Michael Meuser Riskante Praktiken. Zur Aneignung von - A

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Michael Meuser
Riskante Praktiken. Zur Aneignung von Männlichkeit
in den ernsten Spielen des Wettbewerbs ,
l.
Einleitung
In einem Aufsatz, der die Diskussion über Theorieperspektiven in der Forschung zur geschlechtlichen Sozialisation neu angestoßen hat, moniert Andrea Maihofer (2002), die Dominanz des konstruktivistischen Paradigmas in
der rezenten Geschlechterforschung habe sozialisationstheoretische Fragestellungen nicht nur einfach in den Hintergrund gerückt, sondern diese geradezu tabuisiert. In der Tat hat die konstruktivistische Geschlechterforschung
keine Sozialisationstheorie vorgelegt, gleichwohl hat sie formuliert, um was
es im Prozess der geschlechtlichen Sozialisation im Kern geht. Regine Gildemeister (1988, 1992) zufolge werden im Sozialisationsprozess diejenigen
Regeln erworben, nach denen die soziale Konstruktion von Geschlechterdifferenzen erfolgt. Der spezifisch konstruktivistische Fokus besteht darin, dass
nicht gefragt wird, in welcher Weise die Geschlechtszugehörigkeit unterschiedliche Sozialisationsverläufe bedingt; vielmehr wird die Geschlechtlichkeit als solche als das begriffen, was angeeignet werden muss. Geschlechtliche Sozialisation „umfasst komplexe Aneignungsprozesse von in
der gesellschaftlich spezifischen Fassung der Geschlechterrelation sedimentierten sozialen Differenzierungen." Diese Aneignung bezieht sich vor allem
auf die Ebene „der generativen Regeln der Herstellung sozialer Situationen."
(Gildemeister 1992: 231; Hervorhebung im Original)
Es ist nicht zu übersehen, dass die Aneignung der Geschlechtlichkeit in
geschlechtstypisch unterschiedlicher Weise erfolgt. In dem Maße, in dem das
Kategoriensystem der Zweigeschlechtlichkeit erworben wird, differenziert
sich der Sozialisationsprozess für Jungen und Mädchen auf jeweils typische
Weise. Im Folgenden formuliere ich einen Vorschlag, wie die Aneignung
von Männlichkeit im Sinne eines Einübens der generativen Regeln des doing
masculinity konzipiert werden kann. Ich rekurriere dazu auf eine These sowie auf eine Unterscheidung Bourdieus, die dieser selbst, lose eingestreut in
anderweitige Überlegungen, nicht weiter ausgeführt hat, die mir aber für die
Diskussion über Modi männlicher Sozialisation fruchtbar zu sein scheinen.
Die These findet sich in seinem Aufsatz über die männliche Herrschaft. Dort
heißt es, der männliche Habitus werde "konstruiert und vollendet [...] nur in
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Der vorliegende Text greift Überlegungen aus einem andernorts publizierten Aufsatz auf
( Meuser 2005) und stellt sie in einen sozialisationstheoretischen Kontext.
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Verbindung mit dem den Männern vorbehaltenen Raum, in dem sich, unter
die ernsten Spiele des Wettbewerbs abspielen" (Bourdieu 1997:
203). Männlichkeit hat demzufolge eine kompetitive und in homosozialen
Feldern geprägte Struktur. Die Unterscheidung betrifft verschiedene Formen
der Sozialisation: das „Lernen durch schlichte Gewöhnung", die explizite
Unterweisung und die Strukturübung (Bourdieu 1993: 138). Letztere ist für
die geschlechtliche Sozialisation von besonderer Bedeutung. Jede Gesellschaft sähe „Strukturübungen vor, mit denen diese oder jene Form praktischer Meisterschaft übertragen werden dürfte". Mit Bezug auf seine ethnologischen Forschungen in der Kabylei nennt Bourdieu:
„alle Spiele, die häufig nach der Logik von Wette, Herausforderung oder Kampf strukturiert sind (Zweikampf oder Gruppenkampf, Scheibenschießen usw.) und bei denen von den
Knaben verlangt wird, die Erzeugungsschemata der Ehrenstrategien auf der Ebene des ,Sotun-als-ob' anzuwenden" (ebd.).
Männern,
Bourdieus Ausführungen zu den ernsten Spielen des Wettbewerbs bleiben
spärlich, und der Begriff der Strukturübung wird überhaupt nicht expliziert.
Sowohl in seinem Aufsatz zur männlichen Herrschaft als auch in seinen Arbeiten zum Begriff des Habitus sucht man vergeblich nach einer Sozialisationstheorie, nach Erläuterungen, „durch welche Prozesse das Soziale in den
Körper kommt" (Villa 2000: 50) bzw. wie die Individuen die „Denkstrukturen, Wahrnehmungsformen und Körperpraxen in ihren individuellen Entwicklungen ausbilden" (Maihofer 2002: 20). Bourdieu weist zwar gelegentlich auf die Bedeutung der Sozialisation für die Herausbildung des Habitus
hin (z.B. Bourdieu 1987: 739ff) - und man kann mit Eckart Liebau (1993:
264) das Habitus-Konzept „als eine implizite Sozialisationstheorie verstehen" -, ein darauf gerichtetes Forschungsprogramm entwickelt Bourdieu jedoch nicht. Sein Untersuchungsgegenstand sind die Sozialisationsergebnisse,
nicht der Sozialisationsprozess (Bauer 2002: 137). Bourdieu begnügt sich mit
dem Hinweis, dass die Grundlagen der Habitus in der primären Sozialisation
gelegt werden. Der Habitus ist
nichts anderes [...] als dieses durch die primäre Sozialisation jedem Individuum eingegebene immanente Gesetz, lex insita, das nicht nur die Voraussetzung der Übereinstimmung
der Praxis(formen), sondern auch die Voraussetzung der Praxis der Übereinstimmung darstellt" (Bourdieu 1979: 178).
