Artikel_Das Ende der Antibiotika

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Das Ende der Antibiotika
Von Kai Kupferschmidt
Das „Superbakterium“ NDM–1 ist noch selten. Aber
es zeigt: Das Zeitalter der Antibiotika könnte bald
vorbei sein
Anne Miller war der Anfang einer Ära. Im März 1942 lag sie
sterbend in einem Krankenhausbett in den USA. Sie hatte sich
mit Streptokokken infiziert und große Mengen der
kugelförmigen Keime waren in ihr Blut gelangt. Wenige
Monate vorher wäre sie noch sicher gestorben. Aber Millers
Ärzten gelang es, ein damals ganz neues experimentelles
Medikament zu erhalten: Penicillin. Über Nacht nahm Millers
Fieber ab, ihr Zustand stabilisierte sich, sie wurde wieder
gesund. Das Zeitalter der Antibiotika hatte begonnen.
Miller starb 1999 im Alter von 90 Jahren. Elf Jahre später ist
auch ein Ende der Ära absehbar, dem sie ihr langes Leben
verdankte. Immer weniger Bakterien lassen sich mit den
bewährten Medikamenten besiegen. Der Welt gehen die
Antibiotika aus und viele Forscher warnen vor einer Zeit, in
der Ärzte wieder hilflos zusehen müssen, während Menschen
an einfachen Infekten zu Grunde gehen. In Fachzeitschriften
häufen sich alarmierende Artikel. „Wir sind an einem Punkt
angelangt, der so furchterregend ist wie die Zeit vor den
Antibiotika“, schreiben etwa Cesar Arias und Barbara Murray
im „New England Journal of Medicine“. Es sei schwer
vorzustellen, wie Operationen, Transplantationen und die
Behandlung von HIV-Patienten ohne wirksame Antibiotika
aussehen sollten.
Die Warnung ist nicht neu, aber die Bedrohung ist längst
Realität geworden. Zu Beginn der 90er Jahre ließ sich der
Erreger Staphylococcus aureus fast immer mit dem
Antibiotikum Methicillin behandeln. Inzwischen ist das
Bakterium bei jeder zweiten Infektion in amerikanischen
Krankenhäusern resistent gegen das Antibiotikum. Jedes Jahr
infizieren sich dort 94 000 Menschen mit methicillinresistenten Stämmen von Staphylococcus aureus (MRSA), 19
000 sterben daran. Das sind, wie „Lancet“ im vergangenen
Jahr vorrechnete, mehr Tote als durch Aids oder Parkinson
sterben oder ermordet werden. Auch in Deutschland infizieren
sich jedes Jahr etwa 14 000 Menschen im Krankenhaus mit
MRSA. Verlässliche Todeszahlen gibt es für Deutschland nicht.
Patienten mit MRSA sterben auch deshalb eher, weil das
Antibiotikum, das sie zuerst bekommen, häufig nicht wirkt und
so wertvolle Zeit verloren geht. Immerhin gibt es noch einzelne
Antibiotika, die gegen MRSA wirken und im Jahr 2000 kam
mit Linezolid sogar eine neue Waffe auf den Markt.
Die größte Gefahr kommt inzwischen aus einer anderen
Richtung. Die Welt der Bakterien lässt sich durch eine einfache
Färbung, die der Däne Hans Christian Gram entwickelt hat, in
zwei Klassen teilen: Die einen haben eine dicke äußere Schicht
aus dem Eiweiß Murein und färben sich blau (grampositiv). Zu
ihnen gehört etwa MRSA. Die Zellwand gramnegativer
Bakterien ist anders aufgebaut, darum bleiben sie farblos.
Lange Zeit schienen die Keime auch im übertragenen Sinne die
farblosen zu sein. Schlagzeilen machten Staphylokokken,
Streptokokken oder Meningokokken. Kaum jemand kannte
Keime wie Pseudomonas aeruginosa oder Klebsiella
pneumoniae.
Mit NDM-1, vom Boulevard zum „Todesbakterium“ erklärt,
sind die gramnegativen Bakterien nun ins Bewusstsein der
Öffentlichkeit gedrungen. NDM-1 ist ein Gen, das in
verschiedenen Keimen auftauchen kann und seinen Träger,
meist Klebsiellen, gegen fast alle Antibiotika resistent macht.
Solche Keime sind unter anderem in Deutschland, England
und Schweden nachgewiesen worden. In Belgien haben sie
bereits im Juni einen Mann getötet. In Pakistan, Indien und
Bangladesh sind sie offenbar weit verbreitet.
Die Panikmache der Boulevardzeitungen ist dennoch Unsinn.
Bisher sind hierzulande nur vier Fälle entdeckt worden.
„Weniger als jeder tausendste Klebsiella-Keim dürfte dieses
Resistenzgen tragen“, sagt Martin Kaase vom Nationalen
Referenzzentrum (NRZ) für gramnegative Krankenhauserreger
in Bochum. Die Wahrscheinlichkeit, sich mit diesem Erreger
zu infizieren, ist also äußerst gering. Andere resistente Erreger
sind ebenso gefährlich aber deutlich häufiger.
Angst macht nicht alleine NDM-1, sondern der Trend, für den
das Gen steht. Denn die Resistenzen bei gramnegativen
Bakterien nehmen stetig zu – und im Gegensatz zu den
grampositiven Bakterien gibt es auch keine neuen
Medikamente. „In den nächsten fünf bis zehn Jahren wird es
wohl keine neuen Antibiotika gegen diese Keime geben“, sagt
Kaase.
