Karsten Berr Hegels Bestimmung des Naturschönen Inhalt 1 2 3 4 5 Inhalt ................................................................................................................... I Vorbemerkung .................................................................................................. III Einleitung: Hegels Bestimmung des Naturschönen .......................................... 1 Geist und Natur .................................................................................................. 10 2.1 Der gemeinsame Ansatz von Natur- und Geistphilosophie ......................... 12 2.2 Hegels Bestimmung des „Geistes“............................................................... 15 2.2.1 Der Begriff des Werks und die Fundierung der theoretischen in der praktischen Vernunft.................................................................................... 18 2.2.2 Der Begriff des Geistes................................................................................ 22 2.2.3 Subjektiver Geist als Grundlage des Naturvollzuges................................... 27 2.2.4 Objektiver Geist als Grundlage der Bestimmung des WerkCharakters des ästhetischen Naturvollzuges................................................ 30 2.3 Hegels Naturbegriff...................................................................................... 33 2.4 Objektiver und absoluter Geist als Grundlage der Bestimmung des Kunstwerks................................................................................................... 40 Ideal und Naturschönes ..................................................................................... 46 3.1 Die Idee der Schönheit ................................................................................. 52 3.2 Das Ideal ...................................................................................................... 56 3.3 Das Ideal als Kunstwerk............................................................................... 63 3.4 Das Naturschöne als geistig vermitteltes Schönes ....................................... 66 3.5 „Natur“ oder „Geist“ als Maßstab der Kunst? ............................................. 72 Schöne Natur....................................................................................................... 79 4.1 Das Konzept einer „gebildeten Anschauung“.............................................. 81 4.2 Betrachtung schöner Natur........................................................................... 84 4.2.1 Organisiertheit der Natur als Grund ihrer Schönheit ................................... 85 4.2.2 Anschauungsgewohnheiten als Grundlage der Schönheit des Natürlichen................................................................................................... 90 4.2.3 Teilaspekte als Leitfaden der Betrachtung................................................... 95 4.2.4 Sinnvolle Anschauung ................................................................................. 96 4.2.5 Abstrakte Form und abstrakter Stoff ........................................................... 99 4.2.5.1 Die abstrakte Form.............................................................................. 102 4.2.5.2 Der abstrakte Stoff .............................................................................. 105 4.2.6 Fazit ........................................................................................................... 106 Exkurs: Hegels Kritik ästhetischer Kriterien im Kontext der Ästhetikentwicklung ............................................................................ 108 4.3 Von der Betrachtung zur Darstellung schöner Natur................................. 112 4.4 Darstellung schöner Natur ......................................................................... 115 4.4.1 Kunst als Symbol des Geistes und die Kunstformen ................................. 116 4.4.2 Natur als Symbol des Göttlichen ............................................................... 120 4.4.2.1 Erhabene Naturgestalten des Göttlichen ............................................. 120 4.4.2.2 Menschliche Gestalt als Naturgestalt des Göttlichen.......................... 125 4.4.3 Von der Natur als Symbol des Göttlichen zur Natur als Symbol des Menschlichen ............................................................................................. 127 Naturdarstellung als schöne „Landschaft“ .................................................... 132 5.1 Anschauung schöner Landschaft ............................................................... 133 5.1.1 Zur Vorgeschichte der Landschaftsanschauung ........................................ 134 5.1.2 Landschaftsanschauung als gestaltete Anschauung................................... 145 I 5.1.3 Hegels Kritik an der Landschaft als Stimmungskulisse ............................ 149 Exkurs: Kritik des „Atmosphärischen“ in der Landschaft.............................. 162 5.2 Darstellung schöner Landschaft als Symbol des Menschlichen ................ 167 5.2.1 Landschaftsmalerei .................................................................................... 168 5.2.1.1 Zur gestalteten Anschauung in der Landschaftsmalerei ..................... 169 5.2.1.2 Kulturlandschaft als „objektiver Geist“ .............................................. 174 5.2.1.3 Niederländische Landschaftsmalerei als „Symbol der Sittlichkeit“ .......................................................................................... 184 5.2.1.4 Landschaftsmalerei im Kontext: Carus, Hotho, von Rumohr............. 186 5.2.2 Gartenkunst................................................................................................ 197 Exkurs: Goethes Abwendung vom Landschaftsgarten ................................... 201 5.2.3 Idyllendichtung .......................................................................................... 203 5.2.3.1 Landschaftsmalerei, Idylle und Landschaftsgarten............................. 204 5.2.3.2 Hegels Kritik der Idylle ...................................................................... 207 Exkurs: Adornos Sehnsucht nach dem Paradies............................................. 213 Fazit .............................................................................................................. 221 6 Rückblick: Hegel vs. Hotho - oder die Kontroverse um die systematische Bedeutung des Naturschönen................................................ 226 Quellenverzeichnis.......................................................................................... 233 Literaturverzeichnis ........................................................................................ 240 Erklärung......................................................................................................... 256 II Vorbemerkung Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2008/2009 von der Fakultät für Kultur- und Sozialwissenschaften der FernUniversität in Hagen als Dissertation im Promotionsfach Philosophie angenommen. Für die wissenschaftliche Betreuung meiner Dissertation danke ich an erster Stelle Frau Professor Dr. Annemarie Gethmann-Siefert (FernUniversität in Hagen), die die Erstbegutachtung übernommen hat. Herrn Professor Dr. Otto Pöggeler gilt mein Dank für die Übernahme des Korreferats. Bei der FernUniversität in Hagen bedanke ich mich für die Förderung meiner Arbeit im Rahmen des Forschungsschwerpunktes zur Ästhetik des deutschen Idealismus und durch ein dreijähriges Promotions-Stipendium (2001-2004). Im Rahmen dieses Forschungsprojektes hatte ich Gelegenheit, aus Diskussionen mit Priv.-Doz. Dr. Elisabeth Weisser-Lohmann (Hagen), Frau Dr. Bernadette Collenberg-Plotnikov (Hagen) und Frau Dr. Francesca Iannelli (Rom) wertvolle Hinweise für meine Arbeit zu erhalten und auf einer Reihe wissenschaftlicher Kolloquien Teile meiner Überlegungen vorzustellen. Nicht zuletzt gilt mein Dank der DFG, die mir durch ein Forschungsprojekt „Erstellung einer kritischen Studienausgabe der Hegelschen Vorlesung zur Ästhetik aus dem Wintersemester 1828/29“ unter der Leitung von Professor Dr. A. Gethmann-Siefert und Priv.-Doz. Dr. Elisabeth Weisser-Lohmann ermöglichte, meine Arbeit im umfassenden Rahmen der Forschung zur Hegelschen Ästhetik durchzuführen und abzuschließen. Edewecht, im Januar 2009 III 1 Einleitung: Hegels Bestimmung des Naturschönen Eine Forschungsarbeit, die sich mit Hegels Bestimmung des Naturschönen beschäftigt, muß sich zunächst mit der gängigen Hegelinterpretation auseinandersetzen, die davon ausgeht, daß Hegel das Naturschöne in seiner Ästhetik nur marginal berücksichtigt hat. Dieses Urteil stützt sich auf die bekannte Textgrundlage der Hegelschen Vorlesungen über die Ästhetik, die Hegels Schüler H.G. Hotho nach dessen Tod auf der Basis des Hegelschen Manuskripts zur Vorlesung sowie einer Reihe studentischer Nachschriften aus den vier Berliner Ästhetikvorlesungen zusammenstellte und veröffentlichte. In der Forschung der letzten Jahrzehnte wurde gezeigt, daß der Drucktext der Ästhetik nicht nur die vom Herausgeber genannten Quellen berücksichtigt, sondern eine ganze Reihe von Einschüben enthält, die offensichtlich Eingriffe des Herausgebers darstellen und auf dessen eigene, nach Hegels Tod übernommene Ästhetikvorlesung sowie auf zahlreiche gleichzeitig mit der Arbeit an der Ästhetik-Edition entstandene Publikationen zurückgehen.1 Inzwischen liegen mit verschiedenen publizierten Nachschriften der Berliner Ästhetikvorlesungen Texte vor, die ein anderes und differenzierteres Bild nicht nur der Hegelschen Bestimmung der Künste, der systematischen Konzeption seiner Ästhetik, sondern auch der Einschätzung des Naturschönen vermitteln2. In den Vorlesungsnachschriften zu Hegels Ästhetik überrascht trotz des grundsätzlich Kunstschönen anderen die Ansatzes der Differenziertheit Philosophie der Analyse der Kunst beim unterschiedlicher Naturvollzüge, mit der Hegel auf der Basis seines in der Naturphilosophie 1 2 Am deutlichsten zeigen dies Hothos 1835 zusammen mit der Hegelschen Ästhetik erschienenen Vorstudien für Leben und Kunst (H.G. Hotho. Vorstudien für Leben und Kunst. Hrsg. und eingeleitet von B. Collenberg-Plotnikov, Stuttgart-Bad-Cannstatt 2002 [Spekulation und Erfahrung I,5]) und die Edition einer Nachschrift seiner Ästhetikvorlesung von 1833 (Hotho, Heinrich Gustav: Vorlesungen über Ästhetik oder Philosophie des Schönen und der Kunst. Berlin 1833. Nachgeschrieben und durchgearbeitet von Immanuel Hegel. Hrsg. und eingeleitet von Bernadette Collenberg-Plotnikov. Stuttgart-Bad Cannstatt 2004 [Spekulation und Erfahrung I,8]; im folgenden zitiert als Immanuel Hegel 1833). Bereits früher wurde in einer Reihe von Einzelstudien die Diskrepanz zwischen Hegels eigenen Publikationen, den Nachschriften der Ästhetikvorlesungen und der Druckfassung der Ästhetik nachgewiesen. Vgl. im Überblick die systematische Studie von A. Gethmann-Siefert: Die Funktion der Kunst in der Geschichte. Untersuchungen zu Hegels Ästhetik, Bonn 1984 (Hegel-Studien. Beiheft 25). Siehe dazu das Quellenverzeichnis. 1 entwickelten Naturbegriffs das Naturverhältnis in der Vielfalt historischer und kultureller Varianten zu erfassen und zu begreifen sucht. In der Wahl des Kunstschönen als Ansatz der Ästhetik geht es Hegel nicht um eine Abwertung des Naturschönen, sondern um einen Ausgangspunkt, der Kunst und Schönheit auf menschliches Handeln bezieht und von da ausgehend sowohl die gängige Bestimmung der Kunst als Nachahmung der Natur vermeidet als auch eine indirekte Bedeutung des Naturschönen erschließt. Das weitverbreitete Vorurteil, Hegel habe das Schöne der Natur in seinen Ästhetikvorlesungen deshalb abgewertet, weil er die Natur gegenüber dem Kunstschönen grundsätzlich gering schätzt, verhinderte in der Regel, die Frage nach der Bedeutung des Naturschönen in Hegels Ästhetik überhaupt vorurteilslos zu stellen. Exemplarisch für diese Kritik der Hegelschen Ästhetik ist Adornos Bemerkung über den „finstere[n] Schatten des Idealismus“, der das Naturschöne „verdrängt“ habe, so daß es „verlischt, ohne daß es im Kunstschönen wiedererkannt würde“3. Den Grund für diese Verdrängung und Verkennung des Naturschönen sieht Adorno in einer „Usurpation des Subjekts“, die es mit sich bringt, daß neben dem „breite[n] und schmutzige[n] Hauptstrom des Geistes“4 alles Naturschöne bedeutungslos wird.5 Das Verhältnis von Geist und Natur wird als hierarchische Unterordnung der Natur unter den Geist gedeutet, ohne Hegels Bestimmung des Geistes wie der Natur im Einzelnen zu beachten. Die hier entwickelte Analyse der Bestimmung des Naturschönen geht gegenüber der bisherigen Kritik von einer genauen Bestimmung des Verhältnisses 3 4 5 2 von „Geist“ und „Natur“ in den entsprechenden Theodor W. Adorno: Ästhetische Theorie, Frankfurt/M. 1992, 99, 98, 119. Ebd., 99. Hartmut Böhme hat Adornos Kritik wieder aufgegriffen, indem er Hegel vorwirft, die Natur bzw. das Naturschöne zum Spiegel narzißtischer Selbstbespiegelung des Geistes zu degradieren: „Das Hegelsche Naturschöne bleibt im Bann des Spiegels jener Quelle, über die Narziß sich beugt, sein Bild im Anderen begehrend, ohne doch sich darin haben zu können. […] So arrangiert Hegel die Dialektik von Natur und Geist zu einem Triumph des im Anderen sich vollendenden Subjekts.“ (Hartmut Böhme: Natürlich/Natur, in: Ästhetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch in sieben Bänden, hg. von Karlheinz Barck, Bd. IV, Stuttgart 2002, 432-498; 493). - Sowohl bei Böhme als auch bei Adorno bleibt die Bedeutung des Naturschönen unklar: Adorno identifiziert das Naturschöne gelegentlich mit „Natur“, faßt es als Landschaft auf, oder er rückt es in eine Nähe zum „Naturgefühl“ – letztlich aber charakterisiert er das Naturschöne durch Merkmale, durch die er vorab das Kunstwerk definiert hat (Vgl. hierzu auch Norbert Schneider: Adornos Theorie des Naturschönen, in: Frankfurter Schule und Kunstgeschichte, hg. von Andreas Berndt, Peter Kaiser, Angela Rosenberg und Diana Trinkner, Berlin 1992, 59-67, insbes. 62). Adorno schließt damit von Kunst- auf Naturvollzüge und verfährt selbst auf die Weise, die er bei Hegel kritisiert. Böhmes Kritik richtet sich gegen Hegels Höherstufung des Geistes gegenüber der Natur, nicht vordringlich gegen den Ausschluß des Naturschönen aus der Ästhetik. philosophischen Bestimmungen beider aus. Wichtig für die Einschätzung der „Höherstufung“ des Geistes gegenüber der Natur ist die Tatsache, daß Hegel seine Bestimmung des Geistes und der Natur nicht isoliert vom menschlichen Erkennen und Handeln, sondern aus diesem Zugang gewinnt. Der menschliche „Geist“ läßt sich nur aus Werken, d.h. in menschlichen Kulturleistungen erschließen. Auch zur „Natur“ gibt es keinen voraussetzungsfreien Zugang. Obwohl sie zunächst als etwas dem „Geist“ objektiv Vorgegebenes und damit von menschlichen Kulturleistungen Unabhängiges erscheint, ist „Natur“ nur als menschlich angeeignete Natur zugänglich - d.h. begreifbar, erkennbar, wahrnehmbar, darstellbar -, nicht hingegen als Natur „an sich“. Letztlich kann das Verhältnis von „Geist“ und „Natur“ nur aus der Analyse von Handlungsformen (Praxen), d.h. aus einer gleichsam transzendentalen Analyse der mitgesetzten Voraussetzungen dieser Praxen adäquat philosophisch begriffen werden. Zu diesen Handlungsformen zählen nicht nur Handlungen im engeren pragmatischen, poietischen oder moralischen Sinn, sondern auch die theoretischen Formen, wie etwa Anschauung und Wahrnehmung, die nicht lediglich passiv etwas aus einer objektiv vorliegenden Wirklichkeit herausgreifen und mental widerspiegeln, sondern ebenfalls als aktive Konstitutionsleistung menschlicher „Subjektivität“ (Kant) bzw. des „Geistes“ (Hegel) aufzufassen sind. Das aber heißt vorläufig: Erst aus der Perspektive der Philosophie des Geistes lassen sich unterschiedliche menschliche Kulturleistungen wie auch unterschiedliche Naturzugänge bestimmen, die in den Wissenschaften, in individuellen Naturbetrachtungen sowie in Kunst, Religion und Philosophie näher analysiert bzw. in spezifischem Sinn vorausgesetzt werden. Für Hegel liegen in der Naturerfahrung wie dem Erkennen im Sinne Kants „Handlungen des Denkens“6 vor. Als ‚Stammvater’ dessen, was hier „Vollzugsanalyse“ genannt wird, kann daher Kant genannt werden, der in seinen drei Kritiken die Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung und Erkenntnis sowie von Moral und Kunst, d.h. von Erfahrungs-, Erkenntnisund wissenschaftlichen sowie von moralischen, sittlichen und ästhetischen Vollzügen analysiert und expliziert hat. 6 Immanuel Kant: Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft. Vorrede. In: Kants Werke. Akademie-Textausgabe. Bd. IV, Berlin 1968, 472. 3 Das heißt, sowohl die Bestimmung der Natur als auch des Geistes muß sich im Sinne des versteckten oder „geheimen“ Kantianismus in der Hegelschen Philosophie als Analyse des menschlichen Vollzuges (Erkennen wie Handeln) durchführen lassen, dessen transzendentale Bedingungen konstitutiv für die Erkenntnis des objektiv Gegebenen wie für die Geltung der subjektiven Setzungen sind. Hegel hat diesen Zusammenhang in der Phänomenologie des Geistes von 1807 im Rahmen einer „Wissenschaft der Erfahrung des Bewußtseyns“ mit den Bestimmungen „Wissen“ und „Wahrheit“ rekonstruiert und weitergeführt.7 Zunächst geht er - wie Kant davon aus, daß es für Erkenntnis keinen außerhalb des Bewußtseins vorausgesetzten Maßstab gibt, der die Wahrheit (der Gegenstand bzw. das „Objekt“ der Erkenntnis) des Wissens (der Begriff bzw. das „Subjekt“ des Gegenstandes der Erkenntnis) garantieren könnte. So bleibt nur der Weg offen, den Maßstab im Bewußtsein selbst zu finden. Die gesamte Phänomenologie führt dieses Programm einer Selbstprüfung des Bewußtseins8 auf dem Weg der Konstitution der Wahrheit im Erkennen wie Handeln im einzelnen durch. Hier ist zunächst nur der formale und methodische Ansatz interessant, den Hegel in der Natur- und Geistesphilosophie und von da ausgehend in der Bestimmung der Bedeutung des Naturschönen in der Philosophie der Kunst beibehält. Es geht um ein Begreifen und Erschließen der Welt und Natur durch „Vollzugsanalyse“. Dieser Begriff wird zwar an die Hegelsche Philosophie gewissermaßen von außen herangetragen, gibt aber einen methodischen Schlüssel an die Hand, um von Hegels Bestimmung der Natur und des Geistes sowohl die in den Ästhetikvorlesungen auch - und zwar indirekt - mitentwickelte Theorie des Naturschönen und des Verhältnisses von Kunst und Natur differenziert zu entwickeln, als auch die gängige Kritik zu 7 8 4 Auf die kontroversen Deutungen der Berechtigung und Tragweite einer solchen Verortung des Hegelschen Denkens kann an dieser Stelle nicht ausführlich eingegangen werden. Einen Überblick auf die Problem- und Diskussionslage bietet Ch. Halbig: Objektives Denken. Erkenntnistheorie und Philosophy of Mind in Hegels System, Stuttgart-Bad Cannstatt 2002, 21-29. - Ein Beispiel dafür, wie man Hegels philosophische Analysen im Lichte der transzendentalphilosophischen Methode rekonstruieren kann, ist der Aufsatz von R.P. Horstmann: Der geheime Kantianismus in Hegels Geschichtsphilosophie. In: Hegels Philosophie des Rechts. Die Theorie der Rechtsformen und ihre Logik. Hrsg. von D. Henrich und R.P. Horstmann, Stuttgart 1982, 56-71. Vgl. ‚programmatisch’ GW 9, 53-62. entkräften, Hegel habe das Schöne der Natur aus Gründen seines systematischen Dogmatismus nicht schätzen können.9 Wenn Hegels Verbindung zwischen einer Philosophie des Geistes und der Natur im Sinne einer solchen Vollzugsanalyse eine gemeinsame Auslegungsbasis haben, kann eine differenzierte Analyse des Hegelschen Begriffs des „Geistes“ zeigen, welchen Leistungssinn Hegel dem „Geist“ und welche Bedeutung er der „Natur“ zuspricht. In der Gegenüberstellung von „Geist und Natur“ (Kap. 2) wird daher zunächst Hegels Konzeption des Geistes näher analysiert, um die begrifflichen Grundlagen für die Erschließung des Naturvollzugs sowie des Kunstwerks bereitzustellen. Auf diese Weise läßt sich die Bestimmung des Naturschönen von der des Kunstschönen ableiten. Um es kurz vorweg zu sagen: Das Naturschöne zeigt eine Weise des Naturvollzugs durch den Menschen an. „Schöne Natur“, die Zuschreibung von Schönheit an Natur wie Darstellung der Natur, wird daher in Analogie zum Kunstvollzug zu erschließen sein, denn die „Schönheit“ ist entweder durch Wiedergabe eines Natureindrucks in der Kunst oder in einem sonstigen spezifischen Vollzug der Natur qua gesehene Natur konstituiert. Insoweit ist für Hegel das Schöne der Natur - wie für Kant das Erhabene der Natur - kein objektiv Vorliegendes, sondern ein durch den subjektiven (für Hegel „geistigen“) Vollzug Gesetztes. Die Möglichkeit einer ästhetischen Theorie des Naturschönen hat daher zunächst eine Bestimmung des Kunstschönen zu entfalten. In Analogie zum Begriffspaar „Geist und Natur“ kann das Verhältnis von Kunstschönem und Naturschönem dann präziser als Verhältnis von „Ideal“ und Naturschönem 9 Der Terminus „Vollzugsanalyse“ wird von C.F. Gethmann übernommen, der ihn im Rahmen einer transzendental-phänomenologisch orientierten Heidegger-Deutung u.a. unter Rückgriff auf Wittgenstein näher erläutert hat: „In Anspielung auf die Wittgensteinische ‚Gebrauchstheorie’ der Bedeutung kann man von einer ‚Vollzugstheorie’ der Bedeutung sprechen. Sie beinhaltet, daß die Bedeutung eines Ausdrucks kennt, wer letztlich den Vollzug kennt, in dem der Gegenstand gehabt ist, dem der Ausdruck zugesprochen wird. Das Primäre ist also ‚das Haben des Gegenstands’, die ‚Weise des Zugangs’. Das Denotat des Ausdrucks ist keine Sache, sondern eine ‚Habe’“ („Philosophie als Vollzug und Begriff“. In: C.F. Gethmann: Dasein: Erkennen und Handeln. Heidegger im phänomenologischen Kontext, Berlin/New York 1993, 247-280; 265). Als Bezugsstelle zitiert Gethmann folgenden Satz aus einer Vorlesung Heideggers im Wintersemester 1921/22: „Die Idee des Bestimmens, die Logik des Gegenstanderfassens, die Begrifflichkeit des Gegenstandes in der jeweiligen definitorischen Bestimmtheit, muß geschöpft sein aus der Weise, wie der Gegenstand ursprünglich zugänglich wird“ (Phänomenologische Interpretationen zu Aristoteles. Einführung in die phänomenologische Forschung [Wintersemester 1921/22]. In: Martin Heidegger Gesamtausgabe, Bd. 61. Hrsg. von Walter Bröcker und Käte Bröcker-Oltmanns. 1. Auflage 1985. 2., durchgesehene Auflage 1994, 20). Die „primäre Instanz“ ist somit „der Vollzug des Gegenstandes, der Gegenstand als vom Menschen ‚gehabter’“ (C.F. Gethmann: Dasein: Erkennen und Handeln, 265). 5 gefaßt werden, da Hegel zur Grundbestimmung des Kunstschönen den Begriff des „Ideals“ einführt (Kap. 3). Mit dem Begriff des „Ideals“ schließt Hegel an seine frühen Reflexionen zu den Möglichkeiten anschaulicher Wahrheits- und Vernunftvermittlung an und gewinnt über die Analyse der lebendigen Wirksamkeit der Vernunftidee insbesondere im „schönen Handeln“ der Religionsstifter und Tugendlehrer eine Basis für die Bestimmung der geschichtlichen bzw. kulturellen Funktion der Schönheit im und durch menschliches Handeln.10 Hegel entwickelt daher ausgehend von dieser frühen Bestimmung des Ideals als eines Vorbildes, dem man (im Handeln), nicht das man (unreflektiert wiederholend) nachahmt, sowohl seine Ablehnung der Bestimmung der Kunst als Nachahmung der Natur als auch seine Bestimmung des Kunst-Werks. In der Jenaer Zeit definiert er das Kunstwerk als Einheit von Arbeit: gestaltendem Zugriff auf Naturmaterialien, und Sprache: Deutung über eine anschauliche Gestalt.11 Von daher gewinnt er den Übergang von der Bestimmung des Ideals als „Dasein“, „Existenz“ oder „Lebendigkeit“ der Idee zur notwendigen Realisationsform des Werkes, zunächst des Kunstwerks. Von der Bestimmung des Ideals und des Kunstwerks ausgehend läßt sich zeigen, auf welche Weise Natur-Schönes als durch die Definition des Ideals Mitfundiertes die Funktion des Ideals als Vermittlung der Vernunftidee im Sinnlich-Anschaulichen mitzuerfüllen imstande ist, d.h. wieweit von Hegels Ansatz beim Kunstschönen ausgehend das Schöne der Natur adäquat zu erfassen ist. In den Abschnitten über „Schöne Natur“ (Kap. 4) und über „Schöne Landschaft“ (Kap. 5) wird eine konkrete Analyse derjenigen Naturvollzüge vorgenommen, die zur Erfahrung und zur Darstellung schöner Natur oder schöner Landschaft führen. Die Überlegungen gehen von der Annahme aus, 10 11 6 Zur Entwicklungsgeschichte der Hegelschen Ästhetik über den bereits in den frühen Schriften vorbereiteten und später weiter entwickelten Begriff des „Ideals“ vgl. die umfassende Analyse von A. Gethmann-Siefert: Die Funktion der Kunst in der Geschichte sowie dies.: Einführung in Hegels Ästhetik, München 2005. „Was Hegel (…) als die Funktion der Arbeit eines ganzen Volkes umschreibt, das Werk, das als Tun mehrerer (im Idealfall aller) den Regeln der Geschicklichkeit folgt (Technik) und zur Deckung der Totalität der Bedürfnisse (zum Besitz) führt, spezifiziert er später zum Charakteristikum des Geistes in einer bestimmten Gestalt, des Geistes als Kunstwerk.. (…) Das Werk als Kunstwerk (…) dient (…) der Manifestation, der Artikulation des Bewußtseins aller: sc. der Sittlichkeit eines Volkes. Hier wird das geschichtliche Selbstbewußtsein eines Volkes sich selbst anschaulich, weil zugleich mit dem Bild, der Gestalt, die handlungsorientierenden Grundanschauungen gegeben sind. Hegel setzt als das allgemeine Werk, das die Sittlichkeit eines Volkes realisiert, die Sprache an, die ‚ideale Existenz des Geistes’ (…), die eine ideelle Welt ausbildet. In Ergänzung zur Sprache bestimmt er als deren reales Korrelat die Arbeit“ (A. Gethmann-Siefert: Die Funktion der Kunst in der Geschichte, 175). daß Rezeption (Anschauung, Wahrnehmung) wie Produktion (Darstellung, Gestaltung im Kunstwerk) schöner Natur und Landschaft sich jeweils einem produktiven Natur-Vollzug verdanken, der seinerseits von verschiedensten inhaltlichen wie formalen Voraussetzungen abhängig ist. Die genannten Vollzüge Anschauung und Darstellung von Natur und ihre Voraussetzungen, die jeweils in den beiden Kapiteln separat untersucht werden, hat Hegel nicht nur analysiert, sondern zugleich demonstriert, welche Konsequenzen sich daraus für eine Theorie des Naturschönen ergeben. Zentrale Bedeutung für den produktiven Aspekt des Naturvollzuges nicht nur der Darstellung, sondern bereits der Anschauung von Natur und Landschaft hat das Konzept einer „gebildeten Anschauung“, das in Anlehnung an ähnlich lautende Formulierungen Hegels als Grundlage der Vollzugsanalyse von Natur- und Landschaftsanschauungen entwickelt wird. Die These ist hier, daß bereits die Wahrnehmung oder Anschauung von Natur und Landschaft gleichsam gestaltet oder gebildet ist, und zwar durch Überformung mit bestimmten Seh- und Rezeptionsgewohnheiten und daran geknüpfte Seh- und Rezeptionserwartungen. Die Analyse wird zeigen, welcher Art diese den Vollzug gestaltenden Voraussetzungen sind und von woher sie sich vermitteln. Die Betrachtung schöner Natur kann dann dem Leitfaden der Hegelschen Ästhetikvorlesungen folgend in unterschiedliche Vollzugsweisen differenziert werden, die jeweils von unterschiedlichen Voraussetzungen geprägt sind und unterschiedliche Konsequenzen für die Natur- und Landschaftsanschauung und ein damit verknüpftes Naturverhältnis des Naturbetrachters mit sich bringen. Was die Darstellung schöner Natur und Landschaft betrifft, werden schwerpunktmäßig für die vorantike Welt die Architektur, für die griechische Antike die Skulptur sowie für die neuzeitliche Welt die Landschaftsmalerei, die Gartenkunst und die Idyllendichtung untersucht. Die Untersuchung stützt sich im wesentlichen auf Hegels bereits zu Lebzeiten publizierte Schriften und Manuskripte, die in der HistorischKritischen Edition der Gesammelten Werke erschlossen werden, sowie auf die Vorlesungsnachschriften zu den vier Berliner Ästhetikvorlesungen Hegels aus den Jahren 1820/21, 1823, 1826 und 1828/29. Weitere Quellen sind die im Meiner Verlag publizierten Bände der Vorlesungen sowie verstreute 7 anderweitige Quellentexte und sekundäre Quellen, die im Quellenverzeichnis aufgelistet werden. Für die systematische Grundlage wird die Enzyklopädie von 1830 zitiert. Nur in den Fällen, in denen die Fassung von 1830 entscheidende Weiterungen oder Änderungen gegenüber den Fassungen von 1817 und 1827 bringt, wird auf diese zurückgegriffen. Auf die erheblichen Differenzen zwischen der Druckfassung der Ästhetik und den Quellen zu den Vorlesungen wurde in einer Reihe von Einzelstudien12 hingewiesen. Für die Unterschiede in der Bestimmung des Kunstschönen kann man als Quelle Hothos 1833 gehaltene Ästhetikvorlesung heranziehen, die in Mitschriften von Friedrich Theodor Vischer13 und Immanuel Hegel14 überliefert ist. Insbesondere die von Immanuel Hegel stammende Mitschrift wirft ein bezeichnendes Licht auf Hothos eigene Systematisierungsversuche und inhaltliche Schwerpunktsetzungen15, die in die fast zeitgleich entstandene Druckfassung der Ästhetik einflossen. Die grundsätzlichen Motive, die nicht nur hinter den Textveränderungen im Übergang von der Vorlesung zur Publikation hinsichtlich der Thematik des Naturschönen, sondern auch hinter vielen weiteren Veränderungen stehen, „lassen sich aus dem Interesse der Schüler Hegels an einer Vollendung des philosophischen Systems in Konkurrenz zu Schelling und Solger und damit aus kunst- und bildungspolitischen Interessen erklären“16. 12 13 14 15 16 8 Diese Einzelstudien sind zum großen Teil in Sammelbänden erschienen. Vgl. beispielsweise Phänomen versus System. Zum Verhältnis von philosophischer Systematik und Kunsturteil in Hegels Berliner Vorlesungen über Ästhetik oder Philosophie der Kunst. Hrsg. von A. GethmannSiefert, Bonn 1992 (Hegel-Studien. Beiheft 34); Kultur-Kunst-Öffentlichkeit. Hrsg. von A. Gethmann-Siefert und E. Weisser-Lohmann, München 2001; Die geschichtliche Bedeutung der Kunst und die Bestimmung der Künste. Hrsg. von A. Gethmann-Siefert, Lu de Vos und B. Collenberg-Plotnikov, München 2005; Kulturpolitik und Kunstgeschichte. Perspektiven der Hegelschen Ästhetik. Sonderheft des Jahrgangs 2005 der Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft. Hrsg. von U. Franke und A. Gethmann-Siefert, Hamburg 2005; Zwischen Philosophie und Kunstgeschichte. Hrsg. von A. Gethmann-Siefert und B. Collenberg-Plotnikov, München 2008. Inzwischen publiziert unter dem Titel: Hotho [nach Notizen von Friedrich Theodor Vischer zu Aestetick. Vorlesungen gehalten von Heinrich Gustav Hotho in Berlin seit dem Sommersemester 1833], hrsg. von F. Iannelli, im Anhang zu F. Iannelli: Das Siegel der Moderne. Hegels Bestimmung des Häßlichen in den Vorlesungen zur Ästhetik und die Rezeption bei den Hegelianern, München 2007, 306-323. Vgl. Anm. 1. In der genannten Dissertation Das Siegel der Moderne zeigt F. Iannelli den platonischen Hintergrund der Dialektik von „Idee des Schönen - Naturschönes - Kunstschönes“ auf (Kap. 1.2 bis 1.4) sowie die Folgen für den Zusammenhang zwischen einer solchen Bestimmung des Naturschönen und einer Konzeption des Häßlichen (Kap. 3.2.1: „Die Naturschönheit und das Häßliche“). A. Gethmann-Siefert/B. Collenberg-Plotnikov: Artikel „Georg Wilhelm Friedrich Hegel“, in: Ästhetik und Kunstphilosophie. Von der Antike bis zur Gegenwart in Einzeldarstellungen, hrsg. v. Julian Nida-Rümelin und Monika Betzler, Stuttgart 1999, 363-377; 376. Die Differenzen der Deutung des Naturschönen in der postum von H.G. Hotho edierten Druckfassung der Ästhetik zu Hegels Berliner Ästhetikvorlesungen, die weitgehend auf Überlegungen Hothos und dessen spezifische Kunstinteressen zurückweisen, sind insbesondere im Blick auf die gegenwärtige (negative) Kritik an Hegels Bestimmung des Naturschönen aufschlußreich. Abschließend wird daher auf die unterschwellige Kontroverse um die systematische Bedeutung des Naturschönen in der Ästhetik, die aus den Ästhetikvorlesungen von Hegel und Hotho herauszulesen ist, einzugehen sein. Es läßt sich nämlich zeigen, daß im Vergleich mit Hegels Ästhetikvorlesungen Hothos Fassung des Naturschönen als „platonistisches“, d.h. objektivistisches Mißverständnis des Hegelschen Vorbildes durch den Schüler einsichtig wird. Auf diese Weise zeigt sich die aktuelle Kritik zwar einerseits als zutreffend - nämlich für die Version der Ästhetik - andererseits aber - was Hegels eigene Bestimmung des Naturschönen in den Ästhetikvorlesungen betrifft - als unzutreffend. 9 2 Geist und Natur Hegels Behauptung zu Beginn seiner Ästhetikvorlesungen, der Geist sei „höher zu achten als die Natur“17, kann mißverstanden werden, wenn man weder die Intention Hegels beachtet, einen umfassenderen Ansatz der Ästhetik zu gewinnen, der letztlich zwar das Naturschöne nicht als fundierenden Begriff auszeichnet, ihn aber mitfundieren (abgeleitet verstehen) will, noch seinen Naturbegriff genau interpretiert, d.h. hierzu auf den Ansatz der Philosophie der Natur zurückgreift. Beides, die nähere Analyse des Ansatzes der Ästhetik wie die genaue Bestimmung des Begriffs der Natur und - fundierend - des Geistes erlauben eine nicht nur präzisere, sondern korrekte Gewichtung, die sich von gängigen Vorurteilen gegen die Hegelsche Ästhetik löst. Die Fundierung des Naturvollzuges - in Form der Naturwahrnehmung, -erkenntnis, -bearbeitung, -gestaltung oder -darstellung - wird bereits mit den ersten Bemerkungen in den Vorlesungen über die Philosophie der Natur bzw. den entsprechenden Paragraphen der Enzyklopädie zur Philosophie der Natur erkennbar. Hegel stellt der Entfaltung des Begriffs der Natur eine Bestimmung der beiden grundlegenden Vollzugsweisen von Natur, des theoretischen und praktischen Verhältnisses zur Natur, voran. Diese beiden Weisen des Verhältnisses zu Natur sind Beziehungen auf oder Betrachtungsweisen von Natur18 und gründen damit nicht in Natur, sondern in einem spezifischen Naturvollzug. Durch den Ansatz beim Kunstschönen motiviert Hegel zu Beginn der Berliner Ästhetikvorlesungen seine Entscheidung, gegen die Tradition der Aufklärungsästhetik nicht das Naturschöne zum Ansatz und Untersuchungsgegenstand der Philosophie der Kunst oder Ästhetik zu wählen. Das Schöne der Natur wird als „Reflex des Geistes“19 bestimmt, das heißt, das Naturschöne ist keine „objektiv“ vorliegende Qualität der Natur, sondern indiziert eine Weise des Naturvollzugs durch den Menschen. Natur wird 17 18 19 10 V 13, 15. Die gleiche Überlegung findet sich durchweg am Anfang der Berliner Ästhetikvorlesungen; vgl. z.B.: Es „läßt sich sagen, daß um soviel höher der Geist als die Natur ist, so viel höher das Kunstschöne als das Naturschöne sei“ (Kehler 1826, 1). In den Vorlesungen über die Philosophie der Natur von 1819/20 spricht Hegel in der Einleitung von „Beziehungen auf sie [die Natur]“ (V 16, 3-11; 3), in der Enzyklopädie von „Betrachtungsweisen der Natur“ (Enz 1830, §§ 245-246). Kehler 1826, 2 infolgedessen, sofern sie als „schön“ bestimmt wird, strukturell analog zu einem Kunstwerk aufgefaßt. Durch den Ansatz beim Kunstschönen reklamiert Hegel daher zunächst nur, den ursprünglichen ästhetischen Vollzug an einem Werk des Menschen, also am Kunstwerk als des eigens für einen solchen Vollzug gestalteten Objekts zu analysieren und das Konzept der Naturschönheit davon abgeleitet auszulegen. In Kants Kritik der Urteilskraft findet Hegel ein Beispiel der Analyse des Schönen. Allerdings erweitert Kant die Konzeption des Schönen in der Analyse der Urteile über das Erhabene um eine Bestimmung menschlicher Naturerfahrung aus der Konfrontation der Erfahrung der Freiheit mit der des Überwältigtseins durch Natur. Diese Elemente des ästhetischen Vollzuges greift er in der Bestimmung des Schönen als „Symbol der Sittlichkeit“20 auf, um sie von der formalen Analyse der Urteile über das Schöne auf die Beurteilung der Kunst zu erweitern. Hegel bezieht sich in den Ästhetikvorlesungen häufig zustimmend auf einzelne Überlegungen in Kants Kritik der Urteilskraft, so beispielsweise auf die Bestimmung des interesse(für Hegel begierde-) losen Wohlgefallens als Zugang zum Schönen. Er greift aber - vermittelt durch die Schillerrezeption und -Diskussion - Kants abschließende Bestimmung des Kunstwerks als „Symbol der Sittlichkeit“ auf.21 Hier wird letztlich die Analyse der Urteile über das Schöne und Erhabene zu einem Begriff des Schönen verknüpft, der den für die Analyse der Urteile über das Erhabene (also die Natur in ästhetischer Erfahrung) fundierenden Begriff der Freiheit in die Bestimmung des Schönen integriert. Kant selbst gibt damit ein Verhältnis von ästhetischem Vollzug gestalteter Objekte und Natur vor, das Hegel in Konsequenz einer fundamentalen Gewichtung der Freiheit zur Prävalenz des Kunstschönen umkehrt, aber nicht aufhebt. 20 21 Immanuel Kant: Kritik der Urteilskraft, Hamburg 1993 [im folgenden zitiert als: KU], § 59. Im Briefwechsel mit Hölderlin läßt sich dieses frühe Programm Hegels greifen (in: Briefe von und an Hegel. 1785-1812. Bd. 1. Hrsg. von Johannes Hofmeister. Hamburg 1969 [im folgenden zit. als: Briefe], 24f). Hegel übernimmt den Teil der gemeinsamen Aufgabe, ein „Ideal der Volkserziehung“ zu bestimmen, im Blick auf die Religion, Hölderlin fällt diese Aufgabe für die Kunst zu. In beiden Teilen des „Ideals der Volkserziehung“ soll Schillers Konzeption der ästhetischen Erziehung weitergeführt werden. Da Schiller sich mit seinen Überlegungen selbst an einer Auslegung der Kritik der Urteilskraft orientiert, nämlich an Kants Bestimmung der Schönheit als „Symbol der Sittlichkeit“, gibt er die Grundlage für eine Verknüpfung von Schönheitserfahrung und Freiheitsidee vor, die für Hegel nicht nur in den frühen Überlegungen, sondern bis in die abgeschlossene Gestalt der Ästhetik maßgeblich bleibt. - Vgl. A. Gethmann-Siefert: Die Funktion der Kunst in der Geschichte, Kap. 1; dies.: Einführung in Hegels Ästhetik, Kap. 1. 11 Durch den Ausgang vom Kunstschönen will Hegel also keineswegs die Bedeutung der Naturschönheit leugnen, sondern er beansprucht, die Bestimmung des Naturschönen im Rahmen der Analyse des Kunstschönen mitentwickeln zu können, während sich umgekehrt die Besonderheit des Kunstwerks (als Werk des Menschen) nur teilweise aus der Analyse des Naturschönen begreifen läßt. Er begründet diese Wende mit der These - die in der Tat im Sinne der Kritiker mißdeutbar ist -, „daß um soviel höher der Geist als die Natur ist, so viel höher das Kunstschöne als das Naturschöne“22 sei. Gemeint ist, und das macht Hegel in den weiteren Erläuterungen der Ästhetikvorlesungen klar, daß das, was durch menschliches Handeln geschaffen oder gestaltet ist, daß noch das „geringste Werkzeug“, erst recht das Kunstwerk darum „höher“ stehe als die bloße Natur, weil es als Handlungsresultat einem Verständnis eher zugänglich ist. So macht dasjenige, was „wir die Natur, die äußere Welt nennen (…) es dem Geiste saurer“23, sich, d.h. den zugrundeliegenden Vollzug, in ihr wiederzuerkennen, als das Kulturding (Werkzeug, Instrument oder Kunstwerk). Denn - so argumentiert Hegel im Kontext und in Weiterführung des Kantischen transzendentalen Ansatzes - auch die Natur läßt sich nur aus der Analyse des Naturvollzuges erschließen, erscheint vorderhand aber als etwas Äußerliches, objektiv Vorgegebenes, dem Vollzug Fremdes. Letztlich liegt der Grund der „Höherwertung“ des Geistes also nicht in dem von Adorno und seinen Nachfolgern kritisierten dogmatischen „Idealismus“, sondern hat methodische Gründe, die Hegel durch die Orientierung an Kant gewonnen hat. 2.1 Der gemeinsame Ansatz von Natur- und Geistphilosophie Um die Bedeutung des Naturschönen genau festzulegen, ist in einem ersten Schritt Hegels Philosophie des Geistes heranzuziehen, da Hegel die Bestimmung der Natur in Analogie zur Bestimmung des Geistes entwickelt. In der Enzyklopädie ordnet Hegel systematisch unterschiedliche Bedeutungen des Begriffs des Geistes: subjektiver, objektiver und absoluter Geist. Hegel versteht unter „subjektivem Geist“ eine an das Individuum und die 22 23 12 Kehler 1826, 1. Hotho 1823, 3. individuelle Vernunft gebundene Welteinstellung, die auf Äußerliches, Nichtgeistiges bezogen ist. Vollzugsformen wie z.B. Gefühl, Empfindung, Gewohnheit (in der „Anthropologie“), Bewußtsein, Selbstbewußtsein, Vernunft (in der „Phänomenologie“) sowie der „theoretische Geist“ mit Anschauung, Vorstellung, Denken und der „praktische Geist“ mit Fühlen, Streben, Wollen (in der „Psychologie“) scheinen in dieser Welteinstellung unvermittelt einer „Objektivität“ gegenüberzustehen. Als „objektiven Geist“ bezeichnet Hegel Phänomene der vom Menschen gestalteten und eingerichteten kulturellen Welt, also Werkzeuge, Behausungen, Technik, das Recht, die Institutionen, den Staat, aber auch die Weltgeschichte. Diese können dem Menschen als „zweite Natur“, d.h. als Formen und Institutionen der „Sittlichkeit“ entgegentreten. wie Als die Phänomene „absoluten Geist“ der Natur bezeichnet als notwendige Hegel diejenigen Vollzugsformen in Kunst, Religion und Philosophie, in denen der Mensch sich seiner von ihm selbst gestalteten Welt in der Anschauung, der Vorstellung und dem Denken eigens als von ihm selbst hervorgebrachte und gestaltete Welt versichert und sich in dieser wiederfindet bzw. wiedererkennt. Obwohl die Phänomene des objektiven Geistes Handlungsresultate sind, teilen sie mit Naturphänomenen ihre Vorgegebenheit. Der Unterschied besteht darin, daß die Gegenstände des „objektiven Geistes“ kulturell, d.h. durch menschliches Handeln vorgegeben sind und daher als Resultate menschlichen Handelns durch Bezug auf menschliche Handlungszwecke erklärt werden können und müssen. Dieser Unterschied wird im Alltag wie in den Wissenschaften häufig übersehen und führt dazu, kulturell Vorgegebenes (objektiver Geist) als naturhaft Vorgegebenes aufzufassen und rekonstruieren zu wollen. Auf diese Besonderheit menschlicher Handlungsresultate hat Hegel mit dem Begriff des „objektiven Geistes“ hinweisen wollen. Kunst, Religion und Philosophie stellen insofern Möglichkeiten dar, die quasinatürlichen Phänomene des „objektiven Geistes“ als Handlungsresultate (wieder) zu erkennen. In einem zweiten Schritt ist Hegels Bestimmung der Natur zu rekonstruieren. In Anlehnung an die Bestimmung des Geistes definiert Hegel „Natur“ vorerst als das „Andere des Geistes“. Nimmt man diese Bestimmung der „Natur“ in seiner Philosophie der Natur hinzu, dann wird zum einen 13 deutlich, daß Natur nicht vollzugsunabhängig, d.h. voraussetzungsfrei, sondern stets und nur durch den Vollzug und die Analyse des Naturvollzugs zu erfassen ist. Außerdem ergibt sich aus dieser Bestimmung, daß die Sachhaltigkeit dieses Vollzuges aus einem spezifischen Bezug zu, damit einer bestimmten Auslegung der Natur entspringt. Der Bezug zu und die damit verbundene Auslegung der Natur wiederum ist an bestimmte Aspekte oder Zwecksetzungen gebunden, ohne die eine Erfassung von etwas als etwas nicht möglich wäre. Auf den Zusammenhang der Bestimmung der Natur mit der Geistphilosophie und auf die Bedeutung dieser Verknüpfung für die Bestimmung des Kunstwerks hat z.B. Lu De Vos hingewiesen und eine Grundlage für die Deutung der Ästhetik entwickelt. Kunst kann nur dann als quasi natürliches Ding und Werk des Menschen erfaßt werden, „wenn ein eigenständiger Begriff einer Einheit von theoretischer und praktischer Instanz, d.h. von subjektivem und objektivem Geist, der auch die Natur übergreift, gesichert werden kann“24. Analysiert man Hegels Explikation des philosophischen Begriffs der Natur - als das „Andere des Geistes“ - in Kombination mit der Bestimmung des subjektiven und objektiven Geistes, so gewinnt man gegen die Kritik der Ästhetik die Basis für eine genauere Bestimmung des Naturschönen, damit zugleich die Argumente gegen die gängige Hegelkritik. Auf die kontroversen Deutungen des Hegelschen Geistbegriffs und die damit verknüpften Deutungen der Beziehung zwischen Geist und Natur kann an dieser Stelle nur exemplarisch und in Form einer Anmerkung hingewiesen werden.25 Entscheidend für die Analyse des Naturschönen ist der 24 25 14 Lu de Vos: Das Ideal. Anmerkungen zum spekulativen Begriff des Schönen, in: Hegel-Jahrbuch 2000, 13-20; 18. Vgl. auch ders.: Artikel „Kunst“, in: Hegel-Lexikon, Darmstadt 2006, 295-300. Beispielsweise sind - so Hans Friedrich Fulda - Natur und Geist in die übergeordnete Einheit der „Idee“ zu integrieren, aus der sie „hervorgehen“. Grundlage dieser Überlegung ist eine „Dualität von Natur und Geist“ (Hans Friedrich Fulda: Georg Wilhelm Friedrich Hegel, 152). Walter Jaeschke sieht in Natur und Geist „eine differenzierte Einheit“, die allerdings „unter dem Primat der Idee“ (Walter Jaeschke: Hegel-Handbuch, 334) verbleibt. Michael Quante betrachtet das Verhältnis von Geist und Natur als „reflexionslogisches Verhältnis“ (Michael Quante: Schichtung oder Setzung? Hegels reflexionslogische Bestimmung des Natur-Geist-Verhältnisses, in: HegelStudien, Bd. 37, Hamburg 2002, 107-121; 107). - Eine genaue Rekonstruktion der Bedeutung des Begriffs der „Idee“ bei Hegel kann hier nicht geleistet werden. Die in der Enzyklopädie abschließend vorgetragene Definition der Idee als „absolute Einheit des Begriffs und der Objektivität“ (Enz 1830, § 213) kann vielleicht, ihrer Abstraktheit und ihres Voraussetzungsreichtums ungeachtet, ‚übersetzt’ werden als „das Gesamt der Möglichkeiten geistiger Erfassung von Welt (…) im Rahmen einer humanen Kulturtradition, einer großangelegten Kooperation in der Bereitstellung von Mitteln im Wissen und Können, in Wissenschaft und Grundgedanke Hegels, daß Natur wie Geist nicht unabhängig voneinander bestimmt werden können, daß „Natur und Geist sich durch sich selbst aufeinander beziehen“26. Daher definiert sich der Geist zugleich durch den Bezug auf und in Abgrenzung von Natur27, wobei dieser Bezug keineswegs ahistorisch ein für alle mal festgeschrieben ist, sondern - wie die Rekonstruktion des Hegelschen Geistbegriffs zeigt - als aspekt- bzw. zweckgeleiteter Bezug geschichtlich vermittelt ist und damit dem historischen Wandel unterliegt. Diese Deutung fußt auf der These P. Stekeler-Weithofers, daß „unser ‚Geist’ in nichts anderem als in unserem besonderen Verhältnis zu Natur und Geschichte“ besteht28. 2.2 Hegels Bestimmung des „Geistes“ In der Hegelkritik ist der Begriff des Geistes häufig der Anlaß, Hegels Philosophie als „schlechte Metaphysik“ abzutun. Hegel selbst hat den Terminus „Geist“ der an Rene Descartes 29 bewußtseinsphilosophischen Tradition entlehnt anschließenden und ihm eine über das individuelle oder transzendentale „Ich“ hinausreichende Bedeutung gegeben. Will man diese Bedeutung des Hegelschen „Geist“-Begriffs im Vergleich zu den vorhergehenden Konzeptionen der Tradition adäquat erfassen, ist ein kurzer Blick auf die entscheidende philosophische Frage der frühen Überlegungen Hegels in der Frankfurter und Jenaer Zeit erforderlich. Hegels Konzept des „Geistes“ kann nämlich als Antwort auf die Frage verstanden werden, wie Vernunft und Freiheit angesichts einer scheinbar unvernünftigen und in Unfreiheit verstrickten Welt vermittelt und realisiert werden können, wie man die in der Cartesianischen und Kantischen Philosophie sich ergebende Kluft zwischen „Subjekt“ und „Objekt“, zwischen Mensch und 26 27 28 29 Technik und der Entwicklung von Kultur- und Lebensformen in Staat und Gesellschaft, Religion und Kunst“ (P. Stekeler-Weithofer: Philosophie des Selbstbewußtseins. Hegels System als Formanalyse von Wissen und Autonomie, Frankfurt am Main 2005, 312). GW 15, 218. Hans Friedrich Fulda: Georg Wilhelm Friedrich Hegel, insbesondere Kap. 7.2 Pirmin Stekeler-Weithofer: Hegels Naturphilosophie. Versuch einer topischen Bestimmung, in: Hegel-Studien, Bd. 36, Hamburg 2001, 117-145; 141. Vgl. den Artikel „Geist“ in: Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie. Unter ständiger Mitw. von Gottfried Gabriel, in Verbindung mit Martin Carrier hrsg. von Jürgen Mittelstraß, 2. neubearb. und wesentlich erg. Aufl., Bd. 3, Stuttgart 2008, 51-53. 15 Welt „durch die Versöhnung aufheben“30 kann.31 Diese Frage ist für Hegel keine theoretische, sondern wird als Frage formuliert, wie eine sittliche Gemeinschaft wiederhergestellt oder neu begründet werden kann. Grundlage der gesamten Theorie ist demnach eine praktische Frage: nämlich die in der Jenaer Zeit formulierte Frage, wie man durch die Philosophie „leben lernen“ kann32. H. Schnädelbach hat gezeigt, daß Hegel „vor dem Hintergrund der Denkerfahrungen vor allem der Frankfurter theologischen Jugendschriften, aber auch der Hölderlinschen Vereinigungs- und Versöhnungsphilosophie (…) praktische Philosophie eben nicht mehr nur als transzendentale Philosophie der subjektiven und formalen Bedingungen der Möglichkeit des Sittlichen wie bei Kant und Fichte auf[faßt], sondern als eine objektive und inhaltliche Philosophie des Sittlichen, in der die Grundstrukturen der antiken pólis-Sittlichkeit und das neuzeitliche Prinzip subjektiver Freiheit miteinander in Einklang gebracht werden können“33. Diese Überlegungen bilden den entwicklungs- und problemgeschichtlichen Hintergrund der Hegelschen Konzeption des Geistes.34 In dem Fragment Introductio in Philosophiam aus dem Jahre 1801/02 bezeichnet Hegel es als „das allgemeine des Bedürfnisses der Philosophie“, eine Antwort auf die Frage zu finden, „welche Beziehung hat die Philosophie aufs Leben?“ Diese Frage wiederum sei gleichbedeutend mit der Frage: „inwiefern ist die Philosophie praktisch? Denn das wahre Bedürfniß der Philosophie geht doch wohl auf nichts anders als darauf, von ihr und durch sie 30 31 32 33 34 16 G.W.F. Hegel: Der Geist des Christenthums und sein Schicksal, in: Hegels theologische Jugendschriften, nach den Handschriften der Kgl. Bibliothek in Berlin hrsg. von Dr. Herman Nohl, Tübingen 1907, 241-342; 256. Im Hinblick auf das in der gegenwärtigen Philosophie des Geistes diskutierte Verhältnis von Natur und Geist hat Michael Quante Hegels „reflexionslogische Bestimmung des Natur-GeistVerhältnisses“ als „attraktive Alternative zu dem gegenwärtig vorherrschenden Paradigma in der Philosophie des Geistes“ beurteilt (Michael Quante: Schichtung oder Setzung? Hegels reflexionslogische Bestimmung des Natur-Geist-Verhältnisses, 107). Der cartesianische Substanzendualismus dient Quante zufolge im Kontext der genannten Debatten als „Kontrastfolie“ zu den substanz-monistischen „schichtenontologischen“ Alternativen. Da aber beide Modelle jeweils die Frage nach der Relation zwischen den Substanzen bzw. den Schichten nicht befriedigend beantworten können, „steht das Schichtenmodell nicht besser da als substanzdualistische Positionen“ (a.a.O., 110). Vgl. hierzu Manfred Baum/Kurt Meist: Durch Philosophie leben lernen. Hegels Konzeption der Philosophie nach den neu aufgefundenen Jenaer Manuskripten. In: Hegel-Studien 12. 1977, 43-81. H. Schnädelbach: Hegels praktische Philosophie, Frankfurt a.M. 2000, 141. Vgl. H. Schnädelbach: Hegels praktische Philosophie, 143f. sowie L. Siep: Hegels Metaphysik der Sitten. In: ders.: Praktische Philosophie im Deutschen Idealismus, Frankfurt a.M. 1992, 182-194. leben zu lernen“.35 Hinter dieser Frage steht das Problem, wie der in einer spezifischen Kultur und Tradition lebende Mensch sich seines Wissens, seiner Erkenntnisse und seiner Handlungsorientierung in der Gegenwart und für die Zukunft versichern kann, ob und wie er einer philosophischen Analyse entnehmen kann, wie er jetzt und in Zukunft seine Welt human gestalten sollte. Durch Philosophie für das Leben lernen in diesem Sinne ist dann möglich, wenn Philosophie das Ganze der Wirklichkeit daraufhin prüft, inwiefern die genannten Fragen in der Wirklichkeit beantwortet sind und wenn es gelingt, den Einzelnen über seine individuellen Ein- und Ansichten aufzuklären und seinen „subjektiven Standpunkt“ zugunsten eines 36 allgemeineren Vernunft-Standpunktes zu führen. Demgemäß bezeichnet Hegel durch den Begriff des Geistes kein abstrakt, d.h. weltlos der Wirklichkeit (Natur und Kultur) bzw. einer „Objektivität“ gegenüberstehendes Cartesianisches „Subjekt“, auch nicht das Kantische transzendentale oder das Fichtesche unbedingte „Ich“. In den Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte von 1822/23 präzisiert Hegel die Bestimmung des „Geistes“ dahingehend, „der Mensch als Geist“ sei wesentlich Vermittlungstätigkeit im Hinblick auf die Freiheit des Menschen: „Unsere Hauptbestimmung ist, daß der Mensch als Geist nicht ein Unmittelbares ist, sondern wesentlich ein in sich Zurückgekehrtes. Diese Bewegung der Vermittlung ist so das wesentliche Moment der geistigen Natur; dadurch wird der Mensch selbständig und frei. […] Der Geist ist also nur das, 37 zu was er sich durch seine Tätigkeit macht.“ Auf die Frage, was der Geist sei, reagiert Hegel dementsprechend z.B. in den Vorlesungen über die Philosophie des Geistes von 1827/28 mit einer Umformulierung der Frage dahingehend, daß der Sinn dieser Frage sei: „Was ist das Wahrhafte des Geistes?“ und diese Frage wiederum sei „gleichbedeutend damit: was ist die Bestimmung des Menschen?“38 „Geist“ 35 36 37 38 GW 5, 261. „Der Zwek einer Einleitung in die Philosophie könnte bloß seyn, diese subjectiven Standpunkte über sich selbst aufzuklären und sie mit dem objectiven der Philosophie zu verständigen, mit sich selbst, daß sie durch ihre beschränkten Formen hindurch die Aufgabe in größerm und allgemeinerem Standpunkte fassen lernen, und sich in dem Gegenstand der Philosophie erkennen lernen“ (GW 5, 259). V 12, 30. „Wenn gefragt wird, was der Geist ist, so ist der eigentliche Sinn dieser Frage: was ist das Wahrhafte des Geistes, und das ist gleichbedeutend damit: was ist die Bestimmung des Menschen?“ (V 13, 6). 17 ist demnach keine menschlichen Vollzügen bereits vorausliegende Entität39 oder Instanz, sondern „Geist“ besteht in nichts anderem als in Tätigkeit, in der Praxis des denkenden, erkennenden und handelnden Menschen. „Geist“ wird sich daher nicht vor seinen theoretischen wie praktischen Vollzügen, sondern allein in ihnen und durch sie seiner bewußt und bestimmbar. Wenn Hegel die Frage nach dem „Geist“ mit der nach der „Bestimmung des Menschen“ gleichsetzt, dann greift er im übrigen auf die bekannten philosophischen Grundfragen Kants zurück - Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? - die insgesamt in der Frage münden: Was ist der Mensch? Die häufig in der Hegelinterpretation behauptete Prävalenz der Theorie vor der Praxis, dementsprechend des Geistes vor der Natur, kann und sollte vor diesem Hintergrund als Mißverständnis zurückgewiesen werden. Hegel geht es statt dessen darum, den Begriff des Geistes als Einheit eines theoretischen und praktischen Vermögens, nämlich als Einheit von Erkenntnis und Handeln zu fassen. Daß und wie die theoretische Vernunft in der praktischen fundiert ist, zeigt sich an Hegels Konzeption des Werks, da der menschliche „Geist“ - erkennend wie handelnd - nur aus den Resultaten zweckgerichteten Handelns, d.h. in Werken faßlich ist. 2.2.1 Der Begriff des Werks und die Fundierung der theoretischen in der praktischen Vernunft Die Ausgangsfrage in Hegels vorsystematischen Überlegungen lautet also, wie Philosophie praktisch werden kann, präziser: wie die Kantischen Ideen von Vernunft und Freiheit sich in der Wirklichkeit geschichtlich realisieren lassen. In den Jenaer Systementwürfen von 1803/04 und 1805/0640 greift Hegel auf seine frühen, im Rahmen der religionskritischen Reflexionen entwickelten Überlegungen zurück, und bestimmt den „Geist eines Volks“41 als das geschichtliche Bewußtsein einer Gemeinschaft, das heißt als ihre gemeinsame Handlungsorientierung. Solcherweise mit dem Begriff des Handelns bzw. der Handlungsorientierung verknüpft, kann nach Hegel ein 39 40 41 18 Lu de Vos’ These, „'Geist', 'absoluter Geist' und Idee bedeuten keine gesonderten 'metaphysischen' Entitäten, sondern Formen, Bestimmtheiten einer sich vollziehenden monistischen Selbstbeziehung“, wird hier zustimmend vorausgesetzt (Lu DeVos: Die Bestimmung des Ideals. Vorbemerkungen zur Logik der Ästhetik, 43, Anm. 4). Vgl. auch ders.: Artikel „Geist“, in: HegelLexikon, 222-227. GW 6, GW 8. GW 6, 314. Begriff des Geistes nur durch die Analyse der Realisierungsformen des Geistes im menschlichen Handeln, nämlich Arbeit und Sprache, damit der Resultate intentionalen Handelns gewonnen werden.42 Was die Sprache betrifft, lassen sich in und durch Sprache nicht nur Natur und Kultur repräsentieren, sondern das „Ich“ oder „Selbst“ des Menschen gewinnt eine Form der Selbstobjektivierung. Das heißt, das „Ich“ wird „sich gegenständlich“, es „vernimmt ebenso sich, als es von den anderen vernommen wird“, und es ist in dieser Gegenständlichkeit sowohl das sich erhaltende Selbst als auch das Selbstbewußtsein der anderen.43 „Sprache“ ist insofern „Dasein des Geistes“ bzw. die „ideale Existenz des Geistes“, die sich „nur als Werk eines Volks“ manifestiert.44 Sie ist daher „nur als Sprache eines Volks“.45 Ohne eine bestimmte historisch bedingte Kultur, in der eine bestimmte Gemeinschaft lebt, handelt und arbeitet, gibt es also keine Sprache als Form des „Sich-Gegebenseins“ im Sinne der Stiftung eines gemeinsamen Bewußtseins, damit zugleich einer (Selbst-)Auslegung bzw. (Selbst-)Deutung dieser Gemeinschaft. Als reale Existenz des Geistes bestimmt Hegel Arbeit und Besitz.46 Arbeit ist Tätigkeit, Vollzug, d.h. Auseinandersetzung des handelnden Menschen mit der Natur mit dem Ziel der Überlebenssicherung und Schaffung wie Gestaltung (Besitz) einer menschengemäßen Welt. Darin liegt die „Vernünftigkeit“ der Arbeit, daß sie zwar „subjective Thätigkeit des Einzelnen“ ist, aber zugleich „sich im Volke zu einem allgemeinen macht, und darum der Einzelheit des Individuums entgegengesetzt ist“47. Alle Werkzeugherstellung und -verwendung, jedwede Bearbeitung der Natur, Maschinenherstellung und -nutzung sowie jede Einrichtung von Behausungen und Gebäuden etc. lassen sich nicht allein aus der Tat und dem Werk eines Individuums verstehen, sondern sie sind „Geist des Volks“: Sie entspringen 42 43 44 45 46 47 Vgl. hierzu A. Gethmann-Siefert: Einführung in Hegels Ästhetik, Kap. 1.3. Diese Bestimmungen finden sich in der Phänomenologie des Geistes: „Wir sehen hiemit wieder die S p r a c h e als das Daseyn des Geistes. Sie ist das f ü r a n d e r e seyende Selbstbewußtseyn, welches unmittelbar a l s s o l c h e s v o r h a n d e n und als d i e s e s allgemeines ist. Sie ist das sich von sich selbst abtrennende Selbst, das als reines Ich = Ich sich gegenständlich wird, in dieser Gegenständlichkeit sich ebenso als d i e s e s Selbst erhält, wie es unmittelbar mit den anderen zusammenfließt und i h r Selbstbewußtseyn ist; es vernimmt ebenso sich, als es von den anderen vernommen wird, und das Vernehmen ist eben das z u m S e l b s t g e w o r d e n e D a s e y n . “ ( G W 9, 351). GW 6, 318. GW 6, 318. GW 6, 319. GW 6, 320. 19 einer zwar individuellen, aber nur aus einem bereits bestehenden Handlungszusammenhang verstehbaren zweckgerichteten „Thätigkeit“48 und führen als Resultat (Werk) zu einer Kultur-Welt des Menschen. Jedes Werkzeug, jede Maschine, jedes Gebäude sind daher auch nicht Natur, sondern zählen zum Bereich des „objektiven Geistes“ und lassen sich aus der Handlungsintention der Herstellung und des Gebrauchs rekonstruieren und erklären. Der „Geist eines Volks“ läßt sich daher vor diesem handlungstheoretischen Hintergrund nur aus Handlungsresultaten, und das heißt aus einem Werk erschließen. Der „Geist“ - so Hegel - „muß sich ewig zum WERKE werden, oder er ist nur als ein ewiges Werden zum Geiste“49. Er muß sich also in menschlichen Handlungs-Vollzügen und Handlungs-Resultaten (Werken) und zwar erkennend wie handelnd - manifestieren, um überhaupt faßlich zu sein. In diesen frühen Überlegungen Hegels sind die begrifflichen Bestimmungen der späteren Vorlesungen zur Philosophie des Geistes bereits angelegt. Auch in den Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte von 1822/23 greift Hegel diesen Gedanken wieder auf. Zunächst ist ein Erkennen, ein Wissen des Geistes nur möglich und rekonstruierbar, wenn der entsprechende sachhaltige Vollzug zum Ansatz genommen wird. Dann erfaßt man „Geist“ zureichend, und zwar aus seinem Zweck: „Dies ist der Zweck des Geistes (…), sich zu produzieren, zum Gegenstand zu machen, damit er sich als Dasein habe, damit er sich wisse; sein Sein ist, sich 50 zu wissen.“ Der „Geist“ bezieht sich jeweils zugleich auf etwas und auf sich selbst51, ist daher seiner Bestimmung nach Selbstbezug52, in Hegels Sprache: ein „Beisich-selbst-Sein“53. Die ausgezeichnete Form dieses Selbstbezuges des 48 49 50 51 52 53 20 GW 6, 315. GW 6, 315. V 12, 45. Geist „ist Bewegung und Tätigkeit, die ein Erstes verläßt, zu einem anderen geht, es bearbeitet, überwindet und sich hierin in dieser Arbeit selbst gefunden [hat] und so zurückkehrend zum ersten erst wirklich Geist geworden [ist]“ (V 12, 36). „Der Geist ist Ich = Ich, das Ich, das sich ganz selbst erfaßt“ (Vorlesungen über die Philosophie der Natur. Berlin 1819/20. Nachgeschrieben von Johann Rudolf Ringier, hg. von Martin Bondeli und Hoo Nam Seelmann, Hamburg 2002 [im folgenden: V 16], 141). „[…] die konkrete Freiheit ist, daß ich in der Bestimmtheit meiner − Schranke, Negation − nur bei mir selbst bin, das andere annihiliere“ (V 13, 14). Geistes ist Sich-Wissen - aber als Bestimmung seiner Wirklichkeit54, d.h. Geist als zum „Werk“ gewordener. Weil aber ein zureichender Begriff des Geistes nur durch die Analyse des Vollzuges und insbesondere des Vollzugsresultates (im Zitat: Wissen) möglich ist, und weil Hegel sich für den Ansatz der Analyse des Geistes der Kategorie des Zwecks bedient, schließt Hegel, daß der Geist, will er „Bewußtsein über sich haben“, „sich also als Tat gegenüberstehen“55 muß: „So ist er nur wirklicher Geist, indem [er] sein Ansichsein als Objekt, als Werk, Tat vor sich gebracht hat.“56 Wenig später, in der Ästhetikvorlesung des Sommersemesters 1823, benutzt Hegel den gleichen Gedanken, um den geistigen Charakter des Kunstwerks zu erklären: „Der Mensch als Bewußtsein verdoppelt sich, ist einmal, dann ist er für sich, treibt, was er ist, vor sich, schaut sich an, stellt sich vor, ist Bewußtsein von 57 sich; und er bringt nur vor sich, was er ist.“ Im Gegensatz zum menschlichen Bewußtsein sind Naturphänomene zu einer Objektivierung ihrer selbst nicht fähig: Die „natürlichen Dinge sind nur, sind nur einfach, nur einmal“58. Das „Vernünftige“ des allgemeinen Bedürfnisses des Menschen, Kunst zu produzieren, besteht Hegel zufolge darin, „daß der Mensch als Bewußtsein sich äußert, sich verdoppelt, sich zur Anschauung für sich und andere bringt“. Das Kunstwerk wird vom Menschen produziert, „damit das Bewußtsein sich selbst zum Gegenstande werde“59. In Anknüpfung an die Bestimmung der Vollzüge „Arbeit“ und „Sprache“ lassen sich diese Äußerungen nutzen, an dieser Stelle eine erste vorläufige Bestimmung der Kunst vorzunehmen. Das Kunstwerk definiert sich auf diese Weise als Einheit von Arbeit und Sprache, da es konkret aus dem erkennendhandelnden Umgang des Menschen mit Natur, damit als Einheit von Geist und Natur gewonnen werden kann. Die Kunst gestaltet einen gegebenen Stoff - ist damit Arbeit. Kunst ist aber auch Auslegung bzw. Deutung, weil die Gestaltung des Stoffs einer bestimmten Zwecksetzung, d.h. einer bestimmten Intention folgt - und ist damit Sprache. Beides - Gestaltung wie 54 55 56 57 58 59 Der „wichtigste Punkt für die Natur des Geistes ist das Verhältniß (…) dessen, als was er s i c h w e i ß ; dieses Sichwissen ist (…) Grundbestimmung seiner W i r k l i c h k e i t “ (GW 21, 16). V 12, 44. V 12, 45. Hotho 1823, 13. Hotho 1823, 12f. Hotho 1823, 13. 21 Gestaltungszweck - erscheinen anschaulich für einen Nachvollzug im Werk. Wie die weiteren Ausführungen zeigen werden, besteht der allgemeine Zweck der Kunst darin, ein spezifisches historisches Selbst- und Weltverständnis, eine spezifische Weltanschauung bzw. Weltdeutung einer Handlungsgemeinschaft in einer anschaubaren (seh- und hörbaren) KunstGestalt anschaulich darzustellen und dadurch für einen wirksamen Nachvollzug zu vermitteln. 2.2.2 Der Begriff des Geistes Wenn sich die Bedeutung des Werks im allgemeinen und des Kunstwerks im besonderen aus der Einheit der Vollzüge „Arbeit“ („reale Existenz des Geistes“) und „Sprache“ („ideale Existenz des Geistes“), damit aus dem erkennend-handelnden Umgang des Menschen mit der Natur bestimmen läßt, und eine Theorie des Naturschönen im Ausgang von einer Konzeption des Kunstschönen entwickelt werden kann, dann ist der Begriff des Geistes als noch vorerst nur behauptete Einheit von Erkennen und Handeln für eine zureichende Grundlage dieser Konzeption noch genauer zu fassen. Für eine erste Bestimmung menschlichen Erkennens wie Handelns sind insbesondere die Begriffe der „Freiheit“, „Idealität“ und „Geschichtlichkeit“ des Geistes entscheidend. In den §§ 379-380 der Enzyklopädie macht Hegel zuerst auf eine „eigenthümliche Verständnis des Schwierigkeit“ Geistes, aufmerksam, insbesondere im die einem Unterschied adäquaten zur Natur, entgegenstehen könnte. Er nennt als entscheidendes Charakteristikum des Geistes dessen „lebendige Einheit“60, die mit einem Terminus aktueller Diskussionen als „Holismus“61 charakterisiert werden kann. Das bedeutet, die „concrete Natur des Geistes“62 ist eine in sich gegliederte Einheit, in der die Stufen und Bestimmungen des Geistes nur Momente sind. Das wiederum bedeutet, daß der Geist nicht in „besondere Existenzen“ zerfällt, wie dies in der Natur der Fall ist, wo beispielsweise die Materie „ihre freie Existenz als 60 61 62 22 Enz 1830, § 379. Eine ausführliche Analyse der „concreten Natur des Geistes“ im Sinne eines Holismus liefert Christoph Halbig, der diesen Holismus von einer in aktuellen Diskussionen häufig vertretenen „Modularitätstheorie“ des Geistes unterscheidet und kritisch absetzt. Vgl. Christoph Halbig: Objektives Denken, Kap. 3. Enz 1830, § 380. Sonnensystem hat“. Vollzugsformen wie Empfindung und Wahrnehmung hingegen haben keine freie Existenz, sondern sind nur „Momente, Zustände, Bestimmungen an den höhern Entwicklungsstufen“ des Geistes.63 Hegel wendet sich damit zum einen gegen die Vorstellung der damaligen rationalen Psychologie, die den menschlichen Geist wie ein Ding durch Verstandeskategorien analysiert, zum anderen gegen eine empirische Psychologie, die die „Vermögen“ des Geistes empirisch aufgreift und zu einer „Zersplitterung desselben in die verschiedenen, gegeneinander selbstständig vorgestellten Vermögen, Kräfte“64, ja dazu führt, daß „der Geist auf diese Weise zu einer verknöcherten, mechanischen Sammlung (…) zu einem Aggregatwesen“65 gemacht wird. Hegels Konzeption des Geistes als „lebendige Einheit“ hat zur Folge, daß geistige Vermögen wie Empfindung und Gefühl sittliche und religiöse Inhalte, Kunst und Religion etwa Stimmungen oder Anschauungen vermitteln können. Für den Naturvollzug kann dies die Konsequenz haben, daß historisch vermittelte Kunsterfahrungen oder spezifische Sehgewohnheiten gleichsam auf ästhetische Naturerfahrung bildend oder formend einwirken („gebildete Anschauung“) und dazu führen, Natur als schön, bei Abweichung von vertrauten Sehmustern als häßlich zu erfahren. „Geist“ ist somit auch die Fähigkeit oder das Vermögen des Menschen, seine natürlichen Voraussetzungen66 aufzuheben67. Der Mensch kann in Distanz treten zur Natur und in und aus Freiheit Natur in Kultur transformieren. Der menschliche Geist kann sich aber auch in eine der Natur analoge Notwendigkeit verfangen, wenn Vollzüge - wie im genannten Beispiel das Sehen von etwas als etwas - undurchschaut oder unreflektiert in Gewohnheiten erstarren. Zudem bedarf der Geist der Natur, einmal zu seiner Definition - er definiert sich in Differenz zu Natur68 -, darüber hinaus zum 63 64 65 66 67 68 Enz 1830, § 380. Enz 1830, § 379. Enz 1830, § 445. „Der Geist h a t f ü r u n s d i e N a t u r zu seiner V o r a u s s e t z u n g , deren W a h r h e i t , und damit deren a b s o l u t E r s t e s er ist“ (Enz 1830, § 381). Der „Geist“ „k a n n (…) von allem Aeußerlichen und seiner eigenen Aeußerlichkeit, seinem Daseyn selbst abstrahiren“ (Enz 1830, § 382). In einem „Fragment zur Philosophie des subjektiven Geistes“, das Hegel Anfang der 1820er Jahre verfaßt haben muß (GW 15, 207-249. Zur Datierung vgl. Ein Hegelsches Fragment zur Philosophie des Geistes. Eingeleitet und hg. von Friedhelm Nicolin. In: Hegel-Studien 1 (1961), 17-48, Einleitung: 9-17) heißt es hierzu: „Den Begriff des Geistes festzusetzen, dazu ist nöthig, die B e s t i m m t h e i t anzugeben, wodurch er die Idee als Geist ist. Alle Bestimmtheit ist aber Bestimmtheit nur gegen eine andere Bestimmtheit; der des Geistes überhaupt steht zunächst die der Natur gegenüber, und jene ist daher nur zugleich mit dieser zu fassen. Indem dieser Unterschied 23 Material für seine Kulturleistungen. So ist beispielsweise die Sprache für Hegel ein Zeichen, das nicht ohne natürliches Material auskommt − beim gesprochenen Wort sind dies Laute und Töne, beim geschriebenen Wort ist dies die Schrift.69 Den Unterschied von Geist und Natur bzw. die prinzipielle Eigentümlichkeit des Geistes gegenüber der Natur definiert Hegel vor dem Hintergrund dieser Bestimmungen als „Freiheit“70. Seine „Tätigkeit“71 analog zu Fichtes „Tathandlung“ - ist zugleich seine Wirklichkeit, d.h. Möglichkeit und Wirklichkeit fallen insofern zusammen, als die Wirklichkeit des Geistes ohne Tätigkeit nicht zu haben ist72. Der Mensch ist daher immer schon auf Verständigung73, auf (Selbst-)darstellung für sich selbst und andere angewiesen, wie dies im Kunstwerk als Präsentation eines anschaulich gestalteten (Natur-)Vollzuges für den Nachvollzug einer Handlungsgemeinschaft der Fall ist. Im Gegensatz dazu bleibt die Natur vorderhand in sich verborgen, gewissermaßen in der eigenen Unmittelbarkeit verhüllt74. Natur ist insofern durch einen Mangel an Transparenz, durch fehlende Selbstmanifestation gekennzeichnet: Das ist mit ein Grund für Hegels Aussage in den Ästhetikvorlesungen, sie mache es dem „Geiste saurer“, sich zu erkennen. Die Freiheit des „Geistes“ besteht demnach in einer Selbstkonstitution, da dessen wesentliche „Tätigkeit“ überhaupt nur im subjektiven Vollzug (subjektiver Geist) und dessen Vergegenständlichungen (objektiver Geist) 69 70 71 72 73 74 24 des Geistes und der Natur zunächst f ü r u n s , für die subjektive Reflexion ist, so wird sich dann an ihm selbst zeigen, daß und wie Natur und Geist sich durch sich selbst aufeinander beziehen.“ (GW 15, 218). Vgl. z.B. GW 6, 280ff.; V 13, 209; Enz 1830, § 458. „Das W e s e n des Geistes ist deswegen formell die F r e i h e i t “ (Enz 1830, § 382). An anderen Stellen heißt es: „Das Wesen des Geistes ist die Freiheit“ (Vorlesungen über die Philosophie des Geistes. Berlin 1827/1828. Nachgeschrieben von Johann Eduard Erdmann und Ferdinand Walter, hg. von Franz Hespe und Burkhard Tuschling unter Mitarbeit von Markus Eichel, Werner Euler, Dieter Hüning, Torsten Poths und Uli Vogel, Hamburg 1994 [im folgenden: V 13], 12); die „abs[olute] Anlage ist das, worauf sich alles reduziert, d[er] Urspr[ung]. Diese abs[olute] Anlage oder Substanz des Geistes ist seine Freiheit, und die Bestimmung seines Tuns, die Tat des Geistes ist, sich zu befreien“ (V 13, 7). „Der Geist ist diß wesentlich, thätig zu seyn, das heißt, sich und zwar nur seinen Begriff zur Erscheinung zu bringen, ihn zu offenbaren“ (GW 15, 218). Das vollständige Zitat lautet: „Die Bestimmtheit des Geistes ist daher die M a n i f e s t a t i o n . Er ist nicht irgend eine Bestimmtheit oder Inhalt, dessen Aeußerung und Aeußerlichkeit nur davon unterschiedene Form wäre; so daß er nicht E t w a s offenbart, sondern seine Bestimmtheit und Inhalt ist dieses Offenbaren selbst“ (Enz 1830, § 383). Die „Wurzel der Humanität“ (GW 2, 47) besteht in der Verständigung in „der Gemeinschaft der Vernünftigkeit“ (Enz 1830, § 447). Hegel benutzt häufig die Metapher, wonach die „physische Natur“ die Idee in der Form sei, „in die sie sich selbst versenkt“ (V 12, 25). Existenz gewinnt. Das heißt, nur durch „Tätigkeit“ (Vollzug) überhaupt wird Welt, also die der Natur abgerungenen Behausungen, Einrichtungen, Institutionen, Sittlichkeit und Staat, kurz: das Gesamt menschlicher Kultur erschlossen. In der Enzyklopädie formuliert Hegel dies entsprechend so: Geist ist „Setzen der Natur als seiner Welt“75. Infolgedessen erscheint Natur „im Geist als Ideelles, als ein Gesetztes“76. Idealität verweist dementsprechend zurück auf die „Freiheit“ menschlicher Vollzüge, ob diese nun theoretisch der Erkenntnis oder praktisch dem Handeln dienen. So definiert Hegel in den Vorlesungen zur Philosophie des Geistes von 1827/28 den Begriff der „Idealität“ wie folgt: „Die Bestimmung der Freiheit ist auch, was wir Idealität nennen, ein Unterschied ist gesetzt, aber seine Selbständigkeit zugleich aufgehoben. Ich verhalte mich idealistisch, ich schaue etwas an, und das ist selbständig gegen mich, aber diese ganze Vorstellung ist mein, ich bin der Träger derselben, das Selbständige, der Gegenstand ist ideal“77. „Idealität“ heißt also, daß der Mensch Wirklichkeit erschließt, indem er mittels subjektiver Vollzüge wie Wahrnehmung, Wollen, Denken etc. Inhalte setzt, d.h. einem bestimmten (Erkenntnis-, Handlungs-, Gestaltungs)-Zweck unterwirft. Entsprechend stellt Hegel die These auf, der menschliche Geist erkläre jeden Inhalt zu „seinem Eigentum“78. Hegel bewegt sich auch mit diesen Grundbegriffen seiner Philosophie weitgehend im Rahmen des von Kant entwickelten transzendentalphilosophischen Ansatzes, wonach die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung zugleich die Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände der Erfahrung sind. Ein weiteres, für ein Verständnis nicht nur der Hegelschen Ästhetik, sondern für dessen gesamte Philosophie des Geistes entscheidendes Charakteristikum des Geistes, das auch für den Naturvollzug qua Erkennen und Kunst relevant ist, ist dessen Geschichtlichkeit79. Auch der Naturvollzug dies wird zu zeigen sein - unterliegt der Geschichtlichkeit, mit erheblichen Konsequenzen für Naturwahrnehmung, -erkenntnis und -darstellung. In der 75 76 77 78 79 Enz 1830, § 384. Pfordten 1826, 71. V 13, 15. V 13, 141. W. Jaeschke macht darauf aufmerksam, daß Hegel „mehr noch als Kant (…) aber auch als Herder (…) der Entdecker der »Geschichtlichkeit« geworden“ sei, „ein Wort, das sich anscheinend erstmals bei ihm findet“ (W. Jaeschke: Hegel-Handbuch, 353). 25 Enzyklopädie wird der Zusammenhang zwischen Geist und Geschichte nur angedeutet, obwohl Hegel ausführlich beispielsweise die jeweilige Geschichte der Kunst, Religion und Philosophie rekonstruiert. Im Zusammenhang der Paragraphen zum „Begriff des Geistes“ findet sich lediglich eine knappe Andeutung dahingehend, daß die Weltgeschichte nur „aus dem Drang“ zu „begreifen“ sei, die „Definition“ des Absoluten als Geist „zu finden“.80 Allerdings findet sich beispielsweise in den Vorlesungen über die Philosophie des Geistes von 1827/28 ein deutlicher Hinweis auf die Beziehung von Geist und Geschichte. Geschichte ist Ausdrucksform des Geistes, weil Geist Freiheit ist. Will man die Bedeutung des Geistbegriffs nicht losgelöst vom Ursprung gleichsam „substantiviert“ fassen, so muß man an die Grundlage Hegels erinnern, an die im Kantischen Sinne gewendete Frage nach dem, was der Mensch aus sich machen, wozu er sich entwickeln soll. Da Hegel Geist und Freiheit verknüpft, geht es in der Geschichte eindeutig um den auch sonst geforderten „Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit“81, d.h. der Mensch muß sich als freies und vernünftiges Wesen nicht nur begreifen, sondern zugleich realisieren: „Der Mensch soll sich hervorbringen, aber er kann sich zu nichts anderem machen, kann keinen anderen Zweck haben, als was er ursprünglich an sich ist. (…) Alles Interesse der Geschichte des Weltgeistes dreht sich um diesen Unterschied, zum Bewußtsein zu bringen, was an sich ist, dies Innere, daß es auch für sich werde“.82 Diesen notwendigen Zusammenhang von Erkenntnis des eigenen Wesens und Realisation von Vernunft und Freiheit, also von Erkennen und Handeln entwickelt Hegel in der Differenzierung des Begriffs des Geistes, konkret als Gegenüberstellung von „subjektivem“ und „objektivem“ Geist. In dieser differenzierenden Analyse faßt Hegel den Geist zunächst als Form der Erkenntnis, um ihn dann aber sogleich in seiner Sachhaltigkeit zu erschließen, indem er auf sein „Anderes“ bezogen wird, das im Erkennen und Handeln vollzogen wird. 80 81 82 26 „D a s A b s o l u t e i s t d e r G e i s t (…) Diese Definition zu finden und ihren Sinn und Inhalt zu begreifen (…) aus diesem Drang allein ist die Weltgeschichte zu begreifen“ (Enz 1830, § 384). G.W.F. Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, in: TWA, Bd. 12, 32 u.ö. V 13, 6f. 2.2.3 Subjektiver Geist als Grundlage des Naturvollzuges In der Enzyklopädie bestimmt Hegel den „in seiner Idealität sich entwickelnd[en]“ Geist „als erkennend“.83 Unter den Begriff des „subjektiven Geistes“ faßt und behandelt er die verschiedenen Formen der Erkenntnis im weitesten Sinne, wie etwa Empfindung und Gefühl, Bewußtsein und Selbstbewußtsein, Anschauung und Vorstellung, Wissen und Wollen. Ziel dieser Rekonstruktion der verschiedenen Stufen der Erkenntnisfähigkeiten des Menschen ist es aufzuweisen, daß der Mensch seine Geistigkeit als Freiheit erkennt, das heißt, „im Anderen bei sich selbst zu sein“ vermag. Durch diesen spezifischen Vollzug des Anderen, der Welt der Dinge bzw. Natur ist - anders als bei Schelling, der die Philosophie der Intelligenz und der Natur zunächst parallel neben einander entwickelt und erst in der Philosophie der Kunst zu einer Synthese findet - eine ursprüngliche Einheit der Bestimmung des Subjekts der Erkenntnis und des Erkannten gesetzt. Im Sinne des Kantischen und Fichteschen transzendentalen Ansatzes sind die Bestimmungen des „Selbstbewußtseyn[s] (…) eben so sehr gegenständlich, Bestimmungen des Wesens der Dinge, als seine eigenen Gedanken“84. Der Mensch kann also durch Vernunft einsehen, daß erkannte Natur und Welt ihm in seinen theoretischen wie praktischen Vollzügen nicht als ein Fremdes gegenüberstehen. Noch einmal betont Hegel dies kurz danach in der Enzyklopädie: Im Bezug zur Natur verhält der Mensch „sich nur zu seinen eigenen Bestimmungen“85. Hegel wiederholt hier einen Gedanken aus den Vorlesungen über die Philosophie des Geistes von 1827/28. Hier sieht er es nicht nur als methodische Fundierung der Erkenntnis, sondern als „allgemeines Gebot, daß der Mensch sein Wesen, d.h. den Geist, erkenne“ - so sei den antiken Griechen das „höchste Gebot“ gewesen: „Erkenne dich selbst“86. Gemeint ist nicht eine „Selbsterkenntniß nach den particulären Fähigkeiten, 83 84 85 86 Enz 1830, § 387. Enz 1830, § 439. Enz 1830, § 440. V 13, 5. 27 Charakter, Neigungen und Schwächen des Individuums“87, sondern ein Selbstverständnis im Kontext geschichtlichen Erkennens wie Handelns. In dem Fragment zur Philosophie des subjektiven Geistes bestimmt Hegel „Geist“ als einen Übergang von Natur zu Freiheit: „Wo er [Geist] herkommt, - es ist von der Natur; wo er hingeht, - es ist zu seiner Freyheit. Was er ist, ist eben diese Bewegung selbst von der Natur sich zu befreyen. Diß ist sosehr seine Substanz selbst, daß man von ihm nicht als einem so feststehenden Subjecte sprechen darf, welches diß oder jenes thue und wirke, als ob solche Thätigkeit eine Zufälligkeit, eine Art von Zustand wäre, außer welchem es bestehe, sondern seine Thätigkeit ist seine 88 Substantialität, die Actuosität ist sein Seyn.“ Das Programm der gesamten Hegelschen Philosophie kann in diesem Sinne unter die in der Phänomenologie des Geistes entwickelte zentrale These gestellt werden, „das Wahre nicht als Substanz, sondern eben so sehr als Subject aufzufassen und auszudrücken“89. Genauer gesagt, Wahrheit kann nicht einfachhin durch die Sachverhalte, auf die das Erkennen wie Handeln des Menschen bezogen sind, erschlossen werden, sondern Wahrheit wird durch subjektive Reflexion und deren philosophische Prüfung - mit der Differenz-Schrift: durch Spekulation im Sinne einer ‚Reflexion der Reflexion’, d.h. einer Reflexion, „die sich selbst zu ihrem Gegenstand macht“90 - gewonnen. zeitgenössischen Hegel Philosophie entlehnt den Begriff „Subjekt“ der und Diskussion um „Subjektivität“, insbesondere derjenigen von Kant, Reinhold, Fichte und Schelling.91 Der Begriff der „Substanz“ verweist philosophiegeschichtlich auf Spinozas Begriff einer „causa sui“92, damit auf eine Struktur der Selbstbeziehung, die die gesamte Wirklichkeit umfaßt. Das im Begriff der „causa sui“ gedachte Moment spontaner Selbstsetzung wird nun gedacht als Moment der 87 88 89 90 91 92 28 Enz 1830, § 377. - „Die Auslegung jenes Gebotes im Verstande einer Selbstkenntnis (…) wäre, könnte man sagen, des delphischen Apollo, des Wissenden, unwürdig, weil solche subjective Menschenkennerey, dem griechischen Geiste noch fremde und ein späteres, modernes Erzeugniß ist“ (GW 15, 208). GW 15, 249. GW 9, 18. – Diesen Wechsel von der Substanzmetaphysik zur Philosophie der Subjektivität, den Hegel bereits in Jena vorgenommen hat, hat Klaus Düsing dargestellt: Von der Substanzmetaphysik zur Philosophie der Subjektivität. Zum Paradigmenwechsel Hegels in Jena. In: Die Eigenbedeutung der Jenaer Systemkonzeptionen Hegels. Hrsg. von Heinz Kimmerle, Berlin 2004, 185-199. GW 4, 18. Ludwig Siep: Der Weg der Phänomenologie des Geistes. Ein einführender Kommentar zu Hegels „Differenzschrift“ und „Phänomenologie des Geistes“, Frankfurt a.M. 2000, 69. Vgl. G.W.F. Hegel: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie. Teil 4. Philosophie des Mittelalters und der neueren Zeit. Herausgegeben von Pierre Garniron und Walter Jaeschke. Vorlesungen, Band 9, Hamburg 1986, 41f, 98f, 104ff. Subjektivität.93 Als grundlegende Momente von Subjektivität überhaupt lassen sich „Tätigkeit, Beziehung, Selbstbeziehung und Zweckbeziehung“ sowie als spezifische Momente des Geistes „Wissen und Sich-Wissen“94 herausstellen. Zusammenfassend leistet Hegels Philosophie des subjektiven Geistes im Hinblick auf die Frage, wie das Naturschöne als Form des Geistes zu rekonstruieren ist, zweierlei: Erstens findet sich in der Theorie des subjektiven Geistes der Ansatz der Naturerkenntnis, damit die Grundlage der Bestimmung der Natur. Erst auf der Basis der Rekonstruktion des Naturvollzuges im Sinne der Naturerkenntnis lassen sich die Grundlagen der gestalteten, im ästhetischen Rezeptions- wie Produktionsgeschehen vollzogenen Natur, d.h. der Natur als „Werk“ bzw. „Kunstwerk“ analysieren. Dies ist dann möglich, wenn der Leitfaden der Überlegung, daß Natur als erkannte nur „für uns“, nämlich uns Menschen nur im und durch den Vollzug gegeben ist, auf den Vollzug der Natur als schöne Natur bezogen wird. Hierfür ist zuvor eine genauere Untersuchung des „objektiven Geistes“ als Analyse menschlicher Setzungen im Handeln, darauf aufbauend des „absoluten Geistes“ notwendig, die diese Setzungen als Form des „Wissens und Sich-Wissens“ rekonstruiert. Zweitens liefert die erreichte Bestimmung des Geistes als „Subjektivität“ einen Anknüpfungspunkt an ein für die „idealistische Ästhetik“ zentrales Charakteristikum, nämlich die Verknüpfung von Schönheit und Kunst mit Subjektivität.95 Von hier aus ergibt sich eine Argumentationslinie zur Favorisierung des Kunstschönen als vom Menschen geschaffener (und als solche erklärbare) gegenüber der Naturschönheit als vermeintlich aufgefundener (und als solche „schwerer“ erklärbare) Schönheit sowie zum „Ideal“ als „Form der Subjektivität“96. Das Naturschöne gegen die philosophische Tradition analog zum Kunstschönen aus dem menschlichen Vollzug zu rekonstruieren, verlangt 93 94 95 96 „Die lebendige Substanz ist ferner das Sein, welches in Wahrheit Subjekt oder, was dasselbe heißt, welches in Wahrheit wirklich ist, nur insofern sie die Bewegung des Sichselbstsetzens oder die Vermittlung des Sichanderswerdens mit sich selbst ist“ (GW 9, 18). Walter Jaeschke: Hegel-Handbuch, 182. Diese Verknüpfung beschreibt Dieter Henrich wie folgt: „Die idealistische Ästhetik denkt Kunst als das Hinaussetzen und Darstellen einer <Wahrheit> durch Subjektivität (...). Solche <Wahrheit> bedarf der Subjektivität, um hervorzutreten und schließt sie somit in ihrem Begriffe ein. Deshalb ist Subjektivität in ihr auch nicht negiert, sondern gerade begründet“ (Dieter Henrich: Kunst und Natur in der idealistischen Ästhetik. In: H. R. Jauß: Nachahmung und Illusion. München 1964. S. 128-134; 133). „Das Schöne auch noch als Idee in der Existenz zu erhalten, ist Ideal. Idee ist das allgemeine, Ideal derselbe Inhalt, nur in Form der Subjektivität.“ (Libelt 1828/29, Ms. 22 a). 29 insofern den Nachweis, daß sowohl Naturwahrnehmung wie Naturdarstellung „schöner“ Natur diese als Geformtes oder Gestaltetes, also als „für uns“ vermittelte Natur aus einem produktiven ästhetischen Vollzug voraussetzen. Um diesen Nachweis in den weiteren Ausführungen erbringen zu können, ist daher zunächst eine Analyse des „objektiven“ und „absoluten Geistes“ als Grundlage der Bestimmung des Kunstwerks erforderlich. Die Analyse des „objektiven Geistes“ hat vorab den Werk-Charakter des ästhetischen Naturvollzuges aufzuzeigen. 2.2.4 Objektiver Geist als Grundlage der Bestimmung des Werk-Charakters des ästhetischen Naturvollzuges Hegels Begriff des „objektiven Geistes“ wird zumeist als Element seiner Rechts- und Staatstheorie bzw. seiner Theorie der Sittlichkeit oder auch allgemein als Element seiner Praktischen Philosophie analysiert. Aus dem Blick geraten dabei leicht Phänomene, die ob ihrer Alltäglichkeit kaum der philosophischen Rede Wert zu sein scheinen, aber ebenfalls in den Bereich des „objektivierten“ oder „objektiven“ Geistes gehören. Vorrangig sind hier Werkzeuge, Gebrauchsgegenstände, Gerätschaften und Maschinen aller Art zu nennen, aber auch - dies wird noch zu zeigen sein - das Phänomen der Landschaft. Das, was Hegel unter dem Titel „objektiver Geist“ faßt, ist eine vom handelnden Menschen in seiner Freiheit gestaltete und erwirkte Welt, in der dessen Handlungs-Intentionen sich in einem Erwirkten, d.h. in einem gestalteten Ding (Werk) oder in sozialen Institutionen und Organisationen mit Orientierungsfunktion (Sittlichkeit) gegenständlich werden, sich „objektivieren“. Der Begriff des objektiven Geistes erschließt insofern in einem ersten Zugriff alle Kulturphänomene als Handlungsresultate, als Setzungen des Menschen, die in ihrer und durch ihre Existenz gleichsam eine Art Eigenwelt, ein „Anderes“ des Geistes darstellen, das jedoch nur aus der subjektiven Setzung erschließbar ist. Einerseits werden diese Handlungsresultate demzufolge als „geistige“ für den Menschen erklärlich. In sozialen Institutionen wie Ehe und Familie, in Organisationsformen 30 wie Recht und Staat sowie in Werkzeugen, Gebrauchsgegenständen und in bearbeiteter Natur97 findet der Mensch sich selbst, kann er die Dinge und Institutionen nur als seine Setzung erklären, nicht als bloßes Faktum. Andererseits stehen dem Menschen die Phänomene des „objektiven“ Geistes wie eine Natur gegenüber. In der aus Freiheit gestalteten Realität aus Werken und Organisationsformen des Handelns entsteht eine aus dem Geist gesetzte, nur als solche begreifbare, dennoch zugleich durch naturhafte Notwendigkeit98 geprägte Wirklichkeit, die Hegel deshalb als „zweite Natur“99 bezeichnet. Das vom Menschen Gemachte, Gestaltete und Erwirkte erstarrt zu einer ‚Quasi-Natur’, die mit scheinbar naturwüchsiger ‚Objektivität’ im Sinne von ‚menschenunabhängiger Vorgegebenheit’ dem Menschen gegenübertritt. Die aus menschlicher Handlungsfreiheit entstandenen „objektivierten“ Formen, Gestalten und Phänomene treten mit einer zur ‚ersten’ Natur analogen Notwendigkeit auf, aber als „eine absolute, unendlich festere Autorität und Macht als das Sein der Natur“100. Zudem darf die Tatsache, daß die kulturelle Wirklichkeit Resultat bzw. „Werk“ ist und damit die Phänomene des „objektiven Geistes“ nicht einfachhin im Rahmen naturalistischer Reduktionsprogramme auf Natürliches zurückgeführt werden können, nicht übersehen lassen, daß menschliche Handlungszwecke und -intentionen „sich auf eine äußerliche vorgefundene Objectivität“101 beziehen. Der Mensch „setzt“ Natur als Welt, indem er die Natur zugleich als von dieser „Setzung“ unabhängige voraussetzt. Der Mensch unterwirft die Natur seinen Zwecken, d.h. er unterwirft sie dem Ziel der Gestaltung einer Welt im Vollzug seiner Freiheit. Aber er kann dies nur, wenn er die Natur voraussetzt und als Material seiner Gestaltungen gebraucht.102 Ohne dieses „Material“ kann keine Welt gestaltet werden.103 97 98 99 100 101 102 In Hegels Worten: Freiheit ist „sich zur Gegenständlichkeit zu entwickeln bestimmt, zur rechtlichen, sittlichen und religiösen, wie wissenschaftlichen Wirklichkeit“ (Enz 1830, § 482). Die „Zweckthätigkeit“ des freien Willens besteht darin, die Freiheit „in der äußerlich objectiven Seite zu realisieren, daß sie als eine durch jenen [freien Willen] bestimmte Welt (…) zur Wirklichkeit einer Welt gestaltet“ ist (Enz 1830, § 484). Dies ist der Geist in der „Form der Realität als einer von ihm hervorzubringenden und hervorgebrachten Welt, in welcher die Freiheit als vorhandene Nothwendigkeit ist“ (Enz 1830, § 385). Rph, § 4. Rph, § 146. Enz 1830, § 483. Die „ä u ß e r l i c h e vorgefundene Objectivität“ fächert sich demzufolge auf in innere Natur, äußere Natur und die „Pluralität und Intersubjektivität der Einzelwillen“ (H. Schnädelbach: Der objektive Geist (§§ 483-552). In: Hegels ‚Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften‘ (1830). Ein 31 Hegel hat zwar die Definition der Phänomene des objektiven Geistes im Sinne der „selbstbewußte[n] Freiheit“, die „zur Natur geworden“ ist104, in den Grundlinien wie in der Enzyklopädie jeweils im Abschnitt über „Die Sittlichkeit“, also im Hinblick auf Familie, Ehe, bürgerliche Gesellschaft, Staat und Geschichte entwickelt. Wie die Berliner Vorlesungen zur Ästhetik durch ihre Eingangsreflexionen aber zeigen, läßt sie sich auch auf die Gestalten und Phänomene der vom Menschen bearbeiteten Natur sowie auf Formen wahrgenommener und dargestellter Natur übertragen. Dies hat Hegel in seiner Bestimmung des Werk-Begriffs als Einheit von Arbeit und Sprache und ebenso in seiner Definition des Genies, durch die er sich von Schelling absetzt, angelegt.105 „Genie“ ist nicht jemand, der mit für andere unzugänglichen Vermögen ausgestattet ist, die ihn zu außergewöhnlichen Leistungen und Werken befähigen. Genie ist statt dessen jemand, der mittels der anschaulichen Gestaltung eines Kunstwerks allen Mitgliedern einer Gemeinschaft zu Bewußtsein bringt, was durch die Arbeit aller in der Geschichte erreicht werden konnte. Auch die Bearbeitung, Wahrnehmung und Darstellung der Natur ist wie jedes andere Werk ein gesellschaftlichkulturelles Gemeinschaftsprojekt, das nicht als subjektive, sondern nur als allgemeine Setzung ausgelegt werden kann. Mit Hegel: Es entspringt dem „Geist eines Volks“ und ist nur aus diesem heraus verständlich. In diesem Sinne ermöglicht die Theorie des objektiven Geistes einen Brückenschlag nicht nur zum Naturvollzug, sondern erklärt auch, warum Hegel dann in den Ästhetikvorlesungen vermutet, die Naturschönheit mache es „dem Geiste saurer“106, sich zu erkennen, d.h. die als schön erfahrene oder dargestellte Natur aus dem Naturvollzug, also der geistigen Vermittlung zu analysieren. Es wird hier ausdrücklich nicht behauptet, Naturschönes sei dem Geiste unerschließbar, sondern nur, es sei schwerer erschließbar bzw. 103 104 105 106 32 Kommentar zum Systemgrundriß, hg. von Hermann Drüe, Annemarie Gethmann-Siefert, Christa Hackenesch, Walter Jaeschke, Wolfgang Neuser und Herbert Schnädelbach, Frankfurt/M. 2000, 289-314; 293). Die „ä u ß e r l i c h e vorgefundene Objectivität“ spaltet sich „in das anthropologische der particulären Bedürfnisse, in die äußern Naturdinge, die für das Bewußtsein sind, und in das Verhältniß von einzelnen zu einzelnen Willen, welche ein Selbstbewußtseyn ihrer als verschiedener und particulärer sind. Diese Seite macht das äußerliche Material für das Daseyn des Willens aus.“ (Enz 1830, § 483). Enz 1830, § 513. Vgl. Hotho 1823, 9f; Pfordten 1826, 106f; Kehler 1826, 62f. Zur Interpretation vgl. A. GethmannSiefert: Einführung in Hegels Ästhetik, insbes. 148ff. Hotho 1823, 3. zugänglich. Die Grundlage dieser Annahme ist offensichtlich Hegels These, daß die Phänomene des „objektiven Geistes“ zwar als quasi „natürliche“ erscheinen und ihren geistigen Ursprung gewissermaßen ‚verbergen’, sich dennoch nur als Resultat menschlicher Setzung (Gestaltung, Werk) erschließen lassen. Dieser Vollzugs- oder Werkcharakter wird bei der Natur wie beim Schönen der Natur nicht unmittelbar, sondern nur vermittelt deutlich. Hier muß daher der bereits angesprochene notwendige Vermittlungsschritt einbezogen werden, nämlich die Einsicht, daß Natur uns nur im Bewußtsein, d.h. im Vollzug, und zwar zunächst als „das Andere“ des Bewußtseins gegeben ist. Um die spezifische Form des ästhetischen Naturvollzugs, damit die Bedeutung des Begriffs der Naturschönheit präzisieren zu können, ist infolgedessen eine genauere philosophische Analyse des Begriffs der Natur als das „Andere des Geistes“ an dieser Stelle der Argumentation zwischenzuschalten. Der theoretische wie praktische Umgang des Menschen mit Natur ist auf der Basis der Hegelschen Ausführungen zur Naturphilosophie genauer zu bestimmen, um die Möglichkeiten des Naturvollzuges daran anschließend differenzierter zu fassen und die Besonderheit des ästhetischen Naturvollzugs in Abgrenzung zu den theoretischen und praktischen Naturvollzügen vorbereitend in den Blick zu nehmen. 2.3 Hegels Naturbegriff Im Rahmen seiner Philosophie des Geistes entwickelt Hegel den Begriff der Natur zunächst als das „Andere“ des Geistes. Es geht um die Frage, wie sich die Sachhaltigkeit des Naturvollzuges aus dem Bezug zur Natur, d.h. aus der Konstitutionsleistung des „Geistes“ ergibt und welche Konsequenzen dies für den Begriff der Natur hat. Diese Konsequenzen übertragen sich letztlich auch auf die Konstitution des „Naturschönen“. In dem in der Jenaer Zeit entstandenen Vorlesungsfragment Das Wesen des Geistes aus dem Jahre 1803107 bezeichnet Hegel die gängige Art des Naturvollzugs als „gemeine Anschauung“ bzw. als „gemeine[s] Erkennen“. 107 GW 5, 370-373. 33 Dieses fasse die Natur nur als „das andersseyn des Geistes“, als „geistlose“ empirische Mannigfaltigkeit isolierter „Einzelnheit“, die „ein unbekanntes, ein Jenseits“ bleibt, „das gleichgültig ist, Gott oder Natur zu nennen“.108 Aber „wahrhaffter Geist“109 ist ein Naturvollzug nur als „das Aufheben seines Andersseyns“. Diese Aufhebung ist nur möglich, wenn der Mensch im Naturvollzug „erkennt, daß diß sein Andersseyn er selbst ist, daß sie [die Natur] nichts anderes ist, als er selbst, gesetzt als ein entgegengesetztes“110. Nur wenn diese (Selbst-)Erkenntnis gelingt, wird Natur dem Menschen überhaupt erst verständlich, und zwar dadurch, „daß der Geist sich in der Natur finde“. Mit Hegel: „Durch diese Erkenntniß wird der Geist frey, oder durch diese Befreyung ist erst der Geist“.111 An anderer Stelle heißt es: „Das Bild seiner selbst, das der Geist in der Natur anschaut, ist darum allein seine Befreyung von der Natur, eben indem er sich sich selbst gegenüber stellt; darin hört er auf, Natur zu seyn“112. Die Natur selbst erscheint nicht mehr losgelöst vom erkennenden wie handelnden Umgang des Menschen mit ihr, sondern wird auf unterschiedliche Weise als das „Meinige“, d.h. als im und durch diesen (theoretischen wie praktischen) Umgang des Menschen mit Natur erfahren.113 In unterschiedlichen Ansätzen entwickelt Hegel eine Bestimmung der Natur, die er in den Berliner Vorlesungen zur Philosophie der Natur zusammenschließt. Für die folgende Analyse wird die Vorlesung von 1823/24114 zugrunde gelegt, da Hegel diese Vorlesung in unmittelbarer Nähe 108 109 110 111 112 113 114 34 GW 5, 372. GW 5, 371. GW 5, 370. GW 5, 370. GW 5, 371. In diesem Sinne behauptet Hegel in der ersten Berliner Vorlesung zur Naturphilosophie von 1819/20, die Naturphilosophie könne als „verkörperte Vernunft“ betrachtet werden, wodurch die Natur aufhöre, „ein Fremdes, Starres gegen mich zu sein, denn ihr Wesen ist ein Vernehmliches; darin sehen wir uns selbst“; und in der „vernünftigen Erkenntnis lasse ich es [das Natürliche] frei und «bin» ohne Furcht, es zu verlieren. Es ist ein in sich Geschlossenes und Vernünftiges, dessen Freiheit für mich nichts Furchtbares hat, da sein Wesen das meinige ist.“ Der Mensch sei sogar „nur insofern frei, als noch andere neben ihm frei sind. Die Naturphilosophie ist also die Wissenschaft der Freiheit“ (G.W.F. Hegel: Naturphilosophie. Bd. I. Die Vorlesung von 1819/20, in Verbindung mit Karl-Heinz Ilting hg. von Manfred Gies, Napoli 1982 [im folgenden zitiert als Gies], 6). G.W.F. Hegel. Vorlesung über Naturphilosophie Berlin 1823/24. Nachschrift von K.G.J.v. Griesheim. Hrsg. und eingeleitet von Gilles Marmasse (Hegeliana. Bd. 12), Frankfurt am Main 2000 (im folgenden: Griesheim 1823/24). Hinweise auf die verschiedenen Vorlesungszyklen zur Naturphilosophie geben die Herausgeber einer weiteren Vorlesung zur Naturphilosophie in: Vorlesungen über die Philosophie der Natur. Berlin 1819/20. Nachgeschrieben von Johann Rudolf Ringier, hg. von Martin Bondeli und Hoo Nam Seelmann, Hamburg 2002 (G.W.F. Hegel: Vorlesungen. Ausgewählte Nachschriften und Manuskripte, Bd. 16), Einleitung, XXI-XXVI. zu seinen Ästhetikvorlesungen gehalten hat und offensichtlich den in der Philosophie des Geistes entwickelten methodischen Zugang auch hier beibehält. Da ein unmittelbarer Zugang zur Natur als solcher nicht vorausgesetzt werden kann, kann Naturphilosophie im Gegensatz zu anderen Wissenschaften ihren Gegenstand „Natur“ nicht einfach voraussetzen, sondern, so Hegel, „die Natur muß bewiesen werden“, da ihre Notwendigkeit „nicht vorausgesetzt werden kann“115. Um die Frage „Was ist Natur?“116 beantworten zu können, fragt Hegel daher, „in welchem Sinne“ wir über oder von Natur sprechen, genauer gesagt diesen Ausdruck verwenden.117 Die Bedeutung von „Natur“ ergibt sich infolgedessen insbesondere aus der denkenden Hinwendung zur Natur. Allerdings gibt es auch „noch andere Weisen sich zur Natur zu verhalten“. Gelingt es, diese Weisen des Verhaltens zur Natur aufzufassen, so wird sich zeigen, daß in diesen Naturverhältnissen „die Momente der Idee [der Natur] liegen“118. Hegel beginnt dementsprechend seine Einleitung nicht direkt mit der Explikation eines Begriffs der Natur, sondern er setzt an den Anfang seiner Analyse die Unterscheidung von zwei fundamentalen Naturverhältnissen: das praktische und das theoretische „Verhalten“119 zur Natur. Das praktische „Verhalten hat es immer nur mit dem einzelnen Produkt der Natur zu thun, oder mit einzelnen Seiten derselben“120; „der Mensch ist der Zweck“ dieses Naturvollzuges, und er erschließt sich die Bedeutung von Natur nur aus diesem Vollzug und dieser Zwecksetzung. Insofern ist der Mensch als derjenige, der die Zwecke setzt, frei; die Naturdinge, insofern sie nur als Mittel für menschliche Zwecke dienen, sind unfrei. Das theoretische Verhältnis hemmt die Begierde des seine Zwecke verfolgenden Menschen; er läßt die Dinge in ihrem Eigenbestand gelten und richtet sich in seiner Erkenntnis nach ihnen. Dadurch werden die Naturdinge „zum Allgemeinen“ und „zu Freien gegen uns“121. Insofern der Mensch im theoretischen Naturverhältnis auf seine Zwecksetzungen verzichtet, seine Begierde hemmt, 115 116 117 118 119 120 121 „Es ist daher nötig (…) zu beweisen daß eine Natur ist. (…) die Natur muß bewiesen werden; ihre Nothwendigkeit, die Erschaffung der Natur, dieß ist etwas was nicht vorausgesetzt werden kann“ (Griesheim 1823/24, 61). Griesheim 1823/24, 62. Griesheim 1823/24, 63. Griesheim 1823/24, 63. Griesheim 1823/24, 63ff. Griesheim 1823/24, 63. Griesheim 1823/24, 65. 35 bleibt er der Natur in ihrem Eigenstand gegenüber unfrei. Dieser doppelte „Gegensatz“ von Freiheit und Unfreiheit sowohl des Ich als der Natur122 kann nur in einer philosophischen Einstellung zur Natur aufgehoben werden, die die jeweils einseitige und - isoliert genommen - defizitäre theoretische (naturbeobachtende und -erforschende) und praktische (naturbearbeitende und -beherrschende) Einstellung versöhnen, d.h. nach ihrem jeweiligen Recht untereinander vereinbar machen soll. In diesem Sinn hat Hegel bereits in der vorhergehenden Vorlesung zur Naturphilosophie von 1819/20 eine „Versöhnung des Geistes mit der Natur“123 gefordert. Durch die philosophische Erschließung wird ein einseitiges theoretisches Naturverhältnis durch Praxis belehrt mit dem Resultat, daß nur erkannt werden kann, was uns nicht nur als opakes fremdes Selbständiges gegenübersteht, sondern unserem die Dinge verallgemeinernden und Gesetze aufstellenden Denken zugänglich ist. Denn, so Hegel, die „einzelnen Dinge sind ebenso ideell, dieser idealistische Glaube liegt in dem was wir im praktischen Verhalten gezeigt haben, daß die Dinge nichts an sich sind“124. Ein einseitiges praktisches Naturverhältnis wird durch Theorie belehrt mit dem Ergebnis, daß Natur unseren subjektiven Zwecken nur dann willfährig sein kann, wenn sie eigenen allgemeinen Gesetzen folgt. Dadurch erst kann der Mensch für seine Zwecke objektiv-allgemeine und in ihrer Verfügbarkeit berechenbare und antizipierbare Mittel vorfinden. Wenn die Rekonstruktion dieser beiden grundlegenden menschlichen Naturvollzüge (Theorie/Denken und Praxis/Handeln) die Grundlage für ein philosophisches Erfassen und Verständnis der Natur ist, dann bestätigt sich aufs Neue die These, daß im Sinne Kants auch bei Hegel über eine Natur unabhängig vom subjektiven Vollzug nicht sinnvoll gesprochen werden kann. Schon der Begriff der Natur - noch vor jeder konkreten Bestimmung der Natur - ist selbst eine Form der geistigen Vermittlung, Resultat einer Reflexion auf die Gegebenheitsweise von Natur bzw. des subjektiven (theoretischen wie praktischen) Vollzugs des objektiv Vorgegebenen. Dies entspricht dem 122 123 124 36 Griesheim 1823/24, 65. V 16, 189. Griesheim 1823/24, 69. Zugang der Philosophie des Geistes, in der Hegel „Natur“ zuerst als das „Andere“, das Verhältnis von Natur und Geist als „Anderssein“125 definiert. Aus den beiden grundlegenden Naturvollzügen lassen sich mit Hegel die beiden fundamentalen Gegebenheitsweisen der Natur herleiten. Die Natur kann nämlich - als das Andere des Geistes - einmal als Kausalgefüge, also der Notwendigkeit unterworfen, zum anderen als lebendige Natur analysiert werden.126 Diese Gegebenheitsweisen lassen sich zudem mit den von Spinoza der scholastischen Tradition entlehnten und von Schelling für seine Naturphilosophie in Anspruch genommenen Begriffen natura naturans und natura naturata charakterisieren.127 Der natura naturata entspricht die uns zuerst als Objektwelt entgegentretende Natur, der natura naturans die Natur in ihrer Freiheit und Lebendigkeit, d.h. in ihrem Selbstvollzug. Dementsprechend verfolgt Hegel eine doppelte Konstitutionsanalyse dieser beiden grundlegenden Gegebenheitsweisen der Natur. Die Objektwelt der natura naturata konstituiert sich schrittweise über Differenzierungen der sinnlichen Wahrnehmung, die letztlich zur Wahrnehmung von Körpern mit seh-, hör- und fühlbaren Qualitäten führt.128 Auf diese Weise läßt sich der Aufbau einer gegenständlich-widerständigen Welt durchaus aus subjektiven Vollzügen rekonstruieren. Die Kategorien der in ihrer Lebendigkeit und „Freiheit“ aufgefaßten Welt der natura naturans rekonstruiert Hegel als Stufenfolge von den abstrakten Formen der Materie bis hin zum Gattungsprozeß des Lebendigen, wobei auf diesen Stufen Vorformen von Subjektivität und damit Freiheit ausgebildet werden. In der „Organologie“ schließlich sei „die Natur zu ihrer Freiheit gekommen, so weit sie kommen kann“129. Die höchste Weise des Selbstbezugs der Natur, die in organischer Vereinzelung besteht, namentlich des „animalischen Organismus“, nennt Hegel dementsprechend auch „natürliche Subjectivität“130, da sie noch nicht sich selbst denkende Subjektivität131 ist. Das philosophische Begreifen der Natur 125 126 127 128 129 130 131 darf folglich auch nicht mit der (kausalen) Analyse der GW 6, 317. Hier erscheint Natur als „beseelter Zusammenhang“, der der „Materie in[newohnt]“ (Hotho 1823, 61). Vgl. hierzu P. Stekeler-Weithofer: Philosophie des Selbstbewußtseins, 301ff. Vgl. hierzu P. Stekeler-Weithofer: Philosophie des Selbstbewußtseins, 306ff. V 16, 139. Enz 1830, § 358. Diese „Subjektivität kommt in der Natur nicht mehr dazu, daß sie sich Gegenstand ist“ (V 16, 141). 37 Naturwissenschaften gleichgesetzt, der Begriff der Natur nicht auf einen an den Methoden der Naturwissenschaften allein orientierten szientifischen Naturbegriff verkürzt werden.132 An dieser Stelle der Rekonstruktion des Hegelschen Naturbegriffs liegen zwei mögliche Einwände nahe. Der eine Einwand könnte Hegels Idealismus als ‚produktiven Idealismus’ mißverstehen, wonach es in der Macht des Menschen liege, auch noch die Natur selbst in ihrer Materialität zu setzen oder nicht zu setzen. Wenn Hegel freilich die beiden komplementären Naturverhältnisse und die ihnen korrespondierenden Gegebenheitsweisen der Natur aus dem subjektiven Vollzug konstitutionsanalytisch rekonstruiert und als gleichberechtigte „Betrachtungsweisen“ der Natur behandelt, dann ist die mit der Idealisierungsfähigkeit des erkennenden wie handelnden Menschen verbundene „Freiheit vom und im Natürlichen“133 auch mit Hegel keinesfalls als „Willkür“-Freiheit mißzuverstehen. Ein solcher Glauben an die grenzenlose Macht des Geistes sei ein bloßer „Wunderglauben“134. In der Vorlesung zur Naturphilosophie von 1819/20 stellt Hegel klar, daß ungeachtet aller Idealisierungsleistungen des menschlichen Geistes die Natur das sei, was sie ist, unabhängig vom Geist: „Wenn kein Geist wäre, so wäre sie doch, was sie ist; sie ist für sich“135, d.h. unabhängig von einem möglichen Betrachter. Daher wäre es eine „Torheit (…) ihre Realität zu leugnen“136. Auch mag sich erneut der Einwand aufdrängen, die Hegelsche Bestimmung des Begriffs der Natur werde dieser in ihrer vom menschlichen Zugriff unabhängigen „Objektivität“ nicht gerecht, wenn Hegel die Natur der „Herrschaft“ des subjektiven Geistes „opfert“.137 Zwar geht Hegel zu Anfang der Ästhetikvorlesungen von der (häufig kritisierten) These aus, „daß um soviel höher der Geist als die Natur ist, so viel höher das Kunstschöne als das Naturschöne“138 sei. Auf der Basis seiner Kritik am „albernen“ oder „schlechten Idealismus der modernen Zeit“, der davon ausgeht, „daß Ich das Setzende ist“139 und die „Torheit“ begeht, die „Realität [der Natur] zu 132 133 134 135 136 137 138 139 38 Vgl. hierzu P. Stekeler-Weithofer: Philosophie des Selbstbewußtseins, 309ff. V 13, 19. V 13, 18. Gies, 9. V 13, 17. Th. W. Adorno: Ästhetische Theorie, 119f. Kehler 1826, 1. TWA 18, 405. leugnen“140, wird aber deutlich, daß die im Einleitungskapitel erwähnte Kritik am Ansatz der Ästhetik und damit am vermeintlichen „Dogmatismus“ des Hegelschen Idealismus unbegründet, zumindest ungenau ist. Wenn Hegel zeigt, daß es keinen unmittelbaren Zugang zur Natur gibt, dann verfolgt er den gleichen Grundgedanken wie Kants transzendentalphilosophischer Ansatz. Denn die Annahme eines unmittelbaren Naturzugangs ist für Kant „Dogmatismus“, d.h. ein „Verfahren der reinen Vernunft, ohne vorangehende Kritik ihres eigenen Vermögens“141, womit die Kritik an Hegels „Dogmatismus“ sich gegen diejenigen selbst richtet, die sie äußern. Wird eine solche Vernunftkritik im Hinblick auf den Naturvollzug durchgeführt, findet man nämlich, „daß viele von den Sätzen, die wir als obiectiv ansehen, in der That subiectiv seyen, d. i. die conditiones enthalten, unter denen wir allein den Gegenstand einsehen oder begreifen“ können.142 Wenn Hegel daher für die Naturphilosophie und die Ästhetik fordert, „die Idealität als die Wahrheit der Natur selbst zu betrachten“143, dann läßt sich auch diese Forderung als Fortsetzung und Modifikation des transzendentalphilosophischen Ansatzes verstehen, wobei die Modifikation in eben der Betonung der Andersheit und Selbständigkeit der Natur, in der Angewiesenheit des Geistes auf Natur im Begreifen wie Handeln liegt. Komplementär dazu zeigt die Analyse des Hegelschen Geist- wie Naturbegriffs, daß über Natur unabhängig von Vollzügen nicht sinnvoll gesprochen werden kann. Der „Begriff“ der Natur erschließt sich ausschließlich durch die Rekonstruktion des Vollzuges von Natur und kann daher nur als Form „geistiger“ Vermittlung gewonnen und bestimmt werden. Strukturell ähnlich liegen die Dinge bei der Bestimmung des „Naturschönen“. Auch hier muß sich zeigen lassen, daß das Naturschöne nur als „geistig Hervorgebrachtes“, genauer gesagt als Schönes bestimmt werden kann. In einer unreflektierten Einstellung könnte man annehmen, das Schöne der Natur sei - analog zu den Naturdingen der natura naturata - ein in der Natur Vor- und Auffindbares, das mehr oder weniger subjektiv verfremdet im 140 141 142 143 V 13, 17. KrV, Vorrede, B XXXV. Kant’s gesammelte Schriften. Hrsg. von der preußischen Akademie der Wissenschaften. Band XVIII. Dritte Abtheilung: Handschriftlicher Nachlaß. Fünfter Band. Berlin und Leipzig 1928, Nr. 5116, Seite 95. V 13, 15. 39 betrachtenden Bewußtsein „abgebildet“ wird, so wie die Objektwelt scheinbar voraussetzungslos wahrgenommen werden könne. Hätte die Kunst die Aufgabe, das Vorgegebene der Natur und Welt abzubilden - die bzw. der Natur nachzuahmen -, so wird unterstellt, es gebe in der Natur Phänomene und Gestalten, die von sich aus schön sind und in der Wahrnehmung eines Betrachters voraussetzungslos als Naturschönes erfaßt werden können. Der Rechtfertigungsgrund für die Verwendung des Prädikates „schön“ liegt dann in der Natur selbst. Die grundsätzliche Frage ist aber, ob das, was als Naturschönes bezeichnet wird, unvermittelt aufzufinden ist und ästhetisch wahrgenommen oder künstlerisch abgebildet werden kann, oder ob sich das Naturschöne nicht ebenso wie das Naturverständnis einem voraussetzungsreichen Naturvollzug verdankt. In seinen Ästhetikvorlesungen legt Hegel daher das Schöne, das heißt primär das Kunstschöne und (wie zu zeigen sein wird) abgeleitet davon das Naturschöne als Ideal und Werk, als eine menschlicher Gestaltung entspringende Form der in ein anschauliches Ding gefaßten WirklichkeitsErfahrung, genauer gesagt als ein in sich reflexives dingliches Vorliegen anschaulich vermittelter Welt- bzw. Natur-Deutung aus. Die Möglichkeit einer ästhetischen Theorie des Naturschönen setzt also zunächst eine Bestimmung des Grundbegriffs der Kunstschönheit als Ideal und Werk voraus. Die Bedeutung des Werks als Einheit von Geist und Natur entwickelt Hegel in seiner Theorie des objektiven Geistes, die spezifische Bedeutung des Kunstwerks in der Theorie des absoluten Geistes. In diesem Zusammenhang ist zum einen der Übergang vom objektiven zum absoluten Geist, damit vom Werk zum Kunstwerk, zum anderen der Übergang von einer kulturrelativen Gesamtdeutung einer Kultur durch Kunst zu Kunst als einer kulturinvarianten Form geschichtlichen Bewußtseins erklärungsbedürftig. 2.4 Objektiver und absoluter Geist als Grundlage der Bestimmung des Kunstwerks Der „objektive Geist“ in Gestalt von Werkzeugen, Institutionen, Staaten ist Resultat einer Handlung von Einzelnen, Gemeinschaften und Völkern mit der Intention, das Überleben zu sichern und die Welt dementsprechend 40 einzurichten und zu gestalten. Obwohl Werkzeuge, Gebrauchsgegenstände und Institutionen sich nur durch Bezug auf menschliche Handlungszwecke und auf ihren Nutzen als Mittel für die Erreichung dieser Zwecke erklären lassen, weisen sie nicht zwangsläufig auf diese Handlungsabsichten zurück. Es ließ sich im Gegenteil bereits zeigen, daß die Phänomene des objektiven Geistes aufgrund ihrer Eigenart, als Handlungsresultat zugleich wie ein quasinatürlich Vorgegebenes zu erscheinen, ihre Handlungsurheberschaft (den Menschen mit seinen Handlungsintentionen) in den Hintergrund treten lassen können - zu sehr sind die Formen und Gestalten des objektiven Geistes an die unmittelbaren Bedingungen des Handelns geknüpft. Sie sind - wie Hegel in den Jenaer Systementwürfen von 1803/04 sagt - „Geist eines Volks“144, d.h. eine in der Geschichte wirksame, weil sich in Werken realisierende menschliche Vernunft. Den „Geist eines Volks“ hat Hegel dann in den Jenaer Systementwürfen von 1803/04 als „absolute[n] Geist eines Volkes“145 und in den Jenaer Systementwürfen von 1805/06 als Kunstwerk146 weiterbestimmt. In diesem Übergang vom „Geist eines Volks“ zu den „absoluten Geistern der Völker“ liegt der Übergang vom objektiven zum absoluten Geist. Im Gegensatz zu den Werken im engeren Sinne des „objektiven Geistes“, die auf Daseinssicherung und Gestaltung einer Welt mit dienlichen Mitteln, also „utilitär“ abgezweckt sind, bringen die Werke der Kunst dem Menschen seine eigenen Vermögen bzw. Fähigkeiten (den „Geist“) zur Anschauung, insbesondere seine Fähigkeit zur Weltdeutung und Weltgestaltung. Das Kunstwerk ist nicht nur - wie die Werke, die Hegel dem objektiven Geist zuordnet - Handlungsresultat mit unmittelbar praktischem Nutzen (z.B. Werkzeuge) oder Orientierungsfunktion (z.B. Institutionen), sondern es weist darüber hinaus anschaulich auf den Zweck und Urheber der Handlungsintention, auf Vernunft und Freiheit als Handlungsfähigkeiten des Menschen. 144 145 146 GW 6, 314. GW 6, 315. GW 8, 263. 41 Im sog. „Ältesten Systemprogramm des deutschen Idealismus“ von 1797147 postuliert Hegel eine „Mythologie der Vernunft“, die zu mehr als einer fiktiven ästhetischen Welt – so Hegels Kritik an Schiller und an der Realitätsferne der Idee des Schönen in dessen Konzeption – führen soll, nämlich zu einer tatsächlichen Veränderung der realen Verhältnisse. Ausdrücklich behauptet er: „Ehe wir die Ideen ästhetisch d.h. mythologisch machen, haben sie für das Volk kein Interesse“.148 Die Frage, wie sich Vernunft und Freiheit in einer Welt des Zwanges in die geschichtliche Realität umsetzen lassen, wie der Übergang von Schillers Bild besserer Zeiten in reale institutionalisierte vernunftgeleitete Verhältnisse gelingen kann, führen Hegel und Hölderlin dann gemeinsam dazu, in Auseinandersetzung mit Schiller ein „Ideal der Volkserziehung“149, d.h. den Entwurf einer Volksreligion zu entfalten, dessen notwendiges Moment die Kunst qua Poesie ist.150 Kunst wird zur „Lehrerin der Völker“151 bzw. zur „Lehrerin der Menschheit“152 erklärt. Die Vernunftidee soll anschaulich vermittelt und für den Deutungszugriff des Menschen konkret faßlich und wirksam werden, damit eine geschichtliche Selbst-Deutung und Orientierung menschlichen Handelns in der Gemeinschaft möglich ist. Im Hinblick auf die anfängliche Problemlage, die Hegel zu einer Konzeption des Geistes geführt hat, nämlich die Abstraktheit, mit anderen Worten die Herausgelöstheit der Kantischen Vernunftideen aus einem Praxisund Wirklichkeitszusammenhang, damit in ihrer Kluft zur Realisierung in der Wirklichkeit, zu überwinden, hat diese Konzeption der „absoluten Geister der 147 148 149 150 151 152 42 Zwischen Philosophen und Philologen war lange umstritten, ob dieser Text von Hegel oder von Hölderlin, Schelling oder Friedrich Schlegel verfaßt wurde. Eine detaillierte Auseinandersetzung um das älteste Systemprogramm enthalten folgende Aufsatzbände: Das älteste Systemprogramm. Studien zur Frühgeschichte des deutschen Idealismus. Hrsg. von R. Bubner. Bonn 1973 (HegelStudien. Beiheft 9); Mythologie der Vernunft. Hegels ältestes Systemprogramm des deutschen Idealismus. Hrsg. von C. Jamme und H. Schneider. Frankfurt a.M. 1984. Vgl. zudem A. Gethmann-Siefert: Die geschichtliche Funktion der „Mythologie der Vernunft“ und die Bestimmung des Kunstwerks in der „Ästhetik“. In: Mythologie der Vernunft, 226-260 sowie A. Gethmann-Siefert: Einführung in Hegels Ästhetik, 51. Zitiert nach Mythologie der Vernunft, 13. Hegel übernimmt schon im Ältesten Systemprogramm des deutschen Idealismus F. Schlegels Bestimmung der Kunst als „Lehrerin des Volks“ in seine Philosophie (Über das Studium der griechischen Poesie. In: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Hrsg. von Ernst Behler unter Mitwirkung von Jean-Jacques Anstett und Hans Eichner. Paderborn/München/Wien 1975. Bd. 1, 217 - 367, hier: 351). Zugleich führt er damit seine eigenen Bemühungen weiter, im Anschluß an Schillers Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen (Schillers Werke. Bd. 20, 337) ein „Ideal der Volkserziehung“ zu konzipieren (vgl. Briefe, 20, 24f.). Vgl. hierzu A. Gethmann-Siefert: Einführung in Hegels Ästhetik, Kap. 1. Hotho 1823, 29. Im Ältesten Systemprogramm des deutschen Idealismus. Zitiert nach Mythologie der Vernunft, 13. Völker“ den Vorteil, aus der gemeinsamen Praxis einer Handlungsgemeinschaft heraus Vernunft und Freiheit als menschliche Handlungsvermögen konkret wirksam, d.h. für alle faßlich und gültig zu vermitteln. Die Vernunft ist demnach kein nur theoretisches Konstrukt, das „nur als Begriff“ besteht, somit auf begriffliche Reflexion verwiesen ist und für das individuelle Bewußtsein ein „absolutes Jenseits“ bleibt.153 Das Welt- wie Selbstverständnis einer Handlungsgemeinschaft, das Hegel in diesen frühen Überlegungen als „absoluten Geist eines Volkes“ oder als „absolute[s] Bewußtseyn“154 bezeichnet, ist demnach immer an eine spezifische individuelle historische Kultur, d.h. an die „Weltanschauungen, Religionen eines Volks“155 gebunden. Daher spricht Hegel in den Ästhetikvorlesungen im Plural und nennt sie „Volksgeister“156. Die Poesie als „Lehrerin der Völker“ bestimmt er als Deutungs- und Orientierungsinstanz; die antiken Epopöen zeigen mithin eine „Galerie der Volksgeister“157. Die Religion dient der Orientierung der Sittlichkeit. Kunst und Religion vereint die Funktion einer Gesamtdeutung und Handlungsorientierung einer Kultur. Die somit durch die „schöne Religion“158 gestiftete griechische pólis ist daher als „Kunstwerk“ anzusehen: „In der alten Zeit, war das schöne öffentliche Leben die Sitte aller, − Schönheit unmittelbare Einheit des Allgemeinen und einzelnen, ein Kunstwerk, worin kein Theil sich absondert vom Ganzen, sondern diese genialische Einheit des 159 sich wissenden Selbsts und seiner Darstellung [ist].“ Die individuellen „Volksgeister“ bleiben aber kultur-relativ. Die Frage, die die Enzyklopädie daher beantworten soll, ist, ob die Funktion des „Geistes“ („absoluter Geist eines Volkes“) als kulturelle Gesamtdeutung und Handlungsorientierung einer Gemeinschaft in den historisch variablen Kulturen und Epochen kultur- wie zeitinvariant gültig bleibt und systematisch-methodisch gesichert werden kann. Hegel versucht, in der systematischen Philosophie auf genau diese Frage eine Antwort zu finden, indem er die historische Bedingtheit der mit dem „absoluten Geist eines 153 154 155 156 157 158 159 Vgl. GW 6, 331. GW 6, 314. Hotho 1823, 203. Hotho 1823, 203. Hotho 1823, 293. Vgl. A. Gethmann-Siefert: Einführung in Hegels Ästhetik, 67ff. GW 8, 263. 43 Volkes“ verknüpften Geltungs- und Legitimationsansprüche nochmals reflektiert. Die Verallgemeinerung der Bestimmung des Geistes als Welt- wie Selbstvollzug führt Hegel in der Enzyklopädie letztlich dazu, Kunst wie Religion und Philosophie dem „absoluten Geist“ zuzuordnen. Nur die mit Begriffen arbeitende Philosophie kann das, was die Kunst qua Anschauung und die Religion qua Vorstellung vermittelt, kulturinvariant und allgemeingültig begründen und damit gegen Einwände absichern. Die Philosophie erfaßt Kunst und Religion als kultur-invariante Konstellation, d.h. als „absoluten Geist“ im Sinne einer überindividuellen und überzeitlichen Form von Gültigkeit, insofern Kunst und Religion in jeder (individuellen) Kultur und zu jeder Zeit die kulturelle Funktion der Weltdeutung und Handlungsorientierung haben. In den Berliner Ästhetikvorlesungen greift Hegel diese frühe, in den Systementwürfen entwickelte und in der Enzyklopädie verallgemeinernd begründete Bestimmung des Kunstwerks wieder auf und bezeichnet Kunst als das „anschauende Bewußtsein des absoluten Geistes“160, d.h. als eine anschauliche Gestalt, die den „Geist eines Volks“ aufscheinen läßt. In diesem Sinne ist die in den Eingangsüberlegungen begründete Bedingung für die Bestimmung des Kunstwerks erfüllt, Kunst könne nur dann als quasi natürliches Ding und Werk des Menschen erfaßt werden, „wenn ein eigenständiger Begriff einer Einheit von theoretischer und praktischer Instanz, d.h. von subjektivem und objektivem Geist, der auch die Natur übergreift, gesichert werden kann.“161. Durch Hegels Unterscheidung von subjektivem und objektivem Geist, die jeweils aus den für ein vernünftiges und freies Wesen charakteristischen Setzungen erschlossen werden, gewinnt man die Basis für die Bestimmung des „Werks“ aus erkennendem Handeln. Jene Werke, die eigens gestaltet sind, um die jeweiligen kulturellen Welten aus dem Erkennen und Handeln des Menschen zu erschließen, die Kunst-Werke, rechnet Hegel den von den unmittelbaren Bedingungen des Handelns losgelösten Formen geistiger Setzung zu, also nicht dem „objektiven Geist“ - 160 161 44 Kehler 1826, 33. Lu de Vos: Das Ideal. Anmerkungen zum spekulativen Begriff des Schönen, in: Hegel-Jahrbuch 2000, 13-20; 18. Vgl. auch ders.: Artikel „Kunst“, in: Hegel-Lexikon, Darmstadt 2006, 295-300. obgleich auch hier gestaltete quasi-natürliche Dinge entstanden sind -, sondern dem „absoluten Geist“. Wenn im Anschluß an diese Ergebnisse im Folgenden zuerst die Bestimmung des Ideals und Werks in der Ästhetik analysiert wird, muß die Besonderheit des Hegelschen Begriffs der Schönheit bestimmt werden, um von vornherein einen häufig gemachten Vorwurf gegen Hegels Ästhetik zu entkräften, diese sei eine Form des „ästhetischen Platonismus“. Nach der Bestimmung des Ideals wird sich dann zeigen müssen, ob und auf welche Weise eine Bestimmung des Natur-Schönen an die Bestimmung des Ideals als Vermittlung der Vernunftidee im Sinnlich-Anschaulichen anknüpfen kann. 45 3 Ideal und Naturschönes Die systematischen Argumente für seine Einschätzung des Naturschönen und insbesondere für die Entscheidung, in der Philosophie der Kunst beim Kunstschönen anzusetzen, entwickelt Hegel in der Bestimmung des Ideals und - abgeleitet aus der Bestimmung des Ideals - in seiner Konzeption des Kunstwerks. Ginge man von der gängigen Hegelkritik aus, so hätte das Naturschöne für die Ästhetik in der Tat keine Bedeutung. Der „Bereich“, d.h. das Untersuchungsfeld der philosophischen Ästhetik ist das Reich der „Schönheit“, „näherhin“ betrachtet „die Kunstschönheit“. Da Hegel seine Entscheidung für den Ansatz beim Kunstschönen unter anderem auch damit begründet, daß von einer Analyse des Kunstschönen auch die Bestimmung des Naturschönen zu entwickeln sei, muß die Bestimmung des Ideals diese Option mit ermöglichen. Die Gewichtung des Naturschönen hängt also letztlich ab von der Definition des Kunstschönen als „Ideal“. Die entscheidende Frage wird sein, ob ein „Vorzug der Naturschönheit vor der Kunstschönheit“162 oder die Behauptung, „daß um soviel höher der Geist als die Natur ist, so viel höher das Kunstschöne als das Naturschöne“163, eine Definition des Ideals erlaubt, die auch den Bereich des Naturschönen erschließt und insbesondere dann auch Kunstwerke, die die Schönheit der Natur zum Gegenstand haben, in ihrer Bedeutung einschätzen kann. Da diese Frage auf einen „Streit“ zwischen Kant und Hegel hinausläuft und in der idealistischen wie nachidealistischen Ästhetik der maßgebliche Bezugspunkt164 für die in dieser Arbeit behandelte Thematik der Konzeption des Naturschönen bei Hegel ist, ist es erforderlich, zuerst die Gründe für Kants Gewichtung des Naturschönen wenigstens kurz zu skizzieren. Auf diese Aspekte und Weichenstellungen reagiert Hegel mit der eigenen Theorie des Naturschönen implizit wie explizit. 162 163 164 46 KU, § 42. Kehler 1826, 1. Diese These notiert J. Kulenkampff: Es gibt zu Kant und Hegel als „den beiden Vätern der Ästhetik gar keine Alternativen. Die europäische Ästhetik vor Kant ist eigentlich nur Vorgeschichte zur philosophischen Ästhetik, und die philosophische Ästhetik von Hegel bis heute ist immer nur eine Spielart des kantschen oder des hegelschen Typs“ (J. Kulenkampff: Metaphysik und Ästhetik: Kant zum Beispiel, in: Falsche Gegensätze. Zeitgenössische Positionen zur philosophischen Ästhetik, hg. von Andrea Kern und Ruth Sonderegger, Frankfurt/M. 2002, 49-80; 80). Im Rahmen der „Aufklärungsästhetik“ gewinnt das Naturschöne eine herausragende Bedeutung. Ästhetikkonzeptionen geht In der den Begriff klassizistisch-objektivistischen des Naturschönen „in die Nachahmungslehre ein“165, Natur wird zum Paradigma für Kunst und „zum Synonym der ‚Vernunft‘“166. Kant allerdings trennt in seinen beiden Kritiken, in der Kritik der reinen Vernunft und der Kritik der praktischen Vernunft, die Bereiche der Natur und der Vernunft (Freiheit) durch eine unüberbrückbar scheinende Kluft. In jedem dieser Bereiche regiert eine autonome Gesetzgebung: im sinnlichen Bereich der Erscheinungen der Natur die vom Verstand apriorisch konstituierten Naturgesetze, im übersinnlichen Bereich der Freiheit das Sittengesetz der Vernunft. Kants Kritik der Urteilskraft hat die Aufgabe, diese Kluft zwischen dem Übersinnlichen (Freiheit, Sittlichkeit) und Sinnlichen (Natur, Welt) zu überbrücken, damit es möglich sei, daß die Vernunftforderungen in der Realität tatsächlich verwirklicht werden können und nicht bloßes Postulat bleiben müssen. Deshalb hat die Vernunft ein Interesse daran, Indizien aufzuspüren, die nahelegen könnten, daß die Wirklichkeit der Vernunft vielleicht doch Realisierungsmöglichkeiten bietet. Die Frage ist, ob es ästhetische Natur- und/oder Kunstvollzüge gibt, die mit Vernunftideen verknüpft sind und die genannte Kluft überwinden können. Kant analysiert dementsprechend sowohl den Kunstvollzug als auch den Naturvollzug im Hinblick auf diese Leistungsfähigkeit. Eine erste Form der Verbindung eines ästhetischen Naturvollzuges mit den praktischen Vernunftideen sieht Kant exemplarisch in der Erfahrung des „Erhabenen“, wenn auch nur auf negative Weise. Kant übernimmt die Kategorie des „Erhabenen“ aus der empiristischen Tradition und gibt ihr einen neuen Sinn, indem Natur ungeachtet ihres Schreckens und ihrer Zwänge dem Menschen eine Erfahrung seiner Freiheit im Gegensatz zum Ausgeliefertsein an die Natur eröffnet. Das Erhabene löst ein zwiespältiges Gefühl aus Unlust und Lust aus (Burke). Einerseits scheitert die Einbildungskraft in ihrer Synthetisierungsfunktion am unfaßbar und unvorstellbar Großen der Natur: Unlust ist die Folge. Andererseits vermag die 165 166 G. Tonelli/C. Hufnagel: Artikel „Naturschönheit/Kunstschönheit“, in: J. Ritter u.a. (Hg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. V, Basel/Stuttgart 1984, Spalte 623-633; Spalte 625. Ernst Cassirer: Grundprobleme der Ästhetik (Band V der Schriften zur Kunsttheorie, hrsg. von Hein Stünke), Berlin 1989, S. 13. 47 Vernunft dieses Scheitern der Einbildungskraft dadurch ins Positive zu wenden, daß sie infolge ihres unendlichen Vermögens der Ideen selbst noch die unermeßliche Gewalt der Natur durch das Bewußtsein der Macht dieses intelligiblen Vermögens über die Natur zu bezwingen vermag. Auf diese Weise wird sich der Mensch im Gefühl des Erhabenen seiner Freiheit gegenüber der endlichen sinnlichen Seite seines Wesens bewußt: Ein Gefühl der Lust ist die Folge. Diese so erfahrene Freiheit ermöglicht es dem Menschen, sich selbst als sittliches Wesen zu erfahren. Zwar zeigt sich in der Erfahrung des Erhabenen vorrangig die Differenz zwischen Anschauung (der übermächtigen Natur) und Vernunftideen, aber sie sind für die Vernunft bedeutsam, weil „das Erhabene jederzeit Beziehung auf die Denkungsart“ hat und den „Vernunftideen über die Sinnlichkeit Obermacht“ verschafft167, d.h. einer ethischen Dimension einen Freiraum verschafft. Im Hinblick auf die Frage, ob die Erfahrung des Erhabenen für alle Menschen gleichermaßen möglich sei, geht Kant einerseits davon aus, daß nur eine solche Kultur, die bereits in der Kultivierung der Vernunft weit vorangeschritten sei, überhaupt dem Gefühl des Erhabenen eine zentrale Bedeutung einräumen könne: „In der Tat wird ohne Entwicklung sittlicher Ideen das, was wir, durch Kultur vorbereitet, erhaben nennen, dem rohen Menschen bloß abschreckend 168 vorkommen“ . Andererseits ist die Erfahrung des Erhabenen nicht einfach „Konvention“, also kontingente Übereinkunft in einer Kultur und Gesellschaft, sondern alle Menschen in jeder Kultur verfügen grundsätzlich über das Potential der Vernunft und damit der Erfahrung des Erhabenen. „Darum aber, weil das Urteil über das Erhabene der Natur Kultur bedarf (…), ist es doch dadurch nicht eben von der Kultur zuerst erzeugt und etwa bloß konventionsmäßig in der Gesellschaft eingeführt; sondern es hat seine Grundlage in der menschlichen Natur, und zwar demjenigen, was man mit dem gesunden Verstande zugleich jedermann ansinnen und von ihm fordern 167 168 48 KU, A 124. KU, § 29. - Kant nennt als Beispiel die Mahnungen eines („rohen“) savoyischen Bauern, der empfindsam-enthusiastische („kulturell vorbereitete“) Alpenreisende vor den Gefahren der Eisgebirge warnen will. kann, nämlich in der Anlage zum Gefühl für (praktische) Ideen, d. i. zu dem 169 moralischen“ . Die Kultivierung der Vernunft, die bei der Analyse des Erhabenen insbesondere mit Blick auf eine vernunftgebildete Kultur vorausgesetzt wurde, spielt auch dann eine Rolle, wenn die Kultiviertheit einer einzelnen Person in den Mittelpunkt der Betrachtung rückt. In genau diesem Zusammenhang räumt Kant dem Naturschönen einen „Vorzug“ vor dem Kunstschönen ein. Kant glaubt, „daß ein unmittelbares Interesse an der Schönheit der Natur zu nehmen (...) jederzeit ein Kennzeichen einer guten Seele sei; und daß, wenn dieses Interesse habituell ist, es wenigstens eine dem moralischen Gefühl günstige Gemütsstimmung anzeige, wenn es sich mit der Beschauung der Natur gerne verbindet“170. Ein Mensch, der solcherweise einen Zugang zur Natur findet, „stimmt mit der geläuterten und gründlichen Denkungsart aller Menschen überein, die ihr sittliches Gefühl kultiviert haben“171. Dieses „sittliche Gefühl“ ist es, was sich in diesem Naturvollzug ausdrückt. Ein solchermaßen gebildeter Mensch steht nach Kant sogar höher als einer, der „Geschmack genug hat, um über Produkte der schönen Kunst mit der größten Richtigkeit und Feinheit zu urteilen“.172 Der Kunstkenner gewinnt durch das Kunstschöne eine „Lust des Geschmacks“, der Naturbetrachter gewinnt durch das Naturschöne eine „Lust des moralischen Gefühls“.173 Zwar ist für Kant ein für die Schönheit der Natur empfänglicher Mensch nicht automatisch gut. Aber dieser praktiziere immerhin eine der moralischen Beurteilungsweise analoge Beurteilung schöner Naturgegenstände und lasse daher zumindest eine „Anlage zu guter moralischer Gesinnung“ vermuten. Das Interesse an Kunstschönheit hingegen läßt keinerlei Rückschlüsse auf eine moralische Denkungsart zu. Da also die Naturschönheit im erläuterten Sinne eine Fähigkeit des Vernunftgebrauchs voraussetzt, kann Kant abgeleitet von dieser Überlegung zwar nicht das Urteil über das Schöne (die Fähigkeit des Kenners), wohl aber das Kunstwerk als „Symbol der Sittlichkeit“174 definieren. Kunst hat dann die 169 170 171 172 173 174 KU, § 29. KU, § 42. KU, § 42. KU, § 42. KU, § 42. KU, § 59. 49 Aufgabe, den Vollzug des Erhabenen der Natur anläßlich eines gestalteten Dinges zu wiederholen, und zwar in seiner Funktion als „Symbol der Sittlichkeit“. Der kultivierte Naturbetrachter, dessen Interesse am Naturschönen „der Verwandtschaft nach moralisch“ ist, kann dieses Interesse nur haben, insofern „er vorher schon sein Interesse am Sittlich-Guten wohl gegründet hat“.175 Ebenso muß der Kunstkenner dieses Interesse am Guten schon mitbringen, wenn er einen kultivierten Geschmack („Cultur des Geschmacks“) als „Vorübung zur Moral“176 ausbilden und wahre Kennerschaft erreichen will. Denn der Geschmack ist „im Grunde ein Beurteilungsvermögen der Versinnlichung sittlicher Ideen“, sodaß die „wahre Propädeutik zur Gründung des Geschmacks die Entwicklung sittlicher Ideen und die Kultur des moralischen Gefühls“177 ist. Insofern wäre Aufgabe der Kunst, die Funktion des Naturschönen im Kunstwerk nachzuahmen, um den Kunstbetrachter qua Anschauung zum Vollzug sittlicher Ideen anzustiften. Diese Nachahmung ist nicht Nachahmung der natura naturata im Sinne vorbildhafter Naturdinge, sondern Nachahmung der natura naturans im Sinne dieser vorbildhaften Evozierung sittlicher Ideen. Schöne Kunst muß daher aussehen wie Natur.178 Dann kann sie das Vermögen der Natur nachahmen, im Menschen - insbesondere sittliche - Vernunftideen zu evozieren. Die Frage ist allerdings, wie diese Art der Repräsentation der Natur im Kunstwerk wiederholt, durch es evoziert werden kann, und zwar nun als Erfahrung der Schönheit. Kant kann dieses Anschlußproblem nur über seine Konzeption des Genies lösen. Das Genie schafft - wenn es ein Kunstwerk hervorbringt - wie die Natur und schreibt so der Kunst die Regeln vor. Das heißt, das Genie vermag es, Natur in ihrer Schöpferkraft (natura naturans) und Evozierung der Vernunftideen nachzuahmen. Hier ist es dann die Natur, die durch das Genie „der Kunst die Regel gibt“.179 In diesem Sinne ist auch ersichtlich, daß das Genie „dem Nachahmungsgeiste gänzlich entgegen zu setzen ist“180, d.h. einer 175 176 177 178 179 180 50 KU, § 42. I. Kant: Aus den Reflexionen zur Ästhetik, Nr. 993, S. 483, in: Kants Gesammelte Schriften (Akademieausgabe), Bd. 15.1, Berlin 1923. KU, § 60. „Die Kunst kann nur schön genannt werden, wenn wir uns bewußt sind, sie sei Kunst, und sie uns doch als Natur aussieht“ (KU, § 45). KU, § 46. KU, § 47. Nachahmung der natura naturata. Auf dem Umweg über eine Natur, die als menschliches Genie deren Schöpferkraft und Originalität nachahmt, soll gesichert werden, daß das angeschaute Kunstschöne nur in der Vorstellung, mit Kant: „in der bloßen Beurteilung (nicht in der Sinnesempfindung, noch durch einen Begriff) gefällt“.181 Damit modifiziert Kant seine Bestimmung des interesselosen Wohlgefallens im Rahmen des Kunstgefallens, d.h. des Gefallens an einem (schönen) Symbol des Sittlichen.182 Sowohl Rezeption wie Produktion der Kunst scheinen Regeln zu folgen, so daß das Geschmacksurteil (dieser Gegenstand, dieses Werk ist „schön“) Anspruch auf allgemeine Beistimmung erheben kann. Da diese Regeln aufgrund der geforderten Reinheit des Geschmacksurteils im Sinne der Unabhängigkeit von begrifflichen Bestimmungen „keine objektive[n] Geschmacksregel[n]“ sein können, bleibt Kant nur der Ausweg, ein „Urbild des Geschmacks“ zu postulieren, das er als „Ideal des Schönen“ bestimmt und das, da es nicht auf Begriffen beruht, nur ein „Ideal der Einbildungskraft“ sein kann.183 Wenn der Geschmack, wie gezeigt, ein „Beurteilungsvermögen der Versinnlichung sittlicher Ideen“184 ist, dann ist zu erwarten, daß das Ideal als „Urbild des Geschmacks“ nicht nur induktiv aus der Erfahrung gewonnene empirische Allgemeinheit (die „Normalidee“) erreicht, sondern zugleich mit der „Vernunftidee“ verbunden ist. Diese macht gerade „die Zwecke der Menschheit, sofern sie nicht sinnlich vorgestellt werden können, zum Prinzip der Beurteilung einer Gestalt“185. Die einzige geistige Naturgestalt, die diese Bedingungen erfüllt, ist die Gestalt des Menschen. Da aber für Kant die Kunst nicht Naturphänomene (qua natura naturata) - also auch nicht die Gestalt des Menschen - einfachhin nachahmen soll, sondern eine „schöne Vorstellung von einem Dinge“186 ist, also einen Welt- bzw. Naturvollzug darstellt, greift Kant auf die in der Kunst bereits vermittelte Gestalt des Menschen zurück, namentlich auf die griechische Skulptur, die in ihrer Darstellungsart exemplarisch sein soll. Diese in der Kunst dargestellte menschliche Gestalt 181 182 183 184 185 186 KU, § 45. Diese Differenzen hat G. Felten in ihrer Analyse der Kantischen Urteile über Schönheit sowie der Kunstschönheit herausgearbeitet: G. Felten: Die Funktion des sensus communis in Kants Theorie des ästhetischen Urteils (Reihe: Neuzeit & Gegenwart. Philosophie in Wissenschaft und Gesellschaft), München 2004. KU, § 17. KU, § 60. KU, § 17. KU, § 48. 51 dient Kant als „Ideal der Schönheit“, d.h. als eine versinnlichte Vernunftidee187 und damit als der „sichtbare Ausdruck sittlicher Ideen“.188 Mit diesen Bestimmungen bereitet Kant die Art und Weise vor, wie später Hegel, vermittelt über Schillers Kantinterpretation189 in Zusammenarbeit mit Hölderlin, seine eigene Konzeption des Ideals gewinnt. Allerdings - dies werden die weiteren Ausführungen zeigen - gewichtet Hegel das Naturschöne im Gegensatz zu Kant als das abgeleitete gegenüber dem Kunstschönen, zieht er andere und weitergehende Konsequenzen als Kant. Die Überlegungen der Ästhetikvorlesung zeigen, daß Hegel im Sinne einer Transzendentalphilosophie deren Probleme aufgreift und zu lösen versucht. Dabei zeigt sich, daß sein Lösungsvorschlag gleichsam den transzendentalphilosophischen Grundgedanken, nämlich die Angewiesenheit sachhaltiger Aussagen über die Wirklichkeit auf wirklichkeitserschließende Vollzüge (wie sich an der Bestimmung des „Geistes“ zeigte), ernst nimmt. Daß er bei der Ausführung dieses Unternehmens Kants Grundkonstellation der Ästhetik - den „Vorzug der Naturschönheit vor der Kunstschönheit“ genau umkehrt, müßte sich am Ende in dem Sinne als plausibel erweisen, daß Hegel Probleme, die er in der Kantischen Ästhetik kritisiert, vermeiden und trotzdem wesentliche Überlegungen Kants übernehmen kann. 3.1 Die Idee der Schönheit Hegel bestimmt in den Berliner Ästhetikvorlesungen das „Kunstschöne“ als „Ideal“, und zwar als eine noch näher zu bestimmende Form der Repräsentation der „Idee des Schönen“ und gibt dadurch Anlaß für drei typische Mißverständnisse, die insgesamt in die Kritik des „Ästhetischen Platonismus“ münden und den sogenannten Klassizismusvorwurf gegen Hegels Ästhetik190 begründen. 187 188 189 190 52 KU, § 60. KU, § 17. Vgl. A. Gethmann-Siefert: Die Funktion der Kunst in der Geschichte, insbesondere Kap. 1.; dies.: Einführung in die Ästhetik, insbesondere Kap. 3.2. Zum „Klassizismusvorwurf“ gegen Hegels Ästhetik vgl. die differenzierte, wenn auch ältere Studie von Helmut Kuhn: Hegels Ästhetik als System des Klassizismus. In: Archiv für Geschichte der Philosophie. 40 (1931), 90-105. Vgl. insbes. A. Gethmann-Siefert: Hegels These vom Ende der Kunst und der „Klassizismus“ der Ästhetik. In: Hegel-Studien. 19 (1984), 205-258. Das erste Mißverständnis betrifft die Deutung der „Idee des Schönen“ als Platonismus. Dieses Problem hat K. Düsing auf der Basis einer Analyse der vorsystematischen „theologischen Jugendschriften“ Hegels diskutiert.191 Düsings zentrale These besteht in dem Vorwurf, Hegel entwerfe in den genannten Schriften - ähnlich wie Hölderlin - „Grundzüge eines ästhetischen Platonismus“.192 Dieser bestehe darin, „daß die Wahrheit und die Güte“, also das Wahre und das Gute, durch die leitende Idee der Schönheit vereinigt werden“, wobei das Schöne die „höchste, grundlegende Idee“ sei193. Damit spielt Düsing auf die klassische platonische Ideentrias des Wahren-GutenSchönen an. A. Gethmann-Siefert hat dagegen zeigen können, daß bereits in Hegels frühen Überlegungen das Schöne die Funktion hat, die (Kantische Vernunft-)Idee bzw. das Göttliche qua künstlerische Phantasie und Darstellung ästhetisch und zugleich geschichtlich zu vermitteln.194 Hegel geht demgemäß nicht von einer platonischen Idee des Schönen aus, sondern bestimmt bereits hier das Schöne als Ideal und damit als spezifische Form der Vermittlung der Idee (Vernunftidee) mit der Wirklichkeit. Diese Bestimmung ist auch die entscheidende Grundlage der Berliner Ästhetikvorlesungen. „Schönheit“ wird in Hegels religionskritischen Jugendschriften mit dem Begriff des Handelns verknüpft. Das „schöne“ Handeln der Tugendlehrer konkretisiert bzw. realisiert die Vernunftidee – also die Fähigkeit des Menschen, frei und vernünftig zu handeln − und entfaltet dadurch lebendige geschichtliche Wirksamkeit. Die Person des Tugendlehrers sowie dessen Handlungswirklichkeit bezeichnet Hegel als „Ideal“, die Verbindung zwischen der realisierten Vernunftidee und ihrer geschichtlichen Wirksamkeit als „Schönheit“. Da Hegel von dieser Linie seiner Bestimmung des Ideals weder in der Jenaer Zeit noch später in der Philosophie der Kunst abweicht 191 192 193 194 Klaus Düsing: Ästhetischer Platonismus bei Hölderlin und Hegel. In: Homburg v.d. Höhe in der deutschen Geistesgeschichte. Studien zum Freundeskreis von Hegel und Hölderlin. Hrsg. von Christoph Jamme und Otto Pöggeler. Stuttgart 1981 (Deutscher Idealismus. Philosophie und Wirkungsgeschichte in Quellen und Studien. 4), 101-117. - Düsing untersucht insbesondere das „Älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus“ und die Entwürfe zum „Geist des Christentums“. Diese Texte sind überliefert in: Hegels theologische Jugendschriften. Hrsg. von H. Nohl, Tübingen 1907. Klaus Düsing: Ästhetischer Platonismus bei Hölderlin und Hegel, 115. Ebd. - Düsing bezieht sich auf folgende Stelle im „ältesten Systemprogramm“: „Ich bin nun überzeugt, daß der höchste Akt der Vernunft, der, indem sie alle Ideen umfast, ein ästhetischer Akt ist, und daß Wahrheit und Güte, nur in der Schönheit verschwistert sind (zitiert nach: Mythologie der Vernunft. Hegels „ältestes Systemprogramm“ des deutschen Idealismus. Hrsg. von Ch. Jamme/H. Schneider, FaM 1984, 12). A. Gethmann-Siefert: Einführung in Hegels Ästhetik, 56f. 53 wie A. Gethmann-Siefert in ihrer entwicklungsgeschichtlichen Analyse nachgewiesen hat195 - verliert die Kritik des „ästhetischen Platonismus“ ihre Grundlage. Das zweite Mißverständnis der Idee des Schönen hat Hegels Schüler H.G. Hotho in seiner eigenen Ästhetik entwickelt. Es besteht in der Trennung einer „Idee des Schönen“ und ihrer Wirklichkeit in Natur (als Naturschönes) und Kunst (als Kunstschönes), wobei die Überwindung der Trennung in einem gleichsam dialektischen „Dreischritt“196 mit Entäußerung aus der Abstraktheit der Idee (das Schöne) in die Natur und vermittelter Rückkehr in die Kunstwirklichkeit stattfindet.197 Wirkungsgeschichtlich interessant und folgenreich ist Hothos Integration dieser Gedankenfigur in die Druckfassung der Hegelschen Ästhetik. Sie hat nicht nur zu dem immer wieder gegen Hegel erhobenen Vorwurf des Platonismus geführt, sondern auch der Kritik der Abwertung des Naturschönen gegenüber dem Kunstschönen Nahrung gegeben. Ein Folgeproblem ergibt sich mit der Bestimmung des Kunstschönen - des „Ideals“, wie die weiteren Ausführungen zeigen werden - als „sinnliches Scheinen der Idee“198. Diese Definition, die in keiner der durch Nachschriften dokumentierten Ästhetikvorlesungen Hegels zu finden ist, führt nicht nur zu einer Fehldeutung der Sinnlichkeit in der Kunst im Sinne eines „ästhetischen Platonismus“, sondern auch zu einer Modifikation des von Hegel unterstellten 195 196 197 198 54 Vgl. A. Gethmann-Siefert: Die Funktion der Kunst in der Geschichte. Diesen „Dreischritt“, dessen Voraussetzungen und problematische Ausführung wie Konsequenzen hat ausführlich Lu De Vos untersucht. Vgl. hierzu Lu De Vos: Von der spekulativen Logik des Ideals zu Hothos Schematismus der Triplizität. In: Zwischen Philosophie und Kunstgeschichte. Hrsg. von Annemarie Gethmann-Siefert und Bernadette Collenberg-Plotnikov, München 2008, 191-203. Hotho hat diesen Entwicklungsgang in seiner Ästhetikvorlesung von 1833 wie folgt zusammengefaßt: „Wir werden hier vom Kunstschönen sprechen. Ehe wir aber bis dahin gelangen, müssen wir zwei Stadien durchlaufen, weil das Kunstschöne als das Totale, Höchste nur als Resultat früherer Stadien auftreten kann. Wir müssen es als Unendliches, als Einheit von Unterschiedenen zeigen, aber so, daß die Totalität es selbst ist, die sich so in Unterschiedenes setzt und mit entgegengesetzter Tätigkeit sie als Ideelles in sich aufhebt. Dies nennt man die Selbstvermittlung. Jedes Wahrhafte, weil es nicht abstrakt ist, ist so sich selbst vermittelnd darzustellen. - Die Kunstschönheit ist [eine] solche Totalität, die durch Vermittlung der abstrakten unterschiedenen Seiten entstanden ist: Diese zwei Seiten sind erstens das Schöne, seinem reinen Begriff nach, zweitens das unmittelbare, nur äußerlich vorhandene Schöne, das noch nicht vom Bewußten reproduziert ist, das Naturschöne.“ (Immanuel Hegel 1833, 22) - Vgl. hierzu auch den Kommentar von Bernadette Collenberg-Plotnikov in der angegebenen Edition: Einleitung: Philosophische Grundlagen der Kunstgeschichte als historischer Wissenschaft im Hegelianismus. Zu Heinrich Gustav Hothos Entwurf einer ‚spekulativen Kunstgeschichte, XIX-XCIX; XXV-XXIX sowie die Sachanmerkung 15 auf S. 268f. So die bekannte und wirkungsgeschichtlich bedeutsame Definition des Ideals in der Überlieferung der von Hegels Schüler H.G. Hotho herausgegebenen Druckfassung der Ästhetik. Vgl. TWA 13, 151 u.ö. Wahrheitsbegriffs. Fehlgedeutet wird die Sinnlichkeit in der Kunst, weil sie nicht als bereits reflexive, mit Hegel „vergeistigte“ Form, sondern als täuschungsanfällige Rezeption und Darstellung der sinnlich-haptischen Oberfläche anschaubarer Objekte verstanden wird. Die Sinnlichkeit in der Kunst führt aber - nach Hegel - nicht zur Täuschung über die Realität, sondern zur ästhetischen Erschließung der Realität. Die „Idee“ in ihrer geschichtlichen Realität wird über die „vergeistigte“ Form des Sinnlichen anschaulich vermittelt. Der Wahrheitsbegriff im Sinne des Platonismus ist gegen Hegels These gesetzt, daß das Sinnliche in Form des Scheins der Kunst einerseits „wesentliches Moment des Wesens selbst“199 ist, aber aufgrund seiner Äußerlichkeit „nur Zeichen der Idee“200, damit eine nicht notwendige, sondern zufällige Gestalt der Idee und damit der Wahrheit sein kann. Das bedeutet, Kunst kann nicht letztgültige Vermittlung der Wahrheit sein, sondern sie verweist auf andere Medien der Wahrheitsvermittlung, die einen höheren Grad an Reflexivität erreichen und der „vernunftfordernden Vernunft“ der Gegenwart gerecht werden. Diese These Hegels hat dann den Streit über die sogenannte „These vom Ende der Kunst“ ausgelöst.201 Hegel selbst richtet seine These, die Kunst sei „ihrer höchsten Möglichkeit“ nach etwas Vergangenes, vor allem gegen Schelling, der die Kunst zur höchsten Vermittlungsform des Absoluten und der christlichen Religion erhebt.202 Indem die Wahrheitsvermittlung durch Kunst auf sinnliche Medien und auf sinnliches Material angewiesen und beschränkt ist, kann Kunst nämlich „nicht die höchste Weise sei[n], die Wahrheit auszusprechen“203. Gegen Schelling gerichtet argumentiert Hegel daher, in der Kunst sei 199 200 201 202 203 Hotho 1823, 2. Enz 1830, § 556. Vgl. dazu: A. Gethmann-Siefert: Hegels These vom Ende der Kunst und der „Klassizismus“ der Ästhetik. In: Hegel-Studien. 19 (1984). 205-258; dies.: Ist die Kunst tot und zu Ende? Überlegungen zu Hegels Ästhetik, Erlangen und Jena 1994; dies.: Einführung in die Ästhetik. 230232; dies.: Eine Diskussion ohne Ende: zu Hegels These vom Ende der Kunst. In: Hegel-Studien. 16 (1981). 230-243; dies.: Einführung in Hegels Ästhetik, Kap. 2.2; Willi Oelmüller: Hegels Satz vom Ende der Kunst und das Problem der Philosophie der Kunst nach Hegel. In: Philosophisches Jahrbuch LXXIII. 1965-66. 75-94. A. Gethmann-Siefert: Einführung in Hegels Ästhetik, 159, 148ff. - In diesem Zusammenhang ließe sich zudem Schellings Bestimmung der Kunst noch eher als „ästhetischer Platonismus“ bezeichnen als diejenige von Hegel. Denn Schelling bezeichnet die Kunstproduktion als Darstellung der „Formen der Dinge wie sie in Gott sind“ (Crabb Robinson, § 3), damit als Nachahmung der Ideen Gottes in der Wirklichkeit. Hotho 1823, 5. 55 „nur eine gewisse Stufe der Wahrheit fähig, Inhalt der Kunst zu sein. Denn es gibt eine tiefere Existenz der Idee, die das Sinnliche nicht mehr auszudrücken vermag, und dies ist der Inhalt unserer Religion, Bildung (...) Unsere Welt, Religion und Vernunftbildung ist über die Kunst als die höchste Stufe, das Absolute auszudrücken, um eine Stufe hinaus.“204 Die platonische Deutung der „Idee des Schönen“ gipfelt zuletzt in einem dritten Mißverständnis, und zwar in der Annahme, daß die von Hegel eingeführte „Idee des Schönen“ als Fehldeutung des Phänomens der Kunst und dementsprechend in einer Philosophie der Kunst als fehlplaziert zu betrachten sei.205 Hegels Rückgriff auf „Schönheit“ werde mit der die Berliner Ästhetikvorlesungen tragenden „geistesgeschichtlichen Konzeption“ nicht vermittelt. Daher müsse die Kunst als Ausdruck der Entzweiung und Vergegenständlichung des Geistes, nicht aber als Verwirklichung der Idee des Schönen angesehen werden.206 Eine solche Deutung muß sich allerdings in der Perspektive der bislang erreichten Rekonstruktion der Hegelschen Überlegungen den Vorwurf gefallen lassen, nicht zur Kenntnis zu nehmen, daß bei Hegel das Schöne nicht an sich, gleichsam losgelöst von seiner Wirklichkeit vorkommt, sondern nur - wie die weiteren Ausführungen noch deutlicher zeigen werden - als Ideal bzw. als Kunstwerk. Ein platonischer Chorismós ist bei Hegel nicht auszumachen, wohl aber in der von Jaeschke vorgebrachten Kritik an der Hegelschen Ästhetik. Hegels Bestimmung des Ideals zeigt eindeutig, daß er ohne die typisch platonische Abwertung der Kunst als sinnlicher Schein von Schein, genauer gesagt als „Schatten von Schatten“207 auch in der Ästhetik noch von der Notwendigkeit einer anschaulichen Vermittlung der (Kantischen) Vernunftidee ausgeht. 3.2 Das Ideal Nachweislich hat Hegel eine erste Bestimmung des Ideals als Konzept eines am 204 205 206 207 56 „schönen Handeln“ der Tugendlehrer orientierten „Ideals der Hotho 1823, 5 f. Diese Deutung hat Walter Jaeschke vorgetragen und die These vertreten, dieser Begriff unterbestimme Hegels Philosophie der Kunst, weshalb er gänzlich für eine Begründung derselben ungeeignet sei (Walter Jaeschke, Hegel-Handbuch, 422ff). Walter Jaeschke: Hegel-Handbuch, 429. Vgl. Politeia St. 509f (Liniengleichnis) sowie St. 597f (Wesensbildner, Werkbildner und Nachbildner). Volkserziehung“ durch Kunst wie Mythologie entfaltet.208 Dieser Konnex zur Bedeutung des Handelns spiegelt sich in seiner Philosophie des Geistes wie der Natur, ist aber auch das Fundament der Definition des Ideals in den Ästhetikvorlesungen, und zwar als „gestaltete Idee“ sowie als „Dasein“, „Existenz“ oder „Lebendigkeit der Idee“. In den frühen Überlegungen betrachtet Hegel nicht nur das Handeln vorbildlicher Individuen (Tugendlehrer), sondern letztlich die durch ihr Handeln und in ihrer Nachfolge entstandene geschichtliche Realität als Ideal im Vollsinn. So ist die schöne Religion der Griechen durch die in der Kunst gestifteten Bilder der Götter die Vernunftidee in einer staatlich organisierten Gemeinschaft (pólis). Die geschichtliche Realität der antiken griechischen pólis selbst bezeichnet Hegel als Kunstwerk. In den Berliner Ästhetikvorlesungen knüpft Hegel an diese frühen Bestimmungen des Ideals und des Kunstwerks an. Anfänglich verbindet er den Begriff der „Schönheit“ mit dem des „Scheins“ und bestimmt in der ersten Berliner Ästhetikvorlesung von 1820/21 das Schöne als „das Wahre in äußerlicher Existenz, in sinnlicher Vorstellung“209. Das Schöne ist nicht ein bloßer sinnlicher Schein, der die Erkenntnis des „Wahren“ wie ein trüber Schatten vereiteln könnte oder eine rein anagogische Funktion im Hinblick auf ein übersinnlich-wahrhaftes Schönes hätte.210 Statt dessen ist der Schein notwendiges Moment der Wahrheit selbst. Hegel verbindet ausdrücklich den Begriff des Schönen etymologisch mit dem Begriff des Scheins, um zu zeigen, daß der schöne Schein sich nicht gegen die Realität und die Wahrheit der Wirklichkeit ausspielen läßt, sondern der Entfaltung der Wahrheit wesentlich ist: „Schön kommt her von Scheinen; d.h. der Begriff kommt auch zum Scheinen. (…) Im Schönen ist das Seyn als Schein gesetzt; denn der Begriff dringt durch die Äußerlichkeit hindurch, scheint. Also steht das Scheinen höher als das 208 209 210 Vgl. dazu A. Gethmann-Siefert, die diese Entwicklungsgeschichte im Zusammenhang entwickelt hat: Einführung in Hegels Ästhetik, insbes. Kap. 1.1. Von Ascheberg 1820/21, 49. Dies wäre die klassische platonische Auffassung. Den Aufstieg über eine „Stufenleiter“ von den „schönen Leibern“ zur Idee des Schönen als dem „Urschönen“ schildert Platon im Symposion, St. 210-212. 