Vom Dasein Gottes

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FRANZ BRENTANO
VOM DASEIN GOTTES
Mit Einleitung und Anmerkungen
herausgegeben von
ALFRED KASTIL
VERLAG VON FELIX MEINER
HAMBURG
PHILOSOPHISCHE BIBLIOTHEK BAND 210
Das ausführliche Inhaltsverzeichnis befindet sich auf Seite XIX ff.
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isbn 978-3-7873-0496-7
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Vorwort des Herausgebers
Als ein Verehrer Leibnizens diesen einst wegen seiner
großen mathematischen Entdeckungen pries, wehrte der
Philosoph ab: nicht um seiner selbst willen sei ihm das
Studium der Mathematik ·wichtig, sondern wegen des
Dienstes, den er sich davon für die Ausbildung der Gottesbeweise erhoffe. Leibniz mag dabei vor allem an die
Mathematik als allgemeine Schule des Scharfsinnes und
exakten Denkens gedacht haben, aber seine Hoffnungen
haben sich noch in anderer Weise erfüllt. Die Mathematiker sind es, denen wir die Aufhellung des Verfahrens verdanken, wie der menschliche Geist aus gegebenen ~at­
sachen verborgene Ursachen und aus Einzelnem allgemeine Gesetze erschließt. Durch die Ausbildung der
Wahrscheinlichkeitsrechnung erscheint die wissenschaftliche Induktion gerechtfertigt. Nicht Kant hat das
Rumesche Problem gelöst, sondern Laplace.
Die Philosophen, in ihren Erkenntnistheorien durch ein
Jahrhundert von der Kritik der reinen Vernunft beeinflußt, haben den Dienst, den die Mathematik der ihr an
sich fremden Ursachenforschung und damit natürlich
auch der Forschung nach der ersten Ursache leistet, lange
verkannt, und da sich die Weltanschauung der Gebildeten nach der herrschenden Philosophie richtet, ja diese
nach dem Gesetze der Gewohnheit noch eine Zeitlang
überdauert, hegt man heute noch Mißtrauen gegen alle
Metaphysik und ist geneigt, ein Werk, das Gottesbeweise
verspricht, als überholt beiseitezuschieben. Aber die
IV
Vorwort des Herausgebers
Gebildeten werden eben abermals die Wandlung mitmachen müssen, die sich in der Wissenschaft vollzieht.
Franz Brentano hat in seinem "Versuch über die Erkenntnis" den Einspruch, den Kant gegen jeden erneuten
Versuch eines Gottesbeweises erhoben hat, als ganz unberechtigt erkennen lassen und damit den wissenschaftlichen Weg zu Gott wieder frei gemacht. So darf man
denn ohne Scheu von neuem die Richtung einschlagen,
in welcher die echten Klassiker der Philosophie, von
Aristoteles bis Leibniz, dem erhabensten Ziele philosophischer Forschung sich zu nähern suchten; doch muß
die Anknüpfung an sie in wahrhaft kritischem Geiste erfolgen, im Sinne einer Auslese des Wertvollen und Fortbildung des Entwicklungsfähigen.
Wieviel Brentano an den Versuchen seiner großen Vorgänger zu ändern fand, wird der Leser dieses Bandes air
raschesten erkennen, wenn er das Studium mit de1
Schlußabhandlung "Gedankengang beim Beweise für das
Dasein Gottes" beginnt. Zwei Jahre vor Brentanos Tode
entstanden, enthält sie seine Gedanken über das Problem
aller Probleme in ihrer reifsten Gestalt.
Alle Motive der sonst getrennt geführten Beweise erscheinen darin zu einem einheitlichen Beweisgange vereinigt. In mehreren Stufen erhebt sich der Bau. Das
Fundament bildet der sog. Kontingenzbeweis. Daß die
Welt weder zufällig noch unmittelbar notwendig ist, wird
in beiden Teilen originell nachgewiesen. Der Satz vom
ausgeschlossenen Zufall erscheint als analytischer Satz.
Zufall und Sein ergeben einen Widerspruch, so wahr jener
der Kontinuität widerstrebt, die dieses fordert. Die
Körperwelt aber kann auch nicht unmittelbar notwendig
sein, weil sie jederzeit ein bestimmtes Maß von Ausdehnung haben muß, aber nie ein solches haben
kann, das der Natur nach unüberschreitbar wäre, während eine vollendet unendliche Ausdehnung absurd erscheint.
Vorwort des Herausgebers
V
Brentanos Nachweis, daß dem sog. allgemeinen Kausalgesetz der Satz vom ausgeschlossenen Zufall zugrunde
liegt und daß dieser ein analytischer ist, wird zweifellos
immer mehr Beachtung finden. Wer darin einen Fehler
vermutet, möge ihn aufdecken, in derselben exakten
Weise, wie sie in Brentanos Argumentation uns entgegentritt; sich länger damit zufrieden geben, das Kausalgesetz
als ein "Postulat", als eine blinde Voraussetzung a priori,
hinzunehmen, bedeutet den Bankrott der Erkenntnislehre.
Der Kontingenzbeweis führt zur Anerkennung eines
unmittelbar notwendigen, transzendenten, schöpferischen
Prinzips.
Daß dieses nicht anders denn als ein Verstand gedacht
werden kann, wird auf vier Wegen gezeigt, von denen
drei neue Wege sind, wobei sich unter anderem die althergebrachte Meinung, daß das unmittelbar Notwendige
schlechthin wechsellos gedacht werden müsse, als Irrtum
herausstellt. Brentano macht auf einen "\Vechsel aufmerksam, der, weit entfernt, das Notwendige mit sich in
Widerspruch zu bringen, vielmehr unerläßlich ist, es mit
sich im Einklang zu halten, und erntet damit auf den
Höhen der Metaphysik eine Frucht seiner psychologischen
Analysen über unsere Zeitvorstellung. Das vierte der
Argumente für den schöpferischen Verstand ist das teleologische, das bei Brentano wie ein Neubau erscheint.
Die Art, wie dann vom schöpferischen Verstand weitergeschlossen wird auf die Einheit und unendliche Vollkommenheit des ersten Prinzips, weicht wesentlich ab
von den entsprechenden Teilen der Vorlesung. Es handelt sich nicht bloß um Ergänzung und Berichtigung,
sondern um ganz neue Argumente.
Während der teleologische Beweis im "Gedankengang"
nur skizziert ist, wird er in der großen Vorlesung sehr
ausführlich behandelt.
Einen großen Fortschritt bedeutet vor allem die scharfe
Scheidung zweier Thesen: der Feststellung, daß allent-
VI
Vorwort des Herausgebers
halben in der Welt ein Schein von Teleologie bestehe, und
der diesen Tatbestand erklärenden Hypothese, daß dieser
teleoide Charakter auf wirklicher Zweckordnung beruhe.
Wer, wie dies häufig geschieht, den teleologischen Beweis
mit der angeblichen Tatsache einer Zweckordnung begänne, setzte sich nicht nur dem kürzlich wieder von
Driesch erhobenen Vorwurf des Anthropomorphismus
aus, sondern dem weit schlimmeren, das zu Beweisende
vorauszusetzen.
Auch die Behandlung jeder der beiden Fragen weist
eine Fülle origineller Züge auf. Was die erste anlangt, so
wird es dem Kenner der Geschichte des Problemes sofort
auffallen, in wie hohem Maße bei Brentano das von den
Teleotogen fast ganz vernachlässigte Gebiet der leblosen
Natur zu seinem Rechte kommt.
Auf dem der lebendigen Natur waren die Tatsachen,
an denen Brentano hier einen überwältigenden Schein von
Teleologie demonstriert, zur Zeit der Entstehung seines
Entwurfes vielfach unter diesem Gesichtspunkte angefochten. Die Teleophobie war eine ansteckende Krankheit, gegen die man ziemlich immun geworden ist.
