Therapie bei Autismusspektrumsstörungen – ein Überblick Ingo Spitczok von Brisinski LVR-Klinik Viersen 2. Dia – declaration of interest • Unterstützung für Vorträge in den letzten 5 Jahren von: ADHS Deutschland e. V., Hochschule Aachen, Context, DGSF, DGVT, Fachhochschule Düsseldorf, isiberlin, Janssen-Cilag, Universität Lüneburg, Universität Münster, Verband deutscher MotopädInnen, Volkswagen • Kein Sponsoring für Tagungen, Studien, Gremien, boards, keine Aktien • Angestellter der LVR-Kliniken • Vorstandsmitglied von BAG und BKJPP • Mitglied der S3-AWMF-Leitlinien-Arbeitsgruppen ‚Autismusspektrumsstörungen‘ und ‚ADHS‘ Mission impossible Ein Überblickvortrag zur Therapie bei Autismusspektrumsstörungen für ein Kompetenznetzwerk – Eulen nach Athen bzw. Ravensburg tragen? Trost aus dem Karneval: Eminenz basierte Medizin Gliederung • Therapeutische Rahmenbedingungen • Behandlung der Kernsymptomatik • Behandlung der Folge- und Begleitstörungen • Therapiemotivation & Verlauf: Hoffnungen und Enttäuschungen • Wie viel Therapie ist gesund? – Autismus im Spannungsfeld von Krankheit und menschlicher Vielfalt Vielfalt der Menschen und Probleme • • • • • • • • • Benjamin, 18 Monate, schläft nicht Julius, 4 Jahre, aggressiv im Kindergarten Maik, 9 Jahre, Mobbing-Opfer Lars, 12 Jahre, kratzt sich das Gesicht blutig, schlägt sich den Kopf, bohrt in den Augen Olaf, 14 Jahre, intelligent aber nicht ‚bei der Sache‘ Janine, 16 Jahre, depressiv trotz Psychotherapie Georg, 18 Jahre, hört auf zu essen Herr Müller, 23 Jahre, Patient im Maßregelvollzug wegen sexueller Übergriffe Herr Maier, 27 Jahre, Student der Sozialpädagogik, möchte an seinen Schwierigkeiten im Alltag etwas ändern Methoden und Konzepte • • • • • • • • • • • • • • • Applied Behavior Analysis (ABA) Akupunktur Beratung Berufliche Förderung Coaching Computergestütztes Training zur Erkennung von Gesichtsausdrücken Delfintherapie Elektrokonvulsive Therapie (EKT) Festhaltetherapie Gestützte Kommunikation (FC) Heilpädagogische Behandlung Horch- und Klangtherapien Integrationshelfer Irlenbrille, Prismagläser Logopädische Behandlung •Lösungsorientierte Therapie •Massage •Medikamentöse Behandlung •Neurofeedback •Picture Exchange Communication System (PECS) •Relationship Development Intervention (RDI) •Sensorische Integration (SI) •Smart-Phone Application •Social stories •Stereotaktische Operation •Systemische Therapie •TEACCH •Verhaltenstherapie •Videomodellierung •Yoga •etc. Evidenz basierte Medizin • umfasst die systematische Suche nach Evidenz in der Fachliteratur für ein konkretes Problem oder eine bestimmte Krankheit bzw. Diagnose, • kritische Beurteilung der Validität nach klinisch-epidemiologischen Gesichtspunkten, • Bewertung der Effektstärke • die Anwendung auf den Klienten mittels der klinischen Erfahrung und der Vorstellungen der Patienten Störungsspezifische versus individuum- und kontextspezifische Therapie • Autismusspezifische Therapie ist wirksamer als unspezifische (Howlin, 2005) • Jeder Mensch ist anders • Jeder Mensch mit Autismuspektrumstörung auch Therapievielfalt • „Aus diesem Grund profitiert nicht jedes Kind von derselben Therapie oder Intervention. Ein flexibles, möglichst breites Angebot ist nötig, um das individuelle Kind, die/den Jugendliche/n oder Erwachsene/n und ihre/seine Familie unterstützen und fördern zu können.