Energietechnisches Praktikum I Versuch 4 Institut für Elektrische Anlagen und Energiewirtschaft der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen (Univ.-Prof. Dr.-Ing. H.-J. Haubrich) Ersatzschaltbilder von Drehstromtransformatoren 1 Einleitung und Ziel des Versuches Die Entwicklung des Transformators in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts war ein wesentlicher Beitrag zur Durchsetzung der Wechsel- und Drehstromtechnik, der flächendeckenden Ausbreitung der elektrischen Energieversorgung, der Nutzungsfähigkeit der kostengünstigsten Primärenergiequellen und der verlustgünstigsten Fernübertragung. Transformatoren ermöglichen es, die elektrische Energie mit einer der Leistung und Entfernung angepaßten Spannung zu übertragen. Bild 1 zeigt dies am Beispiel des für Länder wie die Bundesrepublik Deutschland üblichen Vier-SpannungsSystems mit häufig gewählten Transformatortypen an den Schnittstellen der Netze. 380kV,220kV 110kV 20kV,10kV 0,4kV G 3~ 1 2 3 4 1 Block- oder Maschinentransformator 2 Netzkuppeltransformator 3 Verteilungstransformator 4 Ortsnetztransformator Bild 1: Prinzipieller Aufbau des elektrischen Energieversorgungssystems in der Bundesrepublik Deutschland mit häufig gewählten Transformatortypen Für die Untersuchung des Normalbetriebszustandes wird der symmetrisch gespeiste und belastete Drehstromtransformator durch seine einphasige Mitsystem-Ersatzschaltung vollständig beschrieben. In Störfällen, bei Ortsnetztransformatoren auch im Normalbetrieb, treten oft Unsymmetrien auf, die sich vorteilhaft durch Transformation in symmetrische Komponenten berechnen lassen. Hierfür wird zusätzlich die einphasige Ersatzschaltung des Gegensystems und - bei Erdunsymmetrie - auch des -2- Nullsystems benötigt. Mit- und Gegensystemersatzmodell sind bis auf die komplementären Drehwinkel der Übersetzung identisch. Im vorliegenden Versuchsprogramm soll neben dem Mit- auch das Nullsystem-Ersatzschaltbild, das sich bei Drehstromtransformatoren erheblich von der Ersatzschaltung des Mitsystems unterscheiden kann, meßtechnisch bestimmt und im Hinblick auf die Sternpunktbelastbarkeit beurteilt werden. 2 Theoretische Grundlagen 2.1 Symmetrische Komponenten Die im Normalbetrieb angestrebte Symmetrie des Drehstromsystems wird durch unsymmetrische Lasten, Fehler und Betriebsmittel gestört. Die Berechnung unsymmetrischer Systemzustände erfordert grundsätzlich die Lösung eines vielfach eng gekoppelten Gleichungssystems aller drei Phasen des Drehstromsystems, auch wenn nur eine Unsymmetriestelle vorliegt. Die Berechnung vereinfacht sich wesentlich durch Transformation in 012-Komponenten, die nur an den Unsymmetriestellen gekoppelt sind. Die Transformation der Spannungen und Ströme des RST-Systems in das 012-System erfolgt nach U012 = T ⋅ URST (1) Ι 012 = T ⋅ Ι RST mit der Transformationsmatrix 1 1 1 T= 1 a 3 1 a 2 1 a 2 , a = e j2π / 3 , a (2) die Rücktransformation mit der inversen Transformationsmatrix : 1 1 1 T −1 = 1 a 2 a a2 1 a (3) -3- Hiermit lassen sich die symmetrischen Komponenten veranschaulichen: UR = U 0 + U1 + 2 U2 =$ U 0R + U1R + U 2R US = U 0 + a U1 + aU 2 =$ U0 S + U1S + U 2S U T = U0 + 2 (4) aU1 + a U2 =$ U0 T + U1T + U 2T gegenläufiges Drehstromsystem ⇒ Gegensystem mitläufiges Drehstromsystem ⇒ Mitsystem gleichphasiges Wechselstromsystem ⇒ Nullsystem Bild 2 zeigt diese physikalische Deutung von Null-, Mit- und Gegensystem an