«Die ganzheitliche Inszenieru wird an Bedeutung gewinnen Globalisierung und Digitalisierung – so lauten die grossen Herausforderungen im heutigen Marketing. Ein Gespräch mit Thomas Ramseier, Inhaber und CEO von Brandpulse, über die Rolle von Branding-Agenturen in der modernen Markenführung. aumeisterhaus» steht in grossen Lettern auf der Fassade des architektonisch durchgestylten Hauses an der Sempacherstrasse 15 in Zürich – Residenz von Brandpulse, einer der führenden Branding-Agenturen der Schweiz. «Baumeisterhaus» heisst das Gebäude, weil nebst Brandpulse auch der Baumeister-Verband hier seinen Sitz hat. B Thomas Ramseier: «Zukünftig wird die Bedeutung von ästhetischen Markenkonzepten auch in Massenmärkten zunehmen.» WW: Die Vokabel «Baumeisterhaus» führt beim Betreten des Hauses spontan zu der Metapher «Baumeister», sodann zu der Frage, ob Branding-Agenturen die «Baumeister der Marke» sind. Herr Ramseier, zum Einstieg ins Thema – was macht gutes Branding überhaupt aus, kurz gesagt? Thomas Ramseier: Branding spielt in der modernen Markenführung eine immer wichtigere Rolle. Denn Branding hilft – unter Berücksichtigung der Kundenbedürfnisse – eine Marke ganzheitlich strategisch und formal im Konkurrenzumfeld zu differenzieren. Die Herausforderung einer Marke besteht heute darin, sich bei ähnlicher Leistungsqualität und bei sinkenden Margen in einem Marktumfeld mit steigendem Konkurrenzdruck erfolgreich zu behaupten. Und so steht denn auch in unserer Agenturbroschüre klar und unmissverständlich: «Undifferenzierte Marktbearbeitung und schwammige Kommunikation sind die Ursache für die Austauschbarkeit von Marken. Und: ‹Me-tooKonzepte› sind die Killer alleinstellender Markenwerte.» Foto: zVg Der Schweizer Dichter Gottfried Keller schrieb eine Novelle mit dem Titel «Kleider machen Leute». Sie handelt von einem Schneidergesellen, der sich trotz Armut sehr gut kleidet und hochstapelt. Wie steht es damit bei Marken – ist gut verpackt (gekleidet) auch gut verkauft? Ist Branding so einfach wie die Beschaffung von massgeschneiderten Klamotten? In der identitätsorientierten Markenführung geht es meines Erachtens nicht um die Frage, ob die Marke gut gekleidet ist. Es geht vielmehr um die Frage: Ist die Marke richtig gekleidet – anlassbezogen: Smoking, Anzug, Jeans? Marken stehen für Werte mit dem Ziel, für gewisse Zielgruppen attraktiv zu sein. Für manche ist die Jeans attraktiver als der Smoking. Genau darum geht es. Gutes Branding ist vergleichbar mit massgeschneiderter Bekleidung. Es geht beim Branding darum, für die Marke einen individuellen, einzigartigen Auftritt zu schaffen. Etwas von der Stange ist austauschbar. In einem Punkt unterscheidet sich erfolgreiches Branding jedoch von der Massschneiderei: Wir dürfen uns im Herstellungsprozess nicht nur auf die Marke, ihre Statur und Körperform konzentrieren. Es geht um relevante Unterscheidung. Deshalb müssen wir auch die Statur und Körperform der Konkurrenten kennen, um uns klar von diesen abgrenzen zu können. Und wir müssen die Bedürfnisse der Kunden kennen, um Relevanz zu erzielen. Eine Marke ist wie eine Persönlichkeit, heisst es in den Lehrbüchern. Marken benötigen mehr denn je einen Markenkern, eine Identität, eine Seele. Damit sich Marken durchsetzen, müssen sie aber als Erstes einige fundamentale Voraussetzungen erfüllen: gleichbleibende hohe Qualität und garantierte Menge. Das ist eine alte Binsenwahrheit. Was aber gilt es sonst noch zu beachten? Das heutige Markenverständnis geht viel weiter: Marken sind unverwechselbare Vorstellungsbilder, welche im Kopf des Kunden verankert werden müssen. Wir leben in einem Zeitalter der Angebotsexplosion. Immer mehr Angebote bei gleichbleibender Nachfrage. Starke Marken schaffen es, dem potenziellen Kunden eine Argumentation zu liefern, weshalb er eine bestimmte Marke und nicht das Konkurrenzprodukt kaufen soll. Diese Argumentation basiert hauptsächlich auf einer differenzierenden Markenidee und einer differenzierten Markenerscheinung. Rein