“ Freitag, CM (2008) Autismus-Spektrum-Störungen. München: Ernst Reinhardt, S. 82 Allgemeine Prinzipien der Förderung und Behandlung • Primär muss sich das Umfeld an die Stärken und Schwächen des Betroffenen anpassen • Die Anpassung des Betroffenen an die „normale“ Welt ist ein Fernziel, dem man sich nur langsam nähert und in manchen Belangen nie erreicht Alter bei Therapiebeginn • Eine Früherkennung autistischer Störungen ist ab dem zweiten Lebensjahr möglich • Wissenschaftler und klinisch Tätige sind sich einig, dass eine frühe Diagnostik anzustreben ist, um eine frühe Intervention veranlassen und somit den Verlauf der Störung positiv beeinflussen zu können • Wird die Autismusspektrumstörung erst im Erwachsenenalter diagnostiziert, sind dennoch spezifische Therapiemaßnahmen möglich Fangmeier T, Lichtblau A, Peters J, Biscaldi-Schäfer M, Ebert D, van Elst LT (2010) Psychotherapie des Asperger-Syndroms im Erwachsenenalter. Nervenarzt 1-8 Kamp-Becker I, Duketis E, Sinzig J, Poustka L, Becker K (2010) Diagnostik und Therapie von Autismus-Spektrum-Störungen im Kindesalter. Kindheit und Entwicklung 19 (3), 144 – 157 Allgemeine Prinzipien der Förderung und Behandlung • Möglichst früher Beginn • Langfristige Perspektive (über Jahre) • Symptom orientiertes Vorgehen, aber auch „ganzheitlicher Ansatz“ mit Priorisierung • Abgestimmtes Zusammenwirken mehrerer Methoden zur multiaxialen Förderung • Einbeziehung der Familie als gleichberechtigter Partner • umfassende pädagogische Programme • auch bei Erwachsenen sind spezifische Maßnahmen noch sinnvoll • Nicht zuviel Therapie gleichzeitig, ggf. Pausen Probleme sortieren, Ziele benennen, Ideen sammeln, Umsetzbarkeit bewerten Stellen Sie, Ihr Kind, die Schule und ggf. weitere Beteiligte (zunächst jeder für sich, danach in gegenseitiger Abstimmung) folgende Rangfolgen auf: • Nach der Wichtigkeit (Welches Merkmal beeinträchtigt das Leben bzw. die Entwicklung am stärksten? Was ist am unwichtigsten?) • Nach der Erkennbarkeit einer Verbesserung (Bei welchem Merkmal kann man am leichtesten und sichersten erkennen, dass sich eine Verbesserung eingestellt hat? Was ist am schwersten zu erfassen? Welche Merkmale sind eher unsicher?) (aus: Spitczok von Brisinski (2003): Dazugehören - Wie Kinder ihren Platz in der Klasse finden. Cornelsen Verlag) Probleme sortieren, Ziele benennen, Ideen sammeln, Umsetzbarkeit bewerten Stellen Sie, Ihr Kind, die Schule und ggf. weitere Beteiligte (zunächst jeder für sich, danach in gegenseitiger Abstimmung) folgende Rangfolgen auf: • Nach der Umsetzbarkeit der Maßnahmen (Welche Ideen zur Verbesserung lassen sich am leichtesten und sichersten umsetzen? Welche Maßnahmen sind nur sehr schwer oder gar nicht durchführbar?) • Nach der Erreichbarkeit der Ziele (Welches Ziel ist wahrscheinlich leicht zu erreichen, welches eher schwer, welches vermutlich nicht?) (aus: Spitczok von Brisinski (2003): Dazugehören - Wie Kinder ihren Platz in der Klasse finden. Cornelsen Verlag) Gliederung • Therapeutische Rahmenbedingungen • Behandlung der Kernsymptomatik • Behandlung der Folge- und Begleitstörungen • Therapiemotivation & Verlauf: Hoffnungen und Enttäuschungen • Wie viel Therapie ist gesund? – Autismus im Spannungsfeld von Krankheit und menschlicher Vielfalt Etablierte Maßnahmen • Informationen und Beratung für Schüler, Eltern und andere Angehörige sowie Lehrkräfte • Pädagogische Maßnahmen (z. B. TEACCH) • Verhaltenstherapie (z. B. ABA - Applied Behavior Analysis bzw. Frühförderung nach Lovaas) • Förderung von Sozialkontakten in der Freizeit • Selbsthilfe • Ggf. Familientherapie • Ggf. medikamentöse Behandlung • Ggf. Behandlung der Begleitstörungen Ansatzmöglichkeiten Arbeit mit • dem Betroffenen • den Eltern/Betreuern • dem Kindergarten/den Lehrkräften • den Vorgesetzten/den Kollegen Stärken von Menschen mit Asperger-Syndrom • • • • • • • • Loyalität Zuverlässigkeit Unvoreingenommenheit Enthusiasmus für einzigartige Interessen und Themen Wertschätzung von Details Neigung „Small Talk“, sozial triviale Bemerkungen und oberflächliche Konversation zu vermeiden Konversation frei von versteckten Bedeutungen oder Andeutungen Enzyklopädisches oder „CD-ROM“-Wissen über ein oder mehrere Themen (aus Remschmidt & Kamp-Becker, 2006, S. 151) Nutzung von Sonderinteressen • Asperger, H (1944) Die autistischen Psychopathen im Kindesalter. Arch Psychiatr Nervenkr 117, 76136 • Simon, G. (2006) Systemic Family Therapy With Families With A Child Who Has A Diagnosis Of Asperger Syndrome. Human Systems: The Journal of Systemic Consultation & Management 15(4), 257-274 Beispiel: Interesse für Schach Biologie • Herkömmlich Biologie • & Kunst: Biologie • & Kunst & Schach: Geschichte, Biologie, Sexualkunde? Pädagogische Maßnahmen / Verhaltenstherapie • Strukturierung von Material und Aufgaben • Routinen als Strukturierungshilfen • Strukturierung des Alltags TEACCH • Treatment and Education of Autistic and related Communication handicapped CHildren • Vom Kleinkind- bis zum Erwachsenenalter anwendbar TEACCH • Oft fällt die Verarbeitung visueller (simultaner) Reize leichter als die Verarbeitung auditiver (sequentieller) Stimuli • Strukturierung des Raumes • Strukturierung der Zeit • Strukturierung von Arbeitsorganisation: Strukturen, die eine möglichst selbständige Durchführung von Tätigkeiten im Sinne der Erledigung eines vorgegebenen Aufgabenpensums unterstützen sollen. Frühinterventionsprogramm nach Lovaas Angewandte Verhaltensanalyse (ABA) • Für Kinder im Alter von 2 bis 7 Jahren • ca. 20 – 40 h/Woche über 3 Jahre mit starker Elternbeteilung • Die Meta-Analyse von 3 kontrollierten klinischen Studien zeigte, dass Lovaas-Therapie einer nichtautismusspezifischen Frühförderung überlegen war hinsichtlich angepasstem Verhalten, Kommunikation und Interaktion, sprachlicher Kompetenzen, Aufgaben des täglichen Lebens und gesamtintellektueller Befähigung • Keine statistisch signifikanten Unterschiede gab es bzgl. nonverbaler intellektueller Fähigkeiten • Patientenauswahl nicht repräsentativ, Beurteiler nicht unabhängig, Messmethoden teils unklar/fragwürdig Ospina MB, Krebs Seida J, Clark B, Karkhaneh M, Hartling L, et al. (2008) Behavioural and Developmental Interventions for Autism Spectrum Disorder: A Clinical Systematic Review. PLoS ONE 3(11): e3755 ABA 2: Verbesserung der Meta-Analyse? • • • In an attempt to fill this gap in the literature, state-of-the-art metaanalytical methods were implemented, including quality assessment, sensitivity analysis, meta-regression, dose-response meta-analysis and meta-analysis of studies of different metrics. Results suggested that