Endlösung der Judenfrage

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Inhaltsverzeichnis
Endlösung der Judenfrage
3—
Genese des Begriffs „Judenfrage“
3—
„Endlösung“
5—
Ideologie ab 1919
6—
Judenverfolgung 1933–1939
8—
Abschiebepläne 1939–1941
11— Massenerschießungen sowjetischer Juden
12— Zentraler Planungsauftrag
13— Ausweitung auf alle europäischen Juden
14— Systematische Vergasung
15— Hitlers politisches Testament
15— Historischer Diskurs
Endlösung der Judenfrage
Als „Endlösung der Judenfrage“, kurz „Endlösung“, bezeichneten die Nationalsozialisten seit Juli
1941 ihr Ziel, alle von ihnen als Juden definierten Personen in Europa und darüber hinaus zu
ermorden, das sie bis zum 8. Mai 1945 systematisch verfolgten. Dieser Euphemismus sollte den
Holocaust (die Schoah) nach außen tarnen, nach innen ideologisch rechtfertigen.
Zuvor und bis Sommer 1942 auch noch parallel bezeichnete der NS-Begriff die staatlich
organisierte Vertreibung und Deportation („Umsiedelung“, „Evakuierung“) der osteuropäischen
und deutschsprachigen Juden, die seit etwa 1880 von deutschen Antisemiten gefordert worden
war.
Seit Mai 1945 wird „Endlösung“ fast nur noch als Kürzel für den Holocaust in der Sprache des
Nationalsozialismus gebraucht; andere Bedeutungen spielen in der deutschen Alltagssprache
keine Rolle mehr. Viele Darstellungen des Holocaust zitieren den Ausdruck (englisch final solution,
französisch solution finale), im Deutschen meist in distanzierenden Anführungszeichen.
Genese des Begriffs „Judenfrage“
Als „jüdische Frage“ bezeichnete man seit etwa 1750 zunächst in Großbritannien (Jewish Question),
seit der Französischen Revolution 1789 auch in Frankreich (la question juive) umstrittene Schritte
zur Jüdischen Emanzipation und der damit verbundenen Probleme.
In Deutschland erschien 1843 Bruno Bauers Aufsatz „Die Judenfrage“. Seither beschäftigten
sich Hunderte von Traktaten, Pamphleten, Zeitungsartikeln und Büchern damit. Unter
den vorgeschlagenen „Lösungen“ dieses „Problems“ waren Assimilations-, Umsiedelungsund Ausweisungsvorschläge von Judengegnern ebenso wie Integrations-, Erziehungs- und
Tolerierungskonzepte von Liberalen oder Philosemiten.] In dieser Debatte war also noch nicht
entschieden, ob die „Judenfrage“ die Probleme der deutschen Juden mit ihren Gegnern beschrieb
oder umgekehrt deren Problem mit ihrem Dasein.
Etwa seit 1860 erhielt der Begriff zunehmend antisemitischen Sinn: Juden wurden unter diesem
Titel immer öfter als Hindernis für Identität und Zusammenhalt der Nation und als Fremde im
eigenen Land definiert. Antisemiten wie Wilhelm Marr, Karl Eugen Dühring, Theodor Fritsch,
Houston Stewart Chamberlain, Paul de Lagarde und andere erklärten die Judenfrage zum durch
Integration unlösbaren Rassenproblem, um ihre Forderungen nach „Entjudung“ der Presse, von
Bildung, Kultur, Staat und Wirtschaft, der Ächtung von „Mischehen“ usw. plausibel erscheinen zu
lassen und die Juden aus vermeintlich dominierender gesellschaftlicher Stellung zu verdrängen.
„Endlösung“
Frühe Antisemiten etablierten parallel zur allmählichen rechtlichen Gleichstellung der Juden eine
Sprache der Entmenschlichung im öffentlichen Diskurs, in der mittels biologistischer Metaphern
viel vom „Ausmerzen“, „Ausschalten“, „Beseitigen“, „Entfernen“, „Unschädlichmachen“, „Vertilgen“
oder sogar „Ausrotten“ der Juden – analog zum Umgang mit Krankheitserregern, Insekten oder
Parasiten – die Rede war. Als Mittel dazu wurden u. a. Einwanderungs- und Berufsverbote, die
Sterilisation zur Verhinderung von Nachwuchs, der Entzug aller Bürgerrechte und wirtschaftliche
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Unterdrückungsmaßnahmen erörtert und gefordert.
1881 verlangte Eugen Dühring in seinem populären Aufsatz Die Judenfrage als Rassen-, Sittenund Kulturfrage als einer der ersten Antisemiten eine „endgültige Lösung der Judenfrage“. Dazu
erwog er ihre „völkerrechtliche Internierung“ in einer für sie bestimmten Region, forderte ein
Ausnahmerecht, Vermögenskontrolle, die Deportation von jüdischen Kriminellen und letztlich
die „Ausscheidung des Judentums durch den modernen Völkergeist“, um der eigenen Zerstörung
vorzubeugen.
Der Zionismus reagierte auf den Antisemitismus mit Vorschlägen zur freiwilligen Auswanderung
der jüdischen Minderheiten in ein außereuropäisches Land, um ihr langfristiges Überleben zu
sichern. Theodor Herzl begann nach Lektüre Dührings 1881 sein Zionistisches Tagebuch (erstmals
veröffentlicht 1920). Sein programmatisches Buch Der Judenstaat von 1896 trug den Untertitel:
Der Versuch einer modernen Lösung der Judenfrage. Darin hieß es:
Ich halte die Judenfrage weder für eine soziale noch für eine religiöse, wenn sie sich noch so oder
anders färbt. Sie ist eine nationale Frage, und um sie zu lösen, müssen wir sie vor allem zu einer
politischen Weltfrage machen, die im Rate der Kulturvölker zu lösen sein wird.