wertebasierte Konzepte sind meiner Meinung nach passé. Differenzierung schaffe ich nur über ein klares, für die Kunden relevantes Markenversprechen und einen einzigartigen, attraktiven Markenauftritt – die reine Auflistung von Werten, welche Interpretationsspielraum zulassen, reicht aus meiner Sicht heute nicht mehr aus. MARKETING & KOMMUNIKATION werbewoche 10 | 06.06.2014 ung des Markenversprechens n» Wir leben in einer Welt des Überlusses und der Me-too-Produkte. Macht das die Dienstleistung Ihrer Agentur noch bedeutsamer? Früher kreierten Markenartikler ihre Marken in Eigenregie. Der Herr Maggi beispielsweise. Und Henri Nestlé und so viele andere … Branding-Agenturen haben die Fähigkeit, den Kunden bei der strategischen und der formalen Diferenzierung zu unterstützen. Es geht um Positionierung in diesem von ihnen angesprochenen, austauschbaren Konkurrenzumfeld. Positionierung bedeutet immer, sich auf weniges zu fokussieren und dabei vieles – auch Wichtiges – wegzulassen. Manchmal kann ein externer Partner dies besser – aufgrund einer objektiveren Distanz gegenüber Märkten und Marken. Wie muss man denn den heutigen Konsumenten ansprechen? Gelten andere «Regeln» als früher? Ist die Konsumentin, der Konsument emanzipiert(er) geworden? In den letzten zehn Jahren hat ein Paradigmenwechsel stattgefunden. Der Konsument ist heute im Gegensatz zu früher weltweit vernetzt. Er hat in seinem Kaufverhalten unbegrenzte Möglichkeiten. Er prüft im stationären Handel vor Ort wie auch im Online-Shop unterschiedliche Angebote und vergleicht. Authentizität wird daher wichtiger. Digitalisierung führt aber auch zu anonymeren Beziehungen mit Marken; diese werden weniger spürbar. Marken müssen zukünftig an nicht digitalen Touchpoints stärker inszeniert werden. Erlebniskonsum steht heute im Vordergrund. Der Kunde will vor, während und nach dem Einkauf unterhalten werden. Diese Situation führt zu einem Ästhetisierungstrend auch in Massenmärkten. Oder wie erklären Sie sich sonst Konzepte wie Apple- oder Nespresso-Stores? Wir sprechen heute oft vom schizophrenen oder hybriden Verbraucher. Mal ein Luxusgut, dann wieder billiges Fast Food … Richtig. Aber das ist nichts Neues. Darüber spricht das moderne Marketing seit fünfundzwanzig Jahren. Wir sind heute bereits weiter, wir erleben eine Zunahme der intrinsischen Nutzendimension: Die Marke löst hedonistischen Genuss aus und steht für Lebensstil und Selbstausdruck. Man will sich etwas Gutes tun; die Marke ist nicht mehr ausschliessliches Symbol für Prestige und Distinktionsfunktion. Was ist passiert? Eine Vermischung von Premiumund Discountangeboten indet statt: Konzepte wie Migros Selection, Lagerfeld für H&M oder Massimo Dutti usw. sind verfügbar für alle. Massimo Dutti beispielsweise bietet durchschnittliche, preiswerte Kleidung an (ähnlich wie H&M oder Benetton). Die Retailgeschäfte von Massimo Dutti hingegen verkörpern eine Hochwertigkeit im Stil eines englischen Massschneiders. Da kommen spannende Zeiten auf die Markenhersteller zu. Zielgruppe «junge Alte» – gibt es die überhaupt? Besteht nicht vielmehr eine Altersunordnung? Mick Jagger von den Rolling Stones wird im Juli 71. Ein Zwanzigjähriger kann konservativer sein als ein Siebzigjähriger. Soziodemograische Kriterien in der Segmentierung haben meines Erachtens ihre Schuldigkeit getan. Heute geht es allein um wertorientierte Einstellungen. Es geht in der modernen Markenführung darum, die Marke für eine wertorientierte Gruppe auszurichten. Unabhängig vom Alter oder von der schulischen Bildung. Die Unberechenbarkeit von Lebensstilen – wie geht man damit um? Der SPIEGEL veröfentlichte kürzlich eine Titelgeschichte zum Thema «Konsumverzicht – weniger haben, glücklicher leben». Das macht eine Branding-Agentur aber nicht glücklich? Das hema «Rückbesinnung» auf ein nachhaltiges Leben ist die logische Konsequenz der konsumorientierten Ausschweifungen der vergangenen zwanzig Jahre und des wachsenden Bewusstseins um Ressourcen-Knappheit. Das Pendel schlägt