Der Blick für den Schein der Zweckordnung hat sich
wesentlich geschärft. Die Beschäftigung damit ist nicht
nur extensiver, sondern auch intensiver geworden. Das
kommt besonders darin zum Ausdruck, daß man den
teleoiden Charakter der organischen Natur nicht wie in
früheren Jahren vorwiegend in der Deszendenz der
Arten, sondern in den wunderbaren Vorgängen der Keimentwicklung verfolgt, ein Gebiet, auf dem, wie Brentano
von allem Anfang erkannte, die eigentlichen Rätsel der
Teleologie liegen. In diesem Sinne macht es sich auch
Driesch zum Programm, den umgekehrten Weg einzuschlagen, als die Früheren. "Allgemeine biologische
Erörterungen", sagt er, "pflegten stets von der Deszendenztheorie auszugehen und alle anderen Probleme
der Formenphysiologie wurden nur nebenbei als Dinge
minderer Wichtigkeit behandelt." In seiner "Philo-
Inhalt
Vor"·ort d<'R H<>rn usgf'flf'l"f'. . . .
. . . . . .
III
Zum Gd<>itl•: Aus ein<>m Briefe F. ßrentnnos an eint>n
Agnostikt>r . . . . . . . . . . . . . . . . . .
LIII
VOM DASEIN GOTTES
Yorlesungen, gehalten an den Univenlitäten Würzburg und
Wien (1868-1891)
Einteitung
Theoretisches und praktisches Interesse der Gottesfrage
I. Die "·icht.igk<>it dieRcr Unt.erRlJchung soll beleuchtet
werden znniiP]n;t . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. unter thcoret.iRchr,m GcsichtRpunkte. Unter diesem
iihE>rragt ,;;je all<> and<>ren
a) w<>gcn cl<>r Vollkommenheit des Gegenstandes. Ihn,
wenn auch m1r mangelhaft zu erkennen, das höchste
dem 1\len!'lchen h<>schied<>ne Glück . . . . . . . .
b) In flieh bctracht.rt., wäre das Da::cin Gottes diejenige
"'ahrheit, von d<>r allP anderen abhängen . . . .
3. Unt.cr praktiflchem: a) Glück::quE>lle. b) Trost im Unglück (Lt>ibniz); Bedürfnis im Glück (Gocthe) . . . .
c) ß<>sond<>re Jkd<>utung im Zusammenhang mit der
Unstcrblichkf.'it.;:frngn . . . . . . . . . . . . . .
Die iflt., nach dem Z<'llp;ni>< der Dichter, die Sehn,;;ucht
aller EdlE>n; o)mp Gott aber wäre Unsterblichkeit gar
nicht zu wiinflchen . . . . . . . . . . . . . . .
d) Ebem<o im Zusammenhang mit der Frage nach der
Zukunft des ganzen Krt>iscs, auf den wir wirken . .
4. Bcd<>utung fiir die 1\loral. n) Kant. Schiller . . . .
b) \Yas in sich gut und flchlecht.,muß freilich unabhängig
von cl<>r Cott.cRfrag<' erkannt. WC'r(len. "'aR abt>r da.c;
praktiflch BcstP ist, hiingt dn.von ab, ob die \Velt<>nt.wicldnng m<>hr zum Guten als zum Bösen führt.
Ohne GlauhPn an dit> individut>lle Unsterblichkeit ist
keine optimil'tische Ethik des 'Virkens möglich und
jener nicht ohne GottE>f'glauben. Ein Optimismus
ohne Gott if't keiner df's Verstandes, sondern des Trieht>s . .
. .......... .
5. Bedeutung fiir die sozinlt·n ZuRtände . . . . . .
6. ßpdeut.ung fiir diE' Kunst
7. '\'ic die ThPistf'n halten sie auch die Atheisten für die
wichtigste Frage. Zeichen dafür . . . . . . . . . .
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3
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XX
Inhaltsverzeichnis
8. Behandlungsweise der Frage. Nicht blindes Glauben, \ViRRen streben wir an. Eingehende Dnrlegung auch
der Gegengründe unerläßlich . . . . . . . . . . .
11
Erster Teil
Voruntersuchungen
Erste Voruntersuchung
Ob die Untersuchung nkht überflüssig? Behauptung, das
Dasein Gottes stehe von vornherein fest
I. Äußerliche Argumente dafür
9. Zwei Untersuchungen sind zu führen: ob Gottesbeweise
nicht überflüssig und ob sie nicht unmöglich . . . . .
10. Äußerliche Argumente für die Behauptung, daß es gar
keiner Beweise für das Dasein Gottes bedürfe . . . .
Leichtigkeit, mit der die Kinder den Glauben an
Gott annehmen, und Übereinstimmung aller Völker in
ihm deuten darauf, da.ß er priori feststehe.
Antwort: Weder diese noch jene spricht dafür. Es
gibt ursprüngHche Glaubensneigungen auch für Irrtümliches. Die Ubereinstimmung der Völker im echten
Gottesglauben besteht gar nicht, bestünde sie aber, so
bediirfte es nicht dieser Erklärung . . . . . . . . . .
11. Berufung auf den Satz: Gott ist das Prinzip, wodurch
wir alles erkennen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
12. Antwort: Etwas von Got.t Gewirktes erkennen heißt
noch nicht es als von Gott Gewirktes erkennen . . .
13. Hinweis auf das ungleich bestechendere ontologische
Argument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Das ontologische Argument für das Dasein Gottes
A. Seine Geschichte von Anselm bis Lei bni z
14.
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18.
Interesse in historischer Beziehung . . . . . . . . . .
Fassung des Argumentes bei Anselm von Canterbury .
Des Mönches Gaunilo Kritik daran. . . . . . . . . .
Kritik von Thomas v. Aquino . . . . . . . . . . . .
Erneuerung des Arguments in veränderter Form durch
Descartes . . . . . . · · · · • . . . . . . . . .
19. Einwand, der schon diesem vorlag, daß zunächst Gottes
i\Iöglichkeit gesichert sein müßte. . . . . . . . . . .
20. Descartes hält diese Forderung für berechtigt, aber leicht
erfüllt. Ebenso Leibniz. Jener will die 1\löglichkeit
Gottes der Klarheit, dieser dem durchwegs positiven
Charakter des Gottesbegriffes entnehmen . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis
XXI
B. Humes Kritik des ontologischen Arguments
21. Die Annahme, daß der Satz "Gott ist" dem Subjekt ein
bereite darin enthaltenes Prädikat "Existenz" zuspreche,
ist fa.lsch. Da.s Urteil ist keine Prädikation, sondern ein
Glauben an den Gegenstand (wa.s wiederum eine Art
Fühlen oder fest beharrendes Vorstellen desselben ist).
So ist der Satz kein analytischer. Außerdem ist der Gedanke eines durch sich notwendigen Weseps ein Ungedanke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24
22. Warum Humes Opposition geringen Einfluß auf die
öffentliche Meinung gewann. Andere seiner Sätze zogen
mehr die Aufmerksamkeit auf sich. Seine weitgehende
Skepsis widerstrebte den meisten. Seine Untersuchung
ist verwickelt. Die sämtlichen dazu gehörigen Momente
nirgends übersichtlich zusammengestellt . . . . . . . 25
23. Zudem ist in seinen Erörterungen manches paradox,
anderes irrtümlich. I. Ein Irrtum, wenn er lehrt, "A" und
"Existenz von A" besage da.sselbe. 2. Paradox mußte
damals die Lehre klingen, daß da.s Urteil nicht wesentlich in einer Verbindung von Vorstellungen bestehe . . 26
3. Unha.ltbar, da.ß es ein Gefühl oder festeres Vorstellen
sei. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27
4. Da.ß es ein in sich notwendiges Wesen nicht geben
könne, können wir nicht von vornherein wissen. Auch
ist es nicht richtig, daß unmöglich da.sselbe heißt wie
widersprechend. Es könnte Axiome geben, die einem
and~rn Typus a.ls dem des Kontradiktionsgesetzes angeboren.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28
24. Die Wolff-Schule behielt das Argument. Doch Ka.nt
entging da.s Bedeutsame in Humes Angriff nicht
29
C. Kants Kritik des ontologischen Arguments
25. Momente in Humes Opposition, denen Kant nicht beistimmt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
26. Dagegen gibt er zu, daß der Satz "Gott ist nicht" nicht
unmittelbar widersprechend ist . . . . . . . . . . 30
27. Der Satz "Gott ist" gilt Kant a.ls kategorischer Satz,
aber von sehr eigentümlicher Art, nämlich a.ls ein synthetischer Satz, welcher den Gegenstand selbst mit
dem Begriffe in Beziehung setze, wie denn Ähnliches von
jedem Existenzialsatze gelte . . . . . . . . . . . . 31
28. Kants Folgerung aus dieser Lehre über die Natur des
Existenzia.lsatzes für da.s ontologische Argument . . . 33
29. Dessen wesentlichen Fehler findet er darin, da.ß es ein
synthetisches Urteil für analytisch nimmt . . . . . 33
30. Großer Beifall, den diese Kritik Kants am ontologischen
Argument gefunden
. . . . . . . . . . . . . . . 33
31. Wa.s daran Kant eigentümlich ist. Seine Differenz von
Hume und ihr Belang: die Rückkehr zum kategorischen
Urteil. Dennoch Spuren, die an Hume erinnern, in der
eigentümlichen Auffa.ssung vom Existenzia.lsatz . . . 34
XXII
Inhaltsverzeichnis
32. Irrtümer Kante: unmöglich kann der wirkliche Gegenstand die Stelle des Prädikats im Existenzialsatz einnehinan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
33. Auch Existenzialsätze könnten analytisch sein
34. Daß im Begriffe Gottes dessen Dasein enthalten, läßt
sich nicht leugnen . . . . . . . . . . . . . . . .