einem beispielhaften Unsymmetriefall. UR U 1R U OR U OS U OT U 2S = + + US U1S U 1T UT Unsym. System U 2R = Nullsystem + U 2T Mitsystem + Gegensystem Bild 2: Zerlegung eines unsymmetrischen Drehstromsystems in symmetrische Komponenten Die Ersatzschaltbilder des Mit- und Gegensystems für Zwei- und Dreiwicklungs-Transformatoren lassen sich unmittelbar aus den Fluß- und Spannungsgleichungen herleiten [1] und sind in Bild 3 dargestellt. -4- RCu0S I0S X´σ US Xσ0S R´CuUS I´ I US US ü:1 U Xh 0S RFe U´US UUS I´US ü 0SUS X´ σUS X σ0S I0S U :1 U´US IUS U US X´σMS 0S X h I´MS ü0SMS : 1 U´ MS IMS U MS Bild 3: Mit- und Gegensystem-Ersatzschaltbilder von Zwei- und Dreiwicklungstransformatoren (ohne Verlustwiderstände) 2.2 Nullsystem-Ersatzschaltbild von Drehstromtransformatoren 2.2.1 Einflußgrößen Das Übertragungsverhalten von Drehstromtransformatoren im Nullsystem sowie die Struktur und die Größe der Reaktanzen des Nullsystem-Ersatzschaltbildes werden bestimmt durch • die Zahl und Schaltungsart (Stern oder Dreieck) der Wicklungen • den Kernaufbau • die Sternpunktbehandlung der Sternwicklungen. In den Außenleitern können Nullströme als gleichphasige Wechselströme nur bei Sternschaltung der Wicklung und galvanischer Rückleitungs-Verbindung des Wicklungssternpunktes mit Neutralleiter oder Erde fließen. Bei Dreieckschaltung können Nullstromkomponenten nur innerhalb der in Reihe geschalteten Wicklungsstränge auftreten. -5- Der Kernaufbau beeinflußt die Größe der Magnetisierungs- oder Leerlaufnullreaktanz X0h. Gleichphasige Nullsystemmagnetisierungsflüsse können sich beim Dreischenkeltyp nur über Luft und Kessel, beim Fünfschenkeltyp über die freien Außenschenkel schließen. Die Streuflüsse verlaufen unabhängig von der Schenkelzahl - im wesentlichen in Luft. Da die Induktanz dem Leitwert des magnetischen Kreises proportional ist, haben Fünfschenkeltransformatoren im Nullsystem ein deutlich höheres Leerlauf-Kurzschluß-Reaktanzverhältnis als Dreischenkeltypen. U0 U0 U0 U0 O0 O0 O0 U0 O0 U0 O0 O0 Bild 4: Nullflüsse im Drei- und Fünfschenkeltransformator Betrieblich vorteilhaft ist eine Entkopplung von unter- und oberspannungsseitigem Nullsystem, damit Erdunsymmetrien auf das betroffene Netz begrenzt bleiben. Eine wirksame Sternpunkterdung wie auch der Anschluß einphasiger Verbraucher fordern niedrige Eingangs-Nullimpedanzen. 2.2.2 Beispiele von Nullsystem-Ersatzschaltbildern Die elektrische Nullsystemersatzschaltung des magnetischen Kreises eines verlustlosen Zweiwicklungs-Drehstromtransformators führt auf das bekannte T-Ersatzschaltbild nach primär- und sekundärseitiger Streureaktanz und gemeinsamer Magnetisierungsreaktanz (Bild 5). -6- X 0σ OS X´ 0σ US OS US X 0h Bild 5: Ausgangsmodell des Zweiwicklungs-transformators im Nullsystem Die Verbindung mit den ober- und unterspannungsseitigen Anschlußklemmen des Transformators wird von der Schaltungsart und Sternpunktimpedanz ZE bestimmt. Im Fall des Yy Transformators mit Sternpunkterdung nach Bild 6 können beiderseits Nullströme eintreten und über die jeweilige Sternpunktimpedanz und Erde zurückfließen. Die Sternpunktimpedanz geht, da sie vom dreifachen Nullstrom durchflossen wird, mit 3 ZE in das einphasige Ersatzschaltbild 6b an der hierfür einzig möglichen Stelle ein. X 0σ OS OS US OS ~ X´0σ US 3ZEOS a) Z EOS Z EUS X 0h b) Bild 6: Nullsystem-Ersatzschaltbild bei Stern-Stern-Schaltung ~ 3Z´EUS US -7- Yy-Transformatoren mit