IM SPIEL UMS BESTE ALLER LEBEN VIER FRAGEN AN DIE REGISSEURIN SCHIRIN KHODADADIAN ZU IHRER INSZENIERUNG „NUR NACHTS“ VON SIBYLLE BERG IN DER BLUEBOX Nach der Uraufführung von Sibylle Bergs Stück „Die goldenen letzten Jahre“ am Theater Bonn inszenierst Du nun die deutsche Erstaufführung „Nur Nachts“. Hast Du eine besondere Vorliebe für Sibylle Bergs gleichermaßen witzige wie zynische Texte? Vorliebe wäre beinahe etwas zu geschmäcklerisch formuliert, das Vor oder auch das Danach sind immer zwei Möglichkeiten, die das Jetzt von Frau Berg nur in eine andere Welt versetzen. Die Tatsache, dass das Leben zynisch und grotesk von sich selbst erzählen will und dabei nicht um manche Banalität herumkommt, ist das, was mich in ihren Stücken, aber auch in ihren Prosatexten immer wieder berührt und gleichzeitig zur Weißglut treibt. Der Widerstand gegen einen Text lässt dich immer verliebter werden und so geht es der Autorin auch oft mit ihren Figuren. Am besten ließe sich dieser etwas hybride Zustand mit den Worten Pias, einer Figur aus ihrem Roman „Die Fahrt“ beschreiben: „Es hat ja Raum für vieles in unserem Leben, nebeneinander, übereinander, Parallelwelten. Solange sie nicht böse werden, können sie anders sein bis zum Umfallen. Manche wollen an das Erhabene glauben, wenn es ihnen hilft bei ihrer Art Lebenstheater, bitte. Der Mensch ist immer kleiner als das, was er kreieren kann. Die Welt, die so ein hässlicher Ort ist hinter den Fassaden oder auch schon davor. Da kann man sich doch nicht in grüne Auen flüchten und von der Schönheit der Erde reden. Kann man doch. Wie gehen wir würdevoll unter, zusammen mit diesem Müllhaufen, den wir geschaffen haben? Mit diesen Geschwüren von Häusern. Nicht nur in Indien oder Afghanistan, wir sitzen ja mittendrin. Diese Lieblosigkeit, in der Deutschland zurechtgezimmert wurde, die ist da doch, die atmen wir ein, jeden Tag; selbst in Bayreuth. […] Vielleicht ist Totsein wirklich nicht die schlechteste Alternative.“ (Sibylle Berg: Die Fahrt. Roman, S. 284f) Nihilismus steht da in einer direkten Linie zu einer unstillbaren Sehnsucht nach dem Dasein im Glück, in einem Paradies, das das Happy End zur Existenzgrundlage erklärt. Einem Ort, an dem das Geschichtenerzählen vom Leben nicht zu unterscheiden ist. Lebenstheater eben. Oder wie René Polle sch sagt: „Ich wünschte, ich müsste nicht immer selbst leben, das würde jemand anderer für mich machen, dann könnte ich in ein Theaterstück gehen.“ » SEHNSUCHT NACH DEM DASEIN IM GLÜCK « Was interessiert Dich besonders an dem Stück „Nur Nachts“? Wie in all ihren Texten erzählt Frau Berg von Outlaws, Ungeliebten, Hässlichen, Bedeutungslosen. In „Nur Nachts“ erzählt sie von der bürgerlichen Großsehnsucht, von der sich sicher keiner freisprechen kann: einen Menschen zu finden, der einen aushält. Von Liebe ist gar nicht mehr die Rede. Sie thematisiert den Individualisierungswahn, den Selbstverwirklichungszwang, dem wir spätestens seit den 70er Jahren auf d en Leim gehen. Was ist ein Ich ohne das Andere, den Anderen, das Gegenüber oder einen kritischen gesellschaftlichen Zusammenhang, der nicht ausschließlich der Selbstbespiegelung dient? Berg schafft dafür in diesem Text eine besondere Dramaturgie, die einer Art Beziehungsgenesis gleich kommt: 6 Tage, 6 Nächte und am 7. Tag schaut sich der Geistermeister dann sein Werk an … Denn hier gibt es ja nicht nur, wie in vielen ihrer anderen Stücke, Tiere, die die Ereignisse maßgeblich vorantreiben, sondern vor allem 2 Geister, nämlich ihre Ängste, heraufbeschworen von der großen allumfassenden Einsatzzentrale, die noch an „alte Werte“ glaubt, wie „Klassenzugehörigkeit, Gehorsam, Unzufriedenheit und Krebs“. In diesem Irrsinn zwei Menschen auf ihrem Weg durch alle Form en von alltäglichen Klischee-Horrorszenarien zu begleiten, macht sehr viel Spaß. -2- -2Mit unserem Spielzeitmotto „Paradiesische Zustände“ fragen wir nach heutigen Vorstellungen vom Paradies, seinen Verlockungen und Instrumentalisierungen. Haben Sibylle Bergs Fi guren Peter und Petra aus „Nur Nachts“ ihr Höllendasein überwunden oder wie schätzt Du ihre Aussicht auf paradiesische Zustände ein? Sie sind namentlich vom Schicksal ge-zeichnet, zwei Felsen in der Brandung. Und am Schluss steht die Himmelspforte. Heute. Wohin sich die Geister morgen aufmachen, daran darf man allerdings nicht denken. Himmels- und Hölleninvasionen. Frau Berg kann beides. „Nur Nachts“ ist eine BlueBox-Produktion. Wie gehst Du mit der besonderen Bühnensituation eines Studios um? Gerade für diesen Text ist der neue Raum im Schauspielhaus ein Geschenk. Die Guckkastensituation lässt sich zugunsten einer flexiblen Raumbespielung einfach auflösen. So haben wir die Chance, mitten in den Wohnungen der beiden Glückssucher zu sitzen. Und hängen als heimliche Lauscher direkt am Telefonhörer. Unser Raum ist ein leerer Theaterraum, der nach und nach von der Geschichte bevölkert wird. Im Spiel ums beste aller Leben. Die Fragen stellte Horst Busch. SCHIRIN KHODADADIAN Regie 1969 in Bergisch Gladbach geboren, studierte nach dem Abitur Germanistik und Französisch an der Universität Münster. Mit ihrer Inszenierung „Trainspotting“ von Enda Walsh am Theater Ingolstadt (2002) wurde Schirin Khodadadian bekannt. Für ihre Inszenierung von Theresia Walsers Stück „So wild ist es in unseren Wäldern schon lange nicht mehr“ am Staatstheater Kassel bekam sie 2005 den Förderpreis für Regie der Deutschen Akademie für Darstellende Künste. Die Zusammenarbeit mit der Autorin Theresia Walser setzte sie mit der Uraufführung „Die Liste der letzten Dinge“ am Bayrischen Staatsschauspiel und der Uraufführung des Stückes „Morgen in Katar“ am Staatstheater Kassel fort. Weitere Regiearbeiten sind u. a. „Woyzeck“ am Theater Ingolstadt, „Endstation Sehnsucht“ am Schauspiel Essen, „Die Räuber“, „Blackbird“, „Maria Stuart“, UA „Robert Redfords Hände Selig“ am Staatstheater Kassel sowie DSE „Peepshow“ und UA „Die goldenen letzten Jahre“ am Theater Bonn.Die Inszenierung „Nur Nachts“ von Sibylle Berg ist Khodadadians erste Regiearbeit in Nü rnberg.