57 Seyn; denn erst durch dieses Hervortreten an die Äußerlichkeit erhält das Wesen ein Seyn, d.h. es scheint; also ist die Wahrheit selbst dies Scheinen“211. Die Begründung dafür, warum das Scheinen „höher“ zu stellen sei als das Sein, ist nur dann zu verstehen, wenn die für die Philosophie des sog. „Deutschen Idealismus“ maßgebliche transzendentalphilosophische Wende auch hier beachtet wird. Das unvermittelte „Sein“, also die unvermittelte Realität gibt dem Menschen aus sich selbst heraus keinerlei Auskunft darüber, was es wesentlich sei. Dies ist erst durch Vollzug der Realität, d.h. durch Denken, Erkennen und Handeln möglich. Wendet man diesen transzendentalphilosophischen Grundgedanken auf die Kunst an, dann ist der Schein statt Täuschung über die Realität vielmehr Erschließung der Realität im Medium der Anschauung. Der Künstler „setzt“ das bloße Sein der Realität als „Schein“, d.h. er bringt die „Idee“ als die geschichtlich vermittelte Wahrheit an der äußeren sinnlichen Realität zur Erscheinung212. In der Ästhetikvorlesung von 1823 definiert Hegel den Schein als „wesentliches Moment des Wesens selbst“213, d.h. als Erscheinung des Wesentlichen des dargestellten Inhaltes. Der Schein ist demnach das Mittel der Darstellung der Idee in der sinnlich-anschaulichen Gestalt214 und zugleich das Mittel der Kunst, das sie vom bloß Sinnlichen abhebt. Daher ergreift der Künstler nicht das Sinnliche der „konkreten Materiatur“, sondern „nur die Oberfläche des Sinnlichen“215, d.h. als Medium zur Darstellung von Sinn216. Mit den Begriffen „Schein“ und „Wesen“ greift Hegel auf Bestimmungen der Logik zurück, die für die Konzeption des Ideals und des Kunstwerks insofern von zentraler Bedeutung sind, als sie den grundlegenden ästhetischen Vollzug in und durch Kunst verständlich machen sollen. Im Gegensatz zu den Kategorien der „Seinslogik“, die das thematisieren, was dem unbefangenen Bewußtsein als Referenzebene des Sprechens, Wahrnehmens, Vorstellens, 211 212 213 214 215 216 58 Von Ascheberg 1820/21, 49. In der Vorlesung von 1826 heißt es entsprechend: „Der Künstler eben ist es, der die Idee an der Realität scheinen macht“ (Kehler 1826, 40). Hotho 1823, 2. So daß „die Kunst die Idee darstellt durch den Schein“, wie es 1826 heißt (Pfordten 1826, Ms. 7). Hotho 1823, 20. Hegel spielt an anderer Stelle mit dieser Doppelbedeutung von „Sinn“: „Sinn ist nämlich dies wunderbare Wort, welches zwei entgegengesetzte Bedeutungen hat; denn Sinn ist einmal unmittelbares Organ des sinnlichen Auffassens, und andererseits heißen wir Sinn: die Bedeutung, d. h. das Andere des Sinnlichen, das Innere, den Gedanken, das Allgemeine der Sache. Das eine ist die Sache als Unmittelbares, das andere der Gedanke der Sache. Und beides nennen wir Sinn“ (Hotho 1823, 59f). Denkens gilt, seien dies nun Gegenstände, Wahrnehmungen, Abstrakta, Vorstellungen oder Gedanken217, ergeben sich die Kategorien der „Wesenslogik“ aus einer Reflexion auf das Vergangene. So heißt es in der Logik: „Die Sprache hat im Zeitwort: Seyn, das Wesen in der vergangenen Zeit: gewesen, behalten; denn das Wesen ist das vergangene, aber zeitlos vergangene Seyn“218. Gemeint ist damit eine Besinnung auf und das Begreifen dessen, was es eigentlich war, was im Sprechen, Wahrnehmen, Vorstellen und Denken auf eine bestimmte Art und Weise thematisiert wurde. Der Schein ist diejenige Bestimmung, durch die etwas für uns erschlossen werden kann, d.h. nicht mehr in der Unmittelbarkeit bloßer Gegebenheit („Sein“) besteht, sondern reflektiert erscheint. Das heißt, ein unmittelbarer, zumeist tradierter Weltzugang, eine gewöhnliche Auffassungsweise von Dingen, Objekten, Phänomenen wird abgelöst durch eine reflektiertere Auffassung, durch die eine Orientierung in der Welt möglich wird, die sich allerdings in der Praxis bewähren muß, wo wir also sagen, daß etwas „nicht so…“, sondern „in Wirklichkeit“ doch eigentlich „so…“ sei.219 Die bislang entwickelten Argumente legen scheinbar eine Interpretation des Ideals und damit des Kunstwerks als „Scheinen der Idee“220 oder als „Scheinen des Begriffs“221 nahe. Eine solche Definition provoziert die Frage, ob es eine „Logik der Kunst“222 geben kann, die Hegels in der Logik entwickelten und explizierten Scheinbegriff ins Zentrum ihrer Überlegungen stellt. Da Hegels Logik das ambitionierte Ziel verfolgt, klassische Logik und Ontologie (Metaphysik) zu vereinen, also eine Einheit von Logik und Metaphysik bzw. von Denken und Sein zu explizieren, wird jeweils unterstellt, die Kategorien der Logik determinierten die Kategorien der 217 218 219 220 221 222 Für diese Interpretation der Hegelschen logischen Kategorien stütze ich mich auf die Arbeiten von P. Stekeler-Weithofer, der meines Wissens den bislang einzigen vollständigen Versuch vorgelegt hat, Hegels gesamte Logik in eine Sprache zu übersetzen, die an aktuelle Diskussionen Anschluß finden kann. Vgl. insbes. P. Stekeler-Weithofer: Hegels Analytische Philosophie. Die Wissenschaft der Logik als kritische Theorie der Bedeutung, Paderborn 1992 sowie ders.: Philosophie des Selbstbewußtseins. GW 11, 241. Vgl. P. Stekeler-Weithofer: Hegels Analytische Philosophie, 230. Diese von Hegels Schüler H.G. Hotho in die Druckfassung der Ästhetik integrierte, wirkungsgeschichtlich überaus folgenreiche Definition des Ideals hat A. Gethmann-Siefert in zahlreichen Studien als Zutat Hothos aufgedeckt und gezeigt, auf welchen begrifflichen Grundlagen sie beruht und warum sie auf einem platonistischen Mißverständnis der Hegelschen Grundlage in dessen Ästhetikvorlesungen beruht. Vgl. hierzu zuletzt: A. Gethmann-Siefert: Einführung in Hegels Ästhetik, 29f., 241ff. u. ö. So der Anspruch von Brigitte Hilmer: Scheinen des Begriffs. Hegels Logik der Kunst, Hamburg 1997. Brigitte Hilmer: Scheinen des Begriffs. Hegels Logik der Kunst. 59 Realphilosophie (Philosophie der Natur und des Geistes), diese müßten jenen „entsprechen“ bzw. diese seien die „Anwendung“ jener. Gegen eine solche Interpretation des Verhältnisses der logischen zu den realphilosophischen Kategorien spricht allerdings schon aus pragmatischen Gründen, daß dieses Verhältnis ein in der Hegelforschung umstrittenes und kaum zu lösendes Problem darstellt.223 Um in diesem Zusammenhang unlösbare Begründungsschwierigkeiten zu vermeiden, die wohl nur um den Preis eines dogmatischen, in ein logisches Korsett gezwängten Systems zu umgehen wären, erscheint es sinnvoller, die logischen Kategorien als Grundbestimmungen zu interpretieren, die einen Rahmen setzen, innerhalb dessen der realphilosophische Sachverhalt, d.h. ein konkretes Phänomen der natürlichen oder geistigen (kulturellen) Wirklichkeit, philosophisch untersucht werden kann - die also gleichsam eine heuristische Funktion haben. Dies hat zur Folge, die Realphilosophie nicht als bloße Anwendung der Logik zu verstehen. Im Hinblick auf eine Philosophie der Kunst erscheint es daher nicht praktikabel und nicht sinnvoll, im Ausgang von Hegels Logik zu demonstrieren, daß und wie logische Kategorien die Struktur und die Inhalte der Ästhetik vorausbestimmen und diese im Rahmen einer „Logik der Kunst“ rekonstruiert werden müssen.224 Wenn Hegel den Begriff des „Schönen“ in den Ästhetikvorlesungen anfänglich mit dem des „Scheins“ semantisch verknüpft, verfolgt er daher nicht die Absicht, aus dem in der Logik entwickelten Begriff des „Scheins“ denjenigen des Ideals einfachhin abzuleiten. Dagegen spricht erstens, daß Hegel als „Gegenstand der Kunst“ nur die „sinnliche Oberfläche, das Erscheinen des Sinnlichen als solchen“225 betrachtet. Dieses ist zwar schon ein „Ideelles“, aber noch kein „abstrakt Ideelles“, d.h. kein Gedanke. Mit dem „Ideal“ ist demnach eine „Mittel- und Mittlerstellung zwischen dem Sinnlichen als solchem und dem reinen 223 224 225 60 Mit D. Emundts und R.-P. Horstmann läßt sich exemplarisch sagen: „Wie die einzelnen Inhalte der Realphilosophie sich den Hegelschen Begriffsbestimmungen genau zuordnen lassen sollen, ist allerdings schwer einzusehen und stellt ein Problem bei der Interpretation des Zusammenhangs der Logik und der Realphilosophie dar“ (D. Emundts/R.-P. Horstmann: G.W.F. Hegel. Eine Einführung, Stuttgart 2002, 83). A. Gethmann-Siefert hat in mehreren Arbeiten wiederholt auf die sich aus der Hegelschen Logik und ihrer behaupteten Einheit von Logik und Metaphysik bzw. von Denken und Sein ergebenden Begründungslasten hingewiesen. Vgl. z.B. A. Gethmann-Siefert: Die Funktion der Kunst in der Geschichte, 8f. u. ö. Hotho 1823, 20. Gedanken“226 angesprochen, die ausschließt, daß das Schöne bzw. die Kunst ins Logische fällt227. Wenn Hegel das Schöne in den Berliner Ästhetikvorlesungen von vornherein als Ideal bestimmt, dann kann dieses gerade nicht, wie dies für die Kategorien der Logik gilt, von den geschichtlichen Realisierungsmöglichkeiten getrennt und so zum Gegenstand der Logik werden.228 Zweitens spricht auch die Weiterbestimmung des Ideals durch den Begriff der „Gestalt“ und durch - neben der Kategorie des „Scheins“ - weitere Kategorien der Logik, nämlich „Dasein“, „Existenz“ und „Lebendigkeit der Idee“, gegen eine einfache Ableitung des Begriffs des „Ideals“ aus dem des „Scheins“. Festzuhalten bleibt: Der schöne Schein bringt die „Realität“ als eine vollzogene Realität zur Erscheinung. Mit Blick auf diese Konzeption des Scheins in der Kunst kann Hegel auch in der Ästhetikvorlesung von 1826 sagen, daß „die Kunst die Idee darstelle durch den Schein“229. Noch in der letzten Ästhetikvorlesung von 1828/29 heißt es entsprechend: „Immer hängt schön und scheinen zusammen, denn die Kunst hat ihr Leben im Scheine“230. Es bleibt die Frage, in welcher konkreten Form der schöne Schein die Realität zur Erscheinung bringt. Hegels Antwort lautet: Das Sinnliche in der Kunst als bereits reflektierte Sinnlichkeit ist „in näherer Form die Gestalt“231. Diese Gestalt „(...) ist für uns als Anschauende, als sinnlich Betrachtende, und in dieser Gestalt muß das objektiv Ideelle für uns sein − nicht also schlechthin für uns sein, sondern in dieser Gestalt uns erscheinen; diese muß für uns zugleich als 226 227 228 229 230 231 K. Berr/A. Gethmann-Siefert: Hegels Ästhetik–Vorlesung im Sommer 1826. Zur Edition der Mitschrift Hermann von Kehlers, in: Kehler 1826, XI-XLIX; XXXVII. „Die Sphäre der Kunst ist somit über die Gebiete der Natur und des endlichen Geistes erhaben, sie fällt auch nicht ins Logische, wo sich der Gedanke als Gedanke für sich entwickelt, sie ist nicht eine der Zwecke und Taten des endlichen Geistes, sondern sie gehört wesentlich ins absolute Gebiet“ (Kehler 1826, 32). Vgl. A. Gethmann-Siefert: Die Funktion der Kunst in der Geschichte, 292 ff. - A. GethmannSiefert erinnert an dieser Stelle daran, daß die Trennung von Ästhetik und Logik „in der zeitgenössischen Diskussion um Hegels Ästhetik (...) noch präsent“ war, und „Hegel selbst muß – auf dies Problem angesprochen – mehrfach (nicht nur in den Vorlesungen) die (...) anscheinenden Widersprüchlichkeiten gerechtfertigt haben“. Gethmann-Siefert verweist auf einen Bericht von G. Nicolin, demzufolge L. Feuerbach „im Namen Daubs an Hegel die Frage gerichtet [hat], warum dieser die Idee des Schönen in der Logik ausgelassen habe. Hegel betont in seiner Antwort, daß das Schöne ‚schon in das Gebiet des konkreten Bewußtseins falle. Die Grenze zum Logischen sei schwer zu bestimmen“ (a.a.O., 292A [Hegel in Berichten seiner Zeitgenossen. Hrsg. von G. Nicolin, Hamburg 1970, Nr. 413: Ludwig Feuerbach an K. Daub, S. 268]). Pfordten 1826, 64. Anonymus 1828/29, Ms. [3 b]. Hotho 1823, 20f. 61 ein Seiendes und Scheinendes sein. Die Mannigfaltigkeit der Gestalt muß für uns als Schein gesetzt sein“232. „Gesetzt“ wird die Gestalt vom Künstler, sie ist insofern ein „vom Geiste Produziertes“233, als sie nur in dieser Tätigkeit geschaffen, keineswegs in Natur oder Welt aufgefunden werden kann. Sie ist Leistung der Subjektivität. Den Zusammenhang zwischen Idee und Gestalt verdeutlicht Hegel nunmehr eigens mit dem Hinweis, die Idee des Schönen müsse sogleich als Ideal aufgefaßt werden, das Ideal wiederum sei „gestaltete Idee“234. In der Ästhetikvorlesung von 1828/29 betont Hegel dann, das Schöne müsse „subjektive Einheit“235 sein, die Idee habe die Wahrheit als Allgemeines zum Inhalt, das Ideal denselben Inhalt „in Form der Subjektivität“236. In Anlehnung an einen Kantischen Sprachgebrauch kann das Ideal vor diesem begrifflichen Hintergrund auch als eine Idee „in concreto“237 bezeichnet werden, die Kant noch von einer Idee „in individuo“238 unterscheidet. Der Unterschied zwischen Kant und Hegel besteht allerdings darin, daß Kant das Ideal als Idee „in individuo“ bestimmt, Hegel hingegen den animalischen Organismus. In der Enzyklopädie bestimmt Hegel diesen als „individuelle Idee“, d.h. als „Gestalt“.239 Wie an anderer Stelle noch ausführlicher gezeigt werden kann240, erreicht das organisch Lebendige, insonderheit der Mensch in seiner Lebendigkeit, zwar die Struktur der Subjektivität.241 Aber für die menschliche Gestalt gilt, daß sie als „natürlich 232 233 234 235 236 237 238 239 240 241 62 Hotho 1823, 54 f. Hotho 1823, 123. „In Rücksicht auf die Idee ist zum Verständnis des Folgenden sogleich zu bemerken, daß die Idee des Schönen sogleich gefaßt werden muß nicht als bloße Idee, sondern als Ideal. Die Idee für sich ist das Wahre als solches in seiner Allgemeinheit; das Ideal ist die Wahrheit zugleich in ihrer Wirklichkeit in der wesentlichen Bestimmung der Subjektivität. Wir können damit zwei Bestimmungen unterscheiden: Die erste Bestimmung ist die Idee überhaupt, die andere ihre Gestaltung. Idee und Gestalt; die gestaltete Idee ist das Ideal.“ (Kehler 1826, 26). Libelt 1828/29, Ms. 22a. Libelt 1828/29, Ms. 21a. KrV, B 596. KrV, B 596. Die Gestalt als individuelle Idee wird bestimmt als diejenige, „die in ihrem Processe sich nur a u f s i c h s e l b s t bezieht und innerhalb ihrer selbst sich mit sich zusammenschließt“ (Enz 1830, § 352). Hegel unterscheidet an dieser Stelle drei verschiedene Weisen der Selbstbeziehung der natürlichen Subjektivität des animalischen Organismus: „Der Organismus ist daher zu betrachten a) als die individuelle Idee, die in ihrem Processe sich nur a u f s i c h s e l b s t bezieht und innerhalb ihrer selbst sich mit sich zusammenschließt – die G e s t a l t ; b) als Idee, die sich zu ihrem A n d e r n , ihrer unorganischen Natur, verhält und sie ideell in sich setzt, − die A s s i m i l a t i o n ; c) die Idee, als sich zum Andern, das selbst lebendiges Individuum ist, und damit im Andern zu sich selbst verhaltend, - G a t t u n g s p r o c e ß .“ Vgl. Kap. 4.2.1. Der Organismus ist der „sich selbst anfachende und unterhaltende Proceß“ (Enz 1830, § 336). existierender Mensch“ der Endlichkeit, Kontingenz und Äußerlichkeit alles natürlich Lebendigen unterliegt. Erst das Ideal als das vom Menschen als Kunstwerk Gestaltete erhebt sich über die „Verwicklungen des Lebendigen“ und dessen „Bedingtheiten“: „Die Erhebung über diese Verwicklungen des Lebendigen, über diese Bedingtheiten wird im Schönen bewirkt. Insofern es subjektive Einheit in sich ist. Das ist das Ideal (falscher Begriff davon, was irgendwo ist, nicht erreicht werden kann). Das Ideal ist aus dem Geiste geboren, vom Menschen hervorgebracht. Es ist der Geist, der aus der Befangenheit es entnimmt. Hier 242 fängt das Schöne als Kunstwerk an“ . Da Hegel spätestens in der Übergangszeit von Heidelberg nach Berlin Religion und Kunst als zwei Formen des „absoluten Geistes“, damit unabhängig voneinander behandelt, ist das Ideal nicht mehr an den anfänglichen Begründungsrahmen der „schönen Religion“ gebunden, kann es als geschichtliche Konkretion der (Vernunft)-Idee in den Ästhetikvorlesungen als die Idee, die sich im Kunstwerk konkretisiert und damit lebendige Wirksamkeit erreicht, weiterbestimmt werden. Das Ideal ist als Form des menschlichen Geistes unabhängig von einer Präsenz im Kunstwerk nicht zu fassen, weswegen es in diesem Sinne mit dem Kunstwerk gleichzusetzen ist. 3.3 Die Das Ideal als Kunstwerk Weiterbestimmung des Ideals als „Dasein“, „Existenz“ oder „Lebendigkeit“ der Idee begründet zum einen die Erhebung über die „Verwicklungen des Lebendigen“, zum anderen die lebendige Wirksamkeit der Idee im Kunstwerk, die zudem Hegels Begriff des Ideals mit dem des Kunstwerks fest verknüpft. Um diese Zusammenhänge aufzuhellen, kann nach weiterführenden Hinweisen auf Hegels Begriff der „Idee“ und den des „Lebens“ auf einige Überlegungen von Lu De Vos243 zurückgegriffen werden. Hegel unterscheidet drei Formen der Idee, die nicht miteinander verwechselt werden dürfen. In den Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte von 1822/23 „offenbart“ sich Hegel zufolge die Idee oder „das 242 243 Libelt 1828/29, Ms. 23a. Lu De Vos: Die Bestimmung des Ideals. Vorbemerkungen zur Logik der Ästhetik. In: Die geschichtliche Bedeutung der Kunst und die Bestimmung der Künste. Hrsg. von A. GethmannSiefert, Lu de Vos und B. Collenberg-Plotnikov, München 2005, 41-51. 63 Wahre“ in verschiedenen Formen244: Die Idee ist erstens die bloß logische Idee, d.h. „die sich selbst denkende“, die „speculative Idee“, die in der Logik expliziert wird. Die zweite Form ist die, in die die Idee „sich selbst versenkt“, nämlich die „physische Natur“, die Gegenstand der Naturphilosophie ist. Die dritte Form ist die „Form des Geistes überhaupt“245, die Gegenstand der Philosophie des Geistes ist. Für eine Bestimmung des Ideals entscheidend ist diese dritte Form der Idee, denn in der Kunst als erste Form des „absoluten Geistes“ tritt die Idee als „gestaltete Idee“246 auf, d.h. als vom und für den Menschen produzierte sinnlich-anschauliche Gestalt. In dieser Gestalt erscheinen Freiheit und Vernunft (im Sinne der Kantischen „Vernunftidee“), das Bewußtsein und die Weltanschauung einer Gemeinschaft - damit ist das Ideal „Dasein“247 der Idee. Diese Gestalt der Idee ahmt aber nicht die Natur in ihrer vermeintlich unvermittelten Äußerlichkeit nach248, sondern es ist eine Form reflektierten Wissens um sich, demnach „Existenz“249 der Idee. In diesem Sinne bezeichnet Lu DeVos das Ideal als „die unmittelbare Existenz des absoluten Geistes“250. Um Hegels Formulierung von der „Lebendigkeit“ der Idee zu verstehen, ist eine weitere begriffliche Differenzierung zu beachten. Hegel bestimmt neben dem natürlich Lebendigen noch andere Formen des Lebendigen. In der Logik unterscheidet er das „logische Leben als reine Idee, von dem Naturleben, das in der Naturphilosophie betrachtet wird, und von dem Leben, insofern es mit dem Geiste in Verbindung steht“, also das „logische Leben“ vom „natürlichen Leben“ und vom „Leben des Geistes als Geistes“.251 In der Enzyklopädie stellt er darüber hinaus die rhetorische Frage, „ob die geistige Form nicht eine höhere Lebendigkeit enthielte (…) als die natürliche“252. Im Hinblick auf die 244 245 246 247 248 249 250 251 252 64 „Die Idee hat Hauptmomente“ (V 12, 26). V 12, 25 f. Kehler 1826, 26. „Der Schein also ist die Weise der Äußerlichkeit der Kunst (…) Das Göttliche muß Sein-für-Eines, Dasein haben“ (Hotho 1823, 2). - „Mit der Subjektivität tritt die Idee ins Dasein heraus“ (Hotho 1823, 74). „Es erledigt sich hierdurch das Princip der N a c h a h m u n g d e r N a t u r in der Kunst, über welche keine Verständigung mit einem eben so abstracten Gegensatze möglich ist, so lange das Natürliche nur in seiner Aeußerlichkeit, nicht als den Geist bedeutende, charakteristische, sinnvolle Naturform genommen wird“ (Enz 1830, § 558). - „Das Sinnliche des Kunstwerks ist nur für den Geist und soll nur für ihn sein” (Hotho 1823, 18). „Das Schöne ist selbst die Idee, und zwar als unmittelbar existierende“ (Hotho 1823, 47). - „Das Schöne ist das Wahre in äußerlicher Existenz“ (Ascheberg 1820/21, 49). Lu De Vos: Die Bestimmung des Ideals, 41. GW 12, 180. Enz 1830, § 248. Bestimmung des Ideals bedeutet diese „höhere Lebendigkeit“: Das Ideal als Gestalt der (Vernunft-)Idee präsentiert kein vom Vollzug (Produktion wie Rezeption) unabhängiges Wissen, sondern es vermittelt anschaulich253 (ästhetisch) als wirksamer Vollzug einer Handlungsgemeinschaft Handlungsorientierung, und zwar (mythologisch) über eine Deutung der eigenen historischen Situation und der Gründe des eigenen Handelns - es ist daher die „Lebendigkeit“254 der Idee. In diesem Sinne spricht auch Lu DeVos vom „Leben der Idee oder der Wahrheit“ als „Spezifizität der Kunst“255. Diese Wirksamkeit im Hinblick auf Hegels frühes Programm einer „Mythologie der Vernunft“ und der damit anvisierten ästhetischen und mythologischen Vermittlung der Vernunftideen im Kunstwerk - mit Kant: Kunst als „Symbol der Sittlichkeit“256, mit Schiller: Kunst als „Freiheit in der Erscheinung“257 - ist nicht nur durch den Inhalt, sondern zugleich durch die Gestalt festgelegt. So wie Hegel für die „Mythologie der Vernunft“ die Einheit von Kunst (Gestalt) und Religion (handlungsstiftender und orientierender, hier: göttlicher Inhalt) forderte, so fordert er in den Berliner Ästhetikvorlesungen die Einheit von Gestalt (Form) und Inhalt. Wirksam kann das Kunstwerk jeweils nur sein, wenn sowohl der Inhalt wie die Form nicht beliebig sind. Das heißt, der Inhalt muß ein solcher sein, der jedes Mitglied der Kultur interessiert und kommunikabel, also ein verständlicher Inhalt258 ist. Die von der menschlichen Phantasie entworfene Form muß dem Inhalt gemäß sein.259 Zusammenfassend gesagt, erscheint ein spezifischer Weltvollzug in einer anschaubaren, der Rezeption zugänglichen und erfahrbaren Gestalt. Der Schein in der Kunst ist für Hegel der „rein sinnliche Schein und in näherer 253 254 255 256 257 258 259 Nochmals zur Erinnerung: Kunst ist das „anschauende Bewußtsein des absoluten Geistes“ (Kehler 1826, 33). „Diese unmittelbare Existenz der Idee ist das Lebendige überhaupt; das Lebendige ist also das Schöne“ (Hotho 1823, 47). Lu De Vos: Die Bestimmung des Ideals, 43. KU, § 59. F. Schiller: Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen, 401. „Der Inhalt muß (…) sein ursprünglich ein solcher, der ein objektives allgemeines Interesse hat. (…) was an sich die Menschen vereinigt, hat dargestellt zu werden, ein Heiliges. Heilig, sagt Goethe, ist, was den Menschen dem Menschen verbindet. Ein solches Heiliges also ist der Inhalt“ (Hotho 1823, 211). „Die Phantasie“ darf nicht „in wilder Willkür herumschweifen, sondern in ihrer wahrhaften Bestimmung“ muß sie „die höchsten Bedürfnisse des Geistes zum Bewußtsein bringen und daher ihre feste Bestimmung haben. Auch ihre Formen dürfen hiermit nicht eine zufällige Mannigfaltigkeit sein, denn in ihrem Inhalt ist ihre Form bestimmt. Der würdige Inhalt bedarf einer angemessenen Form“ (Hotho 1823, 5). 65 Form die Gestalt“260, demnach ein „Scheinen der Gestalt“261, d.h. eine gestaltete und als solche Gestaltung vollziehbare Erscheinung des Geistes.262 Analog zu der Wendung „Vorstellung der Vorstellung“263, die sich auf die Malerei bezieht, aber auch auf die Kunst generell bezogen werden kann, läßt sich in diesem Sinne die Formulierung „Scheinen des Geistes“264, die Hegel mit Blick auf die menschliche Gestalt äußert, ebenfalls generell auf Kunst ausweiten. Diese Auslegung hat nicht nur den Vorteil, an Hegels frühe Bestimmung des Ideals als Vermittlung der Vernunftidee im Sinnlich-Anschaulichen und an die Vermittlungsbedürftigkeit geschichtlicher Wahrheit, die im Ideal erscheint, anknüpfen zu können. Die Formulierung „Scheinen des Geistes“ bringt darüber hinaus die Gebundenheit des Ideals an eine sinnlichanschauliche Gestalt im Kunstwerk zum Ausdruck und eröffnet einen Weg, die Kunst nach Epochen und Kulturen zu differenzieren, was Hegel unter dem Begriff der „Kunstformen“ folgerichtig entfaltet hat. Wenn das Naturschöne durch das Kunstschöne mitfundiert bzw. als davon Abgeleitetes mitbestimmt werden soll, dann müßte sich im übrigen zeigen lassen, ob und wie diese Bestimmung des Ideals sich auch auf die des Naturschönen übertragen läßt. 3.4 Das Naturschöne als geistig vermitteltes Schönes Hegel erklärt seine Ausgangsthese in den Ästhetikvorlesungen, „daß um soviel höher der Geist als die Natur ist, so viel höher das Kunstschöne als das Naturschöne“265, selbst dahingehend, daß das, was durch menschliches Handeln geschaffen oder gestaltet ist, darum „höher“ stehe als die bloße Natur, weil es nicht bloßes empirisches Faktum sowie als Handlungsresultat einem Verständnis eher zugänglich ist. Durch die philosophische Erschließung der Natur gewinnt Hegel einen Begriff der Natur nur über eine Re-Konstruktion des Vollzugs von Natur. So kann auch das Naturschöne nur 260 261 262 263 264 265 66 Hotho 1823, 21. Hotho 1823, 54. 1826 heißt es entsprechend: Jedes Kunstwerk ist „bloß eine Form, worin der Geist sich zur Erscheinung bringt; es ist eine besondere Weise [seiner Erscheinung]“ – es ist also ein „geistige[s] Sich-zur-Erscheinung-Bringen“ (Kehler 1826, 3). Hotho 1823, 211. Kehler 1826, 38; Griesheim 1826, Ms. 63. Kehler 1826, 1. als geistig Hervorgebrachtes bestimmt werden. Das Naturschöne ist kein objektives Faktum, sondern indiziert eine subjektive, allenfalls im Werk reifizierte Auffassungsweise der Natur, die die Natur unter der Perspektive ihrer Schönheit (statt beispielsweise ihrer Gesetzesartigkeit) aufgreift. Was daher bereits für „Natur“ im erkennenden Naturvollzug gilt, gilt erst recht für das Resultat gestaltenden Handelns, die Vermittlung der Natur im Kunstwerk. Natur kommt im Kunstwerk nur als „Ideelles“, d.h. als durch den Menschen Vorgestelltes, Erkanntes und durch gestaltendes Handeln Vermitteltes vor. Die Formen der Auffassung der Natur als „Ideal“ und Kunst-Werk, ihr Vollzug im gestaltenden Handeln (Arbeit und Sprache) erschließen das Naturschöne der Re-Konstruktion. Daher behauptet Hegel auch nicht, das Naturschöne sei als ästhetisches Phänomen nicht rekonstruierbar, sondern nur, es mache es „dem Geiste saurer“266, sich darin wiederzuerkennen. Paradigmatisch zeigt sich dieser an jedes Kunstwerk geknüpfte Anspruch, daß Natürliches in der Kunst bereits ein „durch den Geist bestimmte[s], ein Idealisiertes“267 sei, sie daher als „Ideelles, als ein Gesetztes“268 erscheint, bei der Porträtmalerei. „Idealisierung“ in diesem Zusammenhang heißt ja nicht einfach nur ‚Übersetzung’ der Äußerlichkeit und Materialität des natürlich Gegebenen in die Innerlichkeit und „Geistigkeit“ des Bewußtseins. Idealisieren heißt hier Unwesentliches weglassen und Wesentliches setzen, d.h. hervorheben durch aktive „Konstruktion“ des Wesentlichen. Daher erfordert die Porträtmalerei, das Oberflächliche der Gesichtsbildung mit allen „Zeichen der Äußerlichkeit wie die kleinen Härchen und andere feine Bestimmungen“ wegzulassen, um das „Charakteristische einer Gesichtsbildung“, um den „Ausdruck der geistigen Eigentümlichkeit“, die „Manier des Menschen“, d.h. das Wesentliche an ihm herauszustellen.269 Das 266 267 268 269 Hotho 1823, 3. Anonymus 1828/29, Ms. 13b. Pfordten 1826, 71. Hegel setzt den Begriff der „Idealisierung“ als der Gestaltung des empirisch Vorfindlichen als Ideal von der Nachahmung der Natur ab, und fordert: Der „Porträtmaler (…) muß an dem vorliegenden Gesicht alle Zeichen der Äußerlichkeit wie die kleinen Härchen und andere feine Bestimmungen, Arten der Haut, welche dem Reiche der Zufälligkeit und des bedürftigen Lebens angehören, weglassen. Er muß ferner, damit das Porträt den Ausdruck der geistigen Eigentümlichkeit, der Partikularität des Charakters erhalte, ein solches Gesicht nicht nur einmal gesehen, sondern er muß mehr oder weniger die Manier des Menschen erkannt, ihn sprechen hören und die Empfindungen desselben an ihm bemerkt haben. So erst kann er die Züge herausheben, die das Charakteristische einer Gesichtsbildung ausmachen“ (Kehler 1826, 39). 67 bloße Nachahmen sinnlicher Gegebenheit würde gerade nicht das Unverwechselbare dieser einen besonderen dargestellten Person, das „Charakteristische“, ihr individuell Wesentliches zur Erscheinung bringen. Die Gestaltung eines natürlich-vorfindlichen Sujets beschränkt sich nicht auf die genaue Ausführung und Auffassung der sinnlichen Erscheinung und ihrer Einzelheiten. Gestaltung, hier die Anfertigung eines Portraits, setzt als Erfassung des Wesentlichen ein „Begreifen“ des Gegenstandes voraus. Es ist, wie Hegel definitorisch zusammenfaßt, die sinnlich erfahrbar gemachte „Vorstellung der Vorstellung“270. Natur im Kunstwerk wird idealisiert, indem sie dem Zweck der Veranschaulichung von Geistigem (hier: Charakteristischem) entsprechend gestaltet wird. Natur kann demnach in der Kunst nie bloß widergespiegelt bzw. nachgeahmt werden. Natur, die in der Kunst dargestellt wird, ist immer im Sinn des Resultats (Werk) eines geistigen Welt-Erfassens, also „idealisiert“ dargestellt. Das legt bereits Hegels Naturbegriff nahe. Wenn sich also die Bestimmung des Naturschönen nach dem bislang Gesagten aus der Bestimmung des Kunstschönen (als Werk) mitentwickeln läßt, wird mit „Schönheit“ der Natur keine objektive Eigenschaft zugeschrieben, sondern eine Auffassungsweise der Natur angezeigt. Natur, insofern sie als „schön“ aufgefaßt wird, ist ästhetisch betrachtete Natur. Sie kann als solche sowie ästhetisch als eine bestimmte, eigentümlich strukturierte Gestalt und spezifisch als Landschaft dargestellt werden. Naturbetrachtungen erweisen sich bei genauer Analyse als subjektive Naturvollzüge, nämlich die Auffassung des empirisch Vorliegenden als Gestalt, als „schöne Natur“. Was Natur als Landschaft anbelangt, so ist diese ebenfalls kein objektiv vorgegebenes Phänomen, sondern ein reflektiert betrachtetes (vollzogenes) und entsprechend in der Kunst dargestelltes „Schönes“ der Natur. Für die drei genannten Vollzugsweisen von Natur (Naturbetrachtung, Naturdarstellung, Natur als Landschaft) gilt jeweils, daß sie ein „Reflex des Geistes“ sind, also nicht auf eine „objektive“ Qualität der Natur referieren, sondern eine Weise des Naturvollzugs durch den Menschen und dessen „Produkten“ oder „Werken“ indizieren. Das Naturschöne ist in Hegels Worten „eine Weise, die selbst im Geiste enthalten ist, aber eine in 270 68 Hotho 1823, 211. ihm nur unselbständige Weise (…) Das Naturschöne kann seinen Namen nur erhalten in Beziehung auf das Geistige“271. Wenn man die Bedeutung des Naturschönen durch Hegels Bestimmung des Kunstschönen als „Scheinen des Geistes“272 mitfundieren will, so kann diese Bestimmung - weil das Naturschöne ein Idealisiertes und im Kunstwerk realisiert ist - auf die des Naturschönen übertragen werden. Das bedeutet, daß Naturdarstellung wie ästhetische Naturbetrachtung und (wahrgenommene wie dargestellte) Natur als Landschaft einen spezifischen Naturvollzug anzeigen, der Natur als spezifische „Gestalt“ in der Wahrnehmung und in der Darstellung konstituiert, und daß in dieser Gestalt der Naturvollzug als geistige Leistung des Menschen nachvollziehbar zur „Erscheinung“273 kommt. Exemplarisch läßt sich dies an der „menschlichen Gestalt“ darlegen274, weil der Mensch die einzige geistige Naturgestalt ist: „Die menschliche Gestalt ist die notwendige des Geistes, der im sinnlichen Dasein erscheint“275. Nur in der menschlichen Gestalt kann „sich das Geistige offenbaren“, sie ist gleichsam „der Spiegel des Geistes“276, eine Naturgestalt also, in der der Betrachter sich selbst als natürlich und geistig begegnet, was diese Naturgestalt dann gegenüber den nicht-schönen Repräsentationen des Göttlichen in Naturformen als ein Symbol des Göttlichen und Kant als das „Symbol der Sittlichkeit“ auszeichnet. Im Unterschied zu Kant, der ausschließlich die menschliche schöne Gestalt als Symbol der Sittlichkeit bestimmt, so daß er einzig die in der griechischen Skulptur vermittelte Gestalt des Menschen als „den sichtbare[n] Ausdruck sittlicher Ideen“277 akzeptiert, erweitert Hegel das Spektrum möglicher Naturgestalten, die zum Symbol des Sittlichen, weil als Göttliches zur Orientierung des Menschen bestimmt werden. Diese Naturgestalten erfüllen aber weder die Forderung einer ungebrochenen Harmonie von Gestalt und Inhalt - sie sind nicht schön, sondern erhaben bzw. grotesk - noch können sie 271 272 273 274 275 276 277 Kehler 1826, 2. Kehler 1826, 38; Griesheim 1826, Ms. 63. Vgl. nochmals Kehler 1826, 3. Kehler 1826, 38. Hotho 1823, 157. Hotho 1823, 157. KU, § 17. 69 als einzelne die Symbolisierung des Sittlichen resp. Göttlichen sein. Hegel entwickelt dies in der „Symbolischen Kunstform“.278 Die schon von Kant eingeführte Unterscheidung von „schön“ und „erhaben“ integriert Hegel durch sein Konzept der symbolischen Kunstform in dessen Deutung des Kunstwerks als „Symbol des Sittlichen“ resp. „Göttlichen“. Allerdings gelten hier zwar Naturformen als ein solches Symbol, vermögen aber im Unterschied zur Natur-Gestalt des Menschen kein „schönes Symbol“ zu sein. Abgeleitet von der Bedeutung der schönen Menschen-Gestalt der Götter entwickelt Hegel dann im Kontext der Bestimmung der romantischen Kunstform auch eine Bedeutung der „Schönheit der Natur“ als Symbol des Sittlichen, nun aber unter Bezug auf den Menschen selbst (nicht der Gottesvorstellung) als den „neuen Heiligen“ in der Kunst. Alles, „was sich in der Menschenbrust bewegt“279, kann nun zum Gegenstand der Idealisierung im Kunstwerk werden, so auch die Natur, durch deren Schönheit und Formen der Mensch die Naturgestalten als seine „Brüder“ (Goethe)280 erfährt. Das heißt, in dem von Hegel „poetische Anschauung“ genannten Naturvollzug wird nicht die „Natur“, sondern der Rückbezug der angeschauten Natur auf den die Natur vollziehenden Menschen anschaulich vermittelt. Wenn Hegel in seinen Ästhetikvorlesungen vom Kunstschönen ausgeht, leugnet er also keineswegs die Bedeutung der Naturschönheit, sondern er entwickelt die Bestimmung des Naturschönen im Ausgang von einer Analyse des Kunstschönen. Umgekehrt nämlich läßt sich die Besonderheit des Kunstwerks (als Werk des Menschen) nur ansatzweise aus der Analyse des Naturschönen begreifen. Natur im Kunstwerk vermittelt ist auf der Basis der bisherigen Ausführungen als „Symbol der Sittlichkeit“ im weitesten Sinne zu verstehen, d.h. nicht nur in der klassischen Antike, in der die Kunst auch 278 279 280 70 Die Bedeutung dieser Kunstform, die Hegel bestimmten Epochen und Kulturen zuordnet und zugleich als eine Gestaltungsmöglichkeit der „romantischen Kunstform“ ansieht, wird von J.-I. Kwon umfassend analysiert: Hegels Bestimmung der Kunst. Die Bedeutung der „symbolischen Kunstform“ in Hegels Ästhetik, München 2001. Hotho 1823, 30. „Die Natur ist ein Ganzes für die lebendige, und wenn man es so nennen will, poëtische Anschauung vor ihr geht das mannichfaltige der Natur, als eine Reihe Lebendiger vorüber, und erkennt im Busche, in der Lufft und im Wasser die Brüder“ (GW 5, 372). - Hegel verwendet an dieser Stelle ein Zitat aus der Szene Wald und Höhle in Goethes Faust: „Du führst die Reihe der Lebendigen / Vor mir vorbey, und lehrst mich meine Brüder / Im stillen Busch, in Luft und Wasser kennen“ (Goethe: Werke. Herausgegeben im Auftrage der Großherzogin Sophie von Sachsen. Abt. I. Bd. 14. Weimar 1887, 163). hinsichtlich der harmonischen Symbolisierung des Göttlichen in einer NaturGestalt ihre „höchste Möglichkeit“ erreichte. Kunst als „Scheinen des Geistes“ symbolisiert für Hegel grundsätzlich zwei Möglichkeiten, Natur im Kunstwerk im Hinblick auf diese Funktion darzustellen: erstens Natur als Symbol des Göttlichen, zweitens Natur als Symbol des Menschlichen.281 Durch diese Bestimmung der Kunst begründet Hegel seine Ablehnung der Bestimmung der Kunst als Nachahmung der Natur. Naturdarstellung ist Symbol des Sittlichen, Göttlichen, Geistigen, nicht hingegen Abschilderung282 der Wirklichkeit. Das - so Hegel - hat zur Folge, daß eine vorgegebene Natur nicht Maßstab der Kunst und ihrer Gestaltungen sein kann, so daß die traditionelle ästhetische Konzeption der „Nachahmung der Natur“ für die Bestimmung der Kunst kaum eine Rolle spielt, weil es in der Kunst nicht um Nachahmung eines natürlich Vorgegebenen, sondern um die Gestaltung eines bewußt Gesetzten geht. Eine bloße „Nachahmung“ der Natur erreichte nicht Wahrheit283, sondern bloße Richtigkeit der Gestaltung, die lediglich auf bloße „Geschicklichkeit“ hinausläuft, „das hervorzubringen, was die Natur hervorbringt“, wohingegen der Inhalt doch „ein Geistiges sein“ soll.284 Letztlich bliebe der Mensch dann beim Natürlichen stehen, wobei „auch die beste Kunst hinter dem Natürlichen zurückbleiben [müsse] und bei aller Geschicklichkeit dazu eine größere Ungeschicklichkeit des Menschen sich zeige bei solchen Darstellungen“.285 Statt Kunstwerke zu produzieren, machte der Mensch lediglich „Kunststücke“.286 In der Kunst kann ausschließlich im Hinblick auf die genannte Funktion der Kunst von „Nachahmung“ des 281 282 283 284 285 286 Vgl. die Kapitel 4.4.2 und 5.2. Das deutsche Wort „Abschildern“ stammt vom holländischen „schilderij“ ab, was soviel besagt wie „Abbild, Wiedergabe von etwas Vorhandenem, Schilderung“ (Kurt Bauch: Anfänge der neuzeitlichen Kunst [Veröffentlichung der Joachim Jungius-Gesellschaft der Wissenschaften], Hamburg 1957, 118-139; 127). „Im Gegensatz gegen abstrakte Wahrheiten schreiben wir der Kunst sittliche Wahrheiten zu, das Substantielle in der Form allgemeiner Wahrheiten ist hier selbst in einer Weise der Erscheinung. Die Allgemeinheit des Gedankens, dies Element ist der [philosophische] Gedanke; das Substantielle ist auch der Inhalt der Kunst“ (Pfordten 1826, 65). „Endzweck“ des Kunstwerks ist es, „die Wahrheit zu enthüllen“ (Hotho 1823, 30). Hotho 1823, 25. Kehler 1826, 10. „Zu welchem Behuf ahmt der Mensch die Natur nach? [Zunächst], als daß er sich ein Kunststück macht, auch seine Geschicklichkeit beweist und sich freut, etwas Ähnliches oder ähnlich Scheinendes wie die Natur hervorzubringen. Das sind äußere Zwecke; man sagt: es geschehe, um ein Abbild zu haben in der Form und dergleichen. Man kann dann stets sogleich sagen, daß das eine sehr beschränkte Freude ist, die Natur nachzuahmen, [diese Freude ist] hingegen weit größer, wenn der Mensch eigentümlich [hervorbringend] ist, sei es auch noch so schlecht, wenn er ein technisches Werkzeug macht, z. B. Nagel, Stift; auf solche Erfindungen kann er weit stolzer sein“ (Pfordten 1826, 54f). 71 Natürlichen gesprochen werden, dann nämlich, wenn „um des Geistigen willen“ die Natur nachgeahmt wird: „Es ist um des Geistigen willen die Absicht [der Kunst], daß die Natur nachgeahmt wird“287. Hegel setzt sich durch die gewissermaßen transzendentalphilosophische Rekonstruktion des ästhetischen Naturvollzuges eindeutig von einem ästhetischen Platonismus, aber auch von einem metaphysischen Verständnis ab, wie es beispielsweise in der Annahme vorliegt, das Naturschöne sei die „Handschrift Gottes“288, also ein „Abglanz“ göttlicher Schönheit, der durch göttliches Handeln der Natur implementiert sei. Kunst kann in einer solchen Konzeption nur als Nachahmung der Natur und ihre Schönheit nur als „Gottesdienst“289 gedeutet werden. Ein solcher Ansatz führt zwangsläufig zur Auszeichnung des „Naturschönen“ als Grundbegriff und „Bereich“ der Ästhetik, Kunst wird konsequent definiert als Nachahmung der Natur. Aber auch dann, wenn die Nachahmungstheorie durch solche metaphysischen oder schöpfungstheologischen Argumente gestützt wird etwa: Gott sei in der Natur eher aufzufinden als in menschlichen Werken, weil die Natur Gottes Schöpfung, das Werk lediglich menschliche Schöpfung sei kann daraus sinnvoller Weise (d.h. philosophisch begründet) kein Vorrang des Natur- vor dem Kunstschönen und die Nachahmungstheorie abgeleitet werden. Hegel zeigt, daß sich auch in einer Reflexion auf den menschlichen Gottesbezug keineswegs der Vorrang der Natur oder des Schönen der Natur vor den Werken des Menschen begründen läßt, denn die Frage, wie Gott dem Menschen vermittelt werden kann, verweist wiederum auf sein Vermögen von Vernunft und Freiheit - mit Kant: auf die Fähigkeit zur Moralität als Grundlage des Vermögens der Religion. 3.5 „Natur“ oder „Geist“ als Maßstab der Kunst? Hegel verzichtet damit ausdrücklich auf die gängige Rechtfertigung der Nachahmungstheorie und skizziert in den einleitenden Überlegungen seiner Berliner Ästhetikvorlesungen kurz die Schwierigkeiten, in die ein Ansatz 287 288 289 72 Kehler 1826, 11. Jens Kulenkampff: Metaphysik und Ästhetik: Kant zum Beispiel, in: Falsche Gegensätze. Zeitgenössische Positionen zur philosophischen Ästhetik, hg. von Andrea Kern und Ruth Sonderegger, Frankfurt/M. 2002, 49-80; 78. Ernesto Grassi: Die Theorie des Schönen in der Antike, Köln 1980, 98. beim Naturschönen führt. Letztlich erscheint es ihm philosophisch plausibler, gleich auf das durch menschliches Handeln gestaltete (Kunst-)Schöne zurückzugreifen, anstatt die Natur selbst als Handlungszusammenhang (Werk gestaltenden Schöpfungs-Handelns) zu rekonstruieren. So wird weder in der traditionellen Nachahmungstheorie noch in der Auszeichnung der Naturschönheit als der ursprünglichen Schönheit berücksichtigt, daß der „Geist (…) ein schlechthin notwendiges Moment des Kunstwerks selbst“ ist. Ohne die Voraussetzung des rezeptiven wie produktiven Vollzugs der Natur also des Geistigen in der Kunst - erreichte Naturnachahmung lediglich reale Gegenstände, das Natürliche „wie es ist, uns unmittelbar“ gegeben ist.290 Hegel setzt sich mit der Gegenthese und ihren Argumenten ausführlich auseinander. Ein häufig angegebener Grund für den Vorrang des Natur- vor dem Kunstschönen und der Favorisierung einer Nachahmungstheorie liegt darin, daß der Mensch offensichtlich dazu neigt, „das Naturwerk Gott [zu]zuschreiben, das Kunstwerk nur dem Menschen“291, die gesamte Natur mit ihren Erscheinungen höher zu bewerten als die Werke menschlichen Handelns und Gestaltens. Diese Auffassung ist fundiert durch eine platonistische oder theologische Deutung der Natur als erste Weise der Erscheinung der Idee (gegenüber dem Kunstwerk als „Schatten von Schatten“292) oder als Offenbarung göttlichen Handelns in der Natur („liber naturae“293). Jedes menschliche, einem Handeln entsprungene Werk ist dieser Auffassung zufolge der Natur und ihren Produkten (den Werken Gottes) unterlegen. Selbst wenn man sich auf eine solche theologische Fundierung einließe, bleibt es für Hegel unplausibel, Gott nur auf der Seite der Natur und nicht auch auf der Seite des Menschlichen sehen und zudem aus einzelnen Naturerscheinungen das Dasein Gottes erkennen zu wollen. Umgekehrt müßte 290 291 292 293 Pfordten 1826, 56. Hotho 1823, 11. Vgl. Politeia St. 509f (Liniengleichnis) sowie St. 597f (Wesensbildner, Werkbildner und Nachbildner). Gemeint ist die mittelalterliche Vorstellung, die Natur als Schöpfung Gottes gleichsam wie ein Buch zu verstehen, aus dem man die Offenbarungszeichen Gottes herauslesen könne. Im Mittelalter entstand eine figurativ-symbolische Naturphilosophie, die alles Seiende im Hinblick auf seinen Verweisungscharakter auf Gott zu deuten sich bemühte. So schrieb Hugo von St. Viktor: „Diese ganze (...) wahrnehmbare Welt ist wie ein Buch, das von der Hand Gottes geschrieben wurde (...), und die einzelnen Geschöpfe sind den Figuren zu vergleichen. Sie sind jedoch nicht nach menschlichem Ermessen, sondern nach göttlichem Willen eingefügt, um die unsichtbare Weisheit Gottes kundzutun“ (zit. nach der Übersetzung in: Rosario Assunto: Die Theorie des Schönen im Mittelalter, Köln 1963, 158). 73 auch eine theologische bzw. philosophisch entwickelte Gotteslehre von einer Analyse des menschlichen Geistes ausgehen, da dieser das dem Göttlichen einzig angemessene Medium sein kann. Das traditionelle Verhältnis von Natur und menschlichem Geist ist dann aber in einer solchen Begründung umzukehren, zumal dem Menschen seine geistigen Fähigkeiten und Erzeugnisse weitaus zugänglicher und transparenter sind als alles Natürliche. Diese Umgewichtung innerhalb des Natur-Geist-Verhältnisses hat dann zur Folge, daß Hegel die Produkte (Werke) des menschlichen Geistes und damit auch Kunstwerke als „höher“ einschätzt als die Produkte der Natur. Sie sind als solche nicht in vermeintlicher Unmittelbarkeit „objektiv“ aufgegriffen, sondern verweisen aus sich heraus auf ihren Ursprung im menschlichen WeltVollzug.294 Ein weiteres Argument für den Vorrang der Natur vor der Kunst bzw. des Natur- vor dem Kunstschönen scheint nur auf den ersten Blick zwingend. Es wird betont, daß ein Kunstwerk ein Unbelebtes, nur Oberflächliches, das Naturwerk dagegen „ein in sich selbst Lebendiges“ sei und - da das „Lebendige höher als das Tote“295 -, die Natur auch der Kunst überlegen sei. Gegen dieses Argument bringt Hegel zwei Einwände vor. Zum einen hat das lebendige Naturwerk den Nachteil, als Lebendiges zugleich ein „Vergehendes“ zu sein, das Kunstwerk dagegen sei etwas „Dauerndes“, das dem Vergänglichen der Natur eine nicht-natürliche Form der Existenz verleiht. Das heißt, die Künste als Werk des Menschen spiegeln die Natur nicht bloß nachahmend wider, sondern bereits die Darstellung fügt der Natur etwas hinzu, das sie selbst - als lebendige (also gerade durch ihre auszeichnende Besonderheit) - nicht hat. Naturprodukte, Dinge, „Begebenheiten sind [kaum, daß sie sich ereignet haben,] auch schon vorbei, das Kunstwerk gibt ihnen Dauer“296. Ein „Kunstprodukt“ dagegen verleiht den flüchtigen und der Vergänglichkeit ausgesetzten lebendigen Gestalten 294 295 296 74 Hegel greift mit diesen Überlegungen Schellings Bestimmung des Kunstwerks als „Organon der Philosophie“, als jenen zugleich subjektiven wie objektiv manifesten Vollzug des Gegebenen auf. Auch wenn er die Vermittlungsleistung der Kunst nicht wie Schelling als intellektuelle „Anschauung des Absoluten“ auszeichnet und in der sinnlichen Vermittlung eine Einschränkung nicht des Inhalts, sondern der Einsichtigkeit und Verallgemeinerbarkeit der Vermittlung sieht, bleibt die transzendentalphilosophische Grundbestimmung erhalten. Zum Verhältnis der Schellingschen Bestimmung der Kunst insbesondere zu Hegels Entwicklung eines eigenen Konzeptes des Kunstwerks und der Ästhetikbegründung vgl. A. Gethmann-Siefert: Einführung in Hegels Ästhetik, Kap. 2.2. Hotho 1823, 11. Hotho 1823, 11. eine ihnen ‚von Natur aus’ nicht gegebene Dauer, da es diese nicht in ihrer „konkreten Materiatur“ abschildert, sondern in ihrem „Wesen“ erscheinen läßt. Daher folgert Hegel, daß diese in Kunst gestaltete „Natur“, die durch die Gestaltung transformierte Materialität und die dadurch den Naturdingen verliehene „Dauer“ sogar auf ein „höheres Interesse des Geistes“ zurückzuführen sei und diesem entspreche.297 Aus diesen Gründen wendet Hegel sich auch gegen den Versuch, das Spezifikum des Kunstwerks auf dessen „Dingsein“ zu reduzieren. Denn „nach dieser Seite des Dingseins ist es kein Kunstwerk, sondern [Kunstwerk] ist es nur als Geistiges“. Das Kunstwerk „stellt ein Geistiges dar“, es ist „aus dem Geist und für den Geist“298. Hegel weist daher z.B. in der Ästhetikvorlesung von 1823 darauf hin, daß die Kunst nicht den Zweck haben könne, Natur nachzuahmen, sondern vielmehr den, in jeder Darstellung eines Gegenstandes zu ermöglichen, daß der Mensch „aus der Gestalt der Dinge sich selbst wieder[erkennt]“299. „Endzweck“ des Kunstwerks sei es, „die Wahrheit zu enthüllen, vorzustellen, was sich in der Menschenbrust bewegt, und zwar auf bildliche, konkrete Weise“300. Diese „Wahrheit“ des Natürlich-Erscheinenden ist nicht am bloßen Dasein ablesbar, sondern ist bzw. resultiert aus dem Auslegen oder Begreifen des Natürlichen. Dessen Grundlage, das Vermögen des Menschen, bestimmt Hegel zusammenfassend als Geist. In genau dieser Funktion sieht Hegel das Geistige: „Denn das Geistige ist das Wahre“, und dies darzustellen, „ist der wahrhafte Zweck, der Endzweck (...) der Kunst“301. Prinzip und „Endzweck“ des Kunstwerks kann daher nicht die bloße Nachahmung sein, sondern eine Auffassung der Natur und deren Repräsentation im Kunstwerk. Natur als Gegenstand der Kunst ist nie rein Gegebenes, sondern als solche „Konstrukt“, genauer gesagt vom Menschen Vollzogenes und dadurch Konstituiertes. Die Besonderheit der „Konstruktion“ von Kunstgestaltung liegt in der produktiven Zutat: Die Vorstellung der Natur durch (den) Menschen wird dargestellt, und die Lebendigkeit der Natur wird der Vergänglichkeit enthoben. Natur in 297 298 299 300 301 Dies ließ sich bereits am Beispiel der Porträtmalerei im Zusammenhang der „Idealisierung der Natur“ zeigen. Hotho 1823, 11. Hotho 1823, 13. Hotho 1823, 30. Kehler 1826, 24. 75 Kunst dargestellt ist damit qua Produktion die Aufbereitung der Natur für eine bestimmte, durch künstlerische Handlungsintention festgelegte Rezeption. Von dieser Position aus kann Hegel die theologische Begründung der traditionellen Auffassung, jedes menschliche Werk sei der Natur und ihren Produkten als Werk(e) Gottes unterlegen, kritisieren und zeigen, daß sich die These vom Vorrang des Naturschönen nicht halten läßt; sie ist zumindest keine notwendige Konsequenz. In einer philosophischen Reflexion auf den menschlichen Gottesvollzug stellt Hegel dieser traditionellen Auffassung die Behauptung entgegen, daß Gott „mehr Ehre von dem [hat], was der Geist macht, als vom Naturprodukt“. Denn es sei ein „Mißverstand“, „daß Gott im Menschen nicht wirke wie in der Natur“302. Wenn aber der Mensch durch seine Fähigkeiten sozusagen zum höchsten Naturgegenstand (der Schöpfung) wird, dann ist es sinnvoll, auch im Menschen die genuine Möglichkeit der Erkenntnis und Verehrung Gottes zu vermuten. In der Natur geht Gott „durch das Medium der Äußerlichkeit“, beim Menschen durch das Medium des Bewußtseins. Das Bewußtsein als etwas Geistiges ist aber für Hegel ein dem Göttlichen adäquateres Medium als die Äußerlichkeit der Natur. Demnach wirke Gott im Menschen „auf eine wahrhaftere Weise als im Boden der bloßen Natürlichkeit“303. So läßt sich auch in einer Reflexion auf den menschlichen Gottesbezug keineswegs der Vorrang der Natur oder des Schönen der Natur vorurteilsfrei begründen. Die Frage, wie Gott dem Menschen vermittelt werden kann, weist wiederum auf einen geistigen Vollzug der Welt/Natur, also auf das Vermögen des Menschen zur Reflexion und Erkenntnis der höchsten Wahrheiten hin. Daher ist es auch wenig sinnvoll, die Natur selbst zu vergöttlichen. In der ausführlichen Diskussion dieser Frage in den Ästhetikvorlesungen, näherhin in der Bestimmung der „Symbolischen Kunstform“, analysiert Hegel die 302 303 76 Hotho 1823, 12. Zu Beginn seiner Vorlesung aus dem Sommersemester 1823 führt Hegel diesen Gedanken ausführlich (und abschließend) aus: „Im Geist hat das Göttliche die Form, ein Bewußtes und vom Bewußtsein hervorgebracht worden zu sein. Nach dieser Seite geht das Göttliche durch das Medium des Bewußtseins durch. In der Natur ist das Göttliche auch durch ein Medium gegangen, durch das Medium der Äußerlichkeit, welches Medium als das Sinnliche schon dem Bewußtsein bei weitem nachsteht. Das Göttliche also im Kunstwerk ist durch ein viel höheres Medium hervorgebracht. Das äußerliche Dasein in der Natur ist viel weniger eine dem Göttlichen angemessene Weise der Darstellung. Diesen Mißverstand also, daß das Kunstwerk nur Menschenwerk sei, muß man durch richtigere Bestimmung entfernen. Gott im Menschen wirkt auf eine wahrhaftere Weise als im Boden der bloßen Natürlichkeit.“ (Hotho 1823, 12). Schwierigkeiten, Göttliches in Naturgestalten darzustellen, zum „Symbol“ des Göttlichen und Unendlichen eine natürliche Gegebenheit zu wählen.304 In der Enzyklopädie - und zwar durchgängig in allen Fassungen - fordert Hegel, die Natur sei „nicht zu vergöttern“. Zumindest für die Philosophie ist es sinnlos, Naturprodukte wie etwa „Sonne, Mond, Thiere, Pflanzen u.s.f. vorzugsweise vor menschlichen Thaten und Begebenheiten, als Werke Gottes zu betrachten und anzuführen“305. Der Behauptung, „daß ein Strohhalm hinreiche, um das Seyn Gottes zu erkennen“306, hält Hegel daher - auf der Grundlage seiner Überlegungen zur Natur- wie Geistphilosophie - entgegen, jeder geistige Vollzug und jedes Erkennen oder Handeln des Menschen seien „ein vortrefflicherer Erkenntnißgrund für Gottes Seyn, als irgend ein einzelner Naturgegenstand“307. In einer Vorlesung zur Religionsphilosophie von 1831, die D.F. Strauß in Auszügen mitgeschrieben hat308, erläutert Hegel, warum der Versuch, Gott in bzw. aus der Natur zu erkennen, „immer etwas Unangemessenes“ haben muß. Wenn Natur, wie Hegel behauptet, nur „das Negative“, wenn sie „der Unvernunft der Aeusserlichkeit hingegeben, und die individuelle Lebendigkeit (…) in jedem Momente ihrer Existenz mit einer ihr andern Einzelnheit befangen“309 ist, dann überträgt der Mensch zwangsläufig „die Beschränktheit der Erscheinung, von welcher man ausgeht, auch auf Gott“. Gott mag zwar „greulich“ donnern, aber er wird dessen ungeachtet „doch nicht erkannt“. Weil Gott selbst Geist ist, muß er sich dementsprechend „auf geistige, nicht bloß auf natürliche Weise offenbaren“310. Daher ist es „ungeschickt, Gott nur auf der Seite der Natur <sehen> zu wollen und nicht auf der Seite des Menschlichen. Gott ist wesentlich Geist, muß, wenn er gewußt wird, als geistig gewußt werden, seine Taten sind wesentlich geistige 304 305 306 307 308 309 310 Vgl. zur Interpretation der Bedeutung der symbolischen Kunstform im Rückgriff auf die genuin Hegelsche Bestimmung in den Vorlesungen die Arbeit von J.-Im Kwon: Hegels Bestimmung der Kunst, München 2001. Enz 1817, § 194; Enz 1827, § 248; Enz 1830, § 248. Enz 1817, § 194. Enz 1830, § 248. G.W.F. Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Religion. Teil 3. Die vollendete Religion. Herausgegeben von Walter Jaeschke. Vorlesungen, Band 5, Hamburg 1984 (fortan zit.: V 5), 279289. Enz 1817, § 194. V 5, 283. 77 Taten.“311 Hegel setzt daher das „wahre Verhältnis“ zwischen Natur und Geist als das umgekehrte an: „Wenn der Mensch selbst denkt, in seinen Geist zurückgeht, so weiß er, daß seine Freiheit ein weit Höheres ist als alle Gebilde und Produkte der Natur, er weiß durch seine Freiheit, daß er erhabener ist. Der Mensch weiß seine Freiheit, seinen Geist mit Recht als ein Göttliches in viel höherem Sinne als alles Natürliche. Wenn der Mensch geistig ist, und der Geist frei, so ist in allem, auch was als das Schlechteste erscheint, der Geist, die Freiheit. In allem Menschlichen ist der unendliche Stempel des Geistes, die Freiheit, enthalten.“312 Auf diese Überlegungen spielt Hegel zu Beginn seiner Ästhetikvorlesungen an, wenn er provokativ Produkte und Gebilde des Menschen gegenüber natürlichen Produkten und Naturgegenständen auszeichnet und behauptet, selbst der „schlechteste Einfall, der durch den Kopf eines Menschen geht“, sei höher zu achten „als irgendein Naturgegenstand, denn dieser Einfall ist etwas Geistiges“313. Selbst „Hammer, Zange, ein Stift (...) ist mehr werth, darauf hat er [der Mensch] viel mehr Ursache stolz zu seyn“314. Der „Geist“ ist demnach das Wahrhafte gegenüber Natur in genau dem Sinne, daß allererst der Natur-Vollzug Natur erschließt. Ohne Geist mag Natur zwar sein315, aber Bedeutung erlangt sie nur durch den menschlichen NaturVollzug. Dem Kunstwerk kommt daher der Vorrang vor dem Naturprodukt zu. Das Kunstwerk wird von ihm daher konsequent als Vermittlungsleistung des Geistes, nicht hingegen als Nachahmung der Natur bestimmt. Die weiteren Ausführungen werden zeigen, daß Natur entweder in ästhetischen Naturvollzügen erschlossen oder in der Kunst so dargestellt werden kann, daß sie jeweils symbolhaft auf Geistiges verweist. Das „Naturschöne“ ist Naturvollzüge, in letztlich denen das analog Resultat zur vielfältiger Hegelschen ästhetischer Schönheits- und Kunstkonzeption dem Menschen sein Verhältnis zur Natur sinnlichanschaulich vermittelt wird. 311 312 313 314 315 78 V 13, 4. V 13, 4. - Dies läßt sich auch als ein „Prozeß der Idealisierung von Äußerlichkeit“(Griesheim 1823/24, 30) beschreiben. In der Natur findet sich in diesem Sinne keine Freiheit, diese ist erst „im Geiste zuhause“ (Griesheim 1823/24, 18). Erst hier, so Hegel, sei „das Reich des Göttlichen und der Verwirklichung des Systems der Freiheit“ (Griesheim 1823/24, 19). Aachen 1826, Ms. 1. Aachen 1826, Ms. 9. „Wenn kein Geist wäre, so wäre sie doch, was sie ist; sie ist für sich“ (Gies, 9). 4 Schöne Natur Natur kann als schöne wahrgenommen oder dargestellt werden - das ergibt die vorläufige Analyse der Bedingungen der Möglichkeit des Naturvollzuges. Vor der genauen Analyse der im Kunstwerk dargestellten Natur wird im Folgenden die ästhetische Anschauung der Natur näher untersucht, um zu zeigen, unter welchen Voraussetzungen ästhetische Anschauungen Natur als schöne auffassen können. Insbesondere in der Ästhetikvorlesung von 1823 führt Hegel eine entsprechende Vollzugsanalyse des Naturschönen durch. Als Quellen-Grundlage der folgenden Rekonstruktion dient daher die von Heinrich Gustav Hotho mitgeschriebene Ästhetikvorlesung von 1823, die an Umfang und Detailliertheit alle anderen verfügbaren Mitschriften deutlich übersteigt.316 Hothos Nachschrift eignet sich auch deswegen als Leitfaden, weil Hegel sich gerade in dieser Vorlesung an Ergebnissen seiner Naturphilosophie orientiert, die er in seinen Ästhetikvorlesungen überhaupt als bekannt voraussetzt, gelegentlich en passant auf sie aufmerksam macht317. Ähnlich überliefert Aschebergs Nachschrift im Wintersemester 1820/21 mehr Äußerungen Hegels über das Naturschöne als die überlieferten Mitschriften des Sommersemesters 1826 und des Wintersemesters 1828/29, wobei die letztgenannte Vorlesung den geringsten Umfang dieser Diskussion aufweist. Obwohl die Rekonstruktion der beiden entscheidenden Abschnitte des ersten Kapitels des „Allgemeinen Teils“ der Vorlesung von 1823 gelegentlich Hinweise auf und Querverbindungen zu den sachlich entsprechenden Textstellen der anderen Vorlesungsjahrgänge enthält, kann sie auch als fortlaufender Kommentar dieser für die Diskussion um das „Naturschöne“ entscheidenden Passagen verstanden und gelesen werden. Als methodischer Leitfaden dienen drei miteinander zusammenhängende Probleme. Die erste Aufgabe besteht darin, trotz der These Hegels, die Natur bzw. das Naturschöne mache „es dem Geiste saurer“, sich als den zugrundeliegenden Vollzug, also als die Bedingung der Möglichkeit der Betrachtung „schöner Natur“ zu erkennen, die Kritik an der Ästhetik zu 316 317 Hotho 1823, 47-82. So z.B. in der Vorlesung von 1820/21 (Ascheberg 1820/21, 41f) oder in der von 1826 (Kehler 1826, 35). 79 entkräften, die sich gerade an dieser Überlegung orientiert. Denn der zugrundeliegende Vollzug, der zur Vermittlung der Natur als schöne führt, bleibt intransparent, die Konstitutionsleistung des „subjektiven Geistes“ bleibt unmittelbar unerkannt, ein „Geheimes für die Anschauung“318. Was erforderlich ist und was Hegel im einzelnen durchführt, ist eine entsprechende Re-Konstruktion der Konstitution des Naturschönen aus dem menschlichen Vollzug. Das bedeutet, der Konstruktcharakter des Naturschönen ist nicht unmittelbar, sondern erst in der Re-Konstruktion nachträglich einsehbar. Damit unterscheidet sich das Naturschöne vom Kunstschönen, das von vornherein als vom Menschen Gestaltetes und eigens für einen Nachvollzug Hergestelltes erscheint. Es stellt sich zweitens die Frage, ob sich die Besonderheit des Kunstwerks (als Werk des Menschen) aus der Analyse des Naturschönen begreifen läßt oder ob ein solches Unternehmen nicht auf unüberwindliche Schwierigkeiten stoßen muß. Auf diese Schwierigkeiten weist beispielsweise B. Hilmer in ihrer Behauptung hin, Hegel erörtere das Naturschöne nur deshalb, „um daran die quasiorganische Struktur des Kunstwerks diskutieren zu können“319. Denn „das organische Leben“ soll „das Paradigma zur Erläuterung des Kunstschönen abgeben“320. Es zeigt sich allerdings - so Hilmer -, „daß Hegel versucht, mit dem ‚Naturschönen’ (...) Kriterien des Organischen zu erarbeiten, die für die Erläuterung von ‚Schönheit’ im Sinne der Einheit des Kunstwerks tauglich 321 vorankommt“ wären, aber bei diesem Unternehmen nicht . Geht man von der umgekehrten These aus, daß Hegel zeigen will, daß sich die Besonderheit des Kunstwerks gerade nicht aus der Analyse des Naturschönen begreifen läßt, wohingegen das Spezifische des Naturschönen tatsächlich aus einer Analyse des Kunstvollzugs abgeleitet rekonstruiert werden kann, so läßt sich diese Schwierigkeit vermeiden, wie sich an der spezifischen Vermittlung der Natur im Kunstwerk zeigen wird. Eine dritte, mit einem ästhetischen Naturvollzug verbundene grundsätzliche Schwierigkeit gründet in der Art der Beziehung zwischen dem Naturbetrachter und den betrachteten Naturphänomenen. Diese Beziehung, 318 319 320 321 80 Hotho 1823, 56. Brigitte Hilmer: Scheinen des Begriffs. Hegels Logik der Kunst, Hamburg 1997, 79. Brigitte Hilmer: Scheinen des Begriffs, 80. Brigitte Hilmer: Scheinen des Begriffs, 18. die zur Betrachtung „schöner“ Naturphänomene führt, wird als unvermittelte Gegenüberstellung eines „Subjekts“ und eines „Objekts“ der Wahrnehmung erfahren. Die Wahrnehmung der Natur als schöne führt infolgedessen entweder zu einem Subjektivismus oder zu einem Objektivismus der Wahrnehmung. Zwar steht der Naturbetrachter in einer Kultur, in der sich spezifische Wahrnehmungsgewohnheiten und Deutungsmuster der natürlichen wie kulturellen Umwelt entwickelt haben. Aber statt Einsicht in die individuelle Bedingtheit des ästhetischen Naturvollzugs durch diese kulturellen Vorgaben zu gewinnen, bleibt die Vermitteltheit der individuellen Wahrnehmungsgewohnheiten undurchschaut. Dies hat zur Folge, daß die wahrgenommenen Naturphänomene gleichsam wie etwas „objektiv“ Vorgegebenes aufgefaßt werden und ihre Vermitteltheit vergessen wird. Da dieser Vorgang dem Naturbetrachter verborgen bleibt, ergeben sich zwei gegenläufige Konsequenzen. Die eine Konsequenz besteht in einem stimmungs- und empfindungsinduzierten Zugang zur Natur. Dieser Aspekt spielt bei der ästhetischen Betrachtung der Landschaft eine entscheidende Rolle. Die andere besteht darin, daß die ästhetisch angeeignete Natur zur Unterstellung einer falsch verstandenen Objektivität führt, was Hegel mit dem Begriff des „objektiven Idealismus“ zu fassen versucht. Gemeint ist damit die Idealisierung der Natur als eine Auffassungsweise, die aber irrigerweise zu einem „Objektivismus“ der Gegenstände dieser Auffassungsweise führt. Statt zu einer Betrachtung der Phänomene „schöner Natur“ führt der unbewußte Idealismus des Naturvollzuges zu einer Betrachtung „schöner Gegenstände“ der Natur.322 4.1 Das Konzept einer „gebildeten Anschauung“ Das Verständnis der Besonderheit der Betrachtungsweisen der Natur wird durch das Konzept einer „gebildeten Anschauung“ vermittelbar. Dieser Ausdruck stammt nicht von Hegel selbst, sondern wird verwendet in Anlehnung an das Konzept einer „gebildete[n] Empfindung“, das Hegel im § 447 der Enzyklopädie definiert. Diese „gebildete Empfindung“ wird im 322 „Nach dieser Seite werden wir nicht sagen, daß wir uns zum Gegenstande als einem Schönen verhalten, sondern wir werden sagen, die Betrachtung sei schön“ (Hotho 1823, 58f). 81 übrigen bei der Analyse des ästhetischen Naturvollzuges von Landschaft eine Rolle spielen. Die Formulierung „gebildete Anschauung“ hat zudem den Vorteil, nicht nur Anschluß zu finden an dieses Konzept der „gebildete[n] Empfindung“, sondern auch an die Konzepte eines „gebildeten Gefühls“ und eines „gebildeten Geistes“.323 Der entscheidende Vorteil des Konzepts einer „gebildeten Anschauung“ besteht darin, mit dem darin enthaltenen Begriff der Anschauung einen umfassenden Begriff heranzuziehen, der sich in anderen Äußerungen Hegels wiederfindet und engere Begriffe in sich faßt. Beispielsweise verwendet Ch. Halbig im Hinblick auf das Problem der holistischen Struktur des Geistes bei Hegel die auch umgangssprachlich und außerphilosophisch gebräuchliche Formulierung „gebildeter Blick“324, die aber auf den Aspekt eines gezielten Blickens fokussiert bleibt, der im Begriff der Anschauung zu integrieren wäre. Um dieses Konzept der „gebildeten Anschauung“ zu plausibilisieren, sei an Hegels Hinweis auf die Eigentümlichkeit des menschlichen „Geistes“ erinnert, nicht eine mechanisch Ansammlung325 funktionierende 326 „Aggregatwesen“ einzelner „Vermögen“: 327 , sondern eine „lebendige Einheit“ ein zu sein, die auf einen gemeinsamen „Endzweck“328 hin organisiert ist. Der die verschiedenen kognitiven, emotiven und voluntativen Fähigkeiten des Menschen organisierende „Endzweck“ ist der „Begriff des Erkennens“. Mit Erkennen ist nicht ein Vermögen neben den anderen Vermögen gemeint, sondern die bereits angesprochene (Selbst-)erkenntnis bzw. Einsicht des Menschen, daß er in allen Bestimmungen der von ihm erkannten Welt „sich nur zu seinen eigenen Bestimmungen verhält“329. In der Philosophie des subjektiven Geistes demonstriert Hegel, was es für die einzelnen Vermögen heißen kann, in den „Geist“ als „lebendige Einheit“ integriert zu sein. Für die hier vorrangig interessierende Anschauung heißt dies, daß sie nicht lediglich Teil einer ‚Maschinerie des Geistes’ ist, indem sie hereinkommende Sehinformationen abarbeitet und an andere Teile der Maschinerie 323 324 325 326 327 328 329 82 zur Weiterverarbeitung V 13, 188. Ch. Halbig: Objektives Denken, 98. „Der Geist ist keine Sammlung“ (V 13, 183). Enz 1830, § 445. Enz 1830, § 379. Enz 1830, § 442. Enz 1830, § 440. weiterleitet, sondern bereits „erkennendes Anschauen“ ist.330 Hegel will zum Ausdruck bringen, daß die Anschauung von Voraussetzungen zehrt, die sie anderem verdankt, wie etwa wissenschaftlichen Kenntnissen, kulturell erworbenen Sehgewohnheiten, Erinnerungen an zuvor Gesehenes, moralischen Prinzipien, ästhetischen Geschmacksurteilen, religiösen Überzeugungen oder auch philosophischen Einsichten. Am Vergleich eines wissenschaftlich gebildeten Naturbeobachters mit einem Ungebildeten („Wilden“) demonstriert Hegel, welche (hier: wissenschaftlichen) Voraussetzungen in dessen Naturvollzug einfließen: „Der Wilde ist fast auf nichts aufmerksam; er läßt alles an sich vorübergehen, ohne sich darauf zu fixieren. Erst durch die Bildung des Geistes bekommt die Aufmerksamkeit Stärke und Erfüllung. Der Botaniker zum Beispiel bemerkt an einer Pflanze in derselben Zeit unvergleichlich viel mehr als ein in der Botanik unwissender Mensch. Dasselbe gilt natürlicherweise in bezug auf alle übrigen Gegenstände des Wissens. Ein Mensch von großem Sinne und von großer Bildung hat sogleich eine vollständige Anschauung des Vorliegenden; bei ihm trägt die Empfindung durchgängig den Charakter der Erinnerung.“331 Übertragen auf den ästhetischen Naturvollzug, der Naturphänomene als „schön“ betrachtet, heißt dies, daß der Naturbetrachter ebenfalls mehr sieht als jemand, der nicht über die gleichen kulturell vermittelten Voraussetzungen verfügt. Innerhalb derselben kulturellen Rahmenbedingungen bedeutet dies, daß die Betrachtung von Naturphänomenen als Naturschönheiten nur unter Voraussetzung bereits vermittelter Inhalte des subjektiven, objektiven und absoluten Geistes, etwa bestimmten gesellschaftlich überlieferten Anschauungs- und Gefühlserwartungen, etablierten Bearbeitungs- und Nutzungsweisen der Natur, wissenschaftlichen Erfahrungen oder in Kunstwerken oder medial inszenierten Naturbildern begründeten Seherwartungen und -gewohnheiten möglich ist. Hegel diskutiert solche Vorgänge zum einen unter dem Titel „Verleiblichung“332, zum anderen unter dem der „Gewohnheit“333. Jeweils handelt es sich um Vorgänge, die 330 331 332 333 „Die w a h r e B e f r i e d i g u n g aber, gibt man zu, gewähre nur ein von Verstand und Geist durchdrungenes Anschauen, vernünftiges Vorstellen, von Vernunft durchdrungene, Ideen darstellende Produktionen der Phantasie usf., d.i. e r k e n n e n d e s Anschauen, Vorstellen usf. Das W a h r e , das solcher Befriedigung zugeschrieben wird, liegt darin, daß das Anschauen, Vorstellen usf. nicht isoliert, sondern nur als Moment der Totalität, des Erkennens selbst, vorhanden ist“ (Enz 1830, § 445). TWA 10, 249 (Enz 1830, § 448). Enz 1830, § 401. - Vgl. hierzu näher Kap. 5.1.3. Enz 1830, §§ 409 und 410. 83 komplementär zur Idealisierung der Natur - welche Sinnesdaten „verinnerlicht“ und damit durch Sinnesorgane vermittelte Inhalte („das natürliche Unmittelbare“) dem Menschen „ideell und (…) zueigen“334 macht gleichsam umgekehrt Innerliches wie Empfindungen, Vorstellungen, Wissen „veräußerlicht“ bzw. „verleiblicht“ („zur natürlichen 335 bestimmt“), d.h. in die Form des „Gefundenseins“ Leiblichkeit und damit in die Form einer vom Menschen selbst gesetzten Unmittelbarkeit bringt. Komplementär zur Idealisierung der Natur ließe sich insofern von einer Naturalisierung von „Geistigem“ sprechen, wenn beachtet wird, daß diese Naturalisierung von Hegel ausdrücklich als „gesetzt“336 verstanden wird, damit den „Dogmatismus“ eines vermeintlich unvermittelten Naturzugangs vermeidet. Allerdings ist „ein von Verstand und Geist durchdrungenes Anschauen“ im besonderen bzw. der „gebildete Geist“ im allgemeinen kein zwangsläufig sich ergebendes Resultat einer gleichsam automatisch ablaufenden Genese der „lebendigen Einheit“ des Geistes. Bildung ist vielmehr ein Ziel in der Entwicklung des Geistes, das von vielen Voraussetzungen abhängt. Bildung kann daher auch verfehlt werden, der gebildeten Persönlichkeit steht eben darum die ungebildete gegenüber; d.h. mancher begnügt sich aus Unbildung oder Willkür mit „geistlosem Anschauen“ und findet darin seine „Befriedigung“.337 4.2 Mit Betrachtung schöner Natur „Natur-Schönheit“ wird - für ein unbefangenes Bewußtsein möglicherweise kontraintuitiv - der Natur keine objektive Eigenschaft zugeschrieben, sondern eine Auffassungsweise der Natur angezeigt. Das ist der Sinn der Hegelschen Bemerkung zu Anfang der Ästhetikvorlesungen, Natur mache es dem „Geist saurer“, sich zu erkennen, also die Bedingungen der Möglichkeit dieser Auffassung, nämlich den zugrundeliegenden Vollzug 334 335 336 337 84 Enz 1830, § 401. Es gibt „eine andere Sphäre der im Geiste entsprungenen ihm angehörigen Bestimmtheiten, die um als gefundene zu seyn, um empfunden zu werden, v e r l e i b l i c h t werden“ (Enz 1830, § 401). Enz 1830, § 410. „Auch isoliertes, d.i. geistloses Anschauen, Phantasieren usf. kann freilich Befriedigung gewähren; was in der physischen Natur die Grundbestimmtheit ist, das Außersichsein, die Momente der immanenten Vernunft außereinander darzustellen, das vermag in der Intelligenz teils die Willkür, teils geschieht es ihr, insofern sie selbst nur natürlich, ungebildet ist“ (Enz 1830, § 445). eines Naturbetrachters zu durchschauen. Vermeintlich scheint die Wahrnehmung von Natur, die zu dem Urteil führt: „Dieser Baum (dieses Tier, diese Blume, diese Landschaft) ist schön“, etwas „objektiv Schönes“ wahrzunehmen, eben das Naturschöne. Tatsächlich erweist sich bei genauer Analyse der Grundlagen solcher Urteile, daß der vermeintlich rein rezeptive Vollzug, d.h. die Anschauung bzw. Betrachtung der Natur, selbst schon in dem Sinne produktiv ist, als der subjektive Vollzug „gestaltet“ bzw. „gebildet“ wird. 4.2.1 Organisiertheit der Natur als Grund ihrer Schönheit Bereits am Organismus lassen sich Strukturen aufweisen, die sich als Subjektivitäts-, also als Selbstbezüglichkeits- oder Reflexivitätsstrukturen rekonstruieren lassen.338 Im Anorganischen streben die Körper aufgrund der Schwerkraft zu einem ihnen äußerlichen Zentrum, wohingegen der Körper im Organischen die Struktur der Subjektivität339 erreicht, die sich als Gliederung des Organismus präsentiert. In Analogie zur Subjektivität des subjektiven Geistes340 stellt Hegel in der Vorlesung zur Naturphilosophie von 1819/20 eine Verbindung her zwischen Lebendigkeit und Subjektivität: „Lebendig ist Subjektivität, in der die Unterschiede nur als Glieder sind, getragen durch diese ihre Form, in der sie ideell sind.“341 Im Gegensatz zur unorganischen Natur ist der gegliederte Organismus kein Aggregat von Teilen (wie z.B. beim Gold).342 Bei einem Stein als Unlebendigem ist es gleichgültig, ob er in einer Gartenmauer oder in einem Dom verwendet wird. Die Hand als Glied eines Lebendigen hingegen verliert ihre Funktion, wenn sie vom Körper und dessen Ganzheit abgetrennt wird. Sie fällt wieder ins Anorganische zurück und verwest.343 Hegel nennt diese Stufe der Natur „Stufe des Idealismus“344. In 338 339 340 341 342 343 344 W. Jaeschke sagt in diesem Sinne, „Leben“ lasse „sich nicht anders deuten denn als natürliche Form von Reflexivität, die wir im Selbstbezug eines Organismus erkennen können“ (W. Jaeschke: Hegel-Handbuch, 182). Der Organismus ist der „sich selbst anfachende und unterhaltende Proceß“ (Enz 1830, § 336). Vgl. Kap. 2.2.3. Gies, 11. Das „Lebende des Ganzen äußert sich in jedem Gliede, und hört auf, wenn das Glied getrennt vom Ganzen gesetzt wird; die einzelnen Theile sind nur etwas in Beziehung auf das Ganze“ (Ascheberg 1820/21, 41 f). Kehler notiert 1826: „Den Steinen ist es gleichgültig, ob sie einen Herd oder einen Dom ausmachen. – Sie bleiben Steine in einer zertrümmerten Mauer oder in einem Prachtgebäude. Im Lebendigen hingegen ist der Begriff die immanent eigene Bestimmung, und die Glieder, wenn sie vom Körper losgetrennt sind, können nicht mehr bestehen“ (Kehler 1826, 36). V 16, 10. 85 der Ästhetikvorlesung von 1823 bezeichnet er diese Form der Idealität als „Idealismus der Lebendigkeit“ bzw. als „objektiver“ oder „praktischer“ Idealismus“345. 1826 spricht er davon, „das lebendige Leben ist das Idealistische“346. Die Frage ist nun, auf welche Weise diese Idealität sich zur Erscheinung bringt.347 Der Organismus ist für Hegel eine idealisierte Realität348, d.h. die Glieder sind nur Erscheinung oder Äußerung eines einheitsstiftenden Organisationsprinzips, das die „Macht, das Bestimmende, Bildende, die unendliche Form“349 des Organismus als Erscheinung ist. Unter „Erscheinung“ versteht Hegel in diesem Zusammenhang eine Realität, die als unselbständig gesetzt (negiert) ist – man denke an die Hand, die abgeschlagen werden kann und dann verwesen muß –, wobei diese Negation zugleich affirmiert wird, also die notwendige Integration des Teils in das organische Ganze indiziert. Diese Affirmation nennt Hegel „Seele, welche am Leiblichen erscheint“350. In diesem Sinne gibt es in der unorganischen Natur kein Scheinen der Körper, sie existieren nur351; denn im Unorganischen ist der „Begriff noch nicht zur Seelenhaftigkeit gekommen“ und bleibt „darum ein bloßes Abstraktum“352. Erst im lebendigen Organismus erscheint die „Subjektivität des Lebendigen“, und zwar in einem „Scheinen der lebendigen Seele“353 oder als „empfindendes Subjekt“354. „Beseelung“ zeigt sich in der Empfindung. Ein beseelter Körper ist mit Hegel in diesem Sinne ein Ganzes aus Teilen, wobei an jeder Stelle einer möglichen Empfindung, etwa einer Schmerzempfindung, der Empfindende nur einer ist, unabhängig davon, an welcher Stelle des Körpers die Empfindung auftritt: Der Empfindende „ist nicht unterschieden von seiner 345 346 347 348 349 350 351 352 353 354 86 Hotho 1823, 51 und 53. Pfordten 1826, 75. 