Dynamik der Atmosphäre • • • • Atmosphärenchemie WS 2005/06 Dr. R. Tuckermann Die Atmosphäre ist ein Fluid. Die Newtonsche Mechanik gilt für einzelne Punktmassen (m) / Luftmoleküle. Die Newtonsche Mechanik kann aber auch auf Volumenelemente (ρV) angewandt werden (→ Kontinuumsmechanik wie z. B. Hydrodynamik). Voraussetzung hierfür ist der kollektive Charakter der Bewegung der Luftmoleküle, der z.B. durch eine gemeinsame Temperatur, gemeinsamen Druck, kollektive Geschwindigkeit, etc. zum Ausdruck kommt. Groß-skalische atmosphärische Strömungen können sich nur in horizontaler Richtung ausbilden. Die horizontale Ausdehnung der Atmosphäre ist um mehr als drei Größenordnungen größer als die vertikale Ausdehnung. Betrachtungsweisen in der Kontinuumsmechanik Lagrange'sche Darstellung: Beschreibung der Strömung durch die zeitliche Entwicklung des Ortes xm(t) eines bestimmten Massenelementes. Euler'sche Darstellung: Beschreibung der Strömung durch die zeitliche Entwicklung des Geschwindigkeitsfeldes v(x,t) an einem festem Ort x. Erhaltungssätze Atmosphärenchemie WS 2005/06 Dr. R. Tuckermann • Masse → Kontinuitätsgleichung • Impuls → Bewegungsgleichung • Energie → Energieflüsse in der Atmosphäre (z.B. Strahlung / Konvektion) Atmosphärenchemie WS 2005/06 Dr. R. Tuckermann Massenerhaltung Abgesehen von Prozessen, die durch einfallende hochenergetische Partikelstrahlung (Kosmische Strahlung) ausgelöst werden, findet in der Atmosphäre keine Erzeugung oder Vernichtung von Masse statt. Somit ändert sich die Masse M = ∫ ρ dV im Volumen V und mit der Dichte ρ nur durch Massezu- bzw. -abfluß. Dieser wird durch die Massestromdichte j durch die Oberfläche beschrieben: j = ρv ∂ ρdV = − ∫ jdA = − ∫ ρvdA ∫ ∂t Volumen Oberfläche Oberfläche Vertauschen von Integration und Differenzieren Gaußscher Satz ∂ ρdV = − ∫ div(ρv )dV ∫ ∂t Volumen Volumen ∂ ρ + div(ρv ) = 0 ∂t Massenerhaltung Atmosphärenchemie WS 2005/06 Dr. R. Tuckermann Für viele Anwendungen in der Atmosphäre können Dichteschwankungen (dρ/dt = 0) vernachlässigt werden. Eine Ausnahme stellen vertikale Transportprozesse dar. Im Folgenden werden aber vorwiegend horizontale Bewegungen betrachten. Für diese Bewegungen gilt die Annahme vernachlässigbarer Dichteschwankungen. Somit gilt: div(ρv) = 0 bzw. div(v) = 0 Hieraus folgt, dass das Geschwindigkeitsfeld in der Atmosphäre (nahezu) divergenzfrei (Quellen und Senken) ist. Dies gilt jedoch nur in horizontaler Richtung. Atmosphärenchemie WS 2005/06 Dr. R. Tuckermann Impulserhaltung In der Lagrangeschen Darstellung der Kontinuumsmechanik schreibt sich das Newtonsche Aktionsprinzip (F = ma): r r dv F = ρV dt r r r r F dv ∂v r = = + (v ⋅ ∇ )v ρV dt ∂t Ortsbeschleunigung Feldbeschleunigung Die Feldbeschleunigung ist eine Folge der Eulerschen Darstellung. Sie ist nichtlinear und erschwert die Lösung der Bewegungsgleichung. Aus ihr resultieren die so