35. So scheint denn zunächst der Ansturm Kants in seiner
Berechtigung zweifelhaft. Kein Wunder, daß das Argument nach wie vor Verteidiger gefunden hat . . . .
36. Und doch ist es zu verwerfen, es ist ein Trugschluß durch
Mehrdeutigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . .
34
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38
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D. Nachweis des Fehlers im ontologischen
Argument
37. Daß so vielen bedeutenden Philosophen ein so grober
Fehler unterlaufen konnte, erscheint erstaunlich . . .
38. Doch nur für den, der die Geschichte der Wissenschaft
und die Natur der Äquivokationen nicht genügend studiert hat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Verwüstungen, welche Äquivokationen schon angerichtet haben . . . . . . . . . . . . . . . .
Weites Gebiet der Äquivokationen. Schon Aristoteles
hat Untersuchungen über ihren mannigfachen Charakter angestellt. Seine Dreiteilung derselben. Seine
Bemerkungen sind nicht erschöpfend. Beispiele.
Allgemein in allen Sprachen ist die Äquivokation eines
Namens durch dreifache Supposition. Noch eine
vierte wäre zu notieren . . . . . . . . . . . . .
Nicht bloß Namen sind äquivok, auch Pronomina,
Partikeln, Flexionen. Ferner syntaktische Verbindungen (Formeln). Besonders groß ist die Gefahr, wo man
sich die Bedeutungen nicht klar gemacht hat und gar
nicht an Äquivokationen denkt . . . . . . . . .
39. In unserem Falle können zweierlei Äquivokationen vorliegen:
I. entweder wird ein negatives Urteil für
positiv geh a I t e n (wegen der bejahenden Aussageform). Dies begegnet allen Logikern, die vom
Satz des Widerspruchs den der Identität "A ist A"
unterschieden wissen wollen . . . . . . . . . .
40.
2. oder eine bloß nominale Bestimmung
für eine reale genommen . . . . . . . .
41. Nachweis des zweiten Fehlers im ontologischen Argument
42. Nachweis der ersten. . . . . . . . . . . . . . . .
43. Was alles man bei Nichtbeachtung der Äquivokation
ebensogut beweisen könnte . . . . . . . . . . . .
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E. Die im ontologischen Argument versteckte
Wahrheit
44. Trotz der Größe des Fehlers sind die Verteidiger des
Arguments nicht gering zu schätzen. Sie haben sonst
Zum Geleite
Aus einem Briefe Pranz Brentanos an einen Agnostiker
über Sicherheit und Bedeutung der theistischen W elt•
anschauung (1909)
Haben Sie Dank für Ihren guten Brief, der durch seine
schlichte, selbstlose Wahrhaftigkeit den angenehmsten
Eindruck machen mußte und mich auch mit dem bekannt
machte, was Sie in Ihrem Vertrauen auf die erhabensten
Lehren stört, die uns von altersher überliefert sind und
wie einem ANAXAGORAS und ARISTOTELES auch einem
LocKE und LEIBNIZ, einem LIEBIG, einem PASTEUR,
einem MAxwELL und LoRD KELVIN und HELMHOLTZ als
gesichert feststehen. Was z. B. LoRD KELVIN betrifft, so
las ich erst kürzlich eine Erklärung von ihm, die an Entschiedenheit nichts zu wünschen übrigläßt. Es hatte in
einer Naturforscherversammlung einer der Redner mit
den Worten geschlossen, man sehe aus dem, was er ausgeführt, daß die Naturwissenschaft die Frage, ob ein
Gott sei oder nicht, ganz offen lasse. Dagegen erhebt sich
nun THOMSON, indem er sagt, dies sei grundfalsch, vielmehr habe die Naturwissenschaft unbedingt und durchwegs die Voraussetzung eines göttlichen ersten Prinzipes
nötig. Ein andermal erzählte er, wie er als jüngerer Forscher, als LIEBIG England besuchte, diesen durch die
Blütenfelder begleitet und ihn gefragt habe, ob er wohl
glaube, daß eine solche Blüte ohne eine verständige Ursache denkbar sei, worauf LIEBIG antwortete: "Nein,
sicher so wenig als daß ohne eine solche ein Buch bestände,
welches die ganze wundersame Struktur einer solchen
Blüte beschriebe." Sie sehen, es war gerade der teleologi-
LIV
Zum Geleite
sehe Beweis, der sich hier noch in seiner vollen Überzeugungskraft erwies, wie einst da, wo .AlusTOTELES von
allen, welche der Anblick der Welt nicht zur Überzeugung
von einem allwaltenden Verstande geführt hatte, wie von
Leuten sprach, die aller Überlegung ermangelten.
Nun wohl, daß Sie, wenn Sie an dem Dasein eines solchen Verstandes zweifeln, es nicht unüberlegt tun, zeigt
Ihr Brief, und so könnte nur etwa das Wort von BACON
VON VERULAM auf Sie anwendbar sein, wenn er sagt, daß
das halbe Wissen von Gott ab, das ganze wieder zu ihm
zurückführt.
Sie werden vielleicht darauf bemerken, daß BACON
hierin recht haben möge, nur könne dies nur derjenige
beurteilen, der selbst das ganze Wissen habe; Sie aber
hätten es nicht und auch kein anderer Sterblicher, und
darum sei es in unserer Lage logisch gefordert, wenn nicht
Atheist zu sein, so doch als Agnostiker sich jedes Urteils
darüber, ob ein Gott sei oder nicht sei, zu enthalten.
Doch daß Sie, wenn Sie so sprächen, die Meinung des
baconischen Wortes mißdeuten würden, ist zweifellos.
Unter dem ganzen Wissen verstand er sicher nicht eine
Allwissenheit schlechthin, sondern er sprach von der Gesamtheit der uns Menschen gegebenen Erkenntnisse, von
einer Erwägung, die bei dem sich bietenden Einwand nicht
stehenbleibe, sondern auch nach seinen Lösungsmitteln
sich umsehe und sie dann sicher finde. Keiner war ja mehr
als er davon überzeugt, daß die Ära fruchtbarer Forschungen nun erst recht eigentlich beginne, wie auch noch
NEWTON, nachdem er Großes getan, sich doch nur einem
Knaben verglich, der ein paar Muscheln aus dem Meere
gezogen, während der Ozean noch unzählige andere in
seinem Schoße berge. Auch LEIBNIZ, wenn er davon
sprach, daß nach Einführung seiner characteristica
universalis die Menschheit in Dezennien mehr Fortschritte in der Wissenschaft machen würde als bisher in
Jahrhunderten und Jahrtausenden, gab dadurch deutlich
genug zu erkennen, wie weit er davon entfernt war, zu
Brief an einen Agnostiker
LV
glauben, daß das menschliche Wissen bereits seine Vollendung erreicht habe. Und so waren denn auch noch
MAxWELL und PASTEUR, LoRD KELVIN und HELMHOLTZ
weit von einem solchen Wahn entfernt. Sie müßten
überaus schlechte Denker gewesen sein, wenn sich, da
sie in der Überzeugung vom Dasein eines Gottes so fest
standen, aus der einfachen Tatsache, daß uns Vieles in der
Welt noch unbekannt sei, die Folgerung ergäbe, daß wir
über die Frage der Existenz Gottes im Unsichern bleiben
müßten.
