die Herzfrequenz abnahm.
Verschiedene Autoren betonen die Rolle von Hyperventilation als Auslöser (akute Hyperventilation) und/
oder als disponierende Bedingung (chronische Hyperventilation) für Angstanfälle [66, 68]. Nach Garssen et
al. [47] besteht zwischen den Diagnosen Agoraphobie/Panikstörung einerseits und Hyperventilationssyndrom andererseits eine Überlappung von etwa
60%. In einer Studie von Bonn et al. [14] löste willkürliche Hyperventilation bei der Mehrzahl der agoraphobischen Patienten Angst aus, kaum jedoch beigesunden Kontrollpersonen. Fast alle Patienten beurteilen die Effekte der Hyperventilation als ihren Angstanfällen ähnlich. Auch in Studien von Rapee [99],
Holt und Andrews [58] und Rapee et al. [101] zeigten
Patienten mit Paniksyndrom stärkere Angstreaktionen
auf willkürliche Hyperventilation als Patienten mit anderen Angststörungen und gesunden Kontrollpersonen. Weiterhin fand sich in einigen Untersuchungen
bei Panikpatienten vor belastenden Situationen ein
niedrigerer arterieller Partialdruck des Kohlendioxyds
(pC0 2; Indikator für Hyperventilation) als bei Kontrollpersonen [67, 108] und Patienten mit generalisierter Angst [100]. Allerdings wurden unter Ruhebedingungen keine Auffälligkeiten im pC0 2 gegenüber kli406
nischen Kontrollgruppen festgestellt [58, 70]. Fallberichte zeigten, daß Hyperventilation bei „spontan"
auftretenden Angstanfällen vorliegen kann [52, 57,
109]. Die Forschung ergab insgesamt jedoch, daß nur
ein Teil der Panikanfälle mit Hyperventilation in Verbindung zu stehen scheint (Übersichten in [38, 81]). So
maßen Hibbert und Pilsbury [57] den COrPartialdruck transkutan unter ambulanten Bedingungen und
stellten während der Panikanfälle bei nur zwei der untersuchten vier Patienten einen Abfall des pC0 2 fest.
Umgekehrt berichteten in einer Studie von Bass und
Lelliott [13] auch nur etwa 50% der Patienten mit Hypercapnie (erniedrigter COrPartialdruck) Angstanfälle.
Auch die oben erwähnten Befunde zur experimentellen
Panikinduktion können im Sinne der psychologischen
Modelle interpretiert werden, denn die verwendeten
Substanzen führen zu zahlreichen körperlichen Symptomen, die wiederum Angst auslösen können. Weiterhin zeigten Patienten mit Paniksyndrom in Erwartung
von Panikinduktionsprozeduren stärkere Anstiege in
der Angst und kardiovaskulären Aktivierung (Herzfrequenz, Blutdruck) als normale Kontrollpersonen [33,
70]. Durch Instruktionen, mit denen Erwartungen der
Probanden oder die nahegelegten Interpretationen der
induzierten Symptome manipuliert wurden, konnten
die Reaktionen von Panikpatienten und gesunden Personen auf Laktatinfusionen, COrinhalation und Hyperventilation deutlich verstärkt bzw. verringert werden [23, 78, 84, 100, 124, 126]. Bei Sanderson et al.
[110] lösten COrinhalationen bei nur 20% derjenigen Panikpatienten Angstanfälle aus, die aufgrund der
experimentellen Instruktion glaubten, Kontrolle über
die Gabe des Gasgemisches zu haben. Demgegenüber
hatten 80% der Patienten, die keine Kontrolle wahrnahmen, Panikanfälle. Nach erfolgreicher kognitiver
Verhaltenstherapie lösten Laktatinfusionen [54, 112]
und COrinhalationen [80] bei Panikpatienten kaum
noch Angstanfälle aus.