Ludwig Buechner dagegen befürwortete in einem Brief am 2. September 1884 eine Assimilation
der Juden:
[…] dass die Juden selbst sehr viel zur endlichen Lösung der leidigen Judenfrage beitragen
könnten und würden, wenn sie ihre absonderlichen rituellen Einrichtungen […] aufgeben und sich
bestreben würden, durch Beförderung der Heiraten zwischen Juden und Christen eine allmählige
Amalgamierung herbeizuführen.
Der evangelische Theologe und Vorsitzende des Vereins „Freunde Israels“ Johann Friedrich Carl
Heman (1839–1919[] vertrat schon 1882 die Ansicht, dass „gründlich, endgültig und befriedigend
die Judenfrage von den Juden selbst gelöst werden muß“. Er befürwortete wie Herzl einen
„Judenstaat“ und veröffentlichte dazu 1897 das Buch Das Erwachen der jüdischen Nation: Der
Weg zur endgültigen Lösung der Judenfrage. Die meisten Juden zogen es jedoch vor, im Vertrauen
auf die allmähliche Durchsetzung des Liberalismus in den europäischen Zivilgesellschaften zu
bleiben und an ihrer Demokratisierung mitzuwirken.
Um 1890 radikalisierten und organisierten sich die Antisemiten zunehmend. Theodor Fritsch
forderte in seinem Antisemitencatechismus von 1887, den Antisemitismus in alle Parteien und
Organisationen zu tragen, um so im Reichstag mehrheitsfähig zu werden und den Ausschluss der
Juden per Gesetz zu erzwingen. In der zum Handbuch der Judenfrage umbenannten 28. Auflage
von 1910 hieß es:
Die letzte Lösung des Judenproblems kann nur in einer völligen Ausscheidung aller Juden aus
dem arischen Völkerleben gefunden werden. Ein Kompromiss ist unannehmbar.
Einen eigenen Staat der Juden in Palästina lehnte Fritsch ab. Der Zionismus treffe mit seiner
Propaganda zur „Rückkehr der armen verfolgten Juden in die alte Heimat“ Palästina nur „die
letzten Vorbereitungen zur Vollendung der jüdischen Weltherrschaft“.
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Das Programm der Deutschsozialen Reformpartei, die 1894 aus zwei Antisemitenparteien des
Kaiserreichs hervorgegangen war, baute auf der Rassenlehre von Houston Stewart Chamberlain
auf und sprach 1899 erstmals offen von der „Vernichtung“ der Juden, falls deren Ausschluss nicht
realisierbar sei:
Dank der Entwicklung unserer modernen Verkehrsmittel dürfte die Judenfrage im Laufe des
20. Jahrhunderts zur Weltfrage werden und als solche von den anderen Völkern gemeinsam
und endgültig durch völlige Absonderung und (wenn die Notwehr es gebietet) schließliche
Vernichtung des Judenvolkes gelöst werden.
Auch das Gründungsprogramm der Deutschvölkischen Partei 1914 proklamierte, die endgültige
„Lösung der Judenfrage“ werde zur „Weltfrage des 20. Jahrhunderts“ werden.
Diese Ziele etablierten sich bis zum Ende des Ersten Weltkriegs als Konsens der meisten
deutschen Antisemiten. Für dessen Ausbruch machten sie das fiktive Kollektiv „der Juden“
ebenso verantwortlich wie für die Kriegsniederlage und deren Folgen.
Bedeutungswandel im Nationalsozialismus
Ideologie ab 1919
Das 25-Punkte-Programm der NSDAP von 1920 schrieb den Entzug der vollen Bürgerrechte,
ein Berufsverbot für öffentliche Ämter und Presseleitung für die deutschen Juden, bei
Erwerbslosigkeit ihre Ausweisung sowie die Vertreibung eines Großteils zugewanderter Juden
fest. Damit übernahm es die Ziele der organisierten Antisemiten des Kaiserreichs. Die Methoden
zur Umsetzung der antijüdischen Programmpunkte legte die NSDAP bis 1933 nicht fest.
Adolf Hitler hatte bereits 1919 in einem als Gutachten zur Judenfrage bestellten Brief an einen
Parteifreund die „Entfernung des Juden überhaupt“ zu einem Ziel des Nationalsozialismus erklärt.
Dass „Entfernen“ für ihn das Ausrotten der Juden bedeutete, zeigte Hitler bereits in einer Rede
vom 6. April 1920:
„Wir wollen keine Gefühlsantisemiten sein, die Pogromstimmung erzeugen wollen, sondern es
beseelt uns die unerbittliche Entschlossenheit, das Übel an der Wurzel zu packen und mit Stumpf
und Stiel auszurotten. Um unser Ziel zu erreichen, muss uns jedes Mittel recht sein, selbst wenn
wir uns mit dem Teufel verbinden müßten.“
Am 3. Juli 1920 schrieb Hitler in einem Brief an Hierl:
„Sowenig ich einer Tuberkelbazille einen Vorwurf machen kann einer Tätigkeit
wegen, die für den Menschen Zerstörung bedeutet, für sie aber Leben heißt, so
sehr bin ich aber auch gezwungen und berechtigt, um meiner persönlichen Existenz
willen den Kampf gegen die Tuberkulose zu führen durch Vernichtung ihrer Erreger.
