Projekte des Zentrums für Konfliktforschung im Rahmen der BMBF geförderten Begleitforschung zum Humangenomprojekt: Ethische rechtliche und soziale Aspekte der Humangenomforschung 2000-2005: Partizipatives Health Technology Assessment von Pränatal- Präimplantationsdiagnostik und Embryonenforschung Studiendesign 1) Extensive Literaturrecherche sozial- und naturwissenschaftlicher und bioethischer Literatur zu PND, PID und Status des Embryos 2) Induktiv-empirischer Zugang: 1) Qualitative (a) narrative, (b) semistrukturierte und 2) repräsentative Befragungen zu Einstellungen und Reproduktionsverhalten von Experten, Patienten/Betroffenen und der Allgemeinbevölkerung 3) Debattenanalyse zu PID und Stammzellforschung in den Medien (Printmedienanalyse), Wahrnehmung der Debatte durch die Bevölkerung und Experten 4) Philosophisch-sozialwissenschaftliche Kohärenz- und Konfliktanalyse, Abduktion: Normkritik, Lösungsvorschläge, weiterführende Hypothesen Stichproben (2001-2005) IVF Paare deutscher und türkischer Herkunft Allgemeinbevölkerung N=1017 Fertile Paare ohne bekanntes Risiko Deutsch Türkisch N=202 N=50 Paare mit bekanntem genetischen Risiko deutscher und türkischer Herkunft Deutsch Türkisch Experten Humangenetiker, Ethiker, Hebammen, Gynäkologen, Pädiater N=879 N=50 N=324 Qualitative Qualitative Interviews Qualitative Interviews mit Hochrisikopaaren mit IVF Paaren Interviews deutscher und Experten aus allen deutscher und türkischer Herkunft 5 Gruppen türkischer Herkunft N=298 + Printmedienanalyse, n=647 Artikel 2000 und 2001 Ergebnisse • Bewertung der Debatte • Beginn menschlichen Lebens, Status des präimplantativen Embryos, (Forschung an Embryonen) • Auffassung zu PND, PID und PKD • Folgenabschätzung • Kohärenzanalyse Bewertung der Debatte um PID und Stammzellforschung Experten ⇒ Insgesamt eher nicht angemessen, am angemessensten für `Skeptiker´ und Ethiker • Repräsentanz Akteure - Unterrepräsentiert: Betroffene Paare>> Bevölkerung>Pädiater Hebammen>Vertreter von Behindertenverbänden - Überrepräsentiert: kirchliche Repräsentanten (>Forscher in Gentechnik) • Kompetenz Akteure - Kompetenz eher hoch: Humangenetiker>Reproduktionsmediziner/Gynäkologen>Genforscher>Ethiker>Pädiater>Betroffene Paare>Behindertenverbände - Kompetenz eher gering: Bevölkerung<kirchl. Repräsentanten<Hebammen< Geisteswissenschaftler <Naturwissenschaftler Beginn menschlichen Lebens Wann beginnt menschliches Leben? IVFPaare Türk. HR Paare Bevölkerung Pädiater Gyn/ Rep Human Heb-geneammen tiker Ethiker Zeugung 12,0 28,0 20,8 34,9 32,7 45,2 62,9 65,5 Nidation 69,4 30,0 46,7 46,4 54,4 37,5 32,0 23,8 4.Monat 15,7 30,0 20,2 11,4 6,1 6,7 1,7 3,0 2,8 3,8 1,4 4,2 Geburt 4,0 5,9 4,8 3,4 Was ist der präimplantive Embryo? IVFPaare Bevölkerung Gyn/ Rep Hebammen Humangenetiker Ethiker Pädiater Zellhaufen,kein spez. Sehutz 9,3 9,6 7,5 2,4 4,8 4,2 3,0 Zellhaufen, spez. Schutz 31,5 31,8 40,1 25,5 27,9 15,5 26,5 Potentieller Mensch 26,9 24,8 25,9 36,7 39,4 42,9 44,6 Menschl. Wesen, Recht auf Leben 21,3 17,0 4,8 11,9 3,8 11,9 10,8 Mensch, voller Würdestatus 2,8 4,4 1,4 8,8 1,0 8,3 4,2 Kein unabhängiger Status 5,6 4,8 16,0 11,0 16,8 6,5 9,7 Der Embryo in der eigenen Reproduktion Bevölke IVF rung Humangenetiker Gyn. Pädia- Ethiter ker Hebammen Mein Kind/ eher mein Kind 38,8 62,0 39,4 40,2 59,6 69,6 76,2 Ein Zellhaufen/ eher ein Zellhaufen 24,6 36,2 56,7 56,5 38,5 25,6 21,8 Auffassungen zu PND und PID PID und Schwangerschaftsabbruch: Wertungswidersprüche? • ESchG §2, Abs. 1: „Wer einen extrakorporal erzeugten oder einer Frau vor Abschluss seiner Einnistung in der Gebärmutter entnommenen menschlichen Embryo veräußert oder zu einem nicht seiner Erhaltung dienenden Zweck abgibt, erwirbt oder verwendet, wird ...bestraft“ • §218a StGB: Abbruch