1823 heißt es entsprechend: „(…) woran man das Dasein dieser Idealität in einem Individuum erkennt, oder wodurch das Individuum als subjektive Einheit sich kundgibt, als ein Gegliedertes“ (Hotho 1823, 51). Mit Bezug auf das Lebendige der Natur heißt es 1826: „Dies ist die höhere Realität, daß sie da ist, aber immer idealisiert“ (Pfordten 1826, 76). Kehler 1826, 36. Pfordten 1826, 76. „Im Unorganischen scheinen die Körper nicht, sie existieren“ (Kehler 1826, 37). Am Beispiel des Goldes heißt das: „Das Gold scheint nicht, sondern ist“ (Pfordten 1826, 76). Kehler 1826, 37. - Auch das Sonnensystem als Beispiel für natürliche Systeme scheint nicht, sondern es existiert lediglich (vgl. Libelt 1828/29, Ms. 43). Pfordten 1826, 76, 77. Pfordten 1826, 76. Realität; allenthalben ist Empfindung, und wo Empfindung ist, ist der Empfindende“355. „Idealität“ zeigt sich also als Einheit von „Beseelung“ und Körperlichkeit. Die vermeintliche Selbständigkeit der „Teile“ eines Organismus ist „Schein“356 im Sinne von „Erscheinung“357 eines zugrundeliegenden Organisationsprinzips. Idealität zeigt sich ferner in der „Selbstbewegung“, d.h. der selbständigen, sich von der Umgebung lösenden Beweglichkeit des Organismus, über die die Pflanze noch nicht verfügt358. In dieser Selbstbewegung wird auch der Raum negiert und ebenfalls zum Schein herabgesetzt. Auf diese Weise kommt - so Hegel - der „objektive Idealismus“ zur Erscheinung, „erscheint seine Freiheit, seine Idealität“359. Obwohl der animalische Organismus auf diese Weise als eine reflexive Selbstbeziehung360 rekonstruiert wird, ist der Selbstbezug noch keine sich selbst erfassende Selbstbeziehung361. Eine Betrachtung des Lebendigen „in seinem praktischen sich Hervorbringen und Erhalten“ ist daher nicht das, was Hegel unter Kunst versteht362. Der sinnlichen Betrachtung erscheint das, was sich dem Anblick präsentiert, nämlich die Bewegungen des Organismus, als willkürlich, zufällig, abstrakt. Die Vernunft hingegen kann diese Bewegungen im Hinblick auf die Funktionalität des Organismus als etwas in sich Zweckmäßiges, d.h. als „Naturzweck“ im Kantischen Sinne betrachten - wie für Kant ist auch für Hegel der für den Organismus wesentliche Begriff der des Zwecks363 bzw. der der Zweckmäßigkeit. In diesem Fall kommt allerdings nicht mehr der Organismus qua Sinnlichkeit zur Anschauung, sondern der Organismus als ein Gedachtes. So kann zwar das Lebendige „Erscheinen 355 356 357 358 359 360 361 362 363 Kehler 1826, 35 f. „Dies ist die Hauptseite, nach welcher die Idealität vorhanden ist, daß das lebendige Subjekt das natürliche Bestehen seiner Teile zum Schein herabsetzt“ (Hotho 1823, 52). „(…) Idealität, die (…) sich immer als Erscheinung zeigt“ (Hotho 1823, 52). Enz 1830, § 344. Hotho 1823, 53. „Gestalt ist das animalische Subjekt als ein Ganzes n u r i n B e z i e h u n g a u f s i c h s e l b s t “ (Enz 1830, § 353). Vgl. hierzu Klaus Düsing: „Diese nicht mehr einfache, sondern reflektierte Selbstbeziehung aber ist noch nicht geistig, noch nicht denkend, sondern bedarf noch der Äußerlichkeit des organischen Körpers oder des Leibes, damit die Seele, die in ihm waltet, zu sich selbst findet und in ihm sich fühlt. Leben ist damit nicht die eigentliche Bestimmung, sondern eine natürliche Vorform von Subjektivität; diese ist eigentlich als Ich, als Selbstbewußtsein, zuhöchst als Denken seiner selbst existent“ (Klaus Düsing: Die Idee des Lebens in Hegels Logik, 289). Hotho 1823, 53. „Der Organismus ist Selbstzweck“ (V 16, 140). 87 dieser Zweckmäßigkeit“364 sein, nicht aber das spezifische Scheinen, um das es in der „Kunstbetrachtung“ geht. Dieses Erscheinen der Zweckmäßigkeit ist zwar „für uns“ als Betrachter gegeben, aber - so Hegel - nur „schlechthin“ gegeben, es ist nicht eigens für uns gesetzt. Was das heißt, sei nochmals im Kontrast zur Bestimmung des Kunstwerks erläutert. Der Schein im Kunstwerk ist eigens „für uns als Anschauende, als sinnlich Betrachtende“365 gesetzt, also ein vom Menschen selbst gesetzter Schein, damit ein „Scheinen des Geistes“366, eine gestaltete und als solche Gestaltung vollziehbare Erscheinung des Geistes, die sich entsprechend als „Scheinen der Gestalt“367 präsentiert. Diese Gestalt ist an idealisierte („vergeistigte“) Gegenständlichkeit („Seiendes“) gebunden, sie „muß für uns zugleich ein Seiendes und Scheinendes sein“368. Das bedeutet, der Schein der Kunst ist vom und für den Menschen gestalteter (im Kunstwerk produzierter) Schein, der durch sich selbst auf Geistiges hindeutet369. Produzent wie Rezipient ist der Mensch selbst, der nicht durch Sinnlich-Äußerliches, Natürliches in diesem Hindeuten behindert wird370. Die empirische Mannigfaltigkeit natürlicher Vorgaben in ihrer Kontingenz muß der Funktion der Kunst entsprechend „vergeistigt“ werden - in Hegels Worten: „Die Mannigfaltigkeit der Gestalt muß für uns als Schein gesetzt sein“371, d.h. dem Zweck untergeordnet werden, als Ausdruck für Geistiges zu fungieren. Das organisch Lebendige kann dann aber nicht der Maßstab für das Kunstschöne sein. Nur umgekehrt kann die Beziehung zwischen dem Organismus und dem Kunstschönen im Hinblick auf die Frage, ob das Naturschöne als „Paradigma“ für das Kunstschöne fungieren kann, sinnvoll gestellt und beantwortet werden. Das Lebendige wird von Hegel − wie Klaus Düsing gezeigt hat − „vom Modell der Subjektivität her bestimmt“, und die „Erfüllung der Subjektivitätsstruktur, der gemäß Leben von Hegel gedacht wird, findet sich erst im Geist und dessen selbstbewußtem Wissen von 364 365 366 367 368 369 370 371 88 Hotho 1823, 54. Hotho 1823, 54. Kehler 1826, 38; Griesheim 1826, Ms. 63. Hotho 1823, 54. Hotho 1823, 54. „Die Kunst in ihrem Scheinen deutet durch sich selbst auf ein Höheres, auf den Gedanken hin“ (Hotho 1823, 3). „Aber die unmittelbare Sinnlichkeit für sich deutet nicht auf den Gedanken hin, sondern verunreinigt ihn und verbirgt ihn“ (ebd.). Hotho 1823, 55. sich“372. Dieses selbstbewußte Wissen von sich findet eine erste Form im Kunstwerk, insofern dieses anschaubare Selbstobjektivierung menschlicher Subjektivität ist. Die Betrachtung des Lebendigen führt demnach zu einer Betrachtung der schönen Organisiertheit der Natur - dies ergibt die bisherige Analyse -, insofern die Glieder des Organismus „einen beseelten Zusammenhang“ anzeigen. Die Form des Organismus „wohnt der Materie in[ne], ist die eigentliche Natur dieses Materiellen. Dies ist die Bestimmung der Schönheit überhaupt.“373 In der Ästhetikvorlesung von 1820/21 erklärt Hegel daher, daß „auch die Natur, das Lebendige (…) schön [ist]; denn gerade das Lebendige in seiner körperlichen Erscheinung ist das Schöne, d.h. der in der Realität immanente Begriff, die durch den Begriff belebte, beseelte Körperlichkeit. Deßhalb ist nun die lebendige Natur schön“.374 1826 erklärt Hegel ebenfalls, man könne lebendige Naturgestalten, in denen die Seele „zur Erscheinung kommt“, als schön bezeichnen.375 Und in der letzten Ästhetikvorlesung im Wintersemester 1828/29 sagt er: „Das Leben und das Schöne ist eins und dasselbe“376. Voraussetzung dieses ästhetischen Naturvollzugs ist ein Vernunftbegriff, der einen „Naturzweck“ (Kant) bzw. das „Erscheinen der Zweckmäßigkeit“ (Hegel) in der Natur unterstellt und diese wegen der zweckmäßigen Organisiertheit als schön empfindet. Die Betrachtung der Natur in ihrer Organisiertheit hat folglich eine kulturell vermittelte und bewährte Praxis- und Wissensform zur Voraussetzung, nämlich lebendige Naturphänomene als in sich zweckmäßig organisierte Gestalten zu betrachten. In anderen Kontexten, zum Beispiel in utilitären Nutzungs- und Verwertungspraxen, kann eine solche Betrachtungsweise dazu dienen, Natur leichter, weil berechenbarer, zum Objekt einer Verwertung im Rahmen der Zweck-Mittel-Rationalität zu machen.377 Die ästhetische Wahrnehmung wird durch die Intention auf 372 373 374 375 376 377 Klaus Düsing 1986, 289. Hotho 1823, 61. Ascheberg 1820/21, 65. Pfordten 1826, 76: „Das Lebendige ist schön, insofern die Seele in ihm zur Erscheinung kommt“. Libelt 1828/29, Ms. 41. Hier ist mit Blick auf Hegels Philosophie des „objektiven Geistes“ an das „System der Bedürfnisse“ innerhalb der „Bürgerlichen Gesellschaft“ zu denken (Rph, § 189ff.; Enz 1830, § 524ff.). - Erinnert sei an das „praktische Naturverhältnis“, das die Naturphänomene als unselbständig Seiende und damit unfreie vernutzen will, dies aber nur kann, wenn es zugleich unterstellt, daß Natur eigenen Gesetzen folgt. Erst dann kann der Mensch für seine von ihm 89 Zweckmäßigkeit, die lebendigen Organismen zugesprochen werden kann, konstituiert. Im weiten Sinne des Wortes verdankt sich diese ästhetische Erfahrung von Naturschönheit also einer spezifischen Betrachterperspektive auf der Grundlage habitualisierter Seherwartungen378. 4.2.2 Anschauungsgewohnheiten als Grundlage der Schönheit des Natürlichen Diese Grundlage liefert Hegel die Argumente dafür, daß es bei der Schönheit von Naturphänomenen nicht um Widerspiegelung eines vorliegenden „objektiven“ Schönen, sondern wiederum um die Konstitution einer spezifischen Schönheitserfahrung als Erfahrung einer Realität geht. Hegel analysiert daher weitere Betrachterperspektiven (Vollzüge), aufgrund deren Naturphänomene als „schön“ oder – bei entsprechender Abweichung von vertrauten Rezeptionsgewohnheiten – als „unschön“, „häßlich“ oder „bizarr“ beurteilt werden können. Auch hier wird die Frage mitbedacht, ob und auf welche Weise die Besonderheit des vom Menschen eigens gestalteten Kunstschönen sich aus der Analyse des Naturschönen entwickeln läßt. Dazu muß entschieden werden, was die Gestalt, die „für uns als Schein gesetzt“ ist, zu einer Einheit und Ganzheit und dadurch zum Ausdruck des Geistigen macht. Anders gewendet: Kann die Einheit dieser Gestalt naturgegeben sein? Gefordert ist daher, daß die Mannigfaltigkeit der Gestalt „sich als Scheinendes, d.h. als Beseeltes, uns kundtun [soll], d.h. als eines, das in dieser Mannigfaltigkeit seine wahrhafte Existenz nicht hat. (…) daß die verschiedenen Teile, Formen (…) obgleich uneins, unharmonisch, doch 379 zusammenstimmen.“ Hegel erwähnt drei Möglichkeiten einer solchen objektiv vorgegebenen, in der äußerlichen (Natur-)Gestalt liegenden Einheit, die allerdings nicht den Status der Notwendigkeit erreicht. 378 379 90 gesetzten Verfügungszwecke objektiv-allgemeine und dadurch in ihrer Verfügbarkeit berechenbare und antizipierbare Mittel vorfinden, kann Natur seinen subjektiven Zwecken willfährig sein. Vgl. Kap. 2.3. Der Sinn des Sehens steht hier als pars pro toto für die Anschauung. Selbstverständlich gehören zur ästhetischen Erfahrung der Natur auch das Hören und Riechen sowie die Summe aller Sinneseindrücke in ihrer Gesamtwirkung. Ein Problem des Begriffs Anschauung ist bekanntermaßen die häufig undurchschaute Reduktion auf das Sehen als den wichtigsten Sinn ästhetischer Erfahrung. Hotho 1823, 55. Eine erste Möglichkeit ist die abstrakte Regelmäßigkeit. Hier sind die Teile nicht zufällig gegeneinander (wie beim sinnlich betrachteten Organismus), sondern „der eine hat sie des anderen wegen“, der Zusammenhang wird äußerlich-anschaulich gesetzt. Eine solche serielle Einheit entspricht nicht der Forderung Hegels, daß das äußerlich-Einheitliche sich als „Beseeltes“, also als Kunstwerk auffassen läßt. Ein Regiment gleich gekleideter Soldaten ist noch kein Kunstwerk. Eine weitergehende, zweite Möglichkeit der Einheitserfahrung an einem objektiv Gegebenen liegt daher im lebendigen Organismus. Beim Organismus ist aber die Einheit „nicht sinnlich vorhanden, sondern sie ist Innerliches, ein Geheimes für die Anschauung“. Diese verborgene Einheit bezeichnet Hegel als „innere Notwendigkeit“, als „Seele“, als „Idealität“ des Organismus, die das „subjectum“, d.h. das Einheitsprinzip der organischen Gliederung ist.380 Diese innere Notwendigkeit kann aber, soll sie „als innere für uns“ erfaßt werden, nur gedacht werden. Hegel betont daher: „Aber als Inneres allein soll der Zusammenhang für uns nicht sein, sondern er soll auch selbst erscheinend sein“381. Mit anderen Worten, diese Form natürlich gegebener Einheit wird nicht im Kunstwerk erreicht, da dieses nicht im Denken, sondern über die Anschauung Geistiges vermittelt. Eine beseelte, notwendige Struktur, die selbst erscheinen kann, nennt Hegel „subjektive Einheit“382. Im organisch Lebendigen kommt diese subjektive Einheit als Empfindung vor. Damit ist eine dritte Möglichkeit genannt, eine Zusammenstimmung der Teile zu erreichen. Die Empfindung des animalischen Organismus ist in die gesamte Körperlichkeit ausgegossen, ohne selbst räumlich zu sein; sie ist rein ideell. Doch ist in dieser Empfindung qua „Selbstgefühl“383 der Zusammenhang der organischen Gliederung noch nicht als Notwendigkeit gesetzt, da die Empfindung keine notwendige Beziehung zwischen der äußerlichen Vielfalt des gegliederten Organismus und dessen Organisationsprinzip („Seele“) stiftet. In der Kunst soll aber die Anschauung der Gestalt für den Betrachter als eine Einheit erscheinen, „die in 380 381 382 383 Hotho 1823, 56. Hotho 1823, 56. Hotho 1823, 56. Enz 1830, § 356. 91 notwendigem inneren Zusammenhang stehen soll“384. Dieser notwendige Zusammenhang liegt also weder im zufälligen räumlichen Zusammenhang der Regelmäßigkeit noch in der Empfindung des organischen Selbstgefühls. Die Frage, ob sich von der Naturgestalt ausgehend gleichermaßen eine Mannigfaltigkeit als harmonische Einheit eines Beseelten über die Anschauung erreichen läßt, muß daher negativ beantwortet werden. Die Natur als äußerlich in ästhetischer Kategorie (Regelmäßigkeit) oder als innerliche organische Einheit erschlossen, läßt sich nur in philosophischer Analyse (im Denken, durch den Begriff der Natur) als notwendige Einheit erschließen. Die Möglichkeit der Konstitution der Natur als schön wird zwar eingeräumt, aber die Notwendigkeit dieser Betrachtung läßt sich nicht aus der Naturanschauung herleiten. In anderen Worten: In der bislang analysierten Naturbetrachtung erschließt sich über eine schematisierte Erfahrung nicht die Einheit des Naturphänomens, sondern die Syntheseleistung eines Vollzuges. Das heißt zugleich, die Einheit der Naturgestalt kann nicht naturgegeben sein. Obwohl die Anschauung des Natürlichen keinen „notwendigen inneren Zusammenhang“ vermittelt, sucht Hegel einen ästhetischen Naturvollzug, der im betrachtenden Subjekt eine notwendige Einheitsstiftung ermöglicht und unterstellt dadurch die Möglichkeit einer, wie er es nennt, „subjektiven Notwendigkeit“, die sich einer spezifischen Betrachterperspektive verdankt. Er erörtert daher weitere Möglichkeiten, Naturphänomene unter diesem Gesichtspunkt zu betrachten. Zuerst geht er auf die „Gewohnheit“385 ein. Als spezifische Form der Gewohnheit nennt Hegel des weiteren die „Gewohnheit durch eine einzelne Gedankenbestimmung“ als das „Leitende“ der Betrachtung. Außerdem kommt Hegel auf die „sinnvolle Anschauung“, die ihren Vollzugscharakter bereits „erahnt“, und auf Landschaft zu sprechen, die einen stimmungsinduzierten Naturvollzug anzeigt. Schließlich erfaßt Hegel unter den Begriffen „abstrakte Form“ und „abstrakter Stoff“ eine letzte Anschauungsgewohnheit. In der Analyse der ersten „subjektiven Notwendigkeit“ der besonderen Fähigkeit des subjektiven Geistes, der Gewohnheit, greift Hegel auf einen Begriff seiner Anthropologie im Abschnitt über die „fühlende Seele“ 384 385 92 Hotho 1823, 55. Dieser und die folgenden in Anführungszeichen gesetzten Ausdrücke dieses Abschnitts sind vom Verfasser kursiv hervorgehoben. zurück.386 Durch Gewohnheit können Gefühle, kognitive Leistungen der Intelligenz und des Willens sowie moralische, ästhetische und philosophische Einsichten von der menschlichen „Seele“ so in Besitz genommen werden, daß sie sich in ihnen „empfindungs- und bewußtlos“ bewegen kann. Über diesen „Mechanismus“ der Gewohnheit ist die Seele von einer notwendigen Konzentration auf immer wiederkehrende Prozesse (wie z.B. Bewegungsabläufe, das Sehen und sogar das Denken) entlastet, die „Bestimmtheit des Gefühls, auch der Intelligenz, des Willens u.s.f“ wird zu einem „natürlichseyenden, mechanischen“, zu einer „zweite[n] Natur“ gemacht. Zweite Natur ist Gewohnheit deshalb, weil sie „ein unmittelbares Seyn der Seele“ ist; zweite Natur ist sie, weil sie eine „von der Seele gesetzte Unmittelbarkeit“ ist.387 Für den Rückgriff auf die Kategorie der Gewohnheit in der Ästhetikvorlesung von 1823 ist die weitere Bestimmung entscheidend, daß die „Form der Gewohnheit (...) alle Arten und Stufen der Thätigkeit des Geistes“ umfaßt. So ist auch das Sehen „die concrete Gewohnheit, welche unmittelbar die vielen Bestimmungen der Empfindung, des Bewußtseyns, der Anschauung, des Verstandes u.s.f. in Einem einfachen Act vereint“388. Damit ist erstens gesagt, daß es Sehgewohnheiten geben kann, in die auch kategoriale Bestimmungen anderer Formen des Geistes einfließen können, wie etwa Inhalte des objektiven und absoluten Geistes, also „das Religiöse, Sittliche u.s.f.“.389 Zweitens bedeutet dies, daß in das Sehen von Naturphänomenen qua Gewohnheit Bestimmungen einfließen, die zuvor qua Verleiblichung in die Form des ‚Gefundenseins’390 gesetzt wurden und auf diese Weise eine Unmittelbarkeit vortäuschen können, obwohl sie sich der Vermittlung anderer Formen wie Inhalte des Geistes verdanken. Dieser ‚Schein der Unmittelbarkeit’ mag dem Natürlichen „wohl zu leihen“391 sein, wiewohl er diesem selbst keineswegs zukommt. Auch hier erschließt sich 386 387 388 389 390 391 Vgl. hierzu Enz 1830, §§ 403ff. Enz 1830, § 410. Enz 1830, § 410. Enz 1830, § 380. „Hienach unterscheidet sich eine Sphäre des Empfindens, (...) die dadurch Empfindung wird, daß sie im Fürsichseyn der Seele i n n e r l i c h gemacht, e r i n n e r t wird, − und eine andere Sphäre der im Geiste entsprungenen ihm angehörigen Bestimmtheiten, die um als gefundene zu seyn, um empfunden zu werden, v e r l e i b l i c h t werden“ (Enz 1830, § 401). Hotho 1823, 80. 93 über eine schematisierte Erfahrung nicht die Einheit des Naturphänomens, sondern die Syntheseleistung eines Vollzuges. Was der Betrachter bestimmter Naturgestalten aufgrund eingeübter392 Sehgewohnheiten „empfindungs- und bewußtlos“ sehen kann, ist beispielsweise das vertraute spezifische Nebeneinander der Glieder eines Organismus. Werden solche Sehgewohnheiten durch eine ungewohnte Organisation des Körperaufbaues verletzt, indem diese „von unserem geläufigen Bilde abweichen“393, dann können Tiere wie z.B. Fische mit einem „ungeheurem Kopf“ und einem „kleinen Schwanz“ als häßlich oder bizarr beurteilt werden, bestimmte exotische Pflanzen wie etwa Kakteen können uns „verwundern“. Hegel spricht hier zwar nicht davon, daß wir etwas, insofern es unserer Gewohnheit entspricht, als schön bezeichnen. Diese Beurteilung läßt sich aber im Umkehrschluß dadurch begründen, daß die Harmonie der Teile quasi „bewußtlos“ zur Schönheitserfahrung führt. Was uns berechtigt, Naturphänomene als „schön“ zu bezeichnen, ist die undurchschaute Sehgewohnheit, die einen äußerlichen Zusammenhang als Einheit faßt, ohne dessen Notwendigkeit, d.h. dessen Einheitsprinzip angeben zu können. Diese Sehgewohnheiten entstehen durch Wiederholung394 immer wiederkehrender Sehvollzüge, die von unterschiedlichsten inhaltlichen Voraussetzungen, die Rahmenbedingungen wiederum abhängen, von geprägt den jeweiligen sein können. kulturellen Welche Voraussetzungen jeweils in einen solchen qua Gewohnheit konstituierten Naturvollzug eingegangen sind, ist im Einzelfall allerdings nur schwer auszumachen. Genau dies wäre aber die Aufgabe einer ‚Phänomenologie des ästhetischen Naturvollzugs’. Obwohl Hegel dies teilweise gelingt - wie sich bereits zeigen ließ und im folgenden an anderen Beispielen gezeigt werden kann - verhindert es die „Unmittelbarkeit“ der Gewohnheit, die Tatsache, daß alle unterschiedlichen Bestimmungen des Sehens „in Einem einfachen Act vereint“395 sind, diese phänomenologisch präzise zu unterscheiden. Das heißt, die Komplexität und Dynamik der in der Praxis der Wahrnehmung 392 393 394 395 94 „Dieses Sich-einbilden des Besondern oder Leiblichen der Gefühlsbestimmungen in das S e y n der Seele erscheint als eine W i e d e r h o l u n g derselben und die Erzeugung der Gewohnheit als eine U e b u n g “ (Enz 1830, § 410). Hotho 1823, 57. Vgl. Enz 1830, § 410. Enz 1830, § 410. zusammenspielenden Voraussetzungen läßt sich in einer nachträglich beschreibenden und klassifizierenden Theorie nicht vollständig einholen. 4.2.3 Teilaspekte als Leitfaden der Betrachtung Eine zweite subjektive Notwendigkeit ergibt sich dann, wenn eine einzelne Gedankenbestimmung oder eine einzelne Eigenschaft das Leitende für die Betrachtung der Naturphänomene abgibt, die „dann ein Gesetz für die Organisation der übrigen Teile ausmacht“396. Das heißt, es findet hier ein (Fehl-)Schluß von einem Teil(-Aspekt) auf das „Ganze“ statt. Dieser Schluß wird gezogen, ohne das „geistige Band“397, also ohne das notwendige Einheitsprinzip zu kennen, das alle Teile zu einem Ganzen zusammenbindet. Hegel erwähnt an dieser Stelle Georges Baron de Cuvier398, der aus der Kenntnis vieler „Typen“ − also vor dem Hintergrund wissenschaftlicher Erfahrungsgewohnheiten, die nahelegen, welche Einzelteile bei welchem Gestalttypus auf welche Weise zusammengehören −, aus einem einzelnen Knochen eines Fossils die gesamte Gestalt dieses Tieres rekonstruieren konnte. Cuvier verfüge, so Hegel, über solche Erfahrungsgewohnheiten im Umgang mit Fossilien, daß er die „feste Gewohnheit solcher Gestalten“ habe, obwohl er „keinen inneren Zusammenhang sich anzugeben weiß“, nicht in der Lage sei, das organisierende Prinzip, die „Seele als solche“, bewußt und klar zu fassen. Der Zusammenhang, der hier als Einheit auftritt, wird nur durch eine einzelne, beschränkte Eigenschaft gestiftet, die den Leitfaden für die Betrachtung bzw. Rekonstruktion der Naturgestalt abgibt. Obwohl diese einzelne Bestimmung zwar das selbständige Außereinandersein der Teile in eine Einheit bringt, ist diese Eigenschaft beschränkt und bringt noch nicht das Ganze zum Bewußtsein, „sondern nur eine einzelne Seite, die wir als Herrschende, als Seele festsetzen. Die Seele als solche wird uns dadurch noch nicht klar“.399 Zwar lernt ein Betrachter durch 396 397 398 399 Hotho 1823, 58. „Wer will was Lebendig’s erkennen und beschreiben, sucht erst den Geist herauszutreiben, dann hat er die Teile in seiner Hand, fehlt leider! nur das geistige Band.“ (Goethe, Faust I). Der französische Naturforscher Georges Baron de Cuvier (1769-1832) untersuchte insbesondere die Anatomie von Mollusken, Fischen und Fossilien und verglich Ähnlichkeiten und Unterschiede im Körperaufbau. Es gelang ihm, aus wenigen ihm vorliegenden Knochen die gesamte Gestalt eines Tierkörpers abzuleiten. Hegel bezieht sich auf: Georges Baron de Cuvier: Recherches sur les ossemens fossiles de quadrupèdes, où l'on rétablit les caractères de plusieurs espèces d'animaux que les réductions du globe paroissent avoir détruites. 4 Bde. Paris 1812. Hotho 1823, 59. 95 diese Weise der Anschauung eine Gestaltbildung kennen, die immerhin „sich nicht einförmig wiederholt, sondern die Glieder verschieden läßt, aber sie dennoch in eine Einheit bringt“.400 Wenn aber das „Ganze“, die äußerliche Einheit der Glieder und das beseelende Zentrum zur Vorstellung kommen soll, so könnte es „nur als Begriff, als Gedachtes in dieser Sphäre uns zum Bewußtsein kommen, denn im Natürlichen kann sich die Seele als solche nicht erkennbar machen, da sie noch nicht für sich ist, soll sie für uns werden, kann sie es nur durch den Begriff“.401 Was daher die Frage anbelangt, inwiefern eine solche durch Seh- und Erfahrungsgewohnheiten vermittelte Einheit das Prädikat „schön“ rechtfertigt, so muß auch diese - im Sinne Hegels - negativ beantwortet werden. Hegel kritisiert, daß man in diesem Falle der Einheitsstiftung nicht sagen könne, daß wir uns dabei „zum Gegenstand als einem Schönen verhalten, sondern wir werden sagen, die Betrachtung sei schön“402. Dennoch glaubt der Naturbetrachter oder -wissenschaftler, der Gegenstand seiner Betrachtung sei schön. 4.2.4 Sinnvolle Anschauung An dieser Stelle steht Hegel erneut vor dem Problem, daß nur über das Denken ein Zugang zum „subjectum“, d.h. dem Einheitsprinzip der organischen Gliederung gefunden werden kann. Diese Möglichkeit hat er aber bereits vorher verworfen, weil das Naturschöne, soll es als Vorbild für das Kunstschöne dienen können, nicht über das Denken, sondern über Anschauung Natur als schöne Natur erschließen muß. Damit die Anschauung nicht auf Begriffe zurückgreifen muß, bleibt für Hegel vorläufig nur der Weg offen, „daß wir eine sinnvolle Anschauung eines Naturgebildes erhalten“403. Darunter versteht er die Verschränkung von rezeptiver sinnlicher Auffassung und begrifflicher Bedeutung: Das „eine ist die Sache als Unmittelbares, das andere der Gedanke der Sache“404. Einerseits ist eine „sinnvolle Naturbetrachtung“ demnach sinnlich-anschaulich, andererseits an Begriffe geknüpft. Der Kunstgriff dieses Konzepts besteht darin, daß der Begriff nicht 400 401 402 403 404 96 Hotho 1823, 58. Hotho 1823, 59. Hotho 1823, 59. Hotho 1823, 59. Hotho 1823, 60. als solcher, sondern nur als Ahnung „ins Bewußtsein kommt“. Hegel zufolge „ahnt man einen inneren Zusammenhang, der keine bloß äußerliche Zweckmäßigkeit ist, sondern ein solcher, der die Ahnung gibt, daß er ein Begriffsmäßiges, Wesentliches sei (...) eine äußere Verschiedenheit, die eine innere Notwendigkeit habe (...) [so] daß ein innerer Zusammenhang heimlich durchleuchtet“405. Als Beispiel für eine solche Naturbetrachtung erwähnt Hegel Johann Wolfgang von Goethes naturwissenschaftliche Abhandlung Versuch die Metamorphose der Pflanzen zu erklären406, in der die Metamorphose von den ersten Samenblättern bis zur Fortpflanzung auf einer „geistigen Leiter“ hinaufsteige. Goethe habe damit, so Hegel, seine Naturbetrachtung „naiverweise“ sinnlich, aber zugleich mit der „Ahnung eines begriffsmäßigen Zusammenhangs“407 betrieben. Was die Frage anbelangt, inwiefern aus einer Betrachterperspektive und einer damit verknüpften Erwartungshaltung heraus Naturgestalten als „schön“ erscheinen können, gibt Hegel die Antwort: insofern man in ihnen eine „Notwendigkeit des Begriffs ahnen“ könne, mit der Einschränkung aber, daß es weiter „als bis zu dieser Ahnung“ bei der „Kunstbetrachtung der natürlichen Gebilde“408 nicht gehen kann. Der innere Zusammenhang, der auf diese Weise erahnt wird, muß aber, da er nur erahnt ist, unbestimmt bleiben; die „bloß innere Einheit“409 kann nicht erkannt werden. Hegel stellt nun ausdrücklich klar, daß der Mensch diese als „Einheit der Glieder“ erahnte Lebendigkeit als Form-Materie-Einheit410, als spezifische Identität von ideeller Form und Materie, schön „nennen“ kann. Nicht nur das organisch Lebendige erscheint einem Betrachter als schön, sondern bereits der unorganische Kristall „verwundert“ durch seine „regelmäßige Gestalt“. Zwar verfügt der natürliche Kristall über keine organische Gliederung, gleichwohl ist er „durch nichts Mechanisches äußerlich so geworden“, sondern er ist so geformt, „daß diese Form der Materie angehört, es ist die freie Kraft der Materie, die sich so formt; sie 405 406 407 408 409 410 Hotho 1823, 60. Johann Wolfgang von Goethe: Versuch die Metamorphose der Pflanzen zu erklären, Gotha 1790, Einleitung § 6, 3. Hotho 1823, 60. Hotho 1823, 61. Hotho 1823, 61. Die Glieder des Organismus haben „einen beseelten Zusammenhang, die Materie ist mit ihm identisch, die Form wohnt der Materie in[ne], ist die eigentliche Natur dieses Materiellen. Dies ist die Bestimmung der Schönheit überhaupt“ (Hotho 1823, 61). 97 selbst betätigt sich, ist aktiv, nicht passiv“.411 Noch schöner ist freilich das organisch Lebendige, „überhaupt alles, was die freie innere Regsamkeit ankündet“, wiewohl auch diese Schönheit noch unbestimmt bleibt. Jedenfalls ergibt sich aus dieser Form des Naturvollzugs mit der damit verbundenen Erwartungshaltung die Möglichkeit, einen „Unterschied in der Lebendigkeit“ feststellen zu können. Auch hier kommen Sehgewohnheiten zum Tragen, die sich im Verbund mit dem Vorgang des Ahnens zur Habitualisierung bestimmter Seh-Vorstellungen verfestigen. So kann ein Betrachter eine feste „Vorstellung“ dessen in sich haben, „nach welcher wir ein Lebendiges nicht schön finden“. Eine solche Vorstellung kann beispielsweise die „Regsamkeit“ eines lebendigen Organismus zum Maßstab der ästhetischen Beurteilung erheben, was „schön“ bzw. „nicht schön“ sei. Eine solche nur auf Gewohnheit und auf der Ahnung einer freien inneren Regsamkeit beruhende Vorstellung kann dann aber zu der problematischen Konsequenz führen, etwa das Faultier nur wegen seiner beobachtbaren Langsamkeit als unschön zu betrachten. Übergangsformen bzw. „Zwittergeschöpfe“ zwischen verschiedenen Tierarten, wie z.B. das Schnabeltier als „Gemisch von Vogel und vierfüßigem Tier“412, werden einem Betrachter ebenfalls als unschön vorkommen. Einesteils liegt dies an dem bereits erwähnten Vorgang der Gewöhnung, anderenteils an der bloßen Ahnung einer notwendigen Gestaltbildung, in der eine „innere Zweckmäßigkeit stattfinde, so daß solche Vermischungen unserem Sinn fremdartig vorkommen und als ein Unschönes erscheinen“413. Für eine eindeutige (notwendige) ästhetische Beurteilung reicht also auch die „sinnvolle Anschauung“ nicht zu - was sie müßte, sollte die ästhetische Naturanschauung, die Erfahrung der Naturschönheit, die Grundlage und das Prinzip der Kunst-Gestaltung vorgeben. In der Kunst fallen Vollzug und Vollzugsresultat zusammen, weil Produktion und Rezeption des Werks im gelingenden intersubjektiven NachVollzug einer Handlungsgemeinschaft oder eines Mitglieds dieser Gemeinschaft in der (Selbst-)Anschauung des Kunstwerks miteinander verknüpft sind. Bei der ästhetischen Naturbetrachtung führt die unvermittelte 411 412 413 98 Hotho 1823, 61. Hotho 1823, 62. Hotho 1823, 62. Beziehung zwischen dem Subjekt (Vollzug) und Objekt (Vollzugsresultat) der Naturbetrachtung zu einem „Objektivismus“ der Gegenstände des Naturvollzuges, die mit objektiven „schönen“ oder „häßlichen“ Eigenschaften ausgestattet sind414, statt als Auffassungsweise des Natürlich-Objektiven durchschaut zu werden. 4.2.5 Abstrakte Form und abstrakter Stoff Analog zu den bereits beschriebenen Zuschreibungen qua Ahnung und Wahrnehmungsgewohnheiten untersucht Hegel einen weiteren Naturvollzug, der bestimmte äußerliche - in ihrer Einseitigkeit aber - abstrakte Aspekte bei der Naturbetrachtung übergewichtet. Auch hier kann die Art des Naturvollzuges dazu führen, das Schöne als objektiv Gegebenes anzusehen, denn die einseitigen Aspekte werden als objektive Eigenschaften der wahrgenommenen Naturphänomene ausgegeben. Die unreflektiert wirksamen Voraussetzungen des jeweiligen Naturvollzuges, die Hegel analysiert, sind spezifische Sehgewohnheiten bzw. Seherwartungen, die am betrachteten Naturgegenstand (Tier, Blume, Baum, Mineral usw.) einseitig (abstrakt) bestimmte Gegenstandsqualitäten hervorheben. Hier werden nicht Teile oder Gestalttypen zur Grundlage der Bestimmung des Naturphänomens genommen, sondern ihm werden metaphorische Eigenschaften eines intentional handelnden Subjekts zugeschrieben. So lassen sich beispielsweise einem Tier Eigenschaften wie „Stärke“ oder „List“ zuschreiben. Der Grund dieser Zuschreibungen verdankt sich in diesen Beispielen sowohl der Vorstellung eines Naturbetrachters als auch einer 414 F. Iannelli hat in ihrer Dissertation gezeigt, daß Hegel das Schöne wie Häßliche nicht als objektive Eigenschaften der Naturphänomene auffaßt, sondern für den Bereich der Kunst reserviert: „Folglich wird bei Hegel das Häßliche als mögliche Darstellungsweise der Kunst und nicht als rein natürliches Phänomen analysiert. Hegel interessiert sich für die Häßlichkeit in der Natur nur im Rahmen seiner Darstellung des Charakteristischen, wo z. B. im Portrait Unschönes mit aufgezeichnet wird. So kann in das Portrait natürlich Häßliches eingehen, wird in diesem Fall aber nicht als natürlich, sondern als Kunst zu betrachten sein. Hotho hingegen faßt das Naturschöne als das zweite Moment der Dialektik der Idee des Schönen (die Objektivierung der Idee des Schönen) und läßt in seinem ästhetischen System das Phänomen des Häßlichen in der Natur zu. Die Natur kann sich in ihrer Schönheit, aber auch in ihrer Häßlichkeit zeigen, bemerkt Hotho. Dies ist möglich, weil das Naturschöne sich einer ‚bewußtlose[n] Tätigkeit der Idee des Schönen’ verdankt. Wenn die Natur also in der Tat schön ist, ist sie es dennoch in einer noch völlig unbewußten Weise, weil sie sich als solche weder weiß noch will. Die Häßlichkeit ist ebenso nicht gewußt und intendiert, sondern zufällig.“ (F. Iannelli: Das Siegel der Moderne, 194 f). - Im Gegensatz zu Hegel konzipiert also dessen Schüler H.G. Hotho das Schöne und Häßliche als Makel und damit als Eigenschaft der Natur. Vgl. hierzu Immanuel Hegel 1833, 39ff; zusammenfassend sagt Hotho in dieser Passage: „Daher die Natur ebenso schön als häßlich ist“ (Immanuel Hegel 1833, 40; Hervorhebung vom Verf.). 99 einseitigen Betonung eines Aspekts „des Tierlebens“: „Ebenso nennen wir ein Tier schön als Stärke habend, als listig. Diese Ausdrücke sind dann ebenfalls Bestimmungen, die teils unserer Vorstellung angehören, teils nur eine Seite des Tierlebens darstellen“415. Dadurch zeigt uns das Tier „den trüben Schein einer Seele nur in besonderem Charakter“416. Es kommt daher nur eine je besondere Eigenschaft, nicht aber das „Ganze“ der beseelenden Innerlichkeit zum Ausdruck. Zwar belebt die erahnte Beseelung die gesamte Gestalt und zeigt sich im Habitus, „in der Idealisierung der Teile“. Allerdings kann sich diese Idealität keinen eigenständigen Ausdruck ihrer selbst verschaffen417, sie ist Hegel zufolge noch nicht die konkrete „Einheit ihres Seins und ihrer Manifestation“418, d.h. die äußere Gestalt als Form ist nicht frei gesetzter Ausdruck ihrer Bedeutung.419 Diese Einheit tritt daher für einen Naturbetrachter als abstrakte „äußerliche Einheit“ in Erscheinung420, d.h. als Einseitigkeiten, die unvermittelt in Form und Stoff auseinanderfallen. Innen und Außen, Begriff und Realität bleiben zwei unvermittelte „Seiten“ des Naturphänomens. Beide Aspekte fallen somit lediglich in die „äußerliche Seite des Schönen“421 und lassen sich isolieren422, und zwar ebenso an Naturgestalten, wie an Kunstwerken. Analog zur Kritik an der Bedeutung der abstrakten Form und des abstrakten Stoffs für die Naturbeurteilung entwickelt Hegel denselben Gedanken auch für die Betrachtung bzw. den Gewinn von Beurteilungskriterien für die Kunst. Auch hier kann der menschliche Verstand am Kunstwerk äußere, an Materialität und Sinnlichkeit geknüpfte Gestalt einerseits und immaterielle Bedeutung andererseits trennen. Ein solches „Verstandesdenken“ bestimmt die isolierte Äußerlichkeit in ihrer Sinnlichkeit und Materialität im Unterschied zur Bedeutung, zergliedert sie in weitere 415 416 417 418 419 420 421 422 100 Hotho 1823, 62. Ebd. „Diese Manifestation hat das Tier nicht, sondern seine Seele ist nur der Hauch, der das Ganze belebt, zeigt sich im habitus, in der Idealisierung der Teile; diese Idealität aber erscheint noch nicht frei für sich“ (Hotho 1823, 63). Hotho 1823, 63. „Erst das Bewußtsein ist das Ich, das für das Ich ist: der Begriff, der sich gegenübertritt, für sich ist, und so sich auch für Andere manifestiert“ (Hotho 1823, 63). „Aber im Naturschönen erscheint die Seele nur abstrakt. Die abstrakte Erscheinung (…) ist eine Erscheinung, ein Dasein, das ein bestimmtes ist und dessen Einheit selbst aber nur unbestimmt ist, nur die äußerliche Einheit, abstrakt“ (ebd.). Pfordten 1826, 82 (Hervorhebung: K.B.). „So haben wir einerseits hier die Seite der Form – der Begriff als bloß abstrakter – und andererseits die Seite des sinnlichen Stoffs. Beide Seiten unterscheiden sich, fallen auseinander; oder es sind zwei Gesichtspunkte, die wir hier zu betrachten haben“ (Hotho 1823, 64). Teil-Bestimmungen und untersucht äußerliche Attribute des Materials und der Gestalt qua materialer Gestalt (wie beispielsweise Proportionen und Maßverhältnisse oder Farb- und Klangharmonien). Der Verstand bleibt dann bei der „festen Bestimmtheit und der Unterschiedenheit derselben gegen andere stehen“ und betrachtet zudem „ein solches beschränktes Abstraktes“ als „für sich bestehend und seiend“423. Wenn „Schönheit“ aber lediglich an den genannten abstrakten Einseitigkeiten − an dieser Stelle sei vorausgeschickt: bestimmter mathematisch analysierbarer Maßverhältnisse und/oder angenehm auf die Empfindung wirkender sinnlicher Einheiten − festgemacht wird, dann wird der Begriff der Schönheit zu einer abstrakten Einheit, die „ohne lebendigen Inhalt“424 bleibt.425 Auch in der Ästhetikvorlesung von 1820/21 entwickelt Hegel diesen Gedanken, daß die „beiden Ingredienzien des Schönen, Begriff und Realität, für sich abstract“ seien und daß sie „so isoliert auch im Kunstwerk vorkommen, aber nur als abstracte, elementarische Seiten desselben, die seine Natur nicht erschöpfen, auf die aber auch reflectirt werden muß“426. Wie auch sonst betont Hegel, daß solche Einseitigkeiten nicht per se zu kritisieren sind, sondern nur dann, wenn diese bereits als das „Ganze“ einer Sache aufgefaßt werden. Der Begriff „isoliert für sich“ sei die „Regelmäßigkeit“, die Realität bzw. das Sinnliche „isoliert für sich“ das „Angenehme“. In der von Hotho mitgeschriebenen Vorlesung im Jahre 1823 und den Vorlesungen von 1826 und 1828/29 greift Hegel dann zwar nicht mehr auf den Ausdruck „Angenehmes“ zurück, doch der Sache nach verweisen häufige Wendungen wie: „das Gefällige und Ansprechende“, „erfreulich“427, „empfindet man die Wirkung“428, „befriedigender Anblick“429 oder „wohlklingende“ Vokale430 423 424 425 426 427 428 429 In der Enzyklopädie unterscheidet Hegel bekanntlich „drei Seiten“ des Logischen, nämlich das abstrakte Verstandesdenken sowie die dialektische und die spekulative Vernunft. Zum Verstandesdenken heißt es: „Das Denken als Verstand bleibt bei der festen Bestimmtheit und der Unterschiedenheit derselben gegen andere stehen; ein solches beschränktes Abstractes gilt ihm als für sich bestehend und seyend“ (Enz 1830, § 80). Pfordten 1826, 79. Hegel macht an dieser Stelle daher ausdrücklich klar, daß man im Hinblick auf diese beiden abstrakten Einseitigkeiten zwar umgangssprachlich von „Schönheit“ sprechen kann, daß eine solche Ausdrucksweise aber strenggenommen eine uneigentliche Rede, ein unrichtiger Gebrauch dieses Terminus ist – heute würde man wohl von einem Kategorienfehler sprechen: „Bei beiden kann man von Schönheit sprechen, aber der Ausdruck Schönheit ist dann eigentlich nicht richtig gebraucht“ (Hotho 1823, 64). Ascheberg 1820/21, 57. Hotho 1823, 72. Pfordten 1826, 82. Kehler 1826, 43. 101 ebenfalls auf diesen Aspekt des „Angenehmen“ (im Sinne der Kantischen Kritik der Urteilskraft)431. In den Vorlesungen von 1826 und 1828/29 prüft Hegel dann sowohl die Bedeutung der Regelmäßigkeit als auch die des „Angenehmen“ nur noch im Hinblick auf Kunstwerke. In diesem Zusammenhang diskutiert er die Bedeutung der abstrakten Form und des abstrakten Stoffs im Kontext der Behandlung des Kunstschönen in seiner Objektivität, deren erste „wesentliche Seite“ „der formelle Begriff ohne lebendigen Inhalt“, d.h. die „Einheit überhaupt“ ist. Regelmäßigkeit wird nun als „die abstrakte Einheit von Mannigfaltigkeit“ bezeichnet, und das 1820/21 und 1823 als „Angenehmes“ Bestimmte wird nunmehr als „Einheit als Einfachheit“432 bestimmt. 1828/29 betont Hegel dann ausdrücklich, daß die Regelmäßigkeit als die „Form der Äußerlichkeit am Kunstwerk“ und damit als „das Abstrakte an demselben (…) sich von der Ganzheit des Kunstwerks in sich“ unterscheidet und diese Äußerlichkeit dementsprechend „mit dem Kunstwerk als lebendigem vereint sein“ muß.433 Die Regelmäßigkeit sei lediglich „das Regulativ, die abstrakte Bestimmung der Einheit“, und zwar „zum schnellen Übersehen“.434 Das Angenehme bezeichnet Hegel als „Beziehung auf sich“, als die „Einheit des Äußerlichen, z.B. eine einzelne Farbe in sich“435. Wie weit dadurch die Tragweite der ästhetischen Naturerfahrung in ihrer „Urbildlichkeit“ für die Konstitution des (dann über die Nachahmung gewonnenen) Kunstschönen weiter eingeschränkt wird, zeigt sich in den weiteren Bestimmungen der abstrakten Form und des abstrakten Stoffs in den Ästhetikvorlesungen. 4.2.5.1 Die abstrakte Form Bei der Regelmäßigkeit handelt es sich um eine Einheit von Mannigfaltigem, das „auseinanderfallend“ ist und qua Gleichheit nur äußerlich zusammengehalten werden kann. Gleichheit stellt für Hegel aber lediglich eine Identität des Unterschiede unvermittelt fixierenden Verstandes dar, nicht hingegen der Unterschiede synthetisierenden Vernunft. Insofern hat 430 431 432 433 434 435 102 Libelt 1828/29, Ms. 45 [90]. Vgl. KU, § 3. Pfordten 1826, 79f. Libelt 1828/29, Ms. 44 [87]. Libelt 1828/29, Ms. 44a [88]. Libelt 1828/29, Ms. 45 [89]. Gleichheit als Identität des Verstandes „nichts Speculatives in sich, sie ist die Wiederholung eines und desselben“436, sie ist als Regelmäßigkeit die „Einheit der äußerlichen Bestimmungen“437. In der Ästhetikvorlesung von 1823 bezeichnet Hegel die abstrakte Form allgemein als „Regelmäßigkeit überhaupt“ oder als Symmetrie. Er unterscheidet drei Formen: Die Regelmäßigkeit ist abstrakte „Gleichheit, Wiederholung derselben Gestaltung“, in anderen Worten serielle Einheit; die Symmetrie ist „abstrakte Wiederholung ungleicher Gestaltungen“438 bzw. „Ungleichheit in der Gleichheit“439 – wobei der Unterschied zwischen beiden Formen von Hegel als „von keiner großen Wesentlichkeit“ eingestuft wird −; die Gesetzmäßigkeit ist ein „abstrakt innerer Zusammenhang“440. Jeweils werden zahlreiche Beispiele sowohl für Naturphänomene als auch für Kunstwerke genannt, in denen diese Formen zu finden sind. Beispiele für Regelmäßigkeit und Symmetrie sind in der Geometrie die gerade Linie und der Kubus, in der unorganischen Natur die Mineralien und das Sonnensystem, in der organischen Natur die Pflanze, der animalische und der menschliche Organismus. Je „höher“ die lebendige Stufe der Natur ist, desto unbedeutender sind Regelmäßigkeit und Symmetrie. Sie finden sich stets da, wo „das Objektive überhaupt seiner Bestimmung nach das sich selbst Äußerliche ist, wo die Gegenstände die Seite der Äußerlichkeit als solche ausmachen“441. Da Natur überhaupt äußerliches Sein ist, herrscht die Regelmäßigkeit insbesondere da vor, wo Äußerlichkeit das Dominierende ist. Das betrifft Mineralien entsprechend mehr als die Pflanze, die schon gegliedert, damit ‚innerlicher’ ist. Aber ihr unaufhörliches Wachstum und Reproduzieren nach Außen, dessen Streben zum Licht als seiner „Seele“ bleibt im bloß Äußerlichen befangen und damit überwiegend an die Regelmäßigkeit als „Einheit in der Äußerlichkeit“442 gebunden. Der animalische Organismus ist in einen „inneren“ (Leber, Herz, Hirn usw.) und „äußeren“ Organismus (Sinnesorgane, Arme und Beine) verdoppelt. Der innere Organismus enthält die lebensnotwendigen Organe und weist daher 436 437 438 439 440 441 442 Ascheberg 1820/21, 58. Ascheberg 1820/21, 61. Hotho 1823, 64. Hotho 1823, 68. Hotho 1823, 68. Hotho 1823, 65. Hotho 1823, 66. 103 qua Lebendigkeit und Innerlichkeit keine Regelmäßigkeit auf; nur im äußeren Organismus findet sich diese. Beispiele aus der Kunst erörtert Hegel am Gedicht („Gleichförmigkeit des Tons“), am Drama (gleiche Länge des Akts), in der Architektur, der Musik und der Poesie. Insbesondere die Architektur ist durch Regelmäßigkeit geprägt, weil sie „die Kunst der Äußerlichkeit ist und in ihr die unmittelbare Äußerlichkeit, die unorganische Natur, um das Seelenvolle umhergestellt wird“443. Das „Seelenvolle“ ist die geistige Naturgestalt des lebendigen Gottes in der Skulptur; der griechische Tempel ist die Umschließung des Gottes, wie schon die ägyptische Pyramide die Umhüllung des toten Geistes des verstorbenen Pharao. Hegel spricht aber sehr deutlich aus, daß dann, wenn die Regelmäßigkeit in der Kunst Überhand vor dem dargestellten Gehalt (Bedeutung) gewinnt, dieses unlebendig wirken muß: „Was nun die Kunstwerke betrifft, so hat auch in ihnen die Regelmäßigkeit einen Platz. Will sie an die Stelle der lebendigen Seele treten, so wird das Kunstwerk tot“444. Im Gegensatz zu den Formen der Regelmäßigkeit und Symmetrie bezeichnet die Gesetzmäßigkeit schon den Übergang „zu der Freiheit des Lebendigen überhaupt“, ohne allerdings „die Freiheit des Subjektiven“ und ohne bereits „subjektive, geistige Einheit“, sondern statt dessen „noch verständig“ zu sein.445 Sie ist zwar eine für die Anschauung nicht offen zu Tage liegende Einheit, sondern nur ein „verborgener Zusammenhang“. Aber sie kann indirekt durch die Vollzugsformen der Gewohnheit und teilweise der Ahnung zur Anschauung kommen. So ist ein möglicher Betrachter von Gemälden aufgrund habitualisierter Seherfahrungen so sehr an die Präsenz der Grundfarben „gewohnt“, daß er darin „eine Befriedigung“446 findet. Fehlt eine der Grundfarben, kann diese „Befriedigung“ ausbleiben. Gesetzmäßigkeit ist somit für Hegel eine Einheit, in der die unterscheidbaren „Teile eine verschiedene Bestimmtheit zeigen, diese Verschiedenheiten aber ihren Grund in der einen Bestimmtheit des Gesetzes haben (...), die keine bloß regelmäßige Wiederholung der einen Bestimmtheit ist“447. So sind die einzelnen Farben je verschieden bestimmt, haben aber ihren Grund in der „Totalität“ der 443 444 445 446 447 104 Hotho 1823, 68. Hotho 1823, 67. Hotho 1823, 68. Hotho 1823, 69. Hotho 1823, 69. Grundfarben als ihrer Gesetzmäßigkeit und sind nicht lediglich eine Wiederholung der einen Bestimmtheit dieser Grundfarben, da es eine große Anzahl von Mischfarben geben kann. Zwar „muß [sie] allem zugrunde liegen, ist das Substantielle; aber ihr fehlt noch die höhere Freiheit der Subjektivität“448. Die Seite der abstrakten Form findet somit am Gesetz „ihre Grenze und geht schon der freien Subjektivität zu“449. 4.2.5.2 Der abstrakte Stoff Als zweite Einseitigkeit kann sich die abstrakte äußerliche Einheit einem Betrachter als „sinnliche[r] Stoff in seiner abstrakten Einheit“450 präsentieren, und zwar als ein „bloßes Zusammenstimmen zu dem Sinnlichen der Empfindung“451, was dann als angenehm empfunden werden kann. Das Äußerliche ist hierbei – wie Hegel 1826 formuliert – „Einheit als Einfachheit – aber (…) Einfachheit einer besonderen reellen Seite“452, und es „drückt die Beziehung auf sich aus, die Einheit des Äußerlichen“453, wie es dann in der Vorlesung von 1828/29 heißt. Hegel denkt hierbei zum einen an die Einheit von sinnlichen Extremen, wie etwa die „für unser Auge angenehme Zusammenstimmung“ der beiden reinen unterschiedlichen Farben blau und gelb zur Mischfarbe grün, „wo die Uebergänge in einander fließen, wo die einzelnen Theile sich nicht hart in ihren Unterschieden fest halten“454. Zum anderen diskutiert Hegel aber auch das „Reine“, bei dem das Sinnliche ganz abstrakt gesetzt wird, und zwar als Übereinstimmung mit sich selbst. So kann und muß beispielsweise eine Farbe auch „rein für sich seyn, mit sich übereinstimmen, wie das reine Blau, Gelb ETC.“455. Was einen Betrachter „erfreut“, was hier ein „unendlich Gefällige[s] und Ansprechende[s]“456 sein kann, was also als schön empfunden werden kann, sind beispielsweise „rein gezogene gerade Linien oder Wellenlinien“, „die Reinheit des Himmelsblaus oder [das] reine Sonnenlicht“, ein „spiegelheller See, die Meeresglätte“, „der reine Klang der Stimme“ sowie „reine Farben“ 448 449 450 451 452 453 454 455 456 Hotho 1823, 69f. Hotho 1823, 71. Hotho 1823, 64. Ascheberg 1820/21, 63. Pfordten 1826, 80. Libelt 1828/29, Ms. 45[89]. Ascheberg 1820/21, 63. Ascheberg 1820/21, 64. Hotho 1823, 72. 105 und „reine Töne“. Hegel verwendet in diesem Zusammenhang tatsächlich den Ausdruck „Schönheit“, wenn er beispielsweise in der Vorlesung von 1826 seinen Zuhörern mitteilt, die „Schönheit der Farbe“, sei „ihre Einfachheit, Reinheit, so das Rosenrot“457. Bei beiden abstrakten Einseitigkeiten geht es demnach jeweils um eine spezifische Einheit im sinnlich wahrnehmbaren Äußerlichen der Naturphänomene oder Kunstwerke, die von einem Betrachter aus der erscheinenden Wirklichkeit isoliert werden können. Die solcherweise isolierten äußerlichen Aspekte der Natur wie Kunst bleiben abstrakt, weil sie aus ihrem Bestimmungszusammenhang gelöst und in ihrer unvermittelten Äußerlichkeit festgehalten werden. Sowohl der abstrakte Inhalt als auch der abstrakte Begriff sind und bleiben „unlebendig und unwirklich“458. 4.2.6 Fazit Das Ergebnis der bisherigen Analysen läßt sich in drei Thesen zusammenfassen. Erstens zeigt sich, daß das analysierte „Naturschöne“, insofern Naturphänomene als „schöne Natur“ angeschaut werden, jeweils ein bereits Vermitteltes ist. Zweitens kann das Naturschöne daher jeweils nicht als bloße Gegebenheit aufgegriffen werden, weil es dann noch nicht eine Erscheinung des „Geistes“ (i. S. der „ästhetischen und mythologischen“ Vermittlung der Idee) im Kunstwerk ist, in dem die Natur „bis zu der Grenze“ zurückgeführt werden kann und muß, wo sie „Manifestation der geistigen Freiheit“459 wird. Drittens können bestimmte Seh- und Rezeptionsgewohnheiten zu einer „zweiten Natur“ auf der Ebene des subjektiven Vollzugs führen, so daß das ästhetisch Erfahrene wie eine „objektiv“ vorliegende Natur mit Gestaltqualitäten aufgefaßt wird. Insofern ist das Naturschöne Ergebnis eines produktiven Vollzugs, da in das Sehen bzw. in die Anschauung kulturell vermittelte Inhalte als formende Voraussetzung integriert sind, damit die Anschauung gleichsam „bilden“. Diese „Bildung“ oder „Formung“ der Anschauung ließ sich in Anlehnung an Hegels Konzept einer „gebildete[n] Empfindung“460 und in Anknüpfung an Hegels Konzept 457 458 459 460 106 Pfordten 1826, 82. Hotho 1823, 73. Hotho 1823, 82. Enz 1830, § 447. des Anschauen[s]“461 „erkennenden beschreiben. Die Schönheit der als Natur „gebildete resultiert Anschauung“ hier aus dem Betrachterstandpunkt, da nicht die Natur für einen Nachvollzug eigens gestaltet und dargestellt, sondern der Vollzug, konkret die Betrachtung oder Anschauung gestaltet ist. Diese Gestaltung der Anschauung ist analog zum Kunstwerk nur möglich und verständlich vor dem Hintergrund einer spezifisch entwickelten Kultur, die ein Hintergrundwissen bereitstellt in Form moralischer und religiöser Überzeugungen, Naturverhältnissen und Naturnutzungsweisen, Technik und Wissenschaft, ästhetischen Sehgewohnheiten und Bildern, der Gesamtheit der Praxis- und Erkenntnisformen, kurz: das Ensemble aller Möglichkeiten geistiger Erfassung der Wirklichkeit, mit Hegel: der „Idee“. Insofern basiert die Naturschönheit im Rahmen der - metaphorisch gefaßten - „schönen Betrachtung“462 der Natur „wesentlich auf der vom Betrachter an die Natur herangetragenen Erwartungshaltung“463, während diese sich wiederum dem allgemeinen kulturellen Hintergrund verdankt. Da für den ‚naiven’ Naturbetrachter wie den Wissenschaftler die einzelnen integrierten Voraussetzungen, die unmittelbar „in Einem einfachen Act“464 des Sehens „vereint“ sind, theoretisch nicht genau unterschieden werden können, bleibt das solcherweise konstituierte Naturschöne letztlich „unbestimmt“465. Im Gegensatz zu Kant kann für Hegel das Naturschöne demnach nur dann ein „Symbol der Sittlichkeit“ sein, wenn es im Kunstwerk vermittelt oder analog zu Kunstvollzügen mit „gebildeter Anschauung“ betrachtet und wahrgenommen wird. Auch wenn das Naturschöne angesichts dieser Ergebnisse im Vergleich zum Kunstschönen in der Begründung der Ästhetik eine nur marginale Rolle spielen kann, gewinnt es im Kontext der Kunstbetrachtung seine eigene Relevanz. Denn die Natur- und Landschaftsbetrachtung beruht auf einem historisch und kulturell situierten 461 462 463 464 465 „Die w a h r e B e f r i e d i g u n g aber, gibt man zu, gewähre nur ein von Verstand und Geist durchdrungenes Anschauen, vernünftiges Vorstellen, von Vernunft durchdrungene, Ideen darstellende Produktionen der Phantasie usf., d.i. e r k e n n e n d e s Anschauen, Vorstellen usf.“ (Enz 1830, § 445). Hotho 1823, 58. Heinz Paetzold, Ästhetik des deutschen Idealismus, Wiesbaden 1983, 209f. Enz 1830, § 410. „Doch so viel auch von den Naturschönheiten die Rede ist, so hat doch Niemand eine systematische Beschreibung der Naturschönheiten zu machen gewagt. Einzelne Gesichtspunkte hat man da herausgehoben, wie den der Nützlichkeit (materia medica). Wir sind bei den Naturschönheiten zu sehr im Unbestimmten“ (Libelt 1828/29, Ms.1). 107 Naturverhältnis, das nicht „falsch“ oder „richtig“ sein kann, da es dem „Zeitgeist“ und damit dem Gesamt aktueller Praxis-, Lebens- und Wissensformen entspricht, das erst im Nachhinein466 bestenfalls als angemessen oder unangemessen bewertet werden kann, und zwar im Hinblick auf nachträglich identifizierte Probleme oder Herausforderungen einer Kultur. Die Philosophie hat die Aufgabe, diese Naturverhältnisse aufzudecken und damit zu einer Selbstaufklärung des Menschen über sein gegenwärtiges Verhältnis zur Natur beizutragen, ohne in Belehrung zu verfallen. Hegels Philosophie der Kunst zeigt demnach, daß das „Naturschöne“ Naturvollzüge und Naturverhältnisse indiziert, die vorrangig in Kunstwerken, aber auch im Medium einer „gestalteten“ (kulturell „vorbereiteten“467) Naturbetrachtung aufscheinen können. Exkurs: Hegels Kritik ästhetischer Kriterien im Kontext der Ästhetikentwicklung Die beschriebenen Möglichkeiten, Natur- und Kunstphänomene auf eine abstrakte Betrachterperspektive zu reduzieren, sind wesentliche Elemente der abendländischen Ästhetik- und Kunsttheorie. Die Geschichte der Theorien, die „Schönheit“ in Natur und Kunst auf eine Maß- und in Konsequenz dessen auf eine Regelästhetik reduzieren, ist lang und verwickelt. Immer wieder wurde Schönheit verstanden als auf Harmonie basierendes Schönes im Rahmen einer „Ästhetik des Maßes, der Symmetrie und der Proportion“468. Diese Geschichte469 ist im Prinzip geprägt durch eine Konzentration auf eine 466 467 468 469 108 Das ist mit der berühmten Metapher der „Eule der Minerva“ in der Vorrede zu den „Grundlinien zur Philosophie des Rechts“ gemeint, die erst „mit der einbrechenden Dämmerung“ ihren Flug beginnt: „Um noch über das Belehren, wie die Welt sein soll, ein Wort zu sagen, so kommt dazu ohnehin die Philosophie immer zu spät. Als der Gedanke der Welt erscheint sie erst in der Zeit, nachdem die Wirklichkeit ihren Bildungsprozeß vollendet und sich fertig gemacht hat. Dies, was der Begriff lehrt, zeigt notwendig ebenso die Geschichte, daß erst in der Reife der Wirklichkeit das Ideale dem Realen gegenüber erscheint und jenes sich dieselbe Welt, in ihrer Substanz erfaßt, in Gestalt eines intellektuellen Reichs erbaut. Wenn die Philosophie ihr Grau in Grau malt, dann ist eine Gestalt des Lebens alt geworden, und mit Grau in Grau läßt sie sich nicht verjüngen, sondern nur erkennen; die Eule der Minerva beginnt erst mit der einbrechenden Dämmerung ihren Flug“ (Philosophische Bibliothek, Felix Meiner Verlag, Bd. 483, Hamburg 51995, 17). Vgl. nochmals die Hinweise Kants zu den kulturellen Voraussetzungen eines Naturvollzuges am Beispiel der Erfahrung des Erhabenen: KU, § 29. Jörg Zimmermann: Zur Geschichte des ästhetischen Naturbegriffs, in: ders. (Hg.): Das Naturbild des Menschen, München 1982, 118-154; 120 (Hervorhebung im Original). Einige Hinweise mögen hier genügen: Ernesto Grassi: Die Theorie des Schönen in der Antike, Köln 1980; Wilhelm Perpeet: Antike Ästhetik, Freiburg/München 1988; Rosario Assunto: Die Theorie des Schönen im Mittelalter, Köln 1963; Wilhelm Perpeet: Ästhetik im Mittelalter, Freiburg/München 1977; Paul O. Kristeller: Humanismus und Renaissance II, München 1980; Wilhelm Perpeet: Das Kunstschöne. Sein Ursprung in der italienischen Renaissance, Freiburg/München 1987; Robert Zimmermann: Geschichte der Ästhetik als philosophische mathematisch zu erschließende Regelmäßigkeit bzw. Symmetrie. Gemeinsam ist diesen Theorien der „mathematisch präzisierte harmonikale Schönheitsbegriff [als] Auszeichnung des Regulären, Typischen, Konstanten gegenüber dem Abweichenden, Individuellen, Veränderlichen“470. Die Pythagoreer glaubten, in bestimmten Zahlen und Zahlenverhältnissen eine alles auszeichnende Harmonie als Urform alles Schönen entdeckt zu haben471. Platon korreliert im Philebos472 „Maßhaftigkeit“ (μετριότης) und Symmetrie (συμμετρία) mit Schönheit und Tugend. Im Mittelalter473 war „Schönheit“ ein Attribut des Seins. Alles, was ist, hatte den mittelalterlichen Theorien zufolge seinen Ursprung im Schöpfungsakt Gottes und damit teil an dessen Vollkommenheit und Schönheit. Gott ist der Weltbaumeister (Deus artifex), der die schöne Natur aus dem Nichts schafft (creatio ex nihilo) und jedem Ding, jeder Pflanze, jedem Tier, jedem Menschen dessen vorherbestimmten Platz in dieser Schöpfungsordnung zuweist. Gott als Baumeister hat das Universum nach Maß und Zahl geordnet.474 Die Theoretiker und Künstler der Renaissance bemühten sich dementsprechend, in den Naturerscheinungen mathematische Gesetzmäßigkeiten im Sinne harmonikaler Strukturen, etwa als „Zusammenstimmung (concinnitá) und Verhältnismäßigkeit (proporzionalitá) aller sichtbaren Qualitäten, der Formen und Farben“475, aufzufinden. Die in der Renaissance entwickelte Zentralperspektive erfaßt Natur und Welt in einem geometrischen Gitternetz, das vom Sehpunkt des Subjekts aus ein Beziehungsgefüge aus Raumstellen über alles Sichtbare ausbreitet. Auf diese Weise wird die dreidimensionale Raumillusion erzeugt und alles, was ist, wird nach mathematischen Gesetzen 470 471 472 473 474 475 Wissenschaft, Wien 1858 (Repr. New-York/London 1972); Jörg Zimmermann (Hg.): Das Naturbild des Menschen, München 1982; G. Pochat: Geschichte der Ästhetik und Kunsttheorie von der Antike bis zum 19. Jahrhundert, Köln 1986; Brigitte Scheer: Einführung in die philosophische Ästhetik, Darmstadt 1997; Gerhard Plumpe: Ästhetische Kommunikation der Moderne, Opladen 1993, Bd. 1: Von Kant bis Hegel; Norbert Schneider: Geschichte der Ästhetik von der Aufklärung bis zur Postmoderne, Stuttgart 1996; Jörg Zimmermann (Hg.): Ästhetik und Naturerfahrung, Stuttgart-Bad Cannstatt 1996. Jörg Zimmermann: Zur Geschichte des ästhetischen Naturbegriffs, 119f. Vgl. beispielsweise Hans Schavernoch: Die Harmonie der Sphären: die Geschichte der Idee des Welteneinklangs und der Seeleneinstimmung, Freiburg/Breisgau u.a. 1981; Bartel Leendert van der Waerden: Die Pythagoreer: religiöse Bruderschaft und Schule der Wissenschaft, Zürich u.a. 1979. Platon: Philebos, 64e. Vgl. insbesondere Rosario Assunto: Die Theorie des Schönen im Mittelalter, Köln 1963. Sehr schön läßt sich diese mittelalterliche Vorstellung Gottes als „Deus artifex“ in der bekannten Miniatur aus einer französischen Bibel betrachten, die in der Mitte des 13. Jahrhunderts entstand (Wien, Österreichische Nationalbibliothek. Cod. 2354, fol. IV). Michael Hauskeller: Was das Schöne sei: klassische Texte von Platon bis Adorno, München 1995, 104. 109 in dieses Raumgefüge eingeordnet. In der Philosophie des französischen Denkers René Descartes entspricht dem Sehpunkt als Fokus der Zentralperspektive das „cogito“ als Ursprung einer lückenlosen linearen Deduktionskette konstruierten Wissens. Damit verbunden ist die Selbstermächtigung des Menschen und dessen Herrschaft über die Natur sowie das rationalistische Ideal einer mathematisch konstruierten Schönheit und Ordnung. Alles Ungerade, Krumme, Unproportionierte, alles bloß Gewachsene und nicht rational Geplante widerspricht der „Absicht vernünftiger Menschen“476. Vernünftig und schön zugleich ist das mathematisch Konstruierte, das große geplante Ensemble geordneter Teile, das Gerade, das Ebene, das Lineare. Was das konkret bedeutet, läßt sich am französischen Barockgarten der damaligen Zeit ablesen: Hier gibt es einen vollständigen Triumph des menschlichen Geistes über die Natur, die geometrisch zu Hecken und zu in unterschiedlichsten Formen beschnittenen Bäumen zurechtgestutzt wurde. Ernst Haeckel hat in seinem bekannten Werk Kunstformen der Natur477 insbesondere die Radiärsymmetrien niederer Wirbelloser untersucht und beschrieben und den Weg bereitet für die neuerdings mit biologistischen Reduktionsansprüchen auftretende „Evolutionäre Ästhetik“478. Deren Vertreter glauben, die überall in der Natur und in der Kunst anzutreffenden mathematisch rekonstruierbaren Symmetrien, Proportionen und Maßverhältnisse aus natürlichen, evolutionär sich entwickelnden Strukturen und Prozessen herleiten und auf diese reduzieren zu können. So ist in der Geschichte der Philosophie und Kunsttheorie überall und immer „das Schöne auf Symmetrie zurückgeführt worden, auf ‚geometrische’ Regelmäßigkeit als gleichmäßige Abfolge desselben, auf Symmetrie (im engeren Sinne) als die spiegelbildliche Wiederholung von Gleichem und Ungleichem, auf Harmonie (Analogie, Proportion) als Übereinstimmung der Teile untereinander und mit dem ganzen nach einem mittleren Maß (vgl. den 476 477 478 110 René Descartes: Discours de la méthode. Übersetzt und herausgegeben von Lüder Gäbe. Französisch-Deutsch, Hamburg (Meiner) 1990 (Philosophische Bibliothek Band 261), 21. Ernst Haeckel: Kunstformen der Natur. Hundert Illustrationstafeln mit beschreibendem Text, allgemeine Erläuterung und systematische Übersicht. Mit einem Prolog von Jochen Martens. Neu gesetzte und überarb. Ausg. nach der Orig.-Ausg. Leipzig 1904. Wiesbaden 2004. Vgl. z.B. Klaus Richter: Die Herkunft des Schönen. Grundzüge der evolutionären Ästhetik, Mainz 1999; Eckart Voland/Karl Grammer (Hrsg.): Evolutionary Aesthetics, Berlin u.a. 2003; Winfried Menninghaus: Das Versprechen der Schönheit, Frankfurt am Main 2003. Kanon des Polyklet, die Theorie der sectio aurea, die Hogarthsche Schönheitslinie usw.)“479. Lehrreich im Hinblick auf die Unterschätzung der Bedeutung menschlicher Naturvollzüge für eine naturwissenschaftlich orientierte theoretische Erfassung eines ästhetischen Phänomens ist ein Blick auf die Begründung der Vertreter der „Evolutionären Ästhetik“ für ihre These, die „Auszeichnung des Regulären, Typischen, Konstanten“480 als Grundlage der Schönheit von Naturphänomenen sei aus biologischen Mechanismen zu erklären. Stark vereinfacht läßt sich die Begründung dieser Reduktion so beschreiben, daß angeborene biologische Auslösemechanismen auf bestimmte Schlüsselreize reagieren, deren Berücksichtigung und Verarbeitung (als Reaktion und Handlung) sich im Zuge der Evolution bewährt haben. Karl Eibl hat in einer Rezension481 aktueller Publikationen zur „Evolutionären Ästhetik“ herausgearbeitet, daß sich in der Vielfalt der theoretischen Erklärungen drei Ansätze identifizieren lassen, die sich unter die Stichworte „Nützlichkeit“, „Handicap-Prinzip“ und „Gestalt“ gruppieren lassen. Stellt man diese Ansätze in eine Verbindung mit Hegels Differenzierung von „Regelmäßigkeit“ und „Angenehmen“, so läßt sich die „Regelmäßigkeit“ angeborenen Gestalt-, Symmetrie-, Wiederholungserwartungen, also Gleichheits- und Seh- und letztlich Wahrnehmungserwartungen zuordnen. Eibl spricht von „phylogenetische[n] Abstraktionen, mittels derer wir die Komplexität unserer Sinneswahrnehmungen nach evolutiv bewährten Maßgaben reduzieren“ und nennt als Beispiele „Augen- und Gesichtsattrappen oder das bekannte Kindchenschema“. Hier lassen sich leicht viele traditionell bekannte und als „schön“ bezeichnete Symmetrien, Regelmäßigkeiten und Harmonien einordnen. Andere Autoren sprechen in diesem Zusammenhang auch von „Ordnungen“482. Das von Hegel als „Angenehmes“ Bezeichnete läßt sich dem 479 480 481 482 Wolfgang Janke, Das Schöne, in: Handbuch philosophischer Grundbegriffe, hg. v. H. Krings, H. M. Baumgartner, Chr. Wild, München 1974, 1260-1277, hier 1270. Jörg Zimmermann: Zur Geschichte des ästhetischen Naturbegriffs, 119f. Karl Eibl: Evolutionäre Ästhetik. Gedruckter Text in: KulturPoetik 4 (2004), H. 2, 278-287. Online-Version unter www.kulturpoetik.de. Die Online-Version ist auch angezeigt im Portal LirezLiteraturwissenschaftliche Rezensionen. Vgl. Klaus Richter: Die Herkunft des Schönen. 111 evolutionär reproduktiv Nützlichen zuordnen, der „Fitness“ also.483 Hierzu zählen die Ästhetik der Farben, der Klang der Stimme, das Blau des Himmels, der bunte Schmuck eines balzenden Pfaus, aber auch Symmetriephänomene wie der immer wieder als Argument bemühte „Body-Maß-Index“. Solche Phänomene verursachen Wohlgefallen, bereiten „Genuß“, werden als angenehm empfunden. Letztlich - so läßt sich an Hegel anschließen - führt dieser gesamte Ansatz zu einer Reduktion der Schönheit auf Zweckmäßigkeit. Damit stehen die Vertreter der „Evolutionären Ästhetik“ bei einer Organisiertheit der Natur, die sich als „Erscheinen der Zweckmäßigkeit“ erwies. Damit unterliegt dieser Ansatz zugleich der Hegelschen Kritik an der „Objektivität“ des Naturschönen, die eine ästhetische Auffassung der Natur als schöne Natur mit einem Verständnis von Natur mit „objektiven“ schönen und häßlichen Eigenschaften verwechselt. 4.3 Von der Betrachtung zur Darstellung schöner Natur Im Hinblick auf die Leitfrage, ob und inwieweit das Naturschöne als Maßstab für das Kunstschöne dienen könne, muß die Tatsache, daß das Naturschöne als Vollzugsresultat einer Betrachtung der Natur stets durch einen Rest phänomenologischer Intransparenz gekennzeichnet ist, dazu führen, Hegel in seinem methodisch motivierten Ansatz beim ursprünglich zugrundeliegenden und umfassenden Kunstschönen gegenüber dem nur mittelbar interessanten Naturschönen zu folgen. Das Naturschöne läßt sich zwar analog zum Kunstwerk aus dem menschlichen Vollzug und analog zum Ideal als eine Weise der „gebildeten“ oder „gestalteten Anschauung“ der Natur mitbegründen. Die phänomenologische Intransparenz des Naturschönen kann dagegen für das Kunstwerk nicht vorbildhaft sein, dessen „Endzweck“ es ist, „die Wahrheit zu enthüllen, vorzustellen, was sich in der Menschenbrust bewegt, und zwar auf bildliche, konkrete Weise“484. Die Darstellung von 483 484 112 „Im Sinne der Evolutionsbiologie wäre das Schöne also schlicht das reproduktiv Nützliche, so weit wir quasi automatisch eine Vorliebe dafür empfinden, und diese Vorliebe, der Schönheitssinn, wäre Bestandteil der Fitness“ (Karl Eibl: Evolutionäre Ästhetik). Hotho 1823, 30. – Daß „Zweck“ hier nicht mit (utilitärem) „Nutzen“ verwechselt werden darf, macht Hegel sogleich selbst deutlich: „Die Frage nach dem Zweck in diesem Sinn hat die Natur in Kunst muß dann aber die generelle Funktion der Kunst erfüllen, der Selbstverständigung des Menschen über sich selbst im Medium der Anschauung zu dienen. Diese Anschauung gelingt nur, wenn das Kunstwerk tatsächlich Erscheinung des Geistigen in anschaulicher Gestalt, wenn es also „Scheinen des Geistes“ ist. In diesem Zusammenhang bringt Hegel die Augenmetapher ins Spiel. Das menschliche Auge als genuiner Ausdruck der Seele, d.h. des Geistigen, wird zum Symbol der Funktion des Kunstwerks: Es ist ganz Auge. Da das Naturschöne im Rahmen der „Betrachtung schöner Natur“ infolge mangelnder Transparenz gleichsam nicht an jeder Stelle seiner Erscheinung „Auge“, d.h. Erscheinung des Geistigen ist, fällt der Kunst die Aufgabe zu, das „Erscheinende an allen Punkten der Oberfläche zum Auge zu erheben (...) welches der Sitz der Seele ist, den Geist erscheinen läßt“485. Die Kunst gibt sozusagen dem „Gegenstand tausend Augen, um überall gesehen zu werden“; denn das Auge ist das Organ, in dem „der Geist als sichtbarer konzentriert ist“486. Die Kunst macht die Erscheinung „zu einem solchen, daß sie überall sei als Organ der Seele, als Manifestation derselben“487. Denn der „wahrhafte Gehalt des Schönen ist der Geist“488, nicht etwas Natürliches, auch wenn dieses bereits - wie im tierischen oder menschlichen Organismus - qua Empfindungsfähigkeit, Selbstgefühl und organischer Gliederung ein „Beseeltes“ ist. Es ließ sich aber längst zeigen, daß diese „Beseelung“ als natürliche Vorform der Subjektivität nicht an die anschaubare Selbstobjektivierung menschlicher Subjektivität im Kunstwerk heranreicht. Hegel betont immer wieder, daß erst „die Geistigkeit“ die „Grundlage“ des „eigentlich Schönen“ ist; das Scheinen der Seele genügt nicht, solange nicht „auch das Geistige darin“489 ist. Daher auch das Insistieren Hegels darauf, das Natürliche könne nur dann Gegenstand der Kunst sein, wenn „ihm ein 485 486 487 488 489 Nebenbedeutung der Frage nach dem Nutzen. (...) Diese Frage (...) hat ein Schiefes in sich. (...) Der Umweg also, ein Anderes als Wesentliches außer dem Kunstwerk als Endzweck zu setzen, ist ein überflüssiger. Es gibt freilich Dinge, die bloß Mittel sind und ihren Zweck außer sich haben, und zu diesen kann das Kunstwerk auch in gewissem Sinn gehören als z.B. Geld und Ehre und Ruhm zu bringen, aber diese Zwecke gehen das Kunstwerk als solches nichts an“ (a.a.O., 31). Hotho 1823, 79. Hotho 1823, 79. Hotho 1823, 80. Pfordten 1826, 69. Pfordten 1826, 76 f. 113 Geistiges eingehaucht ist, der Geist irgendeine seiner Bestimmungen darin findet, dadurch angeregt ist, sich erkennt“490. Was hier mit der Augenmetapher angesprochen wird, ist die phänomenologische Transparenz des Kunstwerks, das eine anschauliche Gestalt ist, „worin der Geist sich zur Erscheinung bringt“491. Die Augenmetapher verweist somit auf das „Scheinen des Geistes“, das Hegel prototypisch in der menschlichen Gestalt realisiert sieht.492 Allerdings unterliegt auch die menschliche Gestalt als „natürlich existierender Mensch“ den Mängeln, denen alles natürlich Lebendige verhaftet ist. So kann man am Lebendigen nur „die Mannigfaltigkeit 493 Einheitspunkt seines Lebens“ erblicken. des Organismus, nicht den Beim Menschen ist zwar dessen Lebendigkeit im überall durchschimmernden Blut des pulsierenden Herzens und der empfindenden Haut zu sehen.494 Andererseits zeigt er an der Hautoberfläche, an den Härchen und Poren, die „Bedürftigkeit der Natur“, die Haut als „Bedeckung für die Notwendigkeit der Selbsterhaltung“495. Zudem ist alles Lebendige einschließlich des Menschen als einzelnes Individuum unfrei, abhängig von anderen, verschlungen mit Kontingentem. Hegel spricht in diesem Zusammenhang von der „Prosa der menschlichen Welt“.496 Diese Abhängigkeiten stehen aber im Widerspruch zur Freiheit des Geistes. Außerdem ist die Natur „wesentlich immer in einer bestimmten Art“, d.h. in einer „Beschränktheit“.497 Auch der menschliche Charakter ist vielfach beschränkt und „partikularisiert“. Aus diesem Grund ist die natürliche Gestalt des Menschen nicht bereits als solche ein Ideal. Wenn beispielsweise ein Porträtmaler sich genau an die natürliche Vorgabe hielte, würde er nicht den „Ausdruck des Geistigen“, sondern lediglich den des „nur Natürlichen“ erreichen.498 Überhaupt ist „im gemeinen Leben“ das Geistige „nicht so enthalten“, wie es ein Künstler darzustellen hat. Daher hat er „alle Zeichen der Äußerlichkeit“ wegzulassen, um den „Ausdruck der geistigen Eigentümlichkeit“ des Porträtierten zu 490 491 492 493 494 495 496 497 498 114 Hotho 1823, 82. Kehler 1826, 3. „Das Scheinen des Geistes ist nun in der menschlichen Gestalt vorhanden“ (Kehler 1826, 38). Hotho 1823, 75. „Der menschliche Körper in seiner Erscheinung zeigt sich also als empfindend“ (Hotho 1823, 76). Hotho 1823, 76. Hotho 1823, 78. Hotho 1823, 78. Kehler 1826, 38. erfassen und darzustellen.499 An diesem Punkt trennt sich das Schöne vom Lebendigen, die subjektive Einheit des Schönen ist das Ideal.500 Das Ideal erhebt sich über die „Verwicklungen des Lebendigen“ und dessen „Bedingtheiten“, es ist vom menschlichen Geist hervorgebracht. Erst hier und in diesem Sinne kann vom Schönen im eigentlichen Sinne gesprochen werden, dann nämlich, wenn das Schöne als Ideal und als Kunstwerk verstanden wird.501 Mit der letzten Überlegung ist ein Übergang zu den Darstellungsmöglichkeiten von Natur in der Kunst angebahnt. Statt von „Betrachtung schöner Natur“ wird daher im folgenden von „Darstellung schöner Natur“ zu sprechen sein. In den Mittelpunkt der Untersuchung rückt nunmehr die eigens im Kunstwerk vermittelte, d.h. die dargestellte Natur. 4.4 Darstellung schöner Natur Hegel definiert das Kunstwerk als eine menschlicher Gestaltung entspringende Form des sich „zum Werke werdenden Geistes“. Er knüpft damit an seine frühe Bestimmung des Ideals als Vermittlung der Vernunftidee im Sinnlich-Anschaulichen an. Die Bestimmung des Ideals als „gestaltete Idee“ und damit als zur Erscheinung- bzw. zur Anschauung-Bringen des Geistes („Scheinen des Geistes“) betont die Notwendigkeit, daß die Vernunftidee, damit die integrative spätere Definition als „Geist“, im Kunstwerk jeweils an eine sinnlich-anschauliche Gestalt gebunden ist. Hegel eröffnet sich durch diese strukturell identische Bestimmung die Möglichkeit, unterschiedliche Gestaltungsweisen nach Epochen und Kulturen zu differenzieren, d.h. er fundiert seine Theorie der Kunstformen durch diese Grundlage der Bestimmung des Ideals und des Kunstwerks. Außerdem kann die in der Kunst dargestellte schöne Natur ebenfalls als „Scheinen des Geistes“ und damit als Version des Kunstschönen rekonstruiert werden. 499 500 501 Kehler 1826, 39. „Das Schöne muß aber subjektive Einheit sein. Das Schöne trennt sich hier vom Lebendigen, seine subjektive Einheit ist Ideal“ (Libelt 1828/29, Ms. 22a). „Die Erhebung über diese Verwicklungen des Lebendigen, über diese Bedingtheiten wird im Schönen bewirkt. Insofern es subjektive Einheit in sich ist. Das ist das Ideal (falscher Begriff davon, was irgendwo ist, nicht erreicht werden kann). Das Ideal ist aus dem Geiste geboren, vom Menschen hervorgebracht. Es ist der Geist, der aus der Befangenheit es entnimmt. Hier fängt das Schöne als Kunstwerk an“ (Libelt 1828/29, Ms. 23a). 115 4.4.1 Kunst als Symbol des Geistes und die Kunstformen Die geschichtliche Vermittlung der Idee in der Kunst-Gestalt erfordert per definitionem unterschiedliche „Beziehungen der Idee auf ihre Gestalt“502, die Hegel historisch differenziert in seiner Theorie der „Kunstformen“ entfaltet. In diesen unterschiedlichen historischen Gestaltungsformen findet die „(Vernunft-)Idee“ auf je andere Weise ihre anschauliche Präsenz im Kunstwerk. Hegel rekurriert auch hier auf die prinzipielle Bestimmung des Kunstwerks, daß es das jeweilige Bewußtsein einer Gemeinschaft, unterschiedliche Weltanschauungen stiftet oder ersichtlich macht, erweitert diese aber um die geschichtliche, nach Epochen und Kulturen (im Sinn Herders) unterschiedenen Bestimmungen der „Form“ der Kunst. Durch Kunstgestaltung wird das natürliche Material zum Ausdruck der Idee „in der Form des Geistes“503. Das heißt, das gestaltete Material wird zum „Symbol der Idee“504. Die nicht in der Natur vorgefundene, sondern eigens von einem Künstler geschaffene Gestalt eines Kunstwerks verweist auf eine Bedeutung, einen Inhalt, der in eine sinnlich-anschauliche Gestalt gefaßt wird. Die spezifische Fassung dieser Darstellung nennt Hegel „Symbol“. In Auseinandersetzung mit und im Anschluß an Friedrich Creuzers Symbolbegriff in der Abhandlung über Symbolik und Mythologie505 und im Gegensatz zu Schellings Symbolbegriff, der von einer Synthesis des Allgemeinen (Bedeutung) und Besonderen (Gestalt) ausgeht, „wo beide absolut eins sind“506, ist für Hegel das Hauptcharakteristikum des Symbols in den Berliner Ästhetikvorlesungen507 die Inadäquatheit von Bedeutung (Inhalt) und Gestalt (Form). Im Gegensatz zum Zeichen508, dessen Bedeutung einer äußerlichen Form beliebig zugesprochen werden kann, enthält die äußerliche 502 503 504 505 506 507 508 116 Pfordten 1826, 66; Kehler 1826, 27. V 12, 25. A. Gethmann-Siefert: Einführung in Hegels Ästhetik, 246. - A. Gethmann-Siefert zeigt in dieser Abhandlung im Zusammenhang auf, daß Hegel nicht das besondere „Sein“ der Kunstwerke gegenüber dem „Sein“ alltäglicher Dinge herausstellt. Nicht das Dingsein, sondern der Symbolcharakter, also das, was es darstellt, bestimmt das Kunstwerk. Friedrich Creuzer: Symbolik und Mythologie der alten Völker, besonders der Griechen. 