Die empirischen Befunde lassen die psychologischen
Modelle als eine vielversprechende Alternative zu den
älteren, rein biologischen Ansätzen erscheinen. Ganz
allgemein hat sich herausgestellt, daß eine ganze Reihe
von Maßnahmen, die zu Herzklopfen, Atemnot,
Schweißausbrüchen und ähnlichen körperlichen
Symptomen führen, bei den Patienten Angstanfälle
auslösen können. Bei vielen Betroffenen wird das Auftreten von Panikanfällen zudem dadurch wahrscheinlicher, daß sie häufig ihre Aufmerksamkeit nach innen
lenken: Sie suchen ihren Körper nach möglichen Anzeichen drohender Gefahr ab. So konnte gezeigt werden, daß viele Menschen mit Angstanfällen besser in
der Lage sind, ihren Herzschlag wahrzunehmen, als
Kontrollpersonen ohne Angstanfälle [37]. Menschen
mit Panikanfällen können also offensichtlich besser
tatsächlich oder scheinbar gefährliche Veränderungen
in ihrem Körper wahrnehmen und könnten aus diesem
Grund häufiger Angstreaktionen zeigen.
Behandlung des Paniksyndroms
Eine Ursache für die langjährige Vernachlässigung des
Paniksyndroms in Forschung und Praxis könnte in
dem Mangel an erfolgversprechenden Behandlungsansätzen gelegen haben. Angstanfälle und Agoraphobien
galten lange Zeit als kaum behandelbar. Freud [46]
hatte in seinem einflußreichen Aufsatz ,-:Wege der psychoanalytischen Therapie" verdeutlicht, daß die von
ihm entwickelte Behandlungsmethode bei phobischem
Vermeidungsverhalten nicht sehr erfolgreich ist. Richter und Beckmann schrieben noch 1973: „Eine große
Psychoanalyse kommt für die allermeisten Herzneurotiker nicht in Frage, worüber weitgehend Einigkeit unter den Kennern dieses Krankheitsbildes herrscht"
(S. 142). Auch Verhaltenstherapeuten hatten lange keine Methoden für die Behandlung von Angstanfällen.
Sie beschäftigten sich vor allem mit der Therapie von
Phobien und Zwängen. Nachdem erfolgreiche Methoden zur Bekämpfung phobischer Ängste entwickelt
und überprüft worden waren, herrschte zunächst Unklarheit darüber, auf welche Weise Verfahren wie die
Konfrontation in vivo auf Angstzustände angewandt
werden konnten, bei denen die Betroffenen keine auslösenden Reize angeben konnten. Es ist sicher kein Zufall, daß die „Neuentdeckung" der Angstanfälle als
Forschungsgegenstand zeitlich mit therapeutischen
Fortschritten zusammenhing. Im folgenden wird ein
Überblick zu den wichtigsten psychotherapeutischen
Interventionen gegeben.
Angstanfälle ohne externale Auslöser
Die gezielte Behandlung von Angstanfällen steht erst
seit kurzem im Mittelpunkt des Interesses (vgl. [32, 72,
79]). Bis vor wenigen Jahren beschäftigten sich Therapiestudien vor allem mit phobischem Vermeidungsverhalten. Selbst bei der Behandlung von Agoraphobikern wurden Angstanfälle kaum beachtet. Noch 1984
fanden Jacob und Rapport nur acht Behandlungsstudien zur Agoraphobie, die Maße für Angstanfälle berichteten. In sechs dieser Studien verbesserten sich die
Anfälle nach der Behandlung des Vermeidungsverhaltens. Da der Hauptakzent auf der Erfassung der phobischen Symptomatik lag, waren allerdings die Maße
für Angstanfälle in den früheren Studien unzureichend. Neuere Studien bestätigten die positiven Effekte von Konfrontation in vivo auf die Häufigkeit und
Intensität von Angstanfällen bei Agoraphobikern (zusammengefaßt in [79]).