der Schwangerschaft ist rechtswidrig, aber straffrei, wenn - Soziale (12 Wochen, Beratungspflicht) oder `medizinische´ Indikation (Unzumutbarkeit der Geburt des Kindes für die Mutter, keine Beratungspflicht) besteht, Abbruch ist bis zur Geburt möglich Wertungswidersprüche: Experten Zustimmung Gegner PID Befürworter PID Schutz des Embryos in vivo schlechter als in vitro 84,9% 80,1%* 90,9%* PID für Mutter und Kind oft humanere Alternative als Abbruch 79,7% 64,2%* 97,1%* PID weniger problematisch, da geringere Zahl an Eingriffen 68,7% 51,4% 88,3% Konfliktfall nicht vergleichbar, da bei PID SS erst herbeigeführt wird 60,2% 49,7%* 70,9%* PID problematischer, da unter vielen Embryonen selektiert wird 47,9% 53,1%* 39,4%* Ergebnisse der qualitativen Interviews (n=58) • Tiefes Verständnis für Paare, die PND oder PID nutzen wollen (bis auf 1 Interviewpartnerin) • Ambivalenz in der Beurteilung von Behinderungen als Aggravation und Verharmlosung • sozialer Druck wird in zwei Richtungen ausgeübt: - PND/PID anzuwenden - PND/PID nicht anzuwenden Pränataldiagnostik, PID und Schwangerschaftsabbruch: Bevölkerung nicht erwünschtes Geschlecht 11,8 unterdurchschnittl. Intelligenz 21,4 Homosexualität % für PID Zustimmung 15,8 Übergewicht 19,3 Krebs 50,3 Down 77,5 schwere chron. Krankheit 67,7 früher Tod 79,3 0 PND Zulassung 10 PID Zulassung 20 30 PND selbst 40 50 60 Abbruch selbst 70 80 PID selbst 90 PID versus Schwangerschaftsabbruch: Experten - 4,6 0,6 overw eight cancer (+/-) 14,9 Dow n 56,1 44 severe chron. disease = = 41,6 60 35 early death 63,9 0 20 40 PD & Abortion 60 PGD 74,6 80 Wahrscheinlichste reproduktive Option 70 * 66 60 Personen mit aktuellem Kinderwunsch Zielgruppe n=149 Kontrollgruppe n=203 50 40 30 31 33 23 20 * Prozent 17 10 13 Zielgruppe 7 4 0 Verzicht keine PND Adoption Option Kontrollgruppe IvF PND PID 120 100 Zustimmung zur Legalisierung der PID 97 96 94 91 90 88 80 68 67 Ethiker Hebammen 60 40 20 0 Gynäkologen Türk. Hochrisikopaare Humangenetiker deut sche IVFPaare Pädiat er Bevölkerung Folgenabschätzung Divergente Auffassung der Experten • PID wird in den nächsten Jahren zugelassen werden 68,9% (63-80%) • Negative Konsequenzen für Menschen mit Behinderungen: 59% (33-80%) • Positive Konsequenzen für die Reproduktionsfreiheit: 50% (44-63%) und Gentechnologieforschung 73,9% (55-87%) Abschlussbetrachtungen Kohärenzanalyse I • Der generelle Fokus der offiziellen politischen und bioethischen Debatte, die Prioritäten, Involvierung relevanter gesellschaftlicher Gruppen erscheint inadäquat • Die Menschenwürde aller direkt Betroffenen ist bei der Bewertung der IVF/PND/PID von größter Wichtigkeit für alle Experten, die Gesundheit des zukünftigen Kindes und der Mutter ist am relevantesten für Patienten, gefolgt vom Wunsch der Eltern nach einem gesunden Kind, der für Ärzte und Befürworter, nicht aber für Hebammen, Ethiker und Gegner der PID entscheidend ist. • Sozialethische Folgenanbschätzung ist vorwiegend für Gegner der PID prioritär. Kohärenzanalyse II • Der Status des Embryos an sich ist für die Bewertung im Gegensatz zur Debatte von untergeordneter Bedeutung. Die Auffassung zum Status des Embryos ist plural, zweideutig und nicht gemäß der Auffassung /Kategorien des ESchG • Die Legalisierung der PID wird von einer großen Mehrheit aller befragten Gruppen befürwortet- konträr zur Debatte in den Medien und entgegen dem Votum der Enquetekommission von 2002 • Beurteilung der Konsequenzen ist divergent. Am ehesten werden negative Konsequenzen für Menschen mit Behinderungen und positive für Genforschung und Reproduktionsfreiheit antizipiert. • PID/PKD sind wahrscheinliche Option trotz Verbotes der PID für eine beträchtliche Anzahl von Paaren mit bekanntem genetischen Risiko und IVF