long-term, comprehensive ABA intervention leads to (positive) medium to large effects in terms of intellectual functioning, language development, acquisition of daily living skills and social functioning in children with autism. Although favorable effects were apparent across all outcomes, language-related outcomes (IQ, receptive and expressive language, communication) were superior to non-verbal IQ, social functioning and daily living skills, with effect sizes approaching 1.5 for receptive and expressive language and communication skills. Virués-Ortega J. Applied behavior analytic intervention for autism in early childhood: meta-analysis, meta-regression and dose-response meta-analysis of multiple outcomes. Clin Psychol Rev. 2010 Jun;30(4):387-99. Picture Exchange Communication System (PECS) • Meta-Analyse (1994 – 2009) bzgl. empirischer Evidenz für PECS auf Kommunikation und Sprachentwicklung bei Kindern (1-11 J.) mit Autismusspektrumstörung • Einzelfallbeschreibungen (18) and 3 Gruppenstudien (95 PECS Teilnehmer, 65 als kontrollgruppe, teils mit anderer Intervention) • PECS ist Erfolg versprechend, aber noch nicht EbM-etabliert • Geringe bis mittlere Verbesserung der Kommunikation • Geringe Verbesserung oder sogar verschlechterung der Sprachentwicklung Flippin M, Reszka S, Watson LR. Effectiveness of the Picture Exchange Communication System (PECS) on communication and speech for children with autism spectrum disorders: a meta-analysis. Am J Speech Lang Pathol. 2010 May;19(2):178-95 Pädagogische & therapeutische Maßnahmen: Empathie & Theory of Mind • Emotionen Erkennen (Mimik, Gestik, Stimme) • Distanzregulierung • Ein Gespräch anfangen und beenden • Bedürfnisse des Gesprächspartners erkennen • Rollenspiele, social stories Spieltherapie mit Gleichaltrigen • Geeignet für Kinder von 4 bis 12 Jahre • Wirksamkeit in mehreren Studien belegt • Jüngere und schwerer betroffene Kinder profitieren eher von stark strukturierten und direktiven Spieltherapien • Ältere, weniger stark betroffene Kinder profitieren eher von am natürlichen Verlauf des Spiels orientierten Gruppen Freitag, CM (2008) Autismus-Spektrum-Störungen. München: Ernst Reinhardt Selbsthilfe: Internet • Websites von Personen mit AspergerSyndrom • Websites von Angehörigen (Erfahrungsberichte, Persönliches, Infos) • Autismus-Newsletter: Tagungen, Literatur, Fernsehsendungen usw. Autismus und Internet • Mailing-Liste für Personen mit AspergerSyndrom • Mailing-Liste für Eltern (a. Beginners; b. Advanced) • Mailing-Liste für Geschwister • Mailing-Liste für für andere Experten • Mailing-Liste Autismus allgemein (z. B. auf www.autismus-online.de) Peer-Group-Gefühl (‚Ich bin nicht allein mit meinem Problem', ‚Endlich versteht mich jemand‘, Trost, Tipps & Erfahrungen) Elterntraining/Familientherapie Familientherapeutische Ansätze • Symptomatische Therapie/Lösungsorientierung • Vermeidung sekundärer Störungen/ Stärkung von Schutzfaktoren • Behandlung von Begleitstörungen Medikamentöse Therapie bei Autistischen Störungen Aufmerksamkeitsprobleme, Bewegungsunruhe, Impulsivität, Aggressivität • Stimulanzien • Atomoxetin • Neuroleptika Zwangssymptome, ritualisierte Handlungen, Aggressivität • SSRI • Neuroleptika Gliederung • Therapeutische Rahmenbedingungen • Behandlung der Kernsymptomatik • Behandlung der Folge- und