Der Jude aber wird und wurde durch Jahrtausende hindurch in seinem Wirken zur
Rassetuberkulose der Völker. Ihn bekämpfen heißt ihn entfernen.“
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1922 zeichnete der Journalist Josef Hell ein Gespräch mit Hitler auf, in dem dieser sich wie folgt
geäußert haben soll:
„Wenn ich einmal wirklich an der Macht bin, dann wird die Vernichtung der Juden
meine erste und wichtigste Aufgabe sein. Sobald ich die Macht dazu habe, werde
ich zum Beispiel in München auf dem Marienplatz Galgen neben Galgen aufstellen
lassen und zwar so viele, als es der Verkehr zuläßt. Dann werden die Juden gehängt,
einer wie der andere, und sie bleiben solange hängen, bis sie stinken. So lange
bleiben sie hängen, wie es nach den Gesetzen der Hygiene überhaupt möglich ist.
Sobald man sie abgeknüpft hat, kommen die nächsten daran und das geschieht so
lange, bis der letzte Jude in München ausgetilgt ist. Genauso wird in den anderen
Städten verfahren, bis Deutschland vom letzten Juden gereinigt ist.“
1924 in „Mein Kampf“ entfaltete Hitler die rassistische Begründung dafür und griff dabei auch
einen Gedanken Dührings auf:
„Ohne klare Erkenntnis des Rasseproblems, und damit der Judenfrage, wird ein
Wiederaufstieg der deutschen Nation nicht mehr gelingen.“
Diese Ideen wurden in der NSDAP Gemeingut. Am 3. April 1925 sagte Julius Streicher nach
Neugründung der zuvor verbotenen Partei anstelle des Hauptredners Hitler, der damals in Bayern
Redeverbot hatte:
„Seit Jahrtausenden vernichtet der Jude die Völker. Macht heute den Anfang, daß
wir den Juden vernichten können!“
Diese „Lösung der Judenfrage“ war und blieb ein wichtiges Element der NS-Propaganda in der
Weimarer Zeit, auch wenn ihr Antisemitismus während der Weltwirtschaftskrise ab 1929 etwas
zurücktrat.
Judenverfolgung 1933–1939
Nach dem Herrschaftsantritt der NSDAP im Januar 1933 begann die Verfolgung der deutschen
Juden mit dem Nahziel, möglichst viele von ihnen zur Auswanderung aus Deutschland zu nötigen,
ökonomisch zu schwächen und gesellschaftlich auszugrenzen: zunächst durch Terror der SA, ab
1934 auch der Schutzstaffel (SS), dann auch durch Staatsmaßnahmen wie den „Judenboykott“,
das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ im April 1933 und die „Nürnberger
Gesetze“ von 1935.
Mit dem „Anschluss“ Österreichs im März 1938 verschärfte das NS-Regime seine antijüdischen
Maßnahmen. Diese zielten nun auf die reichsweite Enteignung („Arisierung“), die vor allem
Hermann Göring als neuer Wirtschaftsminister forcierte. Nach einer Terrorwelle österreichischer
Nationalsozialisten ließ Reinhard Heydrich seinen „Judenreferenten“ Adolf Eichmann eine
„Zentralstelle für jüdische Auswanderung in Wien“ einrichten.
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Parallel zur Kriegsvorbereitung dachten NS-Regimevertreter an die Geiselnahme, Inhaftierung
und Ermordung deutscher und österreichischer Juden. So schrieb das SS-Organ „Das Schwarze
Korps“ am 3. November 1938:
„Erklären uns die Juden […] den Krieg – und das haben sie bereits getan –, so haben
wir die bei uns befindlichen Juden genauso zu behandeln, wie man Angehörige
einer kriegführenden Macht zu behandeln pflegt.“
Denn deutsche Juden seien Teil des Weltjudentums, das für alle etwaigen deutschen Kriegsschäden
haften müsse.
Nach den Novemberpogromen 1938 drohte Göring am 12. November 1938:
„Wenn das Deutsche Reich in irgendeiner absehbaren Zeit in außenpolitische
Konflikte kommt, so ist es selbstverständlich, daß wir in Deutschland in allererster
Linie daran denken werden, eine große Abrechnung an den Juden zu vollziehen.“
Am 24. November 1938 stand im Schwarzen Korps unter der Überschrift Juden, was nun? zu
lesen:
„Das Programm ist klar. Es lautet: völlige Ausscheidung, restlose Trennung! […] Das
in jeder Beziehung auf sich beschränkte Parasitenvolk wird aber in dieser Isolierung,
da es zu eigener Arbeit weder willens noch fähig ist, verarmen! […] Das deutsche Volk
hat nicht die geringste Lust, in seinem Bereich Hunderttausende von Verbrechern
zu dulden, die durch Verbrechen nicht nur ihr Dasein sichern, sondern auch noch
Rache üben wollen! […] Im Stadium einer solchen Entwicklung ständen wir daher
vor der harten Notwendigkeit, die jüdische Unterwelt genau so auszurotten, wie
wir in unserem Ordnungsstaat Verbrecher eben auszurotten pflegen: mit Feuer und
Schwert. Das Ergebnis wäre das tatsächliche und endgültige Ende des Judentums in
Deutschland, seine restlose Vernichtung.“
Mit entsprechenden antijüdischen Gesetzen und Verordnungen, darunter der
„Judenbuße“, mussten die Opfer der Novemberpogrome die Aufrüstung der Täter
finanzieren. Ihre staatlich erzwungene Verarmung erschwerte die Auswanderung
der Juden erheblich. Im Gegenzug ließ Göring am 24. Januar 1939 in Berlin die
Reichszentrale für jüdische Auswanderung mit dem Ziel gründen, „die Auswanderung
der Juden aus Deutschland […] mit allen Mitteln zu fördern“.