Und doch ist das eigentlich der Gedanke, der Ihrer
ganzen Objektion sowohl im allgemeinen als in bezug
auf den teleologischen Beweis zugrunde liegt, denn
auf was anderes läuft es hinaus, wenn Sie auf Unvollkommenheiten und Schranken unseres Gesichts- und
sonstigen Wahrnehmungsvermögens und auf die Ergebnisseneuerer Forschungen verweisen, welche manche bisher für exakt gehaltenen Fassungen von Gesetzen als
inexakt und darum auch diese Gesetze selbst nicht mehr
eigentlich als Gesetze, sondern als Zusammenfassungen
von Tatsachen erkennen lassen, welche nach der gegenwärtig gegebenen Lage annähernd gleichmäßig aufgetreten sind und für eine wenig entfernte Zukunft eine
ähnliche Gleichmäßigkeit auch für noch andere mit hoher
Wahrscheinlichkeit erwarten lassen 1
Das erstere ist ein Umstand, der wohl zu keiner Zeit
unbemerkt geblieben ist, das zweite aber dürfte nur dann
für die Gottesbeweise schlechthin den Ruin bedeuten,
wenn nicht bloß die Aufstellung des einen oder andern
Gesetzes, sondern aller, welche die Menschheit zu besitzen glaubt, sich als Illusion erwiesen. In der Tat gehen
manche so weit und gestehen selbst den mathematischen
Lehrsätzen keine höhere Würde als die von allgemeinen,
induktiven Tatsachen mit unvollkommener Exaktheit
zu. Soweit dürften Sie in Ihrer Befreundung mit pragmatistischen Ideen nicht gehen, und auch sonst werden Sie
an den Bestand strenger Denkgesetze nicht zweifeln.
Einleitung
Theoretisches und praktisches Interesse
der Gottesfrage
1. Wer einen Zyklus vvn Vorlesungen beginnt, spricht
wohl gerne ein Wort von der Wichtigkeit des Gegenstandes1), um das Interesse an der Untersuchung zu
beleben. Anderwärts mag das nötig sein, in unserm Falle
sicher nicht. Wenn es überhaupt möglich ist, eine vernünftige Überzeugung vom Dasein Gottes zu gewinnen,
so ist es außer Zweifel, daß die Untersuchungen, die
darauf abzielen, vom höchsten theoretischen Interesse
wie auch von großer praktischer Bedeutung sind.
Wir wollen dennoch bei dem einen und andern Punkte
ein wenig verweilen, damit unser Bewußtsein davon ein
noch lebendigeres werde und uns zu andauernder Geduld
für die kommenden schwierigen Betrachtungen fähig
mache.
2. Zunächst ein Wort vom besondern theoretischen
Interesse der Gottesfrage.
Jede Erkenntnis hat als solche ihren Wert, doch nicht
jede den gleichen. Er wächst mit der Güte des Gegenstandes, mit dem Umfange des Gebietes, worüber sie
Licht verbreitet, und wohl auch mit der Unverlierbarkeit ihres Besitzes. Unter dem ersten Gesichtspunkte hat
man der Botanik den anmutenden Namen einer scientia
amabilis gegeben, unter dem zweiten werden vor den
anderen Wissenschaften diejenigen geschätzt, die nicht
bloß, was besteht und geschieht, erzählend zusammenstellen, sondern es auch auf seine Ursachen zurückführen
und allgemeine Gesetze aufzeigen, denen das Einzelne in
2
Vollkommenheit des Gegenstandes. Grundgesetz
seinem Verlaufe unterliegt. Der Satz der Gravitation ist
theoretisch interessanter als das Datum des heutigen
Tages oder als irgendeine Einzelheit der Geschichte und
der Naturbeschreibung.
Wir mögen den einen oder den andem dieser Maßstäbe anwenden, immer erscheint die Erkenntnis Gottes
als die theoretisch wertvollste.
a) Gott ist seinem Begriffe nach ein Wesen von unendlicher Vollkommenheit. Was kann dem, der das Gute
liebt, teurer sein als die Kunde, daß das Ideal aller
Ideale wirklich ist 1 So fanden denn auch PLATON und
.ARISTOTELES, denen ein Leben der Forschung und Betrachtung als das glücklichste galt, die höchste dem
Menschen beschiedene Seligkeit in dieser Erkenntnis, und
sie ließen sich in dieser Überzeugung nicht dadurch beirren, daß die Vorstellung, die wir uns von Gott zu bilden vermögen, nur ein ärmliches Surrogat für die uns
fehlende Anschauung Gottes ist. Durch einen glücklichen Vergleich weiß ARISTOTELES es deutlich zu machen,
wie ihr trotzdem ein überragender Wert bleiben könne.
Es sei, bemerkt er, für uns eine größere Freude, ein besonders geliebtes Wesen, sei es auch nur von fern und
im Dämmerlicht zu erblicken, als einen uns gleichgültigen Gegenstand in nächster Nähe und voller Faßlichkeit zu schauen.
b) In dieser Erkenntnis besitzen wir aber zugleich
eine Wahrheit, die in gewissem Sinne mehr als alle
anderen positiven Wahrheiten2 ) gesichert ist, denn sie
dringt über alles bloß Tatsächliche hinaus zu dem vor,
was keiner weiteren Erklärung mehr bedarf, weil es in
sich notwendig ist. Was ich als bloß tatsächlich vorstelle, mag von Bedingungen abhängen, die wandelbar
sind und mit deren Entfall es selbst entfiele. Das in sich
Notwendige aber ist selbst der Grund für alles andere.
Und wenn es sich ferner erweist, daß dieser Grund einer
für alles ist, so zeigt sich, daß diese Erkenntnis von unverlierbarer Sicherheit auch alle andern an Weite über-
aller positiven Wahrheit. Praktisches Interesse
3
trifft. Die Erkenntnis des universalen Prinzips strahlt ihr
Licht über alles aus, was ist, was war und was sein wird.
Die großen kosmologischen Fragen- Einheit oder Vielheit der Welt, endlicher Stillstand oder endlose Entwicklung, Fortschritt zum Guten oder zum Bösen - , sie alle
sind nur im Lichte der Gottesfrage zu lösen.
3. Mit diesem weitreichenden Einfluß der Wahrheit,
die unsere Untersuchungen sichern sollen, hängt nun
auch ihre große praktische Bedeutung zusammen.
a) In ihr liegt auch, abgesehen von der theoretischen
Freude eines Aufschlusses über die große, ewige, weltumfassende Frage, eine Quelle reichen Glückes. Denn ist
ein Gott, so lebt uns ein weiser, liebevoller Herrscher und
Vater, und sein Dasein ist meines Erachtens für jeden,
nach der Ansicht aller aber wenigstens für die edeln Menschen ein großes Gut, und im Bewußtsein, es zu besitzen, fühlen sie sich mehr als durch den Besitz anderer
Güter bereichert. Darum sagt LEIBNIZ (Remarques sur
un petit Iivre) sehr treffend: "Man behauptet, es habe
der Gedanke, daß kein Gott sei, noch niemanden zittern
gemacht, wohl ~her der Gedanke, daß es einen solchen
gebe. Ich bin nicht dieser Ansicht. Man kann zittern
nicht nur, wenn man ein großes Übel fürchtet, sondern
auch, wenn man an den Verlust eines großen Gutes
denkt."
b) Derselbe LEIBNIZ hebt hervor, was auch von anderer
Seite häufig betont wurde, daß die Überzeugung vom
Dasein Gottes ein Trost im Unglück sei; GoETHE aber
findet den Edeln ihrer mehr noch im Glück bedürftig.
c) Wieviel sie für das Glück eines edlen Menschenherz{ms bedeutet, wird besonders klar, wenn man an den
Zusammenhang der Gottesfrage mit der Frage nach der
individuellen Unsterblichkeit denkt. Jeder Unverdorbene hat ein natürliches Verlangen nach persönlicher
Fortdauer, und die Stimmen der großen Dichter, dieser
besten Kenner des Menschenherzens, geben dem Zeugnis.