Die Entwicklung ist rasant. „In den letzten fünf Jahren ist die
Häufigkeit von MRSA in Deutschland nicht gestiegen“, sagt
Elisabeth Meyer vom Nationalen Referenzzentrum für
Krankenhausinfektionen an der Charité. „Aber resistente
gramnegative Erreger steigen dramatisch an.“ Zunächst
handelt es sich dabei um sogenannte ESBL-Keime. Die
Abkürzung steht für „extended spectrum beta-lactamase“ und
beschreibt die Tatsache, dass die Bakterien gegen Penicilline
und viele andere Antibiotika resistent sind. „Die sind schon
schlimm“, sagt Meyer. „Aber seit Ende der 90er Jahre kommen
etwa aus Taiwan und den USA Berichte von Keimen, die auch
gegen Carbapeneme resistent sind, die letzte große
Antibiotikaklasse, die noch zur Verfügung steht.“
Der jüngste Zuwachs in dieser gefährlichen Gruppe ist NDM-1.
Ein Forscherteam um Timothy Walsh von der Universität
Cardiff hat die Resistenz erst im vergangenen Jahr bei einem
schwedischen Patienten entdeckt, der zu einer
Schönheitsoperation in Indien war. Andere Resistenzen
wurden schon vor einigen Jahren entdeckt. Sie kommen auch
in Deutschland häufiger vor als NDM-1, aber immer noch
selten, wie es in einer Stellungnahme des Robert-KochInstituts (RKI) heißt.
„Aber das ist dasselbe Muster wie bei MRSA“, sagt Wolfgang
Witte vom RKI. „Erst gibt es vereinzelte Fälle, dann nimmt die
Häufigkeit zu und es kann außer Kontrolle geraten.“ Wenn
man den gramnegativen Bakterien jetzt nicht die gleiche
Aufmerksamkeit schenke wie MRSA, dann gehe es bald richtig
los.
Tatsächlich gab es auch hierzulande schon mehrere Fälle, in
denen nur noch ein einziges Antibiotikum wirksam war:
Colistin. Der Wirkstoff ist über 50 Jahre alt. Weil er das
Nervensystem und die Niere stark schädigt, ist das
Antibiotikum eigentlich nur noch für die lokale Anwendung als
Salbe vorgesehen. Doch die Not bringt Mediziner dazu, es
Patienten auch wieder zu spritzen. „Im Zweifelsfall ist der
Patient gerettet, aber die Nieren sind kaputt“, sagt Witte.
Ein Ausweg ist nicht zu sehen. Für die Pharmaindustrie sind
die Bakterienkiller uninteressant. Weil sie nur wenige Tage
eingesetzt werden, sind sie nicht annähernd so profitabel wie
etwa Mittel gegen Bluthochdruck, die ein Patient jahrelang
nimmt. Große Pharmafirmen wie Pfizer, Bayer,
GlaxoSmithKline oder Eli Lilly haben ihre
Antibiotikaforschung längst eingestampft.
Während die Labors dichtmachen, liefert die Natur weiter
Resistenzen. Denn viele Antibiotika sind Naturstoffe. So wie
Alexander Fleming einst das Penicillin in einem Schimmelpilz
entdeckte, fand man auch andere Antibiotika in der Natur. Im
Kampf um Lebensraum und Ressourcen sind sie die
Nahkampfwaffen von Pilzen und Bakterien gegen andere
Bakterien. Als Antwort haben manche der Angegriffenen
gelernt, die ungeliebten Stoffe zu zerstören, sie aus der Zelle zu
schleusen, oder sich mit einer dickeren Schickt gegen sie zu
schützen.
Weil diese Resistenzen häufig auf Plasmide, kleine Genringe
außerhalb des Erbguts, ausgelagert sind, können sie leicht von
Zelle zu Zelle weitergegeben werden. In der Darmflora des
Menschen begegnen sich dann Bakterien aus der Umwelt und
Krankheitserreger und können sich austauschen.
Normalerweise übernehmen die Erreger solche Resistenzen
nicht, weil sie keinen Vorteil bieten. „Nur wenn die Keime
Antibiotika ausgesetzt sind, dann haben die mit Resistenz
einen Überlebensvorteil“, sagt Elisabeth Meyer von der
Charité.
Das größte Problem sei deshalb, dass mit Antibiotika so
sorglos umgegangen werde. „Im Gegensatz zu Holland darf in
Deutschland jeder Arzt oder Zahnarzt Antibiotika
verschreiben. Dort dürfen es nur Spezialisten“, sagt Meyer.
„Manche Leute nehmen das wie Smarties“, kritisiert sie. Dabei
seien Antibiotika weder fiebersenkenden Mittel noch
Schmerztabletten. „Wenn ich unnötig Antibiotika nehme, dann
zerstöre ich ein wirksames Medikament und das ist ein soziales
Gut.“
Einen vernünftigen Umgang mit Antibiotika fordert auch
Martin Kaase vom NRZ: „Antibiotika sollten vermieden
werden, wo es geht und breit wirksame Antibiotika erst recht.“
Auch der Einsatz von Antibiotika in der Tierzucht trage zu dem
Problem bei. Außerdem müssten sich Krankenhäuser auf die
Resistenzen einstellen. „Risikopatienten, die zum Beispiel aus
bestimmten Ländern kommen, müssen schon bei der
Aufnahme untersucht werden“, sagt er.
Es ist allerdings unwahrscheinlich, dass Deutschland allein das
Problem lösen kann. „In Ländern wie den USA und China wird noch
sorgloser mit Antibiotika umgegangen als in Deutschland“, sagt
Meyer. „Das sind Riesenlaboratorien für die Züchtung von
Resistenzen.“
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