genannten Scheinkräfte wie die Zentrifugal- und die CoriolisKraft. Atmosphärenchemie WS 2005/06 Dr. R. Tuckermann Schwerkraft Die Schwerkraft wirkt in guter Näherung senkrecht nach unten: r r FG = − g ⋅ ez ρV Genauer betrachtet ändert sich g mit dem Ort, insbesondere mit der geographischen Breite φ (wegen Zentrifugalkraft und Abplattung). Exakter ergibt sich die Schwerebeschleunigung als Gradient des Geopotentials Φ: z Φ ( z , ϕ ) = ∫ g ( z ' , ϕ )dz ' 0 r r FG = −∇Φ ρV Es treten also auch horizontale Komponenten der Schwerkraft auf. Die Abhängigkeit der Erdbeschleunigung von der geographischen Breite und der Höhe wird durch folgende empirische Formel beschrieben: g(z,φ) = 9,806·(1 - 0,0026·cos(2φ))·(1 - 3,1·10-7·z)m/s2 Atmosphärenchemie WS 2005/06 Dr. R. Tuckermann Druckgradientenkraft Druckkräfte wirken senkrecht auf die Oberfläche eines Volumenelementes. Im homogenen Druckfeld heben sich die Kräfte auf ein Volumenelement auf. Nur der Gradient des Druckfeldes ergibt eine resultierende Kraft. In x-Richtung gilt: dFp , x ∂p ∂p = A[ p ( x ) − p ( x + dx )] = − A dx = − dV ∂x ∂x In drei Raumdimensionen gilt: r r dFp = −∇pdV bzw. r Fp ρV 1 r = − ∇p ρ Atmosphärenchemie WS 2005/06 Dr. R. Tuckermann Reibungskraft Reibungskräfte in einem Gas, bzw. fluiden Medium werden durch Geschwindigkeitsscherungen bewirkt. Die Reibung in Gasen kann durch Impulsaustausch zwischen benachbarten, verschieden schnellen Schichten beschrieben werden. Scherungen, d. h. Geschwindigkeitsgradienten, führen zu Schubspannungen zwischen einzelnen Schichten und Volumenelementen. Die Schubspannung ist proportional zum Geschwindigkeitsgradienten. τ x, z dv x dv x d (ρvx ) = −η = −νρ = −ν dz dz dz dynamische Viskosität kinematische Viskosität Impulsdichte Reibungskraft Schubspannung und Impulstransport τ x, z d (ρvx ) = −ν dz Resultierende Kraft auf Volumenelement in Geschwindigkeitsgradienten: FR , x ∂τ ∂τ = − ⋅ A ⋅ dz = − dV ∂z ∂z Atmosphärenchemie WS 2005/06 Dr. R. Tuckermann Reibungskraft ν ∂2 1 ∂τ ( ρv x ) =− =− 2 ρV ρ ∂z ρ ∂z FR , x Allgemein gilt: FR = −νΔv x ρV Atmosphärenchemie WS 2005/06 Dr. R. Tuckermann Atmosphärenchemie WS 2005/06 Dr. R. Tuckermann Scheinkräfte Trägheitskräfte aufgrund der Erdrotation Rotationsvektor im lokalen System: ⎛ 0 ⎞ r ⎜ ⎟ Ω = ⎜ Ω cos ϕ ⎟ ⎜ Ω sin ϕ ⎟ ⎠ ⎝ mit Ω = 2π/Tag =7,29·10-5 s-1. Zentrifugalkraft r r r r FZ = Ω× Ω× r ρV ( Maximaler Betrag am Äquator: Ω2r = 0,034 m/s2 << g Coriolis-Kraft r r r FC = −2 Ω × v ρV ( ) ) Atmosphärenchemie WS 2005/06 Dr. R. Tuckermann Coriolis-Kraft Horizontale Kraftkomponente für horizontale Strömung (vz= 0): r FC ,h r r ⎛ v y sin ϕ ⎞ ⎟⎟ = = −2 Ω × v h = 2Ω⎜⎜ ρV ⎝ − v x sin ϕ ⎠ ( ) ⎛ vy ⎞ ⎟⎟ f ⎜⎜ ⎝ − vx ⎠ mit dem Coriolisparameter f = 2Ω·sin . Für die nördliche Hemisphäre mit f > 0 bedeutet das, dass Luftpakete eine Ablenkung nach rechts wiederfahren. Atmosphärenchemie WS 2005/06 