Am 30. Januar 1939 kündigte Hitler erstmals im Reichstag die Judenvernichtung an. Hintergrund
seiner Rede war die geringe Aufnahmebereitschaft demokratischer Länder für in Deutschland
verfolgte Juden, die sich bei der Konferenz von Evian im Juli 1938 gezeigt hatte, sowie USamerikanische und britische Reaktionen auf die Novemberpogrome und den Bruch des Münchner
Abkommens, die Hitler auf den Einfluss der Juden in diesen Ländern zurückführte. Er sagte
dazu:
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„Diese Versuche können vor allem Deutschland nicht im geringsten in der Erledigung seiner
Judenfrage beeinflussen. […] Denn Europa kann nicht mehr zur Ruhe kommen, bevor nicht die
jüdische Frage ausgeräumt ist.“
Dann ging er zur offenen Drohung über:
„Wenn es dem internationalen Finanzjudentum in und außerhalb Europas gelingen
sollte, die Völker noch einmal in einen Weltkrieg zu stürzen, dann wird das Ergebnis
nicht die Bolschewisierung der Erde und damit der Sieg des Judentums sein, sondern
die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa.“
Eine Woche zuvor hatte Hitler dem tschechischen Außenminister František
Chvalkovský gesagt, die Juden würden „vernichtet“ werden, falls man sie nicht an
einen fernen Ort bringen könne. Wenn die angelsächsischen Länder dabei nicht
kooperierten, hätten sie ihren Tod auf dem Gewissen. Saul Friedländer zufolge
bedeutete „Vernichtung“ hier noch keinen systematischen Ausrottungsplan, sondern
ein einkalkuliertes Massensterben als Folge großangelegter Deportationen. Hitler
habe die deutschen Juden als Faustpfand gegen das Ausland benutzt. Zugleich
habe er seinen Anhängern schärfere antijüdische Maßnahmen im Kriegsfall in
Aussicht gestellt und damit eine aktive Judenvernichtung nahegelegt. Dies markiere
seine damalige „Suche nach radikalen Lösungen, mit einem Abtasten extremer
Möglichkeiten“.
Abschiebepläne 1939–1941
Der Überfall auf Polen brachte innerhalb weniger Tage auch 2,5 Millionen polnische Juden
in den deutschen Machtbereich und erschwerte aus deutscher Regierungssicht zeitweise die
Vertreibung deutscher und österreichischer Juden aus dem Altreich. Daraufhin wurden bis
Ende 1939 etwa 200.000 Juden aus den besetzten Gebieten Osteuropas in das neugeschaffene
ostpolnische Generalgouvernement deportiert oder vertrieben, um in Westpolen Volksdeutsche
anzusiedeln. Zugleich wurden bis Ende 1939 etwa 90.000 Juden über die Grenze zum sowjetisch
besetzten Ostpolen getrieben.
Seitdem entwickelte Heydrich Ideen, die Juden aus dem „Altreich“ in ein „Judenreservat“ oder
„Reichsghetto“ um Lublin zu deportieren. Dazu organisierte Eichmann zwischen dem 18. und
26. Oktober 1939 sechs „Versuchstransporte“ von insgesamt etwa 5.000 österreichischen und
tschechischen Juden nach Nisko, wo sie in ein selbstgebautes Lager gesperrt und dann sich
selbst überlassen wurden. Diese Aktionen wurden aber nach Protesten polnischer Zivilisten
und deutscher Wehrmachtsoffiziere ab Oktober reduziert und am 14. April 1940 gestoppt.
Zwangsdeportationen deutscher Juden wurden vorläufig zurückgestellt, da für sie in Ostpolen
nicht genügend Platz vorhanden war.
Deportationen, die Einrichtung von Ghettos vor allem im besetzten Polen und die Haftbedingungen
in den Arbeitslagern (KZ) nahmen bereits zahlreiche Todesopfer unter den Betroffenen in Kauf.
Zudem ermordeten eigens dazu aufgestellte Einsatzgruppen von September bis Dezember
1939 etwa 60.000 Angehörige der polnischen Führungsschicht, darunter etwa 7.000 Juden,
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um polnischen Widerstand gegen die deutsche Besetzung zu unterbinden. Dies zeigte den
Vernichtungswillen der Nationalsozialisten in den eroberten Gebieten.