zurück. Ich glaube aber nicht, dass totaler Konsumverzicht zum Flächenbrand wird. Aussteiger hat es immer schon gegeben: Diogenes, Niklaus von der Flüe, Martin Heidegger oder die Hippies. Aber keine Angst, konsumiert wird auch in Zukunft, nur anders. Marken sind gefordert, sich mit dieser hematik auseinanderzusetzen. Es geht darum, attraktive Konzepte für Menschen mit nachhaltiger Werteorientierung zu schafen. Als Inhaber einer BrandingAgentur muss ich mir deswegen keine Sorgen machen. Denn für diese Art von Konzepten gilt es auch in Zukunft, starke, diferenzierende Marken zu schafen. Nun zum Thema «Verpackung» und den Kleidern, die scheinbar Leute oder Marke ausmachen. Ist es wirklich so, dass etwa zwei Drittel der Verbraucher ihre Kaufentscheidungen anhand der Verpackung trefen – und kurz entschlossen, vor dem Regal? Ich persönlich habe da meine Zweifel … Oberstes Ziel jeder Marke ist Kundenloyalität. Das setzt Bekanntheit und Vertrauen voraus. Sind Marken weder bekannt noch vertraut, dann, ja dann wäre die Verpackung der einzige Faktor für den Kaufentscheid – was dann eben zwei Drittel der Kaufentscheidungen ausmachen würde. Aber Hand aufs Herz: Ist das wirklich so? Denken Sie mal an den Inhalt Ihres Kühlschranks – da sind doch in etwa immer dieselben Marken drin … Eine viel interessantere Erkenntnis ist: Wir wissen aus empirischen Studien, dass Touchpoints am Verkaufspunkt im Einzelhandel über die Hälfte zum Markenerlebnis beitragen. Hat die Marke am POS keine weiteren Möglichkeiten, Erlebnisse zu inszenieren – etwa über Displays, Shop-in-Shop-Konzepte etc. –, so nimmt die Verpackung einen immens wichtigen Stellenwert für den Erfolg oder Misserfolg einer Marke ein. Die Marke muss in diesem Falle also über die Verpackung optimal inszeniert und auf geradezu ideale Weise wahrgenommen werden können. Die Stichworte dazu: Form, Brand Design, Haptik, Ergonomie, Handling, Ästhetik usw. «Informationsüberlastung» – eine Tatsache, die ins Gewicht fällt. Was heisst das für eine BrandingAgentur? Zentrales Ziel ist eine ganzheitliche Inszenierung der Marke. Informationsüberlastung führt nun dazu, dass es immer schwieriger wird, sich als Marke Gehör zu verschafen. Es gilt, gleiche inhaltliche und formale Botschaften – Versprechen, Logo, Farben, Bildstil, Typograie, Symbole etc. – möglichst konsequent anzuwenden. Und das in allen Erscheinungsformen der Marke, im Web, in der OnlineWerbung – Film, Printwerbung, Shop etc., auf Fahrzeugen und natürlich auf der Verpackung. Das schaft Wiedererkennbarkeit und hilft, im Dickicht der Informationsexplosion als Marke wahrgenommen zu werden. Ihre Dienstleistungspalette umfasst eine grosse Anzahl an Segmenten. Was unterscheidet Ihre Agentur von einer «gewöhnlichen» Werbe- und Design-Agentur? Brandpulse steht für strategisches Branding. Wir konzentrieren uns auf die Kompetenzen Markenstrategie (Markenpositionierungen und Markenstrukturen), Markenkonzeption (wie Namensentwicklung und Brand-Design) sowie 3-D-Design (wie Shop- und Produkt-Design). Zudem sind wir in der Corporate-Communications-Beratung tätig. Die Kombination dieser Kompetenzen macht uns im Schweizer Markt einzigartig. Wir sind in der Lage, für unsere Kunden ganzheitliche Markenkonzepte zu entwickeln und umzusetzen, national und international. www.brandpulse.ch Interview: Claude Bürki IN KÜRZE Überblick: Geschäftsfelder von Brandpulse Markenstrategie Markenkonzeption 3-D-Design Corporate Communications Bestehend aus drei Gesellschaften, die auf die erwähnten Disziplinen spezialisiert sind, bietet die Brandpulse-Gruppe je nach Bedürfnis auch Einzellösungen innerhalb der jeweiligen Kernkompetenzen oder ganzheitliche, integrierte Marken- und Kommunikationslösungen an. Die Gruppe erarbeitet Markenentwicklungs- und Markenvitalisierungsprojekte für Kunden in der Schweiz, Deutschland und Österreich. Kürzlich realisierte Markenprojekte in der Schweiz: Migrol, Victorinox, Amavita, Turmix, Weleda, Spirella, Sanitas Krankenversicherung und Migrolino. 19