In den letzten Jahren wurden von verschiedenen Autoren sehr gute Erfolge mit der gezielten Behandlung von
Angstanfällen berichtet. Die meisten Programme kombinieren die Konfrontation mit internen Reizen (besonders körperlichen Symptomen) mit der Vermittlung
von Strategien zur Bewältigung von Angst und körperlichen Symptomen und kognitiven Methoden, die auf
eine veränderte Interpretation der ursprünglich als bedrohlich erlebten Angstsymptome abzielen. Diese Verfahren wurden hauptsächlich für Patienten mit Paniksyndrom ohne phobisches Vermeidungsverhalten entwickelt, sind jedoch auch sinnvoll in der Behandlung
agoraphobischer Patienten mit „spontanen" Angstanfällen, da Rückfälle bei Agoraphobikern häufig dem
Auftreten von einem oder mehreren erneuten Angstanfällen zu folgen scheinen [48]. Darüber hinaus scheint
die gezielte Behandlung der Angstanfälle den Erfolg
der Konfrontation mit angstauslösenden Situationen
noch weiter zu verbessern [14].
Ein Schwerpunkt der Behandlung ist die Vermittlung
eines Erklärungsmodells für die Angstanfälle. Dies
trägt zur Wirksamkeit und Akzeptanz der therapeutischen Maßnahmen, zur Generalisierung des Therapieerfolgs und zur Prophylaxe von Rückfällen bei [41, 72,
102]. Eine weitere wichtige Funktion des Erklärungsmodells liegt in der Bereitstellung einer Alternative zu
der Befürchtung vieler Patienten, an einer (unerkannten) schweren körperlichen oder psychischen Krankheit zu leiden. Grundlage der Erläuterungen ist das
oben besprochene psychophysiologische Modell. Sowohl „spontan" auftretende Anfälle als auch starke
Angstreaktionen in phobischen Situationen werden als
Ergebnis eines „Teufelskreises" aus den individuell relevanten körperlichen Symptomen (z.B. Herzrasen,
Schwindel), Kognitionen (z.B. „Ich könnte verrückt
werden") und Verhaltensweisen (z.B. Hyperventilation) dargestellt. Die der Symptomatik entsprechenden
Methoden zur Konfrontation und Bewältigung von
Angstsymptomen werden als Methoden zum Durchbrechen des Teufelskreises erläutert.
Falls aus der diagnostischen Phase Hinweise auf Hyperventilation vorliegen, bieten sich atemzentrierte
Verfahren an, um die Patienten mit körperlichen
Symptomen zu konfrontieren [22, 108]. Wenn die Patienten positiv auf einen Hyperventilationstest reagieren, kann durch eine Konfrontationsbehandlung eine
Gewöhnung an die Symptome erreicht werden. Die Patienten führen wiederholt Hyperventilationsübungen
durch und achten dabei auf körperliche Symptome,
Kognitionen und Angstniveau. Im Laufe der Zeit werden die somatischen Symptome als weniger gefährlich
erlebt, und das Angstniveau sinkt. Angstverstärkende
Kognitionen (z.B. „Ich könnte in Ohnmacht fallen")
407
(Äußere Reize)
spiel ließen Griez und van den Haut [51, 53] ihre Patienten wiederholt erhöhte Konzentrationen von C0 2
einatmen. Dies erzeugt ähnliche Symptome wie starke
Hyperventilation. Auch durch situative Bedingungen
lassen sich ähnliche Symptome wie bei Angst erzeugen. So können Patienten etwa auf einem einsamen
See ein Boot rudern, Achterbahn fahren oder in die
Sauna gehen (vgl. [12, 41]). Vorstellungsübungen eignen sich zur Konfrontation mit den erwarteten katastrophalen Konsequenzen von Angstanfällen (z.B. verrückt werden, von allen Umstehenden angestarrt werden) und Symptomen oder Situationen, die nicht beliebig willkürlich herstellbar oder kontrollierbar sind.
Konfrontation in sensu wurde von Foa (z.B. [116]) bei
Zwängen und von Chambless et al. [17] bei Agoraphobien erfolgreich eingesetzt. Dabei wird angestrebt, ein
möglichst hohes Angstniveau zu erzielen und die Vorstellung aufrechtzuerhalten, bis die Angst abgeklungen ist [79].