Gott und Unsterblichkeit
4
GoETHEs
Und solang du dies nicht hast,
Dieses stirb und werde,
Bist du nur ein trüber Gast
Auf der dunklen Erde
ist Ihnen wohl allen bekannt. Weniger sicher darf ich
dies vielleicht von einem schönen Gedichte GoTTFRIED
KELLERS voraussetzen, auf das ich Sie besonders darum
hinweisen möchte, weil es die tieferen Motive dieses Verlangens zum Ausdruck bringt:
Es ist nicht Selbstsucht und nicht Eitelkeit,
Was sehnend mir das Herz grabüber trägt;
Was mir die kühngeschwungne Brücke schlägt,
Ist wohl der Stolz, der mich vom Staub befreit.
Sie ist so eng, die grüne Erdenzeit,
Unendlich aber, was den Geist bewegt!
Wie wenig ist's, was ihr im Busen hegt,
Die ihr so satt hier, so vergnüglich seid!
Und wenn auch einst die Freiheit ist errungen,
Die Menschheit hoch wie eine Rose glüht,
Ihr tiefster Kelch vom Sonnenlicht durchdrungen:
Das Sehnen bleibt, das uns hinüberzieht,
Das Nachtigallenlied ist nicht verklungen,
Bei dessen Ton die Knospen sind erblüht!
Wir fühlen uns zu Mehr und zu Höherem berufen als
dieses Erdenleben entfalten und erreichen kann; daher
d'as Bedürfnis nach persönlicher Fortdauer, daher auch
vön vomherein die Hoffnung darauf. Aber nachzuweisen, daß sie nicht eitel sei, hat Schwierigkeiten, und
wohl die bedeutsamsten Argumente, auf die sie sich
stützen ließe, würden entfallen, wenn es keinen Gott
gäbe.
Es würde mich zu weit führen, dies hier darzulegen;
dagegen ist ein anderes Moment auch in kürzester Kürze
zu erweisen, daß nämlich ohne den Gottesglauben der
Unsterblichkeitsgedanke eher etwas Beunruhigendes
haben müßte: es fehlte uns ja dann Jede Möglichkeit
eigener Fürsorge über unsere Todesstunde hinaus, wäh-
Theismus und Ethik
rend der Gottesgedanke uns lehrt, daß wir für die Güter
des jenseitigen Lebens schon hier auf Erden vorsorgen
und uns vor Verderben sichern können, zumal, wenn
Gott auch als vergeltende Gerechtigkeit zu denken ist,
denn dann wird uns, ähnlich wie die Naturgesetze, auch
das Gesetz der gerechten Vergeltung zur Grundlage einer
bedeutsamen Machterweiterung.
d) Und wenn wir von dem hohen Gedanken an das
eigene jenseitige Leben uns zu dem noch höheren an die
Zukunft des ganzen Kreises, auf den wir wirken, hinwenden, so zeigt sich ganz Ähnliches. Wird er überhaupt
eine Zukunft haben ~ Wird sie glücklich oder unglücklich
sein 1 Wem das alles gleichgültig ist, dessen Gemüt müßte
keiner edlen Regung fähig sein.
Dies also ein Gesichtspunkt, unter dem die große praktische Bedeutung der Erkenntnis Gottes augenscheinlich ist.
4. Ein anderer ergibt sich aus der Beziehung, in welcher
die Überzeugung vom Dasein Gottes zur Moral steht.
a) KANT fordert den Glauben an das Dasein Gottes
als ein Postulat der praktischen Vernunft. SCHILLER,
von ihm beeinflußt, macht den Wert des Menschen vom
Vertrauen auf die "drei Worte des Glaubens" abhängig:
Freiheit, Tugend, Gott.
b) Über die Art dieses Zusammenhangs von Theismus
und Moral herrscht freilich nicht überall volle Klarheit.
Manche meinen, daß ohne vorausgehende Erkenntnis
Gottes ein Wissen um das, was gut und besser, was schlecht
und schlechter sei, sich nicht gewinnen lasse. Es schwebt
dabei, wie es scheint, vielen der Gedanke vor, daß die
sittliche Erkenntnis ein Wissen um Gebote sei, und zwar
um Gebote des göttlichen Willens, die uns durch übernatürliche Offenbarung kund gemacht worden seien. Doch
ist leicht, zu zeigen, daß eine theologische Ethik dieser
Art sich im Kreise bewegen würde. Um eine Ethik, die
mit dem Anspruche auftritt, als göttlich geoffenbarte zu
gelten, beruhigten Gewissens als echte Offenbarung
6
Theismus und Ethik
Gottes anzunehmen, müßte ich Kriterien für ihre Echtheit besitzen. Nun hängt aber die Glaubwürdigkeit eines
Berichtes nicht allein von äußeren Zeugnissen und von
der uns schon sonstwoher bekannten Vertrauenswürdigkeit der Gewährsmänner, sondern auch von der inneren Wahrscheinlichkeit des Berichteten selbst ab. Das
wird von manchen der sog. Apologeten zu wenig berücksichtigt. So war z. B. DE MAISTRE, der berühmte französische Verteidiger des katholischen Glaubens, der Meinung, ein Wunderbericht - wie etwa der über eine
Totenerweckung oder über die Auferstehung des Gekreuzigten - sei ebenso glaubhaft wie Leben und Taten
JULIUS CAESARS, wofern nur das eine ebensogut bezeugt
sei wie das andere. Das zeigt von keiner genügenden
Beachtung der Gesetze der Wahrscheinlichkeit, welche
uns die Wahrscheinlichkeit eines berichteten Ereignisses
vielmehr als das Produkt aus beiden Faktoren, der Verläßlichkeit des Zeugen und der inneren Glaubhaftigkeit
des Berichtes selbst, erkennen lassen. Statt einer theoretischen Darlegung darüber, die in die Logik gehört,
hier nur ein Beispiel zur Veranschaulichung. Meldet mir
unser Pedell, daß mich nach der Vorlesung ein ausländischer Kollege, der hier zu Besuch weile, vor der Türe
des Hörsaales erwarten wolle, so wird mir kein Zweifel
daran aufsteigen. Zeigt mir aber derselbe Mann die Ankunft eines verstorbenen Kollegen an, so werde ich dem
Zeugen, wie immer er mir als ehrlich und ernsthaft bekannt sein mag, doch nicht ohne weiteres Glauben schenken, sondern mich nach anderen Hypothesen umsehen,
die geeignet schienen, das Zustandekommen eines so
seltsamen Berichtes aufzuklären. vVas von Ereignissen
gilt, gilt aber auch von überlieferten Lehren. Mutet
uns der Mormonenhäuptling SMITH zu, seine Vielweiberei
als einen ihm von Gott geoffenbarten Nachtrag zum
Christentum hinzunehmen, so sträuben wir uns gegen
eine solche Zumutung; ganz anders, als wenn uns JEsus
Nächsten- und Feindesliebe als göttliche Gebote ver-
Theismus und Ethik
7
kündet. Gewiß hat der nicht unrecht, der sa.gt, Gott
gebiete nur da.s Gute, aber nicht darum ist etwa.s gut,
weil Gott es gebietet, sondern er gebietet es, weil es gut
ist. Die Begriffe mögen gleichen Umfang haben, aber
identisch sind sie nicht. Daraus aber folgt, daß ein vernünftiges Urteil über eine angeblich geoffenba.rte Moral
ein gewisses Maß von Kenntnis der natürlichen Moral
bereits voraussetzt, weil ja. ein als geoffenba.rt ausgegebenes Sittengesetz erst darauf geprüft werden muß, ob
es Gottes würdig sei, d. h. ob es nicht etwa. dem natürlichen Sittengesetze widerspreche.
In der Tat läßt sich, was gut (liebenswert) und wa.s
schlecht (ha.ssenswert), ebenso wa.s besser (d. h. was vor
anderem den Vorzug verdient), ganz ohne Rücksicht auf
die Gottesfrage erkennen 3 ). Wir erkennen z. B. ganz unmittelbar unsere Liebe zur Erkenntnis und zur Freude,
unser Mißfallen an Irrtum und Leid und den Vorzug, den
wir der größeren Summe solcher Güter vor der kleineren,
und der kleineren solcher Übel vor der größeren geben,
als natürlich richtig, und kommen so, ohne Reflexion auf
die Frage nach der ersten Ursache, zur Aufstellung einer
Gütertafel und zu der Einsicht, daß unser höchstes praktisches Gut jeweils in der höchsten erreichbaren Summe
jener Güter bei einem Mindestmaß jener Übel bestehe.
