FELJC/GOERI@LTAM [email protected] 1 2. Regelstrecken Nicht vergessen: Die Regelstrecke ist der wichtigste Teil des Regelkreises, denn sie ist das Gerät, welches geregelt werden soll. Es ist also sehr wichtig, die Strecke gut zu kennen um den richtigen Regler auszuwählen bzw. um den Regler richtig einzustellen. Außerdem ist es wichtig zu wissen, dass es leicht oder schwer regelbare Strecken gibt. 2.1. Sprungantwort Am wichtigsten ist das zeitliche Verhalten der Strecke. Dieses lässt sich als Sprungantwort einfach erfassen. Hierzu wird die Strecke allein, ohne den Regelkreis untersucht. Auf den Eingang gibt man eine sprunghafte Veränderung der Stellgröße Y (z.B. von 0 auf 100%, es kann bei empfindlichen Strecken aber auch eine kleine Änderung um den Arbeitspunkt sein), und beobachtet mit Hilfe eines Schreibers oder Oszilloskops die Reaktion der Regelgröße X am Ausgang. y Regelstrecke x Oszilloskop Schreiber 2.2. P- Strecken und I-Strecken Die Auswertung der Sprungantwort erlaubt eine erste Einteilung der Regelstrecken: a) P-Strecken (Strecken mit Ausgleich) Bei diesen nimmt die Regelgröße X anfangs zu und stabilisiert sich dann auf einem Endwert X∞ = X(t→∞). Beispiele: Lampen, Motoren, Druckbehälter, Heizungen..... b) I-Strecken (Strecken ohne Ausgleich) Hier nimmt die Regelgröße immer weiter zu, ohne einen stabilen Endwert zu erreichen. Werden diese Strecken nicht geregelt, so muss durch Schutzmechanismen (z.B. Endschalter, Abschalten der Stellgröße) ein Schaden vermieden werden. Es liegt auf der Hand, dass I-Strecken schwieriger zu regeln sind als P-Strecken. Beispiele: Füllstandsbehälter, Spindelantriebe in Maschinen. Beispiele von P-Strecken: FELJC/GOERI@LTAM [email protected] 2 1.6 1.4 1.2 X 1 0.8 0.6 0.4 0.2 0 0 2 4 6 8 10 6 8 10 t/s Beispiele von I-Strecken: 60 50 X 40 30 20 10 0 0 2 4 t/s 2.3. P-Strecken (Strecken mit Ausgleich) 2.3.1. Proportionalbeiwert KPS Der Proportionalbeiwert kann aus der Sprungantwort ermittelt werden. Er ist das Verhältnis der Regelgrößenänderung x zur Stellgrößenänderung y, für den stabilen Zustand bei t→∞. x ∆X K PS = = y t→ ∞ ∆ Y t→ ∞ x = Änderung der Regelgröße y = Änderung der Stellgröße Bemerkung: Die Definition des Proportionalbeiwertes geht von einer exakten Proportionalität zwischen x und y aus. Leider ist dies nicht immer der Fall. In diesem Fall kann es sein, dass sich bei unterschiedlichen Arbeitspunkten ein unterschiedlicher KPS-Wert ergibt. FELJC/GOERI@LTAM [email protected] 2.3.2. P0-Strecken (P-Strecken nullter Ordnung, verzögerungsarme Strecken) Bei diesen Strecken gibt es keine Speicherelemente, keine Verzögerungsglieder. Die Regelgröße folgt praktisch unverzögert der Stellgröße Beispiel 1: Elektrische Glühbirnen X = Beleuchtungsstärke E Y = Lampenspannung Beispiel 2: Transistor als Stellglied X = Kollektorstrom Y = Basisstrom Beispiel 2: Durchflussregelstrecke Y X = Durchfluss Q Y = Schieberposition Schieber Q X Y y Y1 Y2 t Ursache =Stellgröße =Eingangsgröße =Schieberstellung X x X1 X2 t W irkung =Regelgröße =Ausgangsgröße =Durchfluss P0-Strecken haben nur eine Kenngröße, den Proportionalbeiwert KPS. Bemerkung: In Wirklichkeit hat natürlich jede Strecke eine Verzögerung. Wir sprechen von P0-Strecken, wenn