6 Bde. Leipzig/Darmstadt 21819ff (11810-12; 31837ff). F.W.J. Schelling: Philosophie der Kunst, Darmstadt 1974, 51. Jeong-Im Kwon hat in ihrer Dissertation Hegels Bestimmung der Kunst. Die Bedeutung der „symbolischen Kunstform“ in Hegels Ästhetik, München 2001 eine ausführliche Rekonstruktion sowohl der zeitgenössischen Diskussion um den Symbolbegriff als auch der Hegelschen Fassung desselben in dessen Schriften, insbesondere in den Berliner Ästhetikvorlesungen vorgelegt. Vgl. dort insbesondere Kapitel 1. Hegel greift hier auf seine Zeichentheorie zurück. Vgl. Enz 1817, § 379; Enz 1830, § 458; V 13, 207ff. Form des Symbols bereits die darzustellende Bedeutung in sich selbst - wenn auch gegebenenfalls in unzureichender Weise. Ein Symbol muß „in seiner Äußerlichkeit zugleich den Gehalt der Vorstellung“ in sich enthalten, „welchen es darstellen soll“509. So ist der Löwe tatsächlich stark, wie er auch die Bedeutung der Stärke symbolisiert; er „ist stark; er enthält in sich selbst das, dessen Bedeutung er erscheinen macht“510. Das heißt aber auch, daß die symbolische Gestalt immer noch etwas anderes vorstellt als die Bedeutung, bzw. die Bedeutung kann nicht in der Darstellung aufgehen. Der Löwe ist nicht ausschließlich stark, sondern auch mutig, schnell, imposant usw. Das Symbol ist daher „wesentlich zweideutig“511, und es ist nicht beliebig wählbar, wie dies beim Zeichen der Fall ist. Dieser Aspekt spielt bei der Würdigung der Landschaft als Symbol menschlicher Naturverhältnisse eine wichtige Rolle, insofern Landschaft nur dann einer beliebigen Ästhetisierung entgehen kann, wenn sie nicht nur auf eine Bedeutung hinweist (Landschaft ist geistig vermittelte Natur), sondern diese auch in sich enthält (Natur als Landschaft ist Natur und zugleich „Wirksamkeit des Geistigen, und zwar eine Institution der weitreichendsten Folgen“512). Faßt man Kunst als Symbolisierung der Idee, dann wird – den unterschiedlichen Kunstformen entsprechend – Geistiges in unterschiedlichen Gestalten und Gestaltungen dargestellt. Da Kunst eine Vermittlung des Göttlichen bzw. der geschichtlichen Vernunft unter kulturvariablen Bedingungen (historisch und geographisch unterschiedlichen Kulturen), aber mit invariabler Funktion (Vermittlung des Selbstbewußtseins als Handlungsbewußtsein einer Gemeinschaft) ist, geschieht diese Vermittlung durch unterschiedliche Formen und in unterschiedlicher Vollendung. Alle Gestaltungen der Kunst sind symbolische Gestaltungen, d.h. jedes Kunstwerk ist mehr oder weniger Symbol der Idee, wobei die endlichen „Natur“Gestalten jeweils in unterschiedlicher Weise zum Symbol des unendlichen Göttlichen umgeformt werden. 509 510 511 512 Hotho 1823, 119. Hotho 1823, 119. Hotho 1823, 119. Hegel entwickelt diesen Gedanken am Beispiel des Ackerbaus: „Der Ackerbau ist noch kein Geistiges, aber auch kein Natürliches, denn er kommt dem Menschen zu und ist eine Wirksamkeit des Geistigen, und zwar eine Institution der weitreichendsten Folgen“ (Hotho 1823, 126). 117 So greift die „morgenländische Kunst“513 generell auf natürliche Gestalten zurück, die als Symbol des Göttlichen aber letztlich unangemessen sind und „wesentlich zweideutig“514 bleiben müssen, so daß es „immer eine Seite“ gibt, „welcher die Bedeutung nicht adäquat ist“515. Entweder verweisen die aus der Natur gegriffenen Gestalten auf eine undurchschaute Einheit von Geist und Natur oder auf Göttliches in einer Naturgestalt, die - nach Hegel - zu einem Symbol des Unendlichen im Sinne abstrakter oder „schlechter“ Unendlichkeit wird durch die Übertreibung endlicher Naturgestalten ins Maßlose. In der griechischen Antike wird Göttliches in der dem geistigen Gehalt einzig angemessenen Naturgestalt des Menschen dargestellt, die „nicht symbolisch, sondern für sich klar und deutlich“516 ist (Klassische Kunstform). In der Kunst, die für Hegel mit dem Eintritt der geoffenbarten Religion des Christentums beginnt und die noch die Gegenwart - durch die Aufklärung bestimmte Kultur (der Romantischen Kunstform) - bestimmt, wird das Geistige als das Menschliche in Formen dargestellt, die durch den geistigen Gehalt überschritten werden oder ihn nur in der Vielfalt von Symbolisierungen und Gestaltungsweisen - vom Schönen bis zum Häßlichen erfassen.517 Da die Kunst den Inhalt der ganzen Natur nur „als den Geist bedeutende, charakteristische, sinnvolle Naturform“518 gebraucht, also Naturgestalten als Symbole für Geistiges nimmt, stellt sich die Frage nach der Vereinbarkeit der jeweils intendierten Bedeutung (des Inhalts) mit der Form bestimmter Naturphänomene. Da Hegel das Ziel der Kunst in dem Adäquat-Machen von Form und Inhalt sieht519, kann die unmittelbar angeschaute Naturgestalt diesem nicht genügen. Der Inhalt der Kunst „ist ein geistiger, er ist das 513 514 515 516 517 518 519 118 Hotho 1823, 120. Hotho 1823, 119. Hotho 1823, 121. Hotho 1823, 121. Diesen Zusammenhang hat A. Gethmann-Siefert in ihrer Einführung in Hegels Ästhetik im Zusammenhang dargestellt; zur hier nicht weiter zu beachtenden Bedeutung des Häßlichen vgl. A. Gethmann-Siefert: Hegel über das Häßliche in der Kunst (in: Hegels Ästhetik. Die Kunst der Politik – Die Politik der Kunst. II. Teil. Hrsg. von Andreas Arndt, Karol Bal, Henning Ottmann. Hegel-Jahrbuch 2000. Berlin 2002, S. 21-41) sowie die umfassende Darstellung der Bedeutung des Häßlichen bei Hegel und den Hegelianern bei F. Iannelli: Das Siegel der Moderne. Enz 1830, § 558. „Das Schöne, sagten wir, sei die Einheit des Inhalts und der Weise des Daseins dieses Inhalts, das Angemessen-Sein und –Machen der Realität dem Begriffe. Die Weisen der Kunst können sich nur gründen auf das Verhältnis des Begriffs in betreff seines In-die-Realität-Eingebildetwerdens“ (Hotho 1823, 34). Substantielle, das äußerlich erscheint und nicht in unmittelbarer Naturgestalt gegeben, sondern ein vom Geiste Produziertes ist“520. Durch die Darstellung der Natur im Kunstwerk wird sie nicht abgeschildert, sondern die „Natur erscheint im Geist als Ideelles, als ein Gesetztes“, und „ihre Wahrheit ist eben diese ihre Idealität.“521 Die in Kunst dargestellte Natur ist ein Inhalt, der „hier nicht mehr natürlich im schlechten Sinne [ist], sondern das Natürliche heißt hier das an und für sich durch den Geist bestimmte, ein Idealisiertes.“522 Insofern ist die dargestellte Natur stets eine Form der Selbstverständigung des Menschen über sich selbst, vermittelt über sein Verhältnis zur Natur. Die erste Darstellungsweise „schöner Natur“ im Kunstwerk ist an diejenigen Kulturen gebunden, denen Hegel die „Symbolische“ und „Klassische Kunstform“ zuordnet. In diesen Epochen vermitteln insbesondere Architektur und Skulptur auf je eigene Weise das Göttliche im Natürlichen. Die zweite Darstellungsweise ist der „Romantischen Kunstform“ zugeordnet. In der romantischen Kunstform spielt als eine der relativ späten Varianten der Kunst die Landschaft und die Darstellung der Natur als Landschaft eine besondere Rolle. Nun ist nicht mehr das Göttliche der ausgezeichnete Inhalt und Gegenstand der Kunst, sondern der geschichtliche Mensch wird zu ihrem Mittelpunkt. In der Kunst wird „der Humanus, die allgemeine Menschlichkeit, das menschliche Gemüt in seiner Fülle, seiner Wahrheit“ vermittelt.523 Alle Facetten der inneren und äußeren Welt des Menschen können nun zum Gegenstand der Kunst werden, „im Romantischen haben alle Gegenstände Platz“.524 In dieser Phase der Kunstentwicklung wird insbesondere in der Landschaftsmalerei, der Gartenkunst und der Idyllendichtung die Natur zum Gegenstand der Kunst. 520 521 522 523 524 Hotho 1823, 123. Pfordten 1826, 71. Anonymus 1828/29, Ms. 13b. Hotho 1823, 204. Hegel bezieht sich an anderer Stelle auf Goethes Epos Die Geheimnisse (Goethe: Sämtliche Werke, Bd. 1, 263) und zitiert: „Heilig, sagt Goethe, ist, was den Menschen dem Menschen verbindet“ (Hotho 1823, 211). - Zur Interpretation vgl.: A. Gethmann-Siefert: Die Funktion der Kunst in der Geschichte, insbes. 319ff; M. Donougho: Remarks on „Humanus heißt der Heilige…“. In: Hegel-Studien 17 (1982), 214-225; Oskar Walzel: Die Dichtung Schleier aus der Hand der Wahrheit. In: Euphorion. 33 (1932), 83-105, bes. 99 f; O. Pöggeler: Dichtungstheorie und Toposforschung. In: Jahrbuch für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft. 5 (1960), 89201, bes. 118. - Allerdings kann dieses Zitat auch im Hinblick auf die allgemeine Vermittlungsfunktion der Kunst gelesen werden, wie dies in dieser Arbeit in Abschnitt 3.3 geschehen ist. Hotho 1823, 198. 119 4.4.2 Natur als Symbol des Göttlichen In den Werken, die Hegel in der Symbolischen Kunstform strukturell zusammenfaßt, wird jeweils eine Naturgestalt als Symbol des Göttlichen dargestellt. Diese Variante hat Hegel bereits in der Phänomenologie des Geistes im Kontext der Naturreligion bestimmt. In den Ästhetikvorlesungen behandelt er Werke der Architektur und der symbolischen orientalischen Skulptur als Exempel der Darstellung der Natur in Kunst. Die Kunstreligion der Griechen bildet das systematische Zentrum der Ästhetik, weil in dieser antiken Kultur die Gottesvorstellung in der schönen menschlichen Gestalt als der „Naturgestalt“ des Göttlichen ihren adäquaten Ausdruck fand. Die Formen der Symbolisierung des Göttlichen in endlichen, entsprechend übersteigert dargestellten Götterbildern der vorgriechischen (der orientalischen) Zeit erreichen die Anschauung des Göttlichen in einer schönen, harmonischen Gestalt noch nicht; sie sind nicht schön - wie die griechischen Götterbilder der Skulptur - sondern „erhaben“. Der Inhalt der geoffenbarten Religionen (Judentum und insbesondere Christentum) sowie das Selbstbewußtsein des aufgeklärten Menschen der modernen Welt lassen sich nicht mehr vollständig sinnlich-anschaulich in der harmonischen Gestalt der Schönheit vermitteln. Hier wird auch die „geistige Naturgestalt“ des Menschen durch Gestaltung Gottes als des geschichtlich handelnden Menschen aufgegeben.525 4.4.2.1 Erhabene Naturgestalten des Göttlichen Hegel bestimmt die „symbolische Kunstform“ als erste Stufe der Darstellung des Absoluten als des Göttlichen, die das Göttliche und damit das Geistige noch nicht als Göttliches, als Geistiges erfassen526, sondern lediglich durch eine ins Unendliche gesteigerte Formung der Natur entlehnter Gestalten symbolisch veranschaulichen kann. Eine Trennung von Natur und Geist und eine klare Bestimmung beider Bereiche ist noch nicht erreicht, der Mensch befindet sich noch in einem „Mittelzustande zwischen Natur-Weise und freier 525 526 120 Diesen Übergang hat A. Gethmann-Siefert u.a. in ihrer Einführung in Hegels Ästhetik genauer analysiert; vgl. insbes. 290ff. „Der erste Ausgangspunkt kann noch nicht in sich haben, daß geistiger Inhalt als solcher und näher die substantielle Subjektivität sich für sich erfaßte und sich bildlich machte. Solchen freien Inhalt kann die erste Stufe nicht haben. Die freie Geistigkeit ist nicht das erste, sondern ist Resultat“ (Hotho 1823, 124). Weise des Geistes“527. So faßt Hegel diesen Gedanken zusammen: „Das Offenbare ist nur der freie Geist; zu diesem Geiste, zum Erfassen des Selbstbewußtseins, sind [z.B.] die Ägypter noch nicht gekommen“528. Da in den Werken der symbolischen Kunstform der geistige Gehalt noch „unbestimmt, unklar, abstrakt, in der Weise der Substantialität“ und „noch nicht Subjektivität“529 ist, hat die Idee bzw. hat der Mensch für die Idee ihre endgültige „Gestaltung und Form“ noch nicht erreicht; „die Gestalt ist noch außer ihr, der sinnliche Stoff überhaupt ihr noch nicht adäquat. Die Idee in ihrer Unruhe, sie hat noch nicht die absolute Form, sucht sich in allem diesem Stoff, der noch nicht ihr eigen ist, und sucht, sich ihm angemessen zu machen. Weil sie aber das Maßlose ist, so kann sie sich die natürliche Gestalt nicht wahrhaft angemessen machen, sondern steigert den natürlichen Stoff bloß, behandelt ihn negativ. Dies also ist der Charakter der Erhabenheit. (...) Die andere Seite hierbei ist, daß hier von natürlicher Gestalt, wie sie unmittelbar vorhanden ist, ausgegangen ist, aber daß in diese natürlichen Gestaltungen die substantielle Idee hineingelegt, daß sie interpretiert wird. Dies kann der Pantheismus des Schönen, der Kunst des Morgenlandes genannt werden; aber diese Abstraktheit ist die unendliche Freiheit. Diese Kunst ist die symbolische, d.h. eine Darstellung, die eine Bedeutung hat, aber so, daß diese noch nicht in den Ausdruck vollkommen eingebildet ist.“530 Für einen noch abstrakten, „trübe[n]“ und noch nicht „wahrhaft in sich selbst bestimmt[en]“ Inhalt wird die jeweilige Form „noch aus der unmittelbaren Natur genommen“531. Ein „noch nicht wahrhaft in sich bestimmter Gedanke“ benötigt also noch „den äußerlichen natürlichen Stoff“532, ohne daß es gelingt, diesen als adäquaten und endgültigen Ausdruck der Bedeutung zu gestalten: „In der symbolischen Kunst ist der Inhalt nicht frei und die Gestalt auch nicht, die nur bedeutsam sein soll, Seiten hat, die dem Begriff gemäß sind, aber andere, die ihm nicht entsprechen. Damit es bedeutend sei, muß es verzerrt 527 528 529 530 531 532 „Die Prosa in Betrachtung der Welt ist verständig, ist äußerliche Betrachtung und setzt voraus, daß der Mensch für sich schon frei ist. Wo diese Trennung noch nicht gemacht ist, ist der Mensch in einem Mittelzustande zwischen Natur-Weise und freier Weise des Geistes. Erst mit der absoluten Freiheit und der absoluten Religion tritt die eigentliche Prosa ein, denn zu ihr gehört die freie Subjektivität des Individuums. (…) beides, die Ahnung eines Höheren und das Bewußtsein eines Äußerlichen, ist noch nicht geschieden. Die Prosa der Geschiedenheit ist erst ein Späteres“ (Hotho 1823, 125). Hotho 1823, 139. Pfordten 1826, 67. Pfordten 1826, 67. Hotho 1823, 35. Hotho 1823, 35. 121 werden; damit man dem Stoff ansehe, daß er bedeutend sei, muß ihm Gewalt 533 angetan werden“. Die Kunstgestaltungen der symbolischen Kunstform sind insofern dadurch charakterisiert, daß hier die „Idee in ihrer Allgemeinheit, Maßlosigkeit und Unbestimmtheit erscheint“ und dieses Maßlose gestaltet werden soll, ohne daß eine Gestaltung existiert, „welche dem Maßlosen entsprechen könnte“534. Da die noch abstrakte Idee als Inhalt die natürlichen Gestalten „verzerrt“, also Macht über dieselben hat, bestimmt Hegel diese Werke durch die ästhetische Kategorie der Erhabenheit, nicht der Schönheit.535 Natur wird in der Symbolisation des Göttlichen einmal unmittelbar in ihrer Existenz, zum anderen als eine „vom Geist erfundene Gestalt“ als Inhalt genommen.536 Dementsprechend findet sich das Göttliche in der Kunst, die Hegel der „symbolischen Kunstform“ zuordnet, zum einen noch in der unvermittelten Natur. So beten z.B. die Parsen das Licht537 und die Inder und Ägypter Tiere als göttlich an538. Überhaupt erscheint die Natur dem sich noch entwickelnden, d.h. nach einem Bewußtsein seiner selbst suchenden Menschengeist als ein mit Geistigem qua Göttlichem Beseeltes, d.h. als eine „Vermischung des Geistigen mit dem Natürlichen“539. Als wichtigstes Beispiel für eine eigens im symbolischen Kunstwerk „vom Geist erfundene“, d.h. geschaffene Gestalt sei im Folgenden die Architektur gewählt. In der Architektur540 wird die äußere unorganische Natur zu Pyramiden, Türmen, Obelisken, Säulen, Tempeln, Häusern, Kirchen und Domen gestaltet. Die schwere Materie bleibt in ihrer Schwere und Massigkeit. Wie beim Symbol schlechthin wird eine äußere Form aus der Natur genommen. In der 533 534 535 536 537 538 539 540 122 Hotho 1823, 154. Pfordten 1826, 112. „Dieser Kunst gehört also wohl die Erhabenheit, aber nicht die Schönheit an“ (Hotho 1823, 35). „In Ansehung des Bedürfnisses der Gestaltung ergeben sich zwei Gestalten: [Das eine ist] die natürliche Existenz, in der die Bedeutung vorhanden ist. Z.B. die Sonne ist einmal als existierend, dann in ihrer Bedeutung [genommen]; und ebenso der Nil. Das andere aber ist die vom Geist erfundene Gestalt“ (Hotho 1823, 129). Hotho 1823, 126. Hotho 1823, 161. G.W.F. Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Religion. Teil 2. Die bestimmte Religion. In zwei Bänden: Textband (a), Anhang (b) Mit einem Begriffs- Realien- und Personenverzeichnis zum Gesamtwerk. Herausgegeben von Walter Jaeschke. Vorlesungen, Band 4. Hamburg 1985; hier V 4a, 417. „Wir sagen: Die Architektur mache den Anfang dem Begriffe nach, und sie tut es auch geschichtlich. Sie muß aber da betrachtet werden, wo sie wirklich als Anfang schöner Kunst auftritt. Eine Hütte, eine Höhle sind keine architektonischen Anfänge“ (Hotho 1823, 208). - Hegel stützt sich in seinen Äußerungen zur Architektur im wesentlichen auf Aloys Hirt: Die Geschichte der Baukunst bei den Alten. 3 Bde., Berlin 1821-1827. Architektur innerhalb der symbolischen Kunstform bleibt diese äußerlich nach dem Maßstab der „abstrakten Verstandesverhältnisse des Symmetrischen“541 gestaltet in ihrer Dreidimensionalität erhalten, wobei das Bauwerk auf die noch unbestimmte geistige Bedeutung nur hinweisen kann. Das hat zur Folge, daß die Architektur dem Gott (in der klassischen Kunstform: der Skulptur) lediglich einen Tempel baut. Dieser Gott ist noch abstrakt, da er noch nicht als Geistiges gewußt wird. Dementsprechend haben sich die Ägypter das „Reich des Geistes“ nur als Negatives, als „Reich des Todes“ in einem Totenkult vorstellen können, der mit der Annahme einer „Unsterblichkeit der Seele“ der „Freiheit des Geistes“ bereits nahe kommt, „indem das Ich sich hält als für sich beruhend, der Natürlichkeit entnommen“542. Die Pyramide wird somit zum „Gehäuse“ für den noch nicht als Geist gewußten Geist543, damit zum Symbol für den noch nicht zum Bewußtsein seiner selbst erwachten Geist. Auch in anderen von Hegel erwähnten Werken werden Naturformen aufgegriffen, um durch diese Naturformen Geistiges als Göttliches zu symbolisieren. Die Phallus- und Lingamsäulen beispielsweise bleiben durch ihre Form an natürlichen Vorbildern orientiert, in diesem Falle Zeugungsorganen. In diesen Werken scheint die absolute Lebenskraft auf. Die Kunst kann so (ebenso wie Religion und Philosophie) „den Gedanken (...) das Göttliche, die höchsten Forderungen des Geistes aus[…]sprechen“544. Denn in der Kunst haben - so führt Hegel in den Ästhetikvorlesungen aus „die Völker ihre höchsten Vorstellungen niedergelegt, und sie [ist] oft der einzige Schlüssel, die Religion des Volkes zu erkennen“545. Durch Kunst deuten die Menschen ihre Welt demnach nicht nur, sondern sie gewinnen zugleich eine anschaulich vermittelte Handlungsorientierung über die im Kunstwerk vermittelte „Weltanschauung“. Denn das „Interesse“ der Kunst ist es insbesondere, die „substantielle Weise des Bewußtseins eines Volkes darzustellen (...) Dies sind Weltanschauungen, Religionen eines Volks“546. 541 542 543 544 545 546 Hotho 1823, 40. Hotho 1823, 138. „Bei den Ägyptern sehen wir die Feststellung der Subjektivität in der Bestimmung des abgeschiedenen Geistes, der nicht als freier seine Gestalt gewinnt, sondern im Gehäuse der Pyramide ruht, das er nicht durchdringt, nicht bewegt“ (Hotho 1823, 138f.). Hotho 1823, 4. Hotho 1823, 4 f. Hotho 1823, 203. 123 Pyramiden, der „Tempel des Bel“547 oder der im Alten Testament erwähnte Turm zu Babel548 sind „Werke der Nation“549. Der Turmbau wird für Hegel zum Exempel dafür, wie durch die gemeinsame Arbeit an einer Wohnstatt für den Gott eine Handlungsgemeinschaft entstehen kann, die sich im Vollzug dieser Arbeit ein gemeinsames Bewußtsein und eine Orientierung des Handelns erringt.550 Der Vollzug dieser gemeinsamen Anstrengung geschieht noch als ein „instinktartige[s] Arbeiten“551 des Geistes, der auf unbewußte Weise Viele zu einer organisierten Gemeinschaft zusammenbindet. Die vorgegebene äußerliche Natur wird also zu Kultur gestaltet, die Verschiedenartigkeit der unterschiedlichen Interessen einzelner Individuen und Völker zu einer durch die gemeinsame Arbeit an einem Kunstwerk gestifteten Gemeinschaft verbunden. Die Idee des Geistes - hier als „substantielle Weise des Bewußtseins eines Volks“, d.h. als die „orientalische Weltanschauung“552 - wird somit in der Gestalt des gemeinsam errichteten Bauwerkes zum „Vereinigungspunkt“553 der Menschen und damit zur Stiftung der „Sittlichkeit eines Volkes“ (im Sinne des frühen „Ideal[s] der Volkserziehung“). Architektur kann daher als „Symbol der Sittlichkeit“ (Kant) gefaßt werden. Den Übergang von der Wahl beliebiger Naturgestalten zu einer eindeutigen charakterisiert Hegel an einem bestimmten in der Kunst dargestellten Symbol, der Sphinx, die den „Rätsel“-Charakter des Symbolischen schlechthin vorstellt554. Das Rätsel, das die Sphinx den Griechen gab, lautete: „Was geht am Morgen auf vier Füßen, am Mittag auf 547 548 549 550 551 552 553 554 124 Vgl. hierzu Herodot: Historien. Griechisch-Deutsch, hrsg. von Josef Feix, 2 Bde., München 1963, 3 1980, Bd. 1, 164ff, 500f. Vgl. hierzu I. Mose. 11, 1-9. Hotho 1823, 217. „Die Gesamtheit damaliger Völker hat an ihm gearbeitet; und wie sie alle sich vereinten, das eine Werk zu vollbringen, war dieses das Band, das sie, wie uns die Gesetze, aneinander knüpfte“ (Hotho 1823, 212). Hotho 1823, 218. Hotho 1823, 203. Hotho 1823, 213. „Als den Mittelpunkt, wo unmittelbar die symbolische Natur des Ägyptischen vorgestellt ist, können wir die Sphinx nennen. Rätsel sind die ägyptischen Darstellungen; das Symbolische ist ein Rätsel. Es sind Gestaltungen, die nicht sich selbst bedeuten, sondern auf eine andere Bedeutung an ihnen selbst hindeuten; dazu gehört eine gewisse Verzerrung der bloß unmittelbar gegebenen Gestalt, wenn sie anders als die menschliche selbst ist. – Das Symbol ist durch die Sphinx bezeichnet, [durch eine] Aufgabe, die gelöst werden soll; die Bedeutung [des Rätsels der Sphinx herauszufinden, ist die] Aufgabe, aber das Innere ist noch nicht an ihm selber heraus, so daß das Äußere nicht für sich selbst, für etwas gilt“ (Kehler 1826, 88). zweien und am Abend auf dreien?“ Nur Ödipus555 weiß die Antwort und gelangt zum Lösungswort: der Mensch. Damit gerät die Gestaltung des Göttlichen in Naturgestalten durch die Wahl der „geistigen Naturgestalt“ an ihr Ende. 4.4.2.2 Menschliche Gestalt als Naturgestalt des Göttlichen Durch die Wahl der geistigen Naturgestalt des Menschen zum Symbol des Göttlichen wird die „absolute Einheit des Inhalts und der Form“, die „freie adäquate Einbildung der Gestaltung in den Begriff“556 erreicht. Ein „wahrhafter Inhalt“, nämlich „der Geist in seiner Freiheit“557, ist in Übereinstimmung mit seiner „wahrhaften Form“558, der menschlichen Gestalt, „in der er selbst erscheint, kein anderes“559. Diese Gestalt ist zwar „Naturgestalt“, aber sie „allein ist die Gestalt des Geistigen“560. Die schöne Göttergestalt ist die vollkommene Synthese von göttlichem (geistigen) Inhalt und schöner Form, die vollendete Darstellung des Göttlichen in der Schönheit einer natürlichen, d.h. der menschlichen Gestalt.561 Die Werke, die der klassischen Kunstform zugehören, erreichen daher durch eine Harmonie von Inhalt und Form die Schönheit, d.h. „die adäquate Einbildung der Idee oder des Begriffs in die Äußerung, Erscheinung, Manifestation“562. Eine entscheidende historische Voraussetzung hierfür war die „Herabsetzung“ des in der vorangehenden Kulturepoche als göttlich verehrten Tieres zum Attribut des Göttlichen (z.B. Jupiter mit Adler)563. Das Göttliche selbst wird in der Gestalt des Menschen dargestellt. Dadurch hat der Künstler „aus dem Seinigen die Götter genommen“564, gestaltet er als „Lehrer des 555 556 557 558 559 560 561 562 563 564 Hegel führt die spätantiken Hypotheseis zu Ödipus Tyrannos an (Vgl. Sophokles: Tragödien und Fragmente. Griechisch-deutsch. Hrsg. und übers. von Wilhelm Willige. München 1966, 900-903.) Vgl. dazu die Bezugsstelle im Drama: Prolog. V. 35 f (Sophokles: Tragödien. Hrsg. und mit einem Nachwort versehen von Wolfgang Schadewaldt, Zürich/Stuttgart 1968, 171). – Vgl. auch die Passage einer Mitschrift der Ästhetikvorlesung von 1826: „Die Sphinx gibt ihm [d.h. Ödipus] ein Rätsel: Was das sei, das zuerst auf vier, dann auf zwei, dann auf drei [Beinen] gehe? Ödipus sagt: ‚Der Mensch’, und stürzt die Sphinx vom Felsen. Spaltet ihren Kopf mit einem Messer“ (Aachen 1826, Ms. 101). Hotho 1823, 36. Hotho 1823, 154. Hotho 1823, 36. Hotho 1823, 154. Hotho 1823, 36. „In der klassischen Kunst ist der Begriff des Schönen realisiert; schöner kann nichts werden“ (Hotho 1823, 179). Pfordten 1826, 67. Hotho 1823, 163. Hotho 1823, 97. 125 Volkes“565 aus einem „Instinkt der Vernünftigkeit“566 heraus die Götter. Über die schönen Göttergestalten der Skulptur und der Poesie, die vom Handeln der Götter (und Heroen) erzählt, also durch die Kunst, werden dem Volk die Götter gegeben, durch sie die „Sittlichkeit“, der „absolute Geist eines Volkes“ gestiftet. In die Umgebung des Gottes, die die Architektur gestaltet (den Tempel) schlägt gleichsam der „Blitz der Individualität, der Gott steht in ihr da“567, d.h. die aus natürlichem Material (Stein, Marmor) gefertigte, nicht natürliche, sondern geistige568 Naturgestalt des individuellen Gottes in Form der Skulptur. Weil Gott als Geist, nicht als Natur erscheinen soll569, gehört zu Gott das „Erscheinen als Mensch“570. Der Mensch ist vorrangig Geist571, aber er ist zugleich ein Naturwesen. Das Geistige kann in der an sinnliches Material gebundenen Kunst nur in einer solchen natürlichen Gestalt vollkommen dem sinnlichen Natürlichen entsprechen, deren „Leib kein Symbol mehr“ ist, wo der Leib „kein anderes aus[drückt]“, „kein Fremdes“ bedeutet, sondern seine Bedeutung „auf der Oberfläche selbst“ erscheint572. Hier ist der „Ausdruck unmittelbar das Geistige“573. Das Natürliche der menschlichen Gestalt „ist nur ein Aussprechen des Geistes. Das ist das Ideal. Die menschliche Gestalt als solche ist tierische Gestalt, aber eine Gestalt, in der ein Geist wohnt, und damit ist das, was diese Gestalt zeigt, das Geistige selbst zugleich. Die Gestalt stellt nicht noch etwas anderes vor, wie [es] im Symbolischen der Fall ist. In der menschlichen Gestalt erscheint unmittelbar das Geistige; das ist die wahrhafte Durchdringung des Geistigen durch das Natürliche.“574 Diese Gestaltung erreicht die Schönheit, weil in ihr der geistige Inhalt mit einer Form übereinstimmt, die selbst schon in sich geistig ist. An die Stelle 565 566 567 568 569 570 571 572 573 574 126 Libelt 1828/29, Ms. 29. Aachen 1826, Ms. 126. Hotho 1823, 40. „Das Sinnliche, Bildliche gilt hier nicht mehr als Sinnliches, ist kein Naturwesen; zwar Naturgestalt, aber [eine] solche, die, der Dürftigkeit des Endlichen entnommen, ihrem Begriff vollkommen adäquat ist“ (Hotho 1823, 36). Weil Gott selbst Geist ist, muß er sich dementsprechend „auf geistige, nicht bloß auf natürliche Weise offenbaren“ (V 5, 283). - „Gott ist wesentlich Geist, muß, wenn er gewußt wird, als geistig gewußt werden, seine Taten sind wesentlich geistige Taten“ (V 13, 4). - Vgl. auch Kap. 3.5. „Aber zum Gott als Geist gehört das Erscheinen als Mensch, sonst ist er nicht Geist. Das Anthropomorphistische ist also ein wesentliches Moment im wahrhaften Begriff der göttlichen Natur“ (Hotho 1823, 158). „Der Mensch ist wesentlich Geist“ (V 4a, 423). Hotho 1823, 158. Pfordten 1826, 146. Pfordten 1826, 146. der für die Symbolische Kunstform charakteristischen „Vermischung des Geistigen mit dem Natürlichen“575 tritt in der klassischen Skulptur die „wahrhafte Durchdringung des Geistigen durch das Natürliche“576. Das Kunstwerk erfüllt die (von Kant unterstellte) Funktion des „Symbols des Sittlichen“. 4.4.3 Von der Natur als Symbol des Göttlichen zur Natur als Symbol des Menschlichen Eine weitere Darstellungsweise „schöner Natur“ im Kunstwerk - nach der Vermittlung des Göttlichen durch „Natur“(-Gestalten) in Architektur und Skulptur in der „Symbolischen“ und „Klassischen“ Kunstform - ist der „Romantischen Kunstform“ zugeordnet. Insbesondere wird die Natur nunmehr in der Landschaftsmalerei, der Gartenkunst und der Idyllendichtung zum Gegenstand der Kunst, weil jetzt die Darstellung der Natur als „Landschaft“ eine besondere Rolle in der Kunst spielt. Nicht mehr das Göttliche ist der hervorragende Inhalt und Gegenstand der Kunst, sondern der geschichtliche Mensch mit allen Facetten seiner inneren und äußeren Welt. Natur ist nicht länger „Symbol des Göttlichen“, sondern Natur als „Landschaft“ ist fortan „Symbol des Menschlichen“. Die Frage, warum die Natur bzw. Naturschönheit in der „Romantischen Kunstform“ die zentrale Bedeutung als „Symbol des Göttlichen“ verliert, statt dessen die Darstellung der Natur als „Landschaft“ nunmehr als „Symbol des Menschlichen“ diesen Stellenwert gewinnt, verlangt eine kurze Rekonstruktion des Übergangs von der „Klassischen“ zur „Romantischen Kunstform“. In der „klassischen Kunstform“ erreicht die Darstellung des Göttlichen in der Schönheit einer menschlichen Gestalt - d.h. einer geistigen Naturgestalt die Harmonie von Form und Inhalt. In der „geoffenbarten“ Religion des Christentums sprengt die Vorstellung des einen, als Mensch leidenden und mit anderen Menschen in Situationen handelnden Gottes die schöne Form der klassischen Kunst. Dies hat zur Folge, daß die schöne Gestalt als endliche Gestalt an der Gottesvorstellung der Offenbarung zerbricht. Ist der griechische Gott noch „an die Anschauung gebunden“, wird in ihm noch „die 575 576 V 4a, 417. Pfordten 1826, 146. 127 Einheit der menschlichen und göttlichen Natur angeschaut und die einzig wahrhafte Weise dieser Einheit“577, so zerbricht im Christentum diese Einheit, da hier der Inhalt über die sinnliche Form hinausgeht. Die in unbeweglicher „seliger Ruhe“ erstarrte schöne Göttergestalt der klassischen Kunstform kann kein Symbol des Göttlichen im Sinne der geoffenbarten Religion des Christentums sein. Der christliche Gott ist nicht durch die Kunst gestiftet, sondern durch die Religion geoffenbart und der Kunst vorgegeben. Dieser Gott handelt mit den Menschen seiner Gemeinde in Situationen, die ebenfalls durch die Kunst dargestellt werden müssen. Handlungen aber sind durch Skulpturen nicht mehr darstellbar. Die in sich ruhende, schöne Götterdarstellung muß deshalb an diesem neuen Inhalt zerbrechen. Zudem begnügt sich die aufgeklärte Vernunft der „Moderne“ nicht mit unreflektiert tradierten und übernommenen und durch die Kunst gestifteten Handlungsorientierungen. Schon im Abschnitt über die Tragödie weist Hegel auf den Widerstreit vielfältiger, im Polytheismus als letztgültig vorgestellter Handlungsorientierungen hin, den die Kunst nicht zu versöhnen vermag.578 In der geoffenbarten Religion ist nicht das Medium der Anschauung, sondern das der Vorstellung eine adäquatere Vermittlung des Göttlichen. So realisiert sich die Idee nunmehr nicht mehr in der „sinnlichen Einheit“ von Idee und Gestalt, sondern in der menschlichen „Subjektivität“, der subjektiven Innerlichkeit. Dies hat für die Kunst einerseits zur Folge, daß der Inhalt für sich frei wird579, andererseits wird dadurch in letzter Konsequenz auf der „letzten Stufe“ der romantischen Kunst auch das Sinnliche „in seiner Sphäre“580 frei581. Hegel konstatiert daher eine „Auflösung des Inhalts und der Gestaltung“582. Zugleich stiftet das Geistige als Geistiges die „Bedeutung des Sinnlichen“, die „Gestalt wird so wieder symbolisch“.583 Es kommt also zu 577 578 579 580 581 582 583 128 Hotho 1823, 36. Vgl. Otto Pöggeler: Hegel und die griechische Tragödie. In: Heidelberger Hegel-Tage 1962. Hrsg. von H.-G. Gadamer. Bonn 1964, 285-305 (Hegel-Studien. Beiheft 1). Der Geist ist aufgefordert, „i n s i c h selbst zu leben und in keinem A n d e r e n seiner. Der Geist muß sich selbst zum Boden seines Daseins haben, sich eine intellektuelle Welt erschaffen“ (Hotho 1823, 179). Hotho 1823, 37. Der „Stoff ist aus dem Selbst getreten, das Raisonnement frei geworden, der Stoff äußerlich, so daß die Kunst freie, subjektive Geschicklichkeit [wird], der der Stoff gleichgültig [ist]“ (Hotho 1823, 204). Hotho 1823, 36. Kehler 1826, 29. einer Wiederholung der Struktur der symbolischen in der romantischen Kunstform. Beide Kunstformen verbindet nämlich die Unvereinbarkeit des Form-Inhalt-Verhältnisses mit der Schönheit der Darstellung. In der symbolischen Kunst erscheint die Vielfalt der Formen als Beleg für die noch lediglich ahnenden Versuche, den unendlichen (göttlichen) Inhalt geistig zu erfassen und entsprechend zu gestalten. In der romantischen Kunst ist dieser unendliche Inhalt dann der Grund, die schöne Form zu zerstören oder zu einer Vielfalt von Formen zu erweitern. Das Göttliche läßt sich also nicht mehr in der schönen menschlichen Gestalt darstellen. Wollte man Gott oder Christus portraithaft darstellen, wäre dies keine schöne, sondern eine nicht-mehr-schöne Darstellung. „Christusköpfe“, so Hegel in den Ästhetikvorlesungen, sind „kein klassisches Ideal“, es wäre unangemessen, ihnen die Schönheit griechischer Skulpturen zu geben: „Christusköpfe sind hiermit kein klassisches Ideal. Die Schönheit Apolls ihnen einzubilden, würde als höchst unpassend erscheinen“.584 Überhaupt läßt sich der Inhalt der christlichen Religion nur in nicht-mehrschönen Darstellungsformen angemessen ausdrücken. Das gilt insbesondere für die Darstellung der Geschichte Gottes mit den Menschen. Martern und Greuel können nicht schön, sondern müssen häßlich dargestellt werden. Diese Gestaltungen lassen sich nicht über ästhetische Kriterien, sondern nur durch den religiösen Kontext, und zwar reflexiv erschließen. Hegel erörtert in den Ästhetikvorlesungen nur zwei „schöne“ Sujets, die ein Symbol der christlichen Gottesvorstellung sein können: die Darstellungen der Muttergottes und der Maria Magdalena. Beide Gestaltungsweisen dieser Darstellungsgegenstände erreichen je die Einheit von schönem Inhalt und schöner Form.585 Eine Konzentration der Kunst auf Schönheit wird demnach obsolet, sie kann 584 585 586 zum „Charakteristischen“, „Interessanten“ und „Häßlichen“586 Hotho 1823, 186. Vgl. hierzu ausführlich: A. Gethmann-Siefert: Einführung in Hegels Ästhetik, 286ff. „Am Ende des 18. Jahrhunderts [hat] die Kategorie der Schönheit als Konstituens der Künste ihre uneingeschränkte Geltung verloren (…) und kann nun anderen Begriffen wie dem Interessanten, Charakteristischen und Romantischen Platz gewähren“ (Gunter Scholtz, Der Weg zum Kunstsystem des Deutschen Idealismus, 22). Vgl. dazu die umfassende Untersuchung Das Siegel der Moderne von F. Iannelli, die den Begriff des Häßlichen bei Hegel im Sinne einer neuen Einheit von Inhalt und Form deutet; sowie auch A. Gethmann-Siefert, die diese neuen Formen, die das Ideal nach Hegels Aussagen in der Enzyklopädie und in den Ästhetikvorlesungen annehmen muß, als Formen 129 fortschreiten. Die Kunst gewinnt aber nicht nur neue Formen oder Darstellungsweisen, sie gewinnt auch einen neuen Inhalt, und zwar die Welt des Menschen und seines Alltags. Dadurch ist die Kunst zudem nicht mehr zwangsläufig an den göttlichen Inhalt gebunden; alles „Substantielle“ kann nun der Willkür subjektiver Ansichten anheimfallen (paradigmatisch im Humor). Kunst vermittelt nun den „Humanus, die allgemeine Menschlichkeit, das menschliche Gemüt in seiner Fülle, seiner Wahrheit“587. Alle Facetten der inneren und der äußeren Welt des Menschen können nun Gegenstand der Kunst werden: „Im Romantischen haben alle Gegenstände Platz“.588 Die Kunst stellt alles dar, was „die Menschenbrust bewegt“, ihr „neuer Heiliger“ ist der vernünftige und freie Mensch selbst. Kunst symbolisiert nicht mehr das Göttliche, sondern das Menschliche. Die Darstellungsmöglichkeiten der Kunst werden damit gegenüber denen der symbolischen und klassischen Kunstform erweitert. Kunst ist nicht mehr an die Religion und deren darstellungswürdige Gegenstände gebunden, sondern sie thematisiert den geschichtlichen Menschen und dessen Welt und Wirklichkeit. Je mehr der Einfluß der Religion in der modernen Gesellschaft abnimmt, desto bedeutsamer wird dieser neue Inhalt. Werden nun Naturgegenstände in ihrer Unmittelbarkeit aufgegriffen und dargestellt, so ist dies deswegen möglich, weil der Mensch sich mit dieser Unmittelbarkeit wieder „versöhnt“589 hat. Dies geschah in mehreren Schritten. Im Symbolischen war das unmittelbar Natürliche „an ihm selbst das Göttliche. Der Gedanke ist nicht frei in sich, sondern in natürlicher Existenz“590. Im Klassisch-Griechischen ist die Weltlichkeit „noch affirmativ“. Das Romantische hingegen ist über weite Strecken das „geistige Insichsein, wogegen die Weltlichkeit als ein Nichtiges gesetzt ist“591. Zuerst war im „religiösen Kreis“ die unmittelbare Gegenwart der inneren und äußeren Welt zugunsten einer bloß an-sich-seienden Versöhnung mit einem Jenseits aufgeopfert worden. Schließlich konnte im „weltlichen Kreis“ des Rittertums die Unmittelbarkeit allmählich als ein Affirmatives zurückerobert 587 588 589 590 591 130 der Kunst in der modernen Welt deutet: A. Gethmann-Siefert: Hegel über das Häßliche in der Kunst. Hotho 1823, 204. Hotho 1823, 198. Hotho 1823, 199. Hotho 1823, 203. Hotho 1823, 203. werden. Nach dieser Wiederversöhnung des Geistes mit Naturgegenständen in ihrer Unmittelbarkeit wird es jetzt möglich, daß auch mit „der gemeinen Gegenwart vorlieb genommen“592 werden kann. Das Portrait wird notwendig und die Dichtkunst nimmt Szenen des gewöhnlichsten Lebens auf. Insbesondere stellt die Malerei „die Gegenwärtigkeit dar“. Ausdrücklich bringt Hegel hier die Niederländische Malerei des 17. Jahrhunderts ins Spiel. Wenn also überhaupt begründet von Natur bzw. von Naturdarstellung in der Kunst gesprochen werden soll, so kann und muß dies nur im Rahmen der Bestimmung der Kunst als „Symbol des Menschlichen“ geschehen. Zur Debatte steht, ob durch die Marginalisierung des „Schönen“ in der Romantischen Kunstform die Kunst - wie in der Symbolischen und Klassischen Kunstform - die Kantische Forderung erfüllen kann, ein „Symbol der Sittlichkeit“ zu sein. 592 Hotho 1823, 199. 131 5 Naturdarstellung als schöne „Landschaft“ Es gibt nur wenige Äußerungen von Hegel zu „Landschaft“, und zwar sowohl in den Ästhetikvorlesungen als auch in der Druckfassung der Ästhetik. Eine ebenfalls häufig vorgebrachte Kritik gegen Hegels Konzeption des Naturschönen stützt sich daher auf diese stiefmütterliche, ja „schnöde“593 Behandlung des Themas „Landschaft“. Es sei kaum zu verstehen, daß Hegel sich in einer Zeit, in der Natur als Landschaft „längst entdeckt war“594, nur mit wenigen dürren Worten zur Landschaft und mit geradezu „Lieblosigkeit“595 zur Landschaftsmalerei äußert. Dies scheint um so erstaunlicher, als die Zeit um 1800 die Zeit ist, in der die durch Künstler, Literaten und Reiseschriftsteller vermittelte Entdeckung und Begeisterung für europäische Landschaften einem Höhepunkt zustrebt.596 Die Ausstellung „Entdeckung der Landschaft in der europäischen Malerei um 1800“597 dokumentiert eine Entwicklung der Kunst, die Hegel auch zu seiner Zeit wahrnahm, aber nur in einer knappen, dennoch differenzierten Argumentation in seiner Ästhetik zu begreifen suchte. Im Zuge dieser Argumentation entwickelt Hegel ein Konzept der Natur als Landschaft, das die Naturdarstellung im Sinne einer „Landschaft“ zu einem Thema der philosophischen Ästhetik erhebt. Hegel rekonstruiert die Konstitution der Landschaft aus einem produktiven Vollzug des subjektiven Geistes qua Empfindung bzw. qua Stimmung. Letztlich verläuft diese Rekonstruktion in Analogie zur Rekonstruktion der „Betrachtung schöner Natur“, da die Bedeutung von „Landschaft“ ebenfalls im Kontext der Analyse einer „gebildeten Anschauung“ gewonnen werden muß. In diesem Zusammenhang muß deutlich werden, ob ein in einem Stimmungsbezug 593 594 595 596 597 132 gegründeter Naturvollzug „Landschaft“ zur Hartmut Scheible: Wahrheit und Subjekt. Ästhetik im bürgerlichen Zeitalter, Hamburg 1988, 308. Ebd., 309. Konrad Schüttauf: Die Kunst und die bildenden Künste. Eine Auseinandersetzung mit Hegels Ästhetik, Bonn 1984, 173. Vgl. hierzu die beispielhaft rekonstruierten Entdeckungsgeschichten europäischer Landschaften, die Antonia Dinnebier in einem instruktiven Aufsatz versammelt hat: Antonia Dinnebier: Zur Zukunft der ästhetischen Landschaft, in: Neue Kulturlandschaften, hg. von Hans Friesen und Eduard Führ, Cottbus 2001, 55-69. Vgl. insbesondere die im Ausstellungskatalog Wasser, Wolken, Licht und Steine. Die Entdeckung der Landschaft in der europäischen Malerei um 1800 (hg. von Klaus Weschenfelder und Urs Roeber [Ausstellung Mittelrhein-Museum Koblenz, 25. August bis 3. November 2002], Heidelberg 2002) publizierten Aufsätze von Helmut Börsch-Supan: Die künstlerische Entdeckung der Landschaften Europas in der Epoche der Aufklärung und der Romantik, 11-26 sowie Oskar Bätschmann: Reflexionen über die Landschaftsmalerei um 1800 in Deutschland, 27-44. Stimmungskulisse reduziert und welche Kritik Hegel gegen eine naive Berufung auf Empfindungen und Stimmungen und eine damit einhergehende subjektiv-substanzlose Landschaftsanschauung bringt (5.1). In einem zweiten Schritt ist die „Darstellung schöner Landschaft“ in unterschiedlichen Kunstgattungen zu untersuchen und zu zeigen, wie diese als „Symbol des Menschlichen“ einen spezifischen Naturvollzug zur Darstellung bringt. Dies geschieht in Analogie zur „Darstellung schöner Natur“ als Symbol des Göttlichen. Hegel diskutiert in diesem Zusammenhang die niederländische Landschaftsmalerei des 17. Jahrhunderts. Hier wird Natur nicht als bloße Natur, sondern als gestaltete Natur aufgegriffen und dargestellt, d.h. als Landschaft, in der Natur und menschliche Naturnutzung („objektiver Geist“) und seine subjektive Vermittlung in der schönen Darstellung eine historisch vermittelte Einheit bilden und zudem eine Form des „absoluten Geistes eines Volkes“ sind. Kunst ist immer diese Einheit von durch Produktion wie Rezeption des subjektiven Geistes objektiviertem und insbesondere bei der niederländischen Landschaftsmalerei des 17. Jahrhunderts - zudem „absoluten Geist eines Volkes“: nämlich Symbol der eigenen Gestaltung der Welt durch Arbeit und der Orientierung durch eine in der „Befreiung“ von der spanischen Grandezza gewonnenen eigenen religiösen Auslegung (Protestantismus). Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, daß Natur überhaupt nur geschichtlich, also als vermittelte zugänglich ist. Ein vermeintlich unvermittelter Zugang zu Natur führt nicht zu dieser selbst, sondern verweist eher auf einen Vollzug des Betrachters, der lediglich das in Natur projiziert, was seiner subjektiven Innerlichkeit entstammt (5.2). 5.1 Anschauung schöner Landschaft Die Frage, die sich im Hinblick auf eine „Anschauung schöner Landschaft“ in Analogie zur „Betrachtung schöner Natur“ stellt, lautet: Welche Voraussetzungen hat die „gebildete Anschauung“, wenn ein Betrachter im Anschauen der Landschaft zum Urteil, sie sei „schön“598 veranlaßt wird. 598 Mit Theodor W. Adorno: Ästhetische Theorie, 108, der sich undifferenziert zu dem Ausruf „Oh wie schön“ veranlaßt sieht. Diesen Ausruf entnimmt Adorno einem Vers von Friedrich Hebbels „Herbstlied“, auf das er in der entsprechenden Anmerkung hinweist. 133 Hegel redet an einer Stelle in den Berliner Ästhetikvorlesungen ausdrücklich über die „Schönheit einer Landschaft“599, er spricht also „Schönheit“ einem Wahrnehmungsausschnitt der den Menschen umgebenden Natur zu. Als Grund dieses Geschmacksurteils identifiziert Hegel einen spezifischen Naturvollzug, der seinerseits von Voraussetzungen abhängt, die historisch vermittelt sind und erst am Ende einer langen und verwickelten Vermittlungskette stehen. Welche Voraussetzungen in die „gebildete Anschauung“ der Natur integriert sind und gleichsam dazu führen, Landschaft qua Naturanschauung ästhetisch zu ‚erzeugen’, läßt sich am besten durch einen Blick auf die Vorgeschichte der „Landschaftsanschauung“600 zeigen. Diese Rekonstruktion wird zudem Hinweise geben können, daß und wie Hegel mit der Beschreibung und Kritik dieses Naturvollzuges auf zeitgenössische Strömungen der Kunst und der Kunsttheorie reagiert und diese Auseinandersetzung in seine „Kritik der Romantik“601 integriert. 5.1.1 Zur Vorgeschichte der Landschaftsanschauung Natur als Landschaft zu sehen, ist historisch gesehen keine Selbstverständlichkeit. Es bedurfte einer jahrhundertelangen Entwicklung, bis das für eine ästhetische Landschaftsanschauung notwendige „landschaftliche Auge“602 entsprechend gebildet war. Hier mögen einige Hinweise zur Entwicklung und zum besseren Verständnis der Hegelschen Kritik an der Darstellung der Landschaft als Form der „substanzlosen Subjektivität“ dienen. Zum anderen muß eine genauere Bestimmung der Naturanschauung entwickelt werden, die die Natur als „Landschaft“ erfaßt. In der Rekonstruktion der Hegelschen Kritik an einer weltlosen empfindsamen Landschaftsanschauung wird eine Komponente des Begriffs „Landschaft“ aufgegriffen, die neben anderen Bedeutungen steht. Eine undifferenzierte Verwendung des Begriffs „Landschaft“ kann dazu führen, daß Landespfleger, 599 600 601 602 134 dann, wenn Landschaftsökologen, Landschaftsästhetiker, Landschaftsplaner, Geologen, Geographen, Hotho 1823, 62. Dieser Begriff der „Landschaftsanschauung“ wird in dem wohl ersten Entwurf einer Geschichte der Landschaftsästhetik entwickelt, die Wilhelm Heinrich Riehl 1850 mit der inzwischen berühmten Studie über „Das landschaftliche Auge“ vorgelegt hat: In: Culturstudien aus drei Jahrhunderten, Stuttgart 1862, 57-79. Vgl. grundlegend zu dieser Kritik: Otto Pöggeler: Hegels Kritik der Romantik, München 1999. Vgl. Wilhelm Heinrich Riehl: Das landschaftliche Auge. Kunsthistoriker, Landschaftsarchitekten und Philosophen über „Landschaft“ reden, sie je über etwas anderes sprechen603. Vor allem in der Geographie wurde der Begriff „Landschaft“ einer ausführlichen semantischen Analyse unterzogen, derzufolge sich im deutschen Sprachgebrauch drei HauptBedeutungen herauskristallisierten604: (1) Landschaft als territoriale, politische und räumliche Bedeutungsvariante, (2) Landschaft als Bezeichnung für die „künstlerische Darstellung eines so aufgefaßten Naturbildes“605, (3) Landschaft als „ästhetisch und emotional aufgefaßtes Naturbild“606. Die erste Bedeutung fächert sich auf in eine siedlungsräumliche, politische und (abgeleitete) personenkollektive Bedeutungsvariante (die „Vornehmen“ einer Landschaft, „Landstände“, „Ständeversammlung“, „Ostfriesische“ oder „Oldenburgische Landschaft“)607. Aus der primären Bedeutung von „größerer Siedlungsraum mit gewissen historisch-sozialen Gemeinsamkeiten“ wurde zum einen ein „streng politisch definiertes Raumwort (Landschaft, Territorium, Provinz, Machtbereich eines Landesherrn u.ä.)“. Zum anderen wurde „unter Wegfall der alten Bedeutungskonstituente ‘Siedlungsraum’ im Spätmittelalter“ das Wort „Landschaft“ als Bezeichnung naturräumlicher Einheiten ausgegliedert608 − eine zunehmende Verwendung dieses Wortes zur Bezeichnung räumlicher Einheiten also. Indem schließlich immer häufiger Landschaft mit Gegend − in der Bedeutung von „sinnlich, vor allem optisch erfaßbare Umgebung“609 − gleichgesetzt wurde, konnte mit „Landschaft“ auch an kleinere und überschaubare Raumeinheiten gedacht werden610. 603 604 605 606 607 608 609 610 Ein erstes „Panorama der verschiedenen Landschaftsbegriffe“ ergibt sich aus den Literaturhinweisen von Werner Flach: Landschaft. Die Fundamente der Landschaftsvorstellung, in: M. Smuda (Hg.): Landschaft, Frankfurt am Main 1986, 11-28, hier 27, Anmerkung 16; Hinweise zu den begriffsformierenden Beiträgen der Künste und Künstler im Hinblick auf „Landschaft“: a.a.O., 26, Anmerkung 13; zum „geschichtlichen Wandel des Landschaftsbegriffs“: a.a.O., 25, Anmerkung 1. Vgl. hierzu G. Hard: Die „Landschaft“ der Sprache und die „Landschaft“ der Geographen. Semantische und foschungslogische Studien, Bonn 1970; zu den drei Bedeutungen: B. Kortländer: Die Landschaft in der Literatur des ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts, in: ‘Landschaft’ als interdisziplinäres Forschungsproblem. Hrsg. von A. H. von Wallthor und H. Quirin, Münster 1977, 36-44, hier 36. B. Kortländer, Die Landschaft in der Literatur des ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts, ebd. G. Hard, Die „Landschaft“ der Sprache und die „Landschaft“ der Geographen, 34. Vgl. G. Hard: Zu den Landschaftsbegriffen der Geographie. In: ‘Landschaft’ als interdisziplinäres Forschungsproblem, 13-23, hier 13 f. Gunter Müller: Zur Geschichte des Wortes Landschaft, in: ‘Landschaft’ als interdisziplinäres Forschungsproblem, 4-12; 9. Gunter Müller: Zur Geschichte des Wortes Landschaft, 9. Gunter Müller: Zur Geschichte des Wortes Landschaft, 9. 135 Die dritte Bedeutung von „Landschaft“ als „ästhetisch und emotional aufgefaßtes Naturbild“ bzw. als ein optisch erfaßter Naturausschnitt ist auch gegenwärtig die entscheidende umgangs-, vor allem aber gebildetensprachliche Variante − abgesehen von der seit den 1970er Jahren aufgekommenen ökologischen Bedeutung. Die geschichtlichen Wurzeln dieser dritten Bedeutungsvariante liegen in der spätmittelalterlichen Tafelmalerei des 15. und 16. Jahrhunderts und damit in der zweiten Bedeutungsvariante. Dort galt „Landschaft“ als „Terminus technicus für das einen Naturausschnitt darstellende Gemälde“611. Dieser Fachbegriff der Maler bedeutete „Landschaftsbild“, „gemaltes Konterfei“612, „‘malerische Darstellung eines Naturausschnitts’“613. Vom deutschen Südwesten gelangte diese Bedeutungskomponente in die Niederlande614 („landschap“) und von dort noch am Ende des 16. Jahrhunderts nach England. Das englische „landscape“ bedeutet „‘Bild, das eine Landschaft darstellt’“ und ist, wie das deutsche Wort „Panorama“, dem niederländischen „landschap“ entlehnt615. Dieses sondersprachliche Fachwort wird dann gegen Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts in die „allgemeine Gebildetensprache“616 übernommen, vermittelt durch gehobene „Schöne Literatur“617. Jakob Burckhardt hat in seinem bekannten Werk zur Kultur der Renaissance in Italien618 gezeigt, wie für die italienische Renaissance ein neues Naturverhältnis prägend wurde, das mit dem Konzept der Landschaft verknüpft ist. Klassischer Topos für dieses neue Naturverhältnis ist die berühmte Bergbesteigung des Mont Ventoux am 26. April 1335 durch 611 612 613 614 615 616 617 618 136 Gunter Müller: Zur Geschichte des Wortes Landschaft, 9. Der entscheidende Text der Sekundärliteratur zu diesem Nachweis, auf den sich dieser und andere Autoren stets berufen, stammt von R. Gruenter: Landschaft. Bemerkungen zur Wort- und Bedeutungsgeschichte, in: A. Ritter (Hg.): Landschaft und Raum in der Erzählkunst, Darmstadt 1975, 192-207. Vgl. auch B. Kortländer, Die Landschaft in der Literatur des ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts, 36 f. G. Hard: Zu den Landschaftsbegriffen der Geographie, 14. Gunter Müller: Zur Geschichte des Wortes Landschaft, 9. Vgl. hierzu auch: Nils Büttner: Die Erfindung der Landschaft. Kosmographie und Landschaftskunst im Zeitalter Bruegels, Göttingen 2000. Gunter Müller: Zur Geschichte des Wortes Landschaft, 9. Gerhard Hard: Zu den Landschaftsbegriffen der Geographie, 14; Gunter Müller: Zur Geschichte des Wortes Landschaft; R. Gruenter: Landschaft. Bemerkungen zur Wort- und Bedeutungsgeschichte. Vgl. zum Thema „Literatur und Landschaft“: B. Kortländer, Die Landschaft in der Literatur des ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts, ebd. Jakob Burckhardt: Die Kultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. (1859), Stuttgart 1976. Francesco Petrarca619, mit der der „im christlichen Kulturkreis“ wirkungsgeschichtlich entscheidende Schritt zur Entdeckung einer „Aussicht“ auf und über die Landschaft „als ästhetischen Wert“620 getätigt wurde.621 Entscheidend für die Ausbildung dieser neuzeitlichen Landschaftsanschauung ist aber nicht nur die Entdeckung der Landschaft als Landschaft, sondern auch und in eins damit „die Bedeutung der Landschaft für die erregbare Seele“622 − d.h. der empfindsame Naturbetrachter623, der in einer Anschauung einen Ausschnitt der den Menschen umgebenden Natur mit dessen einzelnen aspekthaften Naturphänomenen allererst als Landschaft synthetisiert und 619 620 621 622 623 Francesco Petrarca: Die Besteigung des Mont Ventoux. Übersetzt und herausgegeben von Kurt Steinmann, Stuttgart 1995. Clemens Alexander Wimmer: Zur schönen Aussicht. Typologie und Genese einer ästhetischen Erfahrung, in: Wege zum Garten. Gewidmet Michael Seiler zum 65. Geburtstag. Hrsg. von der Generaldirektion der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg, Potsdam 2004, 30-36; 32. Der Streit um die tatsächliche Bedeutung des Berichtes von Petrarca wird exemplarisch ausgefochten zwischen den Autoren Ruth und Dieter Groh (Ruth und Dieter Groh: Petrarca und der Mont Ventoux, in: Merkur, 46. Jahrgang (1992), 290-307 sowie dies.: Die Außenwelt der Innenwelt. Zur Kulturgeschichte der Natur 2, Frankfurt am Main 1996) und den Thesen von Joachim Ritter in dessen berühmten, wirkungsgeschichtlich bedeutsamen Aufsatz über Landschaft (Joachim Ritter: Landschaft. Zur Funktion des Ästhetischen in der modernen Gesellschaft (1963), in: ders.: Subjektivität. Sechs Aufsätze, FaM 1974, 141-190). - In dem Aufsatz von Ruth und Dieter Groh wird „das Bild des die Welt von oben betrachtenden Dichters“ letztlich „zu einem wissenschaftlichen Trugbild, einem Phantasma“ (306) degradiert und der gesamte Briefbericht Petrarcas als „Bekehrungsgeschichte“ (293) in der Tradition eines Antonius und Augustinus interpretiert. Zudem werden die Beschreibungen als Metaphern und Allegorien in mittelalterlicher Manier gedeutet. Wir schließen uns hier der Gegenkritik Viettas (S. Vietta: Die vollendete Speculation führt zur Natur zurück, Leipzig 1995) an, derzufolge Epochenumbrüche stets mit vielen alten und wenigen neuen Elementen und Figuren arbeiten. Entscheidend ist jener „panoramatische Blick (…) auf die und über die Landschaft“ (Vietta, a.a.O., 217), der eben tatsächlich spezifisch neuzeitlich und keineswegs mittelalterlich ist. – Der genannte Streit kann auch als Fortsetzung eines älteren Streites verstanden werden, nämlich dem zwischen Ludwig Friedländer und Heinrich Motz in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts. In diesem Streit ging es um die ästhetische Bedeutung der Bergbesteigungen in der Antike in ihrer Differenz zu und ihrem Zusammenhang mit der neuzeitlichen Erfahrung von Natur als Landschaft. Vgl. hierzu Reinhard Falter: Natur als Landschaft und als Gott. Fluß- und Berggötter in der Spätantike, in: Rolf Peter Sieferle / Helga Breuninger (Hrsg.): Natur-Bilder. Wahrnehmungen von Natur und Umwelt in der Geschichte, Frankfurt am Main / New York 1999, 137-179. − Zu dem Streit um die Bewertung der Bergbesteigung Petrarcas gibt es eine instruktive Stellungnahme von Thomas Gil: „Trotz der gegensätzlichen Standpunkte, die in dieser Debatte um die Entstehung der ästhetischen Naturerfahrung vertreten worden sind, läßt sich folgendes Konsensfähiges festhalten. Die ästhetische Naturerfahrung, die als ein Erlebnis von ‚Landschaft’ begrifflich gedeutet worden ist, ist eine sehr voraussetzungsreiche Erfahrung, die nicht immer, d.h. nicht zu jeder Zeit, zu haben ist. Sie setzt vieles voraus. Sie setzt eine Reihe von subjektiven Leistungen voraus, die mentaler Art sind. Diese subjektiven Leistungen sind bestimmte Vorstellungen und Affektlagen, die individuellkollektiver Natur sind. (…) Die Realerfahrung von Natur, von Landschaft ist nicht eine primäre Erfahrung. Sie ist durch Ideen, Vorstellungen, ja durch Weltbilder oder durch die Rezeption von Kunstwerken aus Dichtung und Malerei präformiert und vermittelt“ (Thomas Gil: Der Begriff der ästhetischen Erfahrung, Berlin 2000, 56f). Jakob Burckhardt: Die Kultur der Renaissance in Italien, 277. Diesen Vorgang hat Joachim Ritter mit folgendem Satz zusammengefaßt: „Landschaft ist Natur, die im Anblick für einen fühlenden und empfindenden Betrachter ästhetisch gegenwärtig ist“ (Joachim Ritter: Subjektivität, 150). Vgl. auch Rainer Piepmeier: „Zum Sehen von Natur als L[andschaft] gehört so korrelativ ein Subjekt, das Natur in einem besonderen Akt des Sehens zur L[andschaft] macht“ (R. Piepmeier: Artikel: Landschaft, III.: Der ästhetisch-philosophische Begriff, in: J. Ritter u.a. (Hg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie, Basel/Stuttgart 1971 ff., Bd. V, Spalte 17). 137 damit konstituiert624. Diese Synthetisierung ist aber nur möglich, wenn die Betrachtung von Landschaft ohne Nützlichkeitserwägungen vollzogen wird. J. Ritter weist auf diesen nutzzweckfreien Naturvollzug ausdrücklich hin, wenn er betont: „Nicht die Felder vor der Stadt, der Strom als ‚Grenze’, ‚Handelsweg’ und ‚Problem für Brückenbauer’, nicht die Gebirge und die Steppen der Hirten und Karawanen (oder der Ölsucher) sind als solche schon ‚Landschaft’. Sie werden dies erst, wenn sich der Mensch ihnen ohne praktischen Zweck in ‚freier’ genießender Anschauung zuwendet“625. Dann aber - so Ritter - verändert „die Natur ihr Gesicht. Was sonst das Genutzte oder als Ödland das Nutzlose ist und was über Jahrhunderte hin ungesehen und unbeachtet blieb oder das feindlich abweisende Fremde war, wird zum Großen, Erhabenen und Schönen: es wird ästhetisch zur Landschaft“626. Unschwer erkennt man die Kantische Idee eines „interesselosen Wohlgefallens“ wieder, das als „Zweckmäßigkeit ohne Zweck“627 ebenfalls von utilitären, zudem von moralisch-praktischen Erwägungen sowie von der Frage nach der Wahrheit entlastet ist. Es wird sich aber in den weiteren Überlegungen erweisen, daß eine Ästhetisierung der Landschaft, die den Menschen in eine unvermittelte Opposition von genutzter (gesellschaftlich bearbeiteter) Landschaft einerseits und von (nutz-)zweckfreier, durch „interesseloses Wohlgefallen“ betrachteter Landschaft andererseits stellt, in der Gefahr steht, in einen substanz-, d.h. weltlosen ästhetischen Subjektivismus zu münden. Diese Gefahr und die Kritik daran hat Hegel in seiner „Kritik der Romantik“ geahnt und antizipiert, weswegen es im Hinblick auf diese Gefahr sinnvoll und erfolgversprechend sein könnte, an Hegel anzuschließen. Kants ästhetisches „Spiel der Erkenntniskräfte“ (Verstand und Einbildungskraft) steht wie jedes Spiel in der Gefahr, letztlich in Beliebigkeit 624 625 626 627 138 So behauptet etwa Georg Simmel, in diesem Konstitutionsakt werde es mit Hilfe spezifischer, an eine besondere Betrachter- und/oder Deutungsperspektive gebundene Wahrnehmungsmuster möglich, „ein Stück Boden mit dem, was darauf ist, als Landschaft anzusehen“, d.h., es werde „eine in sich geschlossene Anschauung als selbstgenugsame Einheit empfunden“ (Georg Simmel: Philosophie der Landschaft. In: Ders.: Brücke und Tür. Essays des Philosophen zur Geschichte, Religion, Kunst und Gesellschaft. Im Verein mit Margarete Susman hrsg. von Michael Landmann. Stuttgart 1957, 141-152; hier 142). Dadurch, daß wir in diesem Konstitutionsakt „wirklich Landschaft und nicht mehr eine Summe einzelner Naturgegenstände sehen“ (147), entsteht somit allererst Landschaft und stellt Landschaft „selbst schon ein geistiges Gebilde“ (150) dar. Joachim Ritter: Landschaft, 150 f. Joachim Ritter: Landschaft, 151. KU, § 10. und Unverbindlichkeit abzugleiten, ohne „die Sache selbst“628 (Hegel), d.h. den als schön beurteilten Gegenstand zu erreichen. Dies ergibt sich aus dem formalen Charakter der Geschmacksurteile, die nicht einen schönen Gegenstand, sondern eine schöne Wirkung eines Gegenstandes im Subjekt beurteilen. Das freie „Spiel der Erkenntniskräfte“ ist zwar „mit einem Anspruche auf jedermanns Beistimmung, als ob es objektiv wäre“629 verbunden, aber die Intersubjektivität, d.h. die allen anderen potentiellen Landschaftsbetrachtern angesonnene Allgemeinverbindlichkeit des Geschmacksurteils beruht lediglich auf der Verallgemeinerbarkeit der Bedingungen der Möglichkeit des Naturvollzuges des Landschaftsbetrachters. Obwohl das Geschmacksurteil (hier: „Diese Landschaft ist schön“) in diesem Sinne intersubjektive Gültigkeit beanspruchen kann, ist es keineswegs objektiv gültig. Es bleibt aufgrund seines formalen Charakters an einen individuell-subjektiven Naturvollzug gebunden. Wenn das Ästhetische solcherweise aber nur das individuell-Subjektive ist, darauf hat beispielsweise J.H.J. Schneider gegen Ritter hingewiesen, dann führt dies zur „Auflösung, Zersplitterung bis hin zu nicht mehr vermittelbaren individuellen Sichtweisen auch noch des ästhetischen Naturverständnisses“630. Statt eines solchen individuell-subjektiven, zumeist über Empfindungen vermittelten und häufig weltlosen, weil um sich selbst kreisenden Naturbezuges gilt es dann aber, den Naturvollzug im Sinne eines substantiellsubjektiven Naturbezuges zu fassen, der die Landschaft nicht zum Spiegel individueller, an Stimmungen und Empfindungen geknüpfter Betrachtungsweisen depotenziert, sondern als Teil menschlicher Kultur, nämlich als „Kulturlandschaft“ begreift. „Kulturlandschaft“ in diesem Sinne ist „objektiver Geist“, sie gehört zu einer vom Menschen gestalteten, auf humane Ziele abgezweckten Umwelt. Hegel sieht in der Niederländischen Landschaftsmalerei des 17. Jahrhunderts einen in Kunst vermittelten Naturvollzug, der Landschaft als gestaltete Natur, damit als „objektiven Geist“ aufgreift und gleichzeitig dementsprechend als 628 629 630 Hotho 1823, 15. KU, § 32. J.H.J. Schneider in einer Diskussion mit Rolf Peter Sieferle und Jean-Pierre Wils über „Hat es einen Sinn, über den Sinn von Natur zu reden?“, in: Natur als Erinnerung? Annäherung an eine müde Diva, hg. von Jakob Hans Josef Schneider, Rolf Peter Sieferle und Jean-Pierre Wils, Tübingen 1992, 159-200; 185. 139 Form der Weltdeutung („absoluter Geist eines Volkes“) darstellt. Das heißt, in den Bildern der Niederländer wird deren „Weltanschauung“ vermittelt.631 Die Niederländische Landschaftsmalerei des 17. Jahrhunderts hat demnach das „Interesse“, die „substantielle Weise des Bewußtseins eines Volkes darzustellen“632. Diese „substantielle Weise“ 633 Ästhetikvorlesungen „Weltanschauungen“ nennt Hegel in den . In ihnen vermittelt sich die spezifische Sicht der Welt eines historischen Volkes auf dem Boden einer spezifischen Erfahrung von Welt. Diese Weltanschauung verdankt sich dem künstlerischen Vollzug einer subjektiven Rekonstruktion von Welterfahrung, die zur Konstruktion einer geschichtlichen Welt im Bild führt. Mit Hegel: Der „Stoff“ dieser Bilder „ist aus ihrem Leben“634. Die Niederländer haben „das Ihrige zum Zweck ihrer Darstellung gemacht, ihre Freude davon gehabt“635. In diesem Naturvollzug manifestiert sich demnach ein geschichtliches, politisches und sittliches Selbstbewußtsein in der Darstellung des Äußerlichen und Natürlichen, das sich zugleich in diesem Äußerlichen wiederfindet. In den Landschaftsbildern der Niederländer manifestiert sich ein affirmatives Weltverhältnis neuzeitlicher Subjektivität, die die bearbeitete und angeeignete Natur zu einer humanen Zwecken untergeordneten Landschaft als Umwelt gestaltet hat. Bereits die bloße Wahrnehmung von „Landschaft“ erfordert also einen einzelne Naturphänomene zu einer Anschauungseinheit formenden Naturvollzug, im Sinne Hegels im Rahmen einer „gebildeten Anschauung“. Um einen Ausschnitt aus dem einen Betrachter umgebenden Naturraum als „Landschaft“ wahrzunehmen, bedarf es eines speziellen auswählenden, kombinierenden und bedeutungsstiftenden Blickes auf diesen Raum. Entscheidende Voraussetzung hierfür ist die Befreiung der Wahrnehmung aus der Distanzlosigkeit zur Natur. Erst als „Freigelassene der Natur“ (Herder) auf 631 632 633 634 635 140 Dieser Aspekt wurde ausführlich untersucht in K. Berr: Hegels Bestimmung der Landschaftsmalerei. In: Die geschichtliche Bedeutung der Kunst und die Bestimmung der Künste. Hrsg. von A. Gethmann-Siefert, B. Collenberg-Plotnikov und Lu de Vos. München (Fink Verlag) 2004, 189-209; vgl. dort insbes. Kap. 4.2 „Landschaftsmalerei als Vermittlung einer Weltanschauung“. - Vgl. auch die weiterführenden Hinweise in Kap. 5.2.1.3. „Niederländische Landschaftsmalerei als ‚Symbol der Sittlichkeit’“ in vorliegender Arbeit. Hotho 1823, 203. Hotho 1823, 203. - In der Ästhetikvorlesung von 1823 spricht Hegel allgemein von „Weltanschauungen“ und speziell von „orientalischer Weltanschauung“ (Hotho 1823, 203). In der Ästhetikvorlesung von 1826 spricht Hegel von „ägyptischer Weltanschauung“ (Pfordten 1826, 125), „jüdischer Weltanschauung“ (a.a.O., 128) und „äußerlicher Weltanschauung“ (a.a.O., 195). Libelt 1828/29, Ms. 59. Libelt 1828/29, Ms. 59. dem Boden kulturell errungener Freiheit von Naturzwängen ist eine gewisse Distanz zur Natur und damit die Erfassung der Natur als Landschaft möglich. Der entscheidende Prozeß fortschreitender Distanzierung von Natur setzte mit den mittelalterlichen europäischen Städtegründungen insbesondere im Zeitraum zwischen 1150 und 1500 ein.636 Bedeutsam für diesen Prozeß war die Verschmelzung des Dorfes mit der Landschaft im Gegensatz zur ummauerten Stadt. Vor diesem Prozeß lebten die Menschen noch in distanzloser Nähe zur Landschaft und zum und mit dem dörflichen Leben.637 Im Mittelalter gab es demnach noch keine ästhetische Erfahrung von realen Landschaften, weil diese erst gar nicht ins ästhetische Blickfeld eines Naturbetrachters geraten konnten. Einzig der allegorische Garten in Dichtung, Minnesang und Malerei sowie der „Baumgarten“ des höfischen Rittertums treten an die Stelle dessen, was erst später ausdrücklich als „Landschaft“ erfahren werden konnte. Der „Baumgarten“ ist ein umzäunter oder umbauter Wiesenplatz mit einigen Bäumen, der zumeist innerhalb der Burg lag. Wesentliche Gartenelemente sind Bäume, Rasen (Gras) und ein Brunnen oder eine Quelle. Werden in Dichtung oder Bild zusätzlich Blumen wie Rosen, Veilchen und Lilien sowie Vögel genannt oder dargestellt, dann sind das die klassischen Elemente der antiken Ideallandschaft638 bzw. des antiken Lustortes („locus amoenus“).639 Wichtige weitere Elemente sind Rasenbänke und Gartenlauben. Lauben boten Schutz vor Sonne und unerwünschten Blicken und waren häufig mit Rosen oder Wein berankt. Rasenbänke bestanden aus sitzhohen Mauern, die mit Rasensoden bedeckt waren. Auch Holz- oder Steinbänke sind 636 637 638 639 Als begrenzte Auswahl an Forschungsliteratur zur deutschen und europäischen Stadtgeschichte im ausgehenden Mittelalter seien genannt: H. Planitz: Die Deutsche Stadt im Mittelalter - Von der Römerzeit bis zu den Zunftkämpfen. Graz/Köln 1954; H. Boockmann: Die Stadt im späten Mittelalter, München 1987; F. Irsigler: Stadt und Umland in der historischen Forschung. Theorien und Konzepte, in: Bevölkerung, Wirtschaft und Gesellschaft. Stadt-Land-Beziehungen in Deutschland und Frankreich. 14.-19. Jahrhundert, hg. von Neithart Bulst, Joachen Hoock und Franz Irsigler, Trier 1983, 13-38; A. Heit: Die mittelalterlichen Städte als begriffliches und definitorisches Problem, in: Die Alte Stadt 5 (1978), 350-408; Die Stadt des Mittelalters, Bd. 1, hg. von Carl Haase (Wege der Forschung 243), Darmstadt 1969; L. Benevolo: Die Stadt in der europäischen Geschichte, München 1993. „Erst im Zuge der Verhofung und Urbanisierung wurden Felder und Dörfer, Wiesen und Berge zu einem Gegenbild“ des in städtischen Räumen lebenden Menschen (Norbert Elias: Die höfische Gesellschaft, Neuwied/Berlin 1969, 342). Vgl. Ernst Robert Curtius: Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, zweite, durchgesehene Auflage Bern 1954, Kapitel 10: Die Ideallandschaft, 191-209. „Sein Minimum an Ausstattung besteht aus einem Baum (oder mehreren Bäumen), einer Wiese und einem Quell oder Bach. Hinzutreten können Vogelgesang und Blumen“ (Ernst Robert Curtius: Die Ideallandschaft, § 6. Der Lustort, 202. 141 überliefert. Einfriedigungen aus verschiedensten Materialien sowie Gartentore als Binnen- und Außentore spielten ebenfalls eine wichtige Rolle. Wege waren nicht vorhanden. Man ging einfach über die Rasenflächen. Dem Baumgarten ähnelt in Anlage und Nutzung die baumbestandene Blumenwiese (Anger). Es ist eine gartenähnliche Fläche, die auch wie ein Garten genutzt wurde und meistens nicht eingefriedet war. Der wesentliche Unterschied zwischen Baumgarten und Anger besteht darin, daß der Baumgarten etwas von vornherein Geschaffenes ist. Der Anger befand sich am Fuß oder am Bergabhang der Burg. Er wird beschrieben und dargestellt als schlichtes, von Waldstücken umgebenes Wiesenstück oder als natürlicher, aber mit allen Elementen des Baumgartens ausgestatteter und mit Mauern umbauter Landschaftsteil. Für das Naturgefühl der ritterlichen Gesellschaft waren Garten und Landschaft demnach teilweise austauschbar und fast gleichrangig. Unter Landschaft verstand man eine gartenhafte Landschaft, nicht aber die ‚wilde’ Natur. Diese wurde zumeist als etwas Fremdes oder gar Feindliches empfunden.640 Ein Landwirt, der in Überlebensnotwendigkeiten die Teilnehmerperspektive der landwirtschaftlichen einer an den Naturaneignung orientierten Lebensweise eingespannt ist, sieht nur das zu bestellende Feld, den Acker, die Wiese, den Hain, den Heuschober, nicht aber die Landschaft. Landschaft hingegen ist „mehr“ als die Nutzzwecken unterstellte Summe von Äckern, Feldern und Wiesen. Die Voraussetzung für dieses „Mehr“, die die angesprochene Synthese einzelner Naturphänomene zu Landschaft in der Neuzeit ermöglicht und befördert, ist die Stimmung bzw. Empfindung des Naturbetrachters.641 Die Möglichkeiten des neuen Naturverhältnisses wurden dann vorerst weiterentwickelt durch die Landschaftsmalerei642, und zwar wiederum im Italien der Renaissance. Einige „Künstler“ erahnten und antizipierten bereits, daß es „außer dem Forschen und Wissen (...) noch eine andere Art [gab], der 640 641 642 142 Vgl. hierzu insbesondere Dieter Hennebo: Gärten des Mittelalters, München 1987 sowie ergänzend Karsten Berr: Lustgärten und allegorische Gärten im hohen Mittelalter, in: Der Gartenbau, Solothurn (Schweiz), Heft 9/2001, 32-34. Nochmals mit J. Ritter: „Landschaft ist Natur, die im Anblick für einen fühlenden und empfindenden Betrachter ästhetisch gegenwärtig ist“ (Joachim Ritter: Subjektivität, 150). Der entscheidende Durchbruch gelang Ambrogio Lorenzetti in den Jahren 1338-40 mit seinen die Landschaft um Siena darstellenden Fresken „Die Folgen des guten Stadtregimentes“. Natur nahezutreten“643, d.h. der Natur als Landschaft. In Italien entwickelte sich daraufhin eine naturgetreuere Darstellung von Landschaft, die die mittelalterliche symbolisch-allegorische Darstellung, bei der etwas Dargestelltes auf etwas anderes, nämlich zumeist auf einen religiösen Bedeutungsgehalt verweist644, allmählich ablöst. Vermittelt über die spätmittelalterliche Südwestdeutschland Tafelmalerei und über des die 15. und 16. holländische Jahrhunderts und in englische Landschaftsmalerei des ausgehenden 16. und beginnenden 17. Jahrhunderts ergibt sich eine Entwicklungslinie bis hin zur für Hegel relevanten niederländischen Landschaftsmalerei des 17. Jahrhunderts. „Landschaft“ im Sinne der oben genannten zweiten Bedeutungsvariante als Landschaftsbild gelangt im Zuge der erwähnten Verbreitung und dem „verallgemeinerten Interesse an der Landschaftsmalerei (...) im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert aber in die allgemeine Gebildetensprache“645, nämlich auf eine gehobene literarische Sprachebene. Die Dichtung bedurfte also der Vorarbeit der Landschaftsmalerei, um sich zuerst den in Bildern dargestellten, erst später den realen Landschaften zuzuwenden. Die zuerst entstehenden dichterischen Beschreibungen dienten letztlich dem Bestreben, „die Realität mit den Augen des Malers und so auch die Natur mit den Augen des Landschaftsmalers zu sehen“646. So kam es letztlich dazu, daß „auch der mit landschaftlichem Auge wahrgenommene Wirklichkeitsausschnitt (und nicht nur sein künstlerisches Abbild) Landschaft genannt“647 wurde. Überall dort also, wo wir „auf dichterische Landschaftsbilder stoßen, handelt es sich (...) um Übernahmen der vom Maler formulierten Landschaft in die Dichtung. Über das Wort ist auch die Sache aus der Malerei in die Dichtung eingedrungen. Die Landschaft ist in der Geschichte des Gebens und Nehmens 643 644 645 646 647 Jakob Burckhardt: Die Kultur der Renaissance in Italien, 274. Norbert Schneider hat in seinem Buch über die Geschichte der Landschaftsmalerei. Vom Spätmittelalter bis zur Romantik, Darmstadt 1999, zahlreiche Beispiele für symbolisch-allegorische Darstellungen in der Landschaftsmalerei angeführt. Exemplarisch seien hier Giovanni Bellini: Allegoria sacra, um 1480 (a.a.O. 30ff) für das Quattrocento sowie Lorenzo Lotto: Allegorie, 1505 (a.a.O. 38ff) für das Cinquecento genannt. Gerhard Hard: Zu den Landschaftsbegriffen der Geographie (1. Die Herkunftsbeziehungen zur „Gemeinsprache der Gebildeten“), in: ‘Landschaft’ als interdisziplinäres Forschungsproblem, Münster 1977, 13-23, hier 14. Ebd. Ebd. 143 zwischen Dichtung und Malerei auf der Seite der Malerei zu buchen“648. So könnte man also mit Rainer Gruenter sagen, „dichterische Landschaftsschilderung (...) beginnt mit der literarischen Entdeckung des Landschaftsgemäldes“649. Natürlich ist das nur eine Seite des Problems, selbstverständlich schöpft die Dichtung über Landschaft aus einem tradierten Formenschatz der antiken und mittelalterlichen Poetik, in deren Einwirkung die Dichtung stets verbleiben muß und der ihr „zum mindesten thematische Grenzen zieht“650. In einem weiteren Entwicklungsschritt wird die dichterische Landschaft in der Romantik schließlich „zum großartigen Seelensymbol erhoben wie bei Heinse, Goethe, Jean Paul, Hölderlin, Eichendorff und Stifter. Für die Romantik (...) ist in der ‘subjektiv einmaligen Stimmung die Anschauung der Landschaft’ begründet. Landschaftsdarstellung ist ‘Stimmungskunst’“651. Das Musterbeispiel für diese Stimmungskunst, die die reale Landschaft zunehmend zum bloßen Spiegel subjektiver Empfindungen depotenziert und als „Stimmungslandschaft“652 ins Innere des empfindsamen Subjekts verlegt, ist Goethes Werther653. Im Sturm und Drang und insbesondere im romantischen Kult der Empfindsamkeit654 führt diese Entwicklung dann zu einer Natursehnsucht, die kaum noch zwischen der eigenen empfindsamen Beseelung und der Projektion seelischer Zustände in Naturerscheinungen unterscheiden kann. Die Folge ist ein Pantheismus, eine gesuchte naturmythische Verschmelzung von „Subjekt und Objekt“, von „Ich und 648 649 650 651 652 653 654 144 R. Gruenter: Landschaft. Bemerkungen zur Wort- und Bedeutungsgeschichte, 203f. (Hervorhebungen im Original). Ebd. (Hervorhebungen im Original). A.a.O., 206. - Vgl. auch Ernst Robert Curtius: Die Ideallandschaft. A.a.O., 207 (Hervorhebungen: K.B.). „Eines der wichtigsten Kapitel im Naturgefühl des 18. Jahrhunderts ist das Eindringen des Subjektivismus in die Landschaftsschilderung, das Durchseeltwerden der Landschaft, die seelenhafte Beziehung des Menschen zur umgebenden Natur, das also, was man später als ‚Stimmungslandschaft’ zu bezeichnen pflegt“ (August Langen: Verbale Dynamik in der dichterischen Landschaftsschilderung des 18. Jahrhunderts. In: Landschaft und Raum in der Erzählkunst, Darmstadt 1975, 112-191; 152). „Der neue Seelenmensch in der neuen Seelenlandschaft, das ist wie im Werther die Grundhaltung“ (August Langen: Verbale Dynamik in der dichterischen Landschaftsschilderung des 18. Jahrhunderts, 160). − J.W. Goethe: Die Leiden des jungen Werthers, Stuttgart 1985. Als eine kleine Auswahl der Forschungsliteratur zu diesem Thema seien genannt: Wolfgang Doktor: Die Kritik der Empfindsamkeit. Regensburger Beiträge zur deutschen Sprach- und Literaturwissenschaft, Reihe B, Untersuchungen 5, Frankfurt am Main 1975; Gerhard Sander: Empfindsamkeit, Band I. Voraussetzungen und Elemente, Stuttgart 1974; Renate Krüger: Das Zeitalter der Empfindsamkeit, Leipzig 1972; W. Huschke/W. Vulpius: Park um Weimar, o.O. 1965. Welt“ in einer ‚Unio mystica’.655 Es entstand ein Empfindsamkeits- und Gefühlskult, der eine Übereinstimmung von Natur und menschlicher Empfindung gewährleisten sollte. Im Blick auf diese Entwicklungen erweist sich die Landschaftsmalerei als historische Voraussetzung für eine an Empfindungen und Stimmungen geknüpfte ästhetisch-emotionale Betrachtung der Landschaft in der Neuzeit. Allerdings steht - nach Hegel - dieser empfindsame Naturvollzug in der Gefahr, sich in einem substanzlos-subjektiven, d.h. in einem in sich selbst kreisenden weltlosen Verhältnis des Menschen zur Landschaft zu erschöpfen. Dies gilt sowohl für eine ästhetische Betrachtung von Landschaft als auch für die Darstellung der Landschaft in verschiedenen Künsten. Es bleibt zu prüfen, ob Hegel ein solches Verhältnis zu Landschaft auch in der Darstellung von Landschaft zurecht unterstellt bzw. diese aus nachvollziehbaren Gründen kritisiert. 