Ab Frühjahr 1940 favorisierte das NS-Regime den schon im November 1938 angedachten
Madagaskarplan. Dieser sah eine Zwangsaussiedelung von bis zu 5,8 Millionen überwiegend
osteuropäischen Juden in die damalige französische Kolonie Madagaskar vor. Heinrich Himmler
arbeitete den Plan im Mai aus. Heydrich schrieb dazu an Joachim von Ribbentrop am 24. Juni
1940:
„Das Gesamtproblem – es handelt sich bereits um rund 3 1/4 Millionen Juden
in den heute deutscher Hoheitsgewalt unterstehenden Gebieten – kann durch
Auswanderung nicht mehr gelöst werden; eine territoriale Endlösung wird daher
notwendig.“
Hitler beriet diese Idee mit Mussolini im Juni. Nachdem die deutsche Luftwaffe die Luftschlacht
um England im September verloren hatte, wurde der Plan illusorisch, blieb aber bis Februar 1941
in NS-Äußerungen präsent. Dann traten Pläne einer Massenabschiebung in entferntere Gebiete
Osteuropas, etwa in die Prypjat-Sümpfe Weißrusslands oder die Eismeer-Lager Sibiriens, an seine
Stelle. Dieter Pohl fasst zusammen:
„Seit Kriegsbeginn zielten alle diese Planungen auf einen schleichenden Völkermord,
da sie eine massive Verschlechterung der Lebensbedingungen, die Verhinderung
der Fortpflanzung sowie große Zwangsarbeitsprojekte zum Inhalt hatten.“
Vom Vertreibungs- zum Vernichtungsziel
Ab September 1940 häuften sich im Schriftverkehr von NS-Behörden die Hinweise auf eine
Verschärfung der bisherigen „Lösungsmodelle“. Ein Entwurf Eichmanns vom 4. Dezember 1940
unter dem Titel „Die Judenfrage“ beschrieb ein zweistufiges Vorgehen: Einer „Anfangslösung“,
der Vertreibung der Juden durch Polizei und Sicherheitsdienste (SD, SS), sollte eine „Endlösung“
folgen: die „Umsiedelung der Juden aus dem europäischen Wirtschaftsraum des deutschen
Volkes in ein noch zu bestimmendes Territorium“.
Am 21. Januar 1941 schrieb Eichmanns Mitarbeiter Theodor Dannecker in einer „Denkschrift“ an
alle Dienststellen des Reichssicherheitshauptamts (RSHA):
„Gemäß dem Willen des Führers soll nach dem Kriege die Judenfrage innerhalb des
von Deutschland beherrschten oder kontrollierten Teiles Europas einer endgültigen
Lösung zugeführt werden.“
Heydrich habe bereits von Hitler einen „Auftrag zur Vorlage eines Endlösungsprojektes
erhalten“, den er aufgrund der „umfangreichen Erfahrungen in der Judenbehandlung
und dank der seit längerer Zeit geleisteten Vorarbeiten […] in wesentlichen Zügen
ausgearbeitet“ und dem Führer und dem Reichsmarschall (Göring) vorgelegt habe.
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Der Erfolg dieser „Riesenarbeit“ hänge von weiteren sorgfältigen Vorarbeiten zu
einer „Gesamtabschiebung der Juden“ und „Ansiedlungsaktion in einem noch zu
bestimmenden Territorium“ ab.
Welches Gebiet gemeint war, ist unter Historikern umstritten: Wolfgang Benz sieht hier bereits
eine Tarnfloskel für Ermordung,[37] während Christopher Browning im Anschluss an Götz Aly die
Sowjetunion annimmt, die zu überfallen man in diesen Wochen geheim plante.
Ebenfalls im Januar 1941 schrieb Sturmbannführer Paul Zapp in ein Redemanuskript für Heinrich
Himmler:
„An die restlose Bereinigung der Judenfrage kann erst gedacht werden, wenn es
gelingt, das Weltjudentum entscheidend zu treffen. Die politische und diplomatische
Führung Adolf Hitlers hat die Grundlagen für die europäische Lösung der Judenfrage
geschaffen. Von hier aus wird der Hebel zur Lösung der Weltjudenfrage angesetzt
werden müssen.“
Hier deutete sich an, dass die Deportationspläne des NS-Regimes ihrerseits auf eine globale
„Endlösung“ zielten, die der damals geplante Eroberungskrieg einleiten und ermöglichen sollte.
Da die Nationalsozialisten selbst die Weltherrschaft anstrebten, die sie ihren jüdischen Opfern
unterstellten, genügte ihnen die Vertreibung der europäischen Juden nicht, sondern galt ihnen
nur als Vorstufe zur völligen Vernichtung des „Weltjudentums“.
Der Krieg gegen die Sowjetunion 1941–1945 sollte nicht nur „Lebensraum im Osten“ erobern,
sondern auch den „jüdischen Bolschewismus“ vernichten. Dieses Ziel hatte Hitler schon 1925 in
Mein Kampf anvisiert. Es war Teil des von ihm propagierten „Abwehrkampfs der arischen Rasse
gegen das Weltjudentum“, der in seinem Denken nicht mit der Vertreibung der Juden, sondern
letztlich nur ihrer Vernichtung zu gewinnen war.
Ab März 1941 wurde der Russlandkrieg als Vernichtungskrieg operativ vorbereitet. Zugleich
dachten die Nationalsozialisten immer mehr an eine organisierte Massenvernichtung der Juden
und suchten nach geeigneten Methoden dazu. Anfang März 1941 ordnete Hitler die gezielte
Partisanenbekämpfung an. Am 12. März 1941 schrieb Eichmann an seine Mitarbeiter bereits
routinemäßig über die „zweifellos kommende Endlösung der Judenfrage“ und begründete damit
ein Auswanderungsverbot für Juden aus allen besetzten Gebieten: Deutschland solle als erstes
Land Europas „judenrein“ werden.