diese für die uns interessierenden Zeitmaßstäbe vernachlässigbar klein ist. 3 FELJC/GOERI@LTAM [email protected] 4 2.3.3. Totzeitglieder Beispiel : Förderband Y Y = zugeführte Menge pro Sekunde X = abgegebene Menge pro Sekunde X Wegen des Transportvorgangs besteht eine Verzögerung, die Totzeit Tt, bis das Material am Ende des Bandes ankommt. Y t X Tt t Totzeitglieder haben zwei Kenngrößen, den Proportionalbeiwert KPS und die Totzeit Tt. FELJC/GOERI@LTAM [email protected] 5 2.3.4. PT1 - Strecken (P-Strecken mit Verzögerung erster Ordnung) Verzögerungen entstehen immer dann, wenn in der Strecke ein oder mehrere Speicherglieder (Verzögerungsglieder) enthalten sind. Bei einer P-Strecke erster Ordnung (d.h. mit einem Verzögerungsglied) ändert sich die Regelgröße bei einer sprunghaften Stellgrößenänderung (oder Störung) sofort mit einer bestimmten Anfangsgeschwindigkeit. Mit der Zeit wird die Änderungsgeschwindigkeit immer kleiner, bis nach längerer Zeit ein neuer Endwert erreicht wird. Beispiel 1: Druckbehälter bar PA Behälter Speicher PE Der Anfangswert des Drucks pA im Behälter sei gleich dem äußeren atmosphärischen Druck. Wird das Ventil sprunghaft geöffnet, so wird durch einströmende Druckluft zwar der Druck im Behälter sofort ansteigen, aber erst nach einer gewissen Zeit (abhängig von Ventilöffnung und Behältervolumen) den Endwert pA= pE erreichen. Die Druckanstiegsgeschwindigkeit ist am Anfang am größten, weil der volle Eingangsdruck pE zur Verfügung steht. Je größer aber der Innendruck pA erreicht wird, umso weniger steht als treibende Druckdifferenz pE-pA noch zur Verfügung, wodurch sich der Druckanstieg immer mehr verlangsamt. Y y t X TS 100% 63,2% Exponentialkurve X (e-Funktion) 0% t FELJC/GOERI@LTAM [email protected] 6 Die Kurve für X ist eine Exponentialkurve. Legt man an den Anfang der Exponentialkurve, d.h. da wo die Änderungsgeschwindigkeit der Regelgröße am größten ist, eine Tangente, so schneidet diese auf der Verlängerung des Endwerts ein Stück ab, das man als Zeitkonstante TS bezeichnet. TS bestimmt also den Verlauf der Sprungantwort. TS ist ein Maß für die Geschwindigkeit, mit welcher der neue Gleichgewichtszustand der Regelgröße erreicht wird. Die Zeitkonstante ist also die Zeit, nach der eine exponentiell verlaufende Größe ihren Endwert erreichen würde, wenn sie mit der anfänglichen Änderungsgeschwindigkeit weiter ansteigen würde. Die Zeitkonstante ist auch die Zeit, nach der bei einer exponentiell verlaufenden Größe 63,2% vom Endwert erreicht sind. Theoretisch erreicht eine Exponentialkurve ihren Endwert erst nach unendlich langer Zeit, praktisch aber mit guter Näherung schon nach 5TS. Formeln: Ansteigende Exponentialkurve: x = x∞ ⋅ (1 − e t Ts − Abfallende Exponentialkurve: x = x0 ⋅ e ) − t Ts Beispiel: u = 6V ⋅ (1 − e − t 3s ) i = 5mA ⋅ e 7 6 6 5 5 4 I/mA u/V 4 3 − t Ts 3 2 2 1 1 0 0 0 2 4 6 t/s 8 10 0 2 4 6 t/s 8 10 FELJC/GOERI@LTAM [email protected] 7 Beispiel 2: RC-Glied R = 100kΩ C = 1µF R u1 KPS = ?, TS = ? u2 = f(u1, t) = ? u2 C Beispiel 3: Hochlaufkennlinie eines Motors Der Motor wurde an U = 230V eingeschaltet. KPS = ?, TS = ? Motorhochlaufkennlinie 3500 3000 n/min-1 2500 2000 1500 1000 500 0 0 2 4 6 8 10 800 1000 t/s Beispiel 