5.1.2 Landschaftsanschauung als gestaltete Anschauung Bei der Rekonstruktion der verschiedenen Weisen der „Betrachtung schöner Natur“ ließ sich bereits zeigen, daß die unorganische Natur als schön erscheinen kann, insofern in ihr die Regelmäßigkeit der Gestalten den Betrachter „verwundern“656 kann. Gestalten der organischen Natur gefallen als „schön“ oder mißfallen als „unschön“ durch habitualisierte Sehgewohnheiten und durch die bloße Ahnung des Vorhandenseins oder des Fehlens eines notwendigen einheitsstiftenden Zusammenhangs in der Organisation, d.h. in der Bildung der Gestalt. Handelt es sich bei diesen Phänomenen jeweils um Einzelgestalten der Natur, haben wir - so Hegel - mit der „Landschaft“ „keine organischen Gebilde vor uns (...), sondern eine Mannigfaltigkeit, die zusammenkömmt“657. Die „Schönheit einer Landschaft“658 verdankt sich nicht der verborgenen, erahnten oder durch Gewohnheit antizipierten Zusammenstimmung der Teile 655 656 657 658 So zeigt August Langen, wie Natur und Mensch den romantischen Dichtern gleichermaßen „beseelt“ erscheinen. Der Mensch ist demzufolge „durch nichts mehr von ihr [der Natur] geschieden, ihr Gewächs und Geschöpf wie Blume und Tier, ein Teilchen des Alls, von seinem Atem durchweht und von seiner Seele beseelt“ (August Langen: Verbale Dynamik in der dichterischen Landschaftsschilderung des 18. Jahrhunderts, 170). Hotho 1823, 61. Hotho 1823, 62. Hotho 1823, 62. 145 eines Ganzen. Hier ist die Zusammenstimmung vielmehr „äußerlich imponierend oder zufällig“. Was den Betrachter an der Landschaft interessiert und diese als schöne beurteilen läßt, sind „Bestimmungen, die ganz die Bezüglichkeit solcher Gegenstände auf das Gemüt betreffen“. Hegel nennt als Beispiele für solche Bestimmungen die „Stille“ der Mondnacht und die „Erhabenheit“ des Meers. Im Falle der Landschaftsanschauung ist der zugrundeliegende Naturvollzug demnach an Voraussetzungen gebunden, die ausdrücklich „in der erweckten Gemütsstimmung“ liegen. Eine solche Gemütsstimmung „gehört diesen Gebilden der Natur selbst nicht mehr an, sondern ist in einem anderen zu suchen“659, und zwar in der „Empfindung“, einer von Hegel ambivalent eingeschätzten Vollzugsform des subjektiven Geistes. Nur durch einen solchen Bezug auf das „Gemüt“ qua Empfindung kann Natur zu Landschaft idealisiert, d.h. im und durch den Naturvollzug konstituiert und in der Anschauung als schön erfahren werden. Die unmittelbar wahrgenommene Landschaft, d.h. die noch nicht stimmungsmäßig aufgefaßte Landschaft, ist dem menschlichen Geiste gleichgültig. Erst über Empfindungen weckt Landschaft ästhetisches Wohlgefallen (mit Kant: „interesseloses Wohlgefallen“), indem nutzzweckfreie Stimmungen, Empfindungen, Affekte und Gefühle den Naturvollzug bestimmen. Landschaft kann damit aber auch, was zu zeigen sein wird und was Hegel kritisiert, von vornherein als bloße Stimmungskulisse gestaltet und rezipiert werden. Mit einigen in die gleiche Richtung zielenden Überlegungen, die Hegel im Malereikapitel der Ästhetikvorlesung von 1823 vorträgt, läßt sich der Bezug zum „Gemüt“ näher bestimmen. Auch die Malerei - so Hegel - hat grundsätzlich eine „Beziehung auf das Gemüt“660. Die Malerei tritt nämlich, weil sie zur 661 Geistigkeit“. Subjektivität fortschreitet, „in die Besonderheit der Dementsprechend haben die Besonderheit und „das Vorüberfliehende der Charaktere“ Platz in der Malerei, so daß sie „unbestimmtere Vorstellungen“ hervorbringt, „die in die Empfindung 659 660 661 146 Hotho 1823, 62. Hotho 1823, 249. „Die Malerei jedoch geht zur Subjektivität fort, denn der Geist ist wesentlich Subjektivität als fürsich-seiend, wodurch sie jener substantiellen [Kunst] gegenübertritt und in die Besonderheit der Geistigkeit tritt“ (Hotho 1823, 248). fallen“662. Das bedeutet: „In der Malerei wird die empfindende Subjektivität frei. Es ist also auf die Empfindung, daß die Malerei sich bezieht“663. Die Malerei kann nun in den Kreis der möglichen Darstellungsgegenstände „alles aufnehmen“, wodurch sie zum einen „viel anthropomorphistischer“ wird, da der Bezug auf das Gemüt bzw. auf die Subjektivität die Wahl der Gegenstände insbesondere in die Darstellung des Prosaisch-Menschlichen führt. Aber auch das Natürliche, und dies ist der entscheidende Punkt, „findet in ihr [der Malerei] eine Stelle“.664 Da die Malerei Hegel zufolge alle Gegenstände darstellen kann, stellt sich ihm die Frage, „welche wahrhafte Bestimmung vorzüglich von der Malerei aufgenommen werden könne, oder welcher Charakter des Idealen in der Malerei stattfinde“665. Seine Antwort definiert als Ideal der Malerei „das Romantische“, in dem die Subjektivität die „Grundbestimmung“ ausmache, d.h. die „geistige Innigkeit“666. Diese geistige Innigkeit differenziert Hegel nach ihrem „verschiedenen Inhalt“. „Höchster Gegenstand“ ist die „begierdelose, religiöse Liebe667. Die „Innigkeit“ kann sich aber auch „bei bloß natürlichen Gegenständen einfinden“668 sowie drittens „bei für sich ganz unbedeutenden Gegenständen“669, was Hegel insbesondere am Beispiel der Niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts erörtert.670 Entscheidend für die Frage nach dem Bezug auf das „Gemüt“ ist der Hinweis auf die „geistige Innigkeit“ als Charakteristikum des „Romantischen“. Damit ist der kulturelle Hintergrund angesprochen, der in jedem neuzeitlichen Naturvollzug als Grundlage der Landschaftskonstitution und zwar in der Landschaftsanschauung wie in der Landschaftsdarstellung wirksam ist. 662 663 664 665 666 667 668 669 670 Die Malerei „hat Beziehung auf das Gemüt, denn ihre Objektivität ist nicht die der Substantialität, und so stellt sie mehr das Subjektive nicht auf das objektiv Bestimmte des Geistes, bringt nicht so bestimmte Anschauungen des Göttlichen hervor, sondern unbestimmtere Vorstellungen, die in die Empfindung fallen“ (Hotho 1823, 249). Hotho 1823, 249. Hotho 1823, 249. Hotho 1823, 252. „Das Ideal der Malerei ist das Romantische, wo die Subjektivität, die für sich ist, die Grundbestimmung ausmacht, geistige Innigkeit“ (Hotho 1823, 253). Hotho 1823, 253. Hotho 1823, 255. Hotho 1823, 256. Vgl. A. Gethmann-Siefert: Hegel über Kunst und Alltäglichkeit. Zur Rehabilitierung des ästhetischen Genusses. In: Kulturpolitik und Kunstgeschichte. Perspektiven der Hegelschen Ästhetik. Sonderheft des Jahrgangs 2005 der Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft. Hrsg. von Ursula Franke und Annemarie Gethmann-Siefert, Hamburg 2005, 37-63. 147 Berge und Täler, der Himmel, Mond- und Sonnenschein müssen also „nach irgendeinem Bedürfnis erfaßt werden; nach der Unmittelbarkeit werden sie nur wahrgenommen, nicht empfunden“671. Erst dadurch gewinnen der „Mondschein, das ruhige Meer (…) ein Verhältnis zur Seele“. Erst dann nimmt der Mensch „in ihnen einen Charakter wahr, der ihr [sc. der Seele] entspricht“672. Es ist dieses Entsprechungsverhältnis zwischen Landschaft und Subjekt (ob es als Landschaftsmaler oder als Betrachter von Landschaft aufgefaßt wird) qua Empfindung, das Hegel dazu führt, Natur als Landschaft in seiner Ästhetik zu berücksichtigen. Vermittels eines Naturvollzuges unter der Voraussetzung integrierter und den Vollzug bestimmender Empfindungen und Stimmungen kann Landschaft zum Gegenstand einer Anschauung wie Darstellung werden. Der Gegenstand der Betrachtung wird nicht als solcher, sondern als ein den genannten Voraussetzungen (Interessen des Betrachters) ‚anverwandelter’ (in Hegels Sprache: „idealisierter“ bzw. „vergeistigter“) Gegenstand angeschaut. Wie auch immer der Mensch „die vorgefundene Äußerlichkeit und sich selbst als ein Natürliches zu verändern, ihnen sein Siegel aufzudrücken“ versucht – ob direkt durch Schmuck, Bildung, Dekoration und Kunstwerke oder indirekt durch die Erfahrung der Natur in Empfindung, Gefühl, Stimmungen und Gedanken – stets tut er dies, „um aus der Gestalt der Dinge sich selbst wiederzuerkennen“673. Das heißt − um das bereits genannte Beispiel Hegels von der „unendlich ruhige[n] Tiefe des Meers“ wieder aufzugreifen –, die „Ruhe“ des Meeres ist eine Stimmung, die ein Betrachter in die Natur projiziert, um dann in ihr ebendiese Stimmung wiederzuerfahren. Diese „Wiedererkenntnis“ des Geistes im Anderen seiner selbst durch die ‚Anverwandlung’ der Natur an die in den Naturvollzug integrierten Voraussetzungen gewährt eine „Befriedigung“, trifft also ein Interesse des Geistes (hier: des Menschen, insofern er Landschaft betrachtet oder reproduziert). Festzuhalten ist an dieser Stelle, daß für Hegel bereits die anscheinend voraussetzungslose Anschauung von Landschaft Resultat eines an Stimmungen, Empfindungen und Gefühle geknüpften Naturvollzuges ist. Um 671 672 673 148 Hotho 1823, 255. Hotho 1823, 255. Hotho 1823, 13. einen Ausschnitt aus dem einen Betrachter umgebenden Naturraum als „Landschaft“ wahrzunehmen, bedarf es eines speziellen auswählenden, kombinierenden und sinnstiftenden Blickes. „Landschaftsanschauung“ läßt sich in diesem Sinne als „gestaltete Anschauung“ definieren, in Analogie zum Konzept einer „gebildeten Anschauung“. Das Moment der Gestaltung im Begriff einer „gestalteten Anschauung“ liegt im produktiven Naturvollzug im Sinne einer in der Anschauung erreichten Synthese von Einzelnem (Naturgegenstände) zu einer Einheit (Landschaft). Landschaft ist ein Bild, sie verdankt sich dem Blick eines Betrachters, sie entsteht – metaphorisch ausgedrückt – „im Kopf“674. „Gestalte Anschauung“ von Natur zu Landschaft ist in diesem Sinne die wahrnehmungsästhetische „Vorform“675 eines Kunstwerks. 5.1.3 Hegels Kritik an der Landschaft als Stimmungskulisse Die Empfindung „als die erste unmittelbarste Weise, in der etwas erscheint“, ist eine Form des subjektiven Geistes, deren Inhalt zwar noch nicht „zur Freiheit vernünftiger Geistigkeit bestimmt ist“, wiewohl aller Inhalt des Geistes seine „Quelle und Ursprung“ in der Empfindung hat676. Da in der Empfindung „nicht die Sache selbst betrachtet“ wird, „sondern das Subjekt in seiner Besonderheit (…) darin erhalten“677 ist, handelt es sich bei einem ausschließlich empfindsamen Vollzug der Natur qua Landschaftsbetrachtung oder Landschaftsmalerei um eine Form der „substanzlosen Reflexion seiner in sich selbst“678. Hegel unterzieht diesen Naturvollzug daher seiner Kritik der „substanzlosen Subjektivität“ der Romantik. Der Bezug oder gar eine Berufung auf „Empfindung“ führt also zu einem Folgeproblem. Es besteht die Möglichkeit, daß ein in einem solchen Stimmungsbezug gegründeter Naturvollzug Landschaft gleichsam zur Stimmungskulisse – im Sinne einer „Stimmungslandschaft“679 – reduziert und 674 675 676 677 678 679 O. Löfgren: Die wahre Landschaft ist im Kopf, in: Topos. European Landscape Magazine, Kulturlandschaft Heft 6/1994, 6. Georg Simmel: Philosophie der Landschaft, 148. Vorher schon heißt es: „Wo wir wirklich Landschaft und nicht mehr eine Summe einzelner Naturgegenstände sehen, haben wir ein Kunstwerk in statu nascendi“ (a.a.O. 147). Enz 1830, § 400. Hotho 1823, 15. GW 9, 12. August Langen: Verbale Dynamik in der dichterischen Landschaftsschilderung des 18. Jahrhunderts, 152. 149 sich die Betrachtung der Landschaft lediglich in einer an Stimmungen, Empfindungen, Affekte und Gefühle geknüpften Sicht erschöpft. Der Bezug auf Empfindung führt zu einer Rückspiegelung des Ich in sich im Durchgang durch eine Natur qua Gemütserregung, ist in diesem Fall durch einen Mangel an Substantialität, d.h. Sachhaltigkeit gekennzeichnet. Der Naturvollzug qua Empfindung zielt zwar auf inhaltliche Vermittlung mit Natur ab, aber die erhoffte inhaltliche Vermittlung mit Sachhaltigem kann dennoch verfehlt werden, wenn und insofern der vermeintliche Natur- qua Landschaftsbezug ausschließlich in einer subjektiv-individuellen Betrachtung besteht. Es droht bei einem solchen Naturvollzug die Gefahr, in eine ‚leere Träumerei‘ abzusinken. Eine ähnliche Gefahr besteht im Übrigen Hegel zufolge bei der Instrumentalmusik sowie in der Lyrik, insbesondere der „Idylle“680, die sich seines Erachtens meistens auf einen „Privatzustand“681 beschränkt. Was die Instrumentalmusik anbelangt, so kann auch diese – insbesondere den „Laien“ – „möglicherweise zu einem Schwelgen im Gefühl“682 verleiten. Solche Musik kann und sollte eher als „Kunst des leeren Träumens“683 bezeichnet werden. Um ein solches substanz-, d.h. weltloses Schwelgen in Empfindungen und Gefühlen zu vermeiden, bedarf es einer geistigen Lenkung der musikalisch erregten Gefühle, die mittels des Wortes zu erfolgen hat.684 Auch an anderen Stellen innerhalb der Ästhetikvorlesungen sowie innerhalb der Phänomenologie des Geistes und der Enzyklopädie hat Hegel auf die Ambivalenz und damit Problematik eines durch Empfindung vermittelten Bezuges auf Inhalte überhaupt hingewiesen. Das, was Hegel in seiner Kritik an der Romantik anspricht, kehrt im gegenwärtigen Landschaftserlebnis in ähnlicher Weise wieder. Hier läßt sich eine Ästhetisierung von Natur bzw. Landschaft feststellen, die durch jene romantische Innerlichkeit und Rückspiegelung des Ich in sich im bloßen empfindsamen Durchgang durch 680 681 682 683 684 150 Die Idylle wird am Ende des nächsten Kapitels (5.2.3) ausführlicher erörtert. Hotho 1823, 297. A. Gethmann-Siefert: Das „moderne“ Gesamtkunstwerk: die Oper, in: Phänomen versus System. Zum Verhältnis von philosophischer Systematik und Kunsturteil in Hegels Berliner Vorlesungen über Ästhetik oder Philosophie der Kunst, Hrsg. von Annemarie Gethmann-Siefert, Bonn 1992 (Hegel-Studien. Beiheft 34), 174. A. Gethmann-Siefert: Das „moderne“ Gesamtkunstwerk, 214. So heißt es im Musikkapitel der Ästhetikvorlesung von 1823: „Die Musik hat mit der Architektur die Gleichheit, daß sie ihren Inhalt nicht in sich selbst hat; und wie die Architektur einen Gott erfordert, so die Subjektivität der Musik einen Text, Gedanken, Vorstellungen, die als bestimmter Inhalt nicht in ihr sind“ (Hotho 1823, 270). Natur qua Gemütserregung gekennzeichnet ist. Dem aktuellen „Erlebnis“ von Landschaft mangelt es ebenfalls an Substanz. Natur dient nur der ästhetischen Form der Selbstinszenierung eines „gestimmten“ Subjekts, ohne inhaltliche Vermittlung mit Natur.685 In der Ästhetikvorlesung von 1820/21 kritisiert Hegel die traditionelle Ansicht, die Kunst diene der „Erregung der Leidenschaften“. Er sieht zwar, daß diese Ansicht durchaus etwas Richtiges anspricht, nämlich die Tatsache, daß Kunst die „Macht“ hat, verschiedenste, sogar einander widersprechende „Empfindungen in der menschlichen Brust“686 zu wecken und damit beliebige Inhalte zu vermitteln. Diese Macht ist allerdings nur eine „formelle“, weil sie „alle Empfindungen in uns erregen kann“, unabhängig davon, welcher Art der Inhalt ist. Gegenüber den Inhalten bleibt die Empfindung indifferent.687 Sie kann sich für das Gute und Schöne wie für das „Gräßliche, uns Widerstrebende interessiren“688. Auch 1823 kritisiert Hegel diese Vorstellung, die Kunst habe „angenehme Empfindungen zu erregen“. Dieser Vorstellung stellt er die These entgegen, die Empfindung sei lediglich die „dumpfe, unbestimmte Region des Geistes“. Das, was empfunden werde, sei „verdumpft, eingehüllt und subjektiv“. Der „Unterschied in der Empfindung“, beispielsweise zwischen Furcht, Zorn, Mitleid und religiösen Gefühlen, sei daher „ganz abstrakt und kein Unterschied der Sache“689. 1826 markiert Hegel diese Indifferenz der Empfindungen gegenüber Inhalten auch als die „Sophisterei der Kunst“.690 Im Wintersemester 1828/29 macht er deutlich, daß es auf den Inhalt der Empfindungen und Gefühle ankomme, nicht auf die Form der Empfindung/des Gefühls691 allein; Empfindungen und Gefühle 685 686 687 688 689 690 691 Einige empirische Beispiele aus seiner Forschungstätigkeit zur Kulturlandschaft der Alpen bringt Werner Bätzing: Postmoderne Ästhetisierung von Natur versus ‚schöne Landschaft’ als Ganzheitserfahrung – Von der Kompensation der ‚Einheit der Natur’ zur Inszenierung von Natur als ‚Erlebnis’, in: Hegel-Jahrbuch 2000, Berlin 2000, 196-201. Ascheberg 1820/21, 23. 1826 führt Hegel dementsprechend aus: „Die Macht der Kunst ist formell, für welche der Inhalt gleich sei“ (Pfordten 1826, 57). Ascheberg 1820/21, 24. Hotho 1823, 14. Pfordten 1826, 57; Kehler 1826, 12. Hegel sieht in seiner diesen Überlegungen zugrunde liegenden Philosophie des (subjektiven) Geistes keinen gravierenden Unterschied zwischen Empfindung und Gefühl: „Es ist kein großer Unterschied zu machen zwischen Empfindung und Gefühl. Empfindung drückt dasselbe mehr nach der subjektiven Seite aus, Gefühl mehr dies in seiner Bestimmtheit, nach seinem Inhalt“ (V 13, 69). In der Enzyklopädie heißt es, „daß die Empfindung mehr die Seite der Passivität, des F i n d e n s , d.i. der Unmittelbarkeit der Bestimmtheit im Fühlen, hervorhebt, das Gefühl zugleich mehr auf die Selbstischkeit, die darin ist, geht“ (GW 20, § 402), d.h. beim Gefühl wird ein höherer Grad an Reflexivität erreicht. Überhaupt ist „Empfinden = In sich f i n d e n “ (V 13, 69). 151 seien nur die Form der Subjektivität692, denn bei „der Betrachtung mit der Empfindung wird nicht die Sache selbst betrachtet, sondern das Subjekt in seiner Besonderheit ist darin erhalten, und deshalb hat diese Betrachtung ein Langweiliges durch die Aufmerksamkeit auf seine kleinliche Besonderheit; solche Anschauung hat ein Widriges“693. In der Malerei können daher für Hegel „Naturformen“ nur dann sinnvoll dargestellt werden, wenn irgendeine „Anspielung auf ein Geistiges sie dem Gedanken näher verbindet“694. Gedanken verweisen auf das Denken und damit auf Allgemeinheit: „indem ich denke, muß ich den Gegenstand zur Allgemeinheit erheben“695. Die subjektiven Gefühle und Empfindungen dagegen erhalten immer nur „meine Besonderheit“. Ein Kunstwerk indessen „muß die Besonderheit vergessen lassen“, muß „ein Allgemeines, Objektives [zum Inhalt] haben“; bei seiner Betrachtung „soll ich mich darin vertiefen, mich darüber vergessen“696. Bei der Betrachtung der Landschaft kann allerdings das genaue Gegenteil vorkommen. Nicht vertieft sich das Subjekt in die „Sache selbst“, sondern es vertieft sich in sich selbst, in seine subjektive Innerlichkeit qua Empfindung. In der Phänomenologie des Geistes hatte Hegel bereits angedeutet, welche Konsequenzen undurchschaute, in sich selbst kreisende weltlose Empfindungen, jenes „Extrem der substanzlosen Reflexion seiner in sich selbst“697, haben kann. So werden etwa das „Schöne, Heilige, Ewige, die Religion und Liebe“ beschworen. Nicht der Begriff, sondern „die Ekstase, nicht die kalt fortschreitende Notwendigkeit der Sache, sondern die gärende Begeisterung soll die Haltung und fortleitende Ausbreitung des Reichtums der Substanz sein“698. Für Hegel ist es jedoch ein „Widermenschliches“, „Tierisches“, „im Gefühle stehen zu bleiben und nur durch dieses sich 692 693 694 695 696 697 698 152 „Das Gefühl ist etwas Subjektives. Wenn ich den Inhalt vor sich habe, und er ganz der meinige ist, so habe ich ihn in meinem Gefühle. So muß Religion im Gefühle sein. Das ist ganz richtig aber in dem angegebenen Sinne. Moralische Dogmen, wenn das mein Wille auf immer ist, dies meinem Charakter angehört, dann habe ich es in meinem allgemeinen Selbstgefühle, im Herzen auf immer. Das ist die Subjektivität. Darin kann aber alles Mögliche sein. Die religiösen Gefühle können ganz und gar falsch sein, es kommt auf den Inhalt des Gefühles an. Der Verbrecher hat auch Gefühle. Das Gefühl ist also nur die Form der Meinigkeit, der Subjektivität, die jeden Inhalt in sich aufnehmen kann“ (Libelt 1828/29, Ms. 21a). Hotho 1823, 15. Hotho 1823, 42. GW.F. Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, in: ders.: Werke in 20 Bänden, FaM 19954, Bd. 12, S. 520. Hotho 1823, 15. GW 9, 12. GW 9, 13. mitteilen zu können“699. Allerdings liegt hier die Betonung auf dem „nur“. Gefühl und Empfindung sind nicht grundsätzlich zu verurteilen, sondern nur dann, wenn der Mensch in Gefühl und Empfindung stehen bleibt. Gefühl und Empfindung sind notwendige Momente der Entwicklung des Geistes, die keineswegs übersprungen werden können. Hegel weist allerdings auf die Gefahr hin, daß das Subjekt dem Glauben aufsitzt, sich in einem zwar notwendigen, aber keineswegs hinreichenden Entwicklungsstadium des Geistes einrichten zu können. Das ist die bereits angedeutete Ambivalenz des Gefühls und der Empfindung. In der Enzyklopädie thematisiert Hegel Empfindung und Gefühl als Bedingtheiten der noch unmittelbar in die Natur eingelassenen Seele. Diese ist für Hegel noch der „Schlaf des Geistes“, insofern sie als fühlende und empfindende Seele nicht nur Natur ist, sondern zur Freiheit erst erwachender, noch nicht bewußter Geist ist. Der Geist ist hier noch wesentlich Naturgeist700. Er hat sich noch nicht aus seiner Eingelassenheit in Natur befreit und ist noch nicht zum vollen Bewußtsein seiner selbst erwacht. Auf die Ambivalenz der Empfindung weist Hegel mehrfach hin, so z.B. in der Enzyklopädie: „Alles ist in der Empfindung, und wenn man will, Alles, was im geistigen Bewußtseyn und in der Vernunft hervortritt, hat seine Quelle und Ursprung in derselben; denn Quelle und Ursprung heißt nichts anderes, als die erste unmittelbarste Weise, in der etwas erscheint. Es genüge nicht, daß Grundsätze, Religion u.s.f. nur im Kopfe seyen, sie müssen im Herzen, in der Empfindung seyn“701. Die Empfindung als Form ist zwar notwendiges Moment jeder Vermittlung, aber noch nicht „zur Freiheit vernünftiger Geistigkeit bestimmt“.702 Denn „die Empfindung (…) ist das bloß Einzelne“703. Mit Hegel: „Daß aber die Empfindung und das Herz nicht die Form sey, wodurch etwas als religiös, sittlich, wahr, gerecht u.s.f. gerechtfertigt sey, sollte für sich nicht nöthig 699 700 701 702 703 GW 9, 48. GW 20, § 387. GW 20, § 400. GW 20, § 400; vgl. auch: „Der Inhalt des Empfindens ist eben damit b e s c h r ä n k t und vorübergehend, weil er dem natürlichen, unmittelbaren Seyn, dem qualitativen also und endlichen angehört“ (ebd.). V 13, 72. 153 seyn erinnert zu werden“704. Eine naive rechtfertigende Berufung auf Empfindungen hält Hegel daher für ein bloßes „Gerede“, für ein „Schulgeschwätz“, denn tatsächlich lasse man es „in der Wirklichkeit“ ohnehin „nirgends gelten“ - beispielsweise untersucht ein Richter die „Objektivität der Sache“.705 Das „Objektive“ im Beispiel des Richters ist „der Verstand“706, nicht die Empfindung oder das Gefühl. So insistiert Hegel bei den möglichen Inhalten der Empfindung auch darauf, daß diese „für sich selbst richtig“, daß sie also „wahrhafter Art“ sein müssen. Möglicherweise muß ein solcher Inhalt erst von seiner Unvernünftigkeit bzw. Unwahrhaftigkeit „gereinigt“ werden, denn erst eine „gebildete, gereinigte Empfindung“ garantiert, daß der Inhalt „das Vernünftige, der Gedanke“ ist.707 Da Hegel Landschaft als Stimmungskulisse auf dem Hintergrund seiner Kritik an einem unreflektierten Bezug oder einer naiven Berufung auf Empfindungen kritisiert, ist eine Rekonstruktion seiner Analyse der Empfindungen in den Vorlesungen über die Philosophie des Geistes und den entsprechenden Passagen der Enzyklopädie notwendig. Von hier aus wird sich erweisen müssen, inwiefern dieser Bezug auf Empfindungen die Gefahr in sich birgt, daß der Empfindende sich in einer weltlosen Subjektivität abschließt, die dann den Naturvollzug als Landschaftsanschauung zur „Stimmungskulisse“ depotenziert. Hegel unterscheidet äußerliche von inneren Empfindungen.708 Die äußeren Empfindungen werden durch die fünf Sinne Sehen, Gehör, Geruch, Geschmack und Gefühl vermittelt. Die „Totalität“ dieser äußeren, den Sinnen angehörigen Empfindungen nennt Hegel auch „System der Sinne“709. Die inneren Empfindungen wie etwa Zorn, Scham oder Haß machen analog zum „System der Sinne“ ein System des Inhalts der inneren Empfindungen als ein „System des Geistigen“ aus. Der Inhalt der inneren Empfindungen kommt nur „vom Geiste her, Recht, Sittlichkeit, Liebe ist ein Geistiges. Neid, Haß kommt 704 705 706 707 708 709 154 Enz 1830, § 400. - In den Vorlesungen über die Philosophie des Geistes von 1827/28 heißt es entsprechend: „Es kann im Gefühl das Gute sein, der Maßstab ist aber nur die Vernünftigkeit. Das Wahre muß die Form der Allgemeinheit haben“ (V 13, 72). V 13, 73. V 13, 73. V 13, 73. V 13, 74ff.; Enz 1830, § 401. GW 20, § 401. von der Vorstellung her“710. Sie können aber erst dann als wirkliche empfunden werden, d.h. „um als gefundene zu seyn“711, wenn sie geäußert bzw. veräußerlicht werden. Diesen Vorgang der Veräußerlichung innerlicher Empfindungen nennt Hegel „Verleiblichung“. Er spricht in diesem Zusammenhang von „einer eigenthümlichen Wissenschaft, - einer psychischen Physiologie“, die es zwar noch nicht gibt, aber entwickelt zu werden durchaus „würdig“ wäre.712 Als Beispiele dieser Verleiblichung seien Zorn und Mut genannt, bei denen insbesondere das Herz und das Blut „in Bewegung gebracht“ werden, „worin sich diese innerlichen Empfindungen verleiblichen“. Zorn ist sogar „mit Ergießung der Galle verbunden und mit Hervortreten des Bluts in die Extremitäten“.713 Ein weiteres Beispiel wäre die Verleiblichung der Trauer im Weinen und der damit verbundenen Ausscheidung von Tränen. Der menschliche Organismus mit seinen Eingeweiden und Organen wird demnach nicht nur physiologisch betrachtet und untersucht, sondern in der Perspektive der „psychischen Physiologie“ wird dieser Organismus zugleich als „System der Verleiblichung des Geistigen“ betrachtet.714 Dieser Vorgang der Verleiblichung ist komplementär zu dem der „Erinnerung“ bzw. Verinnerlichung einer „leibliche[n] Bestimmtheit“, also der durch die Sinnesorgane vermittelten Inhalte, so daß wir diese Inhalte „in uns finden“715. Durch Verinnerlichung wird „das natürliche Unmittelbare“ in der Seele „ideell und ihr zueigen gemacht“716. Stimmungen entstehen dadurch, daß „die äußerlichen Empfindungen eine innere Bedeutung gewinnen können. Damit werden sie zu etwas Symbolischem“717. Der Vorgang der Symbolisation ist dadurch möglich, daß der Inhalt der äußeren Empfindungen auf die Innerlichkeit des empfindenden Subjekts bezogen wird, und zwar in Form eines Vergleichs. Verglichen wird eine äußere Gestalt oder Form, ein äußerlich vermittelter Inhalt, eine unmittelbare sinnliche Empfindung „mit Neigungen und Empfindungen des 710 711 712 713 714 715 716 717 V 13, 83. GW 20, § 401. GW 20, § 401. V 13, 84f. GW 20, § 401. V 13, 75. GW 20, § 401. H. Drüe: Die Philosophie des Geistes (§§ 377-577), in: Hegels ‚Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften’ (1830). Ein Kommentar zum Systemgrundriß, 206-289; 225. 155 Innern, und sind so symbolisch“718. Möglich wird somit ein „Symbolisiren der Empfindungen z.B. von Farben, Tönen, Gerüchen u.s.f.“719, indem die äußerlichen Empfindungen mit spezifischen Stimmungen verknüpft werden. Hegel nennt zahlreiche Beispiele für Farben und Töne, so lassen sich etwa fröhliche, ernste, kalte und traurige Farben unterscheiden. Eine äußere Empfindung kann Symbol für eine innere Bestimmung sein, wenn diese „einen Charakter habe mit davon Verschiedenem (…) als eine und dieselbe Bestimmung in Unterschiedenem enthalten ist“720, das heißt, wenn das Äußere in dieser einen Bestimmtheit mit der Bestimmtheit des Inneren übereinstimmt. Warum gerade diese oder jene Farbe mit dieser oder jener inneren Bestimmung und nicht mit einer anderen zusammenstimmt, ist Hegel zufolge „nur schwer zu sagen, da es eine ganz äußere Bestimmung der Empfindung ist, das andere ist das ganz Innere“721. Entscheidend ist, daß in einem solchen Symbol eine Nichtübereinstimmung zwischen Äußerlichkeit und Innerlichkeit insofern besteht, als Außen und Innen nur in einer Bestimmtheit zusammenstimmen, nicht aber in jeder. Auf diese Weise überträgt Hegel den Symbolbegriff der Kunst auf Erfahrung von Natürlichem. Im Unterschied zur Verwendung des Symbols der Empfindungen handelt es sich bei dem Symbol in der Kunst nicht um eine Übereinstimmung zwischen Äußerlichkeit und Innerlichkeit in einem Punkt, sondern um eine solche zwischen Darstellung (Gestalt) und Bedeutung (geistiger Gehalt). Da die natürliche Seele - nach Hegel - mit ihren Empfindungen noch nicht bewußt einen Unterschied machen kann zwischen Subjektivem und Objektivem, weil auf dieser Stufe ein „Ungetrenntsein“722 des „Seins“ des Empfindenden und des „Eindrucks“, also des Inhalts der Empfindung723 gegeben ist, bleibt sie streng genommen weltlos. Sie ist „noch nicht für sich“, ist noch nicht Bewußtsein, noch nicht „Ich“. Insofern ist sie aber nicht nur weltlos, sondern auch bewußtlos, ohne ein Ich von der Welt und ohne eine Welt vom Ich unterscheiden zu können. Hier begegnet also die Komplementarität von Vollzug und Natur nicht nur in der Komplementarität 718 719 720 721 722 723 156 V 13, 81. GW 20, § 401. V 13, 81. V 13, 81f. V 13, 70. In der Enzyklopädie heißt es, hier liege eine bloße „unmittelbare Einheit der Seele mit ihrer Substanz und dem bestimmten Inhalte derselben“ vor (Enz 1830, § 400). von Verinnerlichung und Verleiblichung, sondern auch in der von Selbstbeziehung (Ich) und Fremdbeziehung (Natur/Welt). Eine weitere Parallele zu einem bereits thematisierten Charakteristikum von Vollzugsformen besteht in dem Phänomen, daß Empfindung und Gefühl etwa sittliche und religiöse Inhalte, höherstufige Vollzugsformen (Kunst, Religion) zuvor Empfundenes und Gefühltes aufnehmen können. Der erstgenannte Vorgang führt zu der bereits beschriebenen geltungstheoretischen Schwierigkeit, daß Inhalte ungeachtet ihrer Wahrheit oder sittlichen Richtigkeit aufgenommen und das Subjekt sich in einem Empfindsamkeits- oder Gefühlskult naiv auf diese berufen kann. Den zweiten Vorgang nennt Hegel im Hinblick auf Empfundenes und Gefühltes „ein gebildetes Gefühl“, das sich der „Reinigung“ der Inhalte der Empfindungen und Gefühle vom Zufälligen und Unwahrhaften durch einen „gebildete[n] Geist“ verdankt. Empfindung und Gefühl können durch „Bildung, Nachdenken pp.“ einer „weitere[n] Verarbeitung des Geistes“ unterzogen werden. Hegel spricht von „eine[r] Vernünftigkeit im Gefühl“, die durch die genannten Vollzüge „zum Bewußtsein erhoben werden“ kann und muß. Nur ein solcherweise „gebildeter Geist“ hat ein entsprechend „gebildetes Gefühl“724 und eine „gebildete, wahrhafte Empfindung“725. Nur ein in diesem Sinne gebildeter Mensch kann „sich ein Bewußtsein von bestimmten Unterschieden, wesentlichen Verhältnissen, wahrhaften Bestimmungen u.s.f. erworben“ haben, so daß es der solcherweise „berichtigte Stoff“ ist, der „in sein Gefühl tritt, d.i. diese Form erhält“. 726 Mit diesen Ausführungen erweitert Hegel seine Kritik an der Unmittelbarkeit von Empfindungen und Gefühlen zu einer grundsätzlichen Kritik der Unmittelbarkeit überhaupt727. Wie Naturphänomene nicht als Unmittelbares Gegenstände der Kunst sein können, so können Empfindungen und Gefühle mit ihren noch unmittelbaren Inhalten nicht ohne diese Bildung, Formung, Verarbeitung und Reinigung des Empfundenen und Gefühlten Grundlage einer ästhetischen Zuwendung zur und Auseinandersetzung mit 724 725 726 727 V 13, 188. GW 20, § 447. GW 20, § 447. Vgl. etwa das Kapitel in der Logik „Womit muß der Anfang der Wissenschaft gemacht werden?“ (GW 21, 53-65) sowie in der Enzyklopädie das Kapitel „Dritte Stellung des Denkens zur Objectivität. Das unmittelbare Wissen“ (GW 20, 100-118 bzw. § 61-78). 157 Natur als Landschaft sein. Die mit der Symbolisierung der äußeren Empfindungen verknüpften Stimmungen und eine daran geknüpfte ästhetischemotionale Betrachtung der Landschaft stehen in der Gefahr, sich in einem in sich selbst kreisenden weltlosen Naturvollzug zu erschöpfen. In der Phänomenologie des Geistes weist Hegel auf die Folgen einer unkritischen Berufung auf Gefühle und Empfindungen hin. Diejenigen, die sich dergestalt auf ihre Gefühle und Empfindungen wie auf ein „inwendiges Orakel“ berufen, treten letztlich „die Wurzel der Humanität mit Füssen“728. Diese Wurzel der Humanität besteht darin, „auf die Uebereinkunft mit andern zu dringen, und ihre Existenz nur in der zu Stande gebrachten Gemeinsamkeit der Bewußtseyne“729. Sie besteht in der Verständigung in „der Gemeinschaft der Vernünftigkeit“730. Wer gar die „Unaussprechlichkeiten des Gefühls“ beschwört und glaubt, „das bloß Subjektive, das abstrakt Meinige“731 gegen die sprachlich vermittelte „Gemeinschaft der Vernünftigkeit“ ins Feld führen zu dürfen, verkennt die Struktur und Bedeutung der Sprache. Ihr Inhalt ist „nur das Allgemeine, Wahrhafte, Konkrete“, und das, was wahr ist, ist vernünftig und kann auch in und durch Sprache ausgesprochen werden.732 Das bloß abstrakt Subjektive kann, da es nur das partikulär Einzelne ist, nicht mit dem Anspruch auf jedermanns Zustimmung verbunden werden, der Empfindende verweigert weitere diskursiv einholbare Gründe denjenigen, die nicht mit ihm übereinstimmen. Er verschließt „sich in seine isolirte Subjectivität, die Particularität“733. Dieses Sich-Abschließen in einer von der natürlichen und geistigen Wirklichkeit und der Intersubjektivität einer Gemeinschaft sprachlich sich verständigender Menschen isolierten Subjektivität liegt der Reduzierung der Anschauung von Landschaft auf eine Stimmungskulisse zugrunde, die von zahlreichen Künstlern, insbesondere Literaten der Romantik vorgenommen wurde. Mit Rainer Gruenter kann in diesem Sinne behauptet werden - wie eingangs dargestellt - für die Romantik sei in der „subjektiv einmaligen 728 729 730 731 732 733 158 GW 9, 47. GW 9, 48. GW 20, § 447. V 13, 189. „Die Sprache hat zu ihrem Inhalt nur das Allgemeine, Wahrhafte, Konkrete. Was die Sprache nicht fassen kann, ist das Geringere, Schlechtere, das bloß Subjektive, das abstrakt Meinige. Was wahr daran ist, ist vernünftig, und das Vernünftige kann ich aussprechen“ (V 13, 189). GW 20, § 447. Stimmung die Anschauung der Landschaft“ begründet734. Otto Pöggeler hat in seiner Rekonstruktion der Hegelschen „Kritik der Romantik“ drei Formen romantischer „Subjektivität“ unterschieden, die die „Lage der Zeit“ Hegels kennzeichnen: 1.) die „substanzlose Subjektivität der Ironie“, 2.) die „schlechte Subjektivität“ und 3.) die „unversöhnte Subjektivität“735. Hegel habe – so Pöggeler – an den Menschen die Forderung gestellt, „sich aus der Tiefe der Spontaneität heraus in das Ganze des Geistes hineinzustellen und aus dem allgemeinen, substantiellen Selbst heraus zu denken und zu handeln. Den Romantikern aber wirft Hegel vor, daß sie ihre Subjektivität nicht in dieses Ganze des Geistes aufgeben und aus ihm ergreifen, sondern den Subjektivismus auf die Spitze treiben“736. Für die Bestimmung der Landschaft als „Stimmungskulisse“ ist die dritte von Pöggeler genannte Form relevant, die „unversöhnte Subjektivität“, die vor allem für das „Zeitalter der Empfindsamkeit“737 mit dessen Empfindsamkeits- und Gefühlskult als Erklärungsfolie dienen kann. Nimmt man den Symbolbegriff, der mit den äußeren Empfindungen in ihrem Zusammenhang zur Innerlichkeit des Empfindenden und der Erweckung von Stimmungen entwickelt wurde, als weitere Erklärungsfolie hinzu, liegt der Schluß nahe, die Natursehnsucht als einen symbolischen Naturvollzug zu interpretieren. Die äußeren Empfindungen von Natur als Landschaft mit ihren Formen, Farben, Gerüchen, Gestalten, Geräuschen, Tönen und Harmonien können mit innerlichen Empfindungen/Gefühlen in einer Hinsicht übereinstimmen und dadurch Stimmungen erzeugen. Empfindungen werden so zum Symbol, in diesem Falle zum Symbol für eine Harmonie des Menschen mit der Natur. Hegel nennt daher die romantische Sehnsucht nach einem „Einssein“ mit Natur- und Landschaftsschönheit ein „mehr symbolisches Verhältnis (...) Hier ist die Bedeutung ein gläubiges, sich sehnendes Gemüt“738. Diese romantische Sehnsucht nach einem „Einssein“ mit Natur im Medium subjektiver Stimmungen muß aber dann substanzlose Illusion bleiben, wenn dieses „Einssein“ nur das „Einssein“ mit den eigenen „Stimmungen“ bleibt, ohne wirkliche Vermittlung mit der Natur. Die 734 735 736 737 738 R. Gruenter: Landschaft. Bemerkungen zur Wort- und Bedeutungsgeschichte, 207. O. Pöggeler, Hegels Kritik der Romantik, 43. O. Pöggeler, Hegels Kritik der Romantik, 218. Vgl. Renate Krüger: Das Zeitalter der Empfindsamkeit, Leipzig 1972. Hotho 1823, 189. 159 vorgebliche Versöhnung und Verbundenheit mit der Natur ist dann lediglich wie dies A. Langen charakterisiert - das „Durchseeltwerden der Landschaft, die seelenhafte Beziehung des Menschen zur umgebenden Natur, das also, was man später als ‚Stimmungslandschaft’ zu bezeichnen pflegt“739, und zwar auf dem Grunde einer Weltflucht der Empfindsamen in eine in sich selbst verkapselte Subjektivität. Otto Pöggeler hat gezeigt, daß Hegel kritisiert, einer solchen Sehnsucht liege „ein Subjektivismus zugrunde (…), der nicht von sich, von seinen Wünschen und seiner Endlichkeit lassen will“740. Wenn Natur als Landschaft im Verbund mit der symbolisch vermittelten Sehnsucht nach Harmonie des Menschen mit Natur als das „an ihm selbst (…) Göttliche“ betrachtet wird, dann ist das für Hegel keine moderne, sondern eine „orientalische Weltanschauung“741. Im Gegensatz zur christlichen und modernen Welt, damit zu den Künsten der romantischen Kunstform, war die „orientalische Weltanschauung“ durch Substantialität charakterisiert, die noch nicht Subjekt geworden ist, eine sozusagen ‚subjektlose Substantialität’. So gesehen, enthält die strukturelle Wiederholung des Naturvollzuges, wie er für die symbolische Kunstform als Ganze kennzeichnend war, für die moderne Welt die Gefahr, unter den geänderten kulturellen Bedingungen der modernen Welt in das der ‚subjektlosen Substantialität’ der symbolischen Kunstform entgegengesetzte Extrem zu fallen, nämlich in die bereits erwähnte weltlose, um sich selbst kreisende „substanzlose Subjektivität“742. Hegel kann also in seiner Ästhetik auf der einen Seite ein Verständnis des Vollzugs der Natur durch die Rekonstruktion der Natur als Landschaft, d. h. als durch subjektive Innerlichkeit vollzogene Natur, entwickeln. Andererseits hat er diese subjektive Innerlichkeit in seiner Kritik der Romantik problematisiert. Hegel findet andere Formen der Revitalisierung von Elementen der symbolischen in der romantischen Kunstform, die zu einer subjektiv vermittelten Substantialität zurückführen, so daß sich seine Kritik an der Konzentration auf Empfindung in der Landschaftsmalerei in ein wohldurchdachtes systematisches Konzept einfügen läßt. Solche Elemente subjektiver Substantialität oder substanzieller Subjektivität finden sich 739 740 741 742 160 August Langen: Verbale Dynamik in der dichterischen Landschaftsschilderung des 18. Jahrhunderts, 152. O. Pöggeler, Hegels Kritik der Romantik, 68. Hotho 1823, 203. O. Pöggeler, Hegels Kritik der Romantik, 43. beispielsweise im objektiven Humor und in der Reaktivierung des objektiven Humors durch den Rekurs auf die orientalische Welt in Goethes Westöstlichen Divan. Darauf hat erst O. Pöggeler in seinem Aufsatz Hegel und Heidelberg hingewiesen.743 Die Weise des Vollzuges und der Darstellung der Natur als Landschaft als durch subjektive Innerlichkeit vollzogene Natur führt vorderhand nicht über die Konzentration auf die subjektive Innerlichkeit – hier noch in einem vorbewußten Vollzug der Empfindung präsentiert – hinaus. Hegels Kritik an Landschaft als Stimmungskulisse richtet sich im Kern gegen die mit einem empfindsamen Naturvollzug gegebene Gefahr einer leeren Träumerei, in der ein Naturbetrachter in privaten Stimmungen weltlos in und um sich selbst kreist. Im folgenden Exkurs über das „Atmosphärische“ in der Landschaft wird gezeigt, daß nicht nur diese, sondern zudem die weitergehende Gefahr besteht, Stimmungen, die bei Hegel als Symbole für menschliche Empfindungen stehen, als Stimmungen der Natur selbst zu rekonstruieren. Hier entsteht ein philosophisches Problem nicht aus einem abstrakten Selbstbezug des Subjekts, sondern aus einem „Objektivismus“ empfindsam wahrgenommener Natur als Landschaft. Hegel behandelt dieses Problem in den Ästhetikvorlesungen nur marginal, so etwa, wenn er sagt, daß die Seele bei natürlichen Gegenständen „innig sein kann, wenn sie nach irgendeinem Bedürfnis erfaßt“, d.h. „wenn sie empfunden werden“744; insofern kann zwar nicht 745 von „verschiedenen Zustände[n] 746 landschaftlichen Natur“ , sondern nur von einem „Charakter“ der der Landschaft, der den Zuständen der Seele entspricht, gesprochen werden.747 Daß dieses Problem eines durch einen empfindsamen Naturvollzug induzierten „Objektivismus“ nach wie vor virulent ist und bleibt, wird der 743 744 745 746 747 In: Hegel-Studien, 6 (1971), 65-133. - Näher analysiert ist diese Form der Revitalisierung symbolischer Gestaltungsmöglichkeiten in der romantischen Kunstform bei A. Gethmann-Siefert, B. Stemmrich-Köhler: Faust: Die „absolute philosophische Tragödie“ und die „gesellschaftliche Artigkeit“ des West-Östlichen Divan, in: Hegel-Studien, 18 (1983), 23-64 sowie bei J. I. Kwon: Hegels Bestimmung der Kunst, München 2001. Hotho 1823, 255. Ä III, 60. Hotho 1823, 255. Der sich in diesen Zitaten abzeichnende Widerspruch zwischen Hegels in den Mitschriften überlieferten Äußerungen und den von seinem Schüler H.G. Hotho in die Ästhetik eingeführten Passagen über den Landschaftsvollzug wird ausführlich in Kap. 5.2.1.4 „Landschaftsmalerei im Kontext: Carus, Hotho, von Rumohr“ untersucht und in seinen Konsequenzen für eine Ästhetik der Landschaft erhellt. Problematisch ist die Folge, daß von einem „Objektivismus“ der Naturauffassung der Weg zu erneuten Varianten der von Hegel mit guten Gründen abgelehnten Nachahmungstheorien sehr kurz ist. 161 folgende Exkurs an der gegenwärtigen Debatte über „Atmosphären“ demonstrieren. Exkurs: Kritik des „Atmosphärischen“ in der Landschaft In der gegenwärtigen philosophischen Diskussion um „Landschaft“ wird als Pendant zum Begriff der „Stimmung“ der Begriff der „Atmosphäre“ virulent. Versuche, das Atmosphärische in der Landschaft zu bestimmen und dessen erkenntnistheoretische wie ästhetische Rolle zu definieren, finden sich bei Hermann Schmitz, Gernot und Hartmut Böhme, Michael Hauskeller sowie Michael Großheim. Im Kern dreht sich die Debatte um die Frage, ob es sich bei „Atmosphäre“ um Projektionen handelt oder ob diese der Landschaft selbst angehört. Die Frage ist: „Hat die Landschaft selbst die Eigenschaft, heiter oder schwermütig zu sein, oder schreiben wir ihr diese Eigenschaften durch Projektion zu?“748 Vertreter eines solchen anthropozentrischen „Konstruktivismus“ oder „Projektionismus“ sind nach Michael Großheim z.B. Georg Simmel, Ernst Bloch, Ruth und Dieter Groh, aber auch August Wilhelm Schlegel, Theodor Lipps, Martin Seel und Rolf Peter Sieferle. Der Hauptvorwurf an die Adresse der sogenannten „Konstruktivisten“ und „Projektionisten“ lautet, diese ignorierten die Gefahr eines „vollständige[n] Objektverlust[es]“ – gemeint ist ein Objekt kultureller Konstruktionen oder Projektionen, „über dem sich kulturelle Formen erst aufbauen können“749. Die „historische Forschung zur Naturästhetik“, die die „Konstitutionsbedingungen von Bildern, Symbolen, Aneignungsformen der Natur“ erforscht, würde zwar den „subjektive[n] und objektive[n] Geist von Naturbildern“ wiedererkennen, doch würde „zugleich auch jede Referenzebene und jeder Inhalt getilgt“750. Großheim fordert dagegen eine „Phänomenologie der Atmosphären“751, die gegen die Theorien, die von der historisch variablen „Konstruiertheit“ der Landschaft ausgehen, eine „Geschichte der Wahrnehmungsfelder“752 setzen, 748 749 750 751 752 162 Michael Großheim: Atmosphären in der Natur - Phänomene oder Konstrukte?, in: Rolf Peter Sieferle/ Helga Breuninger (Hg.), Natur-Bilder. Wahrnehmungen von Natur und Umwelt in der Geschichte, Frankfurt a.M./ New York 1999, 325-365; 325. Michael Großheim, Atmosphären in der Natur, 359. Hartmut Böhme: Materialismus oder Konstruktivismus in der Naturästhetik: Eine falsche Alternative - aus der Sicht der Goethezeit, in: Michael Großheim (Hrsg.): Leib und Gefühl. Beiträge zur Anthropologie, Berlin 1995, 129-140; 139. Michael Großheim, Atmosphären in der Natur, 361. Michael Großheim, Atmosphären in der Natur, 357. wie sie beispielsweise Heinrich Rombach ins Spiel gebracht hat.753 Konstruiertheit wird also gegen Wahrnehmung gesetzt, so als ob Wahrnehmung unmittelbar Atmosphären wie „Gegenstände eigener Art (…), die nicht in Projektion aufgehen“754, also als „Entitäten“755 oder als „objektive Gefühle“756, so ergreifen könne, wie sie unabhängig von Wahrnehmung für die Wahrnehmung bereitliegen. In der Entgegensetzung einer „Phänomenologie der Atmosphären“ gegen die „historische Forschung zur Naturästhetik“ wird der Streit um die Rolle von Konstitutionsleistungen menschlicher Subjektivität und diesen Konstitutionsleistungen subjektunabhängig vorausliegenden „Objekten“, „Referenzebenen“ oder „Inhalten“ wieder aufgegriffen. Wer von Objektivität oder gar von „objektiven Gefühlen“757 spricht, mag zwar phänomenologisch etwas Richtiges beobachten, insofern jeder Leistung menschlicher Subjektivität notwendig Objektivität gegenübersteht, will sie nicht in einen ‚transzendentalen Solipsismus’ münden. Die Resultate menschlicher Konstitutionsleistungen in Technik, Handwerk, Wissenschaft, Kunst, Staat und Gesellschaft sind ja mit Hegel „objektiver Geist“, die Vollzugsresultate des subjektiven Geistes können sich zu einer „zweiten Natur“, zu einer Art von Objektivität verfestigen, sofern ihr Setzungsursprung, d.h. ihre unaufhebbare Bezogenheit (Relationalität) auf subjektive Leistungen des Menschen, wenn der unhintergehbare Anthropozentrismus jedweden Weltund Naturzugangs vergessen wird. Wird dies vergessen, kommt es zu einem undurchschauten „objektiven Idealismus“ selbst noch einer Phänomenologie (hier: der Atmosphären). Mit Nietzsche läßt sich dies auch so formulieren: „Wir glauben etwas von den Dingen selbst zu wissen, wenn wir von Bäumen, Farben, Schnee und Blumen reden und besitzen doch nichts als Metaphern der Dinge, die den ursprünglichen Wesenheiten ganz und gar nicht entsprechen. 753 754 755 756 757 Großheim beruft sich an dieser Stelle auf Heinrich Rombach: Phänomenologie des gegenwärtigen Bewußtseins, Freiburg/München 1980. Michael Großheim, Atmosphären in der Natur, 341, in Anlehnung an Gernot Böhme. Michael Großheim, Atmosphären in der Natur, 343, in Anlehnung an Vertreter einer „Religionsphänomenologie“. Michael Großheim, Atmosphären in der Natur, 344 f., in Anlehnung an Otto Baensch. H. Böhme: Gibt es objektive Gefühle? Zum Problem einer Naturästhetik aus der Sicht der Goethezeit, in: Ästhetik und Naturerfahrung, hrsg. von Jörg Zimmermann, Stuttgart- Bad Cannstatt 1996, 13-25. 163 (…) [Der Mensch] vergißt also die originalen Anschauungsmetaphern als 758 Metaphern und nimmt sie als die Dinge selbst“ . So kann man beispielsweise „sagen: der Stein ist hart: als ob uns ‚hart’ noch sonst bekannt wäre und nicht nur als eine ganz subjektive Reizung! Wir theilen die Dinge nach Geschlechtern ein, wir bezeichnen den Baum als männlich, die Pflanze als weiblich: welche willkürlichen Übertragungen! (…) Welche willkürlichen Abgrenzungen, welche einseitigen Bevorzugungen bald der bald jener 759 Eigenschaft eines Dinges!“. Die mit der Diskussion um Atmosphären verbundene Gegensätzlichkeit der Ansichten und Positionen tritt aber auch in den Theorien einiger Protagonisten dieses Diskurses selbst auf. Für den Umwelthistoriker Rolf Peter Sieferle ist Landschaft eine Konstruktion, und jede neue Landschaft ist eine „Neukonstruktion“, die unter dem Entscheidungsdruck steht, „wie Landschaft konstruiert werden soll“760. Auf der anderen Seite „scheint die Vermutung unerschütterlich zu sein, daß jenseits der mentalen Konstruktion von Landschaft ein Stück Wirklichkeit liegt, das unabhängig von dieser Konstruktion existiert“761. Sieferle spricht angesichts der Grenzen menschlichen Handelns von einem konstruktivistischen Fehlschluß“762 derjenigen, die die Grenzen der Konstruktion von Landschaft nicht einzusehen vermögen. Auch für Hans Lenk ist alle Landschaft einerseits ästhetisches Konstrukt. Andererseits geht seines Erachtens das, was „Natur“ in „Natur als Landschaft“ benennt, wie diffus und unbestimmt auch immer, keineswegs in Konstruktion auf. Eine solche Behauptung weist er als „operationalistischen Fehlschluß“ zurück.763 Doch auch hier beginnen Schwierigkeiten. Ist „Natur“ lediglich eine „Kopfgeburt“764 bzw. ein „unausrottbarer“ Begriff für menschliche Orientierungsbedürfnisse765, oder 758 759 760 761 762 763 764 765 164 Friedrich Nietzsche: Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne, in: ders.: Sämtliche Werke. KSA in 15 Bänden, hrsg. v. Giorgio Colli u. Mazzino Montinari, München 1993, Bd. 1, 873-890; 879, 883. Friedrich Nietzsche: Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne, 878 f. Rolf Peter Sieferle: Rückblick auf die Natur. Die Geschichte des Menschen und seiner Umwelt, München 1997, 218. Rolf Peter Sieferle: Rückblick auf die Natur, 25. Rolf Peter Sieferle: Rückblick auf die Natur, München 1997, 220. Hans Lenk: Der Macher der Natur? Über operativistische Fehldeutungen von Naturbegriffen der Neuzeit. In: Natur als Gegenwelt. Hrsg. von G. Großklaus und E. Oldemeyer, Karlsruhe 1983, 5986. Ruth und Dieter Groh: Die Außenwelt der Innenwelt, 83. Rolf Peter Sieferle: Rückblick auf die Natur, München 1997, 17. muß ungeachtet der Vermitteltheit jeden Naturzugangs nicht doch ein Korrelat vor und außerhalb jeder Konstruktion von Natur als Landschaft angenommen werden? Führt man den Bogen der Argumentation wieder auf Hegels Überlegungen zurück, dann findet man in seiner Philosophie des subjektiven Geistes einen möglichen Anknüpfungspunkt. Hegel hat behauptet, die noch unbewußte Seele kenne aufgrund ihrer Ungetrenntheit vom Objekt noch keinen Unterschied von Selbst und Nicht-Selbst. Am Beispiel eines als „hart“ empfundenen Gegenstandes zeigt Hegel, daß in der Empfindung noch nicht zwischen Subjektivem und Objektiven unterschieden ist, was erst dem Bewußtsein möglich ist. Empfindender und „Eindruck“ der Empfindung sind gleichsam ungetrennt. Der Empfindende spürt einmal leiblich die „Härte“, etwa an einem Finger, zugleich kann er von einem „harten Gegenstand“ sprechen, an dem er die „Härte“ fühlt. Hier gibt es gewissermaßen nur ‚eine Welt’, in der noch nicht deutlich zwischen Stimmungen der Objekte und Stimmungen des Subjekts unterschieden werden kann. Erst das Bewußtsein kennt „zwei Welten“766, da erst das „Ich“ sich von sich selbst und einer gegenständigen Objektwelt unterscheiden kann. Hier erst entsteht so etwas wie die Wahrnehmung eines „Gegenstandes“ mit dessen Eigenschaften, nicht aber in der Empfindung von Natur. Der stimmungsinduzierte Naturvollzug von Landschaft ist insbesondere deshalb weltlos, weil das leere Träumen in Empfindungen nicht unterscheidet zwischen Vollziehendem und Vollzogenem. Dies ist erst dem Bewußtsein möglich, das dann aber zwischen Subjekt und Objekt unterscheiden muß. Diese Unterscheidung ist erst die Voraussetzung dafür, über so etwas wie einen Gegenstand und dessen Eigenschaften reden zu können. Im Rückgriff auf das erläuterte Konzept eines „gebildeten Geistes“, d.h. des Menschen, insofern er über ein entsprechend 766 „Um diesen Punkt zu erläutern, wollen wir daran erinnern, daß, indem die Seele Bewußtsein wird, für sie durch die Trennung des in der natürlichen Seele auf unmittelbare Weise Vereinigten der Gegensatz eines subjektiven Denkens und der Äußerlichkeit entsteht, - zwei Welten, die in Wahrheit zwar miteinander identisch sind (‚ordo rerum atque idearum idem est’, sagt Spinoza), die jedoch dem bloß reflektierenden Bewußtsein, dem endlichen Denken, als wesentlich verschiedene und gegeneinander selbständige erscheinen.“ (TWA 10, 166). - Dieses Zitat steht im Zusatz zum § 408 der Enzyklopädie, wie sie in der TWA überliefert ist. Zwar wird dieser Zusatz in den GW nicht mit aufgenommen und ist daher philologisch prekär; da die Redeweise von „zwei Welten“ aber ungeachtet ihrer Metaphorik m.E. sachlich etwas Richtiges trifft, sei sie hier wiedergegeben und in Anspruch genommen. Die Rede von der „Identität“ der „zwei Welten“ muß im Sinne jenes schon angeführten transzendentalphilosophischen Theorietypus verstanden werden, wonach die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung zugleich die Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände der Erfahrung sind. 165 „gebildetes Gefühl“767 und eine „gebildete, wahrhafte Empfindung“768 verfügt, kann ein solcherweise gebildeter Mensch „ein Bewußtsein von bestimmten Unterschieden“769 ausbilden. Sowohl unsere Umwelt als auch die Wahrnehmungs- bzw. Vollzugsweisen von Natur als Landschaft unterliegen einem permanenten kulturellen Wandel. Es ist demnach durchaus möglich, daß das, was zu einem historischen Zeitpunkt als „häßlich“ bezeichnet wurde, zu einem späteren als „schön“ oder „erhaben“ aufgefaßt wird und in Zukunft möglicherweise umgekehrt. Wenn diese Annahme plausibel ist, dann müssen in der Landschaftsästhetik weiterhin die Naturvollzüge und deren kulturelle Rahmenbedingungen, die zur Erfahrung von „schöner“, „erhabener“ oder „häßlicher“ Landschaft führen, berücksichtigt und analysiert werden. Dann aber ist es äußerst unwahrscheinlich, daß die Aufgaben einer Landschaftsästhetik sich darin erschöpfen, eine physiozentrische „ökologische Naturästhetik“770 oder eine „ästhetische Naturhermeneutik“771 gegen eine anthropozentrische Naturästhetik772 auszuspielen. Es bedarf dann auch keiner Rehabilitierung einer „sprechenden Natur“773 oder von „Atmosphären“ der Natur774. Eher bedarf es dann einer weiter zu entwickelnden „anthropozentrischen“ Naturund Landschaftsästhetik. Im Kontext einer anthropozentrisch orientierten Ästhetik der Landschaft bedarf es zudem keiner Resubjektivierung der Natur im Sinne einer „Signaturenlehre“, die in einem „kommunikativen Naturbegriff ihre Basis hat“775. Statt dessen sollte insofern an Hegel angeknüpft werden, als er in der Einleitung zu seinen Vorlesungen zur Naturphilosophie auch die Natur mit dem Begriff der Freiheit in Verbindung bringt. So kann Hegel beispielsweise in der ersten Berliner Vorlesung zur Naturphilosophie von 1819/20 behaupten, die Naturphilosophie könne als „verkörperte Vernunft“ betrachtet 767 768 769 770 771 772 773 774 775 166 V 13, 188. GW 20, § 447. GW 20, § 447. Gernot Böhme: Für eine ökologische Naturästhetik. Frankfurt am Main 1989. Silvio Vietta: Die vollendete Speculation führt zur Natur zurück. Leipzig 1995. Z.B. die von Ruth und Dieter Groh: Die Außenwelt der Innenwelt. Zur Kulturgeschichte der Natur. Frankfurt am Main 1996 oder Martin Seel: Eine Ästhetik der Natur. Frankfurt am Main 1991. Gernot Böhme: Sprechende Natur: Die Signaturenlehre bei Paracelsus und Jacob Böhme. In: Ders.: Für eine ökologische Naturästhetik, 121-138. Gernot Böhme: Für eine ökologische Naturästhetik, 11 ff., 22 f., 148 ff. sowie ders.: Das Schöne und andere Atmosphären. In: ders.: Anthropologie in pragmatischer Hinsicht. Darmstädter Vorlesungen, Frankfurt am Main 1985, 192-207. Gernot Böhme: Sprechende Natur: Die Signaturenlehre bei Paracelsus und Jacob Böhme, 122. werden, wodurch die Natur aufhöre, „ein Fremdes, Starres gegen mich zu sein, denn ihr Wesen ist ein Vernehmliches; darin sehen wir uns selbst“; und in der „vernünftigen Erkenntnis lasse ich es [das Natürliche] frei und «bin» ohne Furcht, es zu verlieren. Es ist ein in sich Geschlossenes und Vernünftiges, dessen Freiheit für mich nichts Furchtbares hat, da sein Wesen das meinige ist.“776 Andererseits ist der Mensch sogar „nur insofern frei, als noch andere neben ihm frei sind. Die Naturphilosophie ist also die Wissenschaft der Freiheit.“777 Wenn der Mensch sich von Natur befreit hat, dann kann er zugleich Natur in ihre Freiheit entlassen, weil sie ihm nicht mehr als etwas Feindliches, sondern als das „Meinige“ erscheint. 5.2 Darstellung schöner Landschaft als Symbol des Menschlichen Im Anschluß an die bislang geleistete Erörterung einer Reduktion des Naturvollzugs auf Empfindung stellt sich die Frage, auf welche Weise der Vollzug und die Darstellung der Natur als Landschaft über die Konzentration auf subjektive Innerlichkeit hinausführen und die Form substanzieller Subjektivität erreichen kann. Diese Frage zielt letztlich darauf, inwiefern die in der Kunst dargestellte Landschaft als „Symbol der Sittlichkeit“ oder - mit Hegel - als Vollzug des Menschen dargestellt und zum Symbol des „humanus“, des vernünftigen und freien Menschen werden kann. Da Hegel die Festlegung der Kunst auf Nachahmung der Natur mit guten Gründen ablehnt, müßte der künstlerische Naturvollzug, die Darstellung der Natur oder der Natur als Landschaft, über die bloße Empfindung der Natur hinaus diese im Sinne der Naturphilosophie - als Produkt der Freiheit, mit Schiller: als „Freiheit in der Erscheinung“ gestalten. Hegel selbst räumt in der Diskussion der Darstellung bzw. Gestaltung der Natur als Landschaft seine Bedenken gegen einen bloß empfindsamen Naturvollzug in mehreren Schritten aus. Sowohl die Landschaftsmalerei als auch die Gartenkunst und die Idyllendichtung können als „Symbol der Sittlichkeit“ dargestellt werden. Mit Landschaftsmalerei, Gartenkunst und Idyllendichtung verweist Hegel auf typische Phänomene der „Romantischen Kunstform“, die die „Idee“ als 776 777 Gies, 6. Gies, 6. 167 sich selbst als „Geist“ erfassenden „Geist“ zum Inhalt hat. Jede sinnlichmaterielle Gestalt ist fortan dem göttlichen bzw. geistigen Inhalt unangemessen, weil das Geistige sich in sich vertieft und den äußeren Stoff zu einer kontingenten Form depotenziert. So beobachtet Hegel eine „Auflösung des Inhalts und der Gestaltung“778. Die Kunst stellt daher alles dar, was „die Menschenbrust bewegt“, alle Facetten der inneren und der äußeren Welt des Menschen können nun Gegenstand der Kunst werden.779 Dementsprechend thematisiert Hegel in den Vorlesungen im Abschnitt über die „Romantische Kunstform“ weitere Gestaltungsweisen der romantischen Kunst, nämlich das „Charakteristische“, das „Interessante“ und das „Häßliche“. Die Kunstgattungen der „Romantischen Kunstform“ ermöglichen somit eine umfassende Symbolisation des Menschlichen. 5.2.1 Landschaftsmalerei Die Landschaftsmalerei ist wie die Malerei überhaupt dem Prinzip der subjektiven Innerlichkeit verpflichtet. Der Maler findet weder einen Gott in der Natur vor noch kann er diesen einfachhin in ein natürliches Umfeld hineinstellen. Die Malerei „geht zur Subjektivität fort“780, d.h. der geoffenbarte christliche Gott ist nicht mehr - wie der griechische Gott - „an die Anschauung gebunden“781, sondern er wird „auf geistige Weise, die vom Sinnlichen zurücktritt“782, vorgestellt und für die religiöse Andacht bildlich dargestellt. Dieser Gott ist ein handelnder und geschichtlicher Gott, der in Situationen seines Handelns mit den Menschen dargestellt werden muß783. Erscheinen kann der geschichtliche christliche Gott aber nur in einer situativ erschlossenen Welt. Diese ist aber nicht natürlich vorgegeben, sondern muß bewußt gesetzt werden. Dies ist möglich, indem der Maler bewußt und gezielt einen Weltausschnitt mit in Situationen handelnden Figuren setzt. Mittel für die notwendige Eingrenzung des Blickfeldes ist der Rahmen. Die Malerei bedient sich nicht mehr – wie Architektur und Skulptur – des Raumes „in 778 779 780 781 782 783 168 Hotho 1823, 36. „Im Romantischen haben alle Gegenstände Platz“ (Hotho 1823, 198). Hotho 1823, 248. Hotho 1823, 37. Hotho 1823, 37. Dies ist ein wichtiger Unterschied zur Skulptur: „Das was vorgestellt wird, wird gemacht für den Standpunkt des Zuschauers, sodaß es ihm erscheinen soll. Das Skulpturbild ist unbekümmert um den Zuschauer“ (Libelt 1828/29, Ms. 128). seinen drei Dimensionen zum Material der Darstellung“784, sondern der zweidimensionalen Fläche und der Farbe als bereits „vergeistigtes“ Kunstmittel. Es kommt zu einer „Akzentuierung des Vollzugscharakters durch den Rahmen“ und zu einer „Integration der Prozeßhaftigkeit in die Konstitution der Form durch das Farbenspiel“785. Mit Rahmung und Farbenspiel sind die beiden entscheidenden Voraussetzungen eines produktiven (Natur)Vollzuges genannt, der hier ebenfalls, wie schon im Zusammenhang der Rekonstruktion der Landschaftsanschauung, als „gestaltete Anschauung“ beschrieben werden soll. 5.2.1.1 Zur gestalteten Anschauung in der Landschaftsmalerei Durch die mit dem Weltausschnitt, dem Rahmen angezeigte Reduktion des dreidimensionalen Raums der Architektur und Skulptur auf die Fläche ist die Malerei nicht wie die Skulptur und die an ihr orientierte Bestimmung der Malerei auf den Kontur, die Linie hin entworfen, sondern sie bringt durch das Zusammenspiel von Licht und Schatten in der Farbe, also durch einen produktiven Vollzug, die „Rundung der Gestalt“786 selbst hervor. Eine dreidimensionale, handgreifliche Gestalt in einer natürlichen Umwelt wird dadurch ein „Überflüssiges“787. Hell und Dunkel dürfen demgemäß nicht dem Zufall überlassen werden - wie dies in der Natur der Fall ist -, sondern die Malerei muß „das Hell und Dunkel fixieren“, wodurch allerdings ein „Hintergrund notwendig“788 wird. So entstehen Vordergrund, Mittelgrund und Hintergrund. Die eingerahmte Fläche des Bildes vermag so, die Figur (Skulptur) und den Hintergrund (Architektur) auf einer Ebene zu vereinigen. Dadurch wiederum ist es möglich, das geforderte Handeln des Gottes mit den Menschen bzw. der Menschen miteinander oder der Menschen mit ihrer Umwelt bildlich darzustellen. Die Skulptur vermochte es bestenfalls, bis zur Darstellung von Gruppen zu gelangen. Die Malerei hingegen „entfaltet ihren Gegenstand“789 und bringt es dahin, „daß den Figuren Bewegung gegeben wurde“ und „mehrere Figuren in einer Verbindung, in einer Handlung 784 785 786 787 788 789 Hotho 1823, 44. Annemarie Gethmann-Siefert: Einführung in Hegels Ästhetik, 281. Hotho 1823, 250. Hotho 1823, 251. Hotho 1823, 251. Hotho 1823, 257. 169 dargestellt werden“790. Gewissermaßen wird das Handeln selbst bildlich dargestellt. Das Zusammenspiel von Licht und Schatten ist das Charakteristikum der Farbe. Die Farbe ist das „Element der Malerei“791, d.h. ihre Grundlage, und sie ist für Hegel eine „in sich bestimmte und subjektivierte Sichtbarkeit“792. Zwar ist das Material der Architektur und Skulptur „gleichfalls ein Sichtbares, aber nicht die abstrakte Sichtbarkeit“, d.h. die „Sichtbarkeit als solche“793. Hegel wendet sich hier also gegen die „klassizistische“ Vorstellung, erst die Linie, der Kontur konstituiere die Gestalt, die Form, das Räumliche, deren Formen dann durch die Farbe nur noch eingefärbt zu werden brauchen. Es ist dies die traditionelle Vorrangstellung des „Linearen“ gegenüber dem „Malerischen“.794 Am Beispiel der Gemälde von Dürer und Raffael weist Hegel darauf hin, daß die „vollkommene Kunst“ innerhalb der Malerei „die Bestimmung der Gestalt durch unmerkliche Übergänge eines Kolorits in das andere zuwege[bringt]“795. Die „höchsten Wirkungen“ seien hier durch „ganz einfache Unterschiede hervorgebracht“; tritt man nämlich nahe an die Gemälde heran, so „scheint die Fläche einfärbig, tritt man in den rechten Punkt, sieht man, wie die Tinten in den kleinen Verschiedenheiten die beseeltesten Gestalten hervorbringen“796. Die Farbe, präziser: das Kolorit als formkonstituierendes Mittel ist in diesem Sinne ein „geistigeres“ Kunstmittel als der Stein der Architektur und der Marmor (Stein) der Skulptur als der Natur entnommene Kunstmedien. Die Farbe als Material ist daher gegenüber den Materialien der Architektur und Skulptur deutlich immaterialisiert. Die Malerei „befreit sich hier von dem Vollständig-Materiellen“797, sie verläßt die „objektive Bestimmung der Materie, die totale Räumlichkeit und Äußerlichkeit, und ist das Abstrahieren 790 791 792 793 794 795 796 797 170 Hotho 1823, 257. Hotho 1823, 250. Hotho 1823, 42. Hotho 1823, 42. Vgl. die ausführliche Darstellung von Bernadette Collenberg: Hegels Konzeption des Kolorits in den Berliner Vorlesungen über die Philosophie der Kunst, 91ff., in: Annemarie Gethmann-Siefert (Hg.): Phänomen versus System. Zum Verhältnis von philosophischer Systematik und Kunsturteil in Hegels Berliner Vorlesungen über Ästhetik oder Philosophie der Kunst, Bonn 1992 (HegelStudien, Beiheft 34). Hotho 1823, 261. Hotho 1823, 261. Hotho 1823, 42. von derselben“798. So bezieht sie sich nur noch auf „den abstrakt ideellen Sinn des Gesichts“799, d.h. auf eine vergeistigtere, in sich reflektiertere Sinnlichkeit. Diese ist das Sehen, also der „Gesichtssinn“ als einer der beiden „theoretischen Sinne“. Sowohl das Material als auch die Sinnlichkeit der Malerei verweisen demnach auf Subjektivität. Im Licht - als dem einen Konstituens der Farbe, neben der Dunkelheit - „wird die Natur subjektiv; es ist das physikalische Ich“800. Die Farbe ist eine „Art der Subjektivierung“801. Dem korrespondiert auf seiten des den Bildrahmen und damit einen bewußten künstlerischen Entwurf setzenden Künstlers mit dem Sehen eine Form der Sinnlichkeit, die das Subjekt aus allen haptischen, d.h. noch irgendwie dem Tastsinn verbundenen Naturzusammenhängen befreit. Man könnte sagen, die Kunst in Gestalt der Malerei befreit sich hier endgültig von ihrer Bindung an eine (vermeintlich) vorgegebene, objektive Natur802. Denn das, was auf der Bildfläche als Darstellung eines Inhalts erscheint, konstituiert sich erst im Vollzug des Sehens. Die Konstitution der Form durch das Farbenspiel erfordert die Vervollkommnung der technischen Mittel bei der Darstellung. Hegel nennt diese Vervollkommnung „Magie der Farben“803, „Musikalität der Farbe“804 oder „Scheinen in andern Scheinen“805, worin nach Hegels Einschätzung die Niederländer „eine Meisterschaft erreicht“ haben.806 Die Niederländer haben seiner Meinung nach die Malerei, die „wegen ihrer Innerlichkeit die Kunst des Scheines überhaupt“ ist, so vervollkommnet, daß sie die „höchsten Grade des Scheinens“ erreichten.807 Generell ist für Hegel ein Gemälde nicht nur ein Kunstwerk, sondern auch „zugleich ein Kunststück des Scheinens“808. Dies trifft für die niederländischen Bilder in ausgezeichneter Weise zu. Das Mittel für diesen Zweck des „Scheinens“ ist das souveräne „Zusammenstellen der Farben“809. Diese Eigenart des Zusammenwirkens der Farben haben die 798 799 800 801 802 803 804 805 806 807 808 809 Hotho 1823, 250. Hotho 1823, 42. Hotho 1823, 249. Hotho 1823, 42. Vgl. hierzu: Annemarie Gethmann-Siefert: Phänomen versus System, 34. Hotho 1823, 262. Pfordten 1826, Ms. 56. Libelt 1828/29, Ms. 85. Hotho 1823, 201. Kehler 1826, Ms. 341. Kehler 1826, Ms. 342. Pfordten 1826, 84. 171 Niederländer zur Vollendung fortentwickelt. Sie haben gleichsam das „musikalische in der Farbe (...) aufs gründlichste studirt“810, d.h. die Eigenart der Farbe, über den Vollzug des Sehens Welt zu konstituieren und zugleich für einen Nachvollzug zu vermitteln. Die Niederländer haben diese Entwicklung bis an ihre äußerste Grenze geführt, jenseits derer die Musik beginnt. Auch die Musik ist an einen sukzessiven Vollzug gebunden, an den Vollzug des Gehörs bezüglich des völlig immateriellen Tones. Hier ist eine weiter vergeistigte Stufe der „subjektiven Innerlichkeit“ der romantischen Kunstform erreicht. Wegen dieser Nähe zur Musik nennt Hegel jene Besonderheit der Farbe die „Musikalität in den Farben“; die Niederländer haben diese „gründlich studiert, durch Scheine Wirkungen hervorgebracht, welche wenigstens frappiren“811. Durch diese Charakteristik der Niederländischen Malerei eröffnet Hegel sich die Möglichkeit, auch die Darstellung der Landschaft, also eine bereits subjektiv konstituierte Natur, differenziert zu bestimmen. Der allgemeine Charakter der Malerei wird zusätzlich akzentuiert durch eine Eigenart der Landschaftsmalerei, die sich interessanterweise gerade aus dem Naturvollzug via Stimmung bzw. via Empfindung bei der Betrachtung der Landschaft ergibt. Ungeachtet der Bedenken gegen die mit diesem Naturvollzug gegebenen Schwierigkeiten kann die Landschaftsmalerei an die spezifische Art der malerischen Darstellung als Sehenlassen eines Gesehenen anknüpfen und Landschaft als einen formal identischen Vollzug von Natur als Gesehene, im Sehen konstituierter darstellen. Die für diese Darstellungsform typische Weise der „Idealisierung“ der Natur faßt Hegel zu einer Zweckbestimmung der Landschaftsmalerei zusammen: „Die Landschaftsmalerei faßt die Natur mit Seele und Geist auf und ordnet ihre Gebilde nach dem Zweck, eine Stimmung auszudrücken. Somit darf sie keine bloße Nachahmung der Natur werden und bleiben“.812 Diese Bestimmung macht deutlich, daß es sich bei diesem Vorgang der Darstellung von Landschaft um einen produktiven Vollzug handelt, insofern die Anschauung der Landschaft im künstlerischen Schaffensprozeß so gestaltet wird, daß sie eine geistig erzeugte Ordnung in die angeschaute Natur 810 811 812 172 Kehler 1826, Ms. 285. Aachen 1826, Ms. 152. Hotho 1823, 255 f. bringt, die eine Stimmung auszudrücken vermag. In genau diesem Sinn läßt sich dieser Naturvollzug als gestaltete Anschauung beschreiben. Als gestaltete Anschauung kann Landschaftsmalerei nach allem bislang Gesagten die Natur nicht schlichtweg abbilden. Eine solche Abbildung führte lediglich zu einer für den menschlichen Geist unbefriedigenden und sinnlosen, weil überflüssigen Verdoppelung des natürlich Gegebenen bzw. Vorgegebenen. So wird nicht, wie in einer Nachahmung durch Landschaftsmalerei, landschaftliche Natur verdoppelt, sondern der Mensch gestaltet die Natur bewußt als von ihm angeschaute Natur unter den Bedingungen der Ausdehnung: Farbe und Form als Konstitution der abstrakten (zweidimensionalen) Räumlichkeit. In der dargestellten Natur erkennt der Mensch seine „Brüder“813, wie Hegel mit Verweis auf Goethe814 feststellt. Die dargestellte Natur qua Landschaft wird zur „Freiheit in der Erscheinung“, konstituiert durch bewußte Gestaltung: Die „natürlichen Dinge sind nur, sind nur einfach, nur einmal. Doch der Mensch als Bewußtsein verdoppelt sich, ist einmal, dann ist er für sich, treibt, was er ist, vor sich, schaut sich an, stellt sich vor, ist Bewußtsein von sich; und 815 er bringt nur vor sich, was er ist“ . Nun zeigt die Landschaft aber klare sichtbare Strukturen, die für bestimmte Naturdinge charakteristisch sind. Blätter und Zweige weisen eine typische Zeichnung auf, die nicht einfach von der Landschaftsmalerei übergangen werden darf, sondern „beibehalten“ werden muß, aber nicht in jedem vorgegebenen Detail portraitartig naturgetreu nachzumalen ist und „die Aufmerksamkeit auf sich ziehen [zu] lassen“816 hat. Die „Hauptsache“ ist für Hegel „die Stimmung des Ganzen (...) Ihr muß das übrige untergeordnet sein“817. Das „Ganze“ ist eine bestimmte auszudrückende Stimmung, der sich die Details in ihrer Charakteristik und in ihrer Auswahl unterzuordnen haben. Diese Vorgehensweise vermag immerhin, eine einer Stimmung verpflichtete, im Vollzug erzeugte Ordnung in die als Landschaft angeschaute Natur zu bringen. 813 814 815 816 817 GW 5, 372. Vgl. Anm. 280 und das dort wiedergegebene Goethe-Zitat samt Quellenangabe. Hotho 1823, 12 f. Hotho 1823, 256. – Hier gilt im übrigen die gleiche Kritik, die Hegel im Hinblick auf die Portraitmalerei geäußert hat. Hotho 1823, 256. 173 Das „Ganze“ durch Stimmung vermittelt ist folglich ein ebensolches „Mehr“, wie dies bereits hinsichtlich des neuzeitlichen, „Landschaft“ allererst konstituierenden ästhetischen Naturvollzuges festgestellt werden konnte. Dieser Naturvollzug verortet nicht mehr – wie dies für das gesamte Mittelalter typisch war – einzelne Naturgegenstände innerhalb einer Schöpfungstotalität, um diese zu einem summarischen Gesamtbild zu bilden. Landschaft ist vielmehr über einen an Vollzugsformen des subjektiven Geistes (Stimmung, Empfindung, Gefühl) geknüpften Deutungszugriff vermittelt. 5.2.1.2 Kulturlandschaft als „objektiver Geist“ Kunstgestaltung ist daher auch als Darstellung der Landschaft Arbeit und Sprache. Der Prozeß der Gestaltung von Welt ist mit einer durch Arbeit und Gestaltung zunehmenden Be-Freiung von Natur verbunden. In den Grundlinien der Philosophie des Rechts verbindet Hegel seine in vielen Schriften wiederholt vorgetragene Kritik an der naiven Vorstellung eines ursprünglichen vorzivilisatorischen „Naturstandes“ mit der Herausstellung der Bedeutung der Arbeit für die Befreiung des Menschen von Natur: „Die Vorstellung, als ob der Mensch in einem sogenannten Naturzustande, worin er nur sogenannte einfache Naturbedürfnisse hätte und für ihre Befriedigung nur Mittel gebrauchte, wie eine zufällige Natur sie ihm gewährte, in Rücksicht auf die Bedürfnisse in Freiheit lebte, ist noch ohne Rücksicht des Moments der Befreiung, die in der Arbeit liegt“.818 Dieser Befreiungsprozeß vollzieht sich theoretisch wie praktisch, das heißt „durch Arbeit und materielle Produktion ebenso wie durch geistige Weltaneignung im engeren Sinne“819. Mit Hegel: „Der Mensch muß arbeiten. Die physischen Bedürfnisse regen die Tätigkeit auf, geben das Gefühl der innerlichen Kraft, wonach sich auch die tieferen Kräfte entfalten können“.820 Denn die „Bedürfnisse des Menschen sind nicht bloß physisch, sondern von höherer, geistiger Art“821. In diesen Zusammenhang stellt Hegel auch seine Überlegungen zum Zusammenhang von Natur und „Landschaft“. Hier lassen sich zwei Schritte 818 819 820 821 174 Rph, § 194. Brigitte Scheer: Einführung in die philosophische Ästhetik, Darmstadt 1997, 119. Hotho 1823, 109. Hotho 1823, 110. der Befreiung von bloßer Natur rekonstruieren. Der erste Schritt besteht in der cultura, d.h. der agrarischen Bearbeitung der Natur zu Landschaft sowie in Wissenschaft, Handwerk und Gewerbetreiben. Der zweite Schritt besteht in der Aneignung der Landschaft mittels Kunst und Ästhetik, wodurch die Landschaft zu einem im engeren Sinne künstlerisch-technischen und im weitesten Sinne ästhetischen Phänomen wird. Den ersten Schritt hat J. Ritter in den beiden Aufsätzen über „Landschaft“822 und „Die Große Stadt“823 als Zusammenhang zwischen Befreiung von Natur durch Arbeit und der Entstehung der Landschaft herausgearbeitet. Der zweite Schritt beschreibt den historischen Prozeß, den wir im Abschnitt über die Vorgeschichte der Landschaftsanschauung bereits skizzenhaft rekonstruiert haben. Der Mensch muß sich aus dem so genannten „Naturstand“ befreien, um überhaupt mehr zu sein als ein Objekt natürlicher Kräfte und Einwirkungen, um seinerseits als „Subjekt“ natürlichen Phänomenen gegenüberstehen und diese als „Objekte“ menschlicher Vollzüge rekonstruieren zu können. Der erste Schritt der Befreiung besteht also darin, daß der Mensch, nachdem er in der unbeherrschten und „freien“ Natur Objekt der Natur und daher unfrei war, nunmehr frei ist und einer jetzt beherrschten unfreien Natur als Subjekt gegenüber steht. Zivilisationsgeschichtlich manifestiert sich dieser Schritt nach Ritter in der Entwicklung und Gegenüberstellung von Stadt und kultivierter „Gefildenatur“ (d.h. Kulturlandschaft) einerseits und „freier“ Natur andererseits. Denn „der ‘Mensch ohne Stadt’ [bleibt] das ‘Wildeste’: an sich und der Möglichkeit nach Mensch, vermag er im Stande der Natur nicht actu Mensch zu sein. Die Freiheit des Selbstseins mit allem, was zu ihr gehört, setzt daher die Befreiung aus dem Naturstand zum ‘städtischen Leben’ voraus. Sie kann erst als Stadt zur Existenz kommen (...) Während der ‘Urstand’ des Menschen in der Unterwerfung unter die Macht der Natur das Nichtsein des Menschen als Menschen ist, beginnt mit der modernen Zivilisation und ihrer Verbreitung über die Erde die Geschichte, an deren künftigem Ende die vollständige Unterwerfung der Natur unter den zum Menschsein befreiten Menschen stehen wird.“824 822 823 824 Joachim Ritter: Landschaft. Zur Funktion des Ästhetischen in der modernen Gesellschaft (1963), in: ders.: Subjektivität. Sechs Aufsätze, Frankfurt am Main 1974, 141-190. Joachim Ritter: Die Große Stadt (1960), in: ders.: Metaphysik und Politik. Studien zu Aristoteles und Hegel, Frankfurt am Main 1969, 341-354. Joachim Ritter: Die Große Stadt, 350, 352. 