Das gilt für den geschlechtlichen Habitus nicht weniger als für den Klassenhabitus.
Dem häufig geäußerten Einwand, Bourdieu habe es versäumt, eine Sozialisationstheorie des Habitus zu formulieren, könnte man mit Beate Krais
und Gunter Gebauer (2002: 61) entgegnen: „Eine Soziologie, die Sozialisation als Ausbildung des Habitus sieht; braucht auch keine Sozialisationstheorie
im strengen Sinne." Krais und Gebauer geben dann aber doch einen Hinweis,
wie der Erwerb des Habitus üblicherweise erfolgt: „als mimetisches Lernen
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[...], als praktisches, körperlich-sinnliches Tun in der Interaktion mit anderen" (ebd.: 64). Und dies geschieht weitgehend unabhängig von intentionalen
pädagogischen Bemühungen und außerhalb der Institutionen des Bildungsund Erziehungssystems. Es ist ein praktisches, vor-reflexives Lernen, in dem
nicht „,Modelle`, sondern die Handlungen der anderen [...] nachgeahmt"
werden (Bourdieu 1979: 189). Erworben wird der Habitus „in der und durch
die Teilnahme an der Praxis selbst" (Liebau 1992: 139). Bourdieus Skepsis
hinsichtlich der Bedeutung einer intentionalen Pädagogik für die Ausbildung
des Habitus - die mit einer Skepsis gegenüber der verändernden Wirkung
und befreienden Macht einer reflexiven Bewusstwerdung korrespondiert mag ein Grund dafür sein, dass er Sozialisationspraktiken nur selten und allenfalls beiläufig thematisiert. Eingelassen in die alltägliche Praxis und mit
dieser weitgehend identisch, lassen sie sich gewissermaßen nur schwer als
abgegrenzter Untersuchungsgegenstand fixieren.
Eine Form des vorreflexiven Lernens in Gestalt eines praktischen, körperlich-sinnlichen Tuns in der Interaktion mit anderen sind die Strukturübungen. Ich werde dies im Folgenden mit Bezug auf einen Typus sozialen
Handelns erläutern, der bei männlichen Individuen in der Jugendphase verstärkt und insgesamt bei Jungen und Männern deutlich häufiger als bei Mädchen und Frauen vorzufinden ist: Risikohandeln (Furstenberg 2000). Meine
Überlegungen haben ihren Ursprung darin, dass ich eine Antwort auf die
Frage suche, was der soziale Sinn derartiger .Praktiken ist, d.h. wie mit solchen Praktiken eine spezifische Position im sozialen Raum erworben wird.
Dem als Strukturübung begriffenen Risikohandeln männlicher Jugendlicher ist ein primärer (hier nicht näher betrachteter) Sozialisationsprozess vorgelagert, in dem der Möglichkeitsraum von Praktiken bereits geschlechtsty
pisch sowohl konstituiert als auch eingegrenzt worden ist. Auch in der primären Sozialisation bzw. gerade in dieser erfolgt die geschlechtliche Sozialisation in Gestalt einer vorreflexiven Aneignung von Praktiken:
„es ist auch die von allem Anfang an erfahrene Alltäglichkeit geschlechtsspezifischer Praktiken und der daran gebundenen Selbstverständlichkeiten, aus denen die unterschiedlichen
Habitusformen erwachsen" (Liebau 1992: 141).
2. Zur Geschlechtsdifferenz des Risikohandelns
Das Risikohandeln männlicher Jugendlicher lässt sich aus unterschiedlichen
Perspektiven betrachten: als Gefährdung der Gesundheit des riskant Handelnden wie der von seinem Handeln möglicherweise Betroffenen, als soziales Problem, das eine pädagogische Intervention notwendig macht, als bewusst gewähltes Mittel, um Achtung und Anerkennung unter Gleichaltrigen
zu gewinnen, als funktional in Hinblick auf die Aneignung von Erwachse-
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nenrollen. Von diesen, in der einschlägigen Literatur zu findenden Betrachtungsweisen, greife ich die funktionalistische auf. Diese Lesart legt nahe, das
Risikohandeln männlicher Jugendlicher als Teil der geschlechtlichen Sozialisation zu betrachten. Risikohandeln, so meine These, ist in dem Sinne funktional für die geschlechtliche Sozialisation von Männern, dass in ihm, bedingt durch die Modalitäten und die situativen Umstände, in denen es gewöhnlich praktiziert wird (Umstände des Wettbewerbs), eine Einübung in
den männlichen Geschlechtshabitus stattfindet. Dies geschieht typischerweise innerhalb männlicher Peer Groups, also in einem homosozialen Gruppenkontext.