Für die gleiche Zeit der Vorbereitungen des Rußlandfeldzuges im Frühjahr 1941 bezeugt Himmlers
Leibarzt Felix Kersten eine Aussage Himmlers, wonach „die Juden bis Kriegsende bis auf den
letzten Menschen ausgerottet werden [müssen]. Das ist der eindeutige Wunsch und Befehl des
Führers.
Im Mai ließ Heydrich sechs mobile Einsatzgruppen mit etwa 3.000 Mitgliedern aufstellen
und für ihre besondere Mordaufgabe im Gefolge der Eroberungen ausbilden. In einem seiner
Rundschreiben an alle Polizeileitstellen verlangte er:
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„Eine Einwanderung von Juden in die von uns besetzten Gebiete ist im Hinblick auf
die zweifellos kommende Endlösung der Judenfrage zu verhindern.“
Dies verbot den Behörden, ausreisewilligen deutschen und polnischen Juden entsprechende
Papiere auszustellen und wird daher als Abkehr vom Ziel ihrer Vertreibung zugunsten ihrer
künftigen Vernichtung gedeutet.
Mit dem Kommissarbefehl vom 6. Juni 1941 unterstützten hochrangige Generäle der Wehrmacht
die geplanten Kriegsverbrechen.[44] Der Generalplan Ost vom 24. Juni 1941 sah vor, bis zu 30
Millionen Menschen zu deportieren, verhungern zu lassen oder zu erschießen.
Massenerschießungen sowjetischer Juden
Mit Kriegsbeginn am 22. Juni 1941 eskalierte die staatliche Judenverfolgung. Ab dem 24. Juni
1941 begannen die Einsatzgruppen mit systematischen Massenerschießungen von jüdischen
Männern auf sowjetischem Gebiet.
In den überfüllten polnischen Ghettos, die Hitler als „Durchgangslager“ für die endgültige
Abschiebung ihrer Bewohner ansah, starben bereits Zehntausende an Hunger und Seuchen. Damit
wuchs die Bereitschaft, die „Endlösung“ früher, schneller und mörderischer durchzuführen. So
schrieb der für Posen verantwortliche SS-Sturmbannführer Rolf Heinz Höppner am 16. Juli 1941
an Eichmann:
„Es besteht in diesem Winter die Gefahr, daß die Juden nicht mehr sämtlich ernährt
werden können. […] Es ist ernsthaft zu erwägen, ob es nicht die humanste Lösung
ist, die Juden, soweit sie nicht arbeitsfähig sind, durch irgendein schnell wirkendes
Mittel zu erledigen.“
In Erwartung des baldigen Sieges über die Sowjetunion erhielt Himmler am 17. Juli 1941 Hitlers
Auftrag zur „polizeiliche[n] Sicherung der neu besetzten Ostgebiete“. Daraufhin verdoppelte er in
wenigen Tagen die Mitgliederzahl der Einsatzgruppen und hielt sie an, ihre „historische Mission“
schneller zu erfüllen. Am 1. August wies Gestapochef Heinrich Müller die Einsatzgruppenleiter
an, der Reichskanzlei regelmäßig über ihre Mordergebnisse zu berichten. Ab dem 15. August
wurden auch jüdische Frauen und Kinder wahllos ermordet.
Am 29. Juli 1941 traf der Lagerkommandant von Auschwitz, Rudolf Höß, in Berlin mit seinem
Vorgesetzten Himmler zusammen, der ihm Monate zuvor den Lagerausbau befohlen hatte. Nach
1945 schrieb Höß, er habe bei diesem Treffen den Befehl zur „Massen-Vernichtung der Juden“
erhalten.
Anfang August 1941 antwortete Hans-Adolf Prützmann, Höherer SS- und Polizeiführer im
Reichskommissariat Ostland, einem Untergebenen auf dessen Frage, wohin die baltischen Juden
ausgesiedelt würden:
„Nicht so, wie Sie meinen – die sollen ins Jenseits befördert werden.“
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Zentraler Planungsauftrag
Am 31. Juli 1941 schrieb Göring, den Hitler 1938 mit der „Gesamtlösung der Judenfrage“
beauftragt hatte, an Heydrich:
„In Ergänzung der Ihnen bereits mit Erlaß vom 24. Januar 1939 übertragenen
Aufgabe, die Judenfrage in Form der Auswanderung oder Evakuierung einer
den Zeitverhältnissen entsprechend möglichst günstigen Lösung zuzuführen,
beauftrage ich Sie hiermit, alle erforderlichen Vorbereitungen in organisatorischer,
sachlicher und materieller Hinsicht zu treffen für eine Gesamtlösung der Judenfrage
im deutschen Einflußgebiet in Europa. […] Ich beauftrage Sie weiter, mir in Bälde
einen Gesamtentwurf über die organisatorischen, sachlichen und materiellen
Vorausmaßnahmen zur Durchführung der angestrebten Endlösung der Judenfrage
vorzulegen.“
Dem folgte zwischen September und Dezember 1941 – der genaue Zeitpunkt ist umstritten
– die Entscheidung, noch während des Krieges alle europäischen Juden zu ermorden, derer
das NS-Regime habhaft werden konnte. Nun bezeichnete der Begriff Endlösung auch in der
Behördensprache faktisch die Durchführung dieser Zielvorgabe, die nach außen weiter als
vollständige „Umsiedlung“ in entfernte Ostgebiete getarnt wurde.