Obwohl mir so die Prinzipien ethischer Erkenntnis von
der Metaphysik unabhängig scheinen, muß ich doch
auf einen Punkt hinweisen, wo die Ethik sich vor die
Frage nach dem Dasein Gottes gestellt sieht und von wo
sie dann einen ganz andern Weg geht, je nachdem die
Antwort ausfällt. Von der Güterlehre gilt allerdings, daß
sie davon unabhängig ist. Bei unseren sittlichen Entscheidungen aber haben wir uns nicht nur zu fragen, was,
isoliert betrachtet, als ein Gut oder Übel anzusehen ist,
sondern auch, worin unter den gegebenen Umständen das
Beste besteht, was wir erzielen können. Dies kann auch
ein bloßes Mittel zum Guten (ein Nützliches), ja. es kann
unter Umständen geradezu ein Übel sein, dessen Wahl
8
Theismus und Ethik
dann eben nur dadurch gerechtfertigt ist, weil jede
andere Entscheidung ein noch schlimmeres heraufbeschwören würde. Am allgemeinsten formulieren wir
dieses praktische Problem, wenn wir uns fragen, ob denn
das leibliche Leben selbst eher als nützlich denn als
schädlich für jenes unser höchstes praktisches Gut gelten
dürfe. Wer wollte verkennen, daß dies eine Grundfrage
aller Ethik ist, und daß sie sich nicht losgelöst von jedem
Zusammenhang mit der Frage nach dem Dasein Gottes
beantworten läßt 1 Wie sollen wir denn. sonst zu irgendeiner wahrscheinlichen Erwartung darüber kommen, ob
das Leben, seine Fortsetzung und Fortpflanzung, mehr
des Guten oder mehr des Übeln im Gefolge haben werde 1
Davon aber hängt es doch wohl ab, ob wir uns vernünftigerweise zu einer Ethik des Lebens und Wirkens oder
zu einer solchen der Resignation und des Nirvana bekennen dürfen. Auf Grund des Stückchens Vergangenheit, dPs man menschliche Geschichte nennt, ist diese
Frage gewiß nicht beruhigend im optimistischen Sinne zu
entscheiden. Wer, wie ScHOPENHAUER, sich so enge auf
die geschichtliche Erfahrung einstellt, kommt viel eher
zum Pessimismus und zur Lebensverneinung. Im Altertum war eine Zeitlang unter den Philosophen, also unter
Menschen, die von Beruf über den Wert des Lebens nachdenken, der Selbstmord epidemisch, und auch unsere Zeit,
die das Bewußtsein einer viel weiter fortgeschrittenen
Bildung hat, hat ihre Dichter und Denker des Weltschmerzes, die viel Anklang finden. Hält man dem entgegen, daß doch die Selbstmorde weit seltener sind als
darnach zu erwarten wäre, so beweist dies nur die Kraft,
nicht die Vernünftigkeit des Lebenstriebes.
Und nehmen wir selbst an, daß diejenigen zu schwarz
sehen, die in Vergangenheit und Gegenwart mehr Irrtum
und unbelehrbare Borniertheit als Einsicht bei den Menschen zu finden glauben, mehr Niedertracht und klägliche Schwäche als Tugend und Achtung vor dem Sittengesetz, mehr Qual und Leid als Freude und Zufrieden-
Theismus und Ethik
9
heit; die Frage, wie wir uns im Leben einzurichten haben,
hängt doch, wie gesagt, von der Hoffnung für die Zukunft ab. Das gilt für den Einzelnen und gilt für die Gesamtheit. Wer sich unheilbar krank weiß und mit einem
nahen Abschlusse seines Lebens rechnen muß, weiß damit auch seine Pflichten andere geworden, und ein Geschlecht, das fest von der unmittelbaren Nähe des Weltendes überzeugt ist, kann nicht eine Ethik des Wirkens
und irdischen Fortschritts als seiner Lage angemessen
erkennen'). Aber ein Abschluß winkt dem ganzen Menschengeschlecht. HELMHOLTZ 5 ) hat einmal die Bemerkung gemacht, daß ein freudiges Aufgehen in der
Sorge um künftige Geschlechter sich vielleicht mit dem
Verzichte auf persönliche Unsterblichkeit, nimmermehr
aber mit dem Gedanken an ein unvermeidliches Ende
des Menschengeschlechts abzufinden vermöchte. Auf
dieseg ernsteste "Was dann1" bedarf, wer sein Leben
in den Dienst des Guten stellen will, einer Antwort. Sie
aber ist nur im Zusammenhang mit dem Gottesgedanken
möglich. Nur dieser gibt Vertrauen auf eine Zweckordnung in der Welt, nur er gibt die Gewähr, daß alles,
einem vernünftigen Urgrunde entstammend, einem vernünftigen Ziele zustrebe, nur er läßt uns vernünftig auf
eine persönliche Fortdauer der Seelen hoffen, die auch
den Untergang der irdischen Welt überdauert, und stellt
damit dieses Leben unter ein Gesetz der Verantwortung,
das im Ewigen wurzelt. Ein Optimismus ohne Gott ist
kein Optimismus der Vernunft, sondern des blinden Lebenstriebs, und verdient vollauf den Hohn eines ScHOI'ENHAUER, der sich hier an Konsequenz des Denkens unseren
modernen Atheisten mit ihrem naiven Bekenntnis zu den
Idealen des Fortschrittes weit überlegen zeigt. Sie. sind
ebenso durch einen blinden Instinkt beherrscht wie diejenigen, die vornehm "alles Transzendente" verwerfen
und dabei an die Dinge glauben, weil sie sie greifen.
Diese Bemerkungen werden genügen, unsere Meinung
verständlich zu machen, daß ohne metaphysisch begrün-
Erste Voruntersuchung
Ob die Untersuchung nicht überßüssig 1
Behauptung, das Dasein Gottes stehe
von vornherein fest
I. Außerfiche Argumente dafür
9. Ehe wir an unsere Aufgabe gehen, dürfen wir nicht
versäumen, zwei ihr widerstrebende Ansichten zu prüfen, die, einander entgegengesetzt, doch darin übereinstimmen, daß sie uns jeder Mühe eines Beweisversuches
für das Dasein Gottes überheben würden, die eine, weil
er überflüssig, die andere, weil er unmöglich wäre.
Überflüssig wäre unser Versuch, wenn für uns das Dasein Gottes selbstverständlich wäre; wenn, sobald wir
sprechen "Gott ist", mit Bewußtsein dessen, was wir
sprechen, der Satz uns einleuchtete. Unmöglich, wenn
aus der Natur Gottes, aus der Bedeutung des Namens
"Gott" selbst folgte, daß seine Existenz sich nicht beweisen lasse. Das erste ist eine auffallende Behauptung,
dennoch wiederholt, auch von angesehenen Denkern und
mit mehreren Argumenten vertreten worden.
10. Man berief sich auf die Leichtigkeit, mit welcher
die Kinder diesen Glauben an Gott annehmen, und auf
die Übereinstimmung aller Völker im Glauben an ihn.
Beides, meinte ma1,1, wäre unbegreiflich, wenn diese
Erkenntnis keine unmittelbare wäre, sei es angeboren,
sei es in der Weise unmittelbar, wie es die Axiome sind.
Antwort: a) Was glauben Kinder nicht leichtY Darnach zu schließen, wäre jedes Ammenmärchen angeboren.
16
Glaubensbereitschaft der Naiven
b) Anfänglich hegen wir Menschen überhaupt ein
schrankenloses Vertrauen nach allen Seiten hin. Wir vertrauen der Erfahrung, indem wir ohne weiteres unter
ähnlichen Umständen Ähnliches erwarten; wir vertrauen
auf die Sinne, indem wir alles, was sie uns zeigen, unbedenklich für wirklich nehmen; ja. selbst unseren Phantasien stimmen wir, gleichsam in wachem Traume, zu.
Erst Enttäuschungen machen uns kritischer.
So glauben wir denn auch zunächst alles, was uns
andere sagen, besonders solchen, die uns Beweise von
Liebe und überlegener Einsicht gegeben haben. Der
Knabe hält seinen Va.ter anfangs für allwissend. An Irrtümer oder absichtliche Täuschungen denken wir gar
nicht, bis eben auch hier Enttäuschungen das Vertrauen
lockern. Sind aber Kritik und Argwohn einmal erwacht,
so mögen sie sich auch gegen den Gottesglauben kehren.