beidseitiger Sternpunkterdung koppeln demnach in einem durch ZE1 und ZE2 bestimmten Maß. Diese Schaltung wird deshalb in der Praxis selten verwendet. Dreieckswicklungen lassen Nullströme nur innerhalb der Wicklungsstränge, jedoch nicht in den Zuleitungen zu. Sie wirken damit als Trennstelle für die eigene und als innere Kurzschlußverbindung für die Gegenseite (Bild 7). Dies hat eine vollständige Entkopplung der angrenzenden Netze im Nullsystem und eine niedrige, durch die Sternpunktimpedanz der Y-Wicklung in weiten Grenzen frei wählbare Eingangsnullimpedanz zur Folge. OS US OS ~ X 0σ OS X´ 0σ US US 3ZE X 0h Z EOS Bild 7: Nullsystem-Ersatzschaltbild bei Stern-Dreieck-Schaltung Der Dreiwicklungstransformator, der als Yyd-Typ im Hoch- und Höchstspannungsnetz häufig eingesetzt wird, vereinigt mit seinen ober- und unterspannungsseitigen Sternwicklungen und der zusätzlichen Dreieckswicklung die Vorteile des beidseitigen Sternpunktzuganges von Yy-Transformatoren, der frei wählbaren Eingangs-Nullimpedanz von Yd-Transformatoren und der Nullsystem-Entkopplung der angrenzenden Netze durch die niederohmige Streureaktanz der Dreieckwicklung (Bild 8). US X´0σ US MS OS US OS ~ X 0σ OS 3Z´EUS X´0σ MS 3ZEOS X 0h Z EOS Z EUS Bild 8: Nullsystem-Ersatzschaltbild des Dreiwicklungstransformators in Yyd-Schaltung MS -8- 3 Versuchsaufbau 3.1 Schaltung Die Messung der Impedanzen im Ersatzschaltbild des Mit- und Gegen-systems erfolgt als dreiphasige Messung nach Bild 9, wobei der Transformator sowohl im primär- als auch nachfolgend im sekundärseitigem Kurzschluß zu betreiben ist. Die Messung der Nullimpedanzen erfolgt als einphasiger Leerlauf- und Kurzschlußversuch entsprechend Bild 10. 380 V~ A V Meßobjekt Drei - und Fünfschenkeltransformator Bild 9: Versuchsaufbau für die Messung der Mit- und Gegenimpedanzen 380 V~ A V Meßobjekt Drei - und Fünfschenkeltransformator Bild 10 Versuchsaufbau für die Messung der Nullimpedanzen -9- 3.2 Verwendete Geräte Meßobjekte sind ein Dreischenkel- und ein Fünfschenkeltransformator, deren Wicklungen frei geschaltet werden können: • • 1 Dreischenkeltransformator (3 Wicklungen), 380/110/110 V, Sn = 1 kVA 1 Fünfschenkeltransformator (3 Wicklungen), 220/220/220 V, Sn = 6 kVA Zur Einstellung der Spannung bei den Kurzschlußmessungen dient • 1 Stelltransformator 3 x 0-380 V, Ιmax = 6,5 A, zur Strom- und Spannungsmessung und daraus folgenden Reaktanzbestimmung • • 2 Amperemeter (2,5 A, 30 mA) 1 Voltmeter (400 V, 100 V, 30 V). Als Einphasenlast steht • 1 Schiebewiderstand (0-250 Ω, Ιmax = 2,5 A) zur Verfügung. - 10 - 4 Versuchsvorbereitung Die folgende Versuchsvorbereitung ist vor dem Versuchstermin vollständig anzufertigen. 4.1 Zeichnen Sie die Mit- und Nullsystem-Ersatzschaltbilder der zu untersuchenden Transformatortypen nach Bild 11 bei Vernachlässigung der Verlustwiderstände. OS US OS US US OS Bild 11: Schaltungsvarianten - 11 - 4.2 Stellen Sie das Nullsystem-Ersatzschaltbild der bei Ortsnetztransformatoren angewendeten YzSchaltung (Bild 12) dar und diskutieren Sie ihre betrieblichen Vorteile. US OS Bild 12: Yz-Schaltung 4.3 Ermitteln Sie die Bestimmungsgleichungen zur Berechnung der sekundärseitigen Phasenspannungen für den Belastungsfall nach Bild 13. X1σ U R,US U RST U S,US I U1 E RL X2σ = X1σ U 2 3R L U T,US X 0σ Bild 13: U0 Schaltung im RST- bzw. 012-System (Hauptreaktanzen des Mit- und Gegensystems werden vernachlässigt, Nullimpedanz