175 Städtische Kulturleistungen wie Wissenschaft, Handwerk und Handel sind die Voraussetzung für die allmähliche Erforschung und Objektivierung der Natur und so für deren „Entzauberung“825 − der Mensch ‚entfremdet‘ und „entzweit“ sich dabei aber von Natur. Diese „Entzweiung des Menschen mit der ihn ursprünglich umruhenden Natur“ ist aber „Bedingung der Freiheit“826. Deshalb ist für Ritter die Stadt der „Ort menschlicher Freiheit“827. Mit Hegel kann der Mensch sich aus dieser Position errungener Freiheit von Natur „zu einer vorgefundenen Natur (…) als ein Subjektives“828 verhalten und diese als „das Äußerliche an ihr selbst“, als „Sache“829 bearbeiten, sich aneignen und in Besitz nehmen. Für Ritter wie für Hegel kann es „Natur als Landschaft nur unter der Bedingung der Freiheit auf dem Boden der modernen Gesellschaft geben“830. Der Mensch kann Natur zu Landschaft gestalten, zu einem Teil der Welt, die immer schon Handlungsresultat, in Hegel Worten: „objektiver Geist“ ist. Landschaft ist somit vor dem Hintergrund der Hegelschen Philosophie des objektiven Geistes als „Kulturlandschaft“ aufzufassen.831 Eine (Selbst)thematisierung dieser objektiven, vom Menschen gestalteten Welt, durch die dem Menschen diese Objektivität als seine eigene Leistung transparent wird, wird in den Formen des „absoluten Geistes“ vollzogen. Was das im Hinblick auf die Kunst heißt, exemplifiziert Hegel an der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts. Kulturlandschaft ist als Produkt freier arbeitender Menschen immer schon intersubjektiv vermittelt, da Freiheit für Hegel ein Aufeinanderverwiesensein 825 826 827 828 829 830 831 176 Dieser Begriff stammt zwar von Max Weber, aber er trifft den Kern des hier Angesprochenen. Vgl. Walter Jaeschke: Der Zauber der Entzauberung. In: Glauben und Wissen. Zweiter Teil. Hg. von Andreas Arndt, Karol Bal und Henning Ottmann in Verbindung mit Klaus-M. Kodalle und Klaus Vieweg. Berlin 2004, 11-19 (Hegel-Jahrbuch 2004). Joachim Ritter: Landschaft, 160. Joachim Ritter: Landschaft, 159. Rph § 39. Rph § 42. Joachim Ritter: Landschaft, 162. An dieser Stelle muß sogleich auf den entscheidenden Unterschied zwischen Hegel und Ritter hingewiesen werden. Für Hegel ist Entzweiung (z.B. zwischen Subjekt und Objekt) der „Quell des Bedürfnisses der Philosophie“, überwindende „Versöhnung“ ihr Ziel. Ritter hingegen sieht in der Entzweiung „die in der Gegenwart vorhandene Vernunft“ (in: Hegel und die französische Revolution, in: ders.: Metaphysik und Politik. Studien zu Aristoteles und Hegel, FaM 1969, 183-255; 229). Ritter will diese Entzweiung nicht überwinden, er will sie vielmehr als die der Moderne allein angemessene Form von Vernunft verteidigen. Das Auseinanderfallen der klassischen substantiellen Vernunft in Subjektivität und Objektivität ist für ihn daher kein Zerfall, sondern eine neue Vernunftform. Für Ritter ist die Entzweiung von Mensch (Gesellschaft) und Natur die Bedingung der Freiheit des Menschen in der Moderne. Schon vor über 50 Jahren hat ein Vertreter der traditionellen Landschaftsgeographie auf diesen Status der Kulturlandschaft als „objektiver Geist“ hingewiesen: Martin Schwind: Kulturlandschaft als objektivierter Geist, in: Deutsche Geographische Blätter, 46 (1951), 5-28. frei handelnder Menschen ist, die einander anerkennen.832 Damit ist Kulturlandschaft nicht das Produkt Einzelner, sondern das kollektive gesellschaftliche Produkt der Arbeit von Generationen, gegen die Gewalten der Natur Welt zu gestalten833 und in ihr heimisch834 zu werden. Daß und inwiefern Landschaft dadurch „Symbol der Sittlichkeit“ sein kann, zeigt Hegel ebenfalls am Beispiel der Niederländer des 17. Jahrhunderts. In den aktuellen Auseinandersetzungen um Landschaft weisen im übrigen einige Autoren auf diesen Status von Landschaft als Kulturlandschaft und auf die damit verknüpften Konsequenzen für das historische, sozialpolitische, aber auch natur- und landschaftsschutzrechtliche Selbstverständnis einer Gesellschaft hin. Dementsprechend hat etwa der Geobotaniker Hansjörg Küster nicht nur ein Standardwerk über „Die Geschichte der Landschaft in Mitteleuropa“835 veröffentlicht, sondern daneben die „Geschichte des Waldes“ und die Geschichte der Ostsee als überwiegend Kulturgeschichte rekonstruiert und erzählt. Weitere, hier exemplarisch genannte Bücher widmen sich dem Rhein836, den Alpen837 und dem „Ende der Wildnis“838. Kulturlandschaft wird häufig als Naturschönheit aufgefaßt und thematisiert. Um 1800 strebte die Entdeckung und Begeisterung für Landschaften in Europa einem Höhepunkt zu. Dies gilt für Natur- wie für Kulturlandschaften.839 Landschaft wird häufig mit Natur einfachhin gleichgesetzt, ohne die reale wie ideelle Überformung (cultura und ästhetische Idealisierung qua Sehhabitualisierungen) zu berücksichtigen. 832 833 834 835 836 837 838 839 L. Siep etwa betont, daß in Hegels Rechtsphilosophie der „Bestimmung von Sittlichkeit und Freiheit ein in sich konsequenter, symmetrischer Anerkennungsbegriff zugrunde liegt“ (L. Siep: Anerkennung als Prinzip der praktischen Philosophie - Untersuchungen zu Hegels Jenaer Philosophie des Geistes, Freiburg/München 1979, 288). Vgl. hierzu auch W. Jaeschke: HegelHandbuch, 369. - Im Übrigen ist mit dieser Position, der ich mich hier anschließe, eine Gegenstellung zu V. Hösle verbunden, der ein zweibändiges Werk dem Versuch gewidmet hat, dem vermeintlichen „Problem der Intersubjektivität“ in „Hegels System“ Herr zu werden (V. Hösle: Hegels System. Der Idealismus der Subjektivität und das Problem der Intersubjektivität, 2 Bde., Hamburg 1987). Vgl. Enz 1830, § 484. „Der Mensch muß zu Hause in der Welt sein, frei in ihr haushalten, heimisch sich finden“ (Hotho 1823, 105). Hansjörg Küster: Geschichte der Landschaft in Mitteleuropa. Von der Eiszeit bis zur Gegenwart, München 1995. H. J. Tümmers: Der Rhein. Ein europäischer Fluß und seine Geschichte, München 1999. W. Bätzing: Die Alpen. Geschichte und Zukunft einer europäischen Kulturlandschaft, München 2003. R. Beck: Ebersberg oder das Ende der Wildnis. Eine Landschaftsgeschichte, München 2003. Vgl. A. Dinnebier: Zur Zukunft der ästhetischen Landschaft, in: H. Friesen/E. Führ (Hg.): Neue Kulturlandschaften, Cottbus 2001, 55-69. 177 Diese Schwierigkeit hat beispielsweise Th. W. Adorno nicht bewältigt.840 Hegel scheint in diesem Punkt eine differenziertere Sichtweise gehabt zu haben, insofern er die damals noch vorhandenen Naturlandschaften eher gering einschätzt; statt dessen „strebte er in eine städtisch geprägte Kultur“841 und die dazugehörigen Kulturlandschaften. Äußerungen in Hegels Werk, die auf nur wenig Sympathie für Naturlandschaft schließen lassen, finden sich etwa in dem bekannten Bericht über eine Alpenwanderung842 von 1796, in dem Hegel über die Naturlandschaft des Berner Oberlandes spricht. Bei dem Anblick der Felsmassen, Gletscher und Wasserfälle kann er weder etwas Schönes sehen noch ein Gefühl der Erhabenheit feststellen, sondern der „Anblick dieser ewig todten Massen gab mir nichts als die einförmige und in die Länge langweilige Vorstellung: es ist so 843. Die engen Täler haben eher „etwas Einengendes, Beängstigendes“, sie sind in gewisser Weise menschenfeindlich, abweisend. In diesem Sinne hat Otto Pöggeler die Vermutung geäußert, „mit Friedrich die menschenfeindlichen Landschaften des Riesengebirges zu suchen, kam Hegel wirklich nicht in den Sinn“844. Einzig das „freie Spiel“ beweglichen Wassers von Fließgewässern hat „etwas Liebliches“845, weist also eine ästhetische Qualität auf.846 Martin Bondeli hat zudem darauf hingewiesen, daß Hegel „in der Ästhetisierung der Berglandschaft relativ nüchtern bleibt“, weil dies „auch etwas mit seinem Verhältnis zum bernischen Geistesleben zu tun“ habe, so daß Hegels Bericht über eine Alpenwanderung „sozusagen ein Gegenstück zu Albrecht von Hallers überschwenglicher Alpenverehrung“847 ist. 840 841 842 843 844 845 846 847 178 Vgl. insbesondere N. Schneider: Adornos Theorie des Naturschönen, 62: „Was das Naturschöne sei, wird aus Adornos aphoristischen Argumentationen nicht recht deutlich. Zuweilen ist es mit Natur identisch, dann wieder unterscheidet er es davon (…). Bis zu einem gewissen Grade konvergiert der Begriff des Naturschönen mit dem des ‚Naturgefühls’ (…) mindestens ist es dessen auslösender Gegenstand. (…) Aber [da]neben (…) werden von Adorno vor allem Erscheinungen der Kulturlandschaft dem Naturschönen zugerechnet“. O. Pöggeler: Hegel und Caspar David Friedrich, in: Die geschichtliche Bedeutung der Kunst und die Bestimmung der Künste, 227-243; 237. G.W.F. Hegel: Bericht über eine Alpenwanderung, in: GW 1, 381-398. GW 1, 392. Otto Pöggeler: Hegel und Caspar David Friedrich, 237. GW 1, 383. Hegel beschreibt diese Naturphänomene unter dem Eindruck der Lektüre von Friedrich Schillers „Über Anmut und Würde“. Vgl. Martin Bondeli: Hegel in Bern (Hegel-Studien. Beiheft 33), Bonn 1990, 213, Walter Jaeschke: Hegel-Handbuch, 74. M. Bondeli: Hegel in Bern, 214, Anm. 79. - Bondeli weist auch auf einen weiteren Aspekt hin, der in Hegels Reisebericht anklingt, nämlich auf dessen Kritik an der Physikotheologie. Vgl. M. Bondeli: Hegel in Bern, 217f. sowie Walter Jaeschke: Hegel-Handbuch, 75. Diesem frühen Beschreibungen Bericht der mit Berner seinen überwiegend Naturlandschaft prosaischen stehen andererseits Briefäußerungen über eine Reise in die Vereinigten Niederlande entgegen, die fast ‚poetisch’ klingen. Während der Hinreise schwärmt Hegel über einen Ort wie Weilburg, der „eine romantische Lage“, ein „schönes vegetationsreiches, enges Tal, angenehme Krümmungen der Lahn“848 habe. In den Niederlanden habe er „viele schöne Städte, Gegenden und Gemälde und Kirchen gesehen“; Utrecht beispielsweise sei „eine schöne Stadt mit Universität und anmutigen Umgebungen“849. Auf seiner Rückreise durchquert er deutsche Heidelandschaften und beklagt sich wehmütig mit einem „adieu schönes Holland und Brabant, − von hier alles Heiden“; und dann leider „gings Tag und Nacht durch öde Heiden“850. Sind die „Umgebungen von Osnabrück“ noch „recht anmutig“, bedauert Hegel es, bei Diepholz bei schönstem Sonnenschein über einen Weg fahren zu müssen, auf dem die Sonne „solche Steppen bescheinen“ muß. „Doch gegen Bremen“ entdeckt er dann fast erleichtert wieder „holländische grüne Wiesen“851, wie er am Ende des Briefes an seine Frau notiert. Die niederländische städtische Kultur mit ihren „anmutigen Umgebungen“, ihren „grünen Wiesen“, ihren „schönen Gegenden“ ist demnach für Hegel der Inbegriff einer geistig-kulturellen Auseinandersetzung mit Natur, in denen die Städte in eine umgebende schöne, ja anmutige Kulturlandschaft eingebettet sind. Der Unterschied, um den es Hegel offensichtlich geht, ist derjenige zwischen einer städtisch geprägten Kultur, die von „schöner“ Kulturlandschaft umgeben ist, und einer menschenfeindlichen Natur, die einem Betrachter nichts als das Urteil „öde“ (angesichts der Heidelandschaft) abringt oder den öden „Anblick dieser ewig todten Massen“ (angesichts der Berner Alpen) vermittelt. Diesen Naturlandschaften kann Hegel kaum ästhetische Reize abgewinnen, Hegels Naturbetrachtung wirkt daher in diesen Beschreibungen „sehr prosaisch“852. An keiner Stelle spricht er der Natur „Schönheit zu, ja nicht einmal Erhabenheit“853. Zuschreibungen solcher Art 848 849 850 851 852 853 Briefe, Bd. II, 348f. Briefe, Bd. II, 363. Briefe, Bd. II, 365. Briefe, Bd. II, 366. M. Bondeli: Hegel in Bern, 214. W. Jaeschke: Hegel-Handbuch, 75. 179 finden sich nur in den Äußerungen über Kulturlandschaften, die er in Deutschland, vor allem aber in den Niederlanden vorfindet.854 Eine an dieser Stelle aufkeimende Debatte darüber, was noch tatsächlich Natur- oder bereits Kulturlandschaft sei, könnte vielleicht durch folgenden Vorschlag unterlaufen werden.855 Wenn sowohl die letzten Naturlandschaftsreste als auch alle Kulturlandschaft auf den Menschen und seine Kultur verweisen, dann sollte Landschaft als Symbol gefaßt werden. Landschaft hat enttheologisierte, in der damit Neuzeit allein ihre Bedeutung menschlichen als entzauberte, Aktivitäten oder Wahrnehmungen zugängliche Natur. Selbst die letzten noch verbliebenen Reste von Naturlandschaft in Mitteleuropa können verstanden bzw. angesehen werden als „Teil unserer Kultur, insofern sie uns als Symbol für unsere Träume, unsere Ängste etc.“ dienen856. Überhaupt ist die Unterscheidung zwischen „Naturlandschaft“ und „Kulturlandschaft“ „hinfällig, da jede Landschaft zur Kulturlandschaft wird, sobald sie ein Mensch wahrgenommen hat“857. In eine ähnliche Richtung zielen Überlegungen von Rolf Peter Sieferle, allerdings mit einer Warnung vor einem Folgeproblem. Einerseits gesteht er zu, daß es „Naturlandschaften in striktem Sinne (…) allerdings – vielleicht abgesehen von einigen Hochgebirgen, Wüsten, Eisflächen oder Resten von Urwäldern – schon lange nicht mehr“858 gibt. Andererseits warnt er davor, den Unterschied von „Kulturlandschaften“ und „Naturlandschaft“ gänzlich aufzugeben.859 Angesichts dieser Schwierigkeiten ist es ratsam, die Unterscheidung zwischen Natur- und Kulturlandschaft als Produkt menschlicher Setzung aufzufassen, d.h. als an bestimmten Zwecken orientierte Auffassung von 854 855 856 857 858 859 180 Allerdings übersieht Hegel, daß die „öde Heide“ ebenfalls eine Kulturlandschaft ist, insofern sie Produkt menschlicher Bearbeitungsformen ist. Einen solchen Vorschlag habe ich auch andernorts in einem umfassenderen Zusammenhang gemacht. Vgl. K. Berr: Carus und Hegel über Landschaftsmalerei. Landschaftsästhetik nach dem „Ende“ der Landschaftsmalerei, in: Zwischen Philosophie und Kunstgeschichte. Hrsg. von A. Gethmann-Siefert und B. Collenberg-Plotnikov, München 2008, 243-256. A. Muhar: Fragen zur Identität einer Landschaft und ihrer Bewohner am Beispiel der IBA-Region „Fürst-Pückler-Land“, in: H. Friesen/E. Führ (Hg.): Neue Kulturlandschaften, Cottbus 2001, 117128; 120. A. Muhar: Fragen zur Identität einer Landschaft, 120. R. P. Sieferle: Rückblick auf die Natur, München 1997, 27. „Wenn alle Landschaftstypen (...) als ‚Kulturlandschaften‘ gelten, verliert dieser Begriff jede konkretere Bedeutung. (...) Um dieses Einerlei zu vermeiden, scheint es sinnvoll, auch nach dem Auftreten des Menschen unter bestimmten Umständen noch von Naturlandschaften zu reden, und zwar dann, wenn sich seine Wirkung auf den Aufbau der Landschaft nicht prinzipiell von der anderer Spezies unterscheidet“ (R. P. Sieferle: Rückblick auf die Natur, 28). Natur, die je nach Zwecksetzung (wissenschaftlicher, ästhetischer oder technischer Art) unterschiedlich ausfallen und gewichtet werden kann. Blendet man den naiv realistischen Anspruch auf „Objektivität“ aus und verortet diese Unterscheidung in einem ästhetischen Vollzugsrahmen, dann kann Landschaft, ob Natur- oder Kulturlandschaft, als Symbol für menschliche Wahrnehmungen und kulturelle Aktivitäten verstanden werden. Zwar unterscheidet sich bearbeitete, also kultivierte Natur von unbearbeiteter, von menschlichen Eingriffen unveränderter Natur. Aber die Unterscheidung zwischen Natur- und Kulturlandschaft kann nur durch die Angabe eines zweckorientierten menschlichen Vollzugs getroffen werden, der darüber entscheidet, was „objektiv“ vorliegt oder nicht. Auch der Begriff „Naturlandschaft“ ist durch bestimmte Zwecke und damit verknüpfte Deutungen motiviert. Es ist eine spezifische Deutung, die an Urwälder, Berge, Gletscher oder Wüsten den Begriff der Unversehrtheit oder Unberührtheit heranträgt. Diese Naturphänomene sind zwar nicht real, d.h. agrikulturell oder gestalterisch bearbeitet. Aber menschliche Wahrnehmungsmuster, Deutungsvorleistungen und Erwartungshaltungen idealisieren das Phänomen. Damit verdankt sich die Wahrnehmung der Natur als Natur bzw. der Natur als Naturlandschaft einer Deutung. Nimmt man diesen Vorschlag an, wäre Kulturlandschaft als Symbol für die aktuelle Auseinandersetzung des Menschen mit Natur aufzufassen. Naturlandschaft wäre zum einen Symbol für Sehnsüchte nach Zonen, die vom Kulturzwang noch unberührt blieben, insofern mit Hegel ein „sich sehnendes Gemüt“ eher ein „symbolisches Verhältnis“860 des Menschen zur Natur anzeigt. Zum anderen wäre sie als mahnendes Symbol für das „Substratum“ von Kultur anzusehen, um dessen Erhalt man sich gegenwärtig politisch bemüht. Um zu verstehen, warum und wie Hegel Kulturlandschaft zum Darstellungs-Gegenstand der Kunst erheben kann, ist ein kurzer Blick seiner Deutung der niederländischen städtischen Gesellschaft und Kultur vonnöten. Die Welt der Holländer war eine von ihnen selbst erarbeitete und der Natur abgetrotzte Welt, ihre Freiheit hat sich die bürgerliche Gesellschaft dieses Volkes im Kampf gegen fremde Mächte erworben. Hegel hebt diesen 860 Hotho 1823, 189. 181 Befreiungskampf gegen Fremdherrschaft und gegen die Unbilden der Natur in den Ästhetikvorlesungen eigens heraus: „Die niederländischen Städte hatten sich freigemacht von weltlicher und geistlicher [Herrschaft]. Ihre politische Freiheit, ihren Unterhalt, alles haben sie durch sich selbst, durch Bürgertugend und protestantische Frömmigkeit [erworben]. Hier ist das Prinzip, in der gemeinen Wirklichkeit sich befriedigt zu wissen“.861 An anderer Stelle heißt es: „Das Ihrige ist der Boden, auf dem sie stehen, den haben sie sich selber gemacht und erhalten ihn noch gegen das Anstürmen des Meeres; sie haben sich von spanischer Herrschaft befreit. Die Bürger und Bauern haben sich politische und religiöse Freiheit erworben und erhalten, alles durch ihre Tätigkeit und Unternehmungsgeist im Kleinen und Großen, die Wohlstand zur Folge hat[ten].“862 Aus diesen Zitaten wird ersichtlich, daß Hegel auch bei den Niederländern als den „Ort der Freiheit“863 die Stadt ansieht. Die Niederländer haben ihre Freiheit zum einen in der Unterwerfung der Natur durch Arbeit gefunden, zum anderen im politischen und religiösen Kampf gegen geistliche und weltliche Bevormundung von Kirche und Fremdherrschaft. Ihre Welt ist ihre Welt, d.h. eine von ihnen erkämpfte freie bürgerliche Gesellschaft. Ihre Landschaften sind ihre Landschaften, d.h. von ihnen der Natur, insbesondere der Nordsee abgerungenes Land864, auf dem sie leben, arbeiten und Landwirtschaft betreiben können. Ihre Welt und Umwelt sind in diesem Sinne „objektiver Geist“. Wie schon im Zusammenhang der Diskussion um das Verhältnis von Natur und Geist bei Hegel gezeigt werden konnte, daß der „Geist“ die „Natur“ nicht - wie die Kritiker behaupten - „usurpiert“, so gilt auch im Hinblick auf die Frage nach dem Verhältnis von Natur (hier: Kulturlandschaft) und Naturaneignung (hier: Bearbeitung der Landschaft), daß „Natur“ nach Hegel nicht schrankenlos der Willkür menschlicher Eingriffe ausgeliefert sein darf. So wird in der Interpretation darauf hingewiesen, daß die Tatsache, daß der 861 862 863 864 182 Hotho 1823, 200. Libelt 1828/29, Ms. 59. J. Ritter: Landschaft, 159. Die „schwachen Holländer“ haben nicht nur gegen die mächtigen Spanier „sich ihre Freiheit erkämpft. Ebenso haben sie vom Meer sich die Existenz ihres Landes errungen“ (Kehler 1826, 153). Mensch „als ein Subjektives“ sich „zu einer vorgefundenen Natur“865 verhalten und diese als „das Äußerliche an ihr selbst“, als „Sache“866 bearbeiten, sich aneignen und in Besitz nehmen kann, nicht bedeutet, „daß es nicht auch von Hegel her Restriktionen der Naturaneignung geben kann“867. So ist Natur zwar „zum einen legitimes Objekt privater Aneignung, sie ist aber zum anderen auch unverfügbarer Hintergrund dieser Aneignung“868. Diese Unverfügbarkeit besteht im Kontext der Diskussion über den Status von Landschaft beispielsweise darin - das hat Fritz Reusswig gezeigt - daß „elementarische Gegenstände“ im Sinne der Rechtsphilosophie „Umweltmedien“ sind, zu denen Wasser, Boden und Luft zählen. Diese Umweltmedien umschreiben „physische Aneignungsbedingungen und grenzen“.869 Umwelt in diesem Sinne ist „kein stofflich-dingliches Ensemble, sondern ein stofflich-energetisches Prozeßgefüge, das jeder dinglichen Aneignung und Transformation immer vorausliegt“870. Vor einer überzogenen Instrumentalisierung der Naturkräfte und daraus sich möglicherweise 871 Menschen ergebenden negativen Konsequenzen für den hat Hegel selbst in der Einleitung zu seinen Vorlesungen über die Philosophie der Natur872 indirekt gewarnt. Er unterscheidet dort zwischen einem theoretischen und einem praktischen Verhältnis zur Natur.873 Die am Ende dieser Vorlesungen angestrebte Versöhnung von Mensch und Natur besteht darin, „daß, indem [man] die Natur der Natur kennt, dies Versöhnung des Geistes mit der Natur ist“874. Diese Versöhnung kann weder einseitig in einer Unterwerfung der Natur unter die Herrschaftsansprüche des Geistes 865 866 867 868 869 870 871 872 873 874 Rph, § 39. Rph, § 42. F. Reusswig: Natur und Geist. Grundlinien einer ökologischen Sittlichkeit nach Hegel, Frankfurt am Main/New York 1993, 162. F. Reusswig: Natur und Geist, 163. F. Reusswig: Natur und Geist, 163. - In Hegels Rechtsphilosophie heißt es: „Die Benutzung elementarischer Gegenstände ist, ihrer Natur nach, nicht fähig, zu Privatbesitz partikularisiert zu werden“ (Rph, § 46). F. Reusswig: Natur und Geist, 163. An anderer Stelle habe ich diese Konsequenzen zum Zwecke einer Kontrastierung mit Hartmut Böhmes polemischer Formel von einem „Triumph des im Anderen [der Natur] sich vollendenden Subjekts“ (H. Böhme: Natürlich/Natur, in: Ästhetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch in sieben Bänden, hg. von Karlheinz Barck, Bd. IV, Stuttgart 2002, 432-498; 493) als „Triumph der Natur über Kultur“ bezeichnet (K. Berr: Landschaft – Die Rehabilitierung des verschmähten Naturschönen in der Kunst, in: Kulturpolitik und Kunstgeschichte. Perspektiven der Hegelschen Ästhetik. Sonderheft des Jahrgangs 2005 der Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft. Hrsg. von U. Franke und A. Gethmann-Siefert, Hamburg 2005, 119-142; 136). V 16, 3ff.; Enz 1830, § 245. Vgl. Kap. 2.3. V 16, 189. 183 noch in einer Abdankung des Geistes zugunsten der Natur bestehen. Es geht um eine Gratwanderung zwischen Respektierung der Natur und Respektierung des Menschen (Geistes), um eine philosophische Einstellung zur Natur, die die jeweils defizitären Einstellungen des praktischen und theoretischen Naturverhältnisses zu korrigieren hat. 5.2.1.3 Niederländische Landschaftsmalerei als „Symbol der Sittlichkeit“ In den Berliner Ästhetikvorlesungen hat Hegel im Abschnitt über die „Wirklichkeit des Ideals“ die Vorstellung der „modernen Zeit“ zurückgewiesen, die Innerlichkeit des Subjekts sei „das Letzte“, vielmehr gehöre zum Subjekt „eine umschließende Welt“875. Erneut kommt an dieser Stelle die bekannte Kritik an einer weltlosen Subjektivität zum Tragen, „wo die Sehnsucht des Gemüts, die Innerlichkeit, das Letzte ist, und die selbst sich hoch Wissenden nur nach dem Himmel sehen und alles Erdenwesen verschmähen, sich darüber erheben“876. Dem setzt Hegel entgegen, der Mensch müsse „zu Hause in der Welt sein, frei in ihr haushalten, heimisch sich finden“877. Dann auch sei es möglich, „daß zwischen der Subjektivität und ihrer Welt, von der sie umgeben wird, eine wesentliche 878 Zusammenstimmung vorwalte“ . Zudem sei es „vernünftig, daß der Mensch sich erarbeitet, was er für das physische Bedürfnis nötig hat“. Aber die Arbeit darf nicht das Hauptinteresse ausmachen, sondern der Mensch „muß mit Zufriedenheit arbeiten, Wohlhabenheit zeigen“879. Die niederländischen Bürger des 17. Jahrhunderts haben nach Hegels Deutung dieses „Größte sich errungen; sich das Gefühl der Behaglichkeit, das durch Tapferkeit, frommen rechtschaffenen Sinn erworben wurde, in diesem Sinne haben sie das Gefallen und die Liebe gehabt zu den mittelbarsten Gegenständen ihrer Umgebung, ihres Gewerbes, ihrer Familie“880. Dementsprechend zeigen die Genre-, aber auch die Landschaftsbilder dieser Zeit zwar „keinen großen Sinn, aber es zeigt sich in ihnen der Sinn der 875 876 877 878 879 880 184 Hotho 1823, 105. Hotho 1823, 105. Hotho 1823, 105. Hotho 1823, 106. Hotho 1823, 110. Aachen 1826, Ms. 152. Behaglichkeit, Bequemlichkeit“881. „Im Genusse dieser Behaglichkeit“ sei es, daß die Stadtbürger und Bauern „diese Liebe haben zu den äußerlichsten, unmittelbarsten Gegenständen“.882 Hegel spricht von der „Prosa des Lebens“ mit ihren alltäglichen Dingen, die nun auch Gegenstand der Kunst sein können. Insbesondere die „niederländische Schule“ habe nun, so Hegel, „die Gegenwärtigkeit“ dargestellt und sei „darin ausgezeichnet“883. Es ist nun möglich, „das tägliche Leben in seiner Täglichkeit“884, also bis dahin belanglose Gegenstände und Landschaften als schön darzustellen. So haben die niederländischen Künstler den „Stoff“ für diese Bilder „aus ihrem Leben“ genommen, sie haben „das Ihrige zum Zweck ihrer Darstellung gemacht, ihre Freude davon gehabt“885. Bei dieser Freude handelt sich um einen „Frohsinn, der aus dem Selbstgefühl, es sich verschafft zu haben, hervorgeht“.886 Mit diesem „Frohsinn“ ist ein reflektierter Genuß angesprochen. Das heißt, die Niederländer betrachten ihre Welt und ihre Landschaften nicht als ein Fremdes, sondern als das „Ihrige“. Das Bewußtsein dieser errungenen Selbständigkeit gegenüber einer ungebändigten menschenfeindlichen Natur kommt entsprechend in ihren Landschaftsbildern zur Anschauung. Wie bei den Genrebildern stammt auch der „Stoff“ dieser Bilder „aus ihrem Leben“887, diese Bilder vermitteln die „substantielle Weise des Bewußtseins eines Volkes“888. Diese Kunst greift Landschaft nicht als bloße Natur, sondern als bereits kulturell bearbeitete und gestaltete Natur auf, um sie entsprechend darzustellen; darin sieht Hegel die „Rechtfertigung, diese Gegenstände für würdig der Kunstbehandlung zu halten“889. Neben Genre und Stilleben entspringt für Hegel auch aus der Niederländischen Landschaftsmalerei des 17. Jahrhunderts eine Weltanschauung; die im Bild dargestellte Landschaft ist Symbol eines Weltverhältnisses, eines spezifischen Geist-Natur- Verhältnisses. Die niederländische Landschaftsmalerei ist „Symbol der Sittlichkeit“. 881 882 883 884 885 886 887 888 889 Kehler 1826, 152. Kehler 1826, 153. Hotho 1823, 200. Aachen 1826, Ms. 151. Libelt 1828/29, Ms. 59. Libelt 1828/29, Ms. 59. Libelt 1828/29, Ms. 59. Hotho 1823, 203. Kehler 1826, Ms. 285. 185 Formal ähnelt die Funktion der Malerei in der Welt des niederländischen Bürgertums der Rolle der Skulptur in der Antike. Wie für die Antike gilt aber auch hier, daß sich diese umfassende Rolle der Kunst auf eine vergangene, kurze historische und politische Phase der Geschichte eines besonderen Volkes beschränkt. Hegel spricht daher einerseits von Kunstwerken, obwohl der Inhalt dieser Bilder kein göttlicher, sondern ein weltlicher Inhalt ist. Die geschichtliche Bedeutung des Niederländischen (Landschafts-)Bildes beruht darauf, daß im Werk ein sittlicher Weltzustand, das Bewußtsein der bürgerlichen Welt dieser Epoche seinen Ausdruck findet. Die „Partialität“ der Bedeutung liegt darin, daß - so Hegel - für uns diese Bedeutung nicht unmittelbar ersichtlich und erfahrbar ist, sondern nur vermittelt durch die Reflexion der Philosophie der Kunst. 5.2.1.4 Landschaftsmalerei im Kontext: Carus, Hotho, von Rumohr Ein stimmungs- bzw. empfindungsinduzierter Naturvollzug kann dazu führen - dies ließ sich in den vorangehenden Analysen nachweisen -, daß ein Naturbetrachter nicht über die Konzentration auf subjektive Innerlichkeit hinausgelangt. Eine weitere Folge empfindsamer Naturvollzüge besteht darin - dies zeigte der kurze Hinweis auf Hotho und der daran anschließende Exkurs über „Atmosphären“ -, subjektive Stimmungen als Stimmungen der Natur selbst zu rekonstruieren. Ein damit verbundenes Folgeproblem besteht darin, im Verbund mit einer objektivierenden Naturauffassung unterderhand wieder eine Nachahmungstheorie zu vertreten, und zwar mit der impliziten oder expliziten Forderung, scheinbar objektive „Naturstimmungen“ im Kunstwerk abzubilden. Positionen dieser Art werden im Umkreis Hegels oder im Anschluß an ihn explizit vertreten. Als Beispiel für eine ‚naiv-realistische’ Naturauffassung kann C.G. Carus, für eine ‚unterschwellig platonistische’ H.G. Hotho und für eine ‚sentimental-objektivistische’ Naturauffassung kann C.F. von Rumohr genannt werden. Die genannten Kunsthistoriker waren in den 1820er oder 1830er Jahren maßgeblich an den Diskussionen um den Status der Landschaftsmalerei beteiligt. Im folgenden geht es weniger um den Status der Landschaftsmalerei im Gefüge der akademischen Gattungshierarchie, sondern um die Bedeutung des Naturbezuges (Carus, von 186 Rumohr) und um die Rolle und das Gewicht von sogenannten „Gemütsstimmungen“ und deren Beziehung zu „Naturstimmungen“ (Carus, Hotho). In der letzten Ästhetikvorlesung von 1828/29 geht Hegel direkt und kritisch auf den ersten Band der Italienischen Forschungen von Rumohrs ein. Auf Carus geht er zwar nicht selbst ein, aber Hegels Schüler Hotho wurde durch die Lektüre von Carus’ Briefen über Landschaftsmalerei890 angeregt, das Kapitel über das Naturschöne in der Druckfassung der Ästhetik nicht nur systematisch aufzuwerten, sondern auch inhaltlich zu erweitern. Carus sieht einen spezifischen Zusammenhang zwischen Natur- und Gemütsstimmungen, den Hegel zwar abgelehnt hat, Hotho aber übernimmt und in die Druckfassung der Ästhetik integriert. Carus war in erster Linie Arzt und Naturwissenschaftler und versuchte sich erst in zweiter Linie als „Dilettant“ auf dem Gebiet der Landschaftsmalerei.891 Stets war die Abfassung der einzelnen Briefe begleitet von seiner Tätigkeit als Arzt und Naturforscher, von naturwissenschaftlichen Studien und Publikationen. Hieraus erklärt sich letztlich auch die enge Verquickung von Wissenschaft und Kunst, die in den Briefen den Fokus der Überlegungen bildet. Künstlerisch-ästhetisch orientierte sich Carus zuerst an den mit ihm befreundeten Caspar David Friedrich, weshalb er zuweilen einseitig als Romantiker bezeichnet wurde. Später bekannte er sich zu Goethe und dessen Natur- und Kunstbegriff und damit zum „Ideal einer wissenschaftlich fundierten Kunst“892 bzw. einer „Wissenschaft in poetischer Verklärung“893. Stimmungen, die sich in der Landschaft zeigen, sind für Carus „Stadien des Naturlebens“. Die Formen des Naturlebens sind veränderlich und lassen 890 891 892 893 Carl Gustav Carus‘ (1789-1869) Neun Briefe über Landschaftsmalerei wurden erstmalig 1831 mit Beilagen veröffentlicht, nachdem er bereits 1815 mit der Niederschrift begonnen hatte. 1835 erschien eine zweite Auflage, die um einen zehnten Brief und fünf weitere Beilagen erweitert war. Zitiert wird nach der Ausgabe von: Carl Gustav Carus. Briefe über Landschaftsmalerei. Hrsg. und mit einem Nachwort von Gertrud Heider. Leipzig und Weimar 1982 (fortan zitiert als BLM). Einige der im folgenden genannten Aspekte werden ausführlicher dargestellt in K. Berr: Carus und Hegel über Landschaftsmalerei. Landschaftsästhetik nach dem „Ende“ der Landschaftsmalerei, in: Zwischen Philosophie und Kunstgeschichte, hrsg. von A. Gethmann-Siefert und B. CollenbergPlotnikov, München 2008, 243-256. Jutta Müller-Tamm: Kunst als Gipfel der Wissenschaft. Ästhetische und wissenschaftliche Weltaneignung bei Carl Gustav Carus (= Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kunstgeschichte. Hrsg. von Ernst Osterkamp und Werner Röcke. Bd. 1), Berlin/New York 1995, 168. Carl Gustav Carus: Lebenserinnerungen und Denkwürdigkeiten. Teil 1-4. Leipzig. Nach der zweibändigen Originalausgabe von 1865/66 neu hrsg. von Elmar Jansen. Weimar 1966, Teil 1, 197. 187 sich auf „vier Stadien“ reduzieren: 1. „Entwicklung“, 2. „vollendete Darstellung“, 3. „Verwelkung“, 4. „völlige Zerstörung“894. Die Vielfalt möglicher Zustände entsteht durch Verbindung der Ursprungsstadien. In Korrespondenz zu diesen Stadien des Naturlebens zeigen sich auch in der Innerlichkeit des Menschen „Erstehen und Vergehen einzelner Äußerungen des Gemütslebens“. Auch hier gibt es „vier [ursprüngliche] Stadien“ mit vielen Kombinationsmöglichkeiten895. Carus geht von einer absoluten Entsprechung jener Naturstimmungen und dieser Gemütsstimmungen aus. Sein Ansatz läuft konsequent auf eine Verschmelzung von Subjekt und Objekt, von Ich und Welt in einer „unio mystica“ hinaus. Er glaubt, daß sich „in Natur und Gemüt die verwandten Regungen (...) hervorrufen“896 und nennt konkrete Beispiele, wie einzelne landschaftliche Gegenstände auf das Gemüt zu wirken vermögen: Ein abgestorbener Baum beispielsweise löst eine „schwermütige Stimmung“ aus. Nackter Fels läßt uns „erhärtet“ fühlen. Verwitternder Fels mildert und erwärmt unser Gefühl. Sich verflüchtigende Wolken löschen die „innere Trübheit“ aus. Rauschendes Wasser „erregt und belebt“ das Gefühl. Im Gegensatz zu Hegel, der, wie gezeigt, menschliche Stimmungen aus einem unmittelbaren Naturbezug als Symbole menschlicher Empfindungen, diese als Ergebnis einer mangelnden Trennung von Vollzug („Subjekt“) und Vollzogenem („Objekt“) rekonstruiert, entwickelt Carus den Zusammenhang von Naturvollzug und Stimmungen letztlich aus einer religiös fundierten, damit ‚realistisch’ orientierten Naturauffassung und entsprechend ‚naiven’ Naturbetrachtung heraus. Carus greift in diesem Zusammenhang auf den Topos von der „Sprache der Natur“ zurück und geht davon aus, daß allererst die Kunst „eigentliche Naturerkenntnis, [d.h.] die Naturwissenschaft“897 vorbereitet und fördert, und zwar deswegen, weil die Kunst die Sprache der Natur zu entschlüsseln hilft. Der Künstler überhaupt, insbesondere der Landschaftsmaler muß die Sprache der Natur lernen, muß in „dem Sinne der Natur zu empfinden vermögen“ und 894 895 896 897 188 BLM, 30. Carus nennt beispielsweise das Gefühl des Aufstrebens und der Ermutigung; innere Klarheit und Ruhe; Hinwelken und Schwermut; Apathie (BLM, 31). BLM, 31. BLM, 39. schließlich „in dieser Sprache“898 darstellen bzw. malen. „Die „innere Naturwahrheit“ darf nicht anderen Zwecken, vor allem nicht einer „poetischen Idee“899 oder subjektiven Gefühlen, geopfert werden. Letztlich opfert Carus, in vermeintlicher ‚Rettung der Phänomene’ vor der „Idee“, den ästhetischen Naturvollzug und dessen Idealisierungsleistung zugunsten des Versuchs einer naiven Naturabschilderung. Er übersieht dabei gerade den Voraussetzungsreichtum noch eines vermeintlich unmittelbaren Naturbezuges, verschenkt die Möglichkeit, etwa in Landschaften die menschliche Kulturtätigkeit, denen Landschaften ihre Existenz und schöne Gestalt verdanken, darzustellen. Letztlich können dann nur - in Analogie zur naturgetreuen Darstellung von Personen im Portrait - gleichsam ‚Natur- oder Landschaftsportraits’ entstehen. Von Rumohr vertritt eine ähnliche Ansicht, die Hegel, wie wir unten sehen werden, ausdrücklich kritisiert. In diesem Sinne erscheint Carus „die Kunst als Gipfel der Wissenschaft“900. Die aus dem einen Wissenschaftlichkeitsanspruch und Kunst kombinierenden Zugriff entspringende Erkenntnis soll den Vorgang eines naiven, unmittelbaren, unbewußten Einblicks in die Geheimnisse der Natur und damit der göttlichen Wahrheit ersetzen. So fordert Carus eine „Richtung auf das Urwahre der Natur selbst, alles Zurückstellen mitgebrachter Ansichten, vielmehr das reine, unschuldige Wiedergeben der Natur, ganz in dem Geiste, wie sie als göttliche Offenbarung vor uns liegt“.901 Die „ältesten naiven Landschaftsmaler“902 konnten nach Carus‘ Ansicht noch 898 899 900 901 902 BLM, 50. BLM, 51. BLM, 62. BLM, 55. Im fünften Brief konstruiert Carus eine Geschichte und Deutung der Landschaftsmalerei. Ausgangspunkt für diese Konstruktion ist Carus‘ Beobachtung, daß „erst im Beginn des siebenzehnten Jahrhunderts mit einem Male“ (BLM, 47) die jetzt erst selbständige Landschaftsmalerei hervortritt. Als „Stammväter echter Landschaftskunst“ (BLM, 53) nennt Carus Claude Lorrain und Ruysdael. Sie vermögen es seiner Meinung nach noch, „in der Sprache der Natur zu uns zu reden und als klare, reine Spiegel die urschönen Bildungen zurückzustrahlen“ (ebd.). Sie können noch die Natur ohne „mitgebrachte Ansichten“, d.h. ohne präformierende Vorbilder „rein“ und „unschuldig“ auffassen und wiedergeben. Carus‘ Dekonstruktion führt nicht nur zu einer Auszeichnung eines „naiven“, unmittelbaren Zugangs zu Naturwahrheiten, sondern auch zu einer Auszeichnung und Hochschätzung des „Ursprünglichen“ im Sinne einer ersten Entfaltung der Gattung, die in der Kunst des 17. Jahrhunderts verortet wird. Die höchste Entfaltung einer jeden Kunst sei nach ihrer Blütezeit aber auch schon unwiderruflich dahin, so wie auch ein Erwachsener niemals „die ganzen Gesinnungen, Neigungen und sonstigen Eigentümlichkeiten des Kindes wieder in sich aufnehmen wird“ (BLM, 59). Letztlich führt der fünfte Brief in eine Aporie. Die Auszeichnung einer unwiederholbaren Vergangenheit läßt keine angemessenen Möglichkeiten für die Gegenwart und Zukunft erhoffen. Im sechsten Brief kommt Carus nochmals auf seine Überlegungen darüber zurück, „wie ein landschaftliches, bedeutendes Kunstwerk in jetziger und künftiger Zeit, trotz der Menge von Vorbildern (...) entstehen könnte“ (BLM, 60). Dies scheint nur 189 unbewußt Bedeutungsvolles darstellen, weil sie genau die Natur kopierten. Genau so könne nunmehr „dem Maler, dem die Erkenntnis des Naturlebens aufgegangen wäre, der reinste und erhabenste Stoff von allen Seiten zufließen“903. Für Hegel sind Stimmungen ein Begleitphänomen der Symbolisation äußerer Empfindungen, die sich auf die Innerlichkeit eines empfindenden Subjekts beziehen, das noch nicht ausdrücklich zwischen sich und der Natur/Welt unterschieden hat. Für Carus sind Stimmungen „Naturwahrheiten“, die der Künstler oder Betrachter von Landschaft in Natur aufzufinden hat. Bei Carus hat die Natur also selbst Stimmungen, denen dann Gemütsstimmungen entsprechen können. Empfindungen als Symbole zu nehmen, die mit Stimmungen verknüpft sind, lehnt Carus im Gegensatz zu Hegel ab. Eine Kunst, die so vorgeht, nennt er „sentimentale“ Kunst, „in welcher die Natur als Symbol, als Hieroglyphe nur geachtet wird“904. Für Hegel zerbricht in der romantischen Kunstform die klassische Einheit von Sinn und Sinnlichkeit. Das Geistige als Geistiges wird frei vom Sinnlichen und auf höherer Stufe zur „Bedeutung des Sinnlichen“, die „Gestalt wird so wieder symbolisch“.905 Im Mai 1831 erscheint in den Jahrbüchern für wissenschaftliche Kritik eine Rezension der Briefe über Landschaftsmalerei von Heinrich Gustav Hotho. Diese Rezension ist im Hinblick auf die Verbindung zwischen Hothos Carus-Lektüre und dessen Kapitel über das Naturschöne in der Ästhetik sehr aufschlußreich. „In den wesentlichen Punkten“ gehört Hotho nach eigenem Bekenntnis „mit Vergnügen zu den Anerkennenden“906. So lobt er an Carus‘ Konzept, „daß die Naturgegenstände in der Landschaft durchaus als Selbstzweck erscheinen“, nicht aber nur „in den Dienst subjectiver 903 904 905 906 190 möglich zu sein, wenn die bislang konzipierte Geschichte der Landschaftsmalerei in eine neue und weiterführende Perspektive gerückt, also letztlich neu konstruiert wird. Diese neue Perspektive verdankt sich einer Lektüre von Goethes naturwissenschaftlichen „Betrachtungen über die Wolkenformen“ und einem angefügten Gedicht (Howards Ehrengedächtnis) und besteht in einem konsequenten naturwissenschaftlichen Zugang zur Natur. - Vgl. hierzu auch Werner Busch: Landschaftsmalerei, Berlin 1997 (Geschichte der klassischen Bildgattungen in Quellentexten und Kommentaren. 3); Jutta Müller-Tamm: Kunst als Gipfel der Wissenschaft. BLM, 63. BLM, 53. Kehler 1826, 29. H.G. Hotho: Neun Briefe über die Landschaftsmalerei, geschrieben in den Jahren 1815-1824. Zuvor ein Brief von Goethe als Einleitung. Zum Beginn des Jahres 1831 herausgegeben von C.G. Carus (Rezension). In: Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik. 93-94 (Mai 1831) (fortan zitiert als: Rez), Sp. 737-748. Gemüthsstimmungen“907 gestellt werden sollen. Insofern erkennt und anerkennt Hotho Carus als einen Theoretiker, der nicht einseitig in die empfindsamen Fallstricke romantischer Kunsttheoretiker gerät. Vielmehr entsprächen den Naturzuständen auf harmonische Weise bestimmte Gemütszustände. Diese Harmonie habe das Kunstwerk zu gestalten und „in Form der Naturgegenstände dies Entsprechen aus[zu]prägen“. Genau hiergegen hat Hotho „nichts Wesentliches einzuwenden“908. Was Hotho allerdings kritisiert, ist weniger die Entsprechung zwischen den Stimmungen der Natur und denen des Gemüts überhaupt als vielmehr die Unbestimmtheit und Formalität jener von Carus abstrahierten vier „Stadien des Naturlebens“ und den entsprechenden vier „Stadien des „Gemüthslebens“909. Zwar sind seiner Ansicht nach diese „allgemeinen Formen“ durchaus „die Grundformen, (...) aber in diese Formen läßt sich für Landschaftsmalerei noch eine Fülle bestimmteren Inhalts hineinverlegen“910. Er verweist hierzu exemplarisch auf die von ihm hochgeschätzte Holländische Landschaftsmalerei und betont, die „innere Bedeutung“ dieser Bilder könne nur demjenigen zuteil werden, der „mit Liebe und Theilnahme unter dem Himmel geathmet, den sie wiederspiegeln“911 und erwähnt zu diesem Zweck einige Beispiele aus der beobachtbaren Landschaft. Interessanterweise werden diese Beispiele (Bäume, Wiesen und Kanäle, Mühlen und Kirchturmspitzen) zwar in den Kontext einer von Menschen gemachten Kulturlandschaft gestellt, aber das Spezifikum von Natur als Kulturlandschaft, ihre Vermittlung des geschichtlichen Standes des Selbstbewußtseins eines Volkes – wie dies bei Hegel in dessen Vorlesungen der Fall ist – wird nicht konsequent ausgesprochen. Auch kritisiert Hotho heftig Carus‘ Höherstellung der Naturschönheit als göttlicher gegenüber der Kunstschönheit als menschlicher912, wenn er sagt: „So weit das Licht des Bewußtseins das natürliche Licht überstrahlt, und der Mensch das Thier, so weit erhebt sich die schöpferische Kunst und ihre geistgeborene Schönheit 907 908 909 910 911 912 Rez, 740. Rez, 740. BLM 30f. Rez, 741. Rez, 741. BLM 38. 191 über die erschaffene bewußtlos gestaltende Schönheit der Natur“913. An anderer Stelle hingegen stimmt Hotho dem „Referenten“ in der Einschätzung der Bedeutung von Naturbeobachtungen und Naturstudien für die Naturdarstellung „um so mehr“ bei, „je mehr gerade in der Landschaft die Bedeutung der Gegenstände nur das innere Wesen der bestimmten, natürlichen Erscheinungen, ihre Verschiedenheit, ihr Bezug und ihre Einheit sein kann; (...) und wie dieselbe göttliche Vernunft die natürliche und geistige Welt durchzieht, nun auch für Sinn und Gemüth einen Widerklang von den Höhen und aus den Tiefen der Natur entgegentönen läßt“914. So wie sich z.B. in der Historienmalerei und im Portrait „der Geist in gemäßen, leiblichen, natürlichen Formen“ ausspreche, so „in der Landschaft die Natur und ihr eigenes Leben in ihren eigenen natürlichen Gestalten“915. Hothos Rezension wirft ein bezeichnendes Licht auf die Systematik der Ästhetik und auf die dort vorgebrachten Äußerungen über Landschaftsmalerei. Was die Systematik anbelangt, so bestärkt die Hegel-Forschung die Vermutung, daß Hotho von Carus‘ „Briefen über Landschaftsmalerei“ angeregt wurde, die Thematik des Naturschönen umfassender als in Hegels eigenen Vorlesungen in die Ästhetik zu integrieren916. An einer von Hegels jüngstem Sohn, Immanuel Hegel, mitgeschriebenen Ästhetikvorlesung917 zeigt sich deutlich der Unterschied zu Hegels Vorlesungen, aber zugleich eine größere Nähe zur Druckfassung der Ästhetik. In dieser Vorlesung konstruiert Hotho das Naturschöne als „die Antithese zur (platonischen) Idee des Schönen, nämlich als die Idee des Schönen in ihrer Objektivität“918. Die Kunstschönheit synthetisiert dann die Schönheit an sich (die Idee der Schönheit) und die Naturschönheit (Idee als Objektivität). Das erinnert deutlich an die Systematik, die zwei Jahre später in der Ästhetik vorgelegt wird. 913 914 915 916 917 918 192 Rez, 742. Rez, 747. Rez, 747. A. Gethmann-Siefert: Die Funktion der Kunst in der Geschichte, 193, Anmerkung 30. Heinrich Gustav Hotho: Vorlesungen über Ästhetik oder Philosophie des Schönen und der Kunst (1833). Nachgeschrieben von Immanuel Hegel. Hg. und eingeleitet von B. Collenberg-Plotnikov (Spekulation und Erfahrung. Abteilung I: Texte. Bd. 8), Stuttgart-Bad Cannstatt 2004. Annemarie Gethmann-Siefert: Hegels Ästhetik. Stationen der Transformation der Berliner Vorlesungen zur Ästhetik. In: Zeitschrift für philosophische Forschung, Band 56 (2002), 2, 132150, 149. In der Ästhetik lassen sich auch in den Bemerkungen über Landschaftsmalerei Unterschiede feststellen, auch wenn diese erst bei einem genaueren Hinsehen auffällig werden. Wie schon in der Carusrezension, so sagt Hotho auch hier, daß die Natur „und, näher in bezug auf Malerei, die landschaftliche Natur“, „für sich genommen, [das] ebenso Innigkeitslose als auch Ungöttliche“919 ist. Aber in der Fortführung der weiteren Gedanken ergibt sich eine ähnliche Inkonsequenz wie in der Carusrezension. Naturelemente (z.B. ein Hügel) sind Hotho zufolge schon deshalb für sich von Interesse, „insofern es die freie Lebendigkeit der Natur ist, die in ihnen erscheint und ein Zusammenstimmen mit dem Subjekt als selbst lebendigem bewirkt“. Außerdem „bringen die besonderen Situationen des Objektiven Stimmungen in das Gemüt herein, welche den Stimmungen der Natur entsprechen.“920 Bei Hegel heißt es an der entsprechenden Stelle in den Ästhetikvorlesungen lediglich, daß die Seele bei natürlichen Gegenständen auch „innig sein kann, wenn sie nach irgendeinem Bedürfnis erfaßt“, d.h. „wenn sie empfunden werden“.921 Hotho faßt dadurch unterderhand die Natur doch als etwas auf, das „Stimmungen“ hat, das eine Zusammenstimmung von Natur- und Gemütsstimmungen „bewirkt“. Er geht zudem davon aus, daß die „verschiedenen Zustände der landschaftlichen Natur (...) bestimmten Gemütszuständen gemäß“ sind.922 Hegel hingegen spricht nicht von „Zuständen“ der Landschaft, sondern von einem „Charakter“923, der den Zuständen der Seele entspricht. Bei Hotho soll die Seele durch dargestellte Zustände der Natur zu einem „sympathetischen Tönen“ bewegt werden. Die Landschaft wird zum Gegenstand der Malerei nicht deshalb, um natürliche Sujets und Naturobjekte bloß nachzuahmen, sondern um „die Lebendigkeit der Natur (...) und die charakteristische Sympathie besonderer Zustände dieser Lebendigkeit mit bestimmten Seelenstimmungen in den dargestellten landschaftlichen Gegenden hervorzuheben und lebhafter herauszukehren“.924 919 920 921 922 923 924 Ä III, 60. Ä III, 60. Hotho 1823, 255. Ä III, 60. Hotho 1823, 255. Ä III, 61. 193 Insofern spricht Hotho sich zwar gegen eine schlichte Nachahmungstheorie aus, doch der Zielpunkt dieser Argumentation ist eher die Natur, wohingegen die Kunst (als Darstellung) bloßes Medium zu sein scheint. Bei Hegel hingegen ist die Kunst der Zielpunkt, Natur bestenfalls und auch nur der Ausgangspunkt. Hegel faßt den gleichen Gedanken denn auch weitaus präziser, wenn er sagt, die Landschaftsmalerei erfasse ihre Gebilde mit Geist und Seele „nach dem Zweck, eine Stimmung auszudrücken. (...) Nur die Stimmung des Ganzen ist die Hauptsache“. Die Darstellung der natürlichen Details (Blätterzeichnung etc.) hat sich dieser Darstellung einer besonderen Stimmung unterzuordnen. Damit zielt Hegel im Gegensatz zu Hotho – darauf hat B. Collenberg-Plotnikov hingewiesen – nicht auf eine „Nachahmung der idealisierten Natur“925. Vielmehr entwickelt Hegel das Naturschöne bzw. die Konzeption der Natur als Landschaft „aus der Bestimmung der geschichtlichen Bedeutung des Kunstschönen als eine Version des Ideals (der Darstellung der Natur durch die Kunst)“926, an dieser Stelle konkreter als die künstlerische Darstellung einer menschlichen Stimmung im Spiegel der Natur. An einer anderen Stelle ist Hotho sich des tatsächlichen Zusammenhangs zwischen Natur- und Gemütsstimmungen durchaus bewußt; hier heißt es: „Eine eigentümliche Beziehung endlich gewinnt die Naturschönheit durch das Erregen von Stimmungen des Gemüts und durch Zusammenstimmen mit denselben (...) Die Bedeutung gehört hier nicht mehr den Gegenständen als solchen an, sondern ist in der erweckten Gemütsstimmung zu suchen“.927 Hotho schwankt demnach zwischen einer Würdigung der Landschaft als Kulturlandschaft und einer Nachahmung landschaftlicher Natur. Hothos selbstauferlegter Systematisierungszwang, sein Verständnis von Natur als „Objektivität“ der (platonisch gedachten) Idee der Schönheit, läßt ihn ungeachtet eigenen besseren Wissens an anderen Textstellen zwar nicht – wie Carus – von göttlicher Natur sprechen – aber doch davon, daß objektive Stimmungen der Natur subjektiven Gemütsstimmungen gemäß seien und es 925 926 927 194 Bernadette Collenberg: Hegels Konzeption des Kolorits in den Berliner Vorlesungen über die Philosophie der Kunst, in: Annemarie Gethmann-Siefert (Hg.): Phänomen versus System. Zum Verhältnis von philosophischer Systematik und Kunsturteil in Hegels Berliner Vorlesungen über Ästhetik oder Philosophie der Kunst, Bonn 1992 (Hegel-Studien, Beiheft 34), 143. Annemarie Gethmann-Siefert: Hegels Ästhetik. Stationen der Transformation der Berliner Vorlesungen zur Ästhetik, 149. Ä I, 177. auf die Darstellung von deren Harmonie ankomme. Hotho bleibt aller eigenen Bekenntnisse und Einsichten zum Trotz noch zu sehr dem hohen, sprich: christlichen Inhalt gegenüber den klassisch als niedrig bewerteten Inhalten verhaftet und er unterschätzt die Bedeutung der „Ausdruckshaftigkeit der Kunstmittel“928. Die Lektüre von Carus‘ Briefen und sein Versuch, in Hegels Ästhetik eine am Vorbild der Logik abgesehene mechanische Dialektik und Systematik hineinzubringen, führen zu einer Verkennung des Argumentationspotentials hinsichtlich der Bedeutung der Kulturlandschaft und der Landschaftsmalerei sowie zu einer irreführenden systematischen Einordnung und inhaltlichen Entfaltung der Konzeption des Naturschönen. Hegel hat klar gesehen, daß Natur als Landschaft nicht als unmittelbar der Wahrnehmung Gegebenes, sondern als ästhetisch Vermitteltes betrachtet werden muß. Natur als Landschaft muß analog zum Kunstschönen aus dem menschlichen Vollzug rekonstruiert werden. Dieser Zugang zum Phänomen des Naturschönen qua Landschaft eröffnet einen Zugang zu den Besonderheiten der Landschaftsmalerei, der eher angemessen ist als dies bei Carus und Hotho der Fall ist. C. F. von Rumohr war Kunsthistoriker, Schriftsteller und Verfasser eines Kochbuchs, außerdem war er als Einkäufer für die Gemälde der neu gegründeten Preußischen Museen in Berlin tätig. 1827 bis 1831 veröffentlichte er drei kunsthistorische Bände mit dem Titel Italienische Forschungen929, auf deren ersten Teil von 1827 Hegel in seiner Ästhetikvorlesung von 1828/29 reagieren konnte. Von Rumohr ist in unserem Zusammenhang von Interesse, weil er einen Kunst- und Naturbegriff vertritt, der ihn zu einem sentimentalen objektivistischen Naturbezug verleitet, der dem Künstler der Gegenwart verlorengegangene Bedeutung im Sinne von Originalität zurückgeben soll. Wie Carus die zeitgenössische Landschaftsmalerei als Verfallskunst ehemaliger Blütezeit betrachtet, sieht von Rumohr für die Kunst überhaupt, daß in seiner Zeit „alle wirkliche Tradition abgerissen“ sei, der moderne Künstler zum bloßen eklektizistischen 928 929 H.G. Hotho. Vorstudien für Leben und Kunst, hrsg. und eingeleitet von B. Collenberg-Plotnikov, Stuttgart-Bad-Cannstatt 2002 (Spekulation und Erfahrung I,5), Einleitung: Hothos Vorstudien für Leben und Kunst als Entwurf einer ‚spekulativen Kunstgeschichte’, LXXXIII. C.F. von Rumohr: Italienische Forschungen, 3 Bde., Berlin 1827-1831. Im folgenden zitiere ich aus der Erstausgabe des ersten Bandes von 1827, die digitalisiert zugänglich und nutzbar ist unter der Webadresse: http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/rumohr1827bd1/. Fortan wird daraus zitiert als: Rumohr 1827. 195 Kopieren vorbildhafter vergangener Kunst verurteilt sei. Will der Künstler Originalität erreichen, muß er die historisch ausgeschöpften Vorbilder der Kunst ignorieren und neue ‚unverbrauchte’ Vorbilder in der als objektiv vorgegeben gedachten Natur, also jenseits aller geschichtlichen Vermittlungen suchen. Dieser erhofften Naturunmittelbarkeit entspricht die Forderung nach intensiver Naturanschauung, naturgetreuer Wiedergabe der Naturphänomene und von Rumohrs Interesse an Landschaftsmalerei, vor allem in den 1820er Jahren.930 Dieser Ansatz führt in den Italienischen Forschungen zu einer doppelten Kritik von Rumohrs einmal an einer Konzeption der Kunst, die von einer „Idee“ als Vorbild für Künstler oder von einem Begriff des Ideals ausgeht sowie zweitens an einer angeblichen Abwertung der darzustellenden „gemeinen Natur“. Wenn von Rumohr eine intensive Naturanschauung und entsprechende Wiedergabe der Natur fordert, dann muß er zwangsläufig gegen einen Künstler wie Raphael, der „verfahre nach einer innewohnenden Idea“931, und gegen die vermeintliche Unbestimmtheit und Leere der Idee polemisieren. Dieser Künstler vermeide ja gerade das „konkrete Sehen“ des darzustellenden Gegenstandes.932 Ähnlich richtet sich die Kritik gegen das Ideale, so als ob dieses einer „gemeinen Natur“ entgegengesetzt sei. Hiergegen macht Hegel geltend, daß erstens die Natur bereits „durch den Geist gebildet“, also „schon an sich das Idealisierte“933 sei. Mit Blick auf die Niederländische Malerei des 17. Jahrhunderts macht er zweitens geltend, daß das in diesen Bildern Dargestellte zwar ein der Natur und Welt Entnommenes sei, das insofern als „gemeine Natur“ bezeichnet werden könnte, daß aber etwa der aus diesen Bildern den Betrachter anblickende „Frohsinn“ „kein gemeiner Stoff“ sei, sondern dieser „das Ideale“ enthalte. Worauf Hegel mit diesen Äußerungen wohl hinweisen will, ist die von Rumohr unterschätzte Idealisierung der Natur, dessen Verwechslung von naiver, vermeintlich unmittelbarer Naturanschauung und idealisierender 930 931 932 933 196 Vgl. hierzu auch Pia Müller-Tamm: Rumohrs Verhältnis zur Kunst seiner Zeit, in: E. Weisser– Lohmann/B. Collenberg-Plotnikov: Musealisierung und Reflexion. Gedächtnis - Erinnerung Geschichte (Kunst als Kulturgut. 3). München (in Vorb.) Libelt 1828/29, 20a. Vgl. hierzu Otto Pöggeler: Hegel und der Berliner Museumsstreit, Ms. 13, in: E. Weisser– Lohmann/B. Collenberg-Plotnikov: Musealisierung und Reflexion. Gedächtnis - Erinnerung Geschichte (Kunst als Kulturgut. 3). München (in Vorb.). Libelt 1828/29, 29a. Kunsttätigkeit. Wenn von Rumohr im Hinblick auf eine Heiligendarstellung gar glaubt, „daß die Künstler sich in die Naturformen einstudieren sollen, die Schönheit der Natur erst suchen müssen, um sie ausdrücken zu können“934, ein sittsames Bauernmädchen nur malen und von einem Bildhauer modellieren lassen brauchen, dann gibt Hegel demgegenüber zu bedenken, daß auf diese Weise nur ein Portrait, aber keine Heiligendarstellung zustande kommen kann. Das „Heilige“ ist etwas „Geistiges“, das nur vom Künstler produziert, nicht aber in Natur aufgefunden werden kann. Der Künstler muß die Darstellungsformen, „in sich erschaffen, die sich nicht in der Natur finden“935. Auch der Versuch von Sinnesempfindungen zurückzuführen 936 Rumohrs, das Schöne auf , wird von Hegel mit dem Hinweis abgewiesen, diese Kategorie habe „schon Kant entfernt“.937 5.2.2 Die Gartenkunst Gartenkunst wird wie die Landschaftsmalerei in Hegels Ästhetikvorlesungen nur stiefmütterlich behandelt. Die längste Textpassage ist in der Nachschrift der Vorlesung von 1820/21938 überliefert. Hotho notiert 1823, die Gartenkunst sei „als Ausweichung zu übergehen“939. In der Vorlesung von 1826 erwähnt Hegel sie einmal im Zusammenhang des Lehrgedichts, aber auch wie 1820/21 und 1823 zum Ende der gotischen bzw. romantischen Baukunst. 1828/29 findet sie kurze Erwähnung in den Äußerungen Hegels zur Baukunst. Die Dürftigkeit der wenigen Äußerungen Hegels zur Gartenkunst hat ihren Grund nicht in einer idiosynkratischen Gleichgültigkeit Hegels gegenüber dieser Kunst, sondern in der Sache. Den grundlegenden Mangel der Gartenkunst entfaltet Hegel mit wenigen Bemerkungen im Rahmen der 934 935 936 937 938 939 Libelt 1828/29, 31. Libelt 1828/29, 30a. „Bis dahin haben wir die Schönheit an sich selbst, und ohne ausschließliche Beziehung auf die Kunst, untersucht, und, wie ich glaube, gefunden: daß Schönheit im allgemeinsten, und wenn man so will, im modernen Verstande, alle Eigenschaften der Dinge in sich begreift, welche entweder, den Gesichtssinn befriedigend anregen, oder durch ihn die Seele stimmen und den Geist erfreuen; daß aber eben diese Eigenschaften in drey durchaus verschiedene Arten zerfallen, deren eine nur auf das sinnliche Auge, deren andere nur auf den eigenen, voraussetzlich dem Menschen eingebornen, Sinn für räumliche Verhältnisse, deren dritte zunächst auf den Verstand wirkt, dann erst durch die Erkenntnis auch auf das Gefühl“ (Rumohr 1827, 145f.). Dieser „ganze Kreis der Kategorien“ (Libelt 1828/29, 21), den Rumohr auflistet, ist für Hegel in Anlehnung an Kant nur das „Angenehme“ (vgl. KU, § 3). Ascheberg 1820/21, 207 f. Hotho 1823, 228. 197 Erörterung des Lehrgedichts, also einer Kunstgattung, die Hegel mit dem „Zerfallen der Bedeutung als solcher und der Gestalt als solcher“940 und damit mit der Prosa des Verstandes in Zusammenhang bringt. Das Lehrgedicht ist streng genommen „kein wahrhaftes Kunstwerk“. Es herrscht nur eine ganz äußerliche Beziehung vor zwischen einer isolierten Bedeutung und einer isolierten Äußerlichkeit. Der Inhalt ist für sich selbst bedeutsam und keiner Gestalt bedürftig, weil bereits vom Verstand gewußt. Die Form bzw. Gestalt kann als „poetische Form“ dem prosaischen Inhalt als Schmuck dienen.941 Wird die Natur zum Garten eingerichtet, ist die Gartenkunst am Zuge. Gartenkunst ist für Hegel aber nur „äußerliches Arrangieren“, ein „äußerlicher Schmuck“ für die Natur.942 Inhalt und Gestalt fallen also bei der Gartenkunst unvermittelt auseinander. Der für sich selbst bedeutsame Inhalt bedarf nicht der schönen Form, die schöne Form könnte auch einen anderen, sogar banalen Inhalt aufnehmen. Eine andere Erwähnung findet Gartenkunst jeweils am Ende der Darstellung der gotischen bzw. romantischen Baukunst. Zur Baukunst kann sie insofern gerechnet werden, als hier wie dort der Mensch im Mittelpunkt steht, wenn das Gebäude oder der Garten „zur Wohnung des Menschen bestimmt“ ist.943 Die Gartenkunst wird also „gleichsam in die Architektur hineingezogen“944. 1820/21 sagt Hegel, Gartenkunst sei „eine Behandlung und Bereitung der Naturgegenstände, in Beziehung auf den Genuß des Menschen“945. Zwei wesentliche Zwecke dieser Kunst nennt Hegel, einmal der Garten als „Vereinigungspunkt für Menschen“, und zwar sowohl für einander Bekannte als auch für einander Unbekannte. Hier komme es auf „Abwechselungen“ und darauf an, „einfache Anlagen, mit schönen Bäumen, Wasser, Hügeln ETC, doch ohne Künstelei“ anzulegen. Dann sei ein einfacher „Naturgenuß“ möglich. 940 941 942 943 944 945 198 Kehler 1826, 112. „Wenn wir die nähere Form dieser Beziehung angeben, so ist das erstens ein Bedeutendes ohne eigentliche Gestalt; das ist das Prosaische des Verstandes. Wird ihm poetische Form gegeben, so ist es das Lehrgedicht. Bedeutungsvoller Inhalt, aber ohne Gestaltung“ (Kehler 1826, 112 f.). „Dem wahrhaften Inhalt nach [ist das Lehrgedicht] prosaisch; das Schöne daran ist ein äußerlicher Schmuck. Wie [in der] Gartenkunst; Natur ist da, was die Kunst tut, ist äußerliches Arrangieren“ (Kehler 1826, 113). „Diese Kunstwerke sind nicht der Zweck für sich, sondern sie erwarten zuerst die Sculptur der Göttergestalt, oder sie sind zur Wohnung des Menschen bestimmt (…) Dasselbe gilt von der Gartenkunst, welche eine Art von Architektur ausmacht, denn in einem Garten ist der Mensch Hauptperson“ (Anonymus 1828/29, Ms. 23a). Pfordten 1826, 191. Ascheberg 1820/21, 207. Zum anderen kann der Garten auch dem Zweck dienen, „die Pracht der Natur anzuschauen“. Hegel nennt als vorbildhaftes Beispiel die chinesische Gartenkunst, die über englische Adlige vermittelt auch nach Deutschland gelangte.946 Für die deutsche Gartenkunst in Gestalt des Landschaftsgartens hat Hegel nur Verachtung übrig, sie können „nur ein elendes, kindisches Machwerk genannt werden“. Nur die im Auftrag von Friedrich dem Großen in Potsdam erbaute „große Terrasse zu SANS-SOUCI“ gilt ihm als „grandios“.947 Wenn auch Hegels Äußerungen zur Gartenkunst mehr Fragen aufwerfen als beantworten, so lassen sich gegen Hegel zwei Aspekte der Gartenkunst herausstellen, die zu Hegels Zeit diskutiert wurden und die Hegel mit seinen eigenen Kategorien als Form menschlicher Weltaneignung zureichend hätte interpretieren können. Das eine ist der Hinweis auf den Garten als „Vereinigungspunkt für Menschen“, das andere Hegels Kritik daran, daß Inhalt und Gestalt bei der Gartenkunst unvermittelt auseinanderfallen und beispielsweise eine ähnliche Kritik Goethes provozieren. Was den Garten als „Vereinigungspunkt für Menschen“ anbelangt, so waren die neben den Wallgrünanlagen im landschaftlichen Stil parallel entstehenden Volksgärten die ersten wirklich öffentlichen Grünanlagen der Neuzeit, die einem allgemeinen Publikum offenstanden. Die Funktion dieser Anlagen ist daher eine andere als die des ursprünglichen Landschaftsgartens. Ging es bei diesem eher um Bildungsideen im Sinne der Aufklärung und um eine spezifische Verknüpfung von Kunst und Natur, so geht es nunmehr um die Idee einer die unterschiedlichsten Bevölkerungskreise zusammenführenden und soziale Spannungen mindernden Parkanlage. Bereits Lancelot Brown hatte den Landschaftsgarten auf wenige einfache, allgemein verständliche Gartenformen reduziert. Der Philosoph und Gartentheoretiker C.C.L. Hirschfeld hatte 1785 in seiner „Theorie der Gartenkunst“ auch Volksgärten gefordert und behauptet, die verschiedenen 946 947 Vgl. Adrian von Buttlar: Der Landschaftsgarten, Köln 1989; Frank Richard Cowell: Gartenkunst. Von der Antike bis zur Gegenwart, Stuttgart/Zürich 1979. Ascheberg 1820/21, 208. - Otto Pöggeler hat diese Zusammenstellung von chinesischer Gartenkunst, deutscher Gartenkunst und der Terrasse zu Sanssouci kritisiert, denn Hegel sieht nicht, „daß die Chinesen ein ganz anderes System der Künste haben als die europäische Neuzeit. Die Architektur ist dort nicht sakrale Steinarchitektur und nicht jene Kunst, welche auch den anderen Künsten erst ihren Ort anweist; vielmehr stellen sich zum Garten die Malerei und die Lyrik, so daß sich auch Bild und Schrift inniger als bei uns verbinden können“ (O. Pöggeler: Hegel und der Berliner Museumsstreit, Ms. 23). 199 Stände würden durch Annäherung im Park an „Sittsamkeit“ gewinnen.948 Friedrich Ludwig von Sckell hatte ebenfalls Volksgärten für die „Annäherung“ und für das „Bedürfnis aller Stände“ verlangt, die „die größte Zahl seiner Lustwandler und ihren verschiedenen Geschmack zu befriedigen vermögen“.949 Sowohl Hirschfeld als auch Sckell hatten zudem für alle Bürger frische Luft und gesundheitsbefördernde Bewegung in der freien Natur verlangt. 1789 bekam Sckell vom bayerischen Kurfürsten Karl Theodor den Auftrag, einen Volksgarten in München anzulegen. Diesem ersten Volksgarten folgten im 19. Jahrhundert in den sich ausweitenden Industriestädten viele weitere. Nachdem der Landschaftsgarten von seiner ursprünglichen Idee her bereits überholt war, entwickelten sich im 19. und 20. Jahrhundert neben den modernen Stadtparks auch moderne Parkfriedhöfe, die die mittelalterlichen Begräbnisstätten ablösten. Mit Namen wie Gustav Meyer und Carl Hampel ist dann gegen Ende des 19. Jahrhunderts der endgültige Niedergang des landschaftlichen Stils verbunden. Meyer, Hampel und ihre Nachahmer variierten ein schablonenartiges Grundmuster eines landschaftlichen Gartens für völlig unterschiedliche Zwecke, ohne städtebauliche, architektonische und funktionale Gegebenheiten zu berücksichtigen. Die Gartenform schrumpfte hier zu einer hohlen Form zusammen, ohne Rücksicht auf die neuen Inhalte. Die Gartenidee war von dem technischen, sozialen und städtebaulichen Wandel des 19. Jahrhunderts überholt worden. Was Hegels Kritik an der überflüssig gewordenen Form des Gartens für einen bedeutsamen Inhalt anbelangt, so sei an dieser Stelle ein Exkurs über Goethe als „Gartendilettant“ nachgeschaltet, der die Wandlung eines empfindsamen zu einem eher architektonisch orientierten Landschaftsverständnis nachzeichnet. Dieser exemplarische Exkurs zu Goethe 948 949 200 „Diese Volksgärten sind, nach vernünftigen Grundsätzen der Polizey, als ein wichtiges Bedürfniß des Stadtbewohners zu betrachten. Denn sie erquicken ihn nicht allein nach der Mühe des Tages mit anmuthigen Bildern und Empfindungen; sie ziehen ihn auch, indem sie ihn auf die Schauplätze der Natur locken, unmerklich von den unedlen und kostbaren Arten der städtischen Zeitverkürzungen ab, und gewöhnen ihn allmälig an das wohlfeile Vergnügen, an die sanftere Geselligkeit, an ein gesprächiges und umgängliches Wesen. Die verschiedenen Stände gewinnen, indem sie sich hier mehr einander nähern, auf der einen Seite an anständiger Sittsamkeit und scheuloser Bescheidenheit, und auf der andern an herablassender Freundlichkeit und mittheilener Gefälligkeit. Alle gelangen hier ungehindert zu ihrem Rechte, sich an der Natur zu freuen.“ (Christian Cay Laurenz Hirschfeld: Theorie der Gartenkunst. In Auszügen vorgestellt, herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Franz Ehmke, Berlin 1990, 193). Zitiert nach Herbert Keller: Kleine Geschichte der Gartenkunst, Berlin/Hamburg 1976, 131f. bietet sich gerade deshalb an, weil die genannten Schwierigkeiten in Person und Werk eines Dichters verschmelzen, mit dem Hegel sich zeitlebens auseinandergesetzt hat. Exkurs: Goethes Abwendung vom Landschaftsgarten Ab der Mitte des 18. Jahrhunderts griff der neue englische Gartenstil des sentimentalen Landschaftsgartens auch auf das europäische Festland über, und löste den immer noch dominanten französischen Gartenstil weitgehend ab. Begünstigt wurde die Übernahme der neuen Gartenideen durch die schon bestehenden Rokokogärten, in denen bereits naturhafte Elemente Verwendung fanden und unsymmetrische Partien entstanden. Hinzu kommt, daß es gerade in Deutschland ein gewisses Nachholbedürfnis in Sachen Rationalismuskritik und Gefühlsästhetik gab. In England hatten sich schon zu Beginn des 18. Jahrhunderts eine sensualistisch-empiristische Gefühlsästhetik und ein kritischer Gegendiskurs gegen den französischen Rationalismus entwickelt. Zentrum dieser aufklärerischen System- und Kulturkritik war der Begriff einer „befreiten“, „paradiesischen“ oder „unberührten“ Natur, in deren Namen insbesondere die rationalistische Mathematisierung der Natur und deren Verquickung mit den Macht- und Herrschaftsansprüchen des Absolutismus angeprangert wurden. Für Shaftesbury bedeutete das mathematisch-architektonische Prinzip der französischen Barockgärten eine „Vergewaltigung“ der Natur und des Individuums950; Joseph Addison kämpfte für die Befreiung der subjektiven Einbildungskraft von äußeren Zwängen und für die Befreiung der Natur vom formal-geometrischen Gestaltungszwang des barocken Gartenprinzips. Deutschland mußte sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts allererst vom übermächtigen, alle Bereiche der Kultur beeinflussenden Rationalismus Christian Wolffs lösen, um zuerst im „Sturm und Drang“, dann im „Kult der Empfindsamkeit“ und schließlich in der „Deutschen Romantik“ sowohl die Schattenseiten der Vernunft (Zwang, Herrschaft, Sinnverlust) als auch die Dimensionen des Gefühls, der Empfindung und der Einbildungskraft zu thematisieren. Ab Mitte des Jahrhunderts drangen dann auch die 950 Das entscheidende Werk ist: Anthony Ashley Cooper, 3rd Earl of Shaftesbury: Characteristicks of Men, Manners, Opinions, Times, London 1711. 201 aufklärerischen und kulturkritischen Ideen aus England und Frankreich in das in viele kleine Staaten zersplitterte Deutschland ein. Einige Höfe nahmen solche Ideen bereitwillig auf und wandelten sich politisch in einen aufgeklärten Absolutismus. Auf diesem Nährboden neuer Ideen entstanden nun auch in Deutschland zahlreiche Landschaftsgärten, häufig unter der Regie auch heute noch bekannter Landschaftsgärtner. Vorrangig zu nennen sind hier Friedrich Ludwig von Sckell, Fürst Hermann Pückler und Peter Joseph Lenné; aber auch sich selbst so nennende „Gartendilettanten“ wie etwa Johann Wolfgang von Goethe. Goethe blies anfänglich ins Horn der literarischen Bewegung des „Sturm und Drang“, die gegen die einseitige Verstandesbetonung der Aufklärung polemisierte und statt dessen ihrerseits einseitig auf Gefühle, Empfindungen und Leidenschaften setzte. Den normativen Ansprüchen und Regeln der Gesellschaft stellte sie das freie, sich selbst Regeln gebende Genie entgegen. In Die Leiden des jungen Werther beschreibt Goethe idyllische Naturerfahrungen und die ganze Palette des Empfindsamkeitskultes jener Zeit. Auch setzt er den „wissenschaftlichen Gärtner“ dem „fühlenden Herz“ entgegen, also den barocken Gartenplaner dem gebildeten „Dilettanten“, der wie Goethe selbst – ohne Fachausbildung Gärten im sentimentalen Stile plant und ausführt. 1776 überließ Herzog Karl August von Thüringen Goethe ein Gartenareal mit Gartenhäuschen am Ufer der Ilm. Anlaß für Goethes eigenes Planen und Gärtnern war die Verzweiflungstat von Christel von Lassberg am 16. Januar 1778, die mit Goethes „Werther“ in der Hand aus Weltschmerz Selbstmord in der Ilm beging. Ihr zum Gedächtnis legte er als Denkmal die berühmte Felsentreppe an. Ebenfalls erbaute er das „Luisenkloster“ als Staffage einer Ruine und wirkte bei der Gestaltung des Geländes zu einem Park im englischen Stil mit. Die Arbeit im eigenen Garten galt ihm als gleichgewichtig neben seiner Schriftstellerei. Ende 1777 hatte Goethe die dramatische Grille „Triumph der Empfindsamkeit“951 geschrieben, in der er den von ihm selbst mitverursachten „Kult der Empfindsamkeit“ bereits mit Ironie und Spott überzog. Nach seiner Italienreise von 1786 verstärkte sich seine distanzierte Einstellung nicht nur 951 202 Johann Wolfgang von Goethe: Triumph der Empfindsamkeit, in: ders.: Poetische Werke, Band 4, Essen 1999, 557-597. im Hinblick auf die empfindsamen Gefühlsschwärmereien, sondern auch hinsichtlich der Idee des Landschaftsgartens überhaupt. Seine Mitwirkung an der weiteren Gestaltung des Parks beschränkte sich fortan auf architektonische Beiträge, wie etwa das „Römische Haus“. Zusammen mit Friedrich Schiller und Heinrich Meyer verfaßte er 1799 das Fragment „Über den Dilettantismus“952, in dem er die Vermischung von Natur und Kunst sowie die mangelnde Strenge der Form als großen Nachteil der Gartenkunst wertete. Die Abspaltung der ohnehin unterbestimmten ästhetischen Form des Landschaftsgartens vom Inhalt führte dazu, daß die Form sich selbst banalsten Inhalten öffnen konnte, daß der Landschaftsgarten als ästhetische Form der Mode und gar der Abgeschmacktheit ausgesetzt war. Das hatte Goethe erkannt. Einige Ernüchterung in Jahre später gipfelte einer eindeutigen Goethes Favorisierung gartenkünstlerische des französischen Gartenstils, weil der architektonische Garten ganz klar als Kunstwerk aus der Natur als Nichtkunst abgehoben wird. Die Landschaftsgärten im natürlichen Stil bezeichnet er nun verächtlich als „naturspäßig“. 5.2.3 Idyllendichtung Das Wort „Idylle“ leitet sich ab vom griechischen Wort „eidyllion“, was so viel heißt wie „das Bildchen“, mit der weiteren Bedeutung, „ein kleines, zierliches Gedicht, meist ländliches Inhalts“953 zu sein. Der „ländliche Inhalt“ verweist auf den Begriff des Landes und damit auf den der Landschaft. Begriffsgeschichtlich weist „eidyllion“ zurück auf die „Idyllen“ des griechischen Dichters Theokritos (um 270 v. Chr.), der in Hirtengedichten das ländliche Leben darstellte. In der Folge entstanden verschiedene Dichtungstypen, die als „bukolische“ und „arkadische“ Dichtung oder als „Schäfer-“ und „Hirtendichtung“ einen Kreis von Literaturgattungen bilden, die ungeachtet der inhaltlichen Unterschiede im Detail allesamt um die übergreifende Idee eines vor- oder außerzivilisatorischen Naturzustandes kreisen, um ein „goldenes Zeitalter“, den „Traum Arkadien“, einen „locus 952 953 Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Schiller, Heinrich Meyer: Über den Dilettantismus. In: Goethes Werke. Hg. im Auftrage der Großherzogin Sophie von Sachsen. I. Abt. Bd. 47. Weimar 1896, 299-326. W. Pape: Griechisch-Deutsches Handwörterbuch. Nachdruck der dritten Auflage bearbeitet von M. Sengenbusch. Erster Band A-K, Graz 1954, 724. 203 amoenus“ jenseits gesellschaftlicher Zwänge und Verpflichtungen, in der der Mensch in Harmonie mit der noch nicht durch gewaltsame Eingriffe „vergewaltigten“ Natur leben kann. Für das Verständnis der Kritik Hegels an der Konzeption der Idylle und für die von Adorno mit der Rehabilitierung des Naturschönen verknüpfte Hoffnung auf „Erlösung“ vom Gesellschaftszwang ist der Hinweis darauf wichtig, daß die Idyllendichtung, aber auch der Landschaftsgarten mit seinen idyllischen Motiven historisch betrachtet jeweils den Versuch repräsentieren, „schöne Natur“ auch als ‚Gegenwurf’ gegen Kultur und Gesellschaft ins Spiel zu bringen, also Kultur- bzw. Gesellschaftskritik zu üben. So konstruierte Jean-Jacques Rousseau, einen vorkulturellen „Naturzustand“, in dem die Menschen in Freiheit und Harmonie mit sich selbst, ihren Mitmenschen und der äußeren Natur lebten. Diesen Naturzustand stellte er der durch Ungleichheit und Unfreiheit charakterisierten Gesellschaft seiner Zeit entgegen. „Zurück zur Natur“ lautete dementsprechend das Motto der von Rousseau geübten Kultur-, Gesellschafts- und Zivilisationskritik.954 Für die weiteren Überlegungen entscheidend ist, daß die Idylle schon vom Wortursprung her als Bild verstanden wird, also gerade nicht als unmittelbare Wiedergabe eines Naturraums, und daß sie als Landschaft bzw. Landschaftsteil konzipiert ist. Dieser Zusammenhang zwischen Idylle als Bild und als Landschaft läßt sich gut an der Rekonstruktion des Zusammenhangs zwischen der Entwicklung der Landschaft als Bild und der Entstehung des Landschaftsgartens als Bildprogramm darstellen, dem die Idyllenkonzeption häufig historisch vermittelte Bilder lieferte. 