Begleitstörungen • Therapiemotivation & Verlauf: Hoffnungen und Enttäuschungen • Wie viel Therapie ist gesund? – Autismus im Spannungsfeld von Krankheit und menschlicher Vielfalt Begleitstörungen auf MAS-Achse 1 beim Asperger-Syndrom • ADS/ADHS: > 50% • Affektive Störungen: > 20% • Aggressives Verhalten: > 20%; seltener intoxikiert während der Tat und seltener Gebrauch von Messern oder Gewehren • Persönlichkeitsstörungen: > 20% • Schlafstörung: > 20% • Zwangsstörung: > 20% • Ticstörung: 20% • Essstörung: > 10%; häufiger chronischer Verlauf • Mutismus: > 10% • Selbstverletzendes Verhalten: > 10% • Schizophrenie: 5% Wahlund K, Kristiansson M. Offender characteristics in lethal violence with special reference to antisocial and autistic personality traits. J Interpers Violence. 2006 Aug;21(8):1081-91. Zucker NL, Losh M, Bulik CM, LaBar KS, Piven J, Pelphrey KA. Anorexia nervosa and autism spectrum disorders: guided investigation of social cognitive endophenotypes. Psychol Bull. 2007 Nov;133(6):976-1006 Remschmidt & Kamp-Becker, 2006 Begleitstörungen auf MAS-Achse 1 beim frühkindlichen Autismus • • • • • • • • • • • ADS/ADHS: > 50% Aggressives Verhalten: > 20% Autoaggressives Verhalten Essstörung: > 20% Persönlichkeitsstörungen: > 20% Schlafstörung: > 20% Selbstverletzendes Verhalten: > 20% Zwangsstörung: > 20% Affektive Störungen: > 10% Mutismus: > 10% Ticstörung: > 10% Remschmidt & Kamp-Becker, 2006 Elektrokonvulsive Therapie (EKT) Die Arbeitsgruppe um Wachtel (Baltimore, USA) hat bisher über 3 Behandlungserfolge berichtet: • Ein 11jähriger Junge mit Autismus und über 4 Jahre therapieresistenter bipolarer Psychose mit gefährlichen Episoden mit für ihn und seine Betreuer sehr gefährlichem selbstverletzendem und fremdaggressivem Verhalten. • 8 bilaterale EKTs führten zu signifikanter Stimmungsstabilisierung und signifikanter Besserung von Selbst- und fremdverletzendem Verhalten (Wachtel LE, Jaffe R, Kellner CH. Electroconvulsive therapy for psychotropicrefractory bipolar affective disorder and severe self-injury and aggression in an 11-year-old autistic boy. Eur Child Adolesc Psychiatry. 2011 Jan 21. [Epub ahead of print]) Elektrokonvulsive Therapie (EKT) • Ein 8jähriger Junge mit Autismus, Intelligenzminderung, deutliche Stimmungslabilität und seit 5 Jahren bestehendem extremem selbstverletzendem Verhalten mit seinem Kopf (hohes Risiko für ernsthaftes Schädel-Hirn-Trauma), durchschnittlich 109 Mal pro Stunde. • Protektoren für Schultern, Arme und Beine • Alle Bereiche des täglichen Lebens waren schwerwiegend durch das selbstverletzende verhalten beeinträchtigt.. • 15 bilaterale EKTs führten zu sehr guter Stimmungsstabilisierung und reduktion des selbstverletzenden verhaltens auf 19 Mal pro Stunde. Der patient konnte wieder an entwicklungsadäquaten schulischen und sozialen Aktivitäten teilnehmen. Wachtel LE, Contrucci-Kuhn SA, Griffin M, Thompson A, Dhossche DM, Reti IM. ECT for self-injury in an autistic boy. Eur Child Adolesc Psychiatry. 