X0 ist abhängig von der Schaltung der Dreieckswicklung) - 12 - Die Berechnung im 012-System ergibt: Ι1 = Ι2 = Ι0 = Ι = U1 = E U2 = E U0 = E Die Rücktransformation mit T −1 in das RST-System nach Gleichung (4): URST = U012 ⋅ T −1 1 3Ι ⋅ RL = (U0 + U1 + U2 ) ⋅ = E E E UR UR E US E UT E 5 = = 3a 2 RL + 3 (X1σ − a X0 ) j(2X1σ + X0 ) + 3RL = 3aRL − 3 X1σ − a 2 X0 j(2X1σ + X0 ) + 3RL ( ) Versuchsdurchführung Führen Sie mit dem Drei- und Fünfschenkeltransformator in den Schaltungsvarianten nach Bild 11 die folgenden Messungen durch: 5.1 Kurzschlußversuche zur Bestimmung der Kurzschlußeingangsimpedanzen im Mitsystem 5.2 Leerlauf- und Kurzschlußversuche zur Bestimmung der Elemente des Ersatzschaltbildes im Nullsystem - 13 - Seite Leer- Schal- der lauf/ tung Einsp./ Kurz- Bezug schluß Yy OS OS US Yd OS 5-Schenkel-Transformator Mit- Null- system system system 1-phas. 3-phasig 1-phasig Mit- Null- system 3-phas. ü M M L K Yyd ü L K US 3-Schenkel-Transformator M M M R R R M R R R L M M K M M L R R K R R L M M M M K US L K Yz OS L K US M L K M M M M M M M M M Erläuterung: M = Messung, R = Rechnung Tabelle 2: Gemessene Strangspannungen in V (bzw. Impedanzen in Ω) bei Ι = 1 A (Strangstrom) 5.3 Untersuchen Sie die Folgen des Anschlusses einer einphasigen Last auf der Unterspannungsseite eines Yyn- und Yynd-Transformators, jeweils in Drei- und Fünfschenkelbauart. Messen Sie hierzu die sekundärseitigen Strangspannungen bei belasteter Phase R und primärseitigem Anschluß an Nennspannung. - 14 - Schal- RL tung Ω ∞ Yyn 3-Schenkel-Transformator Ι R,US UR,US US,US U T,US A V 0 V V 5-Schenkel-Transformator Ι R,US UR,US US,US U T,US RL Ω A ∞ 67 0 1,5 ∞ Yynd 0 6 V V 220 2,0 ∞ 67 0 1,5 Tabelle 3: V 220 2,0 Messung zur unsymmetrischen Belastung auf der US-Seite, Phase R Versuchsauswertung 6.1 Bestimmen Sie aus den Meßwerten die den Nullsystemersatzschaltbildern aller untersuchten Transformatoren zugehörigen Reaktanzen (ohmsche Widerstände können vernachlässigt werden). 6.2 Bilden Sie die Quotienten aus der Eingangsimpedanz des Nullsystems und der Kurzschlußimpedanz des Mitsystems und begründen Sie die Unterschiede bei 3- und 5-Schenkeltyp. Schaltung Kern- Yz Yd(Dy) Yyd Yy oder Yz bauart Dreischenkel Fünfschenkel Tabelle 4: Quotient X 0 / X 1σ (auf der geerdeten Seite gemessene Eingangsimpedanz des Nullsystems zur gemessenen Kurzschlußimpedanz des Mitsystems) Vergleichen Sie die durch Messung bestimmten mit den in Tabelle 5 angegebenen praxisüblichen Werten. - 15 - Schaltung Kern Yz Dreischenkel 0,1 - 0,15 Fünfschenkel Tabelle 5: Yd(Dy) 0,7 - 1,0 Yyd 1 - 2,4 1,0 Yy oder Yz 3 - 10 10 - 100 Verhältnis der Kurzschluß-Eingangsreaktanz des Nullsystems (geerdete Seite) zur Kurzschlußreaktanz des Mitsystems (Anhaltswerte nach [2]) 6.3 Berechnen Sie mit Hilfe der ermittelten Ersatzschaltungen die sekundärseitigen Phasenspannungen bei Anschluß der Einphasenlast aus Versuch 4.3 und vergleichen Sie diese mit den gemessenen Werten. Größe Dreischenkel-Transformator 2-Wickl. Yy 3-Wickl.Yyd Fünfschenkel-Transformator 2-Wickl. Yy X 1σ Ω X0 Ω RL Ω UR / E US / E UT / E (Hinweis: Impedanzen einheitlich auf US-Seite beziehen.) Tabelle 6: Berechnungsergebnisse zum unsymmetrischne Belastungsfall 3-Wickl. Yyd - 16 - 7 Literatur [1] Haubrich, H.-J. Elektrische Anlagen I Vorlesungsskript RWTH Aachen, 1992 [2] Happoldt, H; Oeding, D. Elektrische Kraftwerke und Netze Berlin, Heidelberg, (5. Auflage), 1978