Beginn der Deportationen und Vergasungen
Anfang August geriet die deutsche Offensive erstmals, ab Mitte September erneut, ins Stocken;
der erwartete „Blitzsieg“ wurde illusorisch. Bis zum 13. September 1941 verbot Hitler die
Abschiebung der deutschen, west- und südeuropäischen Juden, um sie nach dem erwarteten
schnellen Sieg im Russlandfeldzug direkt in den fernen Osten deportieren zu lassen. Doch am 17.
September ließ er Himmler wissen, das Reich und das Protektorat Böhmen und Mähren müssten
„möglichst bald“ von Juden „geleert und befreit“ werden.
Der Gesinnungswandel hing auch mit dem seit der Atlantikcharta vom 14. August und U-BootAngriffen vom 11. September absehbaren Kriegseintritt der USA zusammen. Auch ein Rachemotiv
ist denkbar: Hitler erfuhr um den 10. September herum, dass Stalin 400.000 Wolgadeutsche nach
Sibirien transportieren lassen wolle. Die Briten flogen am 16. September einen Bombenangriff auf
Hamburg, der viele Hamburger obdachlos machte. Nun gab Hitler dem Drängen des Gauleiters
Kaufmann nach, für sie jüdische Wohnungen zu räumen. Himmler ließ daraufhin zunächst
60.000 deutsche Juden in das restlos überfüllte Ghetto Litzmannstadt deportieren und lieferte
damit einen Großteil von ihnen dem sicheren Hungertod aus. Fortan wurden größere Gruppen
deutscher Juden in polnische Sammellager deportiert. Deren vorige Bewohner wurden zuvor oft
massenhaft ermordet, um Platz für die Neuankömmlinge zu schaffen.
Am 5./6. September 1941 – nach anderen Historikern im Dezember – wurden im KZ Auschwitz I
erstmals probeweise 900 Kriegsgefangene mit Zyklon B vergast. Mitte Oktober begann der Bau
des ersten Vernichtungslagers Belzec. Im November erhielten vier der sechs Einsatzgruppen
Gaswagen. Ab 8. Dezember folgten erste Vergasungen im Vernichtungslager Chelmno. Bis zum
März 1942 waren laut Täterberichten und Schätzungen knapp 600.000 Juden ermordet worden.
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Ausweitung auf alle europäischen Juden
Am 8. Dezember 1941, einen Tag nach Japans Angriff auf Pearl Harbor, traten die USA in den
Zweiten Weltkrieg ein; am 11. Dezember erklärte Hitler ihnen den Krieg. Am 12. Dezember hielt
er eine Rede an die Gau- und Reichsleiter der NSDAP, über die Goebbels am 13. Dezember in sein
Tagebuch notierte:
„Bezüglich der Judenfrage ist der Führer entschlossen, reinen Tisch zu machen. Er hat den Juden
prophezeit, daß, wenn sie noch einmal einen Weltkrieg herbeiführen würden, sie dabei ihre
Vernichtung erleben würden. Das ist keine Phrase gewesen. Der Weltkrieg ist da, die Vernichtung
des Judentums muß die notwendige Folge sein. […] Wenn das deutsche Volk jetzt wieder im
Ostfeldzug an die 160 000 Tote geopfert hat, so werden die Urheber dieses blutigen Konflikts
dafür mit ihrem Leben bezahlen müssen.“
Nun wurde die laufende Massenvernichtung der sowjetischen Juden auf alle Juden Europas
ausgedehnt und mit neuen Mordmethoden forciert. Dies zeigt eine Rede Hans Franks, des
Generalgouverneurs in Polen, vom 16. Dezember 1941:
„Mit den Juden – das will ich Ihnen auch ganz offen sagen – muß so oder so Schluß
gemacht werden. […] Wir müssen die Juden vernichten, wo immer wir sie treffen
und wo es irgend möglich ist, um das Gesamtgefüge des Reiches hier aufrecht zu
erhalten. […] Diese 3,5 Millionen Juden können wir nicht erschiessen, wir können
sie nicht vergiften, werden aber doch Eingriffe vornehmen müssen, die irgendwie zu
einem Vernichtungserfolg führen, und zwar im Zusammenhang mit den vom Reich
her zu besprechenden großen Maßnahmen. Das Generalgouvernement muß genau
judenfrei werden, wie es das Reich ist.“
Auf der angekündigten Wannseekonferenz am 20. Januar 1942 stellte Heydrich den eingeladenen
NS-Behördenvertretern seinen „Gesamtentwurf“ vor, um sie in die Planung der laufenden
„Endlösung“ einzuweihen, daran zu beteiligen und ihre Maßnahmen dazu unter seiner Leitung
zu koordinieren. Nach dem Konferenzprotokoll waren 11 Millionen Juden aus ganz Europa und
Nordafrika, auch aus von Deutschland nicht eroberten Ländern, zur Deportation vorgesehen. Es
beginnt mit den Worten:
„I. An der am 20.1.1942 in Berlin, Am Großen Wannsee Nr. 56/58, stattgefundenen
Besprechung über die Endlösung der Judenfrage nahmen teil: […]“
Damit war der Begriff bei allen am Holocaust beteiligten Dienststellen etabliert. Dass diese
darunter die Ermordung möglichst aller Juden verstanden, bestätigte Eichmann am 24. Juli 1962
in seinem Jerusalemer Prozess:
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„Es wurde von Töten und Eliminieren und Vernichten gesprochen.“
In dieser Vernehmung berichtete Eichmann auch, Heydrich habe ihm sechs bis acht Wochen
nach Beginn des Russlandkrieges mitgeteilt:
„Der Führer hat die physische Vernichtung der Juden befohlen.“
Hitler habe Odilo Globocnik bereits entsprechende Anweisungen erteilt, deren Ausführung
Eichmann überprüfen sollte. Dieses Ziel kannten oder ahnten neben den Planern, Organisatoren
und Ausführenden auch viele gewöhnliche Deutsche, die die öffentlichen Deportationen
erlebten und Hitlers Rundfunkreden hörten. Dieser kam im Kriegsverlauf immer wieder auf seine
Ankündigung vom 30. Januar 1939 zurück und ließ keinen Zweifel an ihrem Vollzug.