Paare. Diskussionsvorschläge Der Embryo als Artefakt theoretische Diskussion vs. lebenspraktische Auseinandersetzung • Die PID-Debatte fokussiert auf den Prä-/Embryo als Protagonisten des Geschehens und Ausgangspunkt aller Überlegungen • Konflikte vor und während der Schwangerschaft werden z.Z. ausschließlich mit dem begrifflichen Inventar bürgerlicher Individualrechte erfasst, was zur Konstruktion eines virtuellen Wesens Embryo führt • der Prä-/Embryo wird behandelt wie ein Individuum ohne weitere wesensmäßige Abhängigkeiten • der moralische Status des frühen menschl. Lebens ergibt sich nicht aus intrinsischen Eigenschaften eines zu berücksichtigten Wesens selbst, sondern aus der Relation, in der es zu uns steht Statt eines wissenschaftlich- normativen Essentialismus... und der lebensweltlich unangemessenen Betrachtung des Embryos in seinem eigenen Universum ohne seine Beziehungen... ... sind Überlegungen zu einer relationalen Ontologie von besonderer Bedeutung in dieser Fragestellung Vom Schutz des frei flottierenden Bürgers Embryo... ESchG § 8, Abs. 1: „Als Embryo im Sinne dieses Gesetzes gilt bereits die befruchtete, entwicklungsfähige menschliche Eizelle vom Zeitpunkt der Kernverschmelzung an, ferner jede einem Embryo entnommene totipotente Zelle, die sich bei Vorliegen der dafür erforderlichen weiteren Voraussetzungen zu teilen und zu einem Individuum zu entwickeln vermag.“ StammzellG § 3, Nr. 4: „Als Embryo im Sinne des Gesetzes gilt bereits jede menschliche totipotente Zelle, die sich bei Vorliegen der dafür erforderlichen weiteren Voraussetzungen zu teilen und zu einem Individuum zu entwickeln vermag.“ zum „Schutz der reproduktiven Einheit“ (Wiesemann 2003/2006) von Mutter/Paar und zukünftigem Kind Fazit 1) Der Fokus bioethischer und politischer Debatten sollte sich weniger auf den Embryo und die Befruchtung, als vielmehr auf die Momente der Eizellentnahme und der Reimplantation, sowie eine reale informierte Zustimmung der Eltern/Spender und die Auswirkungen der IVF/PID auf die Gesundheit von Mutter und Kind richten. 2) Ökonomisierung und Eizell- Embryonenspende ohne eine gültige informierte Zustimmung zu jeder Prozedur und Forschung ist hochproblematisch, da die bereits starke Beziehung zum Embryo im 8 Zell Stadium nicht adäquat berücksichtigt wird. 3) Da die Technikfolgenabschätzung zur PID sehr divergent ist, sollten iterative Verfahren, wie eine Delphibefragung folgen. 4) Ein ökonomischer HTA sollte durchgeführt werden, bevor eine Implementierung der PID diskutiert wird. 5) Vor einer neuen Gesetzesinitiative sollte nochmals eine breite Diskussion auch durch das Parlament gefördert werden, die insbesondere Patienten, Vertreter von Behindertenverbänden und die Allgemeinbevölkerung mit einbezieht Methodologie kontextsensitiver Ethik (Richter und Krones, 2005) ⇒Einen transdisziplinären Ansatz normativ-ethischer Analyse ⇒Die Auffassung von ethischen Theorien (Normen, Prinzipien) als Heuristiken, deren Brauchbarkeit sich in der Praxis erweisen müssen ⇒Die Moralvorstellungen der Gesellschaft, einschließlich derer der (Ethik-) Experten, das `ethische Alltagshandeln´, seine Voraussetzungen und Folgen als zentrale Gegenstände induktiver und deduktiver empirischer Untersuchungen und philosophisch-sozialwissenschaftlicher Analysen ⇒Eine Konzeption von sozialen Akteuren, deren Handlungen sowohl selbstbestimmtautonom, als auch von sozialen, biologischen, psychologischen, technologischen Bedingungen abhängig sind ⇒Die Generierung von Präskriptionen in partizipativen Diskursen auf der Grundlage empirischer Erkenntnisse, ethischer Normen und Prinzipien ⇒Die fundamentale Fehlbarkeit von Konsens / Lösungen, die sich einer kontinuierlichen deduktiven und induktiven Überprüfung stellen müssen