2009 Jul;18(7):458-63. Elektrokonvulsive Therapie (EKT) • Ein 19jähriger Mann mit Autismus, leichter Intelligenzminderung und schwerer Depression mit wiederholten Suizidversuchen, multiplen Katatoniesymptomen, und lebensgefährlichem wiederholtem selbstverletzendem Verhalten, seit 3 Jahren therapieresistent • Sehr gute Rückbildung der Symptome nach bilateraler EKT (Wachtel LE, Griffin M, Reti IM. Electroconvulsive therapy in a man with autism experiencing severe depression, catatonia, and self-injury. J ECT. 2010 Mar;26(1):70-3) Begleitstörungen auf MAS-Achse 2 beim Asperger-Syndrom • • • • • • Motorische Entwicklungsstörung Dyspraxie Artikulationsstörung (Dyslalie) Räumliche Wahrnehmungsstörung Rechenstörung (Dyskalkulie) Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen Begleitstörungen auf MAS-Achse 2 bei frühkindlichem Autismus • • • • Sprachentwicklungsstörung Dyspraxie Räumliche Wahrnehmungsstörung Lese-Rechtschreibstörung (Legasthenie) • Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen Begleitbesonderheiten auf MASAchse 3 beim Asperger Syndrom • Inhomogenes Intelligenzprofil (VT>HT) • Lernbehinderung • Hochbegabung Begleitstörungen auf MAS-Achse 4: Körperliche Erkrankungen beim frühkindlichen Autismus Über 40 körperliche Erkrankungen sind überzufällig häufig, u. a. • • • • • • Hörstörungen Sehstörungen Epilepsie Tuberöse Sklerose Neurofibromatose fragiles X-Syndrom und andere Chromosomenstörungen • fetales Alkoholsyndrom • Röteln-Embryopathie Begleitstörungen auf MAS-Achse 5 bei Autismusspektrumstörungen • In Familien von Kindern mit Asperger-Syndrom treten gehäuft ADS/ADHS, und autistische Züge auf, in 50% Depression und/oder Suizid • Eltern haben gehäuft behandlungsbedürftige depressive, Angst- oder Zwangsstörungen Lainhart JE, Folstein SE (1994) Affective disorders in people with autism: a review of published cases. J Autism Dev Disord 24(5), 587-601 Yirmiya N, Shaked M (2005) Psychiatric disorders in parents of children with autism: a meta-analysis. J Child Psychol Psychiatry 46, 69-83 Folgestörungen bei Autismus • • • • • • Schuldvorwürfe Mobbing Depression Suizidalität Ablösungsproblematik Probleme in der schulischen und beruflichen Entwicklung • Probleme in der sozialen Integration Gliederung • Therapeutische Rahmenbedingungen • Behandlung der Kernsymptomatik • Behandlung der Folge- und Begleitstörungen • Therapiemotivation & Verlauf: Hoffnungen und Enttäuschungen • Wie viel Therapie ist gesund? – Autismus im Spannungsfeld von Krankheit und menschlicher Vielfalt Verlauf autistischer Störungen nach Remschmidt & Kamp-Becker (2006), S. 202 Die Prognose hängt ab von • • • • • der Schwere der Symptomatik den komorbiden Störungen den Betreuungsmöglichkeiten dem familiären Umfeld therapeutischen Maßnahmen Remschmidt & Kamp-Becker, 2006 Lebensqualität bei Autismus • Autistische Störungen haben einen erheblichen Einfluss auf die Lebensqualität der Familie • In der Regel sind sehr langfristige unterstützende Maßnahmen notwendig, die individuell auf Kind und Familie abgestimmt werden müssen Nydén A, Myrén KJ, Gillberg C. Long-Term Psychosocial and Health Economy Consequences of ADHD, Autism, and Reading-Writing Disorder: A Prospective Service Evaluation Project. J Atten Disord. 