Nicht nur Jungen und Männer handeln riskant. Die zentrale Differenz
des Risikohandelns von Frauen und Männern ist entlang der Achse internalisierendes und externalisierendes Verhalten zu finden (Helfferich 1997; Kolip
1997a). Als internalisierendes Verhalten gelten z.B. Essstörungen oder Medikamentenmissbrauch, als externalisierendes Verhalten werden u.a. exzessiver Alkoholkonsum oder Extremsportarten beschrieben. Typisch für ein externalisierendes, überwiegend von Männern praktiziertes Risikohandeln ist,
dass es in der Regel nicht in individueller Abgeschiedenheit stattfindet, sondern in einem kollektiven Rahmen. Es benötigt offensichtlich ein mehr oder
minder großes Publikum. Zum Beispiel ist der Alkoholkonsum häufig Teil
eines Gruppenrituals und erfolgt unter starkem Gruppendruck. Das Risikohandeln ist ein Handeln, bei dem nicht selten - mehr oder minder spielerisch,
aber mit durchaus ernsten Folgen - die Unversehrtheit des eigenen Körpers
wie auch der Körper von anderen aufs Spiel gesetzt wird. Beispiele sind das
von den Beteiligten selbst so bezeichnete „Spaßprügeln", wie man es regelmäßig auf Schulhöfen beobachten kann, sowie andere Formen „geselliger
Gewalt` (Inheiveen 1997). Auch in diesem Sinne ist männliches Risikohandeln externalisiert. Die Härte wird am eigenen Körper praktiziert, sie ist aber
auch gegen andere Körper gerichtet.
Einen institutionalisierten Ausdruck findet dies in einem sozialen Feld,
das für die geschlechtliche Sozialisation männlicher Jugendlicher von hoher
Bedeutung ist, im Sport. Männliches Risikohandeln hat hier einen festen und
legitimen Platz. Männer favorisieren Sportarten, bei „denen der Körper als
Mittel zu riskanten Auseinandersetzungen eingesetzt werden muss." (Gisler
1995: 654; vgl. auch Rose 1992: 116) Verletzungsanfällige Körperkontakte
kennzeichnen typische Männersportarten, während bei typischen Frauensportarten der spielerische Ausdruck im Vordergrund steht. In homologer
Weise sind jugendkulturelle, im öffentlichen Raum betriebene (Fun-)Sportaktivitäten geschlechtstypisiert. Den Einsatz und das Riskieren des eigenen
Körpers kennzeichnet z.B. Breakdance oder Skating, die überwiegend von
Jungen und jungen Männern praktiziert werden.'
2
In der angelsächsischen Forschung wird dem Sport eine nachgerade exzeptionelle Bedeutung für die männliche Sozialisation zugeschrieben (Messner 1990). Sportlicher Erfolg gilt
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In einer pädagogischen Perspektive mag das männliche Risikohandeln
als problematisch erscheinen, unter den Peers hingegen erfährt es Akzeptanz
und Anerkennung. Die positive Konnotation kommt z.B. in dem Slogan „no
risk, no tun" zum Ausdruck. „Der Kick und die Ehre" (Findeisen/Kersten
1999) gehören untrennbar zusammen. Selbst die durch das Riskieren des
Körpers unter Umständen entstehenden Verletzungen können als Zeichen sozialer Anerkennung fungieren. Die positive Wertung bleibt vielfach auch in
der Retrospektive des erwachsenen Mannes auf seine jugendlichen ,Abenteuer` und Eskapaden` erhalten, wie Dubet (1997) mit Blick auf jugendliche
Schlägereien darlegt. Eine positive Konnotation erfahren aber nur die Folgen
eines externalisierenden, mithin männlichen` Risikohandelns; die durch ein
internalisierendes Risikohandeln bewirkten Beschädigungen des Körpers
(wie z.B. Bullimie, Anorexie) gelten zumeist auch in der Gemeinschaft der
Peers als problematisch.
Im Risikohandeln wird, so Helfferich (1997: 153) der Status respektierter Männlichkeit gelernt und verdient`. Wenn das zutrifft, dann muss das Risikohandeln - einschließlich der erwähnten Härte -, obwohl es außerhalb der
Gemeinschaft der Peers als problematisch und vielfach auch als abweichend
wahrgenommen wird, in seiner Struktur der generativen Logik des männlichen Geschlechtshabitus homolog sein.
3. Männlichkeit als homosoziale und kompetitive Praxis
Männlichkeit erfährt ihre Gestalt nicht allein in Relation zu Weiblichkeit,
sondern auch in den sozialen Beziehungen der Männer untereinander. Darauf
hat Connell (1987; 1995) mit seinem Konzept der hegemonialen Männlichkeit hingewiesen. Will man die Geschlechtslogik des männlichen Risikohandelns verstehen, muss man sich der homosozialen Binnendimension von
Männlichkeit zuwenden.
