NachSpielPreis 2014 für „Eine Schneise“ von Händl Klaus in der Inszenierung von Stefan Otteni am Staatstheater Nürnberg Laudatio der Jurorin Barbara Behrendt Guten Abend meine Damen und Herren, wir haben es soeben von Holger Schultze gehört: Neben Neuentdeckungen pflegt der Heidelberger Stückemarkt die Nachhaltigkeit. Zum dritten Mal wird in diesem Jahr der NachspielPreis vergeben – ein Preis, bei dem ein Kurator (in diesem Fall Jürgen Berger) drei Inszenierungen von „fast neuen“ Stücken auswählt, die nicht zum ersten, sondern zum zweiten oder dritten Mal auf der Bühne zu sehen sind. Das ist deshalb so wichtig, weil auch das Theater ein Betrieb ist, der nach Frischfleisch giert und mit dem marktschreierischen Wort „neu“ bzw. „Uraufführung“ Kasse oder viel mehr: Presse macht. Eine Zweitinszenierung schert sich nicht um diese Öffentlichkeit, sondern will vor allem seinem Publikum mit dem Stück etwas erzählen. Das verdient eigentlich auch publizistische Aufmerksamkeit, erhält sie aber in der Regel nicht. Ausgezeichnet werden soll mit dem Heidelberger NachspielPreis vor allem die Inszenierung – nicht das Stück. Unter den drei vorausgewählten Arbeiten hatte ich mich als Jurorin nun für eine zu entscheiden. Diese Inszenierung wird fürs nächste Jahr wiederum zu einem Gastspiel zu den Mülheimer Theatertagen eingeladen. Nominiert war Hakan Savaş Mikans Inszenierung „Schwimmen lernen“, ein Stück von Marianna Salzmann, in dem die Liebesgeschichte der jungen Felicia erzählt wird, die sich zwischen ihrem Mann Pep und der aufregend fremden Lil entscheiden muss. Die Uraufführung fand am Theater Heidelberg statt; Mikan hat „Schwimmen lernen“ nun am Gorki Theater Berlin mit entschiedenem Mut zum großen Gefühl und viel Musik als „Lovesong“ inszeniert. Nominiert war auch Lukas Bärfuß’ Stück „20 000 Seiten“ in der Regie von Burkhard Kosminski, den Sie hier als Intendant des Mannheimer Nationaltheaters ja gut kennen. Er hat die Deutsche Erstaufführung am Staatstheater Dresden besorgt: Bärfuß’ hypothetische Versuchsanordnung, bei der dem Träumer Tony 25 Bücher über die politischen Verwicklungen der Schweiz im Zweiten Weltkrieg erst fast den Schädel einschlagen und ihm dann buchstäblich nicht mehr aus dem Kopf gehen, inszeniert Kosminski als humorig-witziges Stationendrama, das an Medienkritik ebenso wenig spart wie daran, die Verantwortung für unsere historische Vergangenheit zu thematisieren. Die dritte Nominierung galt Stefan Ottenis Inszenierung des Musikstücks „Eine Schneise“ von Händl Klaus am Staatstheater Nürnberg – ein böses Märchen, das der Regisseur in dieser ebenfalls Deutschen Erstaufführung fast musikfrei inszeniert, ohne, das ist das Erstaunliche, ihm etwas von seiner Musikalität zu nehmen. Im Wald entspinnt sich diese rätselhafte Geschichte um eine Mutter, ihren Sohn und einen alten Imker, die – nach einem von wem auch immer gelegten Brand – vom Inspektor observiert werden. Es ist ein stinkender, todbringender Wald – so unheimlich wie die Begierden, die archaischen Triebe, die finstere Vergangenheit und die grausamen Lüste seiner Bewohner. Und so unentschlüsselbar wie die Triebnatur ist auch Händl Klaus’ amoralische Kriminal-, Identitäts- und Familiengroteske. Stefan Otteni stellt sie in einen atmosphärisch verdichteten Kunstraum voll Brandgeruch und gelegentlicher düsterer Töne. Die Figuren muss und will er uns gar nicht erklären: Sie sind Neandertaler, Lustobjekte, Mörder, Kinder, Monster, Projektions-, Psycho-, Witzfiguren – und Sprachakrobaten. Die vier Schauspieler spielen sich, ganz wie im Stücktext, voller Witz und Ironie die einzelnen Worte zu, die Rollen verzahnen sich, verhaken, verstricken, beziehen und vereinen sich. Der rhythmische Sensus, das „Takt-Gefühl“ von Stefan Otteni versetzen Händl Klaus’ Silben in Klang. Die konsequente Entscheidung, das Musikstück zwar von seiner Musik, aber nicht von seiner Rhythmik zu befreien, macht aus Händl Klaus’ „Schneise“ ein neues, ein starkes, ein unbedingt nachspielbares Stück. Sie haben es vielleicht bemerkt: Der NachspielPreis 2014 geht an Stefan Ottenis Inszenierung „Eine Schneise“ von Händl Klaus vom Staatstheater Nürnberg. Herzlichen Glückwunsch.