Dr. R. Tuckermann Navier-Stokes-Gleichung r r r r r r rr 1 r dv ∂v = + ∇v v = Fg + Fp + FC + FR dt ∂t ρV ( ) ( ) r r r 1 r = −∇Φ − ∇p − 2(Ω × v ) +νΔv ρ Schwerkraft Druckgradientenkraft CoriolisKraft Reibungskraft Laminare und turbulente Strömung Atmosphärenchemie WS 2005/06 Dr. R. Tuckermann Laminare Strömung Turbulente Strömung • sich nicht kreuzende Strömungsbahnen/Schichten (kein Austausch) mit einheitlicher Geschwindigkeit • sich überkreuzende Strömungsbahnen/Schichten (mit Austausch) • Strömungsgeschwindigkeit am Rand v > 0 • Strömungsgeschwindigkeit am Rand v = 0 Atmosphärische Strömungen sind zumeist turbulent! Turbulenzkriterium: Reynoldszahl Atmosphärenchemie WS 2005/06 Dr. R. Tuckermann ( ) r r r Turbulenzerzeugung durch nichtlineare Terme in Navier-Stokes Gleichung. ν ⋅ ∇ v r Turbulenzvernichtung durch Reibung. νΔv Abschätzung der Größenordnung der beiden Terme durch Einsätzen typischer Werte: ( ) r r r v2 ν ⋅∇ v ≈ l r v2 νΔv ≈ 2 l Vergleich der Werte führt zur dimensionslosen Reynolds-Zahl: ( ) r r r Feldbeschleunigung ν ⋅ ∇ v vl Re = = r ≈ Reibung νΔν ν Für Reynolds-Zahlen Re > Rec ≈ 1000 ... 2000 ist die Strömung turbulent. Geostrophische Näherung der NavierStokes-Gleichung Atmosphärenchemie WS 2005/06 Dr. R. Tuckermann Geostrophisch Näherung für horizontale Strömungen (FG = 0): Stationäre Strömungen (dv/dt = 0) ohne Reibung (FR = 0), d. h. Gleichgewicht zwischen der Druckgradientenkraft und der Coriolis-Kraft: ⎛ vy ⎞ r 1 r ⎟⎟ ∇p = 2(Ω × v ) = f ⎜⎜ ρ ⎝ − vx ⎠ bzw. für die einzelnen Komponenten: 1 d p = vy fρ dx 1 d p = −v x fρ dy D. h. geostrophische Strömungen verlaufen immer senkrecht zum Druckgradienten. Faustregel für Nordhalbkugel: Höherer Druck zur Rechten der Strömung. (Auf der Südhalbkugel natürlich umgekehrt!) Umströmung von Hoch- und Tiefdruckgebieten Atmosphärenchemie WS 2005/06 Dr. R. Tuckermann Geostrophische Näherung Atmosphärenchemie WS 2005/06 Dr. R. Tuckermann Geostrophischer Wind Atmosphärenchemie WS 2005/06 Dr. R. Tuckermann Strömungen in Grenzschichten Atmosphärenchemie WS 2005/06 Dr. R. Tuckermann Geostrophische (d. h. reibungsfreie) Strömung gibt es nur in der freien Atmosphäre. In den bodennahen Schichten muss die Reibung in zunehmendem Maße berücksichtigt werden. In der bodennahen Schicht gibt es eine laminare Strömung ohne Turbulenz. Abschätzung der bodennahen Schicht in der Atmosphäre über die Reynoldszahl Re < Rec ≈ 1000: Mit Re = u·l/ν sowie v = 10-5 m2/s und u = 1 m/s ergibt sich l ≈ 10 mm. → Die bodennahen Schichten sind zwar sehr dünn, aber entscheidend z. B. für den Gasaustausch zwischen Boden und Atmosphäre. Grenzschichten der Atmosphäre Atmosphärenchemie WS 2005/06 Dr. R. Tuckermann Windrichtung in Bodennähe Atmosphärenchemie WS 2005/06 Dr. R. Tuckermann Infolge der Reibung weicht die Windrichtung in den bodennahen Schichten (Prandtl-Schicht) von derjenigen in der freien