Männlich-homosoziale settings sind durch zwei ineinander verwobene
Eigenschaften gekennzeichnet: eine Distinktion nicht nur gegenüber der Welt
der Frauen, sondern auch gegenüber anderen Männern und eine Konjunktion
der der homosozialen Gemeinschaft angehörenden Männer untereinander
(Meuser 2003a). Arbeiten zur männlichen Sozialisation weisen übereinstimmend darauf hin, dass sich die männliche Geschlechtsidentität über eine Abgrenzung gegenüber Frauen ausbildet sowie (zumindest phasenweise) gegenüber allem, was weiblich konnotiert ist (Friebertshäuser 1995). Diese Abals „a key signifier of successful masculinity" und als „t he Single most effective way of
gaining popularity and Status in the male peer group" (Swain 2003: 302). Diesen exzeptionellen Stellenwert dürfte der Sport hierzulande nicht haben
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grenzung äußert sich nicht selten in Gestalt einer Abwertung des Weiblichen
(Böhnisch/Winter 1993; Chodorow 1985, Hagemann-White 1984). Was in
den Theorien zur geschlechtlichen Sozialisation gegenüber der Betonung der
heterosozialen Abgrenzung gewöhnlich zu kurz kommt, ist die Distinktion in
der binnengeschlechtlichen Dimension. Die Distinktion erfolgt als eine doppelte und führt zu Dominanzverhältnissen sowohl gegenüber Frauen als auch
gegenüber anderen Männern. Die Grenzziehung gegenüber den Frauen konstituiert grundlegende Gemeinsamkeiten bzw. Konjunktionen zwischen den
Männern. Da aber nicht allen Männern gleichermaßen der Zutritt zu einer bestimmten homosozialen Gemeinschaft gewährt wird, vielmehr bestimmte
(milieuspezifisch, ethnisch oder anderweitig definierte) Kategorien von
Männern ausgeschlossen werden, kennzeichnen Distinktionen (in Gestalt von
sozialer Schließung) auch die geschlechtlichen Binnenverhältnisse.
Bourdieu sieht in den binnengeschlechtlichen, in den ernsten Spielen des
Wettbewerbs erzeugten Distinktionen den zentralen Ort der Konstruktion des
männlichen Habitus. Als dessen Grundlage bzw. generierendes Prinzip be
greift er eine „libido dominandi", die das Handeln des Mannes sowohl gegenüber anderen Männern als auch gegenüber Frauen strukturiert. Damit
meint er ein Bestreben, „die anderen Männer zu dominieren, und sekundär,
als Instrument des symbolischen Kampfes, die Frauen" (Bourdieu 1997:
203). Mit dem aus der Psychoanalyse übernommenen Begriff der libido verbindet Bourdieu kein triebtheoretisches Verständnis des männlichen Habitus,
sondern er nimmt an, dass die Ausbildung der libido dominandi das Resultat
männlicher Sozialisation ist, in der „die Männer dazu erzogen werden, die
gesellschaftlichen Spiele anzuerkennen, deren Einsatz irgendeine Form von
Herrschaft ist" (Bourdieu 2005: 133). Erworben wird der männliche Habitus
in den „ernsten Spiele des Wettbewerbs", den die (heranwachsenden) Männer unter sich austragen. Bourdieu streicht zwei miteinander verbundene
Aspekte heraus: die kompetitive Struktur von Männlichkeit und den homosozialen Charakter der sozialen Felder, in denen der Wettbewerb stattfindet.
Die Männer stehen einander als „Partner-Gegner" (Bourdieu 2005: 83) gegenüber. Der Wettbewerb trennt die Beteiligten nicht (oder nicht nur), er ist
zugleich, in ein- und derselben Bewegung, ein Mittel männlicher Vergemeinschaftung. Wettbewerb und Solidarität gehören untrennbar zusammen (Meuser 2003a).
Auch wenn nicht wenige homosoziale Männerwelten Eigenschaften eines „stahlharten Gehäuses" (Max Weber) aufweisen, fundieren sie habituelle
Sicherheit. Die homosoziale Gemeinschaft versorgt die Männer mit „resour
ces, skills, solidarity and power" (Gerson/Peiss 1985: 321). Genau dies geschieht auch im Risikohandeln. Mag das Risikohandeln mitunter unter starkem Gruppendruck erfolgen, so bekräftigt die Anerkennung, die ein Riskieren des eigenen Körpers hervorruft, den geschlechtlichen Status. Im pädagogischen Diskurs über männliches Risikohandeln wird dieses vielfach als
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Ausdruck einer essentiellen Unsicherheit hinsichtlich der geschlechtlichen
Identität der männlichen Akteure interpretiert. Das Risikohandeln erscheint
in dieser Sichtweise als ein kompensatorischer Akt angesichts einer fragilen
Geschlechtsidentität, welche angesichts der gegenwärtigen „gender troubles"
in besonderem Maße in Frage gestellt sei. 3 Eine „forcierte Männlichkeit"
wird als „Mittel der Angstbewältigung" verstanden; sie gewinne „dort an
Bedeutung, wo der Verlust traditioneller Männlichkeit besonders bedrohlich
erlebt wird" (King 2004: 239, 241).
Jon Swain (2003) beschreibt in einer ethnographischen Studie über die
Rolle des Körpers bei der Konstruktion von Männlichkeit die häufigen
Schlägereien unter männlichen Schülern als tägliche Verteidigung einer herausgeforderten Männlichkeit. Diese müsse immer wieder unter Beweis gestellt werden. Unsicher ist die Männlichkeit insofern, als sie den männlichen
Jugendlichen nicht als unverbrüchlicher Besitz zu Eigen ist, sondern durch
bestimmte Praktiken, zu denen Risikohandeln gehört, situativ hergestellt
werden muss. Gleichwohl vermittelt die homosoziale Männergemeinschaft
habituelle Sicherheit, indem sie keinen Zweifel lässt hinsichtlich der angemessenen Performanz einer anerkannten Männlichkeit. Es sind die ernsten
Spiele des Wettbewerbs, in denen Männlichkeit sich formt, und die homosoziale Gemeinschaft sorgt dafür, dass die Spielregeln in das inkorporierte Geschlechtswissen der männlichen Akteure eingehen.