Angstanfälle mit externalen Auslösern
und Vermeidungsverhalten
(Sichtbares Verhalten)
Fig. 2. Der Teufelskreis bei Angstanfällen (nach Margraf und Schneider
[79])
können dabei gezielt durch alternative Gedanken ersetzt werden. Weiterhin kann chronische Hyperventilation durch ein Atemtraining (ruhige Zwerchfellatmung) behandelt werden. Langsame Zwerchfellatmung kann auch als Angstbewältigungsstrategie eingesetzt werden und akute Hyperventilation verhindern.
Starkes Herzklopfen oder -rasen ist das häufigste Symptom von Angstanfällen, und viele Patienten befürchten dementsprechend eine Herzerkrankung (vgl. auch
den Begriff Herzneurose [105]). Durch körperliche Belastung wie Treppensteigen, Kniebeugen oder Laufen
lassen sich rasch Pulsanstiege in einer Größenordnung
herstellen, die deutlich über den bei Angstanfällen
üblicherweise auftretenden Anstiegen liegen. Da die
meisten Patienten in einem schlechten Trainingszustand sind [119], reagieren sie stark auf diese Übungen. Durch den Vergleich der Symptome nach körperlicher Belastung mit denen eines Angstanfalls wird eine Uminterpretation der sonst als gefährlich erlebten
Symptome ermöglicht. Auch die Konfrontation der
Patienten mit ihrem eigenen EKG kann hilfreich sein
[12].
Andere Möglichkeiten, Patienten mit ihren Angstsymptomen zu konfrontieren, sind vielfältig und hängen von den individuellen Symptomen ab. Zum Bei408
Das Grundprinzip der heute üblichen Behandlung von
phobischem Vermeidungsverhalten, die Konfrontation
mit angstauslösenden Situationen („exposure"), war
schon vor der Beschäftigung der Fachwissenschaften
mit diesem Thema bekannt. Einer der berühmtesten
Agoraphobiker, Johann Wolfgang von Goethe, beschreibt in seinem autobiographischen Werk „Dichtung und Wahrheit", wie er sich selbst durch Konfrontation heilte. So stieg er auf den höchsten Punkt des
Straßburger Münsters und besuchte Kliniken, medizinische Demonstrationen, einsame Orte, nächtliche
Friedhöfe oder lärmende Menschenansammlungen jeweils so lange, bis die Angst von Höhen, Tod, Krankheit oder Einengung verschwunden war. Nach seiner
Einschätzung war er darin so erfolgreich, daß er später
„mit den Zimmerleuten um die Wette über die freiliegenden Balken" laufen konnte und ihn auch mit
Krankheit verbundene „widerwärtige Dinge" nicht
„wieder aus der Fassung setzen" konnten (alle Zitate
aus [50]).
In der Fachliteratur tauchen konfrontative Methoden
ebenfalls schon früh auf. So empfahl Oppenheim bereits 1911 in seinem „Lehrbuch der Nervenkrankheiten", mit den agoraphobischen Patienten zusammen
die gefürchteten Plätze zu überqueren. Auch Freud hat
in ,yYege der Psychoanalytischen Therapie" darauf
hingewiesen, daß die an der Behandlung der Hysterie
entwickelte Psychoanalyse für Phobien nicht ausreiche. „Man wird kaum einer Phobie Herr, wenn man
abwartet, bis sich der Kranke durch die Analyse bewegen läßt, sie aufzugeben". Bei schweren Agoraphobi-
kern habe „man nur dann Erfolg, wenn man sie durch
den Einfluß der Analyse bewegen kann, sich wieder
wie Phobiker ersten Grades zu benehmen, also auf die
Straße zu gehen und während dieses Versuches mit der
Angst zu kämpfen" (beide Zitate [95]).