Systematische Vergasung
Goebbels notierte am 27. März 1942 darüber in sein Tagebuch:
„Es wird hier ein ziemlich barbarisches und nicht näher zu beschreibendes Verfahren
angewandt, und von den Juden selbst bleibt nicht mehr viel übrig. Im großen
kann man wohl feststellen, dass 60 % davon liquidiert werden müssen […] An den
Juden wird ein Strafgericht vollzogen, das zwar barbarisch ist, das sie aber vollauf
verdient haben […] Man darf in diesen Dingen keine Sentimentalität obwalten
lassen […] Es ist ein Kampf auf Leben und Tod zwischen der arischen Rasse und
dem jüdischen Bazillus. Keine andere Regierung und kein anderes Regime konnte
die Kraft aufbringen, diese Frage generell zu lösen. Auch hier ist der Führer der
unentwegte Vorkämpfer und Wortführer einer radikalen Lösung […].“
Am 19. April 1942 ordnete Himmler „die Umsiedlung der gesamten jüdischen Bevölkerung des
Generalgouvernements bis zum 31. Dez. 1942“ an. Fortan rollten die Todeszüge aus dem ganzen
Reich und den übrigen eroberten Gebieten in die nunmehr fertiggestellten Vernichtungslager,
wo die Ankömmlinge selektiert und ein Großteil sofort, der Rest später vergast wurde.
Himmler sprach in seinen Posener Reden vom 4. und 6. Oktober 1943 erstmals unverschleiert
auch über seine Aufgabe, die „Judenfrage zu lösen“:
„Ich meine jetzt die Judenevakuierung, die Ausrottung des jüdischen Volkes.“
In einer Rede am 24. Mai 1944 vor höheren SS- und Polizeiführern erklärte er rückblickend:
„Eine andere Frage, die maßgeblich für die innere Sicherheit des Reiches und Europas
war, ist die Judenfrage gewesen. Sie wurde nach Befehl und verstandesmäßiger
Erkenntnis kompromisslos gelöst.“
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Er betonte auf Schulungskursen für die Holocausttäter immer wieder Hitlers Befehl
dazu und die Schwere dieses Auftrags, so am 21. Juni 1944:
„Es war die furchtbarste Aufgabe und der furchtbarste Auftrag, den eine Organisation
bekommen konnte: der Auftrag, die Judenfrage zu lösen.“
Demgegenüber hielt der Geheimbericht von Himmlers Inspekteur für Statistik, Richard Korherr,
unter dem Titel Die Endlösung der europäischen Judenfrage noch 1943 die übliche Tarnsprache
aufrecht, ließ zugleich aber keinen Zweifel an Absicht und Ausmaß der Judenvernichtung:
„Von 1937 bis Anfang 1943 dürfte die Zahl der Juden in Europa teils durch
Auswanderung, teils durch den Sterbeüberschuß der Juden in Mittel- und
Westeuropa, teils durch die Evakuierungen vor allem in den völkisch stärkeren
Ostgebieten, die hier als Abgang gerechnet werden, um schätzungsweise 4 Millionen
zurückgegangen sein. […] Insgesamt dürfte das europäische Judentum seit 1933,
also im ersten Jahrzehnt der nationalsozialistischen deutschen Machtentfaltung,
bald die Hälfte seines Bestandes verloren haben.“
Hitlers politisches Testament
Hitler versuchte kurz vor seinem Suizid am 30. April 1945 in seinem politischen Testament seinen
Anteil am Holocaust vor der Nachwelt zu rechtfertigen:
„Ich habe aber auch keinen Zweifel darüber gelassen, dass, wenn die Völker Europas
wieder nur als Aktienpakete dieser internationalen Geld- und Finanzverschwörer
angesehen werden, dann auch jenes Volk mit zur Verantwortung gezogen werden
wird, das der eigentlich Schuldige an diesem mörderischen Ringen ist: Das Judentum!
Ich habe weiter keinen darüber im Unklaren gelassen, dass dieses Mal nicht nur
Millionen Kinder von Europäern der arischen Völker verhungern werden, nicht nur
Millionen erwachsener Männer den Tod erleiden und nicht nur Hunderttausende
an Frauen und Kindern in den Städten verbrannt und zu Tode bombardiert werden
dürften, ohne dass der eigentlich Schuldige, wenn auch durch humanere Mittel,
seine Schuld zu büssen hat.“
Historischer Diskurs
Die „Endlösung“ steht seit dem Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher von
1945 im Zentrum der historischen Erforschung der NS-Zeit. Seit wann der Ausdruck den
beabsichtigten vollständigen Judenmord bezeichnete, wann genau die Entscheidung dazu fiel,
welche Faktoren dafür maßgebend waren, wie die verschiedenen Instanzen der NS-Herrschaft
dabei zusammenwirkten und welche Holocaustkenntnis von Zeitzeugen es gab, sind einige der
wichtigsten Forschungsfragen zu diesem Thema.
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