--::: - Der historische Blick lehrt, dass eine in Gestalt von Risikohandeln forcierte Männlichkeit kein Spezifikum in Zeiten einer Transformation der Geschlechterordnung darstellt. Auch in der Epoche, die als die Blütezeit` der
bürgerlichen Geschlechterordnung gelten kann, in der „gender troubles"
noch unbekannt waren und die männliche Herrschaft noch ungebrochen und
fraglos gegeben war, bestimmten riskante Praktiken und ernste Spiele des
Wettbewerbs die Aneignung einer erwachsenen Männlichkeit. Studien zu der
Institution des Duells oder zu den Beleidigungs-; Fecht- und Trinkritualen im
studentischen Milieu bieten hier ein vielfältiges und einschlägiges Anschauungsmaterial (z.B. Elias 1989, 125ff, Frevert 1991, Objartel 1984).
Die ernsten Spiele des Wettbewerbs fanden und finden in den unterschiedlichsten sozialen Feldern statt, und sie haben eine beträchtliche Breite
von Ausdrucksformen. Sie reichen von Wortgefechten bis zu legalen und il
legalen Gewaltauseinandersetzungen. Das sei anhand einiger Beispiele aus
Peer-Kulturen verdeutlicht.
In einer ethnographischen Studie über eine Gruppe adoleszenter türkischer Migranten der zweiten Einwanderungsgeneration, die Turkish Power
Boys, beschreibt Hermann Tertilt (1996: 198f£), wie in ritualisierten Rede
duellen unter den Gruppenmitgliedern auf spielerische Weise die männliche
Ehre verteidigt wird. In diesen Duellen beleidigen sich die Akteure wechsel3
Die Fragilitäts-Kompensations-Annahme findet sich auch im pädagogischen Diskurs zu
männlichem Gewalthandeln (Meuser 2002).
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seitig, aber diese Wortgefechte sind gewöhnlich kein Ausdruck von Feindseligkeiten. Die Rededuelle werden in Reimform ausgetragen, und jeder versucht, den anderen an verbaler Virtuosität zu überbieten.
„Derjenige, der die Reimform nicht beherrschte oder dessen Antworten zu harmlos ausfielen, gerät in die Position des Schwächeren. Schlimmer aber noch als formale und inhaltliche Mängel in der Erwiderung waren Wiederholungen oder gar keine Antwort" (ebd.:
201).
Homologe Formen verbalen Wettstreits finden sich auch in anderen männlich
geprägten Jugendkulturen, z.B. in der HipHop-Szene in Gestalt des sog. dissen, des Zeigens von dis-respeet (Klein/Friedrich 2003: 38ff.). Das ist eine
ritualisierte Form des Beschimpfens oder Beleidigens eines anderen HipHoppers, dem z.B. vorgeworfen wird, sein Stil sei ein Plagiat.
„Dissen hat Wettbewerbscharakter: Wird jemand gedisst, dann reagiert dieser, indem er
noch beleidigter zurückdisst. Eine Kette von Beschimpfungen ist vorprogrammiert: Dissen
provoziert Streit und Dissen ist das Mittel, einen Streit auszutragen" (ebd.: 41).
Wie bei den Turkish Power Boys ist der verbale Wettbewerb Teil des ritualisierten Verhaltensrepertoires. Er wird nicht gemieden, sondern eher gesucht.
In vielen jugendlichen männlichen Subkulturen und Szenen sind gewaltförmige Auseinandersetzungen, in denen der eigene Körper zum Spieleinsatz
wird, eine übliche Form der ernsten Spiele des Wettbewerbs. Je nach sozialem Kontext erfolgt das Gewalthandeln mehr oder minder ritualisiert. Eine
hochgradig ritualisierte Form riskanten Körpereinsatzes ist das Mensurschlagen in schlagenden Verbindungen (Elias 1989: 1 25ff.). Weniger ritualisiert,
obwohl keinesfalls ungeregelt, sind die Kämpfe unter Hooligans. In dem einen wie dem anderen Fall, bei der sozial konformen Variante des Gewalthandelns wie bei der devianten, geht es darum, seinen Mann zu stehen`. Und
dies geschieht dadurch, dass man den eigenen Körper bzw. dessen Unversehrtheit riskiert, dass man standhält und den Kampf bis zum Ende durchsteht (Meuser 2003b). Den „Kick", den der Kampf bewirkt, gibt es nur, wenn
die „Ehre" nicht zu kurz kommt. In den Worten eines Hooligans (Bohnsack
u.a. 1995: 75): „Entweder er steht beim Fußball seinen Mann, (.) äh-mit mir
zusammen; und rennt nich weg, oder er braucht halt nich mit hinfahren."
Nach dem gleichen Muster verläuft das sog. , Kampftrinken`, das zu einer
Vielzahl männlicher adoleszenter Kulturen gehört.