In den letzten 20 Jahren wurde die Konfrontationsbehandlung systematisiert und empirisch überprüft. Dabei erwies sich Konfrontation in vivo bei phobischem
Vermeidungsverhalten als die Methode der Wahl
(Übersichten in [85, 121]). Wir wollen das Vorgehen
hier nur kurz umreißen. Für weitergehende Ausführungen verweisen wir auf [12, 55, 72, 85, 88, 102]. Anhand von Beispielen aus der Anamnese wird den Patienten ein Erklärungsmodell für die Angstproblematik vermittelt, aus dem das therapeutische Vorgehen
abgeleitet wird. Grundlage bildet die Zwei-FaktorenTheorie der Angst, erweitert um die Sicherheitssignalhypothese. Diese Theorien werden auf die individuellen Symptome, Verhaltensweisen, Befürchtungen und
„naiven" Erklärungsschemata der Patienten zugeschnitten.
Die Situationen für die Konfrontation in vivo werden
sehr konkret und detailliert zusammen mit den Patienten geplant. Dabei muß jeweils genügend Zeit vorgesehen werden. Beispielssituationen sind: Im Kaufhaus
Fahrstuhl fahren, an der Kasse Schlange stehen, Autofahren zum Wald, allein im Wald spazierengehen,
Rückfahrt über die Autobahn, in kleinem Raum eingeschlossen sitzen (siehe [12] für weitere häufige Situationen). Die Patienten werden instruiert, so lange in
den einzelnen Situationen zu bleiben, bis die Angst
„von selbst" geringer wird, ohne zu versuchen, die
Angst zu unterdrücken oder sich abzulenken. Die Begleitung durch die Therapeutin sollte so bald wie möglich ausgeglichen werden. Es wird betont, daß es in der
Therapie um die Vermittlung von Fertigkeiten geht, die
selbständig auch bei wieder auftretenden Ängsten eingesetzt werden können, um Rückfällen vorzubeugen.
Die Patienten werden für die Durchführung der Konfrontationsübungen (nicht aber für Angstfreiheit) verstärkt und zur Selbstverstärkung angehalten.
Während über die Grundprinzipien der Konfrontationsbehandlung weitgehend Einigkeit besteht, sind jedoch unterschiedliche Vorgehensweisen gebräuchlich.
So stufen viele Programme die zu bewältigenden Situationen nach der Schwierigkeit ab (graduelles Vorgehen). Die Patienten üben dann schrittweise, ihren Aktionsradius auszudehnen [9, 88]. Nach den Ergebnissen einiger Katamnesestudien ist es jedoch möglich,
daß Reizüberflutung zumindest bei schweren Phobien
langfristig wirksamer ist [41, vgl. jedoch 85, 93]. Die
Grundlagenforschung an Tiermodellen (z.B. [104,
115]) weist in dieselbe Richtung. Bei der Reizüberflutung beginnt die Therapie gleich mit Situationen, die
mit hoher Wahrscheinlichkeit starke Angst auslösen
a
120
-:;;
100
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c
<: 80
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>
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Zeitverlauf
b
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20
0
Zeitverlauf
Fig. 3. Schematische Zusammenfassung des Habituationsrationals der
Reizkonfrontationstherapie: (a) zeigt den Verlauf von Angst bzw. Erregung bei der Konfrontation mit Angstreizen. Die verschiedenen Linien
stellen den typischen Verlauf mit einem raschen Anstieg und einem
langsameren Abfall der Angst sowie den vom Patienten befürchteten
Verlauf dar. Ohne Behandlung zeigen die Patienten in der Regel Vermeidungsverhalten und erreichen so nicht den Punkt, an dem die Kurve von
allein abfällt. (b) Erst in der Konfrontationstherapie machen sie die Erfahrung, daß Angst von allein abnimmt („habituiert"), wobei die Kurve
bei wiederholter Konfrontation (1. bis 4. Durchgang) immer weiter abflacht (nach Margraf und Becker [83])
werden. Mehrere Stunden Konfrontation täglich an
aufeinanderfolgenden Tagen (massierte Übungen)
scheint die schnellsten und stabilsten Erfolge zu bewirken [12, 41, 43, 85, 87, 117]. Die für die massierte Reizüberflutung nötige Behandlungsdauer schwankt zwischen ca. 5 und 10 Tagen, je nach Dauer der einzelnen
Sitzungen. Weiterhin unterscheiden sich die einzelnen
Programme nach der Häufigkeit des Therapeutenkontakts. So kann nach Instruktion durch die Therapeutin
z.B. ein Großteil der Übungen allein oder mit Unterstützung des Partners durchgeführt werden. Ausführliche Beschreibungen dieses Vorgehens geben z.B. [88]
und [9]. In jüngster Zeit gibt es auch erfolgreiche Versuche, die Patienten mit Hilfe schriftlicher Manuale
die Konfrontation ganz allein durchführen zu lassen
[49].