2007 Oct 29; Larsen & Mouridsen 1997: 9 FA, 9 AS über 30 Jahre: • 7 AS hatten Regelschule besucht, 0 FA • 4 AS waren verheiratet, davon ließen sich 2 nach 7 bzw. 15 Jahren scheiden, 2 hatten Kinder, 0 FA Bölte et al. 2005: 85 HFA: • 45% besuchten Regelschule; • > 17 J.: 19% Arbeit, 14% Gymnasium, 14% Behindertenwerkstatt • Cederlund et al. 2008: Outcome nach 5 J. bei AS (N=70) gut in 27%, 26% hatten ein sehr eingeschränktes Leben, ohne Arbeit, ohne Freunde. Outcome bei FA (N=70) deutlich schlechter Albert Einstein und Isaac Newton sollen am Asperger-Syndrom gelitten haben (Simon Baron-Cohen 2003) • Newton sei sehr kühl zu seinen wenigen Freunden gewesen. Es habe ihn nicht gestört, wenn zu seinen Vorlesungen keine Studenten gekommen seien, er habe auch vor komplett leeren Sälen doziert V. a. Asperger Syndrom u. a. bei • • • • • • • • • • • • • • • • Hans Christian Andersen Aristoteles Jane Austen Béla Bartók Charles Darwin Arthur Conan Doyle Marie Curie Albert Einstein Benjamin Franklin Galileo Glenn Gould Patricia Highsmith Edward Hopper Thomas Jefferson Immanuel Kant Karl XII. • • • • • • • • • • • • • • • • • Alfred Kinsey Stanley Kubrick Michelangelo Wolfgang Amadeus Mozart Isaac Newton George Orwell Pablo Picasso Ramanujan Bertrand Russell Erik Satie Shakespeare Jonathan Swift Ludwig van Beethoven Vincent van Gogh Andy Warhol Robert Walser Ludwig Wittgenstein Gliederung • Therapeutische Rahmenbedingungen • Behandlung der Kernsymptomatik • Behandlung der Folge- und Begleitstörungen • Therapiemotivation & Verlauf: Hoffnungen und Enttäuschungen • Wie viel Therapie ist gesund? – Autismus im Spannungsfeld von Krankheit und menschlicher Vielfalt Definitionen „Gesundheit“ • WHO (1948): „Zustand vollkommenen körperlichen, psychischen und sozialen Wohlbefindens, welcher mehr ist als Abwesenheit von Krankheit“ • WHO heute: Gesundheit als „positiver funktioneller Gesamtzustand im Sinne eines dynamischen biopsychologischen Gleichgewichtszustandes, der erhalten bzw. immer wieder hergestellt werden muß“ (zit.n.Quaas,1994,S .148) Freud: „Gesundheit ist die Fähigkeit lieben und arbeiten zu können.“ Neurotypisches Syndrom • „Das neurotypische Syndrom ist eine neurobiologische Störung. Die Symptome sind: Übertrieben geselliges Verhalten, Überlegenheitswahn, und eine Fixierung auf Konformität. NTs können nicht gut alleine sein. NTs sind oft intolerant. In Gruppen agieren NTs zwanghaft und bestehen oft auf funktionsgestörten, destruktiven und sogar unmöglichen Ritualen, nur um die Gruppenidentität aufrecht zu erhalten. NTs haben ein Problem, direkt zu kommunizieren und lügen viel mehr als Personen aus dem autistischen Spektrum. Tragischerweise haben 9625 von 10.000 Menschen NT.“ Verfasser unbekannt, zitiert aus Carstensen, K. (2009) Das Asperger-Syndrom. Sexualität, Partnerschaft und Elternsein. Norderstedt: BoD, S. 2 www.aspies.de • „Wir sehen Autismus als einen Teil menschlicher Vielfalt. Wir möchten akzeptiert und respektiert werden, so wie wir sind - und nicht ‚geheilt‘. Vielfalt ist eine Stärke der Menschheit!“ Qualitative und zeitliche Perspektiven • Eine Diagnose beschreibt niemals den ganzen Menschen – stets gibt es auch ‚gesunde‘ Facetten • Üblicherweise ist die Diagnose Autismus als lebenslang konzipiert, jedoch nicht notwendigerweise die Behandlung – dennoch sind eher Jahre als Monate einzuplanen Gratwanderung • Das Leben besteht nicht nur aus Problemen, die durch Autismus bedingt sind • Unhinterfragte Normalisierungsbestrebungen können schädlich sein • In vielen Dingen dürfen auch „normale Ansprüche“ an das Kind/den Jugendlichen/den Erwachsenen gestellt werden, insbesondere hinsichtlich der Stärken • Ohne Anforderungen keine Fortentwicklung!