Der Wettbewerb ist, so paradox das erscheinen mag, auch eine Ressource von Solidarität. Nicht selten vergemeinschaftet Gewalt diejenigen, die zunächst gegeneinander gekämpft haben. Aus Schlägereien können Freundschaftsbeziehungen entstehen (Matt 1999: 265). Elias (1989: 125ff) beschreibt die Welt der studentischen Verbindungen als ein kompetitives Leben
mit hohem Konkurrenzdruck, dem es dennoch nicht an Kameradschaft und
wechselseitiger Zuneigung fehlt. Zu den in diesem Milieu gängigen und verpflichtenden Trinkritualen notiert er: „man trank mit- und gegeneinander um
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die Wette" (ebd.: 132; Hervorh.: MM). Der gleichen Strukturlogik von Wettbewerb und Solidarität folgt das Ritual des Mensur-Schlagens. Der wechselseitig unternommene Versuch, den Anderen zu verletzen, stiftet Gemeinschaft. Auch dies vermag der historische Blick zu bekräftigen. Im Duell konstituierte sich
„eine Art Freundschaftsbund [...1. Durch ein Duell`, hieß es im Jenaer - Comment von
1809, sind die Schlagenden näher miteinander verbunden und per se in Bruderschaft`, was
durch Bruderkuß und Brüderschafts-Trinken bekräftigt wurde" (Frevert 1991: 141; vgl.
auch Mosse 1997: 32£).
Allen beispielhaft beschriebenen Formen des Wettbewerbs eignet eine gemeinsame Strukturlogik, welche auch das Risikohandeln aufweist. Anerkennung als Mann erwirbt man dadurch, dass man sich dem Wettbewerb mit Geschlechtsgenossen stellt, wenn nötig bis zum bitteren Ende`. Im Durchhalten
reift der Jugendliche zum Mann. Darin ähneln die Wettbewerbsspiele unter
Peers in der modernen Gesellschaft den Initiationsritualen in Stammeskulturen (Gilmore 1991). Zwar verläuft die geschlechtliche Initiation' in modernen Gesellschaften weniger institutionalisiert und weniger unter Anleitung
erwachsener Männer (Friebertshäuser 1995), doch folgt auch die von den
Peers selbst organisierte Aneignung einer erwachsenen Männlichkeit einer
Logik, deren Regeln durch die Struktur dessen, was angeeignet wird, vorgegeben sind. Aus dieser Struktur bezieht die Selbstsozialisation ihre symbolischen Mittel.
4. Risikohandeln als Strukturübung
Klaus Hurrelmann (2001: 115) begreift Risikohandeln als „Signal für eine
objektiv problematische Ausgangskonstellation bei der Bewältigung von Entwicklungsaufgaben, ein Anzeichen für Schwierigkeiten in der normalen Entwicklung im Jugendalter." Vor dem Hintergrund der Ausführungen zur
Strukturlogik des männlichen Geschlechtshabitus liegt eine andere Lesart
nahe. Risikohandeln ist Teil der normalen Entwicklung männlicher Jugendlicher, es ist eine enm , icklungsphasentypische Form der ernsten Spiele des
Wettbewerbs, mit der dessen Spielregeln angeeignet werden. Risikohandeln
lässt sich im Bourdieu'schen Sinne als „Strukturübung" verstehen.
Der Übungscharakter des Risikohandelns wird daraus ersichtlich, dass es
gewöhnlich ein Phänomen ist, das mehr oder minder auf das Jugendalter begrenzt ist oder doch zumindest in späteren Lebensphasen nur noch in abge
schwächter Form praktiziert wird. Die alten Herren` in den studentischen
Verbindungen schlagen keine Mensuren mehr, die Hooligans beteiligen sich
in der Regel nicht mehr aktiv an den Schlägereien, wenn sie in die Phase der
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Familiengründung eintreten, die kollektiven Alkoholexzesse werden seltener
usw. Dass dem Risikohandeln die Eigenschaft des lebensphasentypisch Episodalen zukommt, sehen die Akteure in der Retrospektive selbst. Eine der
von Bohnsack u.a. (1995: 73) untersuchten Hooligangruppe, deren „Phase
der Randale" der Vergangenheit angehört, bezeichnet sich selbst als „Stinos",
als „Stinknormale", und rechnet ihr vormaliges Gewalthandeln einer abgeschlossenen Entwicklungsphase zu, die freilich in positiver Erinnerung
bleibt.
Das Risikohandeln lässt sich als eine entwicklungsphasentypische Steigerung der Strukturlogik des männlichen Geschlechtshabitus begreifen. Gerade weil diese Logik gleichsam übertrieben in Szene gesetzt wird, fungiert
das Risikohandeln als Strukturübung. Bohnsack und Nohl (2000) verstehen
den fight der Hooligans und den battle der Breakdancer als typische Formen
adoleszenter Efferveszenz, als kollektiv gesteigerte Suchprozesse nach habitueller Übereinstimmung. 4 In einer Studie zum kollektiven Aktionismus der
HipHop-Szene beschreibt Liell (2003: 125) efferveszente Praktiken als „in
besonderem Maße" geeignet, „kollektive Zugehörigkeit und habituelle Orientierungen zu schaffen, zu erproben und zu reproduzieren."
Dass es sich um Strukturübungen handelt, zeigt sich nicht zuletzt daran,
dass der Wettbewerb vielfach über eine Ritualisierung von persönlichen Motiven entkoppelt ist. Dies ist beim „Kampftrinken" ebenso der Fall wie bei
den zahlreichen Formen ritualisierter Gewalt, sei es in Gestalt des Mensurschlagens unter Verbindungsstudenten, sei es in Gestalt des Kampfes unter
Hooligans. Einer der von Bohnsack u.a. (1995: 225) interviewten Hooligans
bringt dies recht anschaulich zum Ausdruck:
War wichtig is, is eigentlich dette, daß äh-daß wer hinfahren und uns dann eben treffen,
det Drum-Herum, bißchen in der Kneipe sich amüsieren, Spaß haben, bißchen wat trinken
und denn vor dem Spiel sich vielleicht n bißchen rumzuprügeln, wenn man eben die Leute
da trifft, mit denen man sich rumprügeln kann, oder eben nach dem Spiel, wenn die Polizei
nicht dazwischenfunkt`.