409
Empirische Erfolgskontrolle
Die Effektivität von Konfrontationsverfahren in der
Therapie von Angststörungen ist nach über zwei Jahrzehnten systematischer Forschung klar belegt. Nach
Marks [85] stellt sie eine der am besten dokumentierten Erfolgsgeschichten im Bereich der psychischen Gesundheit dar. Dabei liegen allerdings zur Behandlung
von Patienten, bei denen die Angstanfälle im Vordergrund der Symptomatik stehen, bisher weniger Studien vor als zur Therapie der Agoraphobie. Die ersten
Veröffentlichungen betrafen meist Einzelfallstudien
oder unkontrollierte Studien an kleinen Stichproben,
seit einigen Jahren gibt es jedoch eine ganze Reihe von
kontrollierten Studien (Zusammenfassung in [79]).
Die Patienten in diesen Studien erfüllten in der Regel
die DSM-III-Kriterien für die Diagnose Paniksyndrom, teilweise auch für Agoraphobie mit Angstanfällen. Die Dauer der Behandlungen lag meist bei etwa 15
Sitzungen, schwankte jedoch stark. Die Ergebnisse
sind ungewöhnlich konsistent: In allen Studien wurden
deutliche und stabile Verbesserungen oder vollständige
Remissionen erzielt. Meist kam es zu zusätzlichen Besserungen in der Katamnese, zumindest jedoch blieben
die zum Ende der Therapie erzielten Fortschritte bestehen. Bei der großen Mehrheit der Patienten konnten
Angstanfälle langfristig völlig beseitigt werden. In allen Studien, in denen dies untersucht wurde, war eine
gezielte Behandlung der Angstanfälle nicht-spezifischen psychologischen Verfahren oder medikamentöser Therapie überlegen.
In die gleiche Richtung weisen auch die Ergebnisse von
Meta-Analysen zur Behandlung des Paniksyndroms
mit oder ohne Agoraphobie. Clum et al. [25] vergleichen in ihrer Studie die Effektivität psychologischer
und pharmakologischer Therapien. Die besten Ergebnisse erzielen hierbei die Gruppen der psychologischen
Therapien, in denen neue Umgehensweisen mit der
Angst über die Vermittlung von Coping-Strategien,
Kognitive Umstrukturierung, Entspannungstraining
und Expositionsverfahren angewendet wurden. Antidepressive Medikation war die effektivste medikamentöse Therapie. In einem Überblicksartikel zu Kognitiver Verhaltenstherapie bei Angststörungen kommen
Chambless und Gillis [20] in bezug auf das Paniksyndrom zu dem Ergebnis, daß zwar rein kognitive Behandlungen zu sehr guten Resultaten führen, sie aber
anderen, Panik-spezifischen Behandlungsansätzen
(z.B. Konfrontation mit Körperempfindungen) nicht
überlegen sind. In bezug auf Agoraphobie war die
kombinierte Behandlung von kognitiver Therapie und
Konfrontation konsistent effektiver als WartelistenKontrollgruppen, aber lediglich in einer Studie steigerte diese Kombinationsbehandlung die Effekte einer
reinen Konfrontationsbehandlung [91].
410
Eine Übersicht zu vier neuen, bisher noch nicht veröffentlichten kontrollierten Therapiestudien geben Margraf et al. [82]. Auch diese Studien belegen, daß ca.