5.2.3.1 Landschaftsmalerei, Idylle und Landschaftsgarten Daß und wie „Landschaft“ als Fachbegriff von Malern und Kunstverständigen für ein Landschaftsbild galt und dieser Begriff im Zuge der Verbreitung und dem sich durchsetzenden Interesse an der Landschaftsmalerei auch in eine gehobene literarische Sprache eindrang, ließ sich bereits zeigen955. In der Folge strebten auch Dichter danach, die Realität durch die idealisierenden 954 955 204 Vgl. hierzu Günter Figal: Die Rekonstruktion der menschlichen Natur. Zum Begriff des Naturzustandes in Rousseaus „Zweitem Discours“. In: Neue Hefte für Philosophie 29 (1989), 2438. Vgl. Kap. 5.1.1 „Zur Vorgeschichte der Landschaftsanschauung“. Augen eines Malers und dementsprechend die Natur mit den Augen eines Landschaftsmalers zu sehen. Im Laufe des 18. Jahrhunderts vermittelten im deutschen Sprachraum Naturdichter wie Barthold Hinrich Brockes (16801747), Albrecht von Haller (1708-1777), Salomon Geßner (1730-1788), Johann Heinrich Voß (1751-1826) und Gottlieb Klopstock (1724-1803) in der Tradition der Idyllendichtung literarisch ein empfindsames Naturideal. Diese gesamte Entwicklung führte letztlich dazu, daß nicht nur die Bilder der Landschaftsmaler, sondern auch diejenigen wahrgenommenen Wirklichkeitsausschnitte „Landschaft“ genannt wurden, die sich einer solcherweise präformierten Wahrnehmung verdanken. Ein technischer Begriff der Kunst dient nun als Name für einen scheinbar der Wahrnehmung zugrundeliegenden Naturaspekt. Es ist daher nicht verwunderlich, daß die Ursprünge des Landschaftsgartens mit den Ideen von Malern, Künstlern, Dichtern und Schriftstellern verknüpft sind. Was die Malerei anbelangt, müssen einige Maler des 17. Jahrhunderts genannt werden, deren idealisierte Landschaftsmotive zu den Vorbildern der späteren Gartengestalter wurden. Es sind dies Claude Lorrain (1600-1682), Nicolas Poussin (1593-1665), Salvator Rosa (1615-1673) und Jan van Ruysdael (1628-1682). Ihre Bilder stifteten und verbreiteten ein die Natur idealisierendes Wahrnehmungsmuster, das den ästhetischen Genuß von Natur als Landschaft für die spätere Zeit vorbereitete. Englische Aristokraten nahmen auf ihrer „Grand Tour“ durch Italien seit dem 18. Jahrhundert sogenannte „Claude glasses“ mit, durch deren Gläser sie die Landschaft in der Stimmung der Bilder Claude Lorrains betrachten konnten. Lorrains Bilder dienten später als direkte Vorbilder für die Gestaltung von Tiefenwirkungen, die Anordnung aller möglichen Gartenelemente, die asymmetrisch modellierten Bodenflächen, sorgfältig inszenierte Licht- und Farbperspektiven und die Verwendung von Wasser und Vegetation in den neu entstehenden Landschaftsgärten. Der englische Schriftsteller Alexander Pope (1688-1744) war vermutlich der erste, der einen Garten im neuen malerischen Stil auf seinem Besitz in Twickenham schuf. Eine Devise von Pope lautete: „All gardening is 205 Landscape painting“.956 Der Garten ist gleichsam ein begehbares Bild mit bestimmten Elementen, wie etwa Trauerweiden, ungeschnittenen Bäumen und Sträuchern oder einem Bowling-green. Neu an diesem Garten war nicht nur die freie Entfaltung der Pflanzen und die ungezwungene Anordnung von Räumen und Naturmotiven, sondern auch die Vielfalt der Gartenszenen und Ausblicke. Der Ausblick beispielsweise von einer Grotte im Sockelgeschoß der Villa auf die Themse bot dem Betrachter ein Bild, wie es zuvor nur von Landschaftsgemälden her bekannt war. Nicht zu Unrecht bezeichnete 1752 der Dichter Joseph Spence (1699-1788) den Landschaftsgarten als „picture gallery“957 unter freiem Himmel. Der neu entstehende englische Landschaftsgarten konnte überhaupt nur deshalb zum Stimmungs- und Bedeutungsträger naturphilosophischer, ästhetischer, religiöser, politischer und ethischer Ideen und Gefühle werden, weil die im Landschaftsgarten vermittelte „Natur“ durch vielfach überlagerte und tradierte Anknüpfungspunkte Bedeutungsebenen lieferte. So diesen glaubt man, Ideen im semantische Landschaftsgarten „natürliche“ Bilder oder gar „Abbilder“ von Natur zu sehen, tatsächlich aber sieht man das gestalterisch konstruierte Bild eines Verständnisses von Natur, das zwischen der Sehnsucht nach dem vorzeitlichen Paradiesgarten – so wie es z.B. John Milton in seinem „Paradise Lost“ poetisch beschrieben hatte und der utopischen Illusion nach einer wiederhergestellten Harmonie von Mensch und Natur angesiedelt ist.958 Dieser mediale Charakter des dreidimensionalen Bildarrangements führte im Extrem dazu, zweidimensionale Kulissen aufzubauen, die sogenannten „eyecatcher“, die nur die Illusion eines realen Gebäudes als Stimmungs- oder Bedeutungsträger zu erzeugen hatten. Lord Burlington (1695-1753) z.B. legte in Chiswick ab 1725 einen Garten im neuen Stil an, an dessen Rand Veduten angeordnet sind, die Ansichten von prächtigen Gebäuden zeigen, die sozusagen das Bildprogramm eines Spaziergangs durch die „Gemäldegalerie“ des Gartens präsentieren. Zu sehen sind Pavillons, Tore, Obelisken, Säulen, Statuen, ein 956 957 958 206 Dieser Ausspruch von Pope ist von J. Spence überliefert und dokumentiert in: Joseph Spence. Observations, Anecdotes, and Characters of Books and Men Collected from Conversation. Hrsg. von J.M. Osborn, 2. Bde., Oxford 1966, Nr. 606. Joseph Spence. Observations, Anecdotes, and Characters, Nr. 1134. Vgl. Adrian von Buttlar: Zwischen Arkadia und Utopia, in: ders.: Der Landschaftsgarten. Gartenkunst des Klassizismus und der Romantik, Köln 1989, 17-20. Pantheon-Tempel, ein Badehaus, eine Grotte, eine Orangerie sowie Ansichten der Villa, die Burlington nach Vorbildern des zweihundert Jahre zuvor wirkenden italienischen Architekten Palladio umbauen ließ. William Kent (1684-1748), der in Italien zum Maler ausgebildet worden war, sich in England aber der Architektur und Gartenkunst zuwandte, war in den dreißiger und vierziger Jahren verantwortlich für die Gestaltung zahlreicher Landschaftsgärten im malerischen Stil. In Stowe ersetzte er noch vorhandene geometrisch-formale Gestaltungselemente durch freie Naturelemente und legte ein künstliches Flußtal mit natürlicher Uferlinie, wallartiger Böschung und sanft geschwungener Bodenmodellierung an. In Anspielung auf die griechische Mythologie nannte er die schöne Naturszene „Elysische Gefilde“. Den schönsten und auch besterhaltenen Landschaftsgarten im malerischen Stil schuf Kent in Stourhead in Wiltshire. Er ließ das namengebende Flüßchen Stour aufstauen und dadurch das gesamte Wiesental in einen See verwandeln. Um diesen See herum führte ein Weg, der dem Wanderer an fast jeder Wegesbiegung einen neuen Anblick, d.h. ein neues Bild präsentierte. Der Wanderer im Landschaftsgarten ist nicht mehr – wie im Barock – an das höfische Zeremoniell inszenierter Selbstdarstellung absolutistischer Macht gebunden, sondern er ist vorrangig der einsame, nicht zuletzt nur seinen Stimmungen, Empfindungen und Gefühlen folgende Spaziergänger. Nicht zufällig wird in der späteren Deutschen Romantik die poetisch vermittelte Landschaft zum „Seelensymbol“ erhoben959, entwickelte sich auf diesem Boden der „Kult der Empfindsamkeit“. Wie bereits der empfindsame Naturvollzug, so unterliegt auch die Idyllenkonzeption Hegels Kritik. 5.2.3.2 Hegels Kritik der Idylle Hegels Einschätzung der Idyllendichtung gehört in seine Diskussion um die Bedeutung der Poesie960, insonderheit des Epos und der Lyrik. Der darzustellende Inhalt des Epos ist ein „objektiver Inhalt, eine äußerlich entfaltete Welt“961, d.h. das, „was die Sache ist; der Gegenstand als 959 960 961 Vgl. Kap. 5.1.3 „Landschaft als Stimmungskulisse. Hegels Kritik an einem stimmungsinduzierten Naturvollzug“. Zur Bedeutung der Poesie vgl. A. Gethmann-Siefert: Einführung in Hegels Ästhetik, 313ff. Hotho 1823, 282. 207 Gegenstand, die Breite der Umstände“962. Im Gegensatz zur Objektivität des Inhalts beim Epos ist der Inhalt der Lyrik die „subjektive Stimmung“963, in der Lyrik „drückt das Subjekt sich aus“, ohne die Objektivität der Welt zu erfassen.964 Hegel betrachtet es als grundsätzlich problematisch, daß sich in der Lyrik überwiegend subjektive Gefühle und Empfindungen eines einzelnen Individuums mit dessen besonderer ‚Weltsicht’ vermitteln, ohne „die Entwickelung eines objectiven Zustands“965 darzustellen - wiewohl es in der Lyrik auch möglich ist, „das Höchste zu preisen, das Tiefste auszusprechen“966. Das ist beispielsweise dann möglich, wenn ein epischer, also objektiver Inhalt aufgenommen wird; Hegel nennt in der Vorlesung von 1823 als Beispiel den Cid.967 Überhaupt - so Hegel in der letzten Ästhetikvorlesung von 1828/29 -: „Alle lyrischen Gedichte besonders sind Gelegenheitsgedichte. Da sind bestimmte Situationen, nämlich Empfindungen. Der Dichter macht da seinem Herzen Luft durch diese Darstellung.“968 Die Gelegenheit ist die subjektive Situation des Dichters bzw. des ‚lyrischen Ich’, etwa bei Goethe, der „sich etwas zum Gegenstand machte, was ihn kränkte, dann trennte er das von sich, es ist nicht mehr in ihm, er hat es schon vor sich“.969 Wie die Lyrik beschränkt sich auch die „Idylle“ meistens auf einen „Privatzustand“970. In Anspielung auf das deutsche (Volks)Lied ist die subjektive Empfindung in sich konzentriert, ohne sich zu explizieren, d.h. sich der Wirklichkeit zu öffnen.971 Dennoch wird die Idylle von Hegel vor allem im Hinblick auf die Frage diskutiert, „ob hier ein Epos der modernen Welt entwickelt wird, das die Funktion des alten Epos übernehmen kann“972, nämlich einer Gemeinschaft durch Kunst ein geschichtliches Selbstbewußtsein zu stiften, wie dies exemplarisch durch Homers Epen geschah. Daher finden sich Hegels Äußerungen zur Idylle einmal zum Ende 962 963 964 965 966 967 968 969 970 971 972 208 Hotho 1823, 284. Hotho 1823, 282. „Im Lyrischen drückt das Subjekt sich aus. Nicht der Reichtum der Welt kann sich abspiegeln, sondern die einzelne Empfindung, das einzelne Urteil des Gemüts“ (Hotho 1823, 297). Ascheberg 1820/21, 314. Hotho 1823, 297. „Cid ist ein solches lyrisch behandeltes Episches“ (Hotho 1823, 298). Libelt 1828/29, Ms. 74. Libelt 1828/29, Ms. 74. Hotho 1823, 297. „Das deutsche [Lied] ist in sich gedrungen; [die] Empfindung [ist darin] konzentriert, sich für sich als sich nicht explizierend könnend und wollend, darstellend“ (Kehler 1826, 220). A. Gethmann-Siefert 1998, S. CCIV. der Erörterung des Epos im Übergang zur Lyrik. Da die Idylle - wie die Gartenkunst - durch ein Auseinanderfallen von Bedeutung und Gestalt charakterisiert ist, ordnet Hegel die Idylle zudem den entsprechenden Beispielen zu. Ist die Gartenkunst durch ein Auseinanderfallen von idealisierter Natur (Bedeutung) und äußerlichem Arrangement (Gestalt) gekennzeichnet, fallen bei der Idylle „die Empfindung und die Gestalt auseinander“973. Das ist ein Grund für Hegels Skepsis, wenn nicht gar Ablehnung der „Idylle“ gegenüber974, auch für die Idyllendichtung gilt Hegels Kritik an einem empfindungsinduzierten Naturvollzug. Insbesondere bei den Deutschen sei es „die allergeläufigste Manier, Gedichte zu machen. Sonne, Mondschein und dergleichen, und der und das fiel mir dabei ein, Freunde, Geliebte, und dergleichen“975. So spottet Hegel beiläufig, aber gerne über Klopstock976, Gessner977 und Voß978. Ein weiterer Kritikpunkt ist die eingangs erwähnte Unterstellung idyllischer Motive, die Idylle stelle einen vorzivilisatorischen Zustand dar, der ohne Entzweiung des Menschen von Natur und ohne gesellschaftliche Verpflichtungen ein idealer Zustand im Sinne eines erstrebenswerten Zustandes sei - sei dies nun im Rückblick auf ein „goldenes Zeitalter“ (die Idylle im Sinne der Schillerschen „arkadischen Idylle“) oder im Vorblick auf einen ersehnten zukünftigen Zustand (im Sinne der Schillerschen „elysischen Idylle“).979 Ob nun vorgestellt, dargestellt oder ersehnt, ein solcher „Naturzustand“ kann für Hegel weder erstrebenswert noch darstellungswürdig sein, weil er das Menschsein auf unmittelbare Lebensbewältigung reduziert 973 974 975 976 977 978 979 Kehler 1826, 113. Vgl. hierzu A. Gethmann-Siefert: Idylle und Utopie. Zur gesellschaftskritischen Funktion der Kunst in Schillers Ästhetik, in: Jahrbuch der deutschen Schiller-Gesellschaft, 24 (1980), 32 ff.; dies.: Vergessene Dimensionen des Utopiebegriffs. Der ‚Klassizismus‘ der idealistischen Ästhetik und die gesellschaftskritische Funktion des ‚schönen Scheins‘, in: Hegel-Studien, 17 (1982), 119 ff.; dies.: Hegels Kritik der modernen Idylle, in: Die Funktion der Kunst in der Geschichte, 329 ff. Kehler 1826, 113. „Bei Klopstock [gibt es] mehreres nach diesem Typus, Schema. Wenn der Mondschein nur schön herabfließt usf., macht [das] ein schönes Eidyllion aus“ (Kehler 1826, 113f.). „Gessnersche Idyllen haben großen Beifall besonders bei Franzosen gefunden. Die Interessen des Geistes sind nicht darin enthalten“ (Libelt 1828/29, Ms. 72). 1823 heißt es: „Gessner wird wenig gelesen oder gelesen als etwas, wo wir nicht zu Hause sind“ (Hotho 1823, 109). - Hegel besaß von Salomon Gessners Schriften die 1756 erschienen Idyllen: Gessners Idyllen, aus den Sämmtlichen Schriften der 2te Band, Karlsruhe 1775. „Die Vossische idyllische Welt hat einen größern Kreis“ (Ascheberg 1820/21, 313). 1823 spielt Hegel auf Voß’ Luise an (Hotho 1823, 297): Johann Heinrich Voß: Luise. Ein ländliches Gedicht in drei Idyllen, Tübingen 1807. Friedrich Schiller entwickelt seine Idyllenkonzeption in der Abhandlung Über naive und sentimentalische Dichtung, in: Friedrich Schiller: Sämtliche Werke. Auf Grund der Originaldrucke hrsg. von Gerhard Fricke und Herbert G. Göpfert, München 1973, Bd. V, 694-780. 209 und das notwendige Handeln in Gemeinschaft, d.h. sittliche Orientierung in einer komplexen, auf institutionalisierte Kooperation und Verständigung angelegten modernen Welt ausblendet. Damit bleiben die „Interessen des Geistes“ nach Handlungsorientierung unberücksichtigt.980 Wird die Idylle etwa in Voß’ Luise oder in Gessners Idyllen - im Sinne vermeintlicher Naturunmittelbarkeit auf die ältere Form der Arkadik zurückgeführt, bleiben sie gleichsam geschichtslos, da sie noch vor aller Geschichte (verstanden als tätige Auseinandersetzung des Menschen mit Natur und mit anderen Handlungspartnern) angesiedelt bleiben. Ähnlich trifft die Kritik solche Idyllenkonzeptionen, die den Naturzustand auf einen fiktiven Ort jenseits bzw. ‚nach’ der Geschichte verschieben und an die Stelle realer Verhältnisse eine „geträumte“ Realität setzen.981 Für Hegel ist die Vorstellung eines „Naturzustandes“, die von einer ursprünglichen schrankenlosen Freiheit der Menschen ausgeht, die erst mit dem Entstehen der Gesellschaft eingeschränkt wird, eine haltlose Abstraktion. Außerdem muß aus dieser Konzeption schrankenloser vorgesellschaftlicher Freiheit heraus jedwede Gesellschaftsform als „unnatürliche“ Verfallsform des Ursprungszustandes erscheinen. Demgegenüber hat Hegel stets auf die mit seiner Konzeption des Geistes und dessen wesentlicher Freiheit verknüpfte Intersubjektivität hingewiesen.982 Auch die Vorstellung, im „Idyllischen“, also in einem ursprünglichen vorzivilisatorischen „Naturstand“, sei „der Mensch auf die Gunst der Umgebung beschränkt“983, verkennt die Notwendigkeit und die Bedeutung der Arbeit für die Befreiung des Menschen von Natur.984 In den Berliner Vorlesungen über die Philosophie der 980 981 982 983 984 210 „Man glaubt der Idyllenzustand sei der meist idealische, weil die Entzweiung darin nicht vorhanden ist. Allein solcher Zustand hat zu wenig Interesse für uns, alle wichtigen Interessen sind davon ausgeschlossen. Liebschaften der Schäfer, Mädchen, Verlaufen eines Schafes ist wenig anziehend“ (Libelt 1828/29, Ms. 72). Diese beiden geschichtslosen Konzeptionen der Idylle hat A. Gethmann-Siefert herausgestellt. Vgl. etwa A. Gethmann-Siefert: Hegels Kritik der modernen Idylle, in: dies.: Die Funktion der Kunst in der Geschichte, 329ff.; dies.: Einleitung: Gestalt und Wirkung von Hegels Ästhetik, in: Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Vorlesungen: ausgewählte Nachschriften und Manuskripte, Bd. 2. Vorlesungen über die Philosophie der Kunst: Berlin 1823. Nachgeschrieben von Heinrich Gustav Hotho. Hrsg. von A. Gethmann-Siefert, Hamburg 1998, CCIVff.; dies.: Einführung in Hegels Ästhetik, 335. Vgl. Kap. 2.2 „Hegels Begriff des Geistes“. Aachen 1826, Ms. 71. In den Grundlinien der Philosophie des Rechts pointiert Hegel seine in vielen Schriften wiederholt vorgetragene Kritik am Naturzustand und der Nichtbeachtung der Bedeutung der Arbeit wie folgt: „Die Vorstellung, als ob der Mensch in einem sogenannten Naturzustande, worin er nur sogenannte einfache Naturbedürfnisse hätte und für ihre Befriedigung nur Mittel gebrauchte, wie eine zufällige Weltgeschichte von 1822/23 bezeichnet Hegel diesen gesellschaftsfreien und arbeitsfreien Zustand als „leeres Ideal“. Denn statt ein „Zustand der Unschuld (…) ist der erste, unmittelbare, natürliche Zustand des Geistes ein Zustand der Unfreiheit, der Begierde, worin der Geist als solcher nicht wirklich ist“985. Hegel verknüpft „Geist“ und Freiheit, es geht um die Notwendigkeit, daß der Mensch in der Geschichte einen „Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit“ erzielt, d.h. als freies und vernünftiges Wesen durch sein Handeln in Gemeinschaft seine Vernünftigkeit und Freiheit (in Sitte, Recht, Institutionen, Gesellschaft, Staat, Kultur, Kunst etc.) verwirklicht.986 Daher heißt es an der angegebenen Stelle: „Exeundum est e statu naturae (Spinoza). Es ist dies der Stand der Unfreiheit und der Sinnlichkeit“987. Eine Kunst, die „die Vorstellung des goldenen Zeitalters“ besingt, in dem der „Mensch sich unmittelbar begnügt, was ihm die Natur liefert, wodurch alle Leidenschaften des Ehrgeizes, der Habsucht schweigen - Neigungen, die dem höheren Adel der menschlichen Natur zuwider erscheinen“988, eine solche Kunst vermittelt nur eine „beschränkte Lebensart“, die „einen Mangel der Entwicklung des Geistes“ voraussetzt. Nur ein „gewisser Kreis kann sich auf solchen Zustand beschränken“, denn solches „Idyllenleben ist geistesarm. Der Mensch muß arbeiten.“989 Der Mensch reduziert sich gleichsam selbst auf eine Schrumpfform des Menschseins. Trotz dieser deutlichen Bedenken gegen die „subjektive Innerlichkeit“ der Lyrik und der Idylle und die mit der Idyllenkonzeption verknüpften Voraussetzungen der Darstellung eines empfindsamen bis naiven Naturvollzuges, sucht Hegel nach einer Form der Idylle, die die subjektive Innerlichkeit 985 986 987 988 989 auf Vermittlung eines objektiven, für eine Natur sie ihm gewährte, in Rücksicht auf die Bedürfnisse in Freiheit lebte, ist noch ohne Rücksicht des Moments der Befreiung, die in der Arbeit liegt“ (Rph, § 194). V 12, 33. Vgl. Kap. 2.2 „Hegels Begriff des Geistes“. V 12, 33. - Hegel zitiert Benedictus de Spinoza: Tractatus Theologico-Politicus, Amsterdam 1670, Kap. 16. Vorher (1642) hatte bereits Thomas Hobbes die fast gleichlautende Formulierung „exeundum esse e statu naturali“ gebraucht (De cive, I). - An anderer Stelle geht Hegel auf die Vorstellung ein, der Naturzustand sei dadurch ausgezeichnet, „daß der Mensch im reinen Bewußtsein Gottes und der göttlichen Natur gelebt habe, gleichsam im Zentrum von allem stehend – was wir erst mühsam erringen – im Mittelpunkt aller Wissenschaft und Kunst, so daß ihm alles offen da lag, daß er also eine Intelligenz gewesen sei, die die Tiefe Gottes und der Natur durchschaute“ (V 12, 35). Eine solche Vorstellung könne man nur in Unkenntnis des Denkens, der „Natur des Geistes“ (V 12, 36) haben. Denn dieser „ist Bewegung und Tätigkeit, die ein Erstes verläßt, zu einem anderen geht, es bearbeitet, überwindet und sich hierin in dieser Arbeit selbst gefunden [hat] und so zurückkehrend zum ersten erst wirklich Geist geworden [ist]“ (V 12, 36). Hotho 1823, 109. Hotho 1823, 109. 211 Handlungsorientierung relevanten Inhalts hin überschreiten kann. Da es nicht darum gehen kann, den in der Idylle dargestellten Naturzustand als modernen Weltzustand zu betrachten, muß die an ein Individuum gebundene „Gelegenheit“, d.h. die subjektive Situation überwunden 990 überindividueller „größerer Hintergrund angegeben“ und ein werden können. Eine partielle Vermittlung mit einem objektiven Inhalt sieht Hegel in Goethes Romanen, beispielsweise in Wilhelm Meisters Lehrjahre991, der die Bildungsgeschichte eines Individuums erzählt, das sein Selbstbewußtsein entwickelt und seinen Charakter und seine Persönlichkeit vollendet, indem es sich in seiner geschichtlichen Situation und in seiner Welt mit den gegebenen kulturellen Rahmenbedingungen auseinandersetzt. Immerhin wird damit zwar eine Auseinandersetzung mit Welt beschrieben; da aber der Roman und dessen geschichtliche Situation an die Bildungsgeschichte eines einzelnen Bürgers gebunden bleiben, kann er noch nicht einen allgemeinen Weltzustand erreichen. Eine gelungene Vermittlung neuzeitlicher Subjektivität mit der modernen Welt sieht Hegel nur in Goethes Idylle Hermann und Dorothea992. Die Beschränkung auf einen „Privatzustand“ (das Individuelle) kann zwar nicht vollständig überwunden werden, aber es kann bereits „ein größerer Hintergrund angegeben“ werden, wenn auch die „Verknüpfung desselben mit der Handlung ein Sprung“ bleibt.993 In der Vorlesung von 1828/29 zeichnet Hegel die Idylle Hermann und Dorothea als „großartig“ aus, „weil sie das Weltinteresse zum Hintergrunde hat, das Motiv des Vaterlandes“. Hier geht es demnach um „eine Besonderheit, die sich auf ein Höheres bezieht“994. Obwohl diese Idylle „auf einen untergeordneten Kreis beschränkt ist“, eröffnet „der Hintergrund aber eine weite Aussicht“995, d.h. hier wird individuelles Handeln auf eine allgemeine geschichtliche Situation 996 bezogen. 990 991 992 993 994 995 996 212 Hotho 1823, 297. Vgl. Wilhelm Meisters Lehrjahre (Goethe: Sämtliche Werke. Bd. 7). Vgl. Hermann und Dorothea von J. W. von Göthe. Taschenbuch für 1798. Berlin 1797 (Goethe: Werke. Bd. II, 437-514). Hotho 1823, 297. Libelt 1828/29. Ms. 73. Anonymus 1828/29. Ms. 95b. A. Gethmann-Siefert zieht in diesem Zusammenhang folgendes Fazit: „[Damit ist die Möglichkeit gegeben], durch die Integration subjektiv-verinnerlichter Erfahrung in den allgemeinen Horizont der Welt, der geschichtlichen Situation, in der Idylle eine ‚Objektivität‘ subjektiver Innerlichkeit zu Zusammenfassend lehnt Hegel also jede Form der Idylle dann ab, wenn sie einen fiktiven, in der Vergangenheit oder Zukunft liegenden Naturzustand als idealisiertes Ur- oder Vorbild einer Harmonie von Mensch und Natur sowie Mensch und Mensch rekonstruieren und reaktivieren will. Eine solche idyllische Naturharmonie ist letztlich ungeschichtlich, d.h. unerreichbar und unerfüllbar entweder in der Vergangenheit oder in der Zukunft gelegen. Die Illusion einer natürlichen ursprünglichen Harmonie mit Natur, eines vorgesellschaftlichen und vorkulturellen „Naturzustandes“ setzt an die Stelle gegenwärtiger ‚zerrissener’ Weltzustände eine bloß ersehnte oder erträumte harmonische Realität. Die von Hegel diskutierten Gegenbeispiele - Goethes Roman Wilhelm Meisters Lehrjahre und die Idylle Hermann und Dorothea demonstrieren daher, daß ein Naturvollzug, wenn er in einen größeren geschichtlichen Zusammenhang gestellt wird, geeignet ist, das Selbstverständnis eines modernen Bürgers zu symbolisieren. Exkurs: Adornos Sehnsucht nach dem Paradies Die Gedankenfigur, an die Stelle gegenwärtiger ‚zerrissener’ Weltzustände eine ersehnte harmonische Realität zu setzen, findet sich auch in den Schriften von Theodor W. Adorno. Die älteren Idyllenkonzeptionen stehen bekanntermaßen in einem religiösen Kontext, namentlich diejenige Form, die das Paradies als Garten Eden997 beschreibt. Diese Vorstellung des Paradieses ist häufig eschatologisch verknüpft mit dem christlichen Motiv einer zukünftigen Wiederauferstehung und Erlösung des Menschen in einem dann glücklichen, schmerz- und sorgenfreien Leben aller Gottgefälligen im himmlischen Paradies.998 In gleichsam ‚säkularisierter’ Gestalt erscheint dieses Motiv aber unterderhand auch bei Denkern, die vordergründig die menschliche Existenz aus ihrer religiösen Verstrickung und den damit verbundenen Konsequenzen befreien, statt dessen auf eine aufgeklärte Vernunft gründen wollen. Dies trifft auf Kant, wie auf Schiller, aber auch auf Adorno zu. 997 998 gestalten“ (A. Gethmann-Siefert: Einleitung: Gestalt und Wirkung von Hegels Ästhetik, CCIV). Eine Parallele sieht Hegel zudem in Goethes Divan, der eine vergangene fremde Kultur so zu vermitteln vermag, daß das fremde Objektive, Substantielle tatsächlich angeeignet wird und somit der romantischen bloßen Innerlichkeit einen substantiellen Inhalt zu vermitteln vermag. Genesis 2, 4-25. Vgl. Offenbarung 21, 4; 1. Korinther 15, 35-58. 213 Kant führt in seiner Religionsphilosophie seine Moralphilosophie weiter und entwickelt eine „Moraltheologie“999 oder „Ethikotheologie“1000, die auf die Frage „Was darf ich hoffen“1001 die Antwort gibt: eine Verknüpfung von Sittlichkeit und Glückseligkeit. Der Mensch kann dies aber nur hoffen unter der jeweils praktisch notwendigen Voraussetzung eines göttlichen Garanten für diese Verknüpfung sowie für seine Unsterblichkeit. Unsterblichkeit ist denknotwendig, damit menschliche Bemühungen um Sittlichkeit nicht mit dem Tod ergebnislos enden müssen.1002 Das irdische Jammertal ist gleichsam nur erträglich unter der praktischen Hoffnung auf Unsterblichkeit. Schiller stellt seine Idyllenkonzeption in einen ähnlichen, ebenfalls auf Versöhnungs- bzw. Erlösungs-Hoffnung abgezweckten Zusammenhang. Schillers Idylle fungiert zum einen als Gegenbild einer vergangenen Harmonie des Menschen mit Natur zur gegenwärtigen Kultur und Gesellschaft, als „Paradies“, „goldnes Alter“, „Stand der Unschuld“ der Menschen vor aller Kultur. Diese unerreichbare, weil unwiederholbare Vergangenheit wird von Schiller zum anderen als télos, als letzter Zweck der Kultur in eine utopische Zukunft verlegt. Nur die Hoffnung auf - „die Idee (…) und der Glaube an die mögliche Realität“1003 - eines solchen dereinstigen Zustands der Harmonie des Menschen mit sich selbst und mit der Natur versöhnt ihn mit den unerträglichen zivilisatorischen und kulturellen Übeln der Gegenwart. Diese ideelle Hoffnung bedarf, um wirksam zu werden, einer „sinnliche[n] Bekräftigung“1004, d.h. einer Veranschaulichung, die aber nicht real angeschaut, sondern nur in der Dichtung darstellend antizipiert werden kann. Schillers Idylle will somit den Menschen „theoretisch rückwärts“ führen, indem sie ihn „praktisch vorwärts führen und veredeln“1005 will. Der Dichter soll „uns vorwärts zu unserer Mündigkeit“, d.h. zu einer erhofften Vollendungsform des Menschseins führen, er soll „den Menschen, der nun einmal nicht mehr nach Arkadien zurück kann, bis nach Elysium“1006, d.h. zu einer an klassischen griechischen Dichtungen orientierten Lebensweise 999 1000 1001 1002 1003 1004 1005 1006 214 KrV, B 842. KU § 86. KrV, B 833. Vgl. KrV, B 833ff.; KpV, AA V, 122-132. Friedrich Schiller: Über naive und sentimentalische Dichtung, 746f. Friedrich Schiller: Über naive und sentimentalische Dichtung, 746. Friedrich Schiller: Über naive und sentimentalische Dichtung, 747. Friedrich Schiller: Über naive und sentimentalische Dichtung, 750. geleiten. Allerdings erkennt Schiller selbst, daß eine schlichte Rückkehr zu antiken Vorbildern nicht möglich ist, da die (mit Hegel gesprochen:) „vernunftfordernde Vernunft“ einen Rückschritt auf eine überwiegend durch Anschauung und Empfindung geprägte Kultur verbietet. Was bleibt, ist das Studium der Geschichte, um aus dieser für die Zukunft zu lernen1007, ferner eine Gewichtsverschiebung vom Inhalt zur Form versöhnter Verhältnisse im Hinblick auf eine durch Kunst vermittelte „vernünftige Lebensform“1008. Während Kant und Schiller ihre ‚utopischen’ Hoffnungen entweder als Postulate praktischer Vernunft (Kant) oder als in Kunst vermittelte Antizipation humaner Lebensformen keineswegs als reale Utopie verstehen, versichert der Materialist und Anti-Metaphysiker Adorno hingegen an einer Stelle in der Ästhetischen Theorie, es bestehe durchaus „eine reale Möglichkeit von Utopie“ - nämlich darin, „daß die Erde, nach dem Stand der Produktivkräfte, jetzt, hier, unmittelbar das Paradies sein könnte“.1009 Diese Behauptung muß allerdings verwundern, da Adorno ansonsten stets darauf insistierte, daß Utopie dann zum falschen Schein werde, wenn sie als verwirklicht unterstellt oder angestrebt wird: „Das Naturschöne bleibt Allegorie dieses Jenseitigen trotz seiner Vermittlung durch die gesellschaftliche Immanenz. Wird aber diese Allegorie als der erreichte Stand von Versöhnung unterschoben, so erniedrigt sie sich zum Behelfsmittel, den unversöhnten zu verschleiern und zu rechtfertigen, in dem doch solche Schönheit möglich sei.“1010 Das hinter dem ersten Zitat stehende religiöse Motiv ist unübersehbar, wie überhaupt Adornos Philosophie von religiösen Motiven unterschwellig angetrieben, eine gewisse „Erlösungssehnsucht“1011 an den Stellen seiner Schriften festzustellen ist, an denen Adorno aus den Aporien seiner Kultur-, 1007 1008 1009 1010 1011 Friedrich Schiller: Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte, in: Schillers Werke (Nationalausgabe), Weimar 1943ff, Bd. 17, 359-376. Vgl. hierzu A. Gethmann-Siefert: Einführung in die Ästhetik, 182f. Theodor W. Adorno: Ästhetische Theorie, 56 (Hervorhebungen von K.B.). Theodor W. Adorno: Ästhetische Theorie, 108. So die Überschrift zu einem Abschnitt über Adornos Ästhetische Theorie in dem Buch von Gerhard Plumpe: Ästhetische Kommunikation der Moderne, Band 2: Von Nietzsche bis zur Gegenwart, Opladen 1993, 221. Plumpe stellt in seinem Kapitel zu Adorno diese Erlösungssehnsucht, seine religiösen Motive deutlich heraus. 215 Gesellschafts- und Kunstkritik herauszufinden bemüht ist.1012 Die Erlösung, die Adorno herbeisehnt, ist die Erlösung von dem von ihm diagnostizierten Identitätszwang aller Kultur, der alles Besondere der Verallgemeinerungstendenz des rationalen Denkens aufopfere und eine Harmonie des Menschen mit seinesgleichen und der Natur verhindere. Wie stark religiös dieses Erlösungsmotiv in Adornos Denken wirkt, zeigt sich beispielsweise in dem Aphorismus „Zum Ende“ in den Minima Moralia. Hier spricht Adorno wörtlich von dem „Messianischen Lichte“, das einst auf die entfremdete Welt fallen werde: „Zum Ende. - Philosophie, wie sie im Angesicht der Verzweiflung einzig noch zu verantworten ist, wäre der Versuch, alle Dinge so zu betrachten, wie sie vom Standpunkt der Erlösung aus sich darstellten. Erkenntnis hat kein Licht, als das von der Erlösung her auf die Welt scheint: alles andere erschöpft sich in der Nachkonstruktion und bleibt ein Stück Technik. Perspektiven müßten hergestellt werden, in denen die Welt ähnlich sich versetzt, verfremdet, ihre Risse und Schründe offenbart, wie sie einmal als bedürftig und entstellt im Messianischen Lichte daliegen wird.“1013 An dieser Stelle drängt sich die Frage auf, wie es zu diesem Pessimismus und zu dieser Erlösungssehnsucht kommen konnte. Adornos Philosophie mündet bekanntlich nach dem Geschichtsoptimismus der frühen Kritischen Theorie und nach der pessimistisch gefärbten Dialektik der Aufklärung in eine Sphäre auswegloser Negativität1014. Hatte Hegel Kultur in ihrer Gesamtheit im Medium begrifflichen Denkens positiv fassen und beschreiben können, so glaubt Adorno diese Gedankenfigur ins Negative wenden zu müssen. Die natürliche und kulturelle Wirklichkeit, die von Hegel als vernünftige Wirklichkeit begriffen werden kann, gilt Adorno als „falsche Totalität“, als „Verblendungszusammenhang“, der geschichtlich durch den Zwang des „identifizierenden Denkens“ der „instrumentellen Vernunft“ entstanden ist. Kultur erscheint in dieser Perspektive als Geschichte der Beherrschung und 1012 1013 1014 216 Hartmut Scheible stellt ebenfalls die Vermittlung der „religiösen Motive mit Adornos Denken“ heraus. „Gerade weil sie kaum jemals eingestanden werden, ist es um so notwendiger, sie in ihrer ganzen Bedeutung zu benennen“. H. Scheible: Wahrheit und Subjekt. Ästhetik im bürgerlichen Zeitalter, Reinbek 1988, 483. Theodor W. Adorno: Minima Moralia, Aphorismus 153: „Zum Ende“, in: Gesammelte Schriften, Bd. 4, Darmstadt 1997, S. 283. Theodor W. Adorno: Negative Dialektik, in: Gesammelte Schriften, Bd. 6, 7-412. - Zur Erläuterung dieser für Adornos Denken signifikanten Schrift vgl. die instruktiven Erläuterungen von Dieter Birnbacher: Theodor W. Adorno: Negative Dialektik (1966), in: Interpretationen. Hauptwerke der Philosophie des 20. Jahrhunderts, Stuttgart 1992, 335-361. Unterjochung äußerer und innerer Natur des Menschen durch den Menschen selbst. Innerhalb der Kultur ist der Mensch von der Fülle der Möglichkeiten seines Menschseins entfremdet; alles zuerst vom Naturzwang Befreiende verdinglicht sich im Moment seiner Etablierung wiederum zu einem nun kulturellen Zwang. Aus der Immanenz dieser „falschen Totalität“ der Kultur als Entfremdungszusammenhang gibt es für Adorno kein Entrinnen. Nur noch die Kunst verspricht, eine Dimension nicht-entfremdeten Lebens anzuzeigen und als Utopie offenzuhalten. Kunst, die bei Hegel in der Immanenz vernünftiger Wirklichkeit aufgehoben ist, muß nach Adorno der Immanenz der „falschen Totalität“ eine Sphäre der Transzendenz eröffnen, um die entfremdete Gesellschaft und Kultur von außen zu kritisieren. Dies ist allerdings nur dann möglich, wenn Kunst ein gesellschaftskritisches Potential gewinnen kann, das nicht durch den Identitätszwang der Kultur gleich wieder neutralisiert wird. Adorno sieht als letzte Möglichkeit, der Realität einen Spiegel ihrer Entfremdung vorzuhalten, nur den Rückgriff auf das Naturschöne und auf die von Hegel abgelehnte Nachahmung der Natur. Das Schöne der Natur ist ein Schönes, das der Mensch nicht hergestellt hat und auch nicht von ihm beherrscht wird. Dem Naturschönen als Residuum nichtentfremdeter Realität wird somit ein größerer Kredit eingeräumt als dem Kunstschönen, weil Kunst Teil der Kultur als Entfremdungszusammenhang zu sein scheint. Nur in der ästhetischen Erfahrung von Natur bzw. Naturschönem kann das Kontinuum gesellschaftlicher Herrschaft durchbrochen werden. Die Nachahmung der Naturschönheit ist nicht kopierende Wiedergabe von Naturphänomenen, sondern Nachahmung von etwas Unbeherrschtem, Nicht-Hergestelltem, von etwas, das nicht in den „Verblendungszusammenhang“ der „falschen Totalität“ eingegliedert ist.1015 Adornos „Mimesis“ ist demnach Nachahmung einer schönen Natur, die als von aller Geschichte, von allem menschlichen Handeln entzogene, demnach noch nicht „verblendete“ Realität gedacht wird. Diese Dimension nichtentfremdeter Realität kann aber nur als negative Utopie, als das „ganz Andere“ der geschichtlichen Kultur, als „Licht“ der „Erlösung“ zumindest von außen einen schwachen Funken der Hoffnung in die geschlossene 1015 A. Gethmann-Siefert hat hierfür die Formulierung „Nachahmung eines Unnachahmlichen“ gefunden, in: dies.: Einführung in die Ästhetik, München 1995, 237. 217 Totalität der sozialen Realität einfallen lassen und wirksam werden1016, damit die gesellschaftliche Kritik zumindest offen halten. Im Gegensatz zu Kant, der Natur unterderhand unhistorisch deutete, faßt Adorno Natur historisch auf. Wie bei Hegel ist auch bei Adorno Natur durch den historischen Prozeß vermittelt.1017 Auch Kulturlandschaft ist von dieser geschichtlichen Vermitteltheit betroffen, hat sich ihr doch „Geschichte als ihr Ausdruck, historische Kontinuität als Form sich eingeprägt“1018. Die gegenwärtige totale Vermitteltheit von Natur und Naturschönem führt letztlich dazu, daß das Naturschöne „in seine Fratze über[geht]“1019 - Adorno bringt als Beispiel das vermeintlich schöne Mädchengesicht, das aber nur die durch die Filmindustrie vermittelten Schönheitsstandards eines umschwärmten Filmstars nachahmt. Dann aber stellt sich die Frage, wie das Naturschöne ungeachtet seiner Vermitteltheit, etwas Unvermitteltes erfahren lassen können soll. Um das unterschwellig religiöse Vokabular Adornos einmal provokativ fortzuführen, ließe sich antworten: Das Unvermittelte kann nur wie ‚aus heiterem Himmel’ in die vermittelte Welt eines Naturbetrachters hereinbrechen. Adorno bemüht die Metapher des „Blitzes“, der ja auch vom Himmel hereinbricht und ebenso schnell wieder verschwindet. Niemand käme auf die Idee, den Blitz dingfest machen zu wollen: „Wie in Musik blitzt, was schön ist, an der Natur auf, um sogleich zu verschwinden vor dem Versuch, es dingfest zu machen. Kunst ahmt nicht Natur nach, auch nicht einzelnes Naturschönes, doch das Naturschöne an sich.“1020 Diese plötzliche Erfahrung schöner Natur ist nicht nur überraschend, sie bleibt rätselhaft, ist auch nicht in Worte zu fassen, weswegen es am besten ist, ihr gegenüber zu schweigen: „erscheinende Schönheit will Schweigen“1021. Obwohl eigentlich nicht über das Erfahrene gesprochen werden kann - eins 1016 1017 1018 1019 1020 1021 218 Erinnert sei an den bereits erwähnten Aphorismus „Zum Ende“, in dem Adorno von einem „Messianischen Lichte“ spricht. Adorno sagt, Natur und Kunst seien „aufeinander verwiesen: Natur auf die Erfahrung einer vermittelten, vergegenständlichten Welt, das Kunstwerk auf Natur, den vermittelten Statthalter von Unmittelbarkeit“ (Theodor W. Adorno: Ästhetische Theorie, 98). Theodor W. Adorno: Ästhetische Theorie, 101. Theodor W. Adorno: Ästhetische Theorie, 106. Theodor W. Adorno: Ästhetische Theorie, 113. Theodor W. Adorno: Ästhetische Theorie, 108. steht für Adorno immerhin fest: Dem Naturschönen „gliche das Versöhnte“1022. Ungeachtet der Einsicht in die totale Vermitteltheit des Naturschönen, etwa der Landschaft, ist diese für Adorno eine „Verheißung“ auf Versöhnung: „Keine Kritik der Naturteleologie kann fortschaffen, daß südliche Länder wolkenlose Tage kennen, die sind, als ob sie darauf warteten, wahrgenommen zu werden. Indem sie so strahlend unverstört zum Ende sich neigen, wie sie begannen, geht von ihnen aus, nicht sei alles verloren, alles könne gut werden.“1023 Wieder taucht das idyllische Motiv eines „alles könne gut werden“ auf, so als ob diese postkartenkitschige Erfahrung sich nicht unzähligen historischen Vermittlungen verdankte. Die Kunst kann nur dann einen Einbruch der Transzendenz in die Immanenz der Kultur erreichen, wenn sie wie die Erfahrung des Naturschönen eine blitzartige Erfahrung vermittelt. Adorno behauptet daher, „prototypisch“ für Kunstwerke sei „das Phänomen des Feuerwerks“. Kunstwerke sind gleichsam „Himmelszeichen und hergestellt in eins, Menetekel, aufblitzende und vergehende Schrift, die doch nicht ihrer Bedeutung nach sich lesen läßt“1024. Wie die Erfahrung des Naturschönen bleibt auch die der Kunst rätselhaft. Natur- und Kunstschönes stimmen in ihrem unauflösbaren Rätselcharakter überein. Kunst als Nachahmung des Naturschönen an sich hüllt sich wie das Naturschöne in Schweigen, Kunstwerke sind „hyroglyphenhafte“ Schriften, „zu denen der Code verloren ward“1025. Erst „durch alle Vermittlungen hindurch“1026, letztlich durch Philosophie, kann, wenn überhaupt, das Rätselhafte der Kunst enträtselt werden. Letztlich kommt Adorno somit dort an, von wo aus Hegel in seiner Ästhetik mit der Konzeption der symbolischen Kunstform aufbrach: bei einem Natur- und Kunstvollzug, dem Natur wie Kunst als Rätselhaftes erscheinen. Adornos Versuch, das Naturschöne als utopische Dimension vorkultureller, nicht-entfremdeter, nicht dem begrifflichen Denken ausgesetzter Verhältnisse ins Spiel zu bringen, setzt dann doch eher auf die 1022 1023 1024 1025 1026 Theodor W. Adorno: Ästhetische Theorie, 115. Theodor W. Adorno: Ästhetische Theorie, 114. Theodor W. Adorno: Ästhetische Theorie, 125. Theodor W. Adorno: Ästhetische Theorie, 189. Theodor W. Adorno: Ästhetische Theorie, 189. 219 Kunst (als Nachahmung des Naturschönen an sich) und mündet in Philosophie, um das Rätselhafte zu enträtseln. Adorno kann aber keinen überzeugenden Grund für seine Hoffnung auf Versöhnung angeben. Darin liegt ein entscheidender Mangel von Adornos Philosophie.1027 Die Positionen beispielsweise der Aufklärungsästhetik und insbesondere Kants, die dem Naturschönen eine vorrangige Bedeutung zuschrieben, konnten sich begründungstheoretisch auf Gott berufen, der das Naturschöne als dem Menschlichen und dem Kunstschönen vorgängige Instanz legitimierte. Fällt aber diese theologische Begründungsinstanz weg, dann ist nicht ersichtlich, warum das Naturschöne, das nur durch den bewußten Zugriff handelnder und erkennender Menschen überhaupt als Naturschönes thematisiert werden kann, damit letztlich ein Vollzogenes ist, einen ausgezeichneten Status beanspruchen und als Berufungsinstanz für eine ‚bessere‘ Welt harmonischer Verhältnisse gelten können soll. Adornos Hoffnung auf Erlösung, darauf, „daß die Erde, nach dem Stand der Produktivkräfte, jetzt, hier, unmittelbar das Paradies sein könnte“1028, scheint seine Antwort auf Kants Frage „Was dürfen wir hoffen?“ zu sein. Eine weitere Parallele zu Kant ergibt sich dann, wenn man einen kurzen, aber vielleicht wiederum entlarvenden Blick auf einige skizzenhafte Bemerkungen Adornos zur Moralphilosophie beachtet, die gleichsam das religiöse Motiv der Erlösung auf das transzendentalphilosophische Modell einer „regulativen Idee“ zurückstutzen und damit wiederum - wie schon mit der unterderhand doch bedeutsameren Kunst gegenüber dem Naturschönen und damit analog zu Hegel - einer Denkfigur des sogenannten „deutschen Idealismus“ nahekommt, den er ansonsten (mit fast religiöser Inbrunst) verteufelte. Adorno hat nämlich, wenn auch nur an wenigen Stellen, seine Fluchtburg „negativer Dialektik“ verlassen. Obwohl es für ihn „kein richtiges Leben im falschen“1029 gab, d.h. kein wahrhaft freies individuelles Handeln in der von ihm diagnostizierten „unversöhnten“ Welt und vorerst nur der ‚Rückzug ins Private‘ blieb - gewissermaßen eine unverbindliche ‚Lebenskunst‘ -, ist Adorno zugleich ein Beispiel für die mögliche Gegenposition und die 1027 1028 1029 220 Vgl. hierzu Annemarie Gethmann-Siefert: Hegels Begriff des Kunstschönen, in: der blaue reiter. Journal für Philosophie, Nr. 12 (2/00), 48-51. Theodor W. Adorno: Ästhetische Theorie, 56 (Hervorhebungen von K.B.). Theodor W. Adorno: Minima Moralia, 18. Relativierung dieser schier hoffnungslos anmutenden Diagnose. In einer Vorlesung von 1956/57 zur Moralphilosophie schlägt er selbst vor, man müsse sein eigenes Leben als steten Versuch gestalten, „wie man in einer befreiten Welt glaubt leben zu sollen, gleichsam durch die Form der eigenen Existenz, mit all den unvermeidbaren Widersprüchen und Konflikten, die das nach sich zieht, versuchen, die eigene Existenzform vorwegzunehmen, die die eigentlich richtige wäre“1030. Fazit Adornos Verständnis von Gesellschaft und Geschichte, das eine ausweglose Entfremdung des Menschen von sich selbst und der Natur diagnostiziert, die in einen totalen „Verblendungszusammenhang“ führt, sieht als letzte, noch nicht der Verdinglichung, Verblendung und Entfremdung ausgesetzte Instanz möglicher Gesellschaftskritik nur ein von jedem handelnden und gestaltenden Zugriff des Menschen enthobenes und in der Kunst dargestelltes Schönes, nämlich das Naturschöne. Diese Dimension nicht-entfremdeter Realität kann Adorno aber nur als das „ganz Andere“ der geschichtlichen Kultur konzipieren, er muß einen Standpunkt außerhalb der bestehenden Kultur und Geschichte einnehmen, um von dort aus das Bestehende im Lichte dieses utopischen Gegenbildes zur bestehenden Realität zu kritisieren. Dieser Standpunkt ist allerdings nur unter Zuhilfenahme religiöser Metaphern einzunehmen, den Adorno daher auch nur beschwören, nicht begründen kann. Adorno verkennt mit seiner Befürchtung, Kunst könne zum falschen Schein, d.h. zur Verschleierung ihres Scheincharakters, damit zu einer Ideologie schöner Versprechungen auf eine bessere Welt degenerieren, die als dargestellte - als realisierte mißdeutet wird, die Möglichkeiten der Kunst. Insbesondere Hegels These vom „Vergangenheitscharakter der Kunst ihrer höchsten Möglichkeit nach“ - die sog. „These vom Ende der Kunst“ - und die mit ihr verknüpfte Differenzierung und Pluralisierung möglicher Veranschaulichungen verschiedenster Weltanschauungsweisen eröffnet eine geeignetere Ausgangsbasis für eine gesellschaftskritische Funktion der Kunst 1030 Theodor W. Adorno: Probleme der Moralphilosophie, Vorlesung 1956/57 an der Universität Frankfurt/Main, hier: Vorlesung v. 28.02.1957, Typoskript im Adorno-Archiv, zit. n. Gerhard Schweppenhäuser, Ethik nach Auschwitz. Adornos negative Moralphilosophie, Hamburg 1993, 192. 221 als dies bei Adorno der Fall ist. Denn wenn die Kunst nur noch partiale Bedeutung für die Kultur hat, dann kann sie durch ihre Pluralität die Aufgabe einer nicht inhaltlichen und ideologieanfälligen, sondern „formellen Bildung“1031 übernehmen. Kunst ist nicht mehr die einzige kulturelle Orientierungsmacht, denn als eine solche „überlebt [sie] sich selbst“1032. Kunst veranschaulicht unter den modernen Vernunftbedingungen mannigfaltige, potentiell geglückte oder mißlungene Lebensformen sowie „Weltanschauungsvorschläge“1033, die im Zeitalter der reflexiven Vernunft zur Wahl gestellt sind und damit zugleich auf ihre Akzeptanz geprüft werden müssen. Es geht zwar um Inhalte, die aber keinen verbindlichen Anspruch erheben können, sondern lediglich Vorschlagscharakter haben. Jene Prüfung erfordert Reflexionsfähigkeit, weswegen moderne Kunst diese Fähigkeit weckt und befördert. Reflexionskompetenz ist die zwar nicht hinreichende, aber notwendige Bedingung für kultur- und gesellschaftskritisches Denken. Damit hält Kunst durchaus die Gesellschaftskritik offen, und zwar ohne rätselhaften blitzartigen Einbruch eines „Versöhnung“ verheißenden Naturschönen, der im Kunstwerk nachgeahmt werden soll. Der „neue Heilige der Kunst“, der „humanus“, den Hegel wie Schiller in ihrer Auseinandersetzung mit Idyllenkonzeptionen als Ziel aller kulturellen Anstrengungen im Blick haben, ist der Bürger der gegenwärtigen modernen Welt. In dieser modernen Welt genügt eine Berufung auf eine transzendente, der gesellschaftlichen und kulturellen Immanenz jenseitige Instanz der Verheißung menschlichen Glücks nicht der „vernunftfordernden Vernunft“. Auch ist ihm die Kunst nicht in vermeintlicher „Autonomie“1034 ein neues Heiliges, das in Museen und Ausstellungsräumen verehrt wird. Die Kunst verschafft dem modernen Bürger statt dessen eine Vielzahl unterschiedlicher, anschaulich vermittelter Selbst- und Welterfahrungsmöglichkeiten. Diese Vielfalt provoziert die Erfahrung alternativer Möglichkeiten der Selbst- und Welterfahrung neben der bekannten Realitätserfahrung und damit zur Kritik im Wortursprung von Unterscheidungsfähigkeit. Dem „humanus“ ist in der Kunst ein Kaleidoskop anschaulich vermittelter Weltanschauungen und 1031 1032 1033 1034 222 Vgl. hierzu J.I. Kwon: Hegels Bestimmung der Kunst, Kap. 4.2, 4.3 und 5. Libelt 1828/29, Ms. 31. A. Gethmann-Siefert: Einführung in Hegels Ästhetik, 358. Theodor W. Adorno: Ästhetische Theorie, 9. Handlungsorientierungen gegeben. Die Kunstrezeption ist dabei nicht mit einer aufklärerischen Bildungsidealen verpflichteten Bildung durch Kunst gleichzusetzen, sondern Hegel verknüpft den Bildungsgedanken im Sinne einer „formellen Bildung“ mit dem Konzept des „ästhetischen Genusses“.1035 Das heißt, „Kunst bietet Genuß, stimuliert im Genuß aber zugleich zur kritischen Reflexion. (…) Ausgerechnet die in der Gegenwartsdiskussion verpönte Haltung des Genusses wird als Möglichkeit einer durch Kunst vermittelten Gesellschaftskritik analysiert“1036. Denn der ästhetische Genuß von (insbesondere problematischen, weil belanglosen) Inhalten erfordert eine Distanzierung von ihnen, diese wiederum Reflexionsfähigkeit des Genießenden. Auch durch eine Anknüpfung an Hegels Charakteristik der in der niederländischen Landschaftsmalerei dargestellten Landschaft als „Symbol der Sittlichkeit“ könnte Adornos im rein Negativen verbleibende Gesellschaftskritik, die sich zudem in eine abstrakte, von der realen Welt sich abwendenden Sehnsucht nach paradiesischen Zuständen verirrt und als „Minima Moralia“ das Engagement in der Welt auf einen Rückzug ins Private reduziert, vermieden werden. Einer Berufung auf die Innerlichkeit des Subjekts setzt Hegel entgegen, diese sei „das Letzte“, denn zum Menschen gehört eine ihn „umschließende Welt“1037. Auch gegen Adorno ließe sich damit in diesem Zusammenhang Hegels Kritik an einer weltlosen Subjektivität anführen, „wo die Sehnsucht des Gemüts, die Innerlichkeit, das Letzte ist, und die selbst sich hoch Wissenden nur nach dem Himmel sehen und alles Erdenwesen verschmähen, sich darüber erheben“1038. Adornos Sehnsucht nach dem Paradies auf Erden ähnelt insofern der von Otto Pöggeler in Anlehnung an Hegel als „unversöhnte Subjektivität“1039 bezeichneten Welteinstellung. Dem setzt Hegel entgegen, der Mensch müsse sich in der 1035 1036 1037 1038 1039 A. Gethmann-Siefert: Hegel über Kunst und Alltäglichkeit. Zur Rehabilitierung des ästhetischen Genusses. In: Kulturpolitik und Kunstgeschichte. Perspektiven der Hegelschen Ästhetik. Sonderheft des Jahrgangs 2005 der Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft. Hrsg. von Ursula Franke und Annemarie Gethmann-Siefert, Hamburg 2005, 37-63, insbes. 62. A. Gethmann-Siefert: Hegel über Kunst und Alltäglichkeit. Zur Rehabilitierung des ästhetischen Genusses, 62. Hotho 1823, 105. Hotho 1823, 105. O. Pöggeler, Hegels Kritik der Romantik, 43. 223 Welt „heimisch (…) finden“1040, damit „zwischen der Subjektivität und ihrer Welt (…) eine wesentliche Zusammenstimmung vorwalte“1041. Genau diese ‚versöhnte’ Welteinstellung bzw. Weltanschauung zeigt sich in den von Hegel gelobten Bildern der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts. Ihre im Bild dargestellten Landschaften sind ihre der Natur abgerungenen Landschaften, sie symbolisieren ein spezifisches MenschNatur-Verhältnis - sie sind „Symbol der Sittlichkeit“ eines Volkes im gemeinsamen Kampf gegen die Unbilden der Natur und im gemeinsamen Erschaffen einer kulturellen Welt. Demgemäß haben die Niederländer „das Ihrige zum Zweck ihrer Darstellung gemacht, ihre Freude davon gehabt, [ein] Frohsinn, der aus dem Selbstgefühl, es sich verschafft zu haben, hervorgeht“.1042 Mit diesem „Frohsinn“ ist zugleich ein reflektierter Genuß angesprochen, der über die Grenzen bloßer Subjektivität hinausweist, da nicht nur individuelle Behaglichkeit und Gemütlichkeit, sondern die Behaglichkeit von Bauern und Bürgern symbolisiert wird, die aus der gesamten Geschichte und Kultur eines Volkes und dessen Naturverhältnis und Weltanschauung resultieren. Diese historisch spezifische, in den schönen Bildern der Niederländer vermittelte und aufscheinende Weltanschauung wie -gestaltung hat „für uns“, in unserer Zeit und Kultur eine nur partiale Bedeutung. Das heißt, der symbolische Gehalt dieser Bilder erschließt sich nicht automatisch, sondern muß durch philosophische Reflexion ermittelt werden. Die symbolisch vermittelte, uns fremde Weltanschauung bleibt dadurch eine Weltanschauungsmöglichkeit neben anderen, ein Vorschlag, der nicht zur Übernahme nötigt, sondern die Empfänglichkeit für fremde Kulturen und deren Weltsicht fördert. Kunst im Rahmen einer solchen „formellen Bildung“, die nicht Inhalte nachahmen oder übernehmen, sondern Inhalte als Möglichkeiten der Weltanschauung und Handlungsorientierung zur Reflexion und kritischen Prüfung stellen will, befähigt damit zur Relativierung der eigenen sozialen, historischen und kulturellen Situation und damit zur Kulturund Gesellschaftskritik. Adornos „negative Dialektik“, seine Sehnsucht nach einem erlösenden Einbruch versöhnender Transzendenz in die Immanenz der 1040 1041 1042 224 Hotho 1823, 105. Hotho 1823, 106. Libelt 1828/29, Ms. 59. unversöhnten Welt mittels der Nachahmung des Naturschönen in der Kunst sowie sein Rückzug in eine „Minima Moralia“ erscheinen vor dem umfassenden Ansatz der Hegelschen Ästhetik obsolet und durch diesen ersetzbar. 225 6 Rückblick: Hegel vs. Hotho - oder die Kontroverse um die systematische Bedeutung des Naturschönen Die wirkungsgeschichtlich bedeutsame, von H.G. Hotho edierte und publizierte Druckfassung der Ästhetik hat ein bestimmtes Bild von Hegels Ästhetik im allgemeinen, von der Rolle des Naturschönen im besonderen hinterlassen. Für Generationen von Hegelforschern war und ist irritierend, daß Hegel das Naturschöne zuerst kategorisch aus seiner Ästhetik ausschließt, um es dann doch in einem ausführlichen Kapitel eigens zu erörtern. Die vorliegende Arbeit hat zeigen können, daß ein anderer Eindruck entsteht, wenn man sich auf die inzwischen publizierten Nachschriften zu Hegels Ästhetikvorlesungen stützt. Diese vermitteln eine differenzierte Diskussion des Naturschönen mit dem Sinn, den ästhetischen Naturvollzug in seiner Verschiedenartigkeit zu analysieren und in seiner kulturellen Bedeutung zu gewichten. Hegel geht nicht davon aus, daß das Naturschöne ein objektiv gegebenes Naturphänomen oder eine objektiv gegebene Eigenschaft von Naturdingen sei, sondern es ist Ergebnis eines produktiven Naturvollzuges, der je nach Voraussetzung - d.h. den kulturellen Rahmenbedingungen und den individuellen Präferenzen des Natur Vollziehenden - zu verschiedenartigen Phänomenen führt. Hotho geht in der Ästhetik von einer systematischen Grundlage der Philosophie der Kunst und der Bedeutung des Naturschönen aus, die von Hegels in der Enzyklopädie entfalteten und in den Ästhetikvorlesungen vorausgesetzten und am geschichtlich gegebenen Phänomen überprüften eigenen Systematik grundsätzlich verschieden ist. Diese andersartige systematische Grundlage führt zu einer anderen Gewichtung des Naturschönen und hat - vermittelt über ihre Integration in die Ästhetik und die entsprechende Rezeption schon durch Hothos Zeitgenossen - zu zahlreichen Mißverständnissen in der unmittelbaren Rezeption bei den Hegelianern1043, 1043 226 Dieser Spur folgt F. Iannelli neben ihrer Untersuchung der Hegelschen Bestimmung des Häßlichen ausführlich in ihrer Dissertation Das Siegel der Moderne, insbes. In Kap. 4. „Die Rezeption der Ästhetik und der Streit um die Bedeutung des Häßlichen bei den Hegelianern“. aber auch bis in unsere jüngere Vergangenheit1044 und noch in die aktuelle Rezeption und Diskussion hinein geführt. Die Differenz in der systematischen Grundlage und der daraus resultierenden Gewichtung und Ausführlichkeit der Thematisierung des Naturschönen in der Ästhetik einerseits und in den Ästhetikvorlesungen andererseits läßt sich gut und eindeutig an den Quellen zu Hothos Ästhetikvorlesungen von 18331045 demonstrieren, die gleichsam das „missing link“ zwischen Hegels Ästhetikvorlesungen und der Druckfassung der Ästhetik darstellen. Aus der Kenntnis dieser Quelle und aus dem Vergleich derselben mit Hegels Ästhetikvorlesungen und der Ästhetik lassen sich Hothos Einschübe in die Druckfassung als dessen eigene Systematik, die er parallel in seinen Ästhetikvorlesungen entwickelt, identifizieren. Hotho baut in die ihm in den Mitschriften überlieferten und vorliegenden Überlegungen Hegels nachträglich eine Begriffs-Systematik ein, die sichtlich Hegels eigene in der Enzyklopädie überlieferte Systematik zu einem „Schematismus der Triplizität“1046 verfremdet und dadurch zu einer anderen Einordnung, Gewichtung und Konzeption des „Naturschönen“ führen muß. Hothos Ästhetikvorlesung des Jahres 1833 ist in drei Teile gegliedert. Der erste Teil ist dem „Begriff des Schönen“ gewidmet, der zweite Teil lautet „Das Naturschöne“, der dritte „Das Kunstschöne“. In der „Einleitung“ versucht Hotho, das Kunstschöne eigens systematisch abzuleiten, „weil das Kunstschöne als das Totale, Höchste nur als das Resultat früherer Stadien auftreten kann“.1047 Die Kunstschönheit sei eine „solche Totalität“, die durch „Vermittlung“ von zwei „abstrakten unterschiedenen Seiten entstanden ist“: Die eine Seite sei „das Schöne, seinem reinen Begriff nach“, die andere Seite 1044 1045 1046 1047 Beispielsweise behauptet der italienische Philosoph Benedetto Croce in seinem auch in Deutschland viel rezipierten Buch Estetica, daß „die berühmteste (…) Abhandlung“ über das Naturschöne von F. Th. Vischer stamme, der den „Spuren Hegels folgend“ einen Abschnitt seiner Ästhetik dem Naturschönen gewidmet hat. Vgl. Benedetto Croce: Ästhetik als Wissenschaft des Ausdrucks und allgemeine Linguistik. Leipzig 1905, 331. Diese Ästhetikvorlesungen sind inzwischen publiziert auf der Basis einer Mitschrift von Immanuel Hegel in: H. G. Hotho: Vorlesungen über Ästhetik oder Philosophie des Schönen und der Kunst. Berlin 1833. Nachgeschrieben und durchgearbeitet von Immanuel Hegel. Hrsg. und eingeleitet von B. Collenberg-Plotnikov, Stuttgart-Bad Cannstatt 2004 (Spekulation und Erfahrung I,8) [im Folgenden zit.: Immanuel Hegel 1833] sowie einigen Notizen von F. Th. Vischer in: Hotho [Nach Notizen von Friedrich Theodor Vischer zu Aesthetick.Vorlesungen gehalten von Heinrich Gustav Hotho in Berlin seit Sommersemester 1833]. In: Hegel-Studien, Bd. 37, 11-28. Hrsg. von Francesca Iannelli, Hamburg 2004. Eine Edition dieser Notizen findet sich auch im Anhang von F. Iannelli: Das Siegel der Moderne, 306-323 [im Folgenden zit.: Vischer 1833]. Vgl. Lu De Vos: Von der spekulativen Logik des Ideals zu Hothos Schematismus der Triplizität. Immanuel Hegel 1833, 22. 227 das „unmittelbare, nur äußerlich vorhandene Schöne, das noch nicht vom Bewußten reproduziert ist, das Naturschöne“.1048 Das „reine Prinzip des Schönen“ ordnet er der „metaphysische[n] Logik“ zu.1049 Das Naturschöne betrachtet er als das „unmittelbare, reale Dasein“ des Schönen und ordnet es einer „Lehre von dem objektiv Schönen“ zu, „weil das Schöne [dort] nur objektiv ist“.1050 Erst „aus dieser unmittelbaren Objektivität stellt sich die Idee des Schönen her“, die sich dadurch auszeichnet, daß sie die „zwei ersten Stufen“ in sich vereinigt1051, und zwar als Ergebnis einer „Selbstvermittlung“1052. Es ergibt sich also eine begriffliche Konstruktion über den „Dreischritt“ von Logik (Metaphysik), Naturschönheit (Objektivierung) und Kunstschönheit (Selbstvermittlung). In der Ästhetik umreißt „Hegel“ das Programm des Ersten Teils „Die Idee des Kunstschönen oder das Ideal“ in wenigen Sätzen. Es gilt, drei Stufen zu durchlaufen, um „zur Idee des Kunstschönen ihrer Totalität nach zu gelangen“: Die erste Stufe beschäftigt sich demnach mit „dem Begriff des Schönen überhaupt; die zweite mit dem Naturschönen (…) die dritte Stufe hat das Ideal in seiner Verwirklichung als die Kunstdarstellung desselben im Kunstwerke zum Gegenstande der Betrachtung“.1053 Diese Systematik entspricht nun genau derjenigen in Hothos Ästhetikvorlesung des Jahres 1833, mit dem Unterschied, daß Hotho sie in der Druckfassung in den ersten Teil über das Kunstschöne integriert und diesen seinerseits in eine Systematik mit drei Teilen, erstens über das Kunstschöne, zweitens über die Kunstformen, drittens über das System der Künste. Die beiden letzten Teile sind in Hothos eigener Ästhetikvorlesung in das Kapitel über das Kunstschöne integriert. Hotho baut sein dreistufiges System auf der „Idee des Schönen“ auf, die er in vermeintlicher Anlehnung an Hegels Logik als absolute Idee auffaßt1054, die sich dann in die Natur zu entäußern und in der Kunst zu sich zurückzufinden hat. 1048 1049 1050 1051 1052 1053 1054 228 Immanuel Hegel 1833, 22. Immanuel Hegel 1833, 22. Immanuel Hegel 1833, 23. Immanuel Hegel 1833, 23. Immanuel Hegel 1833, 22. Ä I, 144. „Der Zweck der Kunstschönheit: (…) Wir sahen, daß sie die höchste Stufe der ersten Gestaltung der absoluten Idee sei“ (Immanuel Hegel 1833, 70). Vgl. hierzu auch Lu De Vos: Von der spekulativen Logik des Ideals zu Hothos Schematismus der Triplizität, 193. Das hat erstens zur Konsequenz, daß die Idee des Schönen als abstrakte, mit der Wirklichkeit unvermittelte Idee, das Schöne als Gattung mit den beiden Unterarten Naturschönheit und Kunstschönheit konzipiert wird. Hegel hingegen faßt die Idee des Schönen als Ideal, d.h. als spezifische Form der Vermittlung der (Vernunft-)Idee mit der Wirklichkeit. Das Schöne kommt bei Hegel nicht losgelöst von seiner Wirklichkeit vor, sondern es ist von vornherein Ideal bzw. Kunstwerk. Natur- wie Kunstschönes sind nicht Unterarten einer höheren Gattung „Idee des Schönen“, sondern Produkte spezifischer Naturvollzüge, wobei das Kunstschöne als das eigens für einen ästhetischen Vollzug gestaltete Werk eher und ‚unmittelbarer’ als Handlungsbzw. Vollzugsresultat rekonstruiert werden kann als das Naturschöne - dieses macht es daher dem „Geiste saurer“, sich als den zugrundeliegenden Vollzug zu erkennen. Der häufig an die Adresse Hegels gerichtete Vorwurf des Platonismus oder ästhetischen Platonismus der Idee des Schönen ist fehladressiert, da nicht Hegel, sondern sein Schüler Hotho dieses platonistische Mißverständnis in die Ästhetik integriert hat.1055 Zweitens führt dieser unterschwellige, in die Ästhetik integrierte Platonismus Hothos zu dem immer wieder erhobenen Vorwurf der Kritiker, „Hegel“ habe das Naturschöne gegenüber dem Kunstschönen abgewertet, es in seinem „System“ der Entwicklung der Idee auf ihrem Weg zum „Geist“ aufgeopfert. Im real-ontologischen Denkrahmen eines Platonismus und seiner Varianten in der Philosophiegeschichte wäre eine solche Abwertung konsequent. Die „Idee“ muß „teilhaben“1056 an der Wirklichkeit oder in die geistlose Materie ausstrahlen (Plotins Emanationslehre). Mit Hotho: „Das Natürliche, als nur totes, ist nicht schön: Das Materielle an sich sei nicht schön, sagt schon Plotin, der Neuplatoniker, in seinem Buch De pulchritudine; denn es ist der ideell vermittelnden Idee gerade entgegengesetzt. Wodurch werden dann Naturgegenstände schön? Plotin sagt: ‚Wenn wir in dem Materiellen etwas sehen, was vom lógos, eidos herkömmt, dann ist es schön.’ In dem Materiellen müssen Bestimmungen der Idee erscheinen, die ganz in Eins mit den Gegenständen verwebt sind, so daß diese von ihnen bezwungen erscheinen und keinen Widerstand ihnen leisten. Daher werden die Naturgegenstände nur dadurch schön sein, daß ganz vereinzelte Qualitäten mit 1055 1056 Vgl. in vorliegender Arbeit Kap. 3.1 „Die Idee der Schönheit“. In der Forschungsliteratur zu Platon wird dieses Problem unter den Stichworten „chorismos“ (Getrenntsein)-, „methexis“ (Teilhaben)-, „parusia“ (Anwesendsein)- und „koinonia“ (Zusammensein)-Problem von Dingen und Ideen diskutiert. Vgl. insb. G. Martin: Platons Ideenlehre, Berlin 1972. 229 ganz vereinzelten Bestimmungen der Idee des Schönen sich zu schön[en] Gegenständen vereinigen. [Dies ist] also eine ganz abstrakte Schönheit. – Es sind danach zwei Stufen zu unterscheiden: das Materielle und die Bestimmungen der Idee; durch deren Vereinigung tritt erst das Schöne 1057 hervor“. In dieser Denktradition kann Natur oder das Naturschöne nur defizienter Modus einer „Idee“ sein. Auch hier gilt: Der Vorwurf der Kritiker muß sich gegen Hotho richten, nicht gegen Hegel. Hegel wertet das Naturschöne nicht gegenüber den Kunstwerken ab, sondern er fügt sich mit seinem in der Enzyklopädie explizierten System der Philosophie - verstanden als Rekonstruktion der Geschichte der Entwicklung und Selbsterkenntnis des menschlichen „Geistes“ - in das umfassende Projekt einer von Kant angestoßenen Transzendentalphilosophie, die stets nach den Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung und Erkenntnis fragt. Die Natur wie das Schöne der Natur sind nur als „für uns“ Vermitteltes erfahrbar, sie sind Konstitutions„Produkte“ wissenschaftlicher oder ästhetischer Naturvollzüge, daher nur als Formen geistiger Vermittlung bestimmbar.1058 Das platonistische Mißverständnis manifestiert sich entsprechend auch in einem Mißverständnis der Rolle und Bedeutung des Naturschönen in Hegels Ästhetik oder Philosophie der Kunst. Dieses platonistische Mißverständnis ist letztlich eine objektivistische Fehldeutung des Naturschönen. Hotho faßt das Naturschöne als zweite Stufe einer Dialektik der Idee des Schönen, und zwar als Objektivierung 1059 Produktivität“ des Schönen, die sich einer „bewußtlose[n] der Idee des Schönen verdankt. Im Gegensatz zu Hegel, der in teils ausführlichen Analysen in den Ästhetikvorlesungen das Naturschöne als Konstitutionsprodukt menschlicher produktiver Naturvollzüge rekonstruiert, bestimmt Hotho das Schöne der Natur als „die noch nicht durch den Geist reproduzierte Schönheit“1060: „Das Schöne ist also als ideelle Einheit vorhanden, daher auch es nicht für sich selbst ist, es sich nicht erfassen kann: Wir haben nur bewußtlos schöne Objekte. Die Tätigkeit der Idee des Schönen ist auch nur bewußtlos; sie schafft nicht mit dem Zweck, Schönes hervorzubringen: Es ist bewußtlose Produktivität. – Durch das Entlassen der Besonderheiten der Idee des Schönen 1057 1058 1059 1060 230 Immanuel Hegel 1833, 46. Vgl. in vorliegender Arbeit Kap. 2 „Geist und Natur“. Immanuel Hegel 1833, 39. Vischer 1833, Ms. 1. werden notwendig schöne Gegenstände geschaffen. Die Art der Erscheinung derselben findet ihren bestimmten Grund in der Idee des Schönen. Andererseits aber in die Seite bloßer Objektivität entlassen, wird das Schöne zufällig. Es ist zufällig, ob die Erscheinungen der Natur wirklich der Idee des Schönen ganz entsprechen; die Hindernisse sind ganz äußerlich, relativ. Es sind unzählig viele Bedingungen dazu nötig, und andererseits sind unzählige 1061 Hindernisse möglich. Daher die Natur ebenso schön, als häßlich ist.“ Dieser Logik entsprechend ordnet Hotho das Naturschöne konsequent einer „Lehre von dem objektiv Schönen“1062 zu, statt es, wie Hegel, aus menschlichen Naturvollzügen zu rekonstruieren. Dies hat zwei weitere Konsequenzen: Erstens führt der Objektivismus des Naturschönen dazu, Naturschönheit im Sinne der traditionellen Substanz-Akzidenz-Beziehung als das Anhaften schöner oder häßlicher (nicht-schöner) Eigenschaften an natürlichen Objekten aufzufassen. Es wird also nicht durchschaut, daß Schönheit und Häßlichkeit nicht auf objektiv gegebene Phänomene und deren objektive Eigenschaften referieren, sondern diese als subjektive Leistung menschlicher Naturvollzüge rekonstruiert werden müssen. Der undurchschaute (mit Hegel) „objektive Idealismus“ dieser Naturauffassung führt bei Hotho im Ergebnis dazu - und ruft die Kritiker gegen „Hegel“ auf den Plan -, beispielsweise bestimmte Pflanzen und Tiere als schön oder häßlich zu bewerten. Es ließ sich dagegen zeigen, daß Hegel die Schönheit oder Häßlichkeit von Pflanzen und Tieren als Ergebnisse von Naturvollzügen rekonstruiert, die bestimmte Sehgewohnheiten und damit verbundene Seherwartungen voraussetzen.1063 Hothos Objektivismus des Naturschönen führt zweitens dazu, Stimmungen, die Hegel in seiner Philosophie des Geistes als Symbole für menschliche Empfindungen rekonstruiert, als Stimmungen der Natur selbst aufzufassen. Wie sich zeigt, ist Hothos ‚unterschwelliger Platonismus’ zudem dafür verantwortlich, daß er in Konsequenz dieses objektivistischen Mißverständnisses in eine modifizierte Form der traditionellen Bestimmung der Kunst als Nachahmung der Natur zurückfällt. Zusammenfassend gesagt nimmt Hotho die Fülle des Materials, der Argumente sowie gewisser systematischer Überlegungen von Hegel auf, 1061 1062 1063 Immanuel Hegel 1833, 39f. Immanuel Hegel 1833, 23. Vgl. in vorliegender Arbeit Kap. 4.2 „Betrachtung schöner Natur“, insbes. Kap. 4.2.2 „Anschauungsgewohnheiten als Grundlage der Schönheit des Natürlichen“. 231 zwingt dieses Material aber in eine jeweils neu und andersartig systematisierte Form. Während sich bei Hegel die Konzeption des Naturschönen „organisch“ an die Überlegungen zur „Lebendigkeit der Idee“ anschließt1064 und ebenso ‚zwanglos‘ zur Konzeption des Kunstschönen hinführt, bemüht Hotho sich sowohl in seiner eigenen Ästhetikvorlesung von 1833 als auch in der Druckfassung der Ästhetik um eine Systematik im Sinne eines dialektischen Dreischrittes mit den Stufen Begriff des Schönen, Naturschönes, Kunstschönes. Die immer wieder vorgetragenen Kritiken an „Hegel“ müssen nach näherer Betrachtung der editionsgeschichtlichen Zusammenhänge als Vorurteile angesehen und letztlich an den Herausgeber der Ästhetik, H.G. Hotho, zurückgespielt werden. Nimmt man umgekehrt von vornherein die Berliner Ästhetikvorlesungen Hegels als Grundlage einer Auseinandersetzung mit seiner Ästhetik oder Philosophie der Kunst, dann vermeidet man nicht nur die genannten Vorurteile und Fehlinterpretationen, sondern man gewinnt darüber hinaus neue und vielversprechende Möglichkeiten der Deutung des ästhetischen Phänomens des Naturschönen in aktuellen Diskussionen. 1064 232 A. Gethmann-Siefert: Gestalt und Wirkung von Hegels Ästhetik, CXVIII. Quellenverzeichnis 1. Schriften Hegels Ausgaben von Hegels Drucktexten und Nachlaß; Nachschriften von Hegels Vorlesungen (Zitationssigle in Klammern) Zitiert wird - so weit möglich - grundsätzlich nach den Gesammelten Werken und den Vorlesungen: Gesammelte Werke. In Verbindung mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft herausgegeben von der NordrheinWestfälischen Akademie der Wissenschaften. Hamburg 1968 ff. (zit.: GW mit Band- und Seitenzahl): Frühe Schriften I. In: Gesammelte Werke. Bd. 1. Hrsg. von Friedhelm Nicolin und Gisela Schüler. Hamburg 1989 Jenaer kritische Schriften. In: Gesammelte Werke. Bd. 4. Hrsg. von Hartmut Buchner und Otto Pöggeler. Hamburg 1968 Schriften und Entwürfe 1799-1808. In: Gesammelte Werke. Bd. 5. Hrsg. von Manfred Baum und Kurt R. Meist. Hamburg 1998 Jenaer Systementwürfe I. In: Gesammelte Werke. Bd. 6. Hrsg. von Klaus Düsing und Heinz Kimmerle. Hamburg 1975 Jenaer Systementwürfe II. In: Gesammelte Werke. Bd. 7. Hrsg. von Rolf Peter Horstmann und Johann Heinrich Trede. Hamburg 1971. Jenaer Systementwürfe III. In: Gesammelte Werke. Bd. 8. Hrsg. von Rolf Peter Horstmann unter Mitarbeit von Johann Heinrich Trede. Mit einem Beitrag „Die Chronologie der Manuskripte Hegels in den Bänden 4 bis 9“ von Heinz Kimmerle. Hamburg 1976 Phänomenologie des Geistes. In: Gesammelte Werke. Bd. 9. Hrsg. von Wolfgang Bonsiepen und Reinhard Heede. Hamburg 1980 (Studienausgabe: Neu hrsg. von H.-F. Wessel und H. Clairmont. Hamburg 1988) Wissenschaft der Logik. Erster Band: Die objektive Logik (1812/13). In: Gesammelte Werke. Bd. 11. Hrsg. von Friedrich Hogemann und Walter Jaeschke. Hamburg 1978 Wissenschaft der Logik. Zweiter Band: Die subjektive Logik (1816). In: Gesammelte Werke. Bd. 12. Hrsg. von Friedrich Hogemann und Walter Jaeschke. Hamburg 1981 233 Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (Heidelberg 1817). In: Gesammelte Werke. Bd. 13. Unter Mitarbeit von HansChristian Lucas und Udo Rameil hrsg. von W. Bonsiepen und K. Grotsch. Hamburg 2000 (zit. Enz. 1817, §§) Schriften und Entwürfe I (1817-1825). In: Gesammelte Werke. Bd. 15. Hrsg. von Friedrich Hogemann und Christoph Jamme. Hamburg 1990 Schriften und Entwürfe II (1826-1831). In: Gesammelte Werke. Bd. 16. Unter Mitarbeit von Christoph Jamme hrsg. von Friedrich Hogemann. Hamburg 2001 Vorlesungsmanuskripte I (1816-1831). In: Gesammelte Werke. Bd. 17. Hrsg. von Walter Jaeschke. Hamburg 1987 Vorlesungsmanuskripte II (1816-1831) In: Gesammelte Werke. Bd. 18. Hrsg. von Walter Jaeschke. Hamburg 1995 Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1827) In: Gesammelte Werke. Bd. 19. Hrsg. von Wolfgang Bonsiepen und Hans-Christian Lucas. Hamburg 1989 (zit. Enz. 1827, §§) Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1830). In: Gesammelte Werke. Bd. 20. Unter Mitarbeit von Udo Rameil hrsg. von Wolfgang Bonsiepen und Hans-Christian Lucas. Hamburg 1992 (zit. Enz 1830, §§) Wissenschaft der Logik. Erster Band: Die Lehre vom Sein (1832). In: Gesammelte Werke. Bd. 21. Hrsg. von Friedrich Hogemann und Walter Jaeschke. Hamburg 1984 Vorlesungen. Ausgewählte Nachschriften und Manuskripte, Hamburg 1983ff. (zit.: V mit Band- und Seitenzahl): Vorlesungen über Naturrecht und Staatswissenschaft. Heidelberg 1817/18. Mit Nachträgen aus der Vorlesung 1818/19. Nachgeschrieben von P. Wannenmann. Herausgegeben von C. Becker, W. Bonsiepen, A. Gethmann-Siefert, F. Hogemann, W. Jaeschke, Ch. Jamme, H.-Ch. Lucas, K. R. Meist, H. Schneider. Mit einer Einleitung von O. Pöggeler. Vorlesungen, Band 1, Hamburg 1983 Vorlesungen über die Philosophie der Religion. Teil 2. Die bestimmte Religion. In zwei Bänden: Textband (a), Anhang (b) Mit einem Begriffs- Realien- und Personenverzeichnis zum Gesamtwerk. Herausgegeben von Walter Jaeschke. Vorlesungen, Band 4, Hamburg 1985 Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie. Teil 4. Philosophie des Mittelalters und der neueren Zeit. Herausgegeben von Pierre Garniron und Walter Jaeschke. Vorlesungen, Band 9, Hamburg 1986 Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte. Berlin 1822/23. Nachschriften von Karl Gustav Julius von Griesheim, Heinrich Gustav 234 Hotho und Friedrich Carl Hermann Victor von Kehler. Herausgegeben von Karl Brehmer, Karl-Heinz Ilting und Hoo Nam Seelmann. Vorlesungen, Band 12, Hamburg 1996 Vorlesungen über die Philosophie des Geistes. Berlin 1827/1828. Nachgeschrieben von Johann Eduard Erdmann und Ferdinand Walter, hg. von Franz Hespe und Burkhard Tuschling unter Mitarbeit von Markus Eichel, Werner Euler, Dieter Hüning, Torsten Poths und Uli Vogel. Vorlesungen, Band 13, Hamburg 1994 Vorlesungen über die Philosophie der Natur. Berlin 1819/20. Nachgeschrieben von Johann Rudolf Ringier, hg. von Martin Bondeli und Hoo Nam Seelmann. Vorlesungen, Band 16, Hamburg 2002 Weitere Quellen: G. W. F. Hegel, Werke in 20 Bänden. Auf der Grundlage der Werke von 1832-1845 neu ed. Ausg. in der Schriftenreihe „SuhrkampTaschenbuch Wissenschaft“. Redaktion Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel (zit.: TWA, mit Band- und Seitenzahl) G.W.F. Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, in: TWA, Bd. 12 Grundlinien der Philosophie des Rechts, hrsg. von Johannes Hoffmeister, Hamburg 1995 (Bd. 483 der „Philosophischen Bibliothek“ im Meiner Verlag) (zit.: Rph, mit Paragraph) G.W.F. Hegel: Naturphilosophie. Bd. I. Die Vorlesung von 1819/20, in Verbindung mit Karl-Heinz Ilting hg. von Manfred Gies, Napoli 1982 (zit.: Gies) G.W.F. Hegel. Vorlesung über Naturphilosophie Berlin 1823/24. Nachschrift von K.G.J.v. Griesheim. Hrsg. und eingeleitet von Gilles Marmasse (Hegeliana. Bd. 12), Frankfurt am Main 2000 (zit.: Griesheim 1823/24) Ein Hegelsches Fragment zur Philosophie des Geistes. Eingeleitet und hg. von Friedhelm Nicolin. In: Hegel-Studien 1 (1961), 17-48 Grundlage der von H.G. Hotho edierten Druckfassung der Ästhetik ist: Vorlesungen über die Ästhetik. In: G.W.F. Hegel: Werke. Vollständige Ausgabe durch einen Verein von Freunden des Verewigten. 18. Bd. Berlin 1832 ff.; Bd. 10. 3. Abt. hrsg. von H.G. Hotho. Berlin 11835-37, 2 1842. Diesen Text (meist die zweite Auflage) reproduzieren alle weiteren Ausgaben der Ästhetik, z. B. die folgende: G. W. F. Hegel, Werke in 20 Bänden. Auf der Grundlage der Werke von 1832-1845 neu ed. Ausg. in der Schriftenreihe „Suhrkamp-Taschenbuch 235 Wissenschaft“. Redaktion Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel, Bde. 13-15, Frankfurt am Main 1997 (zit.: Ä I-III). Quellengrundlage der Berliner Ästhetikvorlesungen sind publizierte und noch unpublizierte Nachschriften: folgende Vorlesung über Philosophie der Kunst. Berlin 1820/21. Eine Nachschrift. I. Textband. Hrsg. von H. Schneider. Frankfurt a. M 1995 (zit. Ascheberg 1820/21) Vorlesungen über die Philosophie der Kunst. Berlin 1823. Nachgeschrieben von Heinrich Gustav Hotho. Hrsg. von A. Gethmann-Siefert. Hamburg 1998 (Studienausgabe Hamburg 2002) (zit. Hotho 1823) Philosophie der Kunst oder Ästhetik. Berlin 1826. Nachgeschrieben von Friedrich Carl Hermann Victor von Kehler. Hrsg. von A. GethmannSiefert und B. Collenberg-Plotnikov unter Mitarbeit von F. Iannelli und K. Berr. München 2004 (zugleich: Studienbrief 3358 der FernUniversität Hagen) (zit. Kehler 1826) Philosophie der Kunst. 1826. Nachgeschrieben durch von der Pfordten. Ms. im Besitz der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Berlin. Hrsg. von A. Gethmann-Siefert, J.-I. Kwon und K. Berr. Frankfurt a.M. 2004 (zit. Pfordten 1826) Unveröffentlichte Manuskripte: Ästhetik nach Prof. Hegel. 1826. Anonym. Ms. im Besitz der Stadtbibliothek Aachen (zit. Aachen 1826) Aesthetik nach Hegel. 1826. I.C. Löwe (Häusliche Ausarbeitung). Ms. im Besitz der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Berlin (zit. Löwe 1826) Philosophie der Kunst. von Prof. Hegel. Sommer 1826. Nachgeschrieben durch Griesheim (Häusliche Ausarbeitung). Ms. im Besitz der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Berlin (zit. Griesheim 1826) Aesthetik nach Prof. Hegel im Wintersemester 1828/29. Mitschrift von Karol Libelt. (Ms. im Besitz der Jagiellonischen Bibliothek, Krakau) (zit. Libelt 1828/29) Philosophie der Kunst. Prof. Hegel angefangen d. 27.8.ber. Berlin 1828/29. Mitschrift Rolin (zit. Rolin 1828/29) Die Ästhetik nach Hegels Vorlesung geschrieben von Heimann. Im Wintersemester 1828/29 (zit. Heimann 1828/29) Ästhetik von Hegel. Anonym. Berlin 1828/29. Ms. (Ms. Germ. Qu. 2328) im Besitz der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Berlin (zit.: Anonymus 1828/29) 236 Weitere Quellen zu Hegel und Hegels Philosophie: Briefe von und an Hegel. Hrsg. von Johannes Hoffmeister und Friedhelm Nicolin. Hamburg 31969-1981 (zit.: Briefe, mit Band- und Seitenzahl) Die Idee und das Ideal. Nach den erhaltenen Quellen neu hrsg. von Georg Lasson. Leipzig 1931 Hegel in Berichten seiner Zeitgenossen. Hrsg. von G. Nicolin. Hamburg 1970 (zit.: Berichte). Hegels theologische Jugendschriften. Nach den Handschriften der Kgl. Bibliothek in Berlin. Hrsg. von H. Nohl, Tübingen 1907 (Nachdruck Frankfurt a. M. 1966) (zit.: Nohl) Mythologie der Vernunft. Hegels „ältestes Systemprogramm“ des deutschen Idealismus. Hrsg. von Ch. Jamme/H. Schneider, FaM 1984 2. Quellen anderer Autoren: Adorno, Theodor W.: Ästhetische Theorie. In: Gesammelte Schriften. Bd 7. 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Es ist mir bekannt, daß wegen einer falschen Versicherung bereits erfolgte Promotionsleistungen für ungültig erklärt werden und eine bereits verliehene Doktorwürde entzogen wird.“ Karsten Berr 256