Die Ritualisierung des Wettbewerbs scheint eine historische Konstante
männlicher Strukturübungen zu sein. Für das studentische Milieu Mitte des
19. Jahrhunderts zeigt Georg Objartel (1984: 104), wie sich eine „Kunst des
Beleidigens" ausbildet, die „unbeeinflusst von der Affektgeladenheit der
Streitsituation in kühler Berechnung Beleidigungen austeilt oder übertrumpft". Eine ähnliche Virtuosität verbalen Wettstreits im Rahmen eines
Der französische Begriff „effervescence" steht für Erregung, Aufbrausen, Gärung, Wallung. Emile Durkheim thematisiert in seiner Religionssoziologie mit dem Begriff der „kollektiven Efferveszenz" die gemeinschaftsbildende Kraft kollektiver Rituale, wie sie z.B. in
Gestalt des Fests in fast allen Kulturen zu beobachten ist. „Innerhalb einer Ansammlung,
die eine gemeinsame Leidenschaft erregt, haben wir Gefühle und sind zu Akten fähig, deren
wir unfähig sind, wenn wir auf unsere Kräfte allein angewiesen sind" (Durkheim 1981:
289).
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vorstrukturierten und mithin erwartbaren Ablaufschemas findet sich, wie zuvor an den Beispielen der Turkish Power Boys und der Szene der HipHopper
erläutert, auch in manchen männlichen Jugendsubkulturen der Gegenwart.
Die Peer Group ist ein Konstruktionsort von Jugend und Geschlecht (Jösting 2005: 45). Das Risikohandeln männlicher Jugendlicher ist durch eine
Konfiguration zweier sozialer Typiken gekennzeichnet. Der _ kompetitive
Charakter dieses Handelns verweist auf dessen Geschlechtstvpik, die heranwachenden Männer erwerben ein inkorporiertes Wissen um die Logik der
ernsten Spiele des Wettbewerbs, welche den männlichen Habitus prägen. Vor
allem lernen sie, diese Spiele zu lieben. Darin, dass diese Spiele in einer gesteigerten und den eigenen Körper riskierenden Form ausgetragen werden,
macht sich die Entwicklungstypik geltend. Auch wenn das Risikohandeln
vielfach ernste Folgen für Leib und Leben nach sich zieht, ist es gleichsam
ein (noch) spielerischer Umgang mit den ernsten Spielen des Wettbewerbs,
hat es den skizzierten Übungscharakter. In der Übersteigerung wird gewissermaßen Jugendlichkeit her- und dargestellt.
Eva Breitenbach (2001: 200ff.) schlägt vor, die in der Geschlechterforschung entwickelte konstruktivistische Betrachtungsweise für die Forschung
zur Adoleszenz fruchtbar zu machen und doing gender und doing adolsecen
ce als wechselseitig verschränkte Prozesse zu betrachten. Diesen Gedanken
aufnehmend lässt sich das männliche Risikohandeln gleichermaßen als entwicklungsphasentypischer Modus des doing gender und als geschlechtstypischer Modus des doing adolescence begreifen. Die Adoleszer-,~z ist eine vorübergehende Lebensphase, der in dieser Phase erworbene Spielsinn` jedoch
bleibt erhalten.
5. Sozialisationstheoretische Folgerungen
Der hier für das Jugendalter beschriebene WettbewerbscharaL- ter homosozialer Interaktion unter Männern prägt nicht nur diese Lebensphasen. Er setzt
sich fort, allerdings zumeist in Gestalt weniger riskanter Praktiken; und er
beginnt auch nicht erst mit der Jugendzeit. Als Ergebnis einer Durchsicht der
Forschungen zu Verhaltensdifferenzen zwischen Mädchen }und Jungen hält
Eleanor Maccoby (1990) fest, dass das Spiel der Jungen szhon frühzeitig
durch einen rauen Stil („rough-and-tumble play style") sowie durch eine Orientierung an Wettbewerb und Dominanz geprägt ist. Es erf rlgt in größeren
Gruppen, nimmt mehr Raum ein als das der Mädchen und ist öfter im öffentlichen Raum situiert. Während das Verhalten der Mädchen st~irker kooperationsorientiert ist, weist das der Jungen mehr Kontrollorientierung und negative Reziprozität auf. Jungen haben in ihren Gruppen mehr CJlegenheiten zu
lernen, wie man in hierarchischen Strukturen agiert. Sie greif`-en mehr zu Be-
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drohungen und setzen häufiger physische Kraft ein. Einen ähnlichen Befund
ergibt ein von Gebauer (1997) vorgenommener Vergleich von Jungen- und
Mädchenspielen. „Typische Jungenspiele haben eine deutlich erkennbare
agonale Struktur", daran teilzunehmen „setzt die Bereitschaft zur Anerkennung der im Wettkampf etablierten Hierarchie voraus" (ebd. 1997: 276).