80% der behandelten Panikpatienten nach kognitiver
Verhaltenstherapie panikfrei sind und klinisch bedeutsame Verbesserungen in Maßen der Angst, Depression
und Vermeidung aufweisen.
Die Erfolge bleiben in Katamnesen bis zu zwei Jahren
stabil. Besonders interessant sind die Verfahren der
Arbeitsgruppen um Clark in Oxford und um Barlow
in Albany. Beide Gruppen haben sehr positive Daten
zu verschiedenen Aspekten der Erfolgskontrolle vorgelegt. So verglichen Barlow et al. [11] die Effektivität
der gezielten kognitiv-behavioralen Behandlung des
Paniksyndroms mit den Auswirkungen einer progressiven Muskelrelaxation und einer Kombination beider
Verfahren sowie einer Warteliste-Kontrollgruppe. Die
kognitiv-behaviorale Therapie war klar überlegen und
konnte durch eine zusätzliche Entspannungskomponente nicht weiter verbessert werden. In beiden Gruppen waren fast 80% der Patienten bei Therapieende
völlig frei von Angstanfällen. Für die Entspannungsgruppe lag dieser Wert unter 40% und unterschied sich
nicht signifikant von der Wartelisten-Kontrollgruppe
[29]. Im Gegensatz dazu bewirkt die gezielte Behandlung von Angstanfällen zumindest bei Patienten mit
Agoraphobien und Angstanfällen einen zusätzlichen
Therapieerfolg gegenüber der klassischen Konfrontation mit externen angstauslösenden Situationen [14].
Einen sorgfältig durchgeführten Vergleich mit einer
pharmakologischen Behandlung von Angstanfällen
berichten Klosko et al. [63]. In dieser Studie führte die
gezielte kognitiv-behaviorale Therapie zu über 80%
anfallsfreien Patienten bei Therapieende, während eine
Standardbehandlung mit dem Triazolobenzodiazepin
Alprazolam diesen Effekt nur bei ca. 50% der Patienten bewirkte.
Die Dauerhaftigkeit der Erfolge psychologischer Therapien ist nicht nur für sechs Monate (wie in [14]) belegt. Clark et al. [22] zeigten in einer zweijährigen Katamnese, daß selbst mit einer sehr kurzen Intervention
stabile Erfolge erzielt werden. Dabei handelt es sich in
dieser Studie noch um eine frühe Version des Oxforder
Therapieprogramms, das im wesentlichen auf der Behandlung des Hyperventilationsaspektes der Angstanfälle aufgebaut war. Die längsten Katamnesen liegen
zur Behandlung von Agoraphobikern vor (Zusammenfassung in [79]). Katamnesen von bis zu neun Jahren
zeigen, daß einmal erzielte Erfolge auch über lange
Zeiträume im Durchschnitt stabil bleiben und Rückfälle selten sind. Das Auftreten neuer Symptome („Symptomverschiebung") ist nach erfolgreichen Konfrontationstherapien nicht häufiger als in der Allgemeinbevölkerung (Literaturübersichten in [85, 88]). Das größte Problem dieser Therapien scheint die Akzeptanz zu
sein. In einigen Studien lehnten sogar 20 bis 250Jo der
Patienten die Therapie ab oder beendeten sie vorzeitig
(vgl. [93]). Barlow und Waddell [9] weisen darauf hin,
daß bei graduellem Vorgehen die Ablehnungsquote geringer zu sein scheint.
Im Gegensatz zur allgemeinen Wirksamkeit ist die
Frage nach den wirksamen Komponenten der verschiedenen Therapieprogramme nicht ausreichend geklärt.
Marks (1987) und Foa und Kozak (1986) stellten die
Hypothese auf, daß „Exposure" (Konfrontation) der
gemeinsame Nenner aller erfolgreichen Angstbehandlungen sei [45, 85]. Foa und Kozak [45] erklären die
Wirkung der Konfrontationstherapien über eine Modifikation semantischer Netzwerke, in denen die phobischen Objekte und die eigene Furchtreaktion repräsentiert sind (vgl. [64]). Eine Voraussetzung hierfür sei
die Aktivierung dieser kognitiven Struktur, wie sie bei
Konfrontation in vivo erzielt würde. Physiologische
Habituation während der Konfrontation führe zu einer
Lockerung der Assoziation zwischen den Stimulus(z. B. Menschenmenge) und Reaktionselementen (z.B.