Und so begegnen wir nicht selten bei nachdenklichen
Kindem frühen Zweifeln.
Soweit das Argument sich auf den leichten Glauben
der Kinder stützt, ist es also nichtig.
c) Und die Übereinstimmung der Völked Schon
LocKE hat bemerkt, daß diese Übereinstimmung gar
nicht in der Weise vorhanden ist, wie es bei einer eingeborenen oder doch unmittelbar einleuchtenden Erkenntnis zu erwarten wäre. Wenn ein Volk das Krokodil, ein
anderes einen Moloch oder eine Astarte als göttliche Wesen
verehren, was hat das mit dem eigentlichen Gottesglauben
zu tun 1 Müßte dieser, wenn wirklich angeboren, nicht
eher das Aufkommen solcher unwürdiger Vorstellungen
verhindem 1 Was bildet denn den Inhalt eines derartig
primitiven Glaubens 1 Nichts anderes als der Gedanke a.n
lebendige Wesen, die uns irgendwie-durchaus nicht in
allem- überlegen sind. Man hat mit Recht gesagt: wenn
der Hund sich Gedanken machen könnte, würde ihm der
Mensch wohl als ein solcher "Gott" erscheinen.
d) Aber angenommen, die Völker stimmten wirklich
in einem echten Gottesglauben überein, ein Beweis dafür,
,.Gott das, wodurch wir alles erkennen"
17
daß er unmittelbar einleuchtete, wäre das noch keineswegs; genug, wenn es nicht an allgemein naheliegenden
Anlässen dafür fehlt (wie solche ja auch für allgemeine
Irrtümer, z. B. vom Ruhen der Erde und der Bewegung
der Sonne um sie, gegeben sind). Solche sind denn hier
unstreitig vorhanden, zumal für jene primitivere Vorstellungsweise. Der naive Mensch deutet die Erscheinungen der Natur vitalistisch, nach Analogie zu seiner
inneren Erfahrung. Das Kind zürnt der Tischkante, an
die es angestoßen ist. Und kindlich klingt es, wenn
THALES VON MILET, der Vater der Philosophie, verkündet: Der Magnet hat eine Seele, denn er zieht das
Eisen an. Vollends wird jede Kraftentfaltung, die über
menschliches Maß hinausgeht, dem Primitiven zum Walten mächtiger persönlicher Wesen.
11. Ein zweites Argument: Das wodurch uns etwas
anderes gewiß und einleuchtend ist, muß um so mehr
selbst uns gewiß und einleuchtend sein. (Man denke nur
an die Grundsätze der Mathematik.) Nun ist aber Gott
das, wodurch wir alles, was wir erkennen, erkennen. Er
ist das Licht, durch welches uns alle Wahrheit, auch die,
die wir a priori erkennen, einleuchtet: also muß auch er,
und am allermeisten, von uns erkannt werden, d. h. sein
Dasein muß uns jedenfalls a priori einleuchten.
Dieses Argument wird noch heute von den sog. Ontologisten vorgetragen. Aber es ist durchaus verunglückt.
Es ist ein Paralogismus, und das ist vielleicht noch seine
beste Eigenschaft. Denn wäre die Folgerung stringent,
so würden gewiß die allermeisten - und ich gestehe, mich
dazu zu zählen - daraus schließen, daß Gott nicht ist.
Das Argument setzt nämlich seine Existenz als gesichert voraus und folgert nun, daß sie eine allen unmittelbare Wahrheit sein müsse.
Gott ist das, wodurch wir alles erkennen.
Also muß er uns unmittelbar evident sein.
Denn das, wodurch wir alles erkennen, muß uns unmittelbar einleuchten.
18
Das an sich, nicht auch unserer Erkenntnis nach Erste
Sonach ließe es sich umkehren:
Ob es einen Gott gibt oder nicht, mag zunächst fraglich sein.
Eines aber ist gewiß : daß mir seine Existenz nicht
unmittelbar einleuchtet.
Nun müßte sie es aber.
Also gibt es keinen Gott.
Wir sehen, das Argument ist ein zweischneidiges
Schwert, wenn es überhaupt scharf und schneidig ist.
Aber es ist das Gegenteil, ein Paralogismus durch Äquivokation.
12. Die Antwort ergibt sich mit dem Hinweis auf den
mehrfachen Sinn des "Wodurch".
Gott ist das, wodurch wir alles andere erkennen, nicht
in dem Sinne, als ob anderes nicht erkannt würde, wenn
man ihn nicht erkannt hätte - wie dies bei den Prinzipien, die durch sich selbst einleuchten, der Fall ist - ,
sondern in dem Sinne, daß durch seinen unmittelbaren
oder mittelbaren Einfluß alle Erkenntnis in uns hervorgebracht wird. Er ist, wie der letzte Grund aller Vollkommenheit, so auch der letzte Grund aller Erkenntnis.
Aber etwas anderes ist: etwas von Gott Gewirktes erkennen und etwas als von Gott Gewirktes erkennen, so
wird denn in der Tat gar vieles von uns erkannt ohne
irgendwelchen Zusammenhang mit der Erkenntnis seiner
ersten Ursache, ja ohne Zusammenhang mit der Erkenntnis seiner sekundären Ursachen. Muß doch auch der Sehnerv, die Netzhaut, die Linse des Auges und das, was
sie bildet, sowie, was Licht und Farbe erzeugt, nicht
selbst gesehen, ja überhaupt nicht· erkannt sein, damit
durch sie etwas erkannt werde. So zeigt sich denn auch
dieses Argument als ungenügend, ja der Fehler ist größer
als beim früheren.
13. Die erwähnten Versuche sind nicht die einzigen,
die das Dasein Gottes als eine Wahrheit, die uns von vornherein gegeben sein soll, kennzeichnen wollen. Doch sind
die meisten kaum der Erwähnung wert und auch ohne
Zur Geschichte des ontologischen Arguments
19
besondere philosophische Schulung leicht zu widerlegen.
Nur von einem kann dies nicht in gleicher Weise gesagt
werden, indem es vielmehr die andern bei weitem an
Interesse übertrifft. Es ist ein Versuch, der geradezu
darauf ausgeht, die Existenz Gottes unmittelbar aus dem
Begriffe, den wir mit diesem Worte verbinden, einleuchtend erscheinen zu lassen, es ist
II. Das ontologische Argument für das Dasein
Gottes
A. Seine Geschichte von ANSELM bis LEIBNIZ
14. Schon durch seine Geschichte ist es merkwürdig.
Vor achthundert Jahren von dem scharfsinnigen ANSELM
VON ÜANTERBURY ersonnen, hat es bis zum heutigen
Ta.ge Anhänger und Gegner gefunden. Die berühmtesten
Denker haben sich damit beschäftigt. Ein .ALEXANDER
.ALENSIS war dafür, THOMAS, ScoTus, OccAM wußten
manches dagegen vorzubringen. Aber ein RAYMUND VON
SABUNDE nahm es doch wieder auf, und vom Mittelalter
spann sich der Streit darum in die neuere Philosophie
herüber. Kein Geringerer als DESCARTES hat es, in einer
ihm eigentümlichen Fassung, erneut, SPINOZA zur Grundlage seines more geometrico errichteten Systembaues gemacht, und auch LEIBNIZ hat in gewisser Weise zugestimmt, indem er nur eine Lücke, die er darin gefunden
hatte, auszufüllen bemüht war. HuME und KANT aber
erklärten sich entschieden gegen das Argument, und ihre
Ausführungen haben Schule gemacht, doch ohne verhindern zu können, daß auch von Späteren wieder der
eine und andere zu einer günstigeren Meinung gelangte,
so daß das Argument auch heute noch Anhänger zählt.
15. Ich will es zuerst so, wie es bei ANSELl\1, dann wie
wie es bei DESCARTES sich findet, darlegen, hierauf HuME
und KANT mit ihrer Kritik zu Wort kommen lassen, um
schließlich mein eigenes Urteil darüber abzugeben.