Atmosphäre (geostrophische Windrichtung ab. Kräftediagramme und Zirkulationsmuster (für N-Halbkugel): a) ohne Reibung (geostrophische Näherung) b) mit Reibung (Prandtl-Schicht) Abbau des Druckgradienten!! Ekman-Spirale Atmosphärenchemie WS 2005/06 Dr. R. Tuckermann Ekman-Schicht: Übergang zwischen geostrophischem Wind und Bodenwind Globale atmosphärische Zirkulation Atmosphärenchemie WS 2005/06 Dr. R. Tuckermann Antrieb: Breitenabhängige Strahlungsbilanz • Äquator-Pol Temperaturgradienten • horizontale Druckgradienten • Geostrophische Winde und Reibung am Boden Erwärmung in den Tropen führt zu Konvektion → Thermische Zirkulationszellen. Coriolis-Kraft verhindert die Bildung von hemisphärischen Zirkulationszellen → Aufteilung in drei Breitenstreifen je Hemisphäre. Thermische Zirkulation Isobaren (p = const.) Isothermen (T = const.) Atmosphärenchemie WS 2005/06 Dr. R. Tuckermann Hardley-Zelle thermische Zirkulation zwischen Tropen und Subtropen Atmosphärenchemie WS 2005/06 Dr. R. Tuckermann Globale troposphärische Zirkulation Atmosphärenchemie WS 2005/06 Dr. R. Tuckermann Druck- und Windverteilung im Juli Atmosphärenchemie WS 2005/06 Dr. R. Tuckermann Nordhalbkugel: Erwärmung über den Kontinenten → aufsteigende Luft → Tiefdruckgebiete Druck- und Windverteilung im Januar Atmosphärenchemie WS 2005/06 Dr. R. Tuckermann Nordhalbkugel: Abkühlung über den Kontinenten → abfallendede Luft → Hochdruckgebiete Horizontaler Transport Atmosphärenchemie WS 2005/06 Dr. R. Tuckermann Typische Zeitskalen für den horizontalen Transport von Luftmassen in der Troposphäre. Der Transport entlang Breitengraden ist am schnellsten, sodass Luft für eine Umkreisung der Erde nur wenige Wochen benötigt. Der Transport entlang Längengraden ist langsamer, und Luft in mittleren Breiten benötigt für einen Austausch mit polarer oder tropischer Luft jeweils ein bis zwei Monate. Der interhemisphärische Transport ist wegen der als Barriere wirkenden innertropischen Konvergenzzone noch langsamer, sodass die typische Austauschzeit für Luft zwischen Nord- und Südhemisphäre etwa ein Jahr beträgt. Vertikaler Transport Atmosphärenchemie WS 2005/06 Dr. R. Tuckermann Typische Zeitskalen für den vertikalen Transport von Luftmassen. Die typische Durchmischungszeit innerhalb der planetaren Grenzschicht beträgt etwa 1-2 Tage, die vom Erdboden in die mittlere Troposphäre etwa 1 Woche und für die gesamte Troposphäre bis zur Tropopause etwa 1 Monat. Der Luftaustausch zwischen Troposphäre und Stratosphäre ist viel langsamer. Troposphärische Luft benötigt im Mittel etwa 5-10 Jahre, um in die Stratosphäre zu gelangen, stratosphärische Luft im Mittel etwa 1-2 Jahre, um in die Troposphäre zu gelangen. Regionale Windsysteme: Tagesperiodische Winde Atmosphärenchemie WS 2005/06 Dr. R. Tuckermann Regionale Windsysteme: Tagesperiodische Winde Atmosphärenchemie WS 2005/06 Dr. R. Tuckermann