Herzrasen). Dadurch würde die Integration korrektiver Informationen über die Bedeutung der gefürchteten Elemente in das Netzwerk erleichtert (z.B. Herzrasen hat nicht zum Herzinfarkt geführt, ist also weniger
gefährlich als angenommen). Dies habe wiederum zur
Folge, daß die Patienten bei der nächsten Konfrontation geringere physiologische Reaktionen zeigen (Habituation zwischen den Sitzungen).
Neben spezifischen Mechanismen könnten jedoch
auch sogenannte „non-spezifische", eher den Prozeßvariablen zuzurechnende Faktoren an der Wirksamkeit
der besprochenen Verfahren beteiligt sein (vgl. [59]).
Bei diesen Variablen handelt es sich etwa um die
Glaubwürdigkeit der Therapie, Erwartungshaltungen
der Patienten und um die Therapeut-Patient-Beziehung.
Die Suche nach Prädiktoren des Therapieerfolgs war
bisher weitgehend ergebnislos [19, 42, 85, 88]. Weder
Patientenmerkmale (soziodemographische, Persönlichkeits- oder Störungsvariablen) noch Therapeutenvariablen zeigten einen konsistenten Zusammenhang.
Der Effekt zusätzlicher psychischer Störungen (z.B.
Alkoholismus) kann allerdings nicht abgeschätzt werden, da die vorliegenden Studien solche Patienten von
vornherein ausschlossen.
Ausblick
Die Entwicklung von effektiven Behandlungsstrategien bei Angstanfällen und Agoraphobien stellt einen
der großen Erfolge der Therapieforschung dar. Allerdings gibt es trotz dieser Erfolge noch eine Reihe von
Patienten, die von dieser Behandlung nicht profitieren
oder die keine ausreichende Heilung erreichen. Die
Verbesserung der verfügbaren Behandlungen stellt deswegen eine wichtige Aufgabe zukünftiger Forschung
dar (vgl. auch [44]). Eine zweite, unseres Erachtens
ebenso bedeutende Aufgabe resultiert aus der Tatsache, daß viele Patienten und leider auch professionelle
Kräfte aus dem Gesundheitswesen nicht über erfolgsversprechende Behandlungsmöglichkeiten informiert
sind. Anhand von 794 Patienten, die in Forschungsprojekten der Stanford Universität um Therapie ersuchten, konnten Taylor et al. (1989) die Behandlungsgeschichte von Personen mit Ängsten und Vermeidung
explorieren [120]. Nur 40Jo der Patienten mit Angstanfällen und Vermeidungsverhalten hatten eine Konfrontation in vivo erhalten. Gleichzeitig aber hatten etwa
zwei Drittel der Patienten eine medikamentöse Behandlung (meistens Benzodiazepine) und über 700Jo eine unspezifische Art von Beratung oder Psychotherapie erhalten. Diese Ergebnisse machen deutlich, daß
die Verbreitung von Informationen über eine angemessene Behandlung von Angststörungen eine wichtige
Aufgabe im Gesundheitswesen darstellt.
Neben diesen eher praxisorientierten Problemen müssen aber auch eine Reihe von Fragen in der ätiologischen Forschung geklärt werden. Dazu gehört vor allem die Frage des Zusammenwirkens von genetischen
und Lernfaktoren. Was genau sind die vererbten Merkmale, die die Anfälligkeit für Panikanfälle ausmachen,
und wie interagieren sie mit anderen Faktoren in der
Genese der Störung? Eine Antwort auf diese Fragen
könnte sowohl Anhaltspunkte für die Entwicklung
von Präventionsprogrammen liefern, wie auch generell
unser Wissen über emotionale Prozesse und die Entstehung psychischer Störungen verbessern.
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