VOM DASEIN GOTTES
1. (S. 1.) Den Gegenstand dieser einleitenden Vorlesung
hat B. später in besonderen Abhandlungen zur Religionsphilosophie behandelt, Yon denen einige unter dem Titel
"Religion und Philosophie" im ersten Jahrgang der Zeitschrift "Philosophie und Leben" erschienen sind. Auf sie
sei der Leser nicht nur zur Ergänzung des hier Skizzierten,
sondern auch darum verwiesen, weil dort B.s Stellung zur
positiven Religion klar gekennzeichnet ist. Die Religionen
gelten ihm als volkstümliche Antizipationen und Surrogate
der Weisheit im aristotelischen Sinne, d. h. der höchsten
aller theoretischen Wissenschaften. Doch trage nicht alles,
was Religion genannt wird, den Namen im gleich hohen
Sinne. Als typische, weil dem theoretischen Gehalt und den
praktischen Segnungen der Weisheit am nächsten kommende
Religion ist die christliche anzusehen. Diese hohe Wertschätzung hindert B. nicht an einer Kritik ihres Wahrheitsgehaltes und Anspruches auf den Charakter unmittelbarer
göttlicher Offenbarung. (Vgl. Die Lehre Jesu und ihre bleibende Bedeutung, Leipzig, Meiner, 1922.) Der Stellung B.s
zum positiven Christentum wird P. Anton Stonner S. J.
(Im Kampf um die Kirche, in der Zeitschrift Schönere Zukunft, 1. Jahrg.) nicht ganz gerecht, wenn er es so darstellt,
als lehne B. die Dogmen nur darum ab, weil sie nicht einleuchten. Er hält sich vielmehr bei ihrer Beurteilung an
den Satz des Widerspruchs und ist mit Thomas v. A. der
Ansicht, daß der Nachweis eines Widerspruchs vernünftiges Glauben unmöglich mache. Auch ist er überzeugt,
sal.che Widersprüche gefunden zu haben, und nur dies hat
ihn zur Trennung von der Kirche, der er gleichwohl immer
Ehrfurcht und Dankbarkeit bewahrte, bestimmt. Er pflichtet den katholischen Theologen bei, wenn sie auf die Unterscheidung zwischen der Tatsache und dem Inhalt der Offenbarung Nachdruck legen und für jene, als praeambulum fidei,
einen Beweis verlangen, aber ein solcher könnte, als geschichtlicher, höchstens Wahrscheinlichkeit erreichen, während vom
Gläubigen doch gefordert werde, daß er aufs vollkommenste
überzeugt zustimme. Schon dies mache die Lehre von der
494
Anmerkungen des Herausgebers
Glaubenspflicht unannehmbar, abgesehen von den Bedenken,
daß Gott es aus verborgenen telE"ologischen Gründen für gut
finden konnte, Falsches in die Offenbarungslehre aufzunehmen (etwa provisorisch und erzieherisch). Gott selbst
würde weder irren noch lügen, vielmehr stünde auch diese
Fügung, wie alles in sich betrachtet Üble, im Dienste der Vollkommenheit des Weltganzen.
Von dem vornehmen Ton des genannten katholischen Theologen sticht unerfreulich ein Pamphlet Waldemar Meurers
(Gegen den Empirismus, Leipzig, Meiner, 1925) ab, der es
fertigbringt, den genialen Kritiker religiöser und wissenschaftlicher Dogmen als einen Geist hinzustellen, der, im
Banne autoritativer Diktate geblieben, sich jede Gedankenfreiheit versagte! Da das Buch auch sonst ganz konfus ist,
wird kein Leser über den Grund eines so krassen Fehlurteiles
im unklaren bleiben. Was für eine Art von Philosophie
darin geboten wird, dafür diene als Beispiel die schöne Stelle
auf S. 136, wo es vom Satze des Widerspruchs heißt: "Zu
den Vernunftwahrheiten, die unmittelbar durch den Begriff
einleuchten, zählt jene, welche der Satz des Widerspruchs
heißt, daß zwei einander entgegengesetzte Urteile über
dasselbe Ding nicht gleichzeitig wahr sein können, das heißt,
jedes Urteil ist eine Erkenntnis, beide zusammen
aber heben sich auf, eine Erkenntnis ist unmöglich." Das ist, um mit B. zu reden, wohl mehr, als woran
ein Weiser genug hat.
2. (8. 2.) Positive Wahrheiten, d. h. solche, welche die
Existenz des Dinges, über das geurteilt wird, behaupten.
So die Sätze des Physikers und Psychologen. Sie anerkennen
gewisse Dinge als existierend, und der Metaphysiker führt
diese auf die in sich notwendige erste Ursache alles Seienden
zurück. Dagegen stellt z. B. der Mathematiker in seinen
Sätzen a priori keine positiven Behauptungen auf. Die Frage,
ob es irgendwo eine Kugel gibt, dem Physiker überlasaend,
beschränkt er sich darauf, das Gesetz festzulegen, daß keine
ungleiche Radien haben kann. Diese Unmöglichkeit aber
ist kein Ding und geht nicht auf das göttliche Prinzip als
Ursache zurück. Vgl. S. 251 und Anm. 46.
3. (8. 7.) Brentano, Vom Ursprung sittlicher Erkenntnis.
Phil. Bibi. Bd. 55 (zitiert "Ursprung").
4. (S. 9.) Auch der Stifter und die ersten Verkünder der
christlichen Religion standen im Banne eschatologischer Erwartungen, deren Bedeutung für das geschichtliche Verständnis des Christentums besonders klarAlbert Sch wei tzer (Das
Messianitäts- und Leidensgeheimnis. Eine Skizze des Lebens
Amnerkungen des Herausgebers
495
Jesu, Leipzig 1901) erkannt und für seine geniale Konzeption
des Jesus- und Paulusbildes verwertet hat.
6. (8. 9.) Hermann Helmholtz, Über die Entstehung des
Planetensystems (Populäre Vorträge, Braunschweig, Vieweg,
1876).
6. (8. 10.) Um das Problem des Verhältnisses von Weltanschauung und Ethik ringt in seinem Werke Kulturphilosophie (München, Beck, 1923) der schon genannte Albert
Schweitzer, eine erhabene Persönlichkeit, deren Maße
unsere Zeit überragen. Näheres über ihn bietet die ausgezeichnete Studie von 0. Kraus, Albert Schweitzer. Zur
Charakterologie der ethischen Persönlichkeit und der philosophischen Mystik (Berlin 1929). Kraus fußt in seiner Auseinandersetzung mit der mystischen Wendung, die Schweitzer
dem Problem gibt, auf den hier skizzierten Gedanken Brentanos.
Statt des Absatzes 4b stehen im Vorlesungshefte Erentanos nur die Worte: "So wenig es vielleicht zuzugeben ist,
daß die Erkenntnis der höchsten Moralprinzipien von der
Erkenntnis Gottes abhängt, so sehr muß man, scheint es,
zugestehen, daß eine sichere Ableitung der wichtigsten
spezielleren Bestimmungen ohne sie unmöglich wird. Pessimismusfrage. Hamlet: tobe or not tobe, that is the question."
Kein Zweifel, daß B. den wichtigen Gegenstand im
mündlichen Vortrag ausführlicher behandelt hat. Ich habe
mich an meine Nachschrift nach Vorlesungen meines Lehrers
Anton Marty gehalten, der hier zweifellos Brentanos Gedanken wiedergegeben hat.
7. (8. 20.) Vgl. Überweg, Grundriß der Geschichte der
Philosophie der patristischen und scholastischen Zeit, 10. Aufl.
Berlin 1915, S. 269ff.
8. (8. 24.) Hume, Treatise on human nature, book 1, part II,
sect. VI und Appendix.
9. (8. 26.) Hier ist der Text der reifsten Gestalt der Lehre
B.s angepaßt, wie sie uns in Psychologie II, Anhang, vorliegt. 'Ober die frühere Phase, da B. das Wort Existierendes
noch zu den Namen gezählt hatte, vgl. Martys Auseinandersetzung mit Humes und Kants Lehre vom Existentialsatz
(Ges. Schriften II, 189ff., Halle 1918). Später erkannte B.,
daß es sich um ein Wort ohne selbständige Bedeutung handle.
Vgl. S. 106 und Anm. 12.
· 9 a. (8. 26.) Auch hier ist der Text des Kollegienheftes
sehr knapp. Für 23 Abs. 3 nur die Worte: "Der Glaube sei
ein Gefühl; wieso 1 ist er Lust oder Schmerz 1 Liebe oder
Haß 1 Weder diese noch ein andere Modus des Fühlens."
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