Der raue und kompetitive Stil wird vor allem gepflegt, wenn Jungen von
anderen Jungen und Männern beobachtet werden, also im homosozialen
Kontext. Dieser Befund lässt sich dahingehend interpretieren, dass im homo
sozialen Kontext ein potentiell breiteres Verhaltenspotential eingeschränkt
wird. Die Strukturübung besteht darin, dass Kontingenzen vernichtet` werden - in Richtung der Strukturlogik hegemonialer Männlichkeit. Die Akteure, die diese Einschränkung betreiben, sind die Jungen und männlichen Jugendlichen selbst. Insofern handelt es sich hierbei um eine Form der Selbstsozialisation, als „interpretative Reproduktion von Kultur mittels kultureller
Netzwerke von Peers" (Zinnecker 2000: 282).
Der Begriff der Strukturübung fokussiert auf die aktiven Leistungen der
Subjekte, begreift den Sozialisationsprozess allerdings als bestimmt durch
die Strukturen, die angeeignet werden. Dies sind im vorliegenden themati
schen Zusammenhang die Strukturen einer erwachsenen Männlichkeit, denen
der Wettbewerb als generatives Prinzip zugrunde liegt (Meuser/Scholz
2005). Sozialisation besteht in diesem Verständnis in der Aneignung „einer
spezifischen Position im sozialen Raum" (Krais/Gebauer 2002: 61). Die aktiven Leistungen der Subjekte sind im Sinne des Habituskonzepts zu verstehen. Dieses
„gibt dem Akteur eine generierende und einigende, konstruierende und einteilende Macht
zurück und erinnert zugleich daran, dass diese sozial geschaffene Fähigkeit, die soziale
Wirklichkeit zu schaffen, nicht die eines transzendentalen Subjekts ist, sondern die eines
sozial geschaffenen Körpers, der sozial geschaffene und im Verlauf einer räumlich und
zeitlich situierten Erfahrung erworbene Gestaltungsprinzipien in die Praxis umsetzt`
(Bourdieu 2001: 175).
Strukturübungen sind ein Modus nichtbegrifflicher, vortheoretischer Aneignung der sozialen Welt, bei der deren Struktur- und Ordnungsprinzipien erworben und inkorporiert werden. Mit den Strukturübungen entsteht qua Teilnahme (hier an den ernsten Spielen des Wettbewerbs) „der praktische Glaube
an das Feld" (Krais/Gebauer 2002: 62). Mit der Teilnahme erkennen die Akteure das Spiel selbst und dessen Regeln an, und sie lernen es, das Spiel zu
lieben. In den Strukturübungen wird ein (feld-)spezifischer praktischer Sinn
erworben.
Helga Bilden (1991) kritisiert den in der Sozialisationsforschung geläufigen Begriff der „Aneignung", „weil er eine Eindeutigkeit des Anzueignenden voraussetzt (als wenn es da` etwas Festumrissenes gäbe, das ein Individuum sich zu Eigen` macht)". Eine solche Eindeutigkeit ist in dem Konzept
der Strukturübung nicht impliziert. Angeeignet werden nicht spezifische Ge-
Riskante Praktiken
175
schlechtsnormen, sondern die generativen Regeln der - allerdings ,angemessenen` -Herstellung sozialer Situationen. Bourdieus (1993: 104) Charakterisierung des Habitus als „Erfinderkunst` vermag zu verdeutlichen, wie die
Angemessenheit zu verstehen ist. Es können „unendlich viele und (wie die
jeweiligen Situationen) relativ unvorhersehbare Praktiken von dennoch begrenzter Verschiedenheit erzeugt werden". Mit Strukturübungen wird eine
typische Form der Herstellung sozialer Situationen angeeignet, nicht aber ein
spezifisches Norm- und Wertesystem. Mit Bezug auf seine ethnologischen
Forschungen in der Kabylei führt Bourdieu (1979: 190) aus, dass das kabylische Kind soziale Praktiken wie Ehrenduelle und Riten dadurch lernt, dass es
sie als „Produkt der systematischen Applikation einer kleinen Anzahl zusammenhängender praktischer Prinzipien" begreift und dass dieses Lernen
die Gestalt einer Aneignung „eines generativen Prinzips von Praktiken [hat],
die auf der gleichen Grundlage organisiert sind". Was, um auf den thematischen Fokus dieses Beitrags zurück zu kommen, Männlichkeit ausmacht, das
variiert - zwar nicht von Individuum zu Individuum, wohl aber von sozialem
Milieu zu sozialem Milieu, auch von Generation zu Generation; und es hat
ethnische Konnotationen. Eine Begrenzung der Verschiedenheit erfolgt allerdings dadurch, dass die jeweilige milieu-, generationen-, ethnisch spezifische
Männlichkeit in - wiederum nach Milieu-, Generationen- und ethnischer Zugehörigkeit unterschiedlich ausfallenden - ernsten Spielen des Wettbewerbs
erworben wird.
Bettina Dausien (1999: 224) bemerkt zum Konzept der geschlechtsspezifischen Sozialisation: Es werde „eher mit individuellen Erziehungs- und Entwicklungsprozessen assoziiert als mit Fragen von Macht und Herrschaft in einer patriarchalen Gesellschaft." Mit dem Begriff der Strukturübung sind beide
Aspekte thematisiert: die individuelle Aneignung der Strukturlogik hegemonialer Männlichkeit und, da es um die Aneignung einer auf Distinktions- und Dominanzverhältnisse gründenden Struktur geht, die Reproduktion von Macht
und Herrschaft. Auch darin, in dieser doppelten Perspektive, scheint mir, auch
wenn Bourdieu keine Sozialisationstheorie vorgelegt hat, die Relevanz seiner
Soziologie für die Sozialisationsforschung und -theorie zu liegen.
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