4: Elektrischer Heizofen Temperaturverlauf nach dem Einschalten mit U = 24V: 80 70 Temp/°C 60 50 40 30 20 10 0 0 200 400 600 t/s KPS = ?, TS = ? υ = f(t) = ? FELJC/GOERI@LTAM [email protected] 2.3.5. PTn-Strecken (P-Strecken mit Verzögerung höherer Ordnung) Vor allem bei Temperaturstrecken hat man es oft mit vielen verbundenen Wärmespeichern mit unterschiedlichen Zeitkonstanten zu tun. Dabei muss sich ein Teil erst einmal aufheizen ehe die Wärme sich weiter ausbreiten kann. Im Unterschied zu echten Totzeiten geschieht dies aber nicht abrupt, sondern kontinuierlich. Beispiel: Tu = Verzugszeit Tg = Ausgleichszeit Eine PTn-Strecke hat drei Kennwerte (Parameter): KPS, Tu und Tg. Zur Ermittlung von Tu und Tg wird eine sogenannte Wendetangente an die Kurve angelegt. Diese schneidet die Horizontalen für minimalen und maximalen Wert von X. Je größer die Verzugszeit im Vergleich zur Ausgleichszeit ist, desto schwieriger ist es, die Strecke zu regeln, denn jede Änderung der Stellgröße wirkt sich erst verspätet aus. Die Regelbarkeit einer Strecke wird durch das Verhältnis Tg/Tu (bzw. TS/Tt) gegeben: Für Tg/Tu ≥ 10 : Strecke gut regelbar Für Tg/Tu ≈ 6 : Strecke noch regelbar Für Tg/Tu ≤ 3 : Strecke schwer regelbar Das Verhältnis Tg/Tu (bzw. TS/Tt) bestimmt den Schwierigkeitsgrad der Regelung. 8 FELJC/GOERI@LTAM [email protected] 9 Modellierung einer PTn-Strecke: Um die Strecke am PC oder elektronisch zu simulieren, kann man sie aus einzelnen PT1Gliedern mit gleicher Zeitkonstante zusammensetzen. Diese Methode funktioniert nur näherungsweise, da sich immer nur ganzzahlige Werte von n erreichen lassen. Die Dimensionierung geschieht mit folgender Tabelle: n 2 3 4 5 6 7 8 9 10 Tu/TS 0,28 0,81 1,42 2,10 2,81 3,55 4,31 5,08 5,87 Tg/TS 2,72 3,70 4,46 5,12 5,70 6,23 7,71 7,16 7,59 Tg/Tu 9,65 4,59 3,13 2,44 2,03 1,75 1,56 1,41 1,29 Tu/Tg 0,10 0,22 0,32 0,41 0,49 0,57 0,64 0,71 0,77 Bemerkung: Wenn diese Methode versagt, kann man versuchen, PT1-Strecken mit unterschiedlicher Zeitkonstante zusammenzuschalten, oder ein PT1-Glied mit einem Totzeitglied kombinieren. FELJC/GOERI@LTAM [email protected] 10 2.3.6. Schwingfähige PT2-Strecken Wenn eine Regelstrecke zwei Energiespeicher unterschiedlicher Art enthält, kann es zu Schwingungen kommen. Die Energie pendelt dann zwischen den beiden Energiespeichern hin und her. Typische Beispiele sind: R m Masse-Feder-System Praktisches Beispiel: Federung eines Autos, die Stoßdämpfer müssen Energie absorbieren, um die Schwingungen zu dämpfen.) L C Schwingkreis Die Energie pendelt zwischen Spule (magnetische Feldenergie) und Kondensator (elektrische Feldenergie) hin und her. Die Verluste werden durch den Widerstand dargestellt. Wie stark die Schwingung ist, und ob sie überhaupt zustande kommt, hängt von den Energieverlusten (der Dämpfung d ) ab. d > 1: aperiodisches Verhalten, keine Schwingung d = 1: aperiodischer Grenzfall, gerade eben keine Schwingung d < 1: periodischer Fall, gedämpfte Schwingung wenn d > 0 d = 0: periodischer Fall, ungedämpfte Schwingung FELJC/GOERI@LTAM [email protected] 11 Der Dämpfungsfaktor d lässt sich aus dem ersten und zweiten Überschwinger der Sprungantwort bestimmen: d= 1 1 ln x m2 / x m1 2 Dabei ist xm1 die Überschwingweite über dem Endwert beim ersten Überschwingen und xm2 die Überschwingweite unter dem Endwert beim zweiten Überschwingen. Im ungedämpften Fall würde das System mit der Resonanzfrequenz f0 schwingen. Diese 1 berechnet sich für ein elektrisches System als f 0= 2 LC Im gedämpften Fall liegt die Schwingfrequenz etwas tiefer bei f = f 0⋅ 1−d 2 FELJC/GOERI@LTAM [email protected] 12 2.3.7. Aufgaben zu P-Strecken Gebe jeweils die Art der Strecke und die Parameter (Kennwerte) an. Entwerfe in BORIS (WINFACT) ein Simulationsmodell. Info und Download der Demoversion hier: http://www.kahlert.com/web/download.php#borisIntro_download Aufgabe 2.1 Ein Relais 5V/50mA schaltet einen Verbraucher mit einer Leistung von 30W. Es dauert 50ms, bis der Kontakt schließt. Aufgabe 2.2 Hochlaufkennlinie Samalux-Motor 1200 1000 n[1/min] 800 600 400 200 0 0 50 100 150 200 250 t/ms Die Kennlinie wurde mit einer Motorspannung von 12V gemessen. Aufgabe 2.3 Temp/°C Lötkolbentemperatur 450 400 350 300 250 200 150 100 50 0 0 50 100 150 t/s Es handelt sich um einen netzbetriebenen Lötkolben. 200 250 300 FELJC/GOERI@LTAM [email protected] 13 Temperatur/°C Aufgabe 2.4 160 140 120 100 80 60 40 20 0 0 2 4 6 8 10 t/min Der Ofen mit der obigen Sprungantwort nimmt eine elektrische Leistung von 5kW auf. Aufgabe 2.5 500 450 400 Temperatur/°C 350 300 250 200 150 100 50 0 0 50 100 150 200 250 t/s Die obige Sprungantwort wurde bei einer Stellgröße (Steuerspannung einer Phasenanschnittsteuerung) von 8V gemessen. Aufgabe 2.6 Welches Verhalten haben folgende Regelstrecken? Welche Einheit hat der Proportionalbeiwert? a) Leistungs-MOSFET mit Y=UGS, X = ID b) Getriebe eines Motors c) Autoreifen beim Aufpumpen d) Wasserbehälter der durch einen Tauchsieder aufgeheizt wird. 300 FELJC/GOERI@LTAM [email protected] 14 Aufgabe 2.7 Für eine PT1-Regelstrecke mit Ts = 10s soll ein elektronisches Modell entworfen werden. Stellgröße und Regelgröße sollen normiert betrachtet (0...100%) und durch Spannungen von 0 bis 10V dargestellt werden. a) Gebe eine geeignete Schaltung an. b)Die Sprungantwort wird aufgenommen. Welchen Wert hat die Ausgangsspannung 3s nach dem Einschaltmoment. c) Wie lange dauert es, bis die Regelgröße praktisch ihren Endwert erreicht hat? Aufgabe 2.8 An ein RC-Glied wird ein Sprungsignal angelegt mit einer mit einer Anfangsspannung von 10V und einer Endspannung von 0V. R=10kΩ; C=10µF R UG C UC G Berechne die Spannung UC zum Zeitpunkt t=40ms Aufgabe 2.9 Beim Aufladen eines Kondensators über einen Widerstand R von 10kΩ misst man nach 1s eine Spannung von 8,8V. Die Aufladespannung beträgt 10V. b) Berechne die Zeitkonstante der Strecke c) Berechne die Kapazität des Kondensators Aufgabe 2.10 Bei der sprunghaften Verstellung eines Gaszufuhrventils von 40% auf 70% steigt die Innentemperatur eines Ofens, nach Ablauf einer echten Totzeit, exponentiell von 130°C auf 220°C an. Nach Ablauf der Totzeit von 1 min 25 s ist die Ofentemperatur in 7 min auf 172°C gestiegen. b) Ermittle rechnerisch und graphisch die Zeitkonstante dieser P-Strecke erster Ordnung mit Totzeit. c) Rechne den Proportionalbeiwert und die Regelbarkeit. Wie viele Minuten nach